Der Bergdoktor 2179 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2179 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Valentin Hellgruber ist ein schneidiger Bursche. Ob beim Skat oder beim Bergsteigen - gern setzt der junge Gebirgler alles auf eine Karte. Bis es den Eltern reicht: Wenn Valentin nicht endlich von seiner Unvernunft geheilt wird, überschreiben sie ihm ihre Fremdenpension nicht.
Als Bergführer für die Urlauberin Sarah Lebemann will Valentin seine Zuverlässigkeit beweisen. Doch die hübsche Sarah hat ihm verheimlicht, dass sie an einer gefährlichen Krankheit leidet. Und dann zieht bei der gemeinsamen Bergtour ein heftiges Unwetter auf ...
Riskiert Valentin durch seinen Leichtsinn nicht nur sein Erbe, sondern auch Sarahs Leben?


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Inhalt

Cover

Drama um zwei Gipfelstürmer

Vorschau

Impressum

Drama um zwei Gipfelstürmer

Sein Leichtsinn brachte nicht nur ihn in Gefahr

Von Andreas Kufsteiner

Valentin Hellgruber ist ein schneidiger Bursche. Ob beim Skat oder beim Bergsteigen – gern setzt der junge Gebirgler alles auf eine Karte. Bis es den Eltern reicht: Wenn Valentin nicht endlich von seiner Unvernunft geheilt wird, überschreiben sie ihm ihre Fremdenpension nicht.

Valentin ist geschockt! Damit hat er nicht gerechnet. Als Bergführer für die Urlauberin Sarah Lebemann will er seine Zuverlässigkeit beweisen. Doch die hübsche Sarah hat ihm verheimlicht, dass sie an einer gefährlichen Krankheit leidet: der Narkolepsie. Sie kann jederzeit ganz plötzlich einschlafen.

Riskiert Valentin durch seinen Leichtsinn nicht nur sein Erbe, sondern auch Sarahs Leben?

Es hätte ein so schöner Maientag sein können! Die Eisheiligen waren vorübergezogen und hatten den letzten Frost mitgenommen. Hell strahlte die Frühlingssonne auf die Gipfel der sechs Berge herab, welche den kleinen Ort St. Christoph im Zillertal umringten. Ihr warmer Schein hatte längst den Schnee auf den Hängen geschmolzen. Nun leuchteten die bunten Kleckse von Akeleien, Hahnenfuß und Wiesensalbei aus dem frischen Gras der Almen.

Ein Hauch von Sommer lag bereits in der Luft. Nicht bloß in St. Christoph, sondern ebenso in den umliegenden Dörfern und Weilern. Jenseits des Krähenwalds, in Mautz, saßen die Patienten des Sanatoriums auf ihren Balkonen oder im Park und genossen die wärmenden Strahlen. Buchfinken, Amseln und Meisen zwitscherten in den Bäumen ihre fröhlichen Lieder.

Nur in der »Pension Alpendohle«, die am Ende einer langen Schotterstraße oberhalb von Mautz lag, war es mit der Idylle nicht weit her. Zwar strahlte auch hier die Sonne auf das schmucke Haus herab und ließ die geweißelten Mauern des Untergeschosses blitzen, in der Wohnstube jedoch hing der Haussegen schief.

»Sechstausend Euro!«, polterte Matthäus Hellgruber. Der groß gewachsene, kräftige Pensionswirt gab auch mit sechzig Jahren noch eine stattliche Erscheinung ab. »Ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen, Bub?«

Der »Bub« war sein einziger Sohn und Erbe: Valentin Hellgruber, ein fescher Bursche von achtundzwanzig Jahren. Mit seinen breiten Schultern, den langen Beinen und dem kantigen Gesicht gab er ein Bild von einem Gebirgler ab, wie es sich die Madeln wünschten. Die leicht gelockten, stets ein wenig zerzausten Haare ließen ihn ebenso verwegen wirken wie das schneidige Blitzen in seinen blauen Augen.

»Net von allen guten Geistern, Vater«, erwiderte Valentin verschmitzt. Sie saßen zu dritt am Eichentisch, den die Eltern vor dreißig Jahren zur Hochzeit bekommen hatten. »Nur das Glück hat mich dieses Mal beim Schnapsen halt ein bisserl im Stich gelassen.«

Der Scherz fiel auf taube Ohren. Die Gedanken des Älteren kreisten weiterhin um die schockierende Neuigkeit und vor allem um die beachtliche Geldsumme, die Valentin seinen Mitspielern schuldete.

»Sechstausend Euro, Bub!«, wiederholte er und schüttelte betrübt den Kopf. »Und womit willst du das zahlen, bitt'schön?«

Unbekümmert winkte Valentin ab. »Darüber mach dir keinen Kopf, Vater. Ich hab eh ein bisserl was auf der hohen Kante. Das geb ich natürlich dafür her. Und was den Rest angeht ...« Er verstummte. Die Lässigkeit verschwand aus seiner Haltung und Miene. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass seine Ersparnisse wohl doch nicht ganz ausreichen würden, um die Schuld zu begleichen.

Er lächelte verlegen. »Und wenn ihr zwei, du und das Mutterl, mir vielleicht zweitausend oder so vorstrecken könntet? Ich zahl es euch gewiss auf den Cent zurück. Mit Zinsen.«

»Vorstrecken sagt er! Herrschaftszeiten!« Der sonst so bedächtige Senior hieb aufgewühlt mit der Faust auf den Tisch. »Und zurückzahlen willst du es uns? Mit welchem Geld, frag ich dich wieder, bitt'schön?« Ehe Valentin darauf etwas erwidern konnte, gab er sich selbst die Antwort: »Ich kenne dich doch: Du hast vor, gleich wieder um den nächsten hohen Einsatz zu spielen, gell? Der Teufel soll die Schnapskarten holen und dich mit, wenn du noch eine anfasst!«

Der Schuss hatte ins Schwarze getroffen. Valentins Lächeln erlosch.

»Fein«, entgegnete er genervt. »Spiel ich halt nimmer mit, wenn es dir lieber ist, dass mich beim Wirt alle für einen Spaßverderber halten. Und wie ich euch das Geld zurückzahlen will?« Er überlegte kurz. »Zieh es mir vom Lohn ab.«

Nun war Matthäus Hellgruber in Fahrt.

»Lohn will er auch noch haben!«, wandte er sich an seine Frau. »Hast du das gehört, Ilserl? Wo doch eh das alles«, seine Geste umfasste nicht bloß die Stube, sondern das gesamte Anwesen »einmal ihm gehören wird, wenn wir nimmer sind!«

Die Hellgruber-Ilse, ein zartes Persönchen mit grauen Strähnen im einst semmelblonden Haar, schüttelte betrübt den Kopf. Ein Seufzer entkam ihr.

Sogleich sprang Valentin von der Bank auf und trat neben ihren Stuhl.

»Gräm dich net, Mutterl!«, bat er sie eindringlich. Er umfasste ihre schlanke, schwielige Hand mit seiner größeren, ebenso von der Arbeit gezeichneten und blickte ihr in die Augen. »Das war eine Dummheit von mir. Ich geb's gern zu. Und ich lass es auch gewiss nimmer so weit kommen.« Ein hoffnungsvoller Ton schlich sich in seine Stimme. »Wenn du und der Vater mir nur die zweitausend vorstrecken tätet ...«

»Spinnst du?«, knurrte der Senior. »Du kannst deine Maschine verkaufen. Frag halt den Elmentaler-Jörg oder den Gschieder-Benno, was sie dir für die Kraxen zahlen.«

Valentin wurde blass. Das Motorrad, eine schwarze Rennmaschine, war sein liebster Besitz. Wenn er darauf saß und in wagemutigem Tempo über die kurvige Straße hinunter nach Mautz oder nach St. Christoph fetzte, fühlte er sich so frei wie sonst nur auf den höchsten Gipfeln.

Er wollte widersprechen. Doch der Ausdruck im Gesicht des Vaters verriet, dass es zwecklos gewesen wäre. Ihre beiden Blicke begegneten sich und hielten einander in einem stummen Kräftemessen fest. Und auch wenn Valentin die blauen Augen vom Mutterl hatte, nicht die grauen des Vaters, kam er doch, soweit es Stolz und Ehrgefühl betraf, ganz nach diesem.

Auch was die Unbeugsamkeit anging. Mutter Ilse liebte ihre beiden Dickschädel, wie sie Mann und Sohn zu nennen pflegte. Wenn nach der Sonntagsmesse wieder einmal das Haus von einem lautstarken Streit widerhallte, drehte sie beim Kochen einfach das Radio lauter. Und drang die Musik erst bis in die Stube, verebbte der Streit meistens, ganz gleich worum es gegangen war. Keiner der beiden, nicht Valentin und nicht ihr Hias, wollte der Hellgruberin unnötig Kummer bereiten.

Nun straffte Valentin die Schultern.

»Schau net so traurig drein, Mutterl! Ich hab's versemmelt, das weiß ich, und das nehm ich auf meine Kappe. Ihr braucht mir von dem Geld keinen Cent vorzustrecken.« Er wandte sich an den Vater. »Ich verkauf meine Maschine«, kündigte er an. »Und damit ist die Sach' erledigt, gell? Du musst es mir net für immer und ewig nachtragen.«

Matthäus Hellgruber wiegte den Kopf. Er sagte nichts mehr, doch die Zweifel spiegelten sich auf seinem Gesicht.

»Spuck's aus, was du dir denkst!«, forderte ihn Valentin heraus. »Ich hab dir gesagt, wie's sein wird. Und mein Wort gilt. Oder glaubst du, ich halte net, was ich verspreche?«

Erneut trafen sich ihre Blicke. Der Alte sah als Erster weg.

»An Aufrichtigkeit fehlt's dir gewiss net«, gab er knurrig zu. Halblaut ergänzte er: »Nur manchmal ein bisserl an Verstand.«

Das klang nicht mehr polternd wie zuvor, eher niedergeschlagen. Doch gerade die Betrübtheit schmerzte Valentin umso mehr.

Zwischen ihm und dem Vater krachte es öfters – so was käme von zwei Steinböcken im Haus, pflegte das Mutterl zu sagen. An Schelte und Vorwürfe war Valentin gewöhnt. Den Vater aber so geknickt zu sehen und erst das liebe, fürsorgliche Mutterl ... Er wollte ihnen doch ein guter Sohn sein.

Meistens gelang es ihm ja auch. Nur wenn irgendwo gekartelt oder sonst wie gespielt wurde, ritt ihn der Teufel. Im Casino in Kitzbühel war er einmal gewesen und nie wieder, er hatte seine Lektion gelernt. Doch beim Ochsenwirt saßen sie halt auch alleweil zusammen, die Jungbauern und Hoferben. Da wurde geschnapst, was die Karten hergaben. Und wenn einer so ein schneidiger Bursche wie der Valentin war, der wollte dann auch nicht als Einziger zuschauen oder gar wie ein altes Weiberl allein im Winkel hocken.

Ein weiterer Seufzer entrang sich der Hellgruberin. Bevor Valentin etwas einwerfen konnte, verkündete sie: »Ich muss in der Kuchl nach dem Rechten schauen.« Sie erhob sich und eilte davon.

Der Vater griff zur Tiroler Tageszeitung, die auf dem Tisch lag, und blätterte zum Wirtschaftsteil vor: ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Unterhaltung beendet war.

Ein paar Minuten lang gab es in der Wohnstube nichts zu hören als das Rascheln von Papier und die Knurr- und Grunzlaute, die der Senior von sich gab, wenn ein Artikel mehr oder weniger seine Zustimmung fand.

Als die Uhr die volle Stunde schlug und der Kuckuck heraussprang, hielt es Valentin nicht mehr aus. Er verließ die Stube. Im Flur sah er sich nach dem Vater um, doch der war in seine Zeitung vertieft oder tat wenigstens so.

Aufgewühlt trat Valentin vor die Haustür. Die Pension lag auf einem Hang zwischen Mautz und den Gipfeln. Das gefiel ihm: Er wollte sich nicht einsperren lassen. Mautz und selbst St. Christoph waren für ihn zu klein, auf den Bergen fühlte er sich am wohlsten.

Das Gebäude war im alpenländischen Stil gehalten, unten weiß und oben aus dunklem Holz, mit einem großen Balkon vor den Fremdenzimmern im ersten Stock. Daneben gab es einen kleineren Anbau, in dem die Familie wohnte, und weiter hinten auf dem Gelände noch ein Auszugshäusl. Das stand derzeit leer.

Valentin atmete die klare Höhenluft ein. Entspannen aber konnte er sich nicht, die Aufgewühltheit blieb. Da war einerseits der Ärger auf sich selbst, dass er sich wieder einmal vom Teufel hatte reiten lassen. Andererseits der Ärger auf den Vater, der ihn wie einen Schulbub abgekanzelt hatte und ihm die leidige Sache gewiss auf Jahr und Tag nachtragen würde.

Doch am allermeisten schmerzte die Aussicht auf den Verkauf des Motorrads.

Valentins Blick schweifte zu den schönen Gipfeln ringsum. Man war hier von ihnen umgeben: dem Rautenstein mit seinem langgestreckten Tafelberg, dem Frauenhorn und dem Feldkopf. Und natürlich dem Achenkegel.

Valentin kannte sie alle. Schon als kleiner Bub war er auf ihnen herumgekraxelt. Ganz am Anfang hatte ihn der Vater auf dem Rücken getragen. Und noch bevor Valentin in die Schule gekommen war, hatten sie zu zweit ihre ersten Bergtouren unternommen.

Dabei war es geblieben. Wenn immer der Pensionsbetrieb es erlaubte, standen der alte und der junge Hellgruber früh am Morgen in ihren ledernen Kniebundhosen und Wanderstutzen bereit.

»Na, wo wollen meine zwei Steinböcke denn heut wieder hin?«, fragte das Mutterl lächelnd, wenn sie ihnen, bevor die ersten Frühstücksgäste kommen würden, schon die fertig eingepackte Verpflegung aus der Küche brachte. Dann gab's vor dem Aufbruch im Stehen noch schnell einen Kaffee und eine Buttersemmel. Richtig gejausnet wurde erst am Gipfel. Zumeist schweigend, auf den Bergen redeten die beiden Hellgruber-Männer nicht viel miteinander.

Doch dort verstanden sie sich am besten. Einem stummen Pakt zufolge klammerten sie alles aus, was unten vorgefallen war, und genossen einträchtig die Schönheit der Alpen.

Reumütig dachte Valentin nun daran. Und es juckte ihn in den Fingern, irgendwo raufzukraxeln. Mit dem Vater oder ohne ihn. Vielleicht sogar mit einem Madel aus dem Dorf.

Obwohl – er verzog schmerzlich das Gesicht, als er an die Anni dachte. Nachdem er sie beim Feuerwehrball einfach hatte stehen lassen, mied er ihren Hof. Ein paar Ohrfeigen von ihrem Vater oder den Brüdern wären ihm sonst gewiss. Und die Lichtenthaler-Marlen hatte ihn bei ihrer letzten Begegnung einen hinterfotzigen Saubratl genannt. Dabei war das mit ihnen doch nur ein bisserl Spaß gewesen! Von Treue hatte kein Mensch was verlangt.

Normalerweise scherte sich Valentin nicht groß darum, was die Madeln redeten. Aber jetzt fiel ihm ein, dass der Vater das mit der Marlen noch gar nicht wusste. Und wenn er es mitkriegen tät – mei, das gäb wieder eine Predigt, wie sie Hochwürden net besser halten könnte! Der Vater war halt noch vom alten Schlag und dachte immer gleich ans Heiraten. Dass Valentin und die Burschen, mit denen er im »Ochsen« zusammenhockte, ihre Liebesangelegenheiten weitaus lockerer sahen, stieß ihm sauer auf.

Mit diesem Gedanken verflog auch die Lust auf den Gipfel. Es machte ja keinen Spaß, dort oben rumzukraxeln, wenn man schon wusste, was man sich nachher gleich wieder anhören könnte.

Mitte Mai begann die Wandersaison. Ein paar Gäste kamen freilich schon über Ostern, aber jetzt, wo das Wetter sonnig und noch nicht zu heiß war, wurde es langsam voll. Da durfte in der Pension keine Hand untätig bleiben. Auch nicht seine.

»Und das nur für Kost, ohne Lohn«, murrte Valentin. Doch er kehrte, wenn auch mürrisch, um und betrat wieder das Haus.

Der Eingang zur Pension und zum Anbau der Familie war der gleiche. Es gab zwar noch eine private Hintertür, aber die wurde selten benutzt.

Drinnen sah man als Erstes die hölzerne Empfangstheke. Von dort ging es geradeaus in den Frühstücks- und Aufenthaltsraum, links hinüber in die Küche und den Anbau oder rechts hinter der Rezeption über eine Holztreppe zu den Fremdenzimmern.

Das Mutterl hockte an der Rezeption. Sie beugte sich über das große Reservierungsbuch. Ihr ergrauendes Haar war zu einem Knoten gefasst, und wie so oft hatte sie gedankenverloren einen Kugelschreiber hineingesteckt.

Der Anblick dieser vertrauten Pose versetzte Valentin einen Stich. Wieder einmal musste er sich fragen, warum der Rücken seines Mutterls so gebeugt war. Weil ihr Sohn ihr so viel Kummer bereitete? Eigentlich hatte er vorgehabt, ihr und dem Vater möglichst aus dem Weg zu gehen, bis sie sein letztes Husarenstückerl verdaut hätten. Jetzt aber änderte er die Richtung und hielt entschlossen auf den Empfang zu.

Er trat hinter den Drehstuhl, beugte sich herab und gab dem Mutterl ein Busserl aufs graue Haar.

»Was ist los? Weswegen grämst du dich schon wieder?«

»Ach, nur wegen des Vaters.« Sie zog den Kuli aus ihrem Haarknoten und tippte damit aufs Reservierungsbuch. »Er hat am Telefon eine Bestellung aufgenommen, aber kein Mensch kann so was lesen!«

»Mit seiner Sauklaue hätte er besser Arzt werden sollen«, stimmte Valentin zu.

»Ich hab ihm schon so oft gesagt, er soll's gleich in den Computer tippen.« Sie blinzelte kurzsichtig auf das Gekritzel herab. Valentin mit seinen Adleraugen beugte sich weiter vor und versuchte ebenfalls zu entziffern, was da stand.

»Leber-Mann?«, las er ratlos vor. Zumindest die Daten waren eindeutig: Der Besuch würde in etwas mehr als einer Woche kommen und vier Nächte bleiben.

Die Hellgruberin hatte plötzlich eine Erleuchtung. »›Lebemann‹ muss das heißen!« Und sie erinnerte sich: »Mei, das war doch die Familie aus Wien, weißt du nimmer? Der Wilhelm und die Elise mit einem süßen, bezopften Madel. Blond wie ein Engerl war sie, die kleine Sarah.« Verträumt lächelte sie ihren Sohn an. »Und die Elise eine richtig feine Dame. Wenn die in ihrem Dirndl bei uns im Garten auf der Sunnbänk gesessen ist, da hat man meinen können, sie wär die Frau Baronin von Brauneck bei einem ihrer Musikabende im Schlössl.« Sie geriet ins Schwärmen. »Du warst damals noch ein Bub. Das kleine Madel, die Sarah, hat dich alleweil ihren Vali genannt. ›Wo ist denn mein Vali schon wieder hin?‹ hat sie gefragt und ist dir nach wie eine Klette. Erinnerst du dich gar nimmer?«

Sie schaute ihn erwartungsvoll an. Pflichtbewusst versuchte er sich zu erinnern, doch es gelang ihm nicht. Nur ein unbestimmtes Bild tauchte in ihm auf: blonde Zöpfe und ein Lächeln, als ginge die Sonne hinter dem Berg auf. Aber das mochte auch eines der vielen anderen Urlaubermadeln gewesen sein.

Die meisten waren »ihrem Vali« nachgelaufen und hatten ihn angehimmelt. Hatten seinen Schneid bewundert und dass er vor keiner Tollkühnheit zurückgeschreckt war. Alle diese Urlaubermadeln hatten sich für die Dauer von zwei Wochen in ihn verliebt, ihm zum Abschied ewige Treue geschworen und ihn wahrscheinlich nachher fast ebenso schnell vergessen, wie er sie vergessen hatte.

»Und der Lebemann-Wilhelm«, erinnerte sich das Mutterl weiter, »der hat mit deinem Vater alleweil unsere sechs Berge bestiegen. Sein ›Sechsertragerl für den Urlaub‹ hat er das genannt.« Sie lachte. »Er und der Hias waren die besten Bergkameraden.«

Valentins Blick fiel auf die hingekritzelte Zahl »1« neben der Reservierung. Dieser Lebemann-Wilhelm wollte nun also ohne Frau und Kind wiederkommen.

»Ist eh gut, wenn der Vater wen zum Reden hat«, scherzte er. »Dann vergisst er vielleicht, was er mir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag nachtragen wollt.«