Dead or Alive - Tom Clancy - E-Book

Dead or Alive E-Book

Tom Clancy

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Beschreibung

Terror – der Krieg im Geheimen

Mit modernsten technischen Mitteln bedroht der Terrorismus die zivilisierte Welt – und nur Jack Ryan und John Clark könnten sie retten. Ihr Ziel ist der sadistische Killer, der sich »der Emir« nennt. Ihn gilt es zu stoppen – tot oder lebendig ... Mit »Dead or Alive« legt Tom Clancy den lang ersehnten Höhepunkt seiner Romanreihe vor, die mit »Jagd auf Roter Oktober« begann. Kaum ein Autor befindet sich so auf der Höhe der Zeit, wenn es um Polit- und Technothriller geht.
Der »Krieg gegen den Terrorismus« ist weit von einem Sieg entfernt, doch scheint dieser Kampf für US-Präsident Kealty, den Nachfolger von Jack Ryan im Oval Office, keine Priorität zu besitzen. Der »Emir«, ein weltweit vernetzter Terrorist, der hinter den schändlichsten Terroranschlägen auf die westliche Welt steckt, konnte trotz vereinten internationalen Bemühungen bislang nicht dingfest gemacht werden. Und er plant weitere perfide Anschläge, die Amerika destabilisieren und das Grauen vom 11. September noch übertreffen sollen. Jetzt ist ihm der »Campus« , eine geheime Antiterroreinheit, auf der Spur. Im Verein mit den Neuzugängen John Clark und Ding Chavez erhält Jack Ryan jr. den Auftrag, den Emir herbeizuschaffen – tot oder lebendig ...

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Seitenzahl: 1159

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DAS BUCH

Der »Krieg gegen den Terrorismus« ist weit von einem Sieg entfernt, doch scheint dieser Kampf für US-Präsident Kealty, den Nachfolger von Jack Ryan im Oval Office, keine Priorität zu besitzen. Der »Emir«, ein weltweit vernetzter Terrorist, der hinter den schändlichsten Terroranschlägen auf die westliche Welt steckt, konnte trotz vereinten internationalen Bemühungen bislang nicht dingfest gemacht werden. Und er plant weitere perfide Anschläge, die Amerika destabilisieren und das Grauen vom 11. September noch übertreffen sollen. Jetzt ist ihm der »Campus«, eine geheime Antiterroreinheit, auf der Spur. Im Verein mit den Neuzugängen John Clark und Ding Chavez erhält Jack Ryan jr. den Auftrag, den Emir herbeizuschaffen – tot oder lebendig ...

DER AUTOR

Tom Clancy, geboren 1947, hatte mit seinem ersten Thriller Jagd auf Roter Oktober auf Anhieb internationalen Erfolg. Clancy gilt als Begründer des modernen Techno-Thrillers und zählt neben John Grisham zu den erfolgreichsten amerikanischen Spannungsautoren. Aufgrund seiner gut recherchierten, überaus realistischen Szenarien wurde der Autor nach den Anschlägen vom 11. September von der amerikanischen Regierung als spezieller Berater hinzugezogen. Bei Heyne erscheinen Tom Clancys große Thriller aus dem Universum um den Spezialagenten Jack Ryan.

Inhaltsverzeichnis

DAS BUCHDER AUTORKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Copyright

1

Die Soldaten leichter Einheiten – gemäß des MOS-Systems der US-Army ist das Eleven-Bravo leichte Infanterie  – sollen wie geleckt aussehen, makellose Uniformen tragen und glatt rasiert sein. Hauptfeldwebel Sam Driscoll entsprach diesem Bild nicht und das bereits seit einiger Zeit. Zu einer Tarnung gehört eben oft mehr als eine mustergültige BDU (Battle Dress Uniform). Ach nein, so heißen sie ja nicht mehr, oder? Neuerdings werden sie »Army-Kampfanzüge«, also ACU (Army Combat Uniform) genannt. Genau dasselbe, genau dasselbe.

Driscolls Bart war gut zehn Zentimeter lang und so grau meliert, dass seine Männer ihn Santa Claus nannten – äußerst ärgerlich für einen Mann, der gerade 36 Jahre alt war, aber da die meisten seiner Landsleute mindestens zehn Jahre jünger waren… Nun ja, es hätte schlimmer kommen können, wenn sie ihn »Grandpa« genannt hätten.

Sein langes Haar ärgerte ihn erheblich mehr. Es war dunkel, ungepflegt und fettig, und sein Bart war verwahrlost. Hier war es jedoch für seine Tarnung wichtig, einen Bart zu tragen, und die Einheimischen kümmerten sich nicht um Haarschnitte. Auch hatten er und seine fünfzehn Männer sich wie Einheimische gekleidet. Ihr Kompaniechef, ein Captain, war ausgerutscht und hatte sich das Bein gebrochen – in dieser Gegend reichte das schon, außer Gefecht gesetzt zu werden –, und jetzt wartete er auf einem Hügel auf den Chinook-Hubschrauber, um sich mit einem der beiden Sanitäter evakuieren zu lassen. Der Sanitäter war bei ihm geblieben, um zu verhindern, dass er auch noch in einen Schockzustand fiel. Jetzt hatte Driscoll das Kommando für diesen Einsatz, was ihm nichts ausmachte. Er hatte mehr Fronterfahrung als Captain Wilson, obwohl der Captain einen Hochschulabschluss hatte, der Driscoll noch fehlte. Alles zu seiner Zeit. Erst einmal musste er diesen Einsatz überleben, bevor er wieder die Schulbank an der University von Georgia drücken konnte. Es ist schon komisch, dachte er, dass er fast drei Jahrzehnte gebraucht hatte, um endlich Lust aufs Studieren zu bekommen. Immerhin besser als nie, fand er.

Er war müde. Es war diese die Sinne betäubende Schläfrigkeit, welche die Rangers ständig begleitete. Er konnte tief und fest mit seinem Gewehrkolben als Kopfkissen auf einem Granitfelsen schlafen oder wachsam auf der Hut bleiben, während sein Hirn und sein Körper rebellierten und ihn um Schlaf anflehten. Sein Körper beschwerte sich einfach jetzt, da er seinem vierzigsten Geburtstag näher war als dem dreißigsten, sehr viel mehr, als er es noch vor zehn Jahren getan hatte, und Driscoll brauchte morgens doppelt so lange, um in die Gänge zu kommen. Andererseits wogen seine Weisheit und Erfahrungen diese Schmerzen auf. Er hatte im Laufe der Jahre gelernt, dass der Geist die Materie beherrscht, auch wenn das ein abgegriffenes Klischee war. Und er hatte gelernt, seine Schmerzen auszublenden, was ihm sehr zugute kam, wenn er jüngere Männer führte, auf deren Schultern sich der Rucksack viel leichter anfühlte als auf den seinen. Das ganze Leben bestand aus Kompromissen, sagte er sich.

Sie bewegten sich jetzt seit zwei Tagen durch diese Hügel und bekamen nachts nur zwei bis drei Stunden Schlaf. Er gehörte zum Team für Spezialeinsätze des 75th Ranger Regiment, das fest in Fort Benning, Georgia, stationiert war. Dort hatten sie ein schönes Unteroffizierskasino, in dem es leckeres, frisch gezapftes Bier gab. Wenn er die Augen schloss und sich konzentrierte, konnte er das herbe Bier noch immer schmecken, doch dieser Augenblick verflog viel zu schnell wieder. Hier musste er immer, jede Sekunde einen klaren Kopf bewahren. Sie befanden sich 15 000 Fuß über dem Meeresspiegel, in den Bergen des Hindukusch, in dieser Steinwüste, die gleichzeitig zu Afghanistan und Pakistan gehörte – in den Augen der Einheimischen war das Gebiet Niemandsland.

Driscoll wusste, dass die auf den Karten verzeichneten Linien besonders in indischen Gebieten wie diesem nicht mit dem Grenzverlauf übereinstimmten. Hin und wieder kontrollierte er seine GPS-Geräte, um seine genaue Position festzustellen, doch im Grunde waren bei dieser Mission weder Breiten- noch Längengrade von Bedeutung. Wichtig war nur das Ziel, das sie anpeilten, unabhängig von den Koordinaten, anhand deren es auf der Landkarte verzeichnet war.

Die einheimische Bevölkerung verstand nicht viel von Landesgrenzen und schenkte ihnen allenfalls minimale Beachtung. Für die Einheimischen war nur von Bedeutung, welchem Volksstamm sie angehörten, in welche Familie sie geboren waren und welcher Spielart des muslimischen Glaubens sie anhingen. Hier hatten Erinnerungen hundert Jahre lang Bestand, Geschichten mehr als das – und die alten gehegten Feindseligkeiten noch viel länger. Die Einheimischen prahlten immer noch stolz damit, dass ihre Vorfahren Alexander den Großen aus ihrem Land vertrieben hatten, und manch einer konnte noch jederzeit die Namen aller Krieger auflisten, welche die bis dahin unbesiegbaren makedonischen Lanzenmänner das Fürchten gelehrt hatten. Am liebsten sprachen sie jedoch von den Russen und darüber, wie viele sie getötet hatten. Die meisten hatten sie aus dem Hinterhalt erschossen, andere Auge in Auge erstochen. Wenn sie sich diese Geschichten, diese beharrlich von Vätern an Söhne überlieferten Legenden grinsend erzählten, lachten sie aus vollem Halse. Driscoll war sich jedoch sicher, dass die russischen Soldaten, die Afghanistan überlebt hatten, über ihre Erfahrungen nicht lachen konnten. Nein, die Leute hier waren ganz und gar nicht nett, das war ihm klar. Sie waren erschreckend brutal. Wetter, Krieg und Hunger hatten sie abgehärtet, und sie versuchten einfach nur in einem Land zu überleben, das alles daranzusetzen schien, möglichst viele seiner Einwohner umzubringen. Driscoll wusste, er sollte für diese Menschen Mitleid empfinden. Gott hatte ihnen einfach übel mitgespielt, und daran trugen sie wahrscheinlich keine Schuld, aber Driscoll eben auch nicht, und außerdem ging ihn das alles nichts an. Sie waren schlicht Feinde seines Landes, dessen Machthaber ihm und seinen Männern den Marschbefehl gegeben hatten, und jetzt waren sie da. Das war alles und der einzige Grund, warum er in diesen gottverdammten Bergen herumkroch.

Ein weiterer Grund war dieser Bergrücken. Seit sie aus dieser Deltaversion des Boeing CH-47 Chinook gesprungen waren – übrigens der einzige zur Verfügung stehende Hubschrauber, der in dieser Höhe eingesetzt werden konnte –, waren sie bereits fünfzehn Kilometer über spitze Felsen und Geröll hinaufgestürmt.

Da … der Kamm. Noch fünfzig Meter.

Driscoll verlangsamte das Tempo. Er führte den Spähtrupp als Stabsunteroffizier (Senior NCO) an, während seine für solche Einsätze ausgebildeten Männer sich auf etwa hundert Meter hinter ihm verteilten. Alarmbereit ließen sie die Blicke nach rechts und links, nach oben und unten schweifen und hielten ihre M4-Sturmgewehre kampfbereit im Anschlag. Sie rechneten damit, dass auf dem Kamm Wachposten stationiert waren. Die Einheimischen hatten zwar keine militärische Ausbildung, aber sie waren keineswegs dumm. Darum führten die Ranger diese Operation in der Nacht durch – 01:44 zeigte seine Digitaluhr. Die dicken, hoch stehenden Wolken sorgten dafür, dass weder Mond noch Sterne sie beleuchten konnten. Ideales Wetter zum Jagen, dachte er.

Sein Augenmerk war mehr nach unten als nach oben gerichtet, denn er wollte jedes Geräusch vermeiden, das er mit den Füßen verursachen könnte. Ein einziger losgetretener Stein, der den Hang runterrollte, konnte sie alle verraten. Und das durfte nicht passieren. Damit wären die drei Tage und die fünfzehn Kilometer, die sie ihrem Ziel so nahe gebracht hatten, umsonst gewesen.

Noch zwanzig Meter zum Kamm. Sechzig Fuß.

Mit den Augen suchte er die Kammlinie nach einer Bewegung ab. Nichts. Noch ein paar Schritte, Augen nach links und rechts, seinen schallgedämpften Karabiner fest an die Brust gedrückt und im Anschlag, den Finger leicht auf dem Abzugsbügel ruhend, damit er sofort schussbereit war.

Außenstehenden wäre nur schwer zu erklären, wie schwierig und ermüdend dies alles war und wie viel Kraft es kostete – sehr viel mehr als ein normaler fünfzehn Kilometer langer Marsch durch Wälder. Und das alles in dem Bewusstsein, jederzeit auf jemanden stoßen zu können, der seinen Finger auf dem Abzug einer auf Dauerfeuer stehenden AK 47 Kalaschnikow hatte, um dir den Arsch zu vierteilen. Seine Männer würden sich um so jemanden kümmern, aber Driscoll wusste, dass ihm das auch nicht mehr helfen würde. Er tröstete sich damit, dass er das in solch einem Fall auch nicht mehr mitkriegen würde. Er hatte genug Feinde getötet, um zu wissen, wie das ging: Man machte gerade noch einen Schritt mit lauernden Augen und Ohren … und dann nichts mehr. Tot.

Driscoll wusste, welche Regeln hier draußen in den Badlands mitten in der Nacht herrschten: Langsam ist schnell. Langsame Bewegungen und vorsichtige Schritte. Das hatte ihn in all diesen Jahren am Leben erhalten.

Erst vor sechs Monaten hatte er bei der Endausscheidung der besten Spezialeinsatzteams als Dritter abgeschnitten. Eigentlich waren Driscoll und Captain Wilson als Team 21 eingeteilt worden. Aber dann war Wilson mit einem gebrochenen Bein angepisst worden. Er war eigentlich ein ziemlich guter Ranger, dachte Driscoll, aber ein gebrochenes Schienbein war nun mal ein gebrochenes Schienbein. Wenn ein Knochen brach, konnte man nicht viel tun. Ein gezerrter Muskel tat auch verdammt weh, aber der heilte schnell wieder. Ein gebrochener Knochen musste geschient werden und heilen, und das bedeutete, im Army-Krankenhaus mehrere Wochen auf dem Rücken zu liegen, bevor die Ärzte einem erlaubten, das Bein wieder zu belasten. Und dann musste man erst wieder gehen und später rennen lernen. Das konnte einem ganz schön auf die Eier gehen … In seiner Laufbahn hatte er bisher Glück gehabt. Ein verrenktes Fußgelenk, ein gebrochener kleiner Finger und ein Bluterguss der Hüfte hatten ihn nie länger als eine Woche außer Gefecht gesetzt. Kein Kratzer von einer Kugel oder einem Granatsplitter. Der Ranger-Gott hatte es gut mit ihm gemeint. Das stand fest.

Noch fünf Schritte …

Okay, geschafft … Der Wachposten stand genau da, wo er ihn erwartet hatte. Fünfundzwanzig Meter rechts von ihm. Es war naheliegend, dort einen Wachposten zu stationieren, aber dieser machte einen hundsmiserablen Job. Er saß gelangweilt herum und schaute halb eingeschlafen zurück. Wahrscheinlich zählte er die Minuten bis zu seiner Ablösung. Langeweile konnte einen umbringen, und diesem Typen sollte genau das in weniger als einer Minute passieren, auch wenn er es nicht mehr merken würde. Es sei denn, ich schieße daneben, dachte Driscoll, wohl wissend, dass er das nicht tun würde.

Er drehte sich ein letztes Mal um und suchte die Gegend durch sein PVS-17-Nachtsichtgerät ab. Keiner in der Nähe. Okay. Er ließ sich nieder, hob den Karabiner an seine rechte Schulter und zielte mit angehaltenem Atem auf das rechte Ohr des Wachpostens …

Rechts führte ein schmaler Pfad hinunter, und von dort hörte er plötzlich, wie Leder über einen Felsen schrappte.

Driscoll erstarrte.

Schnell checkte er in Gedanken, wo der Rest seines Teams war. War jemand da drüben? Nein. Sie waren alle hinter und rechts von ihm verteilt. Übertrieben langsam drehte er den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Durch seine Brille sah er nichts. Er senkte seinen Karabiner und hielt ihn diagonal über die Brust. Dann sah er nach links. Drei Meter entfernt kauerte Collins hinter einem Felsen. Driscoll gab ihm Zeichen: Geräusch von links, nimm zwei Männer mit. Collins nickte und zog sich im Krebsgang zurück. Driscoll tat dasselbe und legte sich zwischen zwei Büschen flach auf den Boden.

Von dem Pfad her ertönte jetzt ein anderes Geräusch: Flüssigkeit spritzte gegen einen Stein. Driscoll musste lächeln. Die Notdurft verlangte ihr Recht. Das Geräusch von Wasserlassen wurde schwächer und verstummte dann ganz. Schritte bewegten sich den Pfad herunter. Sieben Meter entfernt, schätzte Driscoll, hinter der Kurve.

Kurz darauf erschien eine Gestalt auf dem Weg. Sie bewegte sich langsam, fast träge. Durch seine Nachtsichtbrille konnte Driscoll sehen, dass sie eine AK 47 Kalaschnikow über der Schulter hängen hatte, deren Lauf nach unten gerichtet war. Der Wachmann kam immer näher. Driscoll rührte sich nicht. Fünf Meter … dann drei.

Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten und glitt hinter den Wachmann, über dessen Schulter erst eine Hand erschien und dann die Klinge eines Messers aufblitzte. Collins drehte den Mann nach rechts auf den Boden, wo ihre Schatten miteinander verschmolzen. Es dauerte einige Sekunden, bis Collins sich erhob, vom Weg abduckte und den Mann aus dem Blickfeld zog.

Ausschalten eines Wachpostens wie aus dem Lehrbuch, dachte Driscoll. Anders als in Filmen kam das Messer im wirklichen Leben eher selten zum Einsatz. Dennoch hatte Collins diese Kunst nicht verlernt.

Wenige Augenblicke später tauchte Collins wieder neben Driscoll auf. Dessen Aufmerksamkeit galt jetzt dem Wachposten oben auf dem Kamm. Der war noch da, hatte sich nicht bewegt. Driscoll brachte sein M4 wieder in Anschlag, zielte auf den Nacken des Mannes und legte seinen Finger an den Abzug.

Langsam, langsam … Druck an der Fingerkuppe steigern …

Plopp. Ein kaum zu hörendes Geräusch, jedenfalls nicht weiter als fünfzig Meter. Dennoch hatte die Kugel den Kopf des Ziels durchschlagen. Nach einem letzten Atemzug war der Mann auf dem Weg zu Allah oder zu welchem Gott auch immer. Ein etwas über zwanzigjähriges Wachsen, Essen, Lernen und wahrscheinlich auch Kämpfen hatte ohne Vorwarnung ein abruptes Ende genommen.

Die Zielperson brach zusammen und kippte seitwärts aus dem Blickfeld.

Pech für dich, Gomer, dachte Driscoll. Aber wir haben heute Nacht noch mehr vor.

»Wache ausgeschaltet«, sagte Driscoll ruhig in sein Funkgerät. »Der Kamm ist sauber. Kommt rauf. Macht keine Fehler.« Den Zusatz hätte er sich schenken können  – jedenfalls bei diesen Männern.

Er schaute zurück und sah, dass sie sich jetzt etwas schneller bewegten – gespannt, aber kontrolliert und kampfbereit. Das konnte er an ihrer Haltung erkennen und daran, dass sie keine Bewegung zu viel machten. Das unterschied wahre Schützen von den Angebern und Draufgängern, die nur darauf warteten, ins Zivilleben zurückzukehren.

Ihr eigentliches Ziel war jetzt vermutlich weniger als hundert Meter entfernt, und sie hatten die letzten drei Monate hart trainiert, um diesen Bastard beim Kanthaken zu kriegen. Diese Kletterei war für keinen ein Vergnügen, außer vielleicht für die paar Verrückten, die unbedingt den Mount Everest oder den K2 besteigen wollen. Wie auch immer, zu diesem Job gehörte es dazu, und alle hatten sich damit abgefunden. Langsam bewegten sie sich hangaufwärts.

Die fünfzehn Männer bildeten drei Teams mit je fünf Rangern. Ein Team musste mit seinen schweren Waffen hierbleiben. Sie hatten zwei M249 SAW Maschinengewehre, um ihnen Deckung zu geben, aber sie hatten keine Ahnung, auf wie viele böse Jungs sie stoßen würden, und die SAWs konnten für Ausgleich sorgen. Satelliten konnten ein Terrain nur begrenzt auskundschaften, und sie mussten vor Ort mit Überraschungen rechnen. Seine Männer suchten mit den Augen die Felsen nach kleinsten Bewegungen ab – und wenn nur einer der bösen Jungs Müll rausbrachte. In diesem Gestrüpp konnten sie zu neunzig Prozent davon ausgehen, dass jeder, dem sie begegneten, ein Böser war. Das machte den Job irgendwie einfacher, dachte Driscoll.

Jetzt pirschte er sich noch langsamer vorwärts. Sein Blick wanderte von seinen Füßen, wo er keinen Stein und Zweig übersehen durfte, nach vorn und wieder zurück … Auch das war eine Art von Weisheit, dachte er, dass er die Erregung unterdrücken konnte, die ihn so kurz vor dem Ziel packen wollte. Sie hatte schon viele Rekruten das Leben gekostet, wenn sie glaubten, so kurz vor dem Ziel das Schlimmste überstanden zu haben. Genau dann schlug der gute alte Murphy zu, der das sprichwörtliche Murphys Law entdeckt hatte. Er tippte dir auf die Schulter und bescherte dir eine hässliche Überraschung. Ahnungen und Erwartungen waren die tödliche Seite derselben Medaille. Beide konnten im falschen Moment dein Ende bedeuten.

Aber nicht dieses Mal. Nicht wenn ich die verdammte Verantwortung habe. Und nicht mit einem Team, das so gut war wie seines.

Die vor ihm sich abzeichnende Kammlinie war keine sieben Meter weit entfernt. Driscoll beugte sich katzenhaft vor und achtete darauf, dass sein Kopf unterhalb dieser Linie blieb, damit er nicht für einen wachsamen Gomer zur Zielscheibe wurde. Über die letzten Meter robbte er flach am Boden, bis er sich vorbeugen und mit der linken Hand auf einem Felsen abstützen konnte. Er hob den Kopf.

Und da war sie … die Höhle.

2

Treibstoff niedrig«, tut-tut, »Treibstoff niedrig«, warnte die Computerstimme. »Weiß ich doch, weiß ich«, knurrte der Pilot.

Natürlich hatte er alle wichtigen Informationen auf dem CRT-Monitor seines Instrumentensystems. Schon vor einer Viertelstunde hatte die Hauptwarnlampe des Bordcomputers zu blinken begonnen. Vor zehn Minuten hatten sie die kanadische Küste überflogen und hatten nun eine Landschaft unter sich, die, bei Tageslicht betrachtet, mit grünen Feldern und verkrüppelten Bäumen bedeckt war. Falls er die Navigation nicht völlig vermasselt hatte, würden sie bald das erste Licht der Dämmerung sehen. Jedenfalls flogen sie jetzt mit »trockenen Füßen«, also über Land – was für eine Erleichterung!

Der Wind über dem Nordatlantik war stärker gewesen als erwartet. Um diese Zeit ging der größte Teil des Nachtflugverkehrs Richtung Osten, und die anderen Flugzeuge hatten sehr viel mehr Treibstoff in ihren Tanks als eine Dassault Falcon 9000. Jetzt hatten sie nur noch Treibstoff für zwanzig Minuten. Nur zehn Minuten mehr, als sie brauchten. Die angezeigte Fluggeschwindigkeit betrug knapp über 500 Knoten, die Flughöhe 25 000 Fuß, und sie waren im Sinkflug.

»Gander Control«, sagte er in das Funkmikrofon, »hier ist Hotel null-neun-sieben Mike Foxtrot, Landeanflug zum Auftanken, over.«

»Mike Foxtrot«, kam die Antwort, »hier ist Gander. Schwach windig. Piste zwo-neun für normalen Anflug.«

»Schwach windig?«, murmelte der Kopilot. »Verdammt.« Sie waren gerade durch einen mehr als hundert Knoten schnellen Wind geflogen, so heftig wie ein Jetstream, der sie drei Stunden lang durchgeschüttelt hatte, was zwar auf 41000 Fuß Höhe nicht mehr so schlimm, aber doch spürbar gewesen war. »Dieser Flug übers Wasser reicht mir für eine Weile.«

»Vor allem«, meinte der Pilot, »wenn der Wind so stark ist, dass die Abgase fast wieder als Treibstoff in die Motoren zurückgeblasen werden.«

»Ist alles klar mit dem Zoll?«

»Denke schon. Wir haben den CANPASS, und wir haben die Flugfreigabe für Moose Jaw. Machst du das Immigrationszeug?«

»Ja, okay.« Beide wussten natürlich, dass es keineswegs okay war, denn von Gander bis zu ihrem letzten Ziel würde ihr Flug ein wenig irregulär sein. Nun gut, dafür wurden sie schließlich bezahlt. Und der Euro-Dollar-Wechselkurs würde sich für sie ebenfalls günstig auswirken. Vor allem in kanadischen Dollars.

»Ich sehe die Lichter. Fünf Minuten bis zur Landung«, sagte der Kopilot.

»Roger. Landebahn in Sicht«, sagte der Pilot. »Landeklappen.«

»Landeklappen gehen auf zehn.« Der Kopilot drückte auf die Knöpfe an der Instrumententafel, und sie hörten das Surren der Elektromotoren, die die Landeklappen ausfuhren. »Soll ich die Passagiere aufwecken?«

»Nein«, entschied der Pilot. »Wozu?« Wenn er seinen Job ordentlich machte, würden sie nichts bemerken, bis die Maschine wieder beim Start beschleunigte. Er hatte sich seine Sporen verdient und hatte sich nach 20000 Flugstunden bei der Schweizer Fluggesellschaft Swiss pensionieren lassen. Dann hatte er eine eigene Dassault Falcon gekauft und flog nun Millionäre und Milliardäre durch ganz Europa und um den Globus. Die meisten Leute, die sich seine Dienste leisten konnten, flogen immer zu denselben Zielen – Monaco, Harbor Island auf den Bahamas, Saint-Tropez, Aspen. Dass seine derzeitigen Passagiere zu keinem dieser Orte flogen, war zwar ein wenig seltsam, aber wenn man ihn ordentlich bezahlte, waren ihm ihre Reiseziele egal.

Sie gingen weiter hinunter, kamen auf 10000 Fuß. Die Landebahnlichter waren klar zu sehen, eine gerade Gasse in der Dunkelheit. Hier war früher ein Geschwader F-84 Abfangjäger der United States Air Force stationiert gewesen.

Sie gingen auf 5000 Fuß und sanken noch weiter. »Landeklappen auf zwanzig.«

»Roger. Landeklappen auf zwanzig«, bestätigte der Kopilot.

»Fahrwerk«, befahl der Pilot, und der Kopilot betätigte den Schalter. Das Geräusch starker Luftströmungen drang in das Cockpit, als sich die Klappen der Fahrwerksschächte öffneten und die Streben herausfuhren. 300 Fuß.

»Ausgefahren und eingerastet«, meldete der Kopilot.

Der Pilot spannte kurz die Armmuskeln an, dann entspannte er sie wieder, steuerte die Maschine sanft, ganz sanft abwärts, suchte den richtigen Punkt für das Aufsetzen. Nur seine durchtrainierten Sinne nahmen es wahr, als die Falcon auf den Zehn-auf-zehn-Meter-Betonplatten aufsetzte, aus denen die Landebahn bestand. Er schaltete auf Gegenschub, und die Dassault wurde langsamer. Ein Leitfahrzeug mit blinkenden Lichtern wies ihn zu einer Stelle, an der bereits ein Tanklastwagen wartete.

Sie blieben insgesamt zwanzig Minuten lang auf dem Boden. Ein Zollbeamter befragte sie über Funk und konnte keine Abweichungen von ihren CANPASS-Daten feststellen. Währenddessen hängte draußen der Fahrer des Tanklastwagens die Zuleitung wieder vom Füllstutzen des Flugzeugs ab.

Okay, das haben wir hinter uns, dachte der Pilot. Auf zum zweiten Abschnitt unseres dreiteiligen Flugs.

Die Falcon rollte zum Nordende der Startbahn. Wie immer arbeiteten sie die Start-Checkliste ab und warteten auf die Startfreigabe. Eine gleichmäßige Beschleunigung, dann wurde das Fahrwerk wieder eingefahren, danach die Landeklappen, gefolgt vom Steigflug. Zehn Minuten später erreichten sie 37000 Fuß, die von der Flugleitstelle in Toronto vorgegebene Flughöhe.

Sie flogen mit Mach 0,81 nach Westen – ungefähr 520 Knoten oder 600 Meilen pro Stunde Fluggeschwindigkeit über Grund. Die Passagiere schliefen. Die Motoren schluckten gleichmäßig ihre 1900 Liter Treibstoff pro Stunde. Der Transponder meldete Geschwindigkeit und Flughöhe an die Radargeräte der Flugleitstelle, aber davon abgesehen gab es keinen Anlass für weiteren Funkkontakt. Bei schlechterem Wetter hätten sie vermutlich um eine andere – wahrscheinlich höhere – Flughöhe gebeten, damit der Flug ruhiger verlief, aber Gander Tower hatte recht behalten. Nachdem sie eine Kaltluftfront durchflogen hatten, die ihren Flug nach Neufundland gebremst hatte, hätte man den Eindruck gewinnen können, dass sich überhaupt nichts mehr bewegte, wäre nicht das gedämpfte Röhren der Düsentriebwerke hinten an der Maschine gewesen. Pilot und Kopilot redeten wenig. Sie hatten so viele gemeinsame Flugstunden hinter sich, dass sie sich alle Witze erzählt hatten, und auf einem derart ereignislosen Flug gab es ohnehin keinen Anlass für weitere Gespräche. Alles war genau durchgeplant, bis hin zum buchstäblichen letzten Komma. Beide überlegten, wie es wohl in Hawaii sein würde. Für jeden war eine Suite im Royal Hawaiian gebucht; sie konnten sich auf einen langen Schlaf freuen, um den unvermeidlichen Jetlag loszuwerden, der sich ganz bestimmt nach einem um zehn Stunden verlängerten Tag einstellen würde. Nun ja, gegen ein Nickerchen am sonnigen Strand hatten sie nichts einzuwenden, und die Wettervorhersage für Hawaii ließ so gleichmäßig perfektes Wetter erwarten, wie es dort die Regel war. Sie planten einen zweitägigen Aufenthalt, bevor sie wieder in Richtung Osten zu ihren heimatlichen Gefilden in der Nähe von Genf aufbrechen würden – ein Rückflug ohne Passagiere.

»Moose Jaw in vierzig Minuten«, meldete der Kopilot.

»Na, dann machen wir uns mal wieder an die Arbeit.«

Ihr Plan war einfach. Der Pilot schaltete das Hochfrequenz-Funkgerät ein – ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg – und rief Moose Jaw, kündigte den Flug und den Zeitpunkt des Landeanflugs sowie die geschätzte Landezeit an. Der Tower in Moose Jaw übernahm die Informationen von der zuständigen Bezirkskontrollstelle, dem Area Control Center in Toronto, und überprüfte die alphanumerischen Daten des Transponders auf den eigenen Monitoren.

Die Dassault verlor in einem vollkommen normalen Anflug an Höhe, wie auch das Kontrollzentrum in Toronto prompt bemerkte. Die Ortszeit war 03.04 – oder Zulu – 4.00, um es auch in der Greenwich Mean oder Universal Time auszudrücken, vier Stunden weiter östlich.

»Da ist sie«, verkündete der Kopilot. Die Landebahnlichter von Moose Jaw schimmerten aus der dunklen Landschaft herauf. »Höhe zwölftausend, sinkend, tausend pro Minute.«

»Transponder bereitmachen«, ordnete der Pilot an.

»Roger«, antwortete der Kopilot. Der Transponder war eine Spezialinstallation, die die Crew selbst vorgenommen hatte.

»Sechstausend Fuß. Landeklappen?«

»Lass sie«, befahl der Pilot.

»Roger. Landebahn in Sicht.« Der Himmel war klar, und die Landebahnlichter von Moose Jaw strahlten durch die wolkenlose Luft.

»Moose Jaw, hier ist Mike Foxtrot, over.«

»Mike Foxtrot, Moose Jaw, over.«

»Moose Jaw, unser Fahrgestell öffnet sich nicht. Bitte bereithalten. Over.« Diese Meldung ließ die Leute normalerweise munter werden.

»Roger. Melden Sie einen Notfall, over?«, erkundigte sich die Flugleitstelle sofort.

»Negativ, Moose Jaw. Wir überprüfen die Elektrik. Bitte bereithalten, over.«

»Roger, wir bleiben in Bereitschaft.« Nur ein Anflug von Besorgnis in der Stimme.

»Okay«, sagte der Pilot zu seinem Kopiloten, »auf tausend Fuß verschwinden wir aus ihrem Radar.« Das alles hatten sie natürlich gut geübt. »Höhe dreitausend und weiter sinkend.«

Der Pilot zog die Maschine leicht nach rechts. Damit zeigte sich auf dem Anflugradar in Moose Jaw eine Kursänderung, nichts Größeres, aber eben doch eine Veränderung. Bei weiterem Absinken der Flughöhe würde das vielleicht in den Radaraufzeichnungen interessant aussehen, falls sie jemand überprüfen sollte, was freilich zu bezweifeln war. Nur ein weiterer Punkt, verloren im Luftraum.

Zweitausend«, meldete der Kopilot. Auf der geringeren Flughöhe war die Luft ein wenig böiger, aber lange nicht so böig, wie es manchmal werden konnte. »Fünfzehnhundert. Sollten wir nicht die Sinkrate verringern?«

»In Ordnung.« Der Pilot schob das Steuerhorn ein wenig zurück und verringerte somit den Sinkwinkel, um auf 900 Fuß AGL, also Höhe über Grund, zu bleiben. Das war tief genug, um in den Bereich der Bodenechos von Moose Jaw zu gelangen. Obwohl die Dassault alles andere als unauffällig war, erkannten die meisten zivilen Luftkontrollradare vor allem die Transpondersignale, aber selten die vom Flugzeug reflektierten Radarsignale. In der kommerziellen Luftfahrt war ein Flugzeug auf dem Radarschirm nichts weiter als ein angenommenes Zeichen am Himmel.

»Mike Foxtrot, Moose Jaw, melden Sie Ihre Flughöhe, over.«

Das würden sie jetzt eine Weile so weitertreiben. Die Fluglotsen im Tower waren ungewöhnlich wachsam. Vielleicht sind wir zufällig mitten in eine ihrer Übungsstunden geflogen, dachte der Pilot. Schlecht, aber kein größeres Problem.

»Autopilot abgeschaltet. Handflug.«

»Pilot übernimmt«, antwortete der Kopilot.

»Okay, Schleife rechts. Transponder ausschalten«, ordnete der Pilot an.

Der Kopilot schaltete Transponder eins aus. »Abgeschaltet. Wir sind unsichtbar.« Jetzt wurde Moose Jaw erst richtig aufmerksam.

»Mike Foxtrot, Moose Jaw. Flughöhe melden, over«, befahl die Stimme, jetzt deutlich schärfer. Der Befehl wurde noch einmal wiederholt.

Die Falcon flog eine nördliche Schleife und ging dann auf Kurs zwo-zwo-fünf über. Die Landschaft war flach, und der Pilot überlegte kurz, ob er auf 500 Fuß hinuntergehen solle, entschied sich aber dagegen. Nicht nötig. Wie geplant war die Maschine soeben von den Radarschirmen von Moose Jaw verschwunden.

»Mike Foxtrot, Moose Jaw. Flughöhe melden, over!«

»Klingt ziemlich aufgeregt«, bemerkte der Kopilot.

»Kann ich gut verstehen.«

Der Transponder, den sie soeben ausgeschaltet hatten, stammte aus einem ganz anderen Flugzeug, das wahrscheinlich momentan in seinem Hangar in Söderhamn, Schweden, geparkt war. Dieser Flug kostete den Charterkunden 7000 Euro Zuschlag, aber die Flugcrew stammte aus der Schweiz und wusste, wie man Geld verdient, und schließlich flogen sie hier ja keine Drogen oder solches Zeug. Viel Geld oder nicht – diese Art von Ladung war es wirklich nicht wert.

Moose Jaw lag inzwischen vierzig Meilen hinter ihnen, und dem Doppler-Radar zufolge vergrößerte sich die Entfernung um sieben Meilen pro Minute. Der Pilot glich mit dem Steuerhorn den Seitenwind aus. Der Computer neben seinem rechten Knie würde die Abdrift berechnen, und der Computer kannte die Strecke genau, die sie fliegen wollten.

Oder jedenfalls einen Teil der Strecke.

3

Es sah nicht so aus wie auf den Satellitenbildern – das war immer so –, aber hier waren sie jedenfalls richtig, das stand fest. Er fühlte, wie seine Erschöpfung konzentrierter Erwartung wich.

Vor zehn Wochen hatte ein CIA-Satellit hier einen Funkspruch mitgehört, und ein zweiter hatte ein Bild gemacht, das Driscoll jetzt in der Tasche hatte. Sie waren am Ziel, kein Zweifel. Eine dreieckige Felsformation über der Höhle diente als Identifikationsmerkmal. Sie war keine Dekoration, obwohl sie ziemlich künstlich aussah, sondern war von abschmelzenden Gletschern geformt worden, die sich vor Gott weiß wie vielen Jahrtausenden ihren Weg durch dieses Tal gefräst hatten. Wahrscheinlich hatten dieselben Schmelzwasserströme, die das Dreieck ausgehöhlt hatten, auch zur Bildung der Höhle beigetragen. Wie auch immer Höhlen entstanden, Driscoll wusste es nicht, und es war ihm auch ziemlich egal. Manche von den Höhlen waren ziemlich tief, mehrere Hundert Meter, perfekte Verstecke. Aber aus dieser hier war ein Funksignal gekommen. Das machte sie zu etwas Besonderem. Washington und Langley hatten über eine Woche gebraucht, um diesen Ort zu lokalisieren, aber sie waren auch sehr vorsichtig dabei gewesen. Kaum jemand wusste auch nur von dieser Mission – insgesamt weniger als dreißig Personen, und die meisten saßen in Fort Benning. Wo es das Unteroffizierskasino gab. Wohin er und sein Team in weniger als 48 Stunden zurückkehren würden. Wenn Gott es wollte – inschallah, wie die Menschen hier sagten. Nicht ihre Religion, aber das Gefühl konnte er nachvollziehen. Driscoll war Methodist, obwohl ihn das nicht hinderte, dann und wann ein Bier zu trinken. Doch vor allem war er Soldat.

Okay, wie fangen wir’s an?, fragte er sich selbst. Hart und schnell, natürlich, aber was hieß das hier? Er hatte ein halbes Dutzend Granaten bei sich, drei richtige und drei M84-Blendgranaten. Letztere hatten eine Plastikstatt einer Stahlhülle, die mit einem extremen Knall und einem gleißenden Blitz explodierte. Eine Magnesium-Ammoniumnitrat-Mischung ließ jäh die Sonne aufgehen und blendete und verwirrte jeden Menschen in der Umgebung. Auch die Chemie und Physik dieser Dinger interessierte ihn eigentlich nicht. Sie funktionierten einwandfrei, darauf kam es an.

Bei den Rangern wurde nicht fair gekämpft. Sie standen hier im Kampf und traten nicht bei der Olympiade an. Wenn einer von den bösen Jungs überlebte, gaben sie ihm vielleicht Erste Hilfe, aber mehr auch nicht, und auch das nur, weil Überlebende meistens ein bisschen gesprächiger waren als Tote. Driscoll spähte wieder zum Höhleneingang hinüber. Genau dort hatte ein Mensch gestanden, um seinen Anruf über Satellitentelefon zu machen, ein RHYTHM-Spionagesatellit hatte mitgehört, ein KEYHOLE-Satellit hatte die Quelle lokalisiert, und ihre Mission war von SOCOM selbst genehmigt. Er stand reglos neben einem Felsblock, dicht genug, dass seine Silhouette mit ihm verschmolz. Drinnen war keine Bewegung zu erkennen. Das überraschte ihn nicht – selbst Terroristen mussten mal schlafen. Und das kam ihm zupass. Sehr sogar. Noch zehn Meter. Seine Bewegungen wären jedem, der nicht wusste, was er vorhatte, komisch vorgekommen, ein übertriebener Storchengang; er setzte die Füße gerade von oben her auf, um keine Steine loszutreten. Dann war er da. Runter auf ein Knie und ein Blick nach drinnen. Dann ein schneller Blick zurück, um sicherzugehen, dass der Rest des Teams nicht zu sehr aufrückte. Nicht zu befürchten. Trotzdem hatte Driscoll ein warnendes Flattern im Magen. Oder war das Angst? Angst davor, Mist zu bauen, Angst, die Geschichte zu wiederholen. Angst, die eigenen Leute in den Tod zu führen.

Vor einem Jahr hatte Captain Wilsons Vorgänger, ein grüner Second Lieutenant, eine Mission geplant – eigentlich eine ganz einfache Jagd auf Aufständische am Südufer der Tigris-Talsperre nördlich von Mosul –, und Driscoll hatte mitgemacht. Das Problem war, dass der junge Offizier mehr daran interessiert war, mit seinem Bericht Ruhm zu ernten, als an die Sicherheit seiner Ranger zu denken. Gegen Driscolls Rat und obwohl es dunkel wurde, hatte er das Team aufgeteilt, um einen Bunkerkomplex an den Flanken zu umgehen, aber wie das bei Schlachtplänen so ist, auch dieser hastig umgeschriebene erwies sich beim ersten Feindkontakt als hirnverbrannt. Sie liefen Ex-Soldaten aus Saddams Army in Kompaniestärke in die Arme, die den Stoßtrupp des jungen Lieutenant umzingelten und abschlachteten, bevor sie sich Driscoll und seinen Männern zuwandten. Der Rückzugskampf hatte fast die ganze Nacht gedauert, bis Driscoll mit drei anderen endlich über den Tigris zurück und in die Nähe eines Stützpunkts gelangt war.

Driscoll hatte von Anfang an gewusst, dass der Plan des Lieutenant in einer Katastrophe enden würde. Aber hatte er sich entschieden genug gegen den Vorstoß ausgesprochen? Wenn er energischer argumentiert hätte … tja. Das war die Frage, die ihn während des vergangenen Jahres beschäftigt hatte. Und jetzt war er wieder im Indianerland, aber diesmal waren alle Entscheidungen – gute, schlechte, katastrophale – seine eigenen.

Bleib am Ball, ermahnte er sich. Konzentrier dich.

Ein weiterer Schritt vorwärts. Immer noch nichts zu sehen. Die Paschtunen waren wirklich zäh – sogar verdammt zäh, wie Driscoll gelernt hatte –, aber ihre ganze Ausbildung bestand im Zielen und Abdrücken. Im Höhleneingang hätte noch jemand stehen und die Wachen beaufsichtigen müssen. In der Nähe lagen ein paar Zigarettenkippen. Vielleicht war die Wache ja Zigaretten holen gegangen. Rauchen ist ungesund, Gomer, dachte Driscoll. Vor allem im Gefecht. Langsam, vorsichtig, schob er sich in die Höhle. Sein Nachtsichtgerät war jetzt von unschätzbarem Wert. Die Höhle verlief etwa fünfzehn Meter geradeaus; die Wände waren rau, der Querschnitt ungefähr oval. Kein Licht, nicht einmal eine Kerze, aber voraus kam eine Rechtskurve, also war er weiterhin auf Licht gefasst. Kein Schutt auf dem Höhlenboden. Das sagte dem Sergeant einiges: Hier wohnte jemand. Die Informationen stimmten also. O Wunder, dachte Driscoll. Meistens führten diese Jagdausflüge nur zu leeren Höhlen und aufgegebenen Verstecken, an denen die Ranger ihren Frust nicht auslassen konnten.

Vielleicht ist es sogar die richtige Höhle? Solche Gedanken gestattete er sich nicht oft. Das wäre doch mal was, schoss es Driscoll durch den Kopf. Wichtige Beute hier drin. Er schob den Gedanken beiseite. Die Wichtigkeit der Beute änderte nichts an der Art, wie man seinen Job erledigte.

Seine Stiefel hatten flexible Sohlen. Besser für die Füße, aber hauptsächlich, weil sie lautlos waren. Er zog sein M4 dichter an die Schulter. Den Rucksack hatte er draußen gelassen. In der Höhle lieber kein sperriges Gepäck. Driscoll war nicht besonders groß. Mit seinen 1,80 Meter wog er knapp über achtzig Kilo, war schlank und durchtrainiert, die blauen Augen gerade nach vorn gerichtet. Wenige Meter hinter ihm folgten zwei Soldaten, die zwar seinen Atem über ihre Funkgeräte hörten, aber kein Wort. Er gab nur kurze, codierte Handzeichen.

Bewegung. Jemand kam in ihre Richtung.

Driscoll fiel auf ein Knie.

Schritte näherten sich. Driscoll hielt die linke Faust hoch und sagte den anderen damit »Runter!«, während er das Sturmgewehr hochnahm. Es waren lässige Schritte; wachsame klangen für sein trainiertes Gehör anders. Der Mann war hier zu Hause und fühlte sich sicher. Sein Pech. Hinter ihm knirschten Kiesel, und Driscoll wusste, warum; ihm war auch schon der Stiefel weggerutscht. Er erstarrte. Um die Ecke hielten die Schritte an. Zehn Sekunden vergingen, dann zwanzig. Volle dreißig Sekunden lang bewegte sich nichts. Dann gingen die Schritte weiter. Immer noch lässig.

Driscoll brachte das M4 in Anschlag und lief um die Ecke, und da war der Gomer. Einen Augenblick später hatte er zwei Kugeln in der Brust und eine dritte in der Stirn und ging ohne einen Laut zu Boden. Er war älter als der draußen, vielleicht fünfundzwanzig, wenn auch mit einem sehr erwachsenen Bart, wie Driscoll sah. Pech für dich. Driscoll arbeitete sich weiter voran, an der Leiche vorbei und um die Rechtskurve. Dann wartete er, damit seine Teamkameraden aufholen konnten. Voraus konnte er etwa sechs Meter weit sehen. Es war nichts zu erkennen. Weiter. Wie weit ging diese Höhle? Im Moment noch nicht zu sagen. Er fasste sein M4 fester.

Dann ein Licht vor ihm. Es flackerte. Wahrscheinlich Kerzen. Vielleicht brauchten die Gomer ja ein Nachtlicht wie Driscolls kleine Kinder. Immer noch kein Gerümpel auf dem Höhlenboden. Jemand hatte hier aufgeräumt. Warum?, fragte Driscoll sich. Wie lange war das her?

Er schob sich weiter voran.

Die nächste Biegung wandte sich nach links, eine weite, flache Kurve im Kalksteinfels, und dahinter dann eine Menge Licht – vergleichsweise. Ohne das Nachtsichtgerät wäre es höchstens ein Glimmen gewesen.

Da hörte er das Geräusch. Schnarchen. Gar nicht weit voraus. Driscoll wurde noch langsamer. Zeit zur Vorsicht. Er näherte sich der Biegung, Waffe nach vorn, spähte langsam, sehr langsam um die Ecke.

Da. Danach hatte er gesucht. Bauholz. Rohe, unbehandelte 2-mal-4-Zoll-Pfosten, und die wuchsen nicht aus dem Boden. Jemand hatte sie aus der Zivilisation hierhergebracht, und dieser Jemand hatte sie auch zurechtgesägt.

Ganz klar wohnte hier jemand, das war nicht nur ein vorübergehendes Versteck. Das war ein verdammt gutes Zeichen für diese Höhle.

Langsam spürte er die Erregung, er konnte ein Kribbeln im Bauch fühlen. Das passierte First Sergeant (E-8) Sam Driscoll nicht oft. Mit der linken Hand winkte er seinen Kameraden. Sie schlossen bis auf drei Meter auf und folgten ihm.

Doppelstockbetten. Dafür war das Bauholz. Er konnte acht Stück erkennen, alle belegt. Sechs Betten, sechs Gomer. Einer hatte anscheinend sogar eine Matratze, eine aufblasbare Luftmatratze, wie man sie bei Gander Mountain bekam. Auf dem Boden stand eine Fußluftpumpe. Wer immer der Schläfer war – er lag gern bequem.

Okay. Was jetzt?, fragte er sich selbst. Er war nicht oft ratlos, und meistens beriet er in einer solchen Lage sogar den Kompaniechef, aber Captain Wilson saß auf einem Hügel 15 Kilometer hinter ihnen fest. Dadurch war Driscoll zum Befehlshaber geworden, und das war plötzlich ein sehr einsamer Posten. Am schlimmsten war, dass hier nicht mal der letzte Raum war. Diese Höhle ging immer weiter. Man konnte nicht sagen, wie weit. Scheiße.

Zurück an die Arbeit.

Er schob sich voran. Seine Befehle waren ziemlich einfach, und zu diesem Zweck hatte er einen Schalldämpfer für die Pistole, die er jetzt aus dem Stoffholster zog. Er hielt dem ersten Schlafenden die Beretta an den Kopf und drückte ab. Der Schalldämpfer funktionierte; das Ladegeräusch der Pistole war viel lauter als der Schussknall. Er hörte sogar das harmlose Tinkeln, mit dem die Messinghülse auf dem Boden aufschlug, ein Geräusch wie von einem Spielzeug. Wovon immer der Mann geträumt hatte, jetzt war es Wirklichkeit geworden. Die Schläfer in den anderen Betten folgten ihm nach.

Driscoll dachte kurz daran, dass das, was er gerade tat, im Zivilleben eindeutig Mord gewesen wäre, aber das war nicht sein Problem. Diese Männer hier hatten sich Leuten angeschlossen, die seinem Land den Krieg erklärt hatten, und es war ihr verdammtes Pech, wenn sie ihr Quartier nicht ordentlich bewachten. Schlamperei hatte Konsequenzen, im Krieg gab es Regeln, und man musste es büßen, wenn man sich nicht an sie hielt. Innerhalb von drei Sekunden waren die anderen Männer erledigt. Vielleicht bekamen sie ja ihre Jungfrauen. Driscoll hatte keine Ahnung. Es war ihm auch ziemlich egal. Neun böse Buben hatten sie erledigt. Er ging weiter. Hinter ihm folgten zwei Ranger, dicht, aber nicht zu dicht, einer mit erhobener Pistole, der andere mit dem M4 als Feuerschutz, ganz nach Vorschrift. Die Höhle verlief nun wieder nach rechts. Driscoll nahm sich Zeit, kurz durchzuatmen, dann ging er weiter. Noch mehr Betten, sah er. Zwei Stück.

Aber niemand schlief darin. Die Höhle war noch nicht zu Ende. Er war schon in einigen solcher Höhlen gewesen. Ein paar waren drei- oder vierhundert Meter lang gewesen. Die meisten aber nicht, einige waren auch nur bessere Wandschränke, aber so eine war das hier gewiss nicht. Einige, in Afghanistan, sollten angeblich unendlich sein. Die Russen hatten sie nicht einnehmen können, obwohl sie alle Mittel bis hin zum Fluten mit Dieselöl und Anzünden eingesetzt hatten. Vielleicht wäre Benzin hier besser, dachte Driscoll. Oder Sprengstoff. Die Afghanen waren zäh, und die meisten hatten keine Angst vor dem Tod. Driscoll hatte nie zuvor mit solchen Menschen zu tun gehabt, bevor er in diesen Teil der Welt gekommen war. Aber sie starben auch, wie jeder andere Mensch, und mit ihnen die Probleme, die sie verursachten.

Eins nach dem anderen. Hinter sich hatte er neun Tote, alles Männer, alle unter dreißig, wahrscheinlich zu jung für nützliche Informationen, und in Gitmo gab es schon genug wertlose Gefangene. Wären sie über dreißig gewesen, wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, sie am Leben zu lassen, damit der Geheimdienst mit ihnen reden konnte. Aber sie waren alle zu jung gewesen, und jetzt waren sie tot.

Zurück an die Arbeit.

Hier war nichts weiter zu sehen. Aber voraus war immer noch ein schwacher Lichtschimmer. Vielleicht noch eine Kerze. Vor jedem Schritt schaute er nach unten, um nicht gegen einen Stein zu treten. Lärm war im Moment sein gefährlichster Feind, besonders an einem Ort wie diesem. Lärm weckte Leute auf, und hier hallte es ziemlich. Er war froh über die weichen Sohlen seiner Stiefel. Die nächste Biegung, wieder nach links, war schärfer. Zeit, langsamer zu werden. Eine scharfe Kurve bedeutete einen Wachposten. Langsam, langsam. Vier Meter. Vorsichtig. Als ob er sich ins Babyzimmer schlich, um seinen Kleinen beim Schlafen zuzusehen. Aber hier wartete womöglich ein Erwachsener hinter der Ecke, Gewehr in der Hand, halb schlafend. Driscoll hielt immer noch die Pistole in beiden Händen, den Schalldämpfer aufgeschraubt. Noch neun Schuss, einer im Lauf und acht im Magazin. Er blieb stehen und drehte sich um. Die beiden anderen Ranger waren noch da, Augen auf ihn gerichtet. Nicht ängstlich, aber angespannt und konzentriert. Tait und Young, zwei Sergeants aus der Kompanie Delta, 2. Bataillon, 75th Ranger Regiment. Echte Profis wie er selbst, die beide ihre Zukunft in der Army sahen.

Konzentrier dich. Das war manchmal gar nicht so einfach. Wenige Meter bis zur Ecke. Eine scharfe Kurve. Driscoll schob sich heran … und steckte seinen Kopf um die Ecke. Jemand war in der Nähe. Ein Afghane, oder jedenfalls irgendein Gomer, saß auf einem … Stuhl? Nein, eher einem Felsblock. Der hier war älter, als er erwartet hatte. Vielleicht dreißig. Er saß einfach da, nicht ganz schlafend, aber auch nicht wach. Eine Art Halbschlaf, auf jeden Fall war er nicht wachsam. Der Mann hatte eine Waffe, eine AK 47, vielleicht anderthalb Meter von seinen Händen entfernt an einen Stein gelehnt. Nahe, aber nicht nahe genug, um sie in einem echten Notfall zu erreichen, wie er ihn jetzt gleich erleben würde.

Driscoll näherte sich lautlos, wieder mit diesem übertrieben wirkenden Staksen, erreichte den Mann, und – schlug ihn auf die rechte Schläfe. Vielleicht hatte ihn der Schlag umgebracht, wahrscheinlich aber nicht. Driscoll holte Kabelbinder-Handfesseln aus der Tasche seiner Kampfjacke. Der hier war wahrscheinlich alt genug, dass sich die Geheimdienstleute für ihn interessierten, und würde wohl in Gitmo landen. Er würde ihn Tait und Young übergeben, damit sie ihn für den Transport einwickelten. Er machte Tait auf sich aufmerksam, zeigte auf den Bewusstlosen und ließ seinen Zeigefinger kreisen: Packt ihn ein. Tait nickte.

Noch eine Biegung, fünf Meter entfernt, nach rechts, und das Licht flackerte.

Noch zwei Meter, dann rechts.

Driscoll blieb konzentriert. Langsame, vorsichtige Schritte, die Waffe fest gepackt.

Die nächste Kammer, etwa zehn mal zehn Meter, war die letzte. Er war jetzt vielleicht siebzig Meter weit vorgedrungen. Tief genug. Diese Höhle war wahrscheinlich für einen von den Wichtigen eingerichtet worden. Vielleicht sogar für den Wichtigsten? In drei Minuten würde er es wissen. Solche Gedanken gestattete er sich nicht oft. Aber das war letztlich der Grund für diese Mission. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Deswegen war Driscoll ein Special Operations Ranger. Vorwärts, langsam. Er hob hinter sich die Hand.

Es war jetzt so dunkel, dass sein Nachtsichtgerät genauso viel Grundrauschen wie Bildinformationen anzeigte. Eine Art Popcorn flitzte und flackerte durch sein Blickfeld. Er schob sich bis an die Biegung vor und spähte um die Ecke. Da lag jemand. Daneben lehnte eine AK 47 in Reichweite, fertig geladen mit einem Plastikmagazin. Der Mann schien zu schlafen, aber in dieser Hinsicht waren sie gute Soldaten: Sie schliefen nie so tief wie Zivilisten, sondern blieben dicht an der Grenze zum Aufwachen. Und den hier wollte er lebendig haben. Er hatte zwar bis jetzt schon einige Leute umgebracht, sogar erst in den letzten zehn Minuten, aber den hier wollten sie lebend … Wenn möglich …

Okay. Driscoll nahm seine Pistole in die rechte Hand und zog mit der linken eine Blendgranate aus dem Brustgurt. Tait und Young sahen das und erstarrten. Die Höhle würde sich gleich verändern. Driscoll hielt einen Finger hoch. Tait zeigte seinem Vorgesetzten den hochgestreckten Daumen: alles klar. Time to rock and roll. Die Gomer würden gleich ihren Weckruf bekommen. Tait sah sich um. Eine kleine Kerze sorgte für gerade genug Licht in der Kammer. Driscoll trat einen oder zwei Schritt zurück, klappte das Nachtsichtgerät hoch und zog den Sicherungsstift aus der Blendgranate. Er ließ den Sicherungsbügel los, wartete einen Herzschlag lang, dann warf er und zählte, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig …

Es klang wie das Ende der Welt. Die zehn Gramm Magnesiumpulver flammten auf wie die Mittagssonne, nur heller. Und der Lärm. Der Knall hörte und fühlte sich wie das Ende der Welt an, ein Krachen, das den Schlaf des Gomer jäh beendete. Dann ging Driscoll rein. Ihn hatte die Explosion nicht betäubt. Er hatte sie erwartet, sich die Ohren zugehalten und die Augen geschlossen, um den Blitz zu dämpfen. Der Gomer war schutzlos gewesen. Seine Ohren waren überwältigt, und das schadete seinem Gleichgewichtssinn. Er griff nicht einmal nach seiner Waffe – aber Driscoll hatte sie schon beiseitegetreten, und einen Augenblick später hielt er seine Pistole dem Gomer genau ins Gesicht. Der hatte keine Chance auf Widerstand, und genau das hatte Driscoll beabsichtigt.

Da sah er, dass er den Falschen erwischt hatte. Der Mann hatte zwar einen Bart, war aber noch lange keine vierzig Jahre alt, sondern erst Anfang dreißig. Der falsche Gomer war sein erster Gedanke, gefolgt von Scheiße. Das Gesicht spiegelte totale Verwirrung und Schock. Der Mann schüttelte den Kopf, versuchte sein Gehirn in Gang zu bekommen, aber auch wenn er jung und zäh war, für diese Situation war er nicht schnell genug.

An der Rückwand der Kammer nahm Driscoll eine Bewegung wahr, einen gebückten Schatten, der an der Wand entlangglitt. Er bewegte sich nicht auf sie zu, sondern in eine andere Richtung. Driscoll steckte die Pistole weg, drehte sich zu Tait und zeigte auf den Gomer am Boden – Handschellen anlegen –, dann klappte er das Nachtsichtgerät wieder herunter und nahm den Schatten ins Visier des M4. Noch ein Gomer mit Bart. Driscolls Finger legte sich an den Abzug, aber er wartete neugierig ab. Drei Meter hinter dem Mann lehnte eine AK 47 immer noch an der Wand, wo er sie stehen gelassen hatte. Nach der Explosion der Blendgranate hatte er erkannt, dass die Kacke am Dampfen war, und nun versuchte er zu fliehen, dachte Driscoll. Er zog das Visier ein Stück vor, vielleicht würde er ihm einen Ausgang zeigen … Da, ein Alkoven in der Felswand, vielleicht anderthalb Meter breit. Er richtete das Visier wieder zurück auf den Gomer und sah, dass der eine Granate in der rechten Hand hielt. Es war eine 40-Millimeter-Gewehrgranate für ein RPG-7, die von den Einheimischen gern auch als Handgranaten benutzt wurden.

Nicht so schnell, Kumpel, dachte Driscoll und zielte mit dem M4 auf das Ohr des Mannes. Der schwang in diesem Moment den Arm für einen Rollwurf zurück. Driscolls 5,56-mm-Kugel drang genau über seinem Ohr und direkt hinter dem Auge ein. Der Kopf wurde zur Seite geschleudert, und er brach zusammen, aber die Granate flog schon auf den Alkoven zu.

»Granate!«, schrie Driscoll und warf sich zu Boden.

Rumms!

Driscoll sah auf und blickte sich um. »Abzählen!«

»Okay«, antwortete Tait, unmittelbar gefolgt von Young und den anderen.

Die Granate war von der Wand zurückgeprallt und wieder aus dem Alkoven hinausgerollt, vor dem sie einen Krater von der Größe eines halben Medizinballs in den Boden gerissen hatte.

Driscoll nahm das Nachtsichtgerät ab, schaltete seine Taschenlampe ein und leuchtete damit umher. Das hier war der Kommandobereich der Höhle. Eine Menge Bücherregale, sogar ein Teppich auf dem Höhlenboden. Die meisten Afghanen, auf die sie trafen, waren halbe Analphabeten, aber hier gab es Bücher und Zeitschriften, ein paar sogar auf Englisch. Auf einem Regalbrett mehrere schön in Leder gebundene Bände. Besonders einer … Grünes Leder mit Goldprägung. Driscoll schlug ihn auf. Ein kostbares Werk – nicht gedruckt, sondern eine echte Handschrift, von einem Schreiber vor vielen Jahren in vielfarbigen Tinten kalligrafiert. Dieses Buch war alt, wirklich alt. Anscheinend auf Arabisch, handgeschrieben und mit Blattgold geschmückt. Das musste ein Exemplar des Korans sein, und sein Alter oder Wert waren kaum zu schätzen. Aber Wert hatte er. Driscoll nahm ihn mit. Irgendjemand vom Geheimdienst würde sich dafür interessieren. In Kabul gab es einige Saudis, hohe Offiziere, als Berater für die Special-Operations-Leute und die Militärgeheimdienste.

»Okay, Peterson, wir sind fertig. Ruf an und lass uns abholen«, funkte Driscoll an seinen Kommunikationsmann. »Ziel gesichert. Neun Tangos erledigt, zwei Gefangene. Eigene Verluste: keine.«

»Aber nichts unter dem Weihnachtsbaum, Santa«, meinte Sergeant Young ruhig. »Verdammt, das hier hätte die richtige Höhle sein können. Ich hatte ein gutes Gefühl.« Der nächste blinde Alarm für die Special Operations. Davon hatten sie mehr als genug, aber so war das eben bei den Sondereinsatzkommandos.

»Ich auch. Wie heißt du, Gomer?«, fragte Driscoll Taits Gefangenen. Keine Antwort. Die Blendgranate hatte diesem Halunken tatsächlich die Gyroskope ordentlich durcheinandergebracht. Er verstand noch nicht, dass es viel schlimmer hätte kommen können, sehr viel schlimmer. Andererseits, wenn ihn die Verhörspezialisten erst einmal in der Mache hatten …

»Okay, Jungs, räumen wir die Bude aus. Sucht besonders nach Computern und Elektronikzeug. Nehmt es auseinander. Wenn etwas interessant aussieht, nehmt es mit. Holt jemanden, der unseren Freund hier einpackt.«

Für diese Mission stand ein Chinook in Alarmbereitschaft, und in einer Stunde konnte der Mann schon an Bord des Hubschraubers sein. Er wäre jetzt verdammt gern im Unteroffizierskasino von Fort Benning gewesen und hätte ein Glas Sam Adams getrunken, aber das musste wohl noch ein paar Tage warten.

DIE HÖHLE

Während der Rest seines Teams eine Wache vor dem Höhleneingang postierte, durchsuchten Young und Tait den Eingangstunnel und fanden ein paar nette Sachen, Landkarten und Ähnliches, aber nichts, was nach einem Jackpot aussah. Das war aber immer so bei diesem Zeug. Die Leute vom Geheimdienst mochten Weicheier sein, aber sie konnten aus einer Walnuss einen Nusskuchen machen. Ein Fetzen Papier, ein handgeschriebener Koran, eine Strichzeichnung in lila Buntstift – die Geheimdienstler zauberten manchmal unheimlich viel aus so etwas, deshalb nahm Driscoll möglichst alles mit. Ihre Zielperson war nicht hier gewesen, und das war eine verdammte Schande, aber vielleicht führte das Zeug, das die Gomer zurückgelassen hatten, zu etwas anderem, das dann wieder zu etwas richtig Gutem führte. So funktionierte das, obwohl sich Driscoll nicht viel mit solchen Sachen befasste. Das war oberhalb seiner Gehaltsstufe und außerhalb seiner MOS (military occupational specialty), seines Fachgebiets. Er und seine Ranger führten die Mission durch, über Wie, Was und Warum sollten sich andere den Kopf zerbrechen.

Driscoll ging nach hinten in die Höhle zurück und leuchtete mit seiner Taschenlampe herum, bis er in den Alkoven kam, den der Gomer unbedingt hatte sprengen wollen. Er war ungefähr so groß wie ein begehbarer Wandschrank, sah er jetzt, vielleicht ein bisschen größer und mit niedriger Decke. Er hockte sich hin und schob sich ein oder zwei Meter tief hinein.

»Was gibt’s da drin?«, fragte Tait, der dazukam.

Die Originalausgabe DEAD OR ALIVE erschien bei G. P. Putnam’s Sons, New York

2. Auflage Vollständige deutsche Taschenbuchausgabe 08/2012 Copyright © 2010 by Rubincon, Inc. Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock

eISBN 978-3-641-09841-4

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