Dein Glück ist mein Glück - Gisela Heimburg - E-Book

Dein Glück ist mein Glück E-Book

Gisela Heimburg

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! So etwas Schönes hatte Sabine noch nie gesehen: eine schneeweiße Hochzeitskutsche, davor zwei Schimmel wie aus dem Märchen, blumengeschmückt, mit wallenden Mähnen, ungeduldig scharrend. Die Kutsche stand vor der Kirche, wartete offenbar auf das Brautpaar, das sich gerade vor dem Traualtar das Jawort fürs Leben gab. Hinter den dicken Mauern jubilierte die Orgel ihre Freudenbotschaft hinaus. Wieder hatten sich zwei Menschen gefunden, die gemeinsam den Stürmen des Lebens trotzen wollten! Auf der gegenüberliegenden Stra­ßenseite waren ein paar schaulustige Passanten stehengeblieben. Der betagte Kutscher sah auf seine Taschenuhr, kletterte umständlich vom Bock und verschwand steifbeinig im Gasthaus »Zum goldenen Lamm«, das nicht weit entfernt an der Straße lag. Sabine trippelte von einem Fuß auf den anderen. Sie konnte nicht widerstehen. Eifrig näherte sie sich dem herrlichen Gefährt. Schon war sie auf den Bock gestiegen. War das ein Gefühl! Nichts konnte herrlicher sein! Wenn ich groß bin, werde ich Kutscher – oder Kutscherin! dachte die Achtjährige begeistert. Nichts anderes, nicht mehr Friseuse und auch nicht Verkäuferin in der Konditorei, nur noch Kutscherin! Hingerissen betrachtete sie die Pferde, die temperamentvoll am Geschirr zerrten und offensichtlich nichts sehnlicher wünschten, als sich in Trab setzen zu dürfen. Die Begeisterung siegte wieder einmal über Sabines Vernunft. Schon hatte sie die Zügel losgeschlungen. Schon zogen die feurigen Schimmel an.

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Mami Bestseller – 68 –

Dein Glück ist mein Glück

Hab ich dich endlich wieder!

Gisela Heimburg

So etwas Schönes hatte Sabine noch nie gesehen: eine schneeweiße Hochzeitskutsche, davor zwei Schimmel wie aus dem Märchen, blumengeschmückt, mit wallenden Mähnen, ungeduldig scharrend.

Die Kutsche stand vor der Kirche, wartete offenbar auf das Brautpaar, das sich gerade vor dem Traualtar das Jawort fürs Leben gab. Hinter den dicken Mauern jubilierte die Orgel ihre Freudenbotschaft hinaus. Wieder hatten sich zwei Menschen gefunden, die gemeinsam den Stürmen des Lebens trotzen wollten!

Auf der gegenüberliegenden Stra­ßenseite waren ein paar schaulustige Passanten stehengeblieben.

Der betagte Kutscher sah auf seine Taschenuhr, kletterte umständlich vom Bock und verschwand steifbeinig im Gasthaus »Zum goldenen Lamm«, das nicht weit entfernt an der Straße lag.

Sabine trippelte von einem Fuß auf den anderen. Sie konnte nicht widerstehen. Eifrig näherte sie sich dem herrlichen Gefährt. Schon war sie auf den Bock gestiegen.

War das ein Gefühl! Nichts konnte herrlicher sein!

Wenn ich groß bin, werde ich Kutscher – oder Kutscherin! dachte die Achtjährige begeistert. Nichts anderes, nicht mehr Friseuse und auch nicht Verkäuferin in der Konditorei, nur noch Kutscherin!

Hingerissen betrachtete sie die Pferde, die temperamentvoll am Geschirr zerrten und offensichtlich nichts sehnlicher wünschten, als sich in Trab setzen zu dürfen.

Die Begeisterung siegte wieder einmal über Sabines Vernunft. Schon hatte sie die Zügel losgeschlungen. Schon zogen die feurigen Schimmel an. Die Kutsche ruckte.

Ach so, die Bremse! Ein paar flinke Drehungen, und schon sauste das Gefährt die Straße entlang. Hinter sich hörte das kleine Mädchen Lachen und Rufe. Die Pferdehufe schlugen gleichmäßig auf den Asphalt, eine wundervolle Melodie.

»Hüah!« rief Sabine. »Schneller!«

Offenbar kannten die Pferde ihren Weg heimwärts. Sie bogen hinter der Kirche von allein nach links, so daß sie die kleine Stadt bald hinter sich gelassen hatten.

Da, aus einem Nebenweg schoß ein Auto. Der Fahrer trat hart auf die Bremse und begann gleichzeitig zu hupen.

Da bäumten sich die Schimmel auf und gingen durch, jagten wie die wilden Teufel die Landstraße entlang. Eine leichte Kurve – die Kutsche schleuderte, fuhr sekundenlang nur noch auf zwei Rädern.

Sabine ließ die Zügel fahren und klammerte sich verzweifelt am Sitz fest.

Von einem Augenblick zum anderen hatte sich das herrliche Abenteuer in eine Höllenfahrt des Schreckens verwandelt.

»Halt, bleibt doch stehen!« schrie die Achtjährige verzweifelt. »Halt! Halt!«

Die Pferde waren wie von Sinnen. Ein Auto, das ihnen entgegenkam, steuerte in den Straßengraben, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.

Wie im Alptraum sah Sabine das Gesicht des Mannes hinter der Windschutzscheibe, schreckverzerrt, totenbleich.

Weiter ging die wilde Jagd, haarscharf an einigen Apfelbäumen vorbei. Sabinchen mußte sich ducken, um von den herabhängenden Zweigen nicht vom Bock gefegt zu werden. Ein Ast traf ihren Arm, es tat sehr weh. Aber schlimmer war die Furcht. Jeden Moment mußte die Kutsche kippen – und dann… und dann…

In diesem Moment sah Sabine neben sich den Schatten eines Wagens. Sie ahnte nicht, daß es derselbe war, der soeben in den Graben geschlittert war. In einem tollkühnen Überholmanöver raste der Fahrer an ihr vorbei, bis er einen großen Vorsprung hatte, dann bremste er, sprang heraus. Warf sich den galoppierenden Pferden entgegen.

»O nein!« schrie Sabine noch auf. Sie preßte verzweifelt die Augen zu. Das wollte sie nicht sehen, das konnte sie nicht sehen!

Sie hörte das Wiehern der Schimmel, spürte, wie sich die Fahrt verlangsamte, hörte ein paar wilde Schreie.

Sie wagte kaum, die Lider zu heben.

Vorsichtig blinzelte sie durch die Wimpern.

Ihr Herz wurde plötzlich so leicht wie ein kleiner Vogel. Denn sie sah, daß der fremde Mann nicht überfahren war. Sein Gesicht leuchtete so rot wie ein Weihnachtsapfel, das blonde Haar hing ihm in die schweißbedeckte Stirn, aber verletzt war er nicht. Gott sei Dank! Die Schimmel hatten sich beruhigt und ließen sich an den Rand der Straße führen.

Der Fremde sprang hinzu, kurbelte die Bremse fest und versuchte die Zügel zu entwirren, die sich um die Deichsel verschlungen hatten.

Jetzt, da die Gefahr vorüber war, wäre Sabine beinahe vom Bock gesunken. Ihr war mulmig im Bauch. Ihre Knie hatten sich in Wattebällchen verwandelt.

Als sie matt nach vorn sank, fing der Fremde sie auf.

»Hoppla!« Er hob sie vom Bock. »Machst du das öfter, meine Kleine?«

Sabine konnte nicht antworten, sondern nur ängstlich den Kopf schütteln.

»Deine Mutti wird einen ganz schönen Schrecken bekommen, wenn sie von deinem Abenteuer erfährt.«

»Ich – ich hab’ keine Mami mehr«, brachte Sabine mühsam mit zitternden Lippen hervor.

»Na, dann dein Vati.« Der junge Mann rang nach Luft.

»Ich hab’ auch keinen Vati«, erwiderte das kleine Mädchen traurig.

»Ach! Dann sind wir ja beide Waisenkinder. Ich habe auch keine Eltern mehr.«

»Ja, aber Sie sind schon groß.«

»Neunzehn Jahre bin ich. Sooo groß ist das nun auch wieder nicht. Ich habe meine Eltern ziemlich vermißt, das darfst du mir glauben. Meine Mutter starb, als ich fünfzehn war. Seitdem lebe ich bei meiner Oma. Und du?«

»Ich war im Kinderheim, aber jetzt bin ich bei Leuten.«

»Bei Pflegeeltern? – Wie heißen sie denn?«

»Luckner.«

»Die Bäckerei Luckner etwa?«

»Ja, ich bin da noch nicht lange. Mir gefällt es da überhaupt nicht, obwohl ich immer den Kuchen essen darf, der im Laden übrig bleibt. Ich glaube, die Leute können mich nicht leiden.«

Der junge Mann strich spontan über die zerzausten braunen Haare des Kindes. »So etwas darfst du nicht denken. Die Luckners hätten sich bestimmt kein Waisenkind aus dem Heim geholt, wenn sie es nicht liebhätten. Ich kenne deine Pflegeeltern übrigens, in dem Laden kaufen wir immer unser Brot.«

»Ich habe Sie aber noch nie gesehen.«

»Na ja, meistens kauft meine Oma ein.«

»Ich habe nicht mal eine Oma.«

»Du tust mir wirklich leid. Wie alt bist du denn? Sieben?«

»Acht schon. Neulich hab’ ich geträumt, ich hätte eine Oma und einen Opa. Das war so schön. Dann bin ich aufgewacht und hätte am liebsten geheult, weil es doch bloß ein Traum war.«

»Meine arme Kleine.« Er legte den Arm um ihre schmalen Schultern und drückte sie an sich. Plötzlich blickte er auf. »Ich glaube, da kommt jemand, der meint dich. Erzähle mir schnell, wo du die Kutsche her hast?«

»Sie stand vor der Kirche. Ich – ich wollte bloß mal auf den Kutschbock. Die Pferde sind fast ganz von allein losgegangen.«

Auf der Straße war eine schwarzgekleidete Gestalt aufgetaucht, die mit dem Zylinder, den sie in der Hand hielt, wild hin und her fuchtelte.

»Ich hau’ lieber ab!« flüsterte Sabine.

»Halt, hiergeblieben! Wenn man was ausgefressen hat, muß man dafür auch geradestehen. Oder bist du anderer Meinung?«

Es gefiel Sabine, daß er mit ihr wie mit einer Erwachsenen redete. »Ja…, nein.« Ein trotziger Ausdruck malte sich auf dem hübschen Kindergesicht.

»Wir hatten noch nicht einmal Zeit, uns vorzustellen«, lächelte der junge Mann. »Ich heiße Klaus Schneider. Und du?«

»Sabine. Aber meine Mami hat immer Biene zu mir gesagt.«

»Mir scheint, du bist eher eine Hummel, eine wilde braune Hummel.«

Das kleine Mädchen klatschte vor Vergnügen in die Hände und strahlte. »Das gefällt mir!«

»So, das gefällt dir. Eigentlich war es nicht als Kompliment gedacht – oder doch?« murmelte Klaus Schneider vor sich hin.

Inzwischen war der Kutscher herbeigekommen, schnaufend und sich mit einem riesigen Taschentuch den Schweiß von der Stirn wischend. Sein hochrotes Gesicht ließ nichts Gutes ahnen. Seine Augen wetterleuchteten drohend. Unwillkürlich faßte Sabine nach der Hand des jungen Mannes, der sie gerettet hatte.

Der Kutscher schob sein Taschentuch in die Jacke. »Hast du die unverschämte Kröte angehalten? Du bist doch der Enkel von der alten Frau Schneider?«

»Genau.«

»Gut, daß du sie angehalten hast. So ein verflixtes Luder. Das wird ihr noch leid tun! Ich werde…«

»Moment, Moment«, fiel der junge Mann dem betagten Kutscher ins Wort. »Die Pferde sind durchgegangen, verstehen Sie, regelrecht durchgegangen. Da hätte ein schlimmes Unglück passieren können!«

»Oje, die Kutsche! Meine schöne Kutsche, die wäre jetzt vielleicht ein Trümmerhaufen, wenn du nicht eingegriffen hättest. Danke, fürs erste, mein Lieber. Ich lade dich mal zu einem Bier und einem Schnaps ein. Und du…«, wandte er sich wutschäumend an das kleine Mädchen, »du kannst dich auf einiges gefaßt machen! Dir werde ich die Hammelbeine langziehen! So ein Früchtchen! Deinen Eltern werde ich was erzählen!«

»Augenblickchen mal«, ergriff Klaus Schneider gelassen das Wort, »Sie denken nur an Ihre schöne Kutsche? Und wenn dem Kind etwas zugestoßen wäre?«

»Die ist doch selber schuld, die rotzfreche Göre! So eine Unverschämtheit! Die bekommt erst einmal ein paar rechts und links hinter die Ohren!«

Klaus Schneider richtete sich zu voller Größe auf. Er war hochgewachsen und überragte den Alten um fast einen Kopf. »Hinter die Ohren das

gibt’s nicht. Außerdem ist Sabine genug bestraft. Sie hat eine Höllenangst ausgestanden, als die Gäule durchgingen.«

»Die Gäule? Was heißt denn die Gäule? Die Tiere sind lammfromm. Geh beiseite!«

Sabine machte sich so klein wie möglich, versteckte sich hinter dem Rücken ihres Retters und krallte beide Händchen ängstlich in seine Jacke.

»Schluß jetzt«, sagte Klaus Schneider scharf. »Sie sind ja selber schuld, weil Sie die Kutsche allein gelassen haben.«

»Na hör mal!«

»Ja, ich höre. Wo sind Sie denn gewesen?«

»Das geht dich einen Dreck an!«

»Natürlich. Aber wahrscheinlich war es das ›Goldene Lamm‹, das Sie angelockt hat. Es geht mich nichts an, das stimmt schon, aber an Ihrer Stelle würde ich lieber den Mund halten und mich dünn machen.

»Wieso?«

»Weil man Sie sonst wegen Fahrlässigkeit belangen könnte!«

»Nun mal langsam.«

»Also, passen Sie in Zukunft besser auf Ihre Kutsche auf, sonst passiert tatsächlich mal ein Unglück.«

Der Kutscher wollte auffahren, doch dann brummte er etwas Unverständliches, wandte sich ab, erklomm noch immer vor sich hin schimpfend den Bock und rollte im scharfen Trab zur Stadt zurück.

Jetzt erst kam Sabine hinter dem Rücken des jungen Mannes hervor.

»Oh, du warst so prima!« jubelte sie. »So prima! Sonst hacken sie immer alle auf mir herum. Dem hast du es aber gegeben! Und alles für mich!«

»Na, ich werde doch nicht zulassen, daß dieser Mann sich an kleinen Kindern vergreift. Aber betrachte das ja nicht als Freibrief, du Hummel! Schuldlos bist du nicht gerade.«

»Weiß ich doch.«

»Na schön. Komm, steig bei mir ein. Ich fahre dich jetzt nach Hause.«

Sabine betrachtete den Wagen mit bekümmertem Gesichtchen. »Hat dein Auto die Beulen abbekommen, weil du in den Straßengraben gefahren bist?«

Klaus Schneider lachte unbekümmert. »Ach wo! Die Beulen und Schrammen hatte es schon, als ich es kaufte. Ich habe die alte Kiste nämlich von dem Geld erworben, das ich in den letzten Schulferien verdiente, und das war nicht viel.«

»Du gehst noch zur Schule?«

»Jetzt nicht mehr, denn ich habe das Abitur in der Tasche. Zum Glück!«

Sabine kletterte auf den Beifahrersitz. Sie strahlte den jungen Mann an, der sich hinter das Lenkrad schwang. Er war groß und schlank, hatte breite Schultern und aschblondes leichtgewelltes Haar. Seine Augen leuchteten so blau wie der Himmel. Sein Lächeln war so sympathisch, daß man ihn einfach liebhaben mußte.

Er war ihr Freund! Sabine konnte sich nicht entsinnen, daß sich jemals ein Mensch so nachdrücklich für sie eingesetzt hatte. Und das, obwohl sie eine Riesendummheit auf dem Gewissen hatte!

»Wohnt deine Oma weit weg von der Bäckerei?« fragte Sabine und hielt den Atem an.

»Nur ein paar Minuten. Ich zeige dir unser Zuhause, dann weißt du Bescheid und kannst uns besuchen kommen.«

»O ja, wenn ich darf!«

»Natürlich. Meine Großmutter mag Kinder und Tiere, da bist du jederzeit willkommen, auch wenn ich nicht mehr zu Hause bin.«

Sabine wurde blaß.

»Wo – wo willst du denn hin?« stammelte sie erschrocken.

Klaus Schneider streifte das kleine Mädchen mit einem Seitenblick. »Ich gehe zu meinem Onkel nach Südafrika.«

»Ist das weit?«

»Sehr weit.«

»Und was machst du da?«

»Ich fange in dem Unternehmen an, in dem mein Onkel arbeitet. Er ist Direktor einer Diamantenmine.«

»Du willst Diamanten suchen? Für Schmuck?«

»Ich will die Steine nicht unbedingt selbst suchen, sondern eher kaufmännisch tätig sein. Das wird sich finden. Genaues weiß ich selbst noch nicht. Erst einmal weg!«

»Warum denn?« fragte Sabine fast weinerlich. »Gefällt es dir bei deiner Oma nicht mehr?«

»O doch! Bei meiner Großmutter gefällt es mir sehr, und ihr paßt es auch überhaupt nicht, daß ich weggehe, aber es muß sein!«

»Wieso denn bloß?«

»Weil ich etwas von der Welt sehen möchte! Weil mir die Enge in dieser Kleinstadt schon lange auf die Nerven geht!«

»Und wann kommst du zurück?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht in ein paar Jahren. Vielleicht nie.«

Sabine hatte das Gefühl, als ob sich eine kalte Hand um ihr Herzchen krampfte. Sie hatte einen Freund gefunden – nur um ihn sofort wieder zu verlieren.

»He, du Hummel, was machst du denn für ein Gesicht?« rief Klaus Schneider. Er nahm eine Hand vom Lenkrad und legte sie auf die Schulter des kleinen Mädchens.

»Ich – ich mag nicht, daß du fortgehst.«

»Wie bitte?« fragte Klaus entgeistert. »Du möchtest nicht, daß ich die Heimat verlasse? Aber warum denn nicht? Du kennst mich doch überhaupt nicht!«

»Du bist so lieb.«

»Danke für die Blumen. Ich mag dich auch, weißt du, Hummel. Aber du mußt doch einsehen, daß ich nicht all meine Zukunftspläne über den Haufen werfen kann, nur weil ich ein so nettes kleines Mädchen wie dich kennengelernt habe.«

»Schade.« Sabine senkte traurig den Kopf. »Ich würde dich so gern heiraten, wenn ich groß bin.«

Der Wagen machte unwillkürlich einen Schlenker auf der einsamen Straße.

»Hoppla!« rief der junge Mann. »Also, ich muß schon sagen, ich fühle mich geehrt! Das ist nämlich der erste Heiratsantrag meines Lebens.«

»Hat dich noch keine andere gewollt?«

»Neee! Jedenfalls nicht zum Heiraten! Ich bin wirklich perplex, Hummel.«

»Vielleicht kommst du ja eines Tages doch wieder nach Hause?« Das Kind sah Klaus Schneider so bittend und beschwörend an, daß er unwillkürlich nickte.

Inzwischen hatten sie den Rand der kleinen Stadt erreicht. Klaus Schneider stoppte vor einem Fachwerkhaus, das in einem riesigen Obstgarten lag. Enten schnatterten unter den knorrigen Apfelbäumen, und hinter dem Haus tummelte sich eine Hühnerschar. Auf dem kleinen Vorbau vor der Haustür sonnte sich ein herrlicher schwar­zer Kater zwischen den Geranientöpfen. In einem gepflegten Gemüsegarten arbeitete eine alte Frau, die sich jetzt aufrichtete. Sie hatte Erdbeeren gepflückt, eine riesige Schüssel voll. Sabine lief unwillkürlich das Wasser im Mund zusammen.

»Oma, ich habe Besuch mitgebracht!« rief Klaus Schneider. »Das ist Sabine, das Pflegekind aus der Bäckerei Luckner.«

Die weißhaarige Frau – sie mochte Mitte Sechzig sein – näherte sich flink. In ihren Augen strahlte ein warmherziges Lächeln auf. Sie war Sabine von Anfang an kein bißchen fremd. Eine richtige Oma! Wie aus dem Märchenbuch!

Sie strich behutsam über das wellige Braunhaar des Kindes. »So, Sabine heißt du. Das ist aber ein hübscher Name.«

»Aber Hummel ist viel schöner! Ich mag lieber Hummel heißen.«

»Warum nicht«, lächelte Oma Schneider. »Ich mag Hummeln sehr gern. Sie haben einen hübschen braungoldenen Pelz und stechen nicht, obwohl sie gefährlich anschwirren und brummen. Magst du Erdbeeren mit Schlagsahne?«

»O ja, gern!« Sabine bekam große Augen.

»Dann wollen wir mal in die Küche gehen.«

Sabine verbrachte einen herrlichen Nachmittag. Zuerst saßen sie alle in der blitzblanken, aufgeräumten Küche an einem weißgescheuerten Holztisch und verzehrten die aromatischen Früchte, die von einem Sahnegebirge geziert wurden. Auch der Kater stellte, sich ein und bekam eine Portion Schlagsahne auf seinem Tellerchen serviert. Anschließend setzte er sich in Positur neben den Herd und begann sich hingebungsvoll zu putzen.

»Der ist aber schön!« staunte Sabine. »Wie sein Fell glänzt.«

Klaus lachte. »Das macht das gute Futter! Oma verwöhnt ihn nach Strich und Faden. Mich übrigens auch!«

»Und mich!« setzte Sabine mit Nachdruck hinzu.

Die alte Frau musterte das Kind nachdenklich. »Im Heim war es wohl nicht schön für dich?«

Sabine schüttelte den Kopf. »Die anderen haben immer auf mir rumgehackt. Und wenn was war, dann bin immer ich es gewesen! Obwohl es manchmal gar nicht stimmte.«

Oma Schneider nickte versonnen. »Ein Kind braucht ein Nest, das ist das Allerwichtigste.«

Später streifte Sabine mit ihrem großen Freund durch den Garten und bewunderte die Tiere. Außer den Enten und Hühnern gab es noch drei Schafe.

»Meine Großmutter schert sie eigenhändig«, erklärte Klaus. »Und dann spinnt sie die Wolle.«

»Auf einem richtigen Spinnrad?« fragte das kleine Mädchen verblüfft.

»Genau! Wie in uralten Zeiten! Aus der Wolle strickt sie dann Pullover, die so warm sind, daß man in ihnen unbeschadet zum Nordpol reisen könnte.«

Augenblicklich verschattete sich Sabines Gesichtchen. »In Afrika kannst du die Pullover aber nicht gebrauchen.«

»Nein, allerdings nicht. Oma wird sie mottensicher für mich aufheben, bis ich wieder heimkomme.«

»O Klaus, vielleicht überlegst du es dir ja doch noch und bleibst lieber hier.« Sabine schob ihr Händchen in die Faust des jungen Mannes.

Klaus räusperte sich. »Du, Hummel, ich glaube, du mußt allmählich nach Hause gehen.«

»Es ist schon spät, nicht? Die Luckners werden schimpfen.«

»Sage ihnen, daß du bei Oma Schneider gewesen bist. Und wenn du uns das nächste Mal besuchen kommst, sagst du den Luckners vorher Bescheid.«

»Darf ich bald kommen?«

»Natürlich!«

»Bist du morgen noch nicht fort?«

»Nein, nein, so schnell geht es nicht. Einige Wochen bleibe ich bestimmt noch im Lande.«