Gefangen im eigenen Schloß - Gisela Heimburg - E-Book

Gefangen im eigenen Schloß E-Book

Gisela Heimburg

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Sandra blieb zögernd am Eingang der Bar stehen. Im matten roten Licht sah sie die tanzenden Paare: elegant gekleidete Frauen, Männer in dunklen Anzügen. Schmeichelnde Musik drang durch den kleinen Raum, den Sandra bislang immer gemieden hatte. Heute aber, am letzten Abend der Reise, wollte sie auch diese Seite des Schiffslebens einmal kennenlernen! Doch nun verließ sie der Mut. Als junges Mädchen ganz allein in dieser »Lasterhöhle« … Nein, lieber nicht! Sie wollte sich gerade wieder abwenden, als ein junger blonder Mann vor ihr auftauchte und sie strahlend anlächelte. »Darf ich um diesen Tanz bitten, Frau Martin?« fragte er und deutete eine Verbeugung an. »Sie wissen meinen Namen?« entgegnete das Mädchen verwirrt und strich eine Haarwelle aus dem Gesicht. »Ja«, antwortete der junge Mann offen. »Während der ganzen Reise habe ich Sie von weitem bewundert, aber nie gewagt, Sie anzusprechen.« »So? Warum denn nicht?« »Weil Sie immer einen so stolzen und abweisenden Eindruck machten!« »Ach, das war nur Selbstschutz!« Sandra lachte.

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Fürstenkrone – 228 –

Gefangen im eigenen Schloß

Gisela Heimburg

Sandra blieb zögernd am Eingang der Bar stehen. Im matten roten Licht sah sie die tanzenden Paare: elegant gekleidete Frauen, Männer in dunklen Anzügen. Schmeichelnde Musik drang durch den kleinen Raum, den Sandra bislang immer gemieden hatte. Heute aber, am letzten Abend der Reise, wollte sie auch diese Seite des Schiffslebens einmal kennenlernen!

Doch nun verließ sie der Mut. Als junges Mädchen ganz allein in dieser »Lasterhöhle«… Nein, lieber nicht!

Sie wollte sich gerade wieder abwenden, als ein junger blonder Mann vor ihr auftauchte und sie strahlend anlächelte.

»Darf ich um diesen Tanz bitten, Frau Martin?« fragte er und deutete eine Verbeugung an.

»Sie wissen meinen Namen?« entgegnete das Mädchen verwirrt und strich eine Haarwelle aus dem Gesicht.

»Ja«, antwortete der junge Mann offen. »Während der ganzen Reise habe ich Sie von weitem bewundert, aber nie gewagt, Sie anzusprechen.«

»So? Warum denn nicht?«

»Weil Sie immer einen so stolzen und abweisenden Eindruck machten!«

»Ach, das war nur Selbstschutz!« Sandra lachte. »Wenn man als Mädchen ohne Begleitung…«

»… auf einem Schiff voller beutegieriger Männer reist! Natürlich, verständlich! Aber verzeihen Sie, daß ich mich noch nicht vorgestellt habe: Fred Lindau.«

»Sie sind Deutscher, nicht wahr?«

»Ja. Aber kommen Sie doch, beim Tanzen können wir uns ebensogut unterhalten.« Er nahm sie in die Arme. Weich umschmeichelte sie die Musik. Die sanften Töne einer Klarinette vermischten sich mit perlenden Klavierläufen und dem monotonen Rhythmus einer gezupften Baßgeige.

Sandra erinnerte sich daran, daß sie diesen jungen Mann schon mehrere Male gesehen hatte, im Speisesaal, bei Bordspielen, im Swimmingpool. Er hatte sie aufdringlich fixiert, und gerade deshalb hatte sie ihn überhaupt nicht beachtet.

Er sah sehr gut aus. Sein hellblondes Haar bildete einen wirkungsvollen Kontrast zu seinem gebräunten Gesicht. Die hellen Augen funkelten lustig, während sie das Mädchen eindringlich musterten.

»Sie unternehmen auf der ATLANTIS eine Ferienreise?« setzte Fred Lindau das Gespräch fort.

Sandra schüttelte den Kopf. »Nein. Ich reise zu meinem Vater nach Deutschland.«

»Aber warum sind Sie dann nicht geflogen?«

»Mein – Vater schickte mir die Schiffskarte und schrieb, er habe eine Abneigung gegen Flugzeuge.«

»Nanu? Ihr Herr Vater kann doch nicht ein so ausgesprochen altmodischer Herr sein, wenn er eine so junge Tochter hat!«

»Ich weiß nicht, ob mein Vater altmodisch ist«, erwiderte das Mädchen zögernd. »Denn ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Ach!« Fred Lindau musterte sie erstaunt.

In diesem Moment beendete die Band den Tanz. Sandras Tänzer verneigte sich leicht. »Frau Martin, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mit an meinen Tisch kämen.«

»Ja, warum nicht«, erwiderte San­dra unbefangen.

Sie befand sich plötzlich in einer eigenartig gelösten Stimmung. Sie ging beschwingt neben dem jungen Mann her, genoß es, wie er ihr ritterlich den kleinen Sessel zurechtrückte, wie er ihr eine Zigarette aus seinem schweren goldenen Etui anbot. Obwohl sie bisher kaum geraucht hatte, griff sie dankend zu. Sie fühlte sich vom Hauch der großen Welt erfaßt und in schwindelnde Höhen getragen.

Fred Lindau gab ihr Feuer. Deutlich sah sie sein Gesicht, das im Schein des kleinen Flämmchens etwas sehr Sympathisches hatte.

»Danke.«

Der junge Mann lächelte ihr zu, dann winkte er den Steward herbei und bestellte Champagner.

Gewandt begann er zu plaudern, über die belanglosen Ereignisse an Bord, über Schlagerstars und Filme.

Als der Champagner in den Gläsern perlte, sagte er lächelnd: »Trinken wir auf das, was wir lieben!«

Mehr und mehr fühlte sich Sandra in einen Schwebezustand versetzt. Und als Fred Lindau das Thema erneut auf ihren unbekannten Vater lenkte, vergaß sie ihre Verschlossenheit und begann von sich zu erzählen: »Meine Mutter ist vor wenigen Monaten verstorben. Erst kurz vor ihrem Tod erfuhr ich, wer eigentlich mein Vater ist. Mutter litt an einer unheilbaren Krankheit und machte sich Sorgen um meine Zukunft.« Das Gesicht des Mädchens verdunkelte sich.

»Es tut mir leid für Sie«, warf Fred Lindau ein.

»Mutter nannte mir den Namen meines Vaters«, fuhr das Mädchen selbstvergessen fort. »Arnulf Fürst von Rohausen.«

»Ach! Ihr Vater ist ein leibhaftiger Fürst?«

»Ich war natürlich auch völlig perplex und konnte es kaum fassen. Vor allem begriff ich nicht, warum mein Vater sich noch nie um uns gekümmert hatte. Ich glaubte zuerst, er wäre vielleicht mit einer anderen Frau verheiratet, aber das erwies sich als Irrtum.«

»Und der wahre Grund?« fragte der junge Mann gespannt.

»Mein Vater ahnte gar nichts von meiner Existenz. Er hatte als junger Mann in den Vereinigten Staaten studiert und meine Mutter, die auch deutschstämmiger Herkunft war, kennengelernt. Es war wohl nur eine Romanze, denn die beiden verloren sich wieder aus den Augen. Dann wurde meiner Mutter klar, daß sie ein Kind erwartete. Fürst Rohausen war inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt. Es gab noch einige Mißverständnisse, von denen meine Mutter nicht sprechen wollte. Jedenfalls verschwieg sie meine Geburt dem Fürsten gegenüber – bis kurz vor ihrem Tod. Dann erst teilte sie ihm mit, daß sie nicht wisse, wem sie ihre Tochter – seine Tochter – anvertrauen sollte. Und irgend jemand müßte sich doch für mich verantwortlich fühlen, denn ich wäre erst neunzehn Jahre alt. Der Antwortbrief des Fürsten traf erst nach Mutters Tod ein. In dem Brief stand, daß er mich als seine Tochter gern bei sich aufnehmen würde. Es gingen noch einige Briefe hin und her, dann schickte mein Vater das Schiffsticket, und nun bin ich hier auf der ATLANTIS.«

»Das ist ja toll!« lächelte Fred Lindau. »Aber Ihr Vater weiß doch sicher, wie seine Tochter aussieht?«

Sandra schüttelte den Kopf.

»Sie haben ihm keine Fotos geschickt?«

»Nein, ich besaß keine vernünftigen Bilder neueren Datums. Und Fotos von mir, die mich als ziemlich pummeligen kleinen Teenager zeigen, wollte ich ihm nicht schicken.«

»Von einem pummeligen Teenager kann ja nun wirklich keine Rede mehr sein!« Fred Lindau lächelte wieder, diesmal anzüglich. »Der Fürst wird also eine fremde, aber sehr schöne und schicke, schlanke Tochter in Empfang nehmen können. Will Ihr Vater Sie adoptieren?«

»Das weiß ich nicht«, erwiderte Sandra kurz.

»Ist er denn jetzt verheiratet?«

»Nein.«

»Auch nie gewesen?«

Sandra schüttelte den Kopf. Sie spürte, daß Sektgeister durch ihr Hirn tanzten. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie dem bis vor kurzem noch völlig fremden jungen Mann schön viel zuviel erzählt hatte. Ihr Gesichtsausdruck verschloß sich.

»Der Fürst wird Sie bestimmt adoptieren, und Sie werden eine richtige Prinzessin!« Die Augen des jungen Mannes leuchteten auf, als handele es sich um sein eigenes Schicksal, das eine glückliche Wendung genommen hatte.

»Was halten Sie denn davon«, fuhr er rasch fort, »wenn ich Sie zum Schloß Rohausen begleiten würde? Vielleicht sollte ich Ihnen ein paar nähere Einzelheiten über mich erzählen. Ich bin der Beauftragte einer amerikanischen Elektrofirma für Deutschland, und ich…«

Sandra erhob sich. »Vielen Dank, Herr Lindau. Aber ich werde von Hamburg abgeholt. Mein Vater hat bereits alles arrangiert.«

»So, Sie werden abgeholt. Kommt der Fürst persönlich?«

»Nein, mein Vater reist nicht gern, wie er mir schrieb. Er schickt einen Wagen.«

»Nun ja, es war ja nur ein Vorschlag meinerseits. Frau Martin, wollen Sie wirklich schon gehen?«

»Ich bin müde. Ich hätte nicht so viel trinken dürfen.«

»Ein paar Gläschen!« Fred Lindau lachte.

»Vielen Dank«, sagte Sandra noch einmal. »Gute Nacht.«

Aufatmend erreichte Sandra das Sonnendeck, das zu dieser späten Stunde völlig verlassen dalag. Tief sog sie die kühle, frische Luft in die Lungen. Sie lehnte sich an die Reling und schaute hinaus auf das nachtschwarze Meer.

Diesen Vorstoß in die Bar hätte sie doch lieber unterlassen sollen! Was war nur in sie gefahren, diesem Unbekannten die Geheimnisse ihres Lebens zu offenbaren?

Der Fahrtwind ließ die goldblonden Haare des Mädchens wie eine seidene Flagge wehen. Leise rauschten die Bugwellen des großen Schiffes. Die Sterne waren blitzende Diamanten auf schwarzem Samt.

Lange blickte das einsame Mädchen zum Himmel empor. Ihre Gedanken eilten dem Schiff voraus. Morgen um diese Zeit war sie bestimmt schon auf Schloß Rohausen.

Eine unbestimmte Sehnsucht machte ihr das Herz schwer. Sie hatte das Gefühl, nach Hause zurückzukehren. In ein unbekanntes Land, auf ein fremdes Schloß – und doch nach Hause!

*

Am Morgen des nächsten Tages lief die schneeweiße ATLANTIS in den Hamburger Hafen ein.

Deutschland begrüßte Sandra Martin, das Mädchen aus dem sonnigen Kalifornien, mit feuchter Kälte. Nebelschwaden hingen über der Elbe und hüllten die Silhouette der Stadt ein. Nur der patinagrüne Turm der Michaeliskirche hob sich aus dem Dunst, als sei er sich seiner Würde als Wahrzeichen der Hafenstadt bewußt.

Sandra stand an der Reling, beide Hände in die Taschen ihres Mantels geschoben, und beobachtete, wie die kleinen Schlepper an dem Ozeanriesen festmachten und ihn zur Überseebrücke zogen. Möwen umschwirrten die ATLANTIS kreischend und fingen im Flug geschickt die Brocken auf, die einige Passagiere ihnen zuwarfen.

»Guten Morgen, Frau Martin.«

Sie zuckte leicht zusammen, als sie von der Seite angesprochen wurde. Schon an der Stimme erkannte sie ihre Barbekanntschaft wieder.

»Guten Morgen, Herr Lindau«, erwiderte sie mit kühler Höflichkeit.

Doch der junge Mann ließ sich nicht abweisen. »Warum sind Sie eigentlich böse auf mich, Frau Martin? Habe ich Sie irgendwie verletzt?«

Sandra lächelte flüchtig. »Natürlich nicht.«

»Wollen wir vielleicht noch einen Abschiedsdrink unten in der Bar nehmen?«

»Nein, danke. So früh am Morgen trinke ich keinen Alkohol.«

»Nun, es könnte ja auch ein Kaffee sein! Bitte, tun Sie mir doch den Gefallen.«

Sandra schüttelte den Kopf und blickte wieder in den grauen Nebeldunst. Sie sah das Gewirr des Hafens, die aufragenden Masten und Kräne, zuckende blaue Schweißblitze auf den Schiffswerften, kleine Barkassen, die tuckernd über den Strom zogen.

Sandra wußte selbst nicht recht, warum ihr dieser junge Mann auf die Nerven ging. Bald hatte sie es jedenfalls überstanden, denn das Schiff machte bereits an der Landebrücke fest.

»Ich muß mich jetzt um mein Gepäck kümmern«, erklärte Sandra. »Auf Wiedersehen, Herr Lindau.«

»Warten Sie doch, Frau Martin! Können wir nicht wenigstens…«

In diesem Moment tauchte der Zahlmeister des Schiffes auf und wandte sich an das Mädchen: »Frau Martin, wir erhielten soeben eine Depesche des Fürsten Rohausen. Er heißt Sie herzlich willkommen und teilt Ihnen mit, daß sein Chauffeur, ein Herr Andersen, Sie bereits an der Überseebrücke erwartet.«

»Danke.«

Sandra schob sich zwischen die Passagiere, die der Gangway zustrebten.

Ungeduldig wartete sie, bis sie die Zoll- und Paßformalitäten hinter sich hatte. Dann stand sie auf der Brücke und sah sich suchend um. Sie wurde auf einen jungen Mann aufmerksam, der seine dunkelgraue Schirmmütze zog.

»Frau Martin?« fragte er zögernd.

Sie nickte erfreut. »Sie sind Herr Andersen?«

»Jawohl, der bin ich«, erwiderte der Chauffeur. »Wenn Sie mir bitte Ihre Reisetasche geben würden. Um Ihr Gepäck brauchen Sie sich nicht zu bemühen, das ist bereits alles erledigt. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Frau Martin.«

In freudiger Erregung eilte Sandra die Brücke entlang. Der feuchte Wind erschien ihr mit einmal angenehm erfrischend. Der Geruch nach Salz und Teer gehörte zur Romantik des modernen Hafens. Mit neugierigen Augen und bebenden Nasenflügeln nahm Sandra die neuen Eindrücke in sich auf.

Das also war Deutschland – ihre zukünftige Heimat.

Der Chauffeur riß den Schlag eines großen schwarzen Wagens auf. »Wenn Sie bitte Platz nehmen möchten, Frau Martin.«

Sie ließ sich in den Fond sinken, und ein unhörbarer Seufzer entschlüpfte ihren Lippen. Sie fühlte sich in ihrer gespannten Erwartung glücklich.

*

Stundenlang war der schnelle Wagen über die Autobahn gerollt. Der Chauffeur sprach nicht viel, sondern konzentrierte sich ganz auf das Fahren. Sandra aber war genügend damit beschäftigt, aus dem Fenster zu sehen.

Die flache norddeutsche Landschaft und die Heide hatten sie längst hinter sich gelassen. Jetzt bog der Wagen von der Autobahn ab und jagte über eine Landstraße, die sich durch einen dichten Mischwald schlängelte.

»Wunderschön ist es hier«, sagte Sandra leise.

Der Fahrer brummte nur ein »Hm.«

»Ist es noch weit bis Schloß Rohausen?« wollte das Mädchen wissen.

»Höchstens noch eine Viertelstunde.«

Gebannt blickte Sandra hinaus. Der Wald wurde dichter. Die Straße war ein dunkelgrüner, dämmriger Tunnel.

Ein richtiger Märchenwald! schoß es Sandra durch den Sinn. Ein Zauberwald! Sie fühlte sich wie berauscht. Ein verwunschener Wald! Und das Schloß! Vielleicht war es ein richtiges Märchenschloß… Der Fürst, ihr Vater, hatte es nicht näher beschrieben.

Das Auto bog rechts in einen schmalen Waldweg ein. Der Weg war ausgefahren, und der Wagen schwankte wie ein kleines Boot im Sturm. Dann bremste der Fahrer. Vor sich sah Sandra ein einsames zweistöckiges Haus, von hohen Bäumen wie von Mauern umgeben. Ein Forsthaus?

Der Chauffeur stieg aus und riß den hinteren Schlag auf. »Bitte, Frau Martin.«

»Ist dies etwa Rohausen?« fragte Sandra fassungslos, und Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit.

»Nein, nein«, lächelte der Chauffeur. »Aber Ihr Vater hat mich gebeten, Sie erst einmal hier abzusetzen. Er möchte sich hier mit Ihnen treffen.«

Es war Sandra, als lege sich eine eisige Hand um ihr Herz und hindere es am Schlagen. Was hatte das zu bedeuten? Wollte ihr Vater sie nicht offiziell auf dem Schloß empfangen?

Schämte er sich seiner unehelichen Tochter? Wollte er sie hier verstecken?

Wenn ich das geahnt hätte! dachte Sandra verzweifelt. Nie und nimmer wäre ich hierhergekommen! Nie und nimmer!

Ihre Knie zitterten als, sie ausstieg und über den weichen Waldboden auf das Forsthaus zuging.

Das Gebäude machte einen völlig unbewohnten Eindruck. Sandra entdeckte Gitter vor den Fenstern, aber das war in dieser abgelegenen Gegend natürlich verständlich.

Die Haustür ging auf, und ein junger Mann, ein schwarzhaariger, erschien. Er verbeugte sich leicht. »Ich freue mich, Sie begrüßen zu dürfen, Frau Martin. Bitte, – folgen Sie mir.«

Warum stellte er sich nicht vor? Befremdet folgte ihm Sandra ins Innere des Hauses. Von einer großen Diele aus führte eine geschwungene Treppe in die erste Etage hinauf. Hirschgeweihe hingen an den Wänden. Die Luft roch muffig.

»Ist mein…, ist der Fürst schon hier?« fragte Sandra befangen. Ihr Herz schlug schwer und unregelmäßig.

»Bitte, folgen Sie mir«, wiederholte der Schwarzhaarige.

Sandra bemerkte, daß der Chauffeur ihr auf den Fersen folgte.

Plötzlich saß ihr ein unheimliches Gefühl im Nacken. Sie versuchte sich davon zu befreien, warf ihr Haar schwungvoll nach hinten und lächelte. Doch die Beklemmung blieb. Irgend etwas stimmte nicht – das fühlte Sandra instinktiv.

Sie drehte sich um und sah, daß der Chauffeur eine Bewegung machte, als ob er ihr den Weg versperren wollte.

Sandra eilte weiter. Nur der Hall der Schritte war zu hören. Sonst lag Totenstille über dem Haus.

»Nein!« sagte Sandra schließlich.

»Nein… ich möchte lieber draußen auf den Fürsten warten!«

Sie wandte sich um, aber sofort war der Schwarzhaarige bei ihr. Er umklammerte mit eisenhartem Griff ihren Oberarm.

»Bitte, Frau Martin!« Seine Stimme klang leise, aber gefährlich eindringlich.

Die Angst sprang Sandra wie ein bösartiges Tier an. Nach allen Seiten blickte sie sich gehetzt um.

»Lassen Sie mich sofort los!« fauchte sie.

Doch der junge Mann zwang sie vorwärts, öffnete eine Tür und schob das Mädchen mit einem harten Ruck ins Innere des Raumes.

Sandra taumelte, fing sich dann an einer Kommode. Im gleichen Moment hörte sie, daß ein Schlüssel knirschte. Sie war allein in dem Zimmer.

Mit einem Aufschrei stürzte sie zur Tür, rüttelte an der Klinke. Die Tür war versperrt!

»Lassen Sie mich sofort raus!« rief sie entsetzt, und ihre Fäuste trommelten einen rasenden Wirbel an das Holz.

Dann lauschte sie. Ihr Atem ging keuchend. Draußen hörte sie ein Flüstern.

Sie drehte sich um, lief zum Fenster. Es war vergittert.

Sandra riß die Fensterflügel auf und rüttelte an den Stäben. Ihre Hände krampften sich um die dünnen und doch so unnachgiebigen Eisenstangen.

»Hilfe!« schrie sie laut. »Hilfe!« Der dichte dunkle Wald verschluckte ihren Schrei.

Sie hörte, daß die Tür wieder geöffnet wurde. Sie rannte quer durch das Zimmer. Der schwarzhaarige junge Mann war schon im Innern des Raumes und fing sie mit ausgebreiteten Armen auf.

»Hoppla, nicht so stürmisch!« sagte er.

»Frau Martin, hören Sie mir zu.«

Sie wollte die Fäuste gegen seine Brust schlagen, aber er umfaßte blitzschnell ihre Handgelenke. »Ruhig Blut, Mädchen. Wenn Sie mir jetzt nicht zuhören, schenke ich mir die Erklärungen.«

Sandras Gesicht wurde zu einer kühlen Maske. »Bitte, ich höre.«

»Wir sehen uns leider gezwungen, Sie für einige Zeit hier festzuhalten.«

»Ist das eine Anordnung meines Vaters? Eine Anordnung des Fürsten Rohausen?«