Ich suche dich ein Leben lang - Gisela Heimburg - E-Book

Ich suche dich ein Leben lang E-Book

Gisela Heimburg

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Die Schleier der Dämmerung wehten um das Schloss. Unwirklich verschwammen die Türme und Zinnen im ungewissen Grau. Die weiten Wälder ringsum auf den sanft gewellten Hügeln bildeten schweigende Mauern, die Welten voneinander trennten. Gunther Stahlhoff fuhr nur noch im Schritttempo und ließ die Blicke schweifen. Zum ersten Mal seit Wochen schlug sein Herz gleichmäßiger und ruhiger. Der Friede der Landschaft legte sich auf alle Wunden. Auf alle Wunden … Unwillkürlich blickt der Mann in den Rückspiegel seines Wagens. Flüchtig nur, denn es war eine Qual, sein vernarbtes Gesicht zu sehen. Wenn er sich doch verbergen könnte, irgendwo. Wie ein weidwundes Tier! Doch das Leben ging weiter. Natürlich! Gunther Stahlhoff lachte bitter auf. Er lenkte den Wagen durch das schmiedeeiserne Tor in den Schlosspark, stoppte am Fuß der Freitreppe und stieg aus. Er sah, dass das Portal weit offen stand. Trotzdem betätigte er den Klopfer aus Messing. Dumpf hallten die Schläge durch die stille, weite Eingangshalle. Doch nichts rührte sich. Der Besucher zögerte. Ein fernes Schluchzen tönte durch das Schweigen.

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Fürstenkrone – 182 –

Ich suche dich ein Leben lang

Als Elke um ihren Geliebten bangen musste ...

Gisela Heimburg

Die Schleier der Dämmerung wehten um das Schloss. Unwirklich verschwammen die Türme und Zinnen im ungewissen Grau. Die weiten Wälder ringsum auf den sanft gewellten Hügeln bildeten schweigende Mauern, die Welten voneinander trennten.

Gunther Stahlhoff fuhr nur noch im Schritttempo und ließ die Blicke schweifen. Zum ersten Mal seit Wochen schlug sein Herz gleichmäßiger und ruhiger. Der Friede der Landschaft legte sich auf alle Wunden.

Auf alle Wunden … Unwillkürlich blickt der Mann in den Rückspiegel seines Wagens. Flüchtig nur, denn es war eine Qual, sein vernarbtes Gesicht zu sehen. Wenn er sich doch verbergen könnte, irgendwo. Wie ein weidwundes Tier! Doch das Leben ging weiter. Natürlich! Gunther Stahlhoff lachte bitter auf.

Er lenkte den Wagen durch das schmiedeeiserne Tor in den Schlosspark, stoppte am Fuß der Freitreppe und stieg aus. Er sah, dass das Portal weit offen stand. Trotzdem betätigte er den Klopfer aus Messing. Dumpf hallten die Schläge durch die stille, weite Eingangshalle. Doch nichts rührte sich. Der Besucher zögerte. Ein fernes Schluchzen tönte durch das Schweigen. Ein süßer Laut, der dem Mann ans Herz griff, denn er erkannte, dass es eine Nachtigall war, die ihre Sehnsucht in die hereinbrechende Nacht sang.

Eine Nachtigall innerhalb der Mauern dieses Schlosses – das nahm Gunther ganz deutlich wahr. Wie magisch angezogen folgte er dem lockenden Ton. Er stieg eine geschwungene Treppe hinauf, und keine Menschenseele begegnete ihm.

Er nahm den stilvollen Luxus, der in diesem Haus herrschte, nur mit halbem Bewusstsein wahr. Das Liebeslied der Nachtigall schlug ihn in Bann.

Der Mann ging einen halbdunklen Korridor entlang. Das letzte Licht des Tages sickerte durch schmale, hohe Fenster, vor denen sich Baumzweige lautlos im Abendwind bewegten. Über eine wundervoll geschnitzte, mit einem purpurfarbenen Läufer belegte Treppe gelangte Gunther zu einer bogenförmigen Wand. Seine Kenntnisse als Architekt sagten ihm, dass er unmittelbar vor einem Turm stand.

Von einem Podest schwang sich die Treppe graziös und schmal in die Höhe und endete an einer halb offenen Tür, aus der ein sanfter Lichtschimmer und der Gesang der Nachtigall drangen.

Gunther wollte nicht weiter vordringen, wollte umkehren, doch seine Füße bewegten sich wie von selbst – und er trat in den Türrahmen. Sein Atem stockte.

Vom Licht zahlreicher Kerzen umschmeichelt, lag auf einer niedrigen, couchartigen Liege eine Frau, den Kopf in die rechte Hand gestützt. Sie lauschte dem Lied der Nachtigall so andachtsvoll, so selbstvergessen, dass sie den Mann nicht bemerkte.

Gunther stand wie erstarrt. Die Schönheit dieser jungen Frau berührte ihn wie ein körperlicher Schmerz. Dieses edel geschnittene Gesicht! Die ebenmäßigen schlanken Arme. Das mahagonischimmernde Haar, das weich über entblößte Schultern floss.

Flüchtig streifte Gunthers Blick den großen goldenen, kunstvoll geschwungenen Käfig, in dem der unscheinbare rostbraungrauweiße Vogel jubilierte.

Wie eine Vision aus einem längst versunkenen Jahrhundert – so empfand Gunther das Bild, das sich seinem Auge bot.

Die Frau trug ein klassisch geschnittenes Gewand, das ihre Schultern und Arme nicht bedeckte und durch raffinierte seitliche Schlitze die Linien ihrer Beine sehen ließ, obwohl es bis zu den zerbrechlich wirkenden Fußknöcheln reichte.

Diese Schönheit brachte dem Mann grausam zum Bewusstsein, wie hässlich er war, wie ihn die Narben entstellten, die nach dem Unfall auf der Baustelle zurückgeblieben waren.

Durfte er einer so vollkommenen Frau überhaupt gegenübertreten? Gab es für ihn nicht nur die Flucht?

Durfte er die Augen dieses Geschöpfes durch seinen Anblick beleidigen?

Er machte Anstalten, sich umzuwenden, sich lautlos zurückzuziehen. Dabei stieß er gegen die offene Tür, die ein knarrendes Geräusch von sich gab. Im gleichen Moment unterbrach die Nachtigall ihren Gesang der Sehnsucht.

Die Frau auf dem Lager aber wandte langsam den Kopf. Ihre klaren tiefgrünen Augen richteten sich auf den Mann.

Jetzt, dachte Gunther, jetzt wird sie erschrocken zusammenzucken. Ihre Züge werden Abscheu widerspiegeln …

Doch nichts dergleichen geschah. Ruhig und mit unbewegter Miene, nur einen leicht fragenden Ausdruck auf den Zügen, so blickte sie ihm entgegen. Da er kein Wort sagte, bildete sich eine kleine Falte zwischen ihren Brauen – ein Zeichen des Unmuts.

»Guten Abend«, brachte Gunther endlich hervor. Seine Stimme klang belegt. »Entschuldigen Sie, dass ich einfach eingedrungen bin. Aber alle Türen standen offen. Und dann …, die Nachtigall …« Er stockte und räusperte sich. »Mein Name ist Stahlhoff.«

Die junge Frau richtete sich halb auf und schwang die Beine auf den Boden. Die Unmutsfalte glättete sich, und ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht, das unter der Flut der Haare ätherisch schmal wirkte.

»Herr Gunther Stahlhoff, der Architekt, mit dem wir korrespondiert haben?«

»Ja«, erwiderte er. »Ich habe mich verspätet. Ich bin …«

»Aber das macht doch nichts. Bitte nehmen Sie Platz, Herr Stahlhoff. Ich bin Bianca Bernburg.«

Sie streckte ihm die Hand entgegen, eine schmale, ausdrucksvolle Hand, an der ein großer, kunstvoll gefasster Türkisring schimmerte.

In diesem Moment stellte Gunther fest, dass die Gräfin Bernburg ihn nicht ansah, dass ihr Blick an seinem vernarbten Gesicht vorbeiglitt und sich irgendwo im Halbdämmer des Raumes verlor.

Also doch, schoss es ihm durch den Kopf. Mein Anblick ist ihr unerträglich. Sie hat es zu verbergen gewusst, weil sie eine Dame ist, weil sie ihre Gefühlsäußerungen zu beherrschen weiß …

»Bitte setzen Sie sich, Herr Stahlhoff«, wiederholte Bianca Gräfin Bernburg.

»Danke.« Er ließ sich auf eines der niedrigen Sitzkissen nieder, nur einen Meter von der jungen Schönheit entfernt. Er hielt den Kopf gesenkt, um auf diese Weise die Narben wenigstens ein wenig zu verbergen.

»Aus unserem Schriftwechsel wissen Sie ja bereits, worum es sich handelt«, begann Bianca von Bernburg. Ihre Stimme hatte einen dunklen, rauchigen Klang. »Im Gewölbe des Hauses wollen wir einige Umbauten vornehmen. Und zwar sollen die Räume später wissenschaftliche Laboratorien beherbergen.«

»Das ist sicher eine sehr interessante Aufgabe für einen Architekten«, erwiderte Gunther rau und befangen.

Er fühlte sich von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher, wagte kaum, seine Gesprächspartnerin anzusehen, zumal er feststellte, dass sie immer noch über seine Schulter hinweg ins Leere blickte.

Wie schön ihre Augen waren! Wie ausdrucksstark, groß und tief! Sie schimmerten fast in der gleichen Farbnuance wie der Türkis an ihrer Hand.

»Gräfin«, sagte der Mann gequält, »es ist vielleicht besser, wenn ich mich mit Ihrem Verwalter oder einem anderen zuständigen Angestellten über die Einzelheiten des Projekts unterhalte.«

Er erwartete, dass sie über die goldene Brücke, die er ihr baute, sofort gehen würde, dass sie die Gelegenheit ergreifen würde, sich von seinem schlimmen Anblick zu befreien.

Doch Bianca von Bernburg entgegnete lächelnd: »Aber nein, Herr Stahlhoff. Ich interessiere mich für diese Umbauten ganz außerordentlich. Ich möchte gern bei allen Planungen dabei sein, wenn es Ihnen recht ist.«

»Selbstverständlich – wenn Sie es wünschen«, bemerkte er gepresst.

»Ich bin dankbar, wenn ich so etwas wie eine Aufgabe finde«, fuhr die junge Gräfin fort, »etwas, was meine Fantasie beschäftigt.«

»Oh, das kann ich sehr gut verstehen«, erwiderte Gunther steif.

»Ich habe auch dieses Turmzimmer eingerichtet, auf meine persönliche Weise. Ich weiß nicht, ob ich Talent zur Innenarchitektin habe.«

Gunther blickte sich um. Das Zimmer war kreisrund. An den kleinen Fenstern hatte der Turm meterdicke Mauern. Die Fensteröffnungen wirkten deshalb wie Nischen. Leichte helle Gardinen bauschten sich leise. Die Kerzenflammen flackerten.

Das Turmzimmer war von eigenwilligem Reiz. Eigenwillig wie die Gräfin – das stellte Gunther schon bei flüchtiger Betrachtung fest. Alles war hier weich und fließend. Es gab eine Vielzahl niedriger Sitzkissen. Ein indischer Tisch aus ziseliertem Messing spiegelte die Flämmchen der Lichter matt wider.

»Ja, Sie haben Talent«, sagte Gunther ruhig. »Dieser Raum wirkt wie eine Insel. Eine Insel des Friedens in unserer hektischen Zeit. Und man sieht sofort, dass es das Refugium einer außergewöhnlichen Frau ist.«

»Auf jeden Fall ist es ein Refugium, ein Zufluchtsort«, erwiderte die Gräfin lächelnd. »Hierher ziehe ich mich oft zurück, und zwar stets allein. Hier hat kaum ein Mensch Zutritt.«

Gunther Stahlhoff zuckte leicht zusammen.

»Umso peinlicher ist es mir, dass ich hier eingedrungen bin.«

»Spüren Sie denn nicht, dass es Ihnen nicht peinlich zu sein braucht?«, fragte Bianca. Sie machte eine unwillige Armbewegung und stieß dabei eine Kerze um. Die Flamme erlosch. »Oh! Hoffentlich gerät nichts in Brand!« Die Gräfin tastete unsicher nach der Stelle, an der das Licht lag. »Vielleicht wundert es Sie, Herr Stahlhoff, dass ich als Blinde überhaupt Kerzen anzünde.«

»Sie sind blind?«, fragte Gunther entgeistert.

»Haben Sie es denn nicht gewusst?«

»Nein … Nein, ich habe es nicht gewusst.«

»Aber Sie müssen es doch bemerkt haben – jetzt!«

»Nein. Das heißt … Nun, da Sie es mir gesagt haben, ist mir doch einiges aufgefallen.«

Seine Gedanken überstürzten sich. Das also ist des Rätsels Lösung! Deshalb hat mein hässliches Gesicht die Gräfin nicht aus der Fassung gebracht!

»Ich bin verblüfft, Gräfin«, fuhr er fort. »Sie bewegen sich absolut sicher. Und Ihre Augen … Sie sind klar und völlig unversehrt. Allerdings ist mir aufgefallen, dass Ihr Blick abirrt und auch irgendwie abwesend wirkt. Und trotzdem, Sie merken sicher, wie perplex ich bin.«

»Sie machen mich sehr froh, Herr Stahlhoff. Wissen Sie, ich gebe mir zumindest Mühe, mein Leiden zu verbergen. Ich will keine mitleidige Rücksichtnahme. Ich hasse es, bemitleidet zu werden!« Mit einer trotzigen Bewegung warf sie den Kopf in den Nacken.

Gunther Stahlhoff aber atmete tief auf. Zum ersten Mal seit seinem Unfall fühlte er sich einem Menschen gegenüber frei und unbefangen. Die Gräfin sah nicht, wie entstellt er war. Deshalb empfand sie keinen Abscheu vor ihm.

Jetzt endlich wagte er, die Blinde offen und lange anzusehen. Ihre hellrot geschminkten Lippen wirkten wie die Blütenblätter einer exotischen Blume. Die geschwungenen Augenbrauen bildeten die Silhouette eines schlanken Vogels im Flug. Nie zuvor hatte er eine derart faszinierende Frau kennengelernt.

Bis auf Elke vielleicht … Er spürte, dass sich sein Blut erhitzte, als er an das Mädchen dachte. Elke …, sie war ein ganz anderer Typ, sie war apart und wirkte durch die Vielfältigkeit ihres Mienenspiels. Im Gegensatz zu dieser Frau, deren Schönheit fast etwas Dämonisches hatte, war Elke jedoch ein reiner, unschuldiger Engel. Gunthers Hände verkrampften sich. Fort mit den Erinnerungen! Das Kapitel Elke Buchholz war aus seinem Leben gestrichen!

»Sie sind plötzlich so wortkarg, Herr Stahlhoff«, drang die Stimme der blinden Gräfin in sein Bewusstsein.

»Pardon!«

»Was darf ich Ihnen anbieten, Herr Stahlhoff?«

»Ich schließe mich Ihnen an, Gräfin.« Die Spannung löste sich.

*

Die Kerzen im Turmzimmer waren niedergebrannt. Gunther sah es, und jetzt erst wurde ihm bewusst, dass schon Stunden vergangen waren, seit er diesen Raum betreten hatte.

Die Gräfin hatte ihn in ein interessantes und endloses Gespräch über Gott und die Welt verwickelt. Sie hatten dabei alten französischen Kognak getrunken. Mehr als dies alles hatte Gunther der Anblick dieser außergewöhnlichen Frau berauscht.

Je länger er Bianca von Bernburg beobachtete, desto schöner, desto vollkommener erschien sie ihm. Bald kannte er jede Regung ihres klassisch geschnittenen Gesichts, jede Geste ihrer feingemeißelten hellbraunen Hände. Immer wieder suchte er ihre abgrundtiefen Augen.

Gunther spürte die Wirkung des Kognaks nicht, und doch befand er sich in einem fast tranceähnlichen Zustand, denn er begriff, dass sich Bianca von Bernburg nach Zärtlichkeiten sehnte. Immer häufiger streckte sie während des Gesprächs ihre Hand aus, berührte seine Hände, hielt sie wie unbewusst fest, presste manchmal, wenn sie sich ereiferte, ihre langen ovalen Nägel leicht in seine Haut.

»Wie kam es«, erkundigte sich Gunther, »dass mich niemand bemerkte, als ich hier ankam? Sie leben doch nicht etwa allein auf Schloss Bernburg, Gräfin?«

»Ich habe einige Angestellte und meinen treuen alten Butler Florian. Meine Großmutter wohnt abseits in einem Gartenhaus. Und dann habe ich noch seit längerer Zeit einen Gast im Haus, den bekannten Wunderheiler Igor Fonda.«

»Den Hellseher? Ich erinnere mich, dass ich von ihm gelesen habe.«

»Ich weiß nicht, ob Herr Fonda ein Hellseher ist oder ob die wundergläubigen Menschen ihm diese Fähigkeit nur angedichtet haben. Aber ich weiß, dass er schon vielen Kranken geholfen hat, zumal solchen Patienten, bei denen die Schulmediziner machtlos waren. Er hat zum Beispiel meiner Köchin die Kopfschmerzen genommen, an denen die Frau jahrelang gelitten hat und von denen kein Arzt und keine Tabletten sie befreien konnten.«

»Was hat Herr Fonda getan?«

»Er hat ihren Kopf massiert, hat die Verkrampfung ihrer Nerven und Blutgefäße gelöst, nehme ich an. Seitdem ist Frau Hoflehner beschwerdefrei.«

»Wunderheiler wie Igor Fonda«, sagte Gunther nachdenklich, »sind in der Lage, die ungeheuren Kräfte zu mobilisieren, die in der menschlichen Seele schlummern. Kräfte, die sich am stärksten im Glauben konzentrieren und die den Körper und seine Leiden tatsächlich besiegen können.«

Ein schmerzliches Lächeln zuckte um die Lippen der blinden Gräfin.

»Dann fehlt es mir wohl am Glauben. Mein Leiden – meine Blindheit – hat sich bisher nicht gebessert. Mein verstorbener Verlobter holte den Wundermann ins Haus, nachdem all meine Konsultationen der berühmtesten Augenärzte erfolglos verlaufen waren. Herr Fonda mahnt mich immer wieder zur Geduld. Er sagt, dass man auf ein Wunder warten können muss. Ich versuche, mich in Geduld zu fassen. Aber manchmal verzweifle ich trotzdem. Dann kann ich einfach nicht mehr daran glauben, dass ich eines Tages wieder sehen werde, wie Herr Fonda behauptet.«

Gunther Stahlhoff ergriff spontan beide Hände der Gräfin und drückte sie behutsam.

»Die Hoffnung dürfen Sie nie aufgeben! Nie!«

»Sie meinen, von der Hoffnung lebt der Mensch?«, fragte die Gräfin mit einem bitteren Unterton in der Stimme.

»Ja, von der Hoffnung und von der Liebe. Sonst wäre es um diese Welt wohl noch entschieden trostloser bestellt.«

»Von der Liebe«, wiederholte Bianca Gräfin Bernburg müde, und ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht. Ein Schatten der Verzweiflung.

Gunther erschrak. Hatte diese Frau eine Enttäuschung erlebt, an der sie fast zerbrochen war? Warum sprach sie das Wort Liebe mit so abgrundtiefer Verlorenheit aus?

»Ich habe mich bemüht, den Mut nicht zu verlieren«, fuhr Bianca leise fort. »Aber selbst wenn ich eines Tages mein Augenlicht wiedergewinnen sollte, was dann?«

»Wie können Sie nur so sprechen! Sie leben in einem zauberhaften Schloss, in einer Umgebung, um die Sie die meisten Menschen sicher beneiden würden.«

»Und Sie meinen, dieses Schloss mache mich glücklich? Haben Sie denn nicht schon wenigstens an der Oberfläche gekratzt, Herr Stahlhoff? Das Schloss ist für mich nichts weiter als ein Kerker, ein ewig schwarzer Kerker!«

Gunther drückte die Hände der verzweifelten jungen Frau fester.

»Aber eines Tages werden Sie die Schönheiten dieses Hauses wieder sehen, und dann …«

»Und wenn nicht? Wenn ich bis an mein Ende in der Nacht leben muss? Hoffnung ist ja ganz schön und gut. Aber Hoffnung kann einen Menschen auf die Dauer auch zum Narren machen! Wäre es nicht besser, sich mit den nüchternen Tatsachen abzufinden?«

»Was hätten Sie dann gewonnen, Gräfin?«

Sie schwieg. Ihre klaren grünen Augen schienen in eine unendliche Ferne gerichtet.

»Ja, Sie haben recht«, sagte Bianca von Bernburg nach einer Weile. »Für mich gibt es wohl nichts mehr zu gewinnen – wenigstens nicht auf dieser Welt.«

Die Hoffnungslosigkeit der jungen Frau erschütterte Gunther. Er verspürte nur noch den Wunsch, sie zu trösten, ihr beizustehen, sie aus ihrer düsteren Melancholie zu erlösen.

Er glitt vom Sitzkissen und kniete vor der Gräfin nieder, ohne ihre Hände loszulassen. Seine Haltung kam ihm nicht im Mindesten theatralisch vor – und sie war es auch wohl nicht.

»Gräfin«, sagte er leise, »wissen Sie nicht, dass Sie eine anbetungswürdige Frau sind? Eine Göttin?«

Gunther wusste nicht, ob er diese Worte nur aussprach, um Bianca von Bernburg innerlich aufzurichten, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken – um ihr Mut zu machen, oder ob er seiner ­innersten Überzeugung Ausdruck verlieh.

Er erschrak, als Bianca spöttisch auflachte. Sie schüttelte den Kopf so heftig, dass ihr das mahagonischimmernde Haar wie ein dichter Schleier ins Gesicht fiel.

»O nein, Herr Stahlhoff! Ich bin keine Göttin, und ich will auch keine Göttin sein. Ich bin einfach nur eine Frau. Eine Frau, die sehr einsam ist, weil sie in unsichtbaren schwarzen Mauern lebt.«

»Ja, Sie sind eine Frau.« Gunther beugte sich nieder und küsste ihre Hände. »Sie sind eine begehrenswerte Frau, die einen Mann um den Verstand bringen kann.«

»Wirklich?«, erkundigte sich Bianca wie beiläufig.

Gunther erhob sich und ließ sich neben der Gräfin auf dem niedrigen Lager nieder. Er legte den Arm um ihre Schultern. Der Duft ihrer warmen Haut war wie ein süßes Gift, das ihm augenblicklich ins Blut drang. Übergroß sah er die schönen blinden Augen der Frau vor sich. Zwei Zauberspiegel, in denen er sich winzig klein entdeckte.

Er küsste Bianca, und im gleichen Moment spürte er eine innere Spannung, die ihn zu zerreißen drohte.

Was würde geschehen? Wie würde Blanca von Bernburg auf diesen dreisten Überfall reagieren? Diese Frau, die sicher nur mit dem kleinen Finger zu winken brauchte, damit ihr die Männer zu Füßen lagen?

Bianca erwiderte seinen Kuss nicht, aber sie wehrte die Liebkosung auch nicht ab. Nur ihre Augenlider flatterten ein wenig, als der Mann sich zurücklehnte und in ihrem Gesicht forschte.

»Nun wissen Sie es«, sagte er atemlos. »Nun wissen Sie, dass ich den Verstand verloren habe.«

Bianca antwortete nicht. Zwei, drei Sekunden lang schien eine knisternde elektrische Wolke zwischen den beiden Menschen zu schweben. Dann hob die Frau die schlanken bloßen Arme. Ihre Hände verschränkten sich um den Nacken des Mannes. Ihre Lippen senkten sich sanft wie zwei lautlos fallende Rosenblätter auf seinen Mund.

Ungläubig und fassungslos erlebte Gunther diese Zärtlichkeit. Diesen sanften Kuss, der ihm mehr sagte als alle Worte.

Und der Mann stürzte in einen roten Strudel, der ihn fast betäubte. Er riss die Gräfin in seine Arme. Zuckend und lebendig spürte er ihre Lippen. Ihre Finger, die sich in seine Haut krallten, als fürchte sie, er könnte ihr schon im nächsten Moment entrissen werden.

Doch dann spürte Gunther, dass sie sich ihm sanft, aber bestimmt entzog. Sie lehnte sich zurück, stützte sich auf beide Hände. Ihr Gesicht hatte sich gerötet. Das Haar, das sie mit einer geschmeidigen Kopfbewegung in den Nacken warf, glich einer aufgelösten Flut.