Der Bergdoktor 2224 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2224 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Seit zehn Jahren hat der Kaineder-Moritz die gleichaltrige Lissy nicht mehr gesehen. Einst waren sie beste Freunde und heckten zahlreiche Streiche aus. Doch als Dreizehnjährige wurde Lissy auf ein fernes Internat geschickt. Sie sei ein zu arger Wildfang, meinte ihr Vater, sie müsse lernen, sich wie ein gesittetes Madel zu benehmen.
Nach der Schulzeit ist Lissy nicht nach Hause zurückgekehrt, aber Moritz hat seine Freundin nie vergessen: ihr unbändiges Lachen und ihre Funken sprühenden Augen. Umso mehr freut er sich, als er hört, dass die jetzt junge Frau endlich St. Christoph besuchen wird. Als er ihr wiederbegegnet, ist sie jedoch nicht allein. Sie hat ihren Bräutigam dabei, den sie der Familie vorstellen will. Lissy ist kaum wiederzuerkennen: Aus dem ehemals so fröhlichen Bauernmadel ist eine Prinzessin geworden, die in schicken Kleidern steckt und so gar nicht mehr hierherzugehören scheint. Vor allem aber ist es die große Traurigkeit in ihren Augen, die Moritz das Herz zuschnürt ...


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Inhalt

Cover

Erinnerungen an die wilde Lissy

Vorschau

Impressum

Erinnerungen an die wilde Lissy

Damals war sie frei und glücklich, heute ist sie still und traurig

Von Andreas Kufsteiner

Seit zehn Jahren hat der Kaineder-Moritz die gleichaltrige Lissy nicht mehr gesehen. Einst waren sie beste Freunde und heckten zahlreiche Streiche aus. Doch als Dreizehnjährige wurde Lissy auf ein fernes Internat geschickt. Sie sei ein zu arger Wildfang, meinte ihr Vater, sie müsse endlich lernen, sich wie ein gesittetes Madel zu benehmen.

Nach der Schulzeit ist Lissy nicht nach Hause zurückgekehrt, aber Moritz hat seine Freundin nie vergessen: ihr unbändiges Lachen und ihre Funken sprühenden Augen. Umso mehr freut er sich, als er hört, dass die jetzt junge Frau endlich St. Christoph besuchen wird. Als er ihr wiederbegegnet, ist sie jedoch nicht allein. Sie hat ihren Bräutigam dabei, den sie der Familie vorstellen will. Lissy ist kaum wiederzuerkennen: Aus dem ehemals so fröhlichen Bauernmadel ist eine Prinzessin geworden, die in schicken Kleidern steckt und so gar nicht mehr hierherzugehören scheint. Vor allem aber ist es die große Traurigkeit in ihren Augen, die Moritz das Herz zuschnürt ...

»Ich weiß einfach nimmer, was ich mit ihr tun soll!«, klagte der Hochhold-Ferdinand aus St. Christoph. Der Bauer griff nach dem Cognacschwenker, der vor ihm auf dem Tisch stand, und nahm einen kräftigen Schluck.

Er und Markus von Brauneck saßen im Arbeitszimmer des Barons. Im Schlössl – jenem altehrwürdigen Barockbau, welcher idyllisch auf einem Hang oberhalb von St. Christoph thronte. Seit vielen Generationen war das Anwesen im Besitz der Familie von Brauneck. Zu ihm gehörten nicht nur Wälder und Wiesen, sondern auch ein Haflingergestüt.

Ferdinand Hochhold wiederum war selbst Pferdebauer und betrieb nebenbei einen Futtermittel-Großhandel. Oft hatte man aus diesem Grund geschäftlich miteinander zu tun. Im Lauf der Jahre war daraus eine Männerfreundschaft erwachsen.

Der Hausdiener Max, die Köchin Clementine und der Rest des Personals schmunzelten, wenn der Geländewagen des Hochhold am späten Nachmittag in der Einfahrt zum Schlössl hielt. Sie wussten: Zuerst wurde alles Geschäftliche besprochen, von den Preisen für Hafer bis hin zur Trächtigkeit der jeweiligen Stuten. Wenn das erledigt war, blieb Ferdinand Hochhold zum Abendessen. Und anschließend zogen sich die Männer ins Arbeitszimmer zurück.

Max stellte ein Tablett mit Cognac und den von Clementine gebackenen Anisstangerl bereit.

»Gib dem Papa gleich ein Busserl, sonst wird's nachher mit dem Zubettgehen zu spät«, forderte die Baronin in weiser Voraussicht ihre sechsjährige Tochter Ulrike auf.

»Bleib net zu lang auf! Denk dran, du bist nimmer der Jüngste«, ermahnte der neunzehnjährige Thomas seinen Adoptivvater scherzhaft, was der Baronin ein stilles Lächeln entlockte.

Bei Cognac und Anisstangerl wurde dann beredet, was beiden Männern Privates unter den Nägeln brannte. Beim Baron hieß das: seine Ehe mit Christine, die bevorstehende Einschulung von Töchterchen Ulrike oder Thomas' Praktikum im elterlichen Besitz.

Ferdinand Hochhold hingegen war seit Jahren Witwer. Bei ihm drehte sich daher alles um seinen Sohn Ferdl und die drei Töchter: Doris, Viktoria – genannt Vicky – und die Jüngste, Nesthäkchen Lissy.

Der Baron schmunzelte. »Dreizehn Jahr' alt ist sie jetzt, gell? Was für ein Lausbubenstück haben sich die zwei denn schon wieder geleistet?« Er sprach von zwei Missetätern. Denn wenn es um Lissys Streiche ging, war der gleichaltrige Kaineder-Moritz vom Nachbarhof nie weit.

Der Hochhold fuhr sich durchs Haar, das an den Schläfen bereits ergraute.

»Sie haben heimlich den unreitbaren Gaul von Moritz' Onkel aus dem Stall geholt! Weil meine Lissy mit dem Moritz gewettet hat, sie könnt' einmal um die ganze Festwiese galoppieren, ohne dass das Pferd sie abwirft. Der reinste Irrsinn!«

Dem Baron verging das Schmunzeln. Ein unreitbares Pferd und zwei dreizehnjährige Draufgänger! Ihm schwante Übles.

»Hat sie sich arg wehgetan?«, erkundigte er sich besorgt.

Verständnislos musterte ihn der Hochhold.

»Wehgetan?«, wiederholte er. Wieder griff er zum Cognac. »Gar net. Sie hat die Wette gewonnen. Reiten kann sie wie der Teufel, meine Lissy.« Trotz des grimmigen Tons vermochte er seinen Stolz nicht ganz zu verbergen. »Aber der Kaineder-Onkel war fuchsteufelswild!«

Sehnsüchtig starrte er die schimmernde Flüssigkeit im Glas an. Dann stellte er es mit einem solchen Knall ab, dass der Cognac fast überschwappte.

»Die Reitkunststückerl sind net das Einzige, was mir Sorgen macht«, gestand er. »Wer die Lissy reden hört, muss glauben, sie wär' ein Knecht. Alleweil flucht sie wie ein Kerl, und dem Ferdl hat sie gar gedroht: ›Wenn du beim Papa petzt, kriegst du von mir eine Detschen, dass es dich auf den Arsch wixt!‹«

Der Baron lachte aus voller Kehle. Er konnte sich die Szene lebhaft vorstellen: Lissy – ein schlaksiges Madel – wie sie ihrem großen Bruder mit Ohrfeigen drohte. Dabei war Ferdl doppelt so alt wie sie und kräftig genug, dass er sie mühelos mit einer Hand heben konnte.

»Worum ist's dabei gegangen?«, fragte er.

»Ums Rauchen«, erwiderte der Hochhold düster. »Der Ferdl hat sie mit zwei Knechten hinterm Stall erwischt. Die haben ihr glatt eine Zigarette angeboten. Und die Lissy hätt' sie genommen!«

Auf diese Enthüllung hin senkte sich Schweigen über das Arbeitszimmer. Der Baron griff zur Karaffe. Er füllte damit sein Glas und schwenkte sie dann einladend in die Richtung des noch halb vollen Glases, das vor dem Hochhold stand. Der Bauer jedoch wehrte mit einer knappen Geste ab.

Er sah alt aus, durchfuhr es den Baron. Weit älter als der Mittvierziger, der er war. Ob das an dem Kummer lag, den ihm seine Jüngste bereitete?

Freilich war es nicht allein Lissys Schuld. Der Hochhold und seine selige Frau hatten früh geheiratet und in rascher Abfolge drei Kinder bekommen: zunächst die Töchter Doris und Vicky und dann endlich den ersehnten Hoferben Ferdl. Damit wäre die Familienplanung abgeschlossen gewesen – hätte der Herrgott nicht andere Pläne gehabt! Dreizehn Jahre nach Ferdl war ein viertes Kind dazugestoßen: eine Tochter, Elisabeth, genannt Lissy.

Sie war erst drei gewesen, als ihre Mutter gestorben war. Und ohne deren sanfte Hand hatte sich das Madel zu einem rechten Wildfang entwickelt. Mit dem Kaineder-Moritz stibitzte sie Äpfel und Kirschen aus den Gärten und hielt sich nirgendwo lieber auf als im Gesindehaus oder im Pferdestall. Sie fluchte wie ein Knecht, spielte besser Karten als die meisten von ihnen, und auch von den Mägden schaute sie sich manch unfeine Angewohnheit ab.

»Ihr fehlt halt die Mutter, gell?«, sann der Baron laut nach. »Ich weiß eh«, fuhr er fort. »Die Doris und die Vicky tun ihr Bestes, aber sie können ihr die Mama nur teilweise ersetzen.«

Der Hochhold nickte. Geistesabwesend knabberte er an einer Anisstange.

»Da sucht sie sich eben die erwachsene Zuwendung, wo sie die findet«, spann der Baron seinen Gedanken weiter. »Und sei es beim Gesinde.« Ein Geistesblitz durchfuhr ihn. »Wären ein paar ausgebildete Erzieherinnen net die bessere Wahl?«

Der Hochhold ließ die Anisstange sinken.

»Was schlägst du vor? Dass ich mir für die Lissy eine Gouvernante auf den Hof hole? Ein Kindermädchen, eine Nanny oder wie das heutzutage heißt?« Er schnaubte. »So eine würd' gleich wieder kündigen, wenn sie das Gefluche hört. Darauf trau' ich mich zu wetten.«

Der Baron schüttelte den Kopf.

»Die Lissy ist doch bald vierzehn und mit der Mittelschule fertig. Hast du nie daran gedacht, sie auf ein Internat zu schicken?« Er beugte sich vor. »Schloss Cäcilienkron! Ein Mädcheninternat an einem der Luzerner Seen. Meine Christine hat dorthin die besten Kontakte, die Direktorin ist eine alte Freundin von ihr. Und wenn sie hören, dass die Lissy Halbwaise ist, kommen sie euch bestimmt mit dem Schulgeld entgegen.«

Unschlüssig wiegte der Hochhold den Kopf. So oft sie ihm auch Kummer bereitete, hatte er seinen Wildfang von Tochter doch herzlich gern.

»Ich weiß net. Die Schweiz ist schon arg weit weg.«

»Aber die wundervolle Landschaft!«, lockte ihn der Baron. »Die Christine und ich waren ein paar Mal zu Besuch. Sogar einen Reiterhof gibt's ganz in der Nähe. Einige Schülerinnen nehmen dort Unterricht. Und was sie im Schloss alles lernen! Net nur Englisch, Französisch, Mathematik und Physik. Nein: Sie haben eigene Klassen für Tanzen, gutes Benehmen und diplomatische Etikette.«

»Das würd' ihr wirklich net schaden«, entschlüpfte es dem Hochhold.

»Das Lehrpersonal und die Erzieherinnen sind umfassend ausgebildet«, versicherte ihm der Baron. »Darauf achtet die Direktorin peinlich genau. Aber am wichtigsten ist: Dort hätt' die Lissy Freundinnen in ihrem Alter. Madeln, bei denen sie selbst ein Madel sein darf – und net alleweil nur der beste Spezl eines Lausbuben.«

Er sah vor sich, wie ihnen Lissy nach ihrer letzten Missetat gegenübergestanden hatte: mit ihren ewig zerschundenen Knien, das schmutzige Gesicht von der Sonne verbrannt, die Haare ganz zerzaust mit Strohhalmen darin. Getragen hatte sie eine alte Krachlederne ihres Bruders Ferdl. Wäre sie nicht nussbraun und er rotblond gewesen, hätte man sie und den Kaineder-Moritz glatt für Zwillinge halten können.

Der Hochhold stieß einen Seufzer aus.

»Freundinnen wären wichtig«, gab er zu. »Mit den Madeln aus St. Christoph will sie nix zu tun haben. Sie sagt, das sind alles Tratschweiber und Zimperliesen. Und die Madeln nennen sie ›Max‹ und lachen über sie, so zerlumpt, wie sie alleweil ausschaut.« Seine Stimme verebbte.

»Im Internat hätt' sie keine Wahl«, erwiderte der Baron. »Sie müsste sich mit ihren Mitschülerinnen anfreunden. Und ich glaub', es würd' ihr gefallen.«

Er schmunzelte.

»Ich seh's doch bei meiner Ulrike. Als sie ein oder zwei Jahre alt war, ist sie dem Thomas den ganzen Tag hinterhergerannt. Alleweil wollt' sie nur mit seinen alten Baufahrzeugen und Rennautos spielen. Und wenn man sie gefragt hat, was später kommt, hat sie gerufen: ›Ich werd‹ Baggerfahrer!'«

Belustigt schüttelte er den Kopf.

»Aber seit sie im Kindergarten ist? Jetzt spielt sie Prinzessin. Die Kleiderl können gar net genug glitzern. Gestern hat sie gesagt, sie will später einmal Köchin werden wie die Clementine. Ein Madel braucht andere Madeln um sich. Das ist halt so.«

Erneut starrte der Hochhold in sein Glas. Diesmal gab er dem Verlangen nach und nippte am Cognac.

»Es wär' ja net für immer«, sagte er langsam. »Nur für ein paar Jahre. Oder net einmal das, gell? In den Ferien würd' sie alleweil nach Hause kommen.« Hoffnungsvoll blickte er seinen alten Spezl an.

Der Baron sah, wie schwer ihm die Entscheidung fiel. Doch er wusste: Der Hochhold würde alles tun, um seiner Jüngsten eine glänzende Zukunft zu ermöglichen.

»Gleich morgen bitt' ich die Christine, dass sie mit ihrer Freundin redet«, versprach er. Dann hob auch er sein Glas und prostete dem Bauern zu. »Du wirst sehen: Wir machen aus deinem Lausemadel noch eine richtige Prinzessin.«

***

Zum Schulbeginn im September war es dann so weit: Die inzwischen vierzehnjährige Lissy machte sich auf den Weg zum Bahnhof in Mayrhofen. So manche Magd umarmte das Madel unter Tränen und drückte es fest an ihren Busen. Die Knechte klopften ihr auf die Schulter.

Fast jeder hatte ein kleines Abschiedsgeschenk für sie: ein selbst geschnitztes Pfeiferl, ein Packerl Spielkarten, ein frommes oder auch ein nicht so frommes Bilderl.

Ihre beiden Schwestern versahen Lissy mit unzähligen guten Ratschlägen. Ihr Bruder ermahnte sie, sich bloß vor den Schweizer Burschen in Acht zu nehmen.

Doris, die älteste Schwester, schubste ihn.

»Sei kein Depp. Dort wo sie hinfährt, gibt's keine Burschen!«

»Net im Internat«, betonte Ferdl. »Aber irgendwo gewiss! Im nächsten Dorf. Oder auf dem Reiterhof, wo sie Unterricht nehmen wird. Oder wenn's der Lehrbub vom Gärtner ist!« Streng blickte er auf Lissy herab. »Dass du dich von keinem abbusseln lässt, hörst du?«

Bei dieser Vorstellung verzog Lissy so angewidert das Gesicht, dass Doris laut auflachte und mit Vicky belustigte Blicke tauschte. Wenn es um Burschen ging, dachte das Madel noch lange nicht an Zärtlichkeiten! Höchstens daran, welche Streiche der Kaineder-Moritz wohl ohne sie aushecken mochte.

»Lissy!«, rief der Hochhold. Er lehnte an der Fahrertür seines Geländewagens.

Seine jüngste Tochter marschierte hinüber. Die Schwestern und der Bruder folgten ihr wie eine Gänseschar. Zwei Koffer lagen schon auf der Rückbank. Doris und Vicky hatten die Auswahl der Kleider überwacht und so manches abgetragene Paar Jeans still und heimlich durch ein neu gekauftes Rockerl ersetzt.

Nun schnallte sich Lissy auf dem Beifahrersitz an. Doris und Vicky umarmten sie jede noch ein letztes Mal.

»Vergiss net, dir die Haare zu kämmen!«, ermahnte Doris sie. »Net, dass du sie so verfilzen lässt wie bisher.« Sie schniefte und wandte sich rasch ab.

»Und wasch' dich ordentlich. Besonders hinter den Ohren!«, ergänzte Vicky mit feuchten Augen.

Lissy schob das Kinn vor.

»Wenn ich das tu, musst du mir auch was versprechen. Geh zu dem Mayreder-Erben, der dir seit zwei Jahren schöne Augen macht. Und sag ihm, er soll dir endlich ein Ringerl an den Finger stecken. Sonst kriegt er von mir eine Detschen, dass es ihn auf den Arsch wixt.«

Vickys Lachen ging in ein Schluchzen über. Sie warf sich ihrer jüngsten Schwester an den Hals.

»Lissy!«, rief Doris entsetzt. »Wie redest du denn?«

»Recht hat sie«, knurrte Ferdl belustigt – was die Älteste noch mehr verstörte.

An diesem Punkt hatte der Hochhold genug von der Verabschiedung, die sonst wohl noch Stunden gedauert hätte. Er startete den Motor. Vicky zog eilig den Kopf aus der Beifahrertür und schloss diese, und der Wagen rollte vom Hof.

Geschwind kurbelte Lissy das Fenster herunter, und der Bergwind zerzauste ihr ein letztes Mal die Locken.

»Füttere mir die Pferde!«, rief sie Ferdl zu. »Dass du bei der Mira net geizt! Sie kriegt Zwillingsfohlen ...« Den Rest der Ermahnungen riss ihr der Wind von den Lippen. Schon verlief die Straße abwärts. Der Hof und die Geschwister blieben zurück.

Der Hochhold verlor auf dem Weg hinunter ins Tal kaum ein Wort. Auch Lissy schwieg. Als sie am Kaineder vorbeikamen, lehnte sie sich seitwärts und presste die Nase ans Fenster. Doch nur Moritz' Mutter stand mit einem Wäschekorb im Garten. Sie winkte. Ihr Arm verschwand hinter flatternden Leintüchern, die der Wind hob.

Kurz vor dem Ortszentrum von St. Christoph war plötzlich Hufgeklapper zu vernehmen. Lissy riss den Kopf herum. Ihr Herz hämmerte mit den Pferdebeinen um die Wette, als sie sah: Auf seiner Stute Dixi galoppierte der Kaineder-Moritz hinter dem Geländewagen her. Sein rotes Haar schimmerte im Licht der Septembersonne wie Feuer.

Er lehnte sich im Sattel weit vor, ließ mit der rechten Hand die Zügel los und streckte sie aus. Lissy verdrehte sich auf dem Beifahrersitz und tat dasselbe. Als trennten sie nicht die Rückbank, die Heckscheibe und fünfzig Meter Asphalt. Als könnte Lissy Moritz' kräftige Bubenhand packen – sich daran klammern wie ein Bergsteiger an das rettende Seil.

Beim Ortsschild bremste ihr Vater, und Moritz trieb Dixi an, er holte auf. Nur mehr dreißig Meter trennten sie. Nur noch zwanzig. Nur mehr zehn! Schweißtropfen leuchteten auf Dixis schwarzem Fell. Moritz beugte sich tief über den Pferdehals. Die Sehnsucht in seinem Gesichtsausdruck brach Lissy fast das Herz.

Heimlich schwor sie sich und ihm: Ich komm zu dir zurück, ich versprech's!

Schon blieb das Ortsschild hinter ihnen zurück. Moritz zügelte Dixi. Er verharrte mit dem schwer atmenden Pferd mitten auf der Straße, während sich der Geländewagen rasch entfernte.

Erst bei diesem Anblick kamen Lissy die Tränen, die sie die ganze Zeit über zurückgehalten hatte. Sie tastete nach dem Taschentuch in ihrem Janker – die stets fürsorgliche Doris hatte es ihr hineingesteckt. Ihr Vater hielt den Blick stur auf den Asphalt gerichtet.

Bis zur Ankunft in Mayrhofen waren die Tränen versiegt. Lissy stand mit ihren beiden Koffern am Bahnsteig. Der Hochhold umarmte sie und ermahnte sie knurrig, ihm und der Frau Baronin keine Schande zu machen. Lissy nickte blass, aber gefasst. Nur die rot umrandeten Augen verrieten ihren heimlichen Kummer.

***

Und dann war sie fort.

Anfangs schrieb Lissy ihrer Familie häufig lange Briefe. Man konnte zwischen den Zeilen lesen, dass das Heimweh sie plagte. Sie schickte Fotos vom Schloss, von ihrem Bett im Dreierzimmer. Lissy erzählte von ihren Mitschülerinnen. Sogar eine echte englische Prinzessin sei dabei! Die könne kein Deutsch, dafür schon Französisch. Die Unterhaltungen mit ihr beschränkten sich anfangs auf »Non« und »Oui«.