Das Lächeln des Killers - J.D. Robb - E-Book

Das Lächeln des Killers E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

Gefährlich, rasant romantisch! - Der 13. Fall für Lieutenant Eve Dallas

Die Verführung war perfekt – sanftes Kerzenlicht, romantische Musik, Rosenblüten auf dem Bett. Doch warum hat sich die junge Frau nach dem Rendezvous mit dem unbekannten aus dem 12. Stock des Apartmenthauses gestürzt? Eve Dallas zweifelt stark an der Selbstmord-Theorie, denn im Blut des Opfers wird eine gefährliche Substanz festgestellt. Eine Droge, die Frauen willig macht. Das Verbrechen bereitet Eve schlaflose Nächte, denn jeden Moment könnte der Täter wieder zuschlagen. Und die grausame Tat des Killers reißt alte Wunden wieder auf, die Eve seit ihrer Kindheit um jeden Preis vergessen möchte …

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Inhaltsverzeichnis
Buch
Autorin
Liste lieferbarer Titel
Inschrift
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Epilog
Copyright
Buch
Der junge Mann scheint alles zu verkörpern, wovon Frauen träumen: Dante ist nicht nur reich und gut aussehend, sondern auch einfühlsam, höflich und vor allem überaus romantisch. Bryna Bankhead zögert nicht lange und verabredet sich mit dem Unbekannten aus dem Internet-Chatroom. Sorgfältig wählt sie die Garderobe für das erste Rendezvous: ein schwarzes Kleid, Ohrringe, Parfüm – so sexy und stilvoll, wie das Ambiente, in dem sie ihm das erste Mal begegnen wird. Es herrscht eine Atmosphäre zum Verlieben – dezente Musik, Rosen, Kerzen und eine Flasche Rotwein. Dantes Verführungskunst funktioniert perfekt. Arglos trinkt Bryna den Wein … Nicht lange danach wird ihr nackter zerschmetterter Körper auf dem Bürgersteig vor ihrem Apartmenthaus in New York gefunden. Lieutenant Eve Dallas ahnt sofort, dass es sich nicht um Selbstmord handelt. Die junge Frau hatte sexuellen Kontakt und in ihrem Blut findet sich eine gefährliche Substanz. Der brutale Täter muss sein willenloses Opfer vom Balkon gestoßen haben. Und er war nicht allein! Das Verbrechen bereitet Eve schlaflose Nächte, denn jeden Moment könnte der grausame
Verführer wieder zuschlagen …
Autorin
J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts. Durch einen Blizzard entdeckte Nora Roberts ihre Leidenschaft fürs Schreiben: Tagelang fesselte 1979 ein eisiger Schneesturm sie in ihrer Heimat Maryland ans Haus. Um sich zu beschäftigen, schrieb sie ihren ersten Roman. Zum Glück – denn inzwischen zählt Nora Roberts zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane. Auch in Deutschland sind ihre Bücher von den Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken.
www.noraroberts.com
Liste lieferbarer Titel
Rendezvous mit einem Mörder (1; 35450) · Tödliche Küsse (2; 35451) · Eine mörderische Hochzeit (3; 35452) · Bis in den Tod (4; 35632) · Der Kuss des Killers (5; 35633) · Mord ist ihre Leidenschaft (6; 35634) · Liebesnacht mit einem Mörder (7; 36026) · Der Tod ist mein (8; 36027) · Ein feuriger Verehrer (9, 36028) · Spiel mit dem Mörder (10; 36321) · Sündige Rache (11; 36332) · Symphonie des Todes (12; 36333) Mörderspiele. Drei Fälle für Eve Dallas (36753) Nora Roberts ist J. D. Robb Ein gefährliches Geschenk (36384)
True, I talk of dreams,Which are the children of an idle brain,Begot of nothing but vain fantasy. Es stimmt, ich sprech’ von Träumen, Kindern eines müßigen Gehirns, gezeugt mit nichts als eitler Fantasie.
- William Shakespeare, Romeo und Julia
Yet each man kills the thing he loves,By each let this be heard,Some do it with a bitter look,Some with a flattering word.The coward does ist with a kiss,The brave man with a sword! Und doch bringt jeder das um, was er liebt. Sagt’s laut, dass alle Welt davon erfährt. Mancher tut’s mit einem bitt’ren Blick, mancher mit einem schmeichelhaften Wort. Der Feigling tut’s mit einem Kuss, der Mutige mit einem Schwert!
- Oscar Wilde, The Ballad of Reading Gaol
1
In ihren Träumen kam der Tod. Sie war ein Kind, das kein Kind war, und rang mit einem Geist, der, egal wie oft sein Blut an ihren Händen klebte, niemals wirklich starb.
Der Raum war eisig wie ein Grab, und das rot blinkende Licht – an, aus, an, aus, an, aus – drang wie ein unheimlicher Schleier durch das schmutzstarrende kleine Fenster, das es in dem Zimmer gab. Das Licht fiel auf den Boden, auf das Blut, auf seinen Leib. Auf sie, die in einer Ecke kauerte, das bis zum Griff mit seinen Säften besudelte Messer noch immer in der Hand.
Der Schmerz war überall. In einem nicht endenden Kreislauf wogte er durch ihren Körper, bis auch noch die allerkleinste Zelle von ihm durchdrungen war. Der Arm, der ihr von ihm gebrochen, die Wange, auf der ein beiläufiger Faustschlag von ihm gelandet, ihr tiefstes Innerstes, das bei der Vergewaltigung von ihm zerrissen worden war.
Vor Schmerz und vor Entsetzen wie betäubt hockte sie, bedeckt von seinem Blut, völlig reglos da.
Sie war ein achtjähriges Kind.
Sie konnte, als sie keuchte, ihren eigenen Atem sehen. Kleine rötlich-weiße Geister, die ihr sagten, dass sie noch am Leben war. Sie schmeckte das Blut in ihrem Mund, ein metallischer, entsetzlicher Geschmack, und nahm – neben dem süßlichen Geruch des Todes – den Gestank von Whiskey wahr.
Sie lebte und er nicht. Sie lebte und er nicht. Ein ums andere Mal sang sie im Geiste diese Worte und versuchte zu verstehen.
Sie lebte. Und er nicht.
Doch aus seinen toten, weit aufgerissenen Augen starrte er sie unablässig an.
Starrte sie lächelnd an.
Tja, mein kleines Mädchen, so einfach wirst du mich nicht los.
Ihr Atem wurde schneller, sie rang erstickt nach Luft und hätte am liebsten aus vollem Hals geschrien. Ein leises Wimmern war jedoch das Einzige, was aus ihrer zugeschnürten Kehle drang.
Du hast alles vermasselt. Du kannst einfach nicht tun, was man dir sagt.
Immer dann, wenn seine Stimme fröhlich und humorvoll klang, war es am gefährlichsten für sie. Als er lachte, strömten aus den Löchern, die sie in ihn hineingestochen hatte, Wogen frischen Bluts.
Was ist los, kleines Mädchen? Hast du deine Zunge verschluckt?
Ich lebe und du nicht. Ich lebe und du nicht.
Ach ja? Er wackelte mit seinen Fingern, als wolle er ihr spöttisch winken, und als nasse rote Tropfen von ihren Spitzen spritzten, stöhnte sie entgeistert auf.
Es tut mir Leid. Das habe ich nicht gewollt. Tu mir nicht noch einmal weh. Du hast mir wehgetan. Warum musst du mir immer wehtun?
Weil du dumm bist. Weil du mir nicht zuhörst! Weil - und das ist das Wichtigste von allem -, weil ich in der Lage dazu bin. Ich kann mit dir tun und lassen, was ich will, ohne dass sich auch nur ein Schwein dafür interessiert. Du bist ein Nichts, du bist ein Niemand. Ich will, dass du kleine Nutte das niemals vergisst.
Jetzt fing sie an zu weinen, und ein dünner Strom eiskalter Tränen bahnte sich einen Weg durch das Blut in ihrem Gesicht. Geh weg. Geh endlich weg und lass mich in Ruhe!
Ich werde niemals gehen. Ich werde dich niemals in Ruhe lassen. Das werde ich ganz sicher niemals tun.
Zu ihrem Entsetzen schob er sich auf die Knie, hockte sich wie eine grauenhafte blutüberströmte Kröte vor sie und sah sie grinsend an.
Ich habe jede Menge in dich investiert. Zeit und vor allem Geld. Wer hat dir ein verdammtes Dach über dem Kopf gegeben? Wer hat stets dafür gesorgt, dass du etwas in den Bauch bekommst? Wer nimmt dich mit auf Reisen quer durch dieses wunderbare Land? Die meisten Kinder in deinem Alter haben überhaupt noch nichts gesehen, ich aber habe dir schon alles Mögliche gezeigt. Aber hast du daraus nur das Mindeste gelernt? Hast du jemals irgendetwas beigetragen zu deinem Unterhalt? Nein, das hast du nicht. Aber das wird sich jetzt ändern. Weißt du noch, was ich dir gesagt habe? Du wirst allmählich anfangen, deinen Lebensunterhalt selber zu verdienen.
Er stand auf, ein hünenhafter Mann, und ballte langsam seine Fäuste.
Aber jetzt muss Daddy dich erst einmal bestrafen. Schwankend machte er einen Schritt in ihre Richtung. Du bist unartig gewesen, kleines Mädchen. Er tat den zweiten Schritt. Äußerst unartig.
Sie wachte von ihren eigenen Schreien auf.
Sie war schweißgebadet und zitterte gleichzeitig wie Espenlaub. Sie rang erstickt nach Luft und fuchtelte verzweifelt mit den Armen, um sich von dem Laken zu befreien, das, seit sie sich während des Albtraums hin- und hergeworfen hatte, sich wie ein Seil um ihren Leib verheddert hatte.
Manchmal hatte er sie gefesselt. Als sie sich daran erinnerte, drang, während sie weiter mit dem Laken kämpfte, aus ihrer Kehle ein jämmerlicher Klagelaut wie von einem kleinen Tier.
Endlich frei, rollte sie sich auf den Boden und kauerte sich flucht- oder vielleicht auch kampfbereit in die Dunkelheit neben dem Bett.
»Licht! Gott, o Gott. Alle Lichter an.«
Sofort wurde der riesengroße, wunderschöne Raum in gleißende Helligkeit getaucht, die selbst die kleinsten Schatten umgehend vertrieb. Trotzdem schaute sie sich, während die grauenhaften Überreste ihres Traums an ihren Eingeweiden zerrten, gehetzt nach den Geistern um.
Sie kämpfte mit den Tränen. Sie waren völlig nutzlos und ein Zeichen elendiger Schwäche, dachte sie. Genau, wie es nutzlos und ein Zeichen elendiger Schwäche war, sich von irgendwelchen Träumen ängstigen zu lassen. Von irgendwelchen Geistern aus ihrer Kinderzeit.
Trotzdem zitterte sie noch, als sie vom Boden aufstand und sich ermattet auf den Rand des großen Bettes sinken ließ.
Eines leeren Bettes, weil Roarke in Irland weilte und weil ihr Versuch, allein in ihrem Schlafzimmer zu schlafen, ohne von Träumen heimgesucht zu werden, zur Gänze fehlgeschlagen war.
War sie deshalb ein Waschlappen?, ging es ihr durch den Kopf. War sie deshalb dumm? Oder war dies einfach ein Zeichen dafür, dass sie glücklich verheiratet und ohne ihren Gatten schlicht und einfach einsam war?
Als Galahad, der fette Kater, sie mit seinem dicken Kopf anstupste, zog sie ihn an ihre Brust. Lieutenant Eve Dallas, seit elf Jahren bei der New Yorker Polizei, saß auf der Kante ihres Bettes und suchte, wie ein Kind bei einem Teddybären, bei einem Kater Trost.
Sie wiegte sich langsam hin und her und hoffte nur, sie müsste sich jetzt nicht noch übergeben, denn dann wäre das Elend dieser Nacht komplett.
Sie spähte auf den Wecker. Ein Uhr fünfzehn. Wirklich klasse, dachte sie. Sie hatte es kaum eine Stunde ausgehalten, bis sie schreiend wach geworden war.
Sie setzte Galahad aufs Bett, stand auf, stieg vorsichtig wie eine alte Frau von dem breiten Podest und schleppte sich erschöpft ins Bad.
Während sich der Kater warm an ihre Beine schmiegte, klatschte sie sich ein paar Mal eiskaltes Wasser ins Gesicht, und als er leise schnurrte, hob sie ihren Kopf und betrachtete im Spiegel ihr Gesicht. Es war beinahe so farblos wie das Wasser, das von ihren Wangen in das Becken tropfte. Der Blick aus ihren dunklen Augen wirkte gepeinigt und erschöpft. Sie hatte kurze, braune Haare, ein allzu scharf geschnittenes Gesicht, in dem die Knochen viel zu dicht unter der Oberfläche lagen, eine viel zu gewöhnliche Nase und einen viel zu großen Mund.
Was in aller Welt sah Roarke, wenn er sie anschaute?, ging es ihr durch den Kopf.
Sie könnte bei ihm anrufen. In Irland war es schließlich schon nach sechs, und er war ein Frühaufsteher. Selbst wenn er noch schliefe, machte das nichts aus. Sie könnte bei ihm anrufen und sähe auf dem Bildschirm sein Gesicht.
Und er sähe ihren Augen den durchlittenen Albtraum an. Wäre ihnen beiden damit irgendwie gedient?
Ein Mann, der den Großteil des bekannten Universums sein Eigen nennen durfte, musste auch mal geschäftlich unterwegs sein können, ohne dass ihn seine Gattin dabei auf Schritt und Tritt verfolgte. Vor allem, da die Reise, die er zurzeit unternahm, nicht nur geschäftlich war. Er trug einen toten Freund zu Grabe und brauchte deshalb garantiert nicht den zusätzlichen Stress und die zusätzliche Sorge, die es ihm bescheren würde, wenn er sie in diesem Zustand sah.
Sie hatten dieses Thema niemals diskutiert, doch sie wusste genau, dass er, seit er sie kannte, nur noch, wenn es sich wirklich nicht vermeiden ließ, über Nacht irgendwo blieb. Die Albträume, die sie verfolgten, waren nämlich, wenn er neben ihr im Bett lag, nur halb so schlimm.
Einen Traum wie diesen, in dem ihr Vater mit ihr sprach, nachdem sie ihn getötet hatte, hatte sie noch nie gehabt. In dem er ihr Dinge an den Kopf geschleudert hatte, von denen sie beinahe sicher wusste, dass er sie ausgesprochen hatte, als er noch am Leben gewesen war.
Dr. Mira, die Spitzenpsychologin und Profilerin der Polizei, mäße diesem Traum sicher alle möglichen Bedeutungen, alle mögliche Symbolik und weiß der Kuckuck was sonst noch alles bei.
Doch das würde nichts bessern, überlegte Eve. Also behielte sie dieses Erlebnis – zumindest vorläufig – für sich. Sie würde duschen, sich den Kater schnappen und hinauf in ihr Büro gehen. Dort würden Galahad und sie es sich in ihrem Schlafsessel gemütlich machen und schliefen bis zum nächsten Morgen durch.
Dann wäre auch der Traum bestimmt etwas verblasst.
Du erinnerst dich doch ganz bestimmt an das, was ich dir gesagt habe, hallte die bösartige Stimme in ihren Gedanken nach.
Sie erinnerte sich nicht, dachte Eve, als sie unter die Dusche trat und dampfend heißes Wasser auf ihre Schultern prasseln ließ. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern.
Und sie wollte es nicht.
Als sie aus der Dusche kam, fühlte sie sich etwas ruhiger und zog, auch wenn es ihr jämmerlich erschien, als zusätzlichen Trost eins der Hemden ihres Mannes an. Dann nahm sie den Kater auf den Arm und wollte gerade gehen, als das Link auf ihrem Nachttisch zu schrillen begann.
Roarke, dachte sie, und ihre Stimmung hellte sich merklich auf.
Sie schmiegte ihre Wange gegen Galahads Kopf und eilte an den Apparat. »Dallas.«
Lieutenant Eve Dallas. Hier ist die Zentrale …
Der Tod kam nicht nur in ihren Träumen.
Auch jetzt, in der milden frühmorgendlichen Luft eines Dienstags Anfang Juni, begegnete sie ihm. Man hatte den Gehweg vor dem Haupteingang des Hauses mit leuchtend gelben Bändern abgesperrt.
Links und rechts des Eingangs hatte jemand weich schimmernde Petunien in hübschen Töpfen angepflanzt, und obwohl Eve eine Vorliebe für diese Blumen hatte, munterte der Anblick sie in dieser Nacht nicht auf.
Die Frau lag mit dem Gesicht nach unten mitten auf dem Bürgersteig. Ihrem verrenkten Körper und den großen Blutlachen zufolge wäre jedoch von dem Gesicht nicht mehr allzu viel zu sehen. Eve blickte an dem eleganten grauen Turm mit den halbrunden Balkonen und den Gleitbändern, die sich wie schlanke Silberbänder um das Gebäude schlängelten, hinauf. Solange sie nicht wussten, wer die Tote war, würde es äußerst schwierig zu bestimmen, an welcher Stelle sie heruntergefallen, gesprungen oder gestoßen worden war.
Eins jedoch war sicher: Sie war aus großer Höhe auf den Bürgersteig gekracht.
»Nehmen Sie ihre Fingerabdrücke und geben Sie sie in den Computer ein«, wies sie ihre Assistentin an.
Sie bedachte Peabody, die sich gerade über einen Untersuchungsbeutel beugte, mit einem kurzen Blick. Die Mütze ihrer Uniform saß wie mit dem Lineal vermessen auf ihrem glatten, dunklen Haar. Sie hatte ruhige Hände und gute Augen. »Warum ermitteln Sie nicht erst mal den genauen Todeszeitpunkt?«, fragte sie.
»Ich?«, fragte Peabody überrascht.
»Finden Sie heraus, wer die Frau ist, stellen Sie den genauen Todeszeitpunkt fest, und fertigen Sie eine detaillierte Beschreibung der Umgebung und der Leiche an.«
Trotz des grauenhaften Bildes, das sie vor sich hatte, huschte ein Ausdruck freudiger Erregung über Peabodys Gesicht. »Zu Befehl, Madam. Madam, der Kollege, der als Erster hier war, hat eine potenzielle Zeugin aufgetan.«
»Eine Zeugin, die oben im Haus oder hier unten war?«
»Hier unten.«
»Die Frau übernehme ich.« Trotzdem blieb Eve noch einen Augenblick neben der Leiche stehen und beobachtete ihre Assistentin bei der Arbeit. Obwohl Peabody Hände und auch Schuhe ordnungsgemäß versiegelt hatte, ging sie schnell und zugleich vorsichtig zu Werke und kam, während sie die Fingerabdrücke der Toten nahm, nicht einmal mit ihr in Kontakt.
Mit einem kurzen zustimmenden Nicken marschierte Eve zu den uniformierten Beamten, die hinter der Absperrung standen.
Obgleich es fast drei Uhr morgens war, hatten sich bereits jede Menge Schaulustiger versammelt, die es zurückzudrängen galt. Auch einige Reporter hatten sich inzwischen am Rand des Gehwegs eingefunden, riefen irgendwelche Fragen und versuchten, ein paar Minuten Sendezeit mit Aufnahmen zu füllen, mit denen sich der Strom der ersten morgendlichen Pendler unterhalten ließ.
Ein ehrgeiziger Schwebegrillbetreiber nutzte die Gelegenheit und bot seine Waren in der Menge feil. Der Rauch, der von dem Karren aufstieg, erfüllte die Luft mit dem Geruch von Sojaburgern und rehydrierten Zwiebeln.
Offensichtlich liefen die Geschäfte für ihn wirklich gut.
Auch im wunderbaren Spätfrühjahr des Jahres 2059 zog der Tod ein ausreichend großes Publikum an. Schnelle Geschäfte ließen sich damit immer machen.
Ein Taxi rauschte, ohne dass der Fahrer das Tempo auch nur ansatzweise drosselte, an der Menschenansammlung vorbei. Von irgendwoher drang das Kreischen einer Sirene an Eves Ohr.
Sie jedoch wandte sich, ohne sich von diesen Dingen ablenken zu lassen, den uniformierten Beamten zu. »Gerüchten zufolge soll es eine Zeugin für den Sturz gegeben haben.«
»Ja, Madam. Officer Young hat sie in den Streifenwagen verfrachtet, wo keiner dieser Leichenfledderer an sie herankommt.«
»Gut.« Eve musterte die Gesichter hinter der Barriere. Sie nahm Entsetzen, Erregung, Neugier und eine gewisse Erleichterung in ihnen wahr.
Ich lebe und du nicht.
Sie schüttelte diesen Gedanken ab und marschierte entschlossen auf den Streifenwagen zu.
Angesichts der Umgebung – die trotz des würdevollen Aussehens des Gebäudes und der leuchtenden Petunien genau auf der Grenze zwischen dem belebten Zentrum und den eher verwahrlosten Innenstadtbereichen lag – erwartete sie, dass die Zeugin entweder eine lizenzierte Gesellschafterin, ein herumirrender Junkie oder vielleicht eine Dealerin auf der Suche nach Kundschaft war.
Niemals hätte sie damit gerechnet, dass sie die zierliche Blondine in dem eleganten Outfit mit dem hübschen Gesicht, die in dem Streifenwagen saß, kennen würde.
»Dr. Dimatto!«
»Lieutenant Dallas?« Als Louise Dimatto ihren Kopf ein wenig auf die Seite legte, blitzten die Rubine, die an ihren Ohren baumelten, blutrot unter ihren Haaren auf. »Kommen Sie herein oder ich heraus?«
Eve öffnete die Tür ein Stückchen weiter. »Steigen Sie am besten aus.«
Sie hatten sich im letzten Winter in der Klinik in der Canal Street, in der Louise um die Gesundheit der Obdach- und der Hoffnungslosen kämpfte, kennen gelernt. Sie stammte aus einer gut situierten Familie und hatte sogar blaues Blut. Eve aber wusste mit Bestimmtheit, dass sie sich nicht zu schade war, Arbeiten zu verrichten, bei denen sie sich die Hände schmutzig machen musste und die in der so genannten besseren Gesellschaft nicht besonders angesehen waren.
Sie wäre um ein Haar gestorben, als sie während jener bitteren Winterwochen mit Eve gegen eine Horde von Verbrechern gemeinsam gekämpft hatte.
Eve warf einen kurzen Blick auf Louises leuchtend rotes Kleid. »Haben Sie gerade einen Hausbesuch gemacht?«
»Ich hatte ein Date. Einige von uns versuchen eben, trotz der Arbeit, die sie haben, ein halbwegs normales Privatleben zu führen.«
»Und, wie ist es gelaufen?«
»Ich bin mit dem Taxi heimgefahren, also können Sie sich vielleicht denken, wie es gelaufen ist.« Sie strich sich ihre kurzen, honigblonden Haare aus der Stirn. »Warum müssen nur so viele Männer so fürchterliche Langweiler sein?«
»Mit dieser Frage beschäftige ich mich Tag und Nacht.« Als Louise Dimatto lachte, sah Eve sie lächelnd an. »Es ist wirklich schön, Sie wiederzusehen, auch wenn die Umstände nicht gerade angenehm zu nennen sind.«
»Ich dachte, Sie kämen eventuell mal in die Klinik, um zu sehen, was dort dank Ihrer Spende alles verändert worden ist.«
»Ich glaube, in den meisten Kreisen wird so was nicht Spende, sondern Bestechungsgeld genannt.«
»Spende, Bestechungsgeld. Was soll die Haarspalterei? Sie haben dazu beigetragen, dass ich ein paar Leben retten konnte, Dallas. Das ist doch wohl ein ähnlich befriedigendes Gefühl wie die Leute zu schnappen, die anderen das Leben nehmen. Meinen Sie nicht auch?«
»Ein Leben wurde heute Nacht verloren.« Sie wies kopfnickend auf die tote junge Frau. »Was können Sie mir über sie sagen?«
»Im Grunde überhaupt nichts. Ich glaube, sie hat hier im Haus gelebt, aber da sie nicht mehr im allerbesten Zustand ist, kann ich es nicht mit Bestimmtheit sagen.« Louise atmete tief ein und rieb sich mit der Hand den Nacken. »Tut mir Leid, aber im Gegensatz zu Ihnen bin ich solche Dinge nicht gewohnt. Dies ist das erste Mal in meinem Leben, dass mir um ein Haar eine Tote aufs Haupt gefallen wäre. Ich habe bereits jede Menge Menschen sterben sehen, und das nicht immer auf die sanfte Art. Aber das hier war …«
»Okay. Wollen Sie sich lieber wieder setzen? Hätten Sie gern einen Kaffee?«
»Nein. Nein. Lassen Sie mich Ihnen einfach erzählen, was passiert ist.« Sie straffte ihre schmalen Schultern. »Ich war mit meinem Date erst in einem Restaurant und dann noch in einem Club. Dort allerdings habe ich den Kerl, der, wie ich bereits sagte, ein fürchterlicher Langweiler war, nach einer Stunde sitzen lassen und mir ein Taxi geschnappt. Ich schätze, ich kam gegen halb zwei hier an.«
»Sie leben in diesem Haus?«
»Ja. Im zehnten Stock. Apartment 1005. Ich habe das Taxi bezahlt und bin an der Ecke ausgestiegen. Es war eine wunderbare Nacht, und ich habe mich gefragt, weshalb ich sie mit einem derartigen Trottel sinnlos vergeuden musste statt irgendwas zu tun, was mir wirklich Freude macht. Ich stand also ein paar Minuten einfach auf dem Bürgersteig und habe mir noch überlegt, ob ich die Nacht sofort beenden und nach Hause gehen oder vielleicht noch einen kurzen Spaziergang machen soll. Dann beschloss ich, raufzugehen, mich mit einem letzten Gläschen Wein auf den Balkon zu setzen und den Sternenhimmel zu bewundern. Ich drehte mich also um, machte einen Schritt in Richtung Tür … Ich weiß nicht, warum ich plötzlich hochgesehen habe – ich habe nämlich nichts gehört. Aber ich schaute halt nun mal rauf und musste mit ansehen, wie sie fiel. Ihre Haare waren ausgebreitet wie zwei helle Flügel. Es kann nicht länger gedauert haben als zwei bis drei Sekunden, ich hatte kaum genügend Zeit, um zu begreifen, was ich sah, bevor sie auch schon vor mir auf den Boden schlug.«
»Sie haben nicht gesehen, von wo aus sie gefallen ist?«
»Nein. Sie kam mir bereits entgegen, und zwar rasend schnell. Meine Güte, Dallas.« Louise musste eine kurze Pause machen, bis das Bild vor ihrem geistigen Auge wieder verschwand. »Sie traf mit einer solchen Wucht und mit einem derart widerlichen Krachen auf dem Gehweg auf, dass mich dieses Geräusch bestimmt noch lange Zeit im Schlaf verfolgen wird. Die Stelle, wo sie aufkam, war keine zwei Meter von mir entfernt.«
Noch einmal holte sie tief Luft und zwang sich, die Tote anzusehen. Ein Ausdruck des Mitleids trat in ihren Blick. »Manchmal scheinen die Menschen zu denken, dass sie völlig am Ende sind, dass ihnen nichts mehr bleibt. Aber das ist nicht wahr. Irgendwas bleibt immer. Irgendetwas gibt es stets, für das es sich zu leben lohnt.«
»Dann glauben Sie also, dass sie gesprungen ist?«
Louise wandte sich Eve wieder zu. »Ja, ich hatte es angenommen … wie gesagt, ich habe nichts gehört. Sie hat keinerlei Geräusch bei ihrem Sturz gemacht. Nicht geschrien und nicht geweint. Nur ihre Haare haben im Wind geflattert. Ich schätze, deshalb habe ich hochgesehen«, meinte sie und dachte kurz darüber nach. »Ja, ich habe doch etwas gehört. Das Flattern, es hat für mich geklungen wie ein leiser Flügelschlag.«
»Was haben Sie getan, nachdem sie auf dem Boden aufgeschlagen war?«
»Ich habe ihren Pulsschlag überprüft. Eine spontane Reaktion.« Louise zuckte mit den Schultern. »Ich wusste, dass sie tot war, aber trotzdem habe ich ihren Pulsschlag überprüft. Dann habe ich über mein Handy die Polizei verständigt. Sie glauben, dass sie gestoßen worden ist? Ja, genau, deshalb sind Sie wahrscheinlich hier.«
»Bisher glaube ich noch gar nichts.« Eve wandte sich erneut dem Gebäude zu. Bei ihrer Ankunft hatten nur sehr wenige Lichter hinter den Fenstern gebrannt, inzwischen aber hatten so viele Bewohner ihre Lampen eingeschaltet, dass man den Eindruck haben konnte, man blicke auf ein vertikales silber-schwarzes Schachbrett. »Wenn jemand aus dem Fenster fällt, wird immer die Mordkommission verständigt. Das ist normal. Tun Sie sich einen Gefallen. Gehen Sie rein, nehmen Sie eine Schlaftablette und legen sich ins Bett. Und reden Sie bitte nicht mit der Presse, falls die Ihren Namen herausbekommt.«
»Das ist ein guter Tipp. Werden Sie es mich wissen lassen, wenn … werden Sie mich wissen lassen, was mit ihr passiert ist?«
»Ja. Soll einer unserer Leute Sie noch bis an Ihre Wohnungstür begleiten?«
»Nein, danke.« Sie warf einen letzten, kurzen Blick auf die tote, junge Frau. »Auch wenn ich einen alles andere als tollen Abend hatte, war er auf jeden Fall weitaus besser als der von manchen anderen.«
»Wir hören voneinander.«
»Grüßen Sie Ihren Mann«, fügte Louise hinzu und lief dann Richtung Tür.
Peabody hatte sich, als Eve zu ihr hinüberging, schon wieder aufgerichtet und hielt ihr Handy in der Hand. »Ich habe ihren Namen, Dallas. Bryna Bankhead, dreiundzwanzig Jahre, gemischtrassig, allein stehend. Hat in Apartment 1207 des Hauses hinter uns gewohnt und bei Saks in der Fifth Avenue in der Wäscheabteilung gearbeitet. Als Todeszeitpunkt habe ich ein Uhr fünfzehn festgestellt.«
»Ein Uhr fünfzehn?«, wiederholte Eve und dachte daran, dass sie genau in dem Moment auf ihren Wecker gesehen hatte, nachdem sie schreiend wach geworden war.
»Ja, Madam. Ich habe zweimal nachgemessen.«
Eve runzelte die Stirn. »Die Zeugin hat gesagt, dass sie sie erst um ein Uhr dreißig fallen gesehen hat. Wann genau ist ihr Notruf bei uns eingegangen?«
Unbehaglich rief Peabody die Liste der eingegangenen Notrufe auf ihrem Handcomputer auf. »Um ein Uhr sechsunddreißig.« Mit einem lauten Seufzer blies sie sich ihren dicken, glatten Pony aus der Stirn. »Dann muss ich mich vermessen haben. Tut mir Leid …«
»Sie sollten sich erst dann entschuldigen, wenn ich Ihnen erkläre, dass Ihnen ein Fehler unterlaufen ist.« Eve ging neben der Toten in die Hocke, zog ihr eigenes Thermometer aus der Tasche und führte eigenhändig eine dritte Messung durch.
»Sie haben den Todeszeitpunkt eindeutig korrekt ermittelt«, sagte sie zu ihrer Assistentin und schaltete ihren Minirekorder an. »Das Opfer wurde als Bryna Bankhead identifiziert. Die Todesursache ist bisher nicht bekannt. Der Todeszeitpunkt wurde von Officer Delia Peabody und der Ermittlungsleiterin Lieutenant Eve Dallas auf ein Uhr fünfzehn festgelegt. Kommen Sie, Peabody, rollen wir sie auf den Rücken.«
Peabody schluckte die Fragen, die ihr auf der Zunge lagen, zusammen mit der in ihr aufsteigenden Übelkeit herunter. Sie verdrängte kurzfristig sämtliche Gedanken, würde jedoch später zu dem Ergebnis kommen, dass das Herumdrehen der Leiche wie das Herumrollen von einem Sack in dickflüssigem Sirup schwimmender zerbrochener Stöcke gewesen war.
»Der Aufprall hat dem Gesicht des Opfers schweren Schaden zugefügt.«
»Junge, Junge.« Peabody atmete mühsam durch die Zähne ein. »Das kann man wohl sagen.«
»Auch der Torso und die Gliedmaßen sind derart schwer beschädigt, dass man unmöglich sagen kann, ob es bereits vor Eintreten des Todes irgendwelche Verletzungen gegeben hat. Abgesehen von einem Paar Ohrringen ist die Leiche völlig nackt.« Eve zog eine kleine Lupe aus der Tasche und sah sich die Ohrringe etwas genauer an. »Verschiedenfarbige, in Gold gefasste Steine, passend zu dem Ring am Mittelfinger ihrer rechten Hand.«
Sie beugte sich so dicht über die Tote, dass ihr Mund beinahe ihren Hals berührte – was ihre Assistentin mühsam schlucken ließ. »Madam …«
»Parfüm. Sie ist parfümiert. Laufen Sie um ein Uhr morgens mit nichts als hübschen Ohrringen und Parfüm am Leib durch Ihre Wohnung, Peabody?«
»Wenn ich um diese Zeit noch wach bin, habe ich normalerweise meine Häschenpantoffeln an. Außer …«
»Ja.« Eve richtete sich wieder auf. »Außer Sie haben Besuch.« Damit wandte sie sich den bereitstehenden Sanitätern zu. »Nehmt sie mit. Ich möchte, dass der Pathologe sie umgehend untersucht. Ich will wissen, ob sie Geschlechtsverkehr gehabt und ob sie bereits vor Eintreten des Todes irgendwelche Verletzungen erlitten hat. Kommen Sie, Peabody, sehen wir uns ihre Wohnung an.«
»Dann ist sie also nicht gesprungen.«
»Zumindest sieht es nicht so aus.« Sie betraten das kleine, ruhige, durch Überwachungskameras gesicherte Foyer.
»Ich will die Disketten aus den Überwachungskameras«, wies Eve ihre Assistentin an. »Und zwar erst mal die aus denen hier unten in der Eingangshalle und aus dem Flur im zwölften Stock.«
Es gab eine lange Pause, als sie in den Fahrstuhl stiegen und Eve auf den Knopf drückte, damit er sie in die zwölfte Etage trug.
Peabody verlagerte ein wenig unbehaglich ihr Gewicht und fragte schließlich in beiläufigem Ton: »Dann … beziehen Sie also die Abteilung für elektronische Ermittlungen in diesen Fall mit ein?«
Eve steckte die Hände in die Hosentaschen und starrte stirnrunzelnd auf die blanken Metalltüren des Lifts. Peabodys romantische Beziehung mit Ian McNab aus der genannten Abteilung hatte vor kurzem mit einem Knall geendet. Eine Beziehung, die, wenn es nach mir gegangen wäre, nicht hätte in die Brüche gehen können, weil sie niemals angefangen hätte, dachte Eve genervt.
»Vergessen Sie es, Peabody.«
»Das ist eine ganz normale Frage bezüglich der geplanten Vorgehensweise in diesem neuen Fall. Sie hat mit irgendwelchen anderen Dingen nicht das Mindeste zu tun.«
Peabodys Ton war steif genug, um zu verraten, wie beleidigt, verärgert und verletzt sie war. Darin war sie, dachte ihre Chefin, wirklich gut. »Falls ich als Ermittlungsleiterin im Verlauf dieser Ermittlungen zu dem Ergebnis komme, dass die Einbeziehung der Abteilung für elektronische Ermittlungen angeraten ist, werde ich sie in diese Sache natürlich miteinbeziehen.«
»Sie könnten auch jemand anderen nehmen als Dendessen-Namen-du-nicht-nennen-sollst«, murmelte Peabody erbost.
»Feeney leitet die Abteilung, und ich werde ihm bestimmt nicht sagen, welchen seiner Leute er auf welchen Fall ansetzen soll. Und, verdammt, Peabody, ob in diesem Fall oder in einem anderen, werden Sie früher oder später sowieso wieder mit McNab kooperieren müssen, weshalb es von vornherein ein Riesenfehler war, dass Sie jemals mit dem Typen in die Kiste gesprungen sind.«
»Kein Problem. Arbeite ich also weiter mit dem Kerl zusammen. Das macht mir nicht das Geringste aus.« Damit stürmte sie aus dem Fahrstuhl in den Korridor des zwölften Stocks. »Schließlich bin ich durch und durch ein Profi, im Gegensatz zu manchen anderen, die ständig große Töne spucken müssen, in seltsamen Klamotten bei der Arbeit erscheinen und sich allen Ernstes einzubilden scheinen, dass sie etwas Besonderes sind.«
Mit hochgezogenen Brauen blieb Eve vor der Tür von Bryna Bankheads Wohnung stehen. »Nennen Sie mich etwa unprofessionell, Officer?«
»Nein, Madam! Ich habe …« Ihre steife Haltung ließ ein wenig nach, und ihre Augen blitzten humorvoll auf. »Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass Sie in einem Männerhemd durch die Gegend laufen, würde ich doch nie behaupten, dass Ihre Klamotten seltsam sind.«
»Wenn das Thema damit beendet wäre, können wir uns ja dann an die Arbeit machen«, meinte Eve, schaltete ihren Rekorder wieder ein und öffnete mit ihrem Generalschlüssel die Tür. »Die Sicherheitskette und der Riegel waren nicht vorgelegt. Im Wohnzimmer brennt gedämpftes Licht. Was riechen Sie, Peabody?«
»Ah … Kerzenwachs, vielleicht Parfüm.«
»Was sehen Sie?«
»Ein hübsch dekoriertes, aufgeräumtes Wohnzimmer. Der Stimmungsmonitor ist eingeschaltet. Sieht aus wie eine Frühlingswiese. Auf dem Couchtisch stehen zwei Weingläser und eine offene Flasche Rotwein. Das Opfer hat also wahrscheinlich im Verlauf des Abends jemanden zu Besuch gehabt.«
»Okay.« Obgleich sie gehofft hatte, dass Peabody etwas genauer sein würde, nickte Eve zustimmend. »Und was hören Sie?«
»Musik. Die Stereoanlage ist eingeschaltet. Geigen und Klavier. Allerdings kann ich nicht sagen, was für ein Stück das ist.«
»Es ist nicht der Name dieses Stückes, der für uns von Bedeutung ist, sondern seine Art«, erklärte Eve. »Romantisch. Sehen Sie sich noch mal gründlich um. Alles ist an seinem Platz. Sauber, ordentlich und, wie Sie bereits sagten, aufgeräumt. Aber auf dem Tisch stehen eine offene Weinflasche und zwei benutzte Gläser. Warum hat sie sie nicht weggeräumt?«
»Weil sie keine Gelegenheit mehr dazu hatte.«
»Ebenso wenig, wie sie noch die Gelegenheit zum Ausschalten der Lampen, der Stereoanlage und des Stimmungsmonitors bekommen hat.« Eve ging weiter in die an den Wohnraum angrenzende Küche. Die Arbeitsflächen waren aufgeräumt und bis auf den Flaschenöffner und den Korken völlig leer. »Wer hat die Weinflasche geöffnet, Peabody?«, fuhr sie mit der Befragung ihrer Assistentin fort.
»Ich würde sagen, ihr Besucher. Wenn sie sie selbst geöffnet hätte, hätte sie wahrscheinlich den Korkenzieher sofort nach der Benutzung wieder in die Schublade gelegt und den Korken im Mülleimer entsorgt.«
»Mmm. Die Türen vom Wohnzimmer auf den Balkon sind geschlossen und zusätzlich von innen gesichert. Falls es ein Selbstmord oder ein Unfall gewesen ist, kann es unmöglich von hier aus passiert sein. Lassen Sie uns ins Schlafzimmer rübergehen.«
»Sie glauben nicht, dass es ein Selbstmord oder ein Unfall war?«
»Ich glaube noch gar nichts. Alles, was ich weiß, ist, dass das Opfer eine allein stehende, ordnungsliebende, junge Frau gewesen ist, die zumindest während eines Teils dieses Abends nicht allein zu Hause war.«
Als Eve das Schlafzimmer betrat, hörte sie dort ebenso eine sanfte, verträumte Melodie, die auf der milden Brise, die durch die offene Balkontür wehte, durch den Raum zu flattern schien. Das Bett war unordentlich, und das zerwühlte Laken war mit den Blütenblättern pinkfarbener Rosen übersät. Ein schwarzes Kleid, schwarze Dessous und schwarze Abendschuhe lagen in einem nachlässigen Haufen auf dem Boden.
Kerzen, die süß duftend in ihrem eigenen Wachs verloschen, waren überall im Raum verteilt.
»Was sagt Ihnen diese Szene?«, wandte sich Eve Peabody zu.
»Sieht aus, als hätte das Opfer vor seinem Tod Geschlechtsverkehr gehabt oder haben wollen. Weder hier noch im Wohnzimmer gibt es irgendwelche Spuren eines Kampfes, was mich vermuten lässt, dass der Sexualverkehr in gegenseitigem Einvernehmen geplant wurde beziehungsweise stattgefunden hat.«
»Dies war kein bloßer Sex. Dies war eine Verführung. Jetzt müssen wir noch rausfinden, wer von beiden der Verführer war. Nehmen Sie die Räume auf, und dann besorgen Sie mir die Disketten aus den Überwachungskameras.«
Mit einem versiegelten Finger zog Eve die Schublade des Nachttischs auf. »Scheint ihre kleine Schatztruhe gewesen zu sein.«
»Madam?«
»Die Sex-Schublade, Peabody, falls Ihnen das eher etwas sagt. Alles, was die junge Single-Frau von heute braucht. Die Kondome lassen darauf schließen, dass sie eine Vorliebe für Männer hatte. Dazu noch ein paar Flaschen Körperöl, ein Gleitmittel und ein Vibrator für die Fälle, in denen Selbsthilfe erwünscht oder vonnöten war. Ziemlich durchschnittlich, wenn nicht sogar konservativ, würde ich sagen. Keine Spielsachen und Hilfsmittel, die mich vermuten lassen würden, dass das Opfer auch an Frauen interessiert gewesen ist.«
»Dann hatte sie also ein Date mit einem Mann.«
»Oder mit einer Frau, die vielleicht die Hoffnung hatte, Bankheads Horizont ein wenig zu erweitern. Aber das finden wir möglicherweise mit Hilfe der Disketten raus. Und möglicherweise haben wir ja Glück und der Pathologe findet in ihr noch ein paar kleine Soldaten, die von ihrem Besucher in die Schlacht geschickt worden sind.«
Damit ging sie hinüber in das angrenzende Bad. Alles war blitzsauber, die fein gesäumten Handtücher hingen in Reih und Glied nebeneinander, in einer eleganten Schale lagen elegant geformte Seifenstücke und in hübschen Glastiegeln mit hübschen Silberdeckeln fanden sich parfümierte Cremes. »Ich schätze, dass ihr Bettgenosse nicht noch hier geblieben ist, um sich zu waschen. Bestellen Sie trotzdem die Spurensicherung hierher«, wies sie Peabody an, die ihr gefolgt war. »Wollen wir doch mal sehen, ob unser Romeo nicht vielleicht irgendetwas hier zurückgelassen hat.«
Sie öffnete die Spiegeltür des Medizinschranks und warf einen prüfenden Blick hinein. Lauter harmlose, normale Sachen, die man ohne Rezept in der Apotheke kaufen konnte, sowie ein Antibabypillen-Vorrat für das nächste halbe Jahr.
Die Schublade neben dem Waschbecken war bis zum Rand mit ordentlich nebeneinander aufgereihten Kosmetika gefüllt. Lippenstiften, Wimperntusche, Körperfarbe und Make-up.
Bryna hat offensichtlich jede Menge Zeit vor diesem Spiegel zugebracht. Und das kurze schwarze Kleid, der Wein sowie das Kerzenlicht ließen darauf schließen, dass sie auch an diesem Abend, um sich für jemanden extra hübsch zu machen, lange hier im Bad gewesen war.
Eve trat vor das Link im Schlafzimmer und hörte dort den letzten Anruf ab. Bryna Bankhead hatte mit einer attraktiven, jungen, brünetten Frau namens CeeCee telefoniert und ihr von ihren großen Plänen für diese Nacht erzählt.
Ich bin ein bisschen nervös, vor allem aber furchtbar aufgeregt. Endlich werde ich ihn treffen. Wie sehe ich aus?
Einfach fantastisch, Bry. Nur vergiss nicht, dass ein echtes Date etwas völlig anderes als irgendwelche Plaudereien in einem Chatroom ist. Geh die Sache also am besten langsam an und bleib immer schön an irgendwelchen öffentlichen Orten, wo alle Welt euch sehen kann, okay?
Ja, natürlich. Aber ich habe einfach das Gefühl, als würde ich ihn bereits kennen, CeeCee. Wir haben so vieles gemeinsam und mailen uns seit Wochen. Außerdem war es meine Idee, dass wir uns treffen – und seine, dass wir für das Treffen eine Kneipe wählen sollen, damit ich mich völlig sicher fühlen kann. Er ist so unglaublich rücksichtsvoll, so unendlich romantisch. Gott, wenn ich mich nicht beeile, komme ich tatsächlich noch zu spät. Das wäre entsetzlich. Also, ich muss los.
Vergiss nicht. Ich will alle Einzelheiten hören, wenn wir uns morgen sehen.
Ich werde dir alles ganz genau erzählen. Wünsch mir Glück, CeeCee. Ich glaube wirklich, dass er der Richtige sein könnte.
»Ja«, murmelte Eve nach Ende des Gesprächs. »Das glaube ich auch.«
2
In ihrem Büro auf dem Revier sah Eve sich die Disketten aus den Überwachungskameras des Apartmenthauses an. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, das hieß, Bewohner und Besucher gaben einander regelrecht die Klinke in die Hand. Die beiden geschmeidigen Blondinen, die gemeinsam durch die Eingangshalle schlenderten, schienen lizenzierte Gesellschafterinnen zu sein. Ob man an den beiden tatsächlich doppelt so viel Freude hat wie an einer Frau allein?, ging es ihr, als sie eine der beiden jungen Damen am Handy den nächsten Auftrag entgegennehmen und die andere den Termin in den Kalender schreiben sah, flüchtig durch den Kopf.
Um sechs Uhr fünfundvierzig rauschte Bryna Bankhead durch die Eingangstür des Hauses. Sie hatte die Arme voller Einkaufstüten und ein kleidsam gerötetes Gesicht.
Sie wirkt aufgeregt und glücklich, dachte Eve. Sie will möglichst schnell hinauf in ihre Wohnung, um dort ihre neuen Sachen auszupacken. Will sich umziehen, sich schminken, sich hinsichtlich ihrer Garderobe noch ein paar Mal umentscheiden, vielleicht noch einen kleinen Happen essen, damit ihr die Nervosität nicht zu sehr auf den Magen schlagen kann.
Sie verhielt sich durch und durch wie eine normale, allein stehende junge Frau in Erwartung eines Rendezvous. Eine junge Frau, die keine Ahnung davon hatte, dass sie noch vor Ende ihres Dates Teil der Kriminalstatistik würde.
Kurz vor halb acht betrat Louise das Foyer. Auch sie ging schnellen Schrittes, was bei ihr normal war. Ihr Gesicht drückte statt freudiger Erwartung eine gewisse Zerstreutheit und leichte Erschöpfung aus.
Sie hatte keine Einkaufstüten, sondern einzig ihren Arztkoffer und eine Handtasche so groß wie ein Kartoffelsack dabei.
Eine nicht ganz so typische allein stehende Frau, die anscheinend bereits ahnte, dass kein unvergesslicher Abend vor ihr lag.
Und die keinen Schimmer davon hatte, dass ihr Abend damit enden würde, dass direkt vor ihren Augen eine junge Frau aus dem zwölften Stockwerk eines Hauses auf den Gehweg fiel.
Louise brauchte für die Vorbereitung ihres Treffens nicht so viel Zeit wie Bryna. Zwanzig vor neun verließ sie in ihrem leuchtend roten Kleid bereits wieder den Fahrstuhl. In diesem eleganten Outfit sah sie so gar nicht wie die engagierte, entschlossene und zugleich hoffnungslos überarbeitete Kreuzzüglerin aus.
Sie wirkte hellwach, verführerisch und weiblich.
Was der Typ, der das Foyer betrat, als sie zur Haustür ging, ebenfalls zu bemerken schien. Er verrenkte sich beinahe den Hals und bedachte ihr wohlgeformtes Hinterteil mit einem sehnsüchtigen Blick. Was sie jedoch entweder nicht registrierte oder ihr völlig egal war, denn sie marschierte ungerührt an dem faszinierten Kerl vorbei.
Nun trat ein Junge von etwa achtzehn Jahren breitbeinig aus dem Lift. Er war von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder eingehüllt und hatte einen AirScooter unter dem Arm. Sobald er vor der Tür stand, sprang er so schnell und geschmeidig, dass Eve ihn dafür bewundern musste, auf das Brett und verschwand mit großen Schwüngen in der Nacht.
Während sie an ihrem Kaffee nippte, konnte sie verfolgen, wie auch Bryna um kurz vor neun das Haus verließ. Aus lauter Angst, eventuell zu spät zu kommen, rannte sie so schnell, dass es in ihren hochhackigen Pumps regelrecht gefährlich war. Sie hatte ihre Haare zu einer schimmernd elfenbeinschwarzen Turmfrisur gestylt, und eine leichte Röte ihrer freudigen Erregung hatte sich über ihren karamellfarbenen Teint gelegt. Sie hielt eine schmale Abendtasche in der Hand, und an ihren Ohren glitzerten Ohrringe.
»Hören Sie sich mal um, ob sie irgendwo in der Nähe ihres Hauses ein Taxi genommen hat, Peabody. Sie hatte es eindeutig eilig, hat sich also bestimmt eine Fahrgelegenheit geleistet, falls sie diesen Typen nicht irgendwo in der Nähe getroffen hat.« Stirnrunzelnd ließ sie die Diskette weiterlaufen, hielt sie jedoch jedes Mal, wenn jemand aus dem Haus kam oder es betrat, ein paar Sekunden an.
»Sie war eine gut aussehende Frau«, stellte sie nach einer Weile fest. »Scheint halbwegs intelligent gewesen zu sein, hatte eine eigene Wohnung und einen anständigen Job. Weshalb sucht so jemand über das Internet nach einem Mann?«
»Sie haben gut reden«, murmelte Peabody und handelte sich dadurch einen giftigen Blick ihrer Vorgesetzten ein. »Meine Güte, Dallas, Sie sind eine verheiratete Frau! Für uns andere ist es da draußen wie in einem Dschungel, voller Schlangen, Paviane und Gorillas.«
»Haben Sie jemals Ihr Glück im Internet versucht?«
Peabody scharrte unbehaglich mit den Füßen. »Möglich. Aber ich möchte nicht darüber reden.«
Amüsiert wandte sich Eve wieder dem Bildschirm zu. »Ich bin erheblich länger Single als verheiratet gewesen, aber trotzdem war es mir zu blöd, in irgendeinem Chatroom einen Typen für mich aufzugabeln.«
»Sie sind schließlich auch groß und dünn, haben tolle Katzenaugen und ein verführerisches kleines Grübchen genau in der Mitte Ihres Kinns.«
»Wollen Sie mich anbaggern?«
»Das, was ich für Sie empfinde, lässt sich sowieso nicht in Worte kleiden, Dallas. Aber ich habe es inzwischen aufgegeben, mit Kollegen auszugehen.«
»Das klingt sehr vernünftig. Ah, da kommen sie ja endlich. Standbild«, wies sie den Computer an.
Es war dreiundzwanzig Uhr achtunddreißig. In kaum mehr als zwei Stunden schien Bryna ihrem Cyber-Date sehr nahe gerückt zu sein. Eng umschlungen und lachend traten sie durch die Tür.
»Er sieht echt fantastisch aus«, erklärte Peabody und beugte sich dichter zu dem Monitor. »Wie die Antwort auf die Gebete jeder Jungfrau. Groß, dunkelhaarig, attraktiv.«
Eve stieß ein leises Knurren aus. Der Mann schien etwa einen Meter achtzig groß und um die fünfundachtzig Kilo schwer zu sein. Die Haare hatte er sich aus der Stirn gestrichen, so dass sich eine Mähne dunkler Locken über seine Schulterblätter ergoss. Seine Haut war bleich wie die eines Dichters und wurde von den funkelnden Smaragden in seinem Mundwinkel und oberhalb des rechten Wangenknochens sowie von seinen leuchtend grünen Augen vorteilhaft betont. Ein schmales, dunkles Bärtchen wuchs senkrecht von seiner Unterlippe bis zu seinem Kinn.
Unter seinem dunklen Anzug trug er ein am Hals offenes, edelsteingrünes Hemd, und von seiner linken Schulter hing eine schwarze Ledertasche bis auf seine schmale Hüfte herab.
»Ein hübsches Paar«, fügte Peabody hinzu. »Auch wenn sie den Eindruck macht, als ob sie ein paar alkoholische Getränke zu sich genommen hat.«
»Wahrscheinlich mehr als bloße Cocktails«, korrigierte Eve und sah sich Brynas Gesicht etwas genauer an. »Sie hat einen komischen Glanz in ihren Augen. Und er?« Jetzt blickte sie in das Gesicht des Mannes. »Stocknüchtern, wie es scheint. Rufen Sie im Leichenschauhaus an. Sie soll auf Drogen getestet werden. Computer?«
EINEN AUGENBLICK …
»Wollen wir doch mal sehen, ob du ein paar Funktionen gleichzeitig erfüllen kannst.« Da sie endlich eine neue Kiste hatte, hegte sie die Hoffnung, dass es tatsächlich funktionierte, und so wies sie sie an: »Gleiche den auf dem Bildschirm abgebildeten Mann mit den Bildern aus sämtlichen Datenbanken ab. Ich will einen Namen.«
DATENBANKEN IN DER STADT, IM STAAT, IM LAND ODER WELTWEIT?
Eve tätschelte das Gehäuse des Geräts. »Diese Frage höre ich gerne. Fang in New York City an. Und bis du was gefunden hast, spielst du weiter die Diskette in normalem Tempo ab.«
EINEN AUGENBLICK …
Leise summend fuhr der Computer mit dem Abspielen der Diskette fort. Vor dem Fahrstuhl hob der Unbekannte Brynas Hand an seinen Mund.
»Ende der Diskette. Wechsel zur Diskette aus dem Fahrstuhl zwei, beginnend um dreiundzwanzig Uhr vierzig.« Das aktuelle Bild verschwand und wurde durch ein anderes ersetzt.
Eve konnte verfolgen, wie das beidseitige Werben auf der Fahrt ins zwölfte Stockwerk seine Fortsetzung fand. Der Mann knabberte sanft an Brynas Fingern, beugte sich zu ihr nach vorn und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dann war es Bryna, die ihn entschieden an sich zog, ihre Brust an seinen Körper presste und ihre Lippen auf seinen Mund. Es war ihre Hand, die tastend zwischen ihren Leibern hinunterglitt.
Als die Tür des Fahrstuhls aufging, drehten sie, ohne voneinander abzulassen, eine Pirouette in den Flur. Eve wies den Computer zu einem erneuten Diskettenwechsel an und betrachtete das Paar, als es auf dem Weg zu ihrer Wohnung war. Bryna öffnete umständlich die Tür, und als sie ein wenig das Gleichgewicht verlor, lehnte sie sich schwankend an ihn an. Dann trat sie in den Korridor ihres Apartments, er aber blieb höflich auf der Schwelle stehen.
Der perfekte Gentleman, überlegte Eve. Er hatte ein warmes Lächeln im Gesicht und sah sie fragend an. Bittest du mich etwa noch herein?
Statt etwas zu sagen, packte Bryna ihn am Kragen seiner Jacke, zog ihn in den Flur und warf hinter ihm die Wohnungstür ins Schloss.
»Sie war diejenige, die die ganze Sache aktiv vorangetrieben hat.« Stirnrunzelnd sah Peabody auf den jetzt leeren Flur.
»Ja.«
»Damit will ich nicht sagen, dass sie es verdient hätte zu sterben. Ich habe nur gemeint, dass sie die treibende Kraft gewesen ist. Selbst als sie im Fahrstuhl die Sache in die Hand genommen hat, hat er die Gelegenheit nicht ausgenutzt. Eine Menge Typen – verdammt, die meisten Typen – hätten ihr in dem Moment bestimmt unter den Rock gefasst.«
»Die meisten Typen verstreuen auch keine Blütenblätter auf dem Bett.« Sie spulte ein Stück vor und hielt die Diskette an, als die Tür von Brynas Wohnung aufging.
»Sehen Sie, wann der unbekannte Mann die Wohnung des Opfers verlässt? Um ein Uhr sechsunddreißig. Genau zur selben Zeit, als Louise die Polizei verständigt hat. Sie sagt, sie hätte noch nach dem Puls der Frau getastet. Sicher hat sie vorher ein paar Sekunden starr vor Schreck auf dem Bürgersteig gestanden und dann noch einmal etwas Zeit gebraucht, um ihr Handy aus der Handtasche zu ziehen und den Anruf bei der Polizei zu tätigen. Aber länger hat dieser Mensch anscheinend nicht gebraucht, um vom Balkon durch ihre Wohnung in den Flur hinauszugehen. Computer, spiel die Diskette weiter ab.«
»Er zittert«, stellte Peabody fest.
»Und er schwitzt.« Aber er rannte nicht, registrierte Eve. Er sah nach links und rechts, als er eilig zum Fahrstuhl ging. Aber er rannte nicht.
Sie verfolgte, wie er mit dem Lift hinunterfuhr. Der gegen die Wand gepresste Rücken und die eng an seine Brust gedrückte Tasche waren Zeichen seiner Panik. Gleichzeitig aber dachte er nach. Dachte gründlich genug nach, um statt in die Eingangshalle ins Souterrain zu fahren und statt durch die Vordertür durch den Lieferanteneingang aus dem Haus zu gehen.
»In der Wohnung gab es keine Spuren eine Kampfes. Und die Zeit zwischen Eintreten des Todes und dem Moment, in dem sie auf dem Gehweg aufgeschlagen ist, war für das Beseitigen der Spuren eines Kampfes eindeutig zu kurz. Aber sie war tot, bevor sie vom Balkon gefallen ist. Bevor er sie über die Brüstung geworfen hat. Sie stand unter Drogen, nur dass es in ihrer Wohnung keine Drogen gab. Wir sollten im Labor nachfragen, was die Überprüfung der Flasche und der Weingläser ergeben hat. Dann fahren Sie am besten erst mal heim und legen sich aufs Ohr.«
»Werden Sie Feeney kontaktieren? Sie brauchen die Abteilung für elektronische Ermittlungen, damit die Bankheads Computer auseinander nimmt, nach den E-Mails sucht, die sie und der Verdächtige sich offenbar geschrieben haben, und vielleicht auf diesem Weg an die Adresse dieses Typen kommt.«
»Das stimmt.« Eve stand auf, trat vor den AutoChef und bestellte sich, obwohl sie wusste, dass es ein Fehler wäre, eine weitere Tasse Kaffee. »Vergessen Sie endlich persönliche Querelen, und tun Sie schlicht Ihren Job.«
»Ich würde es zu schätzen wissen, wenn auch McNab diesen Befehl erhalten würde, Madam.«
Eve musterte ihre Assistentin. »Belästigt er Sie etwa?«
»Ja. Das heißt, nicht wirklich.« Sie seufzte leise auf. »Oder eher nein.«
»Was denn jetzt?«
»Er sorgt dafür, dass ich von all den tollen Frauen höre, mit denen er ins Bett geht, und dass ich mitbekomme, dass er vor lauter Glück am liebsten Saltos schlagen würde, seit er mich los ist. Und er besitzt nicht einmal genügend Anstand, um es mir selbst zu sagen. Er sieht genüsslich zu, wie ich es höre, wenn die Hälfte der Kollegen sich darüber unterhält.«
»Klingt für mich, als ob er seine Trauer überwunden und sein Leben wieder in den Griff bekommen hätte. Schließlich haben Sie die Sache nicht nur beendet, sondern hängen weiter mit Charles Monroe herum.«
»Das mit Charles ist etwas völlig anderes«, beharrte Peabody auf ihrer Beziehung zu dem verführerischen Callboy, der ihr Freund geworden, mit dem sie aber nie liiert gewesen war. »Das habe ich Ihnen doch schon hundert Mal erklärt.«
»Mir schon, aber McNab offenbar nicht. Doch das ist alleine Ihre Sache«, fügte Eve, als ihre Assistentin etwas sagen wollte, rasch hinzu. »Und es interessiert mich wahrhaftig nicht. Wenn McNab mit jeder Frau der Stadt in die Kiste springen will und seine Arbeit nicht darunter leidet, geht mich das nicht das Geringste an. Und Sie auch nicht. Rufen Sie noch im Labor und im Leichenschauhaus an, machen dort ein bisschen Druck, und dann fahren Sie nach Hause. Wir sehen uns dann morgen früh um acht.«
Als sie endlich allein war, nahm Eve wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz. »Computer, wie weit ist die Identifizierung des Gesuchten?«
ACHTUNDACHTZIG KOMMA ZWEI PROZENT DER SUCHE WURDEN DURCHGEFÜHRT. BISHER LIEGT NOCH KEIN ERGEBNIS VOR.
»Dann dehn die Suche aus.«
EINEN AUGENBLICK …
In der Hoffnung, dass sie einen Namen und dadurch möglichst umgehend Gerechtigkeit für Bryna Bankhead fände, lehnte sich Eve auf ihrem Stuhl zurück.
Trotz der unzähligen Tassen Kaffee, die sie getrunken hatte, war Eve auf dem Fußboden ihres Büros ein erholsamerer Schlaf vergönnt als in dem großen, leeren Bett daheim. Als sie die Augen aufschlug, dehnte sie sofort die Suche, die bisher erfolglos war, von Bundesstaats- auf Landesebene aus, besorgte sich die nächste Dosis Koffein, ging damit in den Waschraum, klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und rollte die Ärmel von Roarkes Hemd bis zu den Ellenbogen auf.
Kurz nach acht betrat sie das Büro von Captain Feeney in der Abteilung für elektronische Ermittlungen und sah ihn dort vor seinem eigenen AutoChef stehen. Wie Eve hatte auch er die Ärmel seines Hemds heraufgerollt und sein Waffenhalfter umgeschnallt. Sein drahtiges, karottenrotes Haar hatte am frühen Morgen wahrscheinlich einen Kamm gesehen, wirkte jedoch nicht weniger zerzaust als ihre provisorische Frisur.
Schnuppernd trat sie durch die Tür. »Was ist das für ein Geruch?«
Als er zu ihr herumfuhr, lag ein überraschter und, wie Eve dachte, leicht schuldbewusster Ausdruck auf seinem langen, an einen Bassett erinnernden Gesicht.
»Nichts. Was gibt’s? Weswegen bist du hier?«
Sie schnupperte erneut. »Doughnuts. Du hast Doughnuts hier.«
»Pst, sei leise.« Er stürzte an ihr vorbei und schloss hastig die Tür. »Willst du etwa, dass die gesamte Abteilung angelaufen kommt?« Da er wusste, dass es nicht genügen würde, die Tür einfach zu schließen, sperrte er zusätzlich noch ab. »Was willst du?«
»Einen Doughnut.«
»Hör zu, Dallas, meine Frau ist gerade auf dem Gesundheitstrip, weswegen es bei mir zu Hause keinen halbwegs vernünftigen Happen mehr zu essen gibt. Pausenlos Tofu, Salat, Gemüse und lauter anderes widerliches Zeug. Ab und zu braucht ein Mann aber ein bisschen Fett und Zucker, damit er funktioniert.«
»Das sehen ich und alle anderen genauso. Also rück einen Doughnut raus.«
»Gottverdammt.« Er marschierte zum AutoChef, und als er die Klappe öffnete, sah sie dort ein halbes Dutzend der wunderbaren Kringel liegen, denen dieser verführerische Duft entstieg.
»Heiliges Kanonenrohr. Die sind ja sogar frisch!«
»Die Bäckerei ein Stückchen weiter unten macht jeden Morgen ein paar Dutzend von den Dingern. Weißt du, was sie für einen einzigen verlangen?«
Blitzschnell streckte Eve den Arm aus, schnappte sich einen Doughnut und biss herzhaft hinein. »Egal, wie viel, sie sind es wert«, stellte sie, den Mund voll Fett und Sahne, genüsslich schmatzend fest.
»Sei leise. Wenn du so laut schmatzt, rennen sie mir gleich die Bude ein.« Er nahm sich ebenfalls ein Teilchen und biss mit einem tiefen Seufzer davon ab. »Schließlich will niemand ewig leben, oder? Ich habe meiner Frau gesagt, he, ich bin Polizist. Und als Polizist sieht man dem Tod täglich ins Auge.«
»Da hast du völlig Recht. Hast du auch einen mit Marmelade?«
Bevor sie sich den nächsten Doughnut stibitzen konnte, warf er die Klappe des AutoChefs ins Schloss. »Und als Polizist, der dem Tod täglich ins Auge sieht, interessiert es einen ja wohl nicht die Bohne, wenn man ab und zu ein bisschen Fett in die Arterien pumpt.«
»Vor allem nicht, wenn das Fett derart hochwertig ist.« Sie leckte sich den Zucker von den Fingern. Sie hätte ihn erpressen können, damit sie einen zweiten Doughnut von ihm bekam, doch würde ihr davon wahrscheinlich schlecht. »Letzte Nacht ist eine junge Frau vom Balkon auf den weit entfernten Bürgersteig gesegelt.«
»Gesprungen?«
»Nein. Sie war schon tot, als sie runtergefallen ist. Ich warte noch auf die Berichte vom Pathologen und aus dem Labor, aber es sieht wie ein Sexualmord aus. Sie hatte ein Date mit einem Typen, den sie aus einem Chatroom kannte und dem sie seit ein paar Wochen E-Mails geschrieben hat. Ich habe ihn auf Diskette, als er die Wohnung betritt und wieder verlässt, aber ich weiß nicht, wer er ist. Du musst also versuchen, ihn mit Hilfe ihres Computers aufzuspüren.«
»Hast du das Ding dabei?«
»Es ist unten in der Asservatenkammer. Das Opfer heißt Bryna Beankhead. Aktenzeichen H-78926B.«
»Ich werde die Kisten von jemandem holen lassen.«
»Danke.« In der Tür blieb sie noch einmal stehen. »Feeney, falls du McNab auf diese Sache ansetzt, könntest du ihn vielleicht bitten – ich weiß nicht -, gegenüber Peabody mit seinen Weibergeschichten ein bisschen zurückhaltender zu sein?«
Das Strahlen, das der Doughnut auf sein Gesicht gezaubert hatte, wich schmerzlicher Verlegenheit. »Also, bitte, Dallas.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber wenn ich ihr schon die Leviten lesen muss, dann liest du sie ihm bitte ebenfalls.«
»Wir könnten die beiden zusammen in ein Zimmer sperren und erst wieder herauslassen, wenn die Sache zwischen ihnen geregelt ist.«
»Diese Möglichkeit sollten wir auf alle Fälle erwägen. Gib mir Bescheid, sobald du in dem Gerät des Opfers irgendetwas findest.«
Sie kam bei ihrer Suche nicht voran. Ohne große Hoffnung dehnte Eve sie auf die internationalen Datenbanken aus. Sie schrieb einen vorläufigen Bericht für den Commander, schickte ihn ihm zu, wies ihre Assistentin an, Labor und Leichenschauhaus weiter auf die Nerven zu fallen, und ging hinüber ins Gericht, wo sie als Zeugin zu einem Prozess geladen war.
Zweieinhalb Stunden später stürmte sie, sämtliche Anwälte verwünschend, auf die Straße, riss ihr Handy aus der Tasche und rief Peabody an. »Wie sieht es aus?«
»Die Ergebnisse der Tests stehen noch aus.«
»Verdammt.«
»Am Gericht ist es wohl nicht besonders gut gelaufen?«
»Der Verteidiger denkt offenbar, wir hätten nicht nur das Hotelzimmer, sondern auch die Kleider seines unschuldigen Mandanten mit dem Blut des Opfers getränkt, nur um irgendwelche psychopatischen Touristen, die während eines Ehestreits Dutzende von Malen mit einem Messer auf ihre Frauen einstechen, in Verruf zu bringen.«
»Tja, so etwas sieht die Handelskammer bestimmt nicht gern.«
»Ha-ha.«
»Wir haben die Frau identifiziert, mit der Bankhead am Abend vor ihrem Tod am Link gesprochen hat. CeeCee Plunkett. Sie hat mit dem Opfer zusammen in der Wäscheabteilung von Saks gearbeitet.«
»Besorgen Sie sich einen Wagen. Wir treffen uns dann dort.«
»Zu Befehl, Madam. Dürfte ich vielleicht vorschlagen, dass wir zum Mittagessen in deren Café in der sechsten Etage gehen? Sie brauchen dringend ein paar Proteine.«
»Ich habe schon einen Doughnut gegessen.« Als Peabody schockiert und gleichzeitig neiderfüllt nach Luft rang, brach Eve mit einem Lächeln, das eindeutig boshaft war, die Übertragung ab.
Das während der Mittagspause auf der Straße herrschende Gedränge trug nicht gerade zu einer Verbesserung von Eves Laune bei. Stoßstange an Stoßstange krochen die Autos in einem solchen Schneckentempo auf die nächste Kreuzung zu, dass sie kurzfristig in Erwägung zog, den Wagen einfach stehen zu lassen und zu Fuß quer durch die Stadt zu laufen.
Bis sie einen Blick auf die enormen Menschenmengen auf den Bürgersteigen warf.
Selbst der Himmel war hoffnungslos mit Airbussen sowie Werbe- und Touristenfliegern überfüllt. Es herrschte ein ohrenbetäubender Lärm, aus irgendeinem Grund jedoch tat das Getöse ihren Nerven gut. Und zwar derart, dass sie sich, als sie an der Ecke zwischen Madison und Neununddreißigster erneut an einer Ampel stand, aus dem Fenster beugte und mit gut gelaunter Stimme einen Schwebegrillbetreiber um eine Pepsi bat.
»Klein, mittel oder groß, hübsches Fräulein?«, fragte er.
Sie zog die Brauen bis unter den Rand ihres Ponys. Ein derart freundlicher Verkäufer war entweder ein Droide oder aber neu. »Groß.« Sie zog ein paar Münzen aus der Tasche, und als er sich zu ihr hinunterbeugte, musste sie erkennen, dass er weder das eine noch das andere war. Er wirkte wie ein gut erhaltener Greis, und sein Lächeln machte deutlich, dass er die Pflege seiner Zähne mit weit größerem Eifer als die meisten seiner Kollegen und Kolleginnen betrieb.
»Ein wunderbarer Tag, nicht wahr?«
Sie blinzelte auf das Gewühl von Autos, aufgrund dessen man den Himmel an dieser Ecke nur noch mühsam sah. »Das ist wohl ein Witz.«
Abermals lächelte er breit. »Jeder Tag, an dem man lebt, ist wunderbar, Fräulein.«
Sie dachte an Bryna Bankhead. »Da haben Sie wahrscheinlich Recht.«
Sie schob einen Strohhalm in den Becher und saugte, während sie die Madison weiter in ihrem Wagen hinaufkroch, nachdenklich daran herum. Vor dem Gebäude mit der Nummer einundfünfzig parkte sie in zweiter Reihe, schaltete das Blaulicht an und begann den Spießrutenlauf durch die Kosmetikabteilung von Saks.
Droiden in hochmodernen Outfits glitten direkt hinter den Türen auf und ab und fügten den Besucherinnen und Besuchern mit ihrer grellen Kleidung bereits die ersten Augenschäden zu. Unterstützt wurden sie von menschlichen Beraterinnen und Beratern, die hinter den Tresen standen oder in den Gängen patrouillierten, ob, wie Eve annahm, jemand geflüchtet war. Die Luft war derart schwer von Düften, dass man um Atem rang.
Eine Droidin mit einem wilden Wust magentaroten Haars kam direkt auf Eve zugeglitten und versperrte ihr den Weg.
»Guten Tag und willkommen bei Saks. Der Duft des Tages ist …«
»Wenn ich auch nur einen einzigen Tropfen davon abbekomme, stopfe ich dir diesen Zerstäuber in den Hals«, warnte sie, als ihr Gegenüber in Angriffshaltung ging.
»Ein Tropfen von Orgasma reicht tatsächlich aus, um den Mann Ihrer Träume um den Verstand zu bringen, Madam.«
Eve schlug ihre Jacke auf und griff nach ihrem Stunner. »Und ein Schuss mit diesem Ding genügt, um dich in den Recycler zu verfrachten, Rotschopf. Und jetzt geh mir endlich aus dem Weg.«
Halbwegs befriedigt durfte Eve mit ansehen, wie ihr Gegenüber wortlos, aber mit flottem Schritt die Flucht ergriff. Während die verschreckte Angestellte den Sicherheitsdienst rief, pflügte Eve weiter durch die Horde von Besuchern und Beratern und zog, als zwei uniformierte Droiden auf sie zugehastet kamen, ihren Dienstausweis hervor.
»New Yorker Polizei. Ich bin dienstlich hier. Halten Sie diese verdammten Typen mit ihren Stinkbomben von mir fern.«
»Zu Befehl, Lieutenant. Können wir Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein?«
»Ja.« Sie steckte ihren Ausweis wieder ein. »Sie können mir sagen, wo die Dessousabteilung ist.«
Wenigstens, dachte Eve, als sie in der richtigen Etage aus dem Fahrstuhl stieg, kam hier niemand angerannt und fuchtelte mit irgendwelchen Unterhosen vor ihrem Gesicht herum. Allerdings schien hier der Verkauf von Sex an der Tagesordnung zu sein, denn unzählige Modell-Droiden und Droidinnen liefen entweder in Unter- oder Nachtwäsche in der Abteilung herum. Zumindest aber hatte das menschliche Personal normale Kleider an.
Sie entdeckte CeeCee Plunkett beinahe sofort und blieb, während diese einen Verkauf abschloss, geduldig vor dem Tresen stehen.
»Ms Plunkett?«
»Ja, kann ich Ihnen helfen?«
Wieder zog Eve ihren Dienstausweis hervor. »Gibt es vielleicht einen Ort, an dem wir ungestört miteinander reden können?«
CeeCees bisher rosiges Gesicht erbleichte, und sie riss ihre babyblauen Augen auf. »O Gott. O Gott. Es geht um Bry. Etwas ist mit ihr passiert. Sie ist heute nicht zur Arbeit gekommen und geht auch nicht ans Link. Sie hatte einen Unfall.«
»Können wir irgendwo reden?«
»Ich – ja.« CeeCee presste eine Hand an ihre Schläfe und sah sich suchend um. »In – in der Garderobe, aber ich darf meinen Platz hinter dem Tresen nicht verlassen. Ich …«