Der Bergdoktor 2199 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2199 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Angesteckt von der Aufregung der Bachhuber-Zenzi wartet man in der Bergdoktor-Familie mit Spannung auf ein großes Open-Air-Konzert. Die Geschwister Lister sollen in Kürze auf dem Feldkopf auftreten. Nach außen hin scheint die Musikgruppe aus einem harmonischen Familienverbund zu bestehen. Doch Vater Lister ist ein unnachgiebiger Patriarch, er drillt seine Kinder und Schwiegerkinder. Familiengeheimnisse werden unter Verschluss gehalten.
Benjamin, der Jüngste, gilt mit seinem Lausbubengesicht als der Star der Geschwister Lister. Geduldig und unterwürfig wie seine Geschwister macht er alles, was der Vater verlangt. Doch er träumt von einem anderen Leben ...


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Inhalt

Cover

Das Geheimnis der Geschwister Lister

Vorschau

Impressum

Das Geheimnis der Geschwister Lister

Sie sind begabt und berühmt – aber unglücklich

Von Andreas Kufsteiner

Angesteckt von der Aufregung der Bachhuber-Zenzi wartet man in der Bergdoktor-Familie mit Spannung auf ein großes Open-Air-Konzert. Die Geschwister Lister sollen in Kürze auf dem Feldkopf auftreten. Nach außen hin scheint die Musikgruppe aus einem harmonischen Familienverbund zu bestehen. Doch Vater Lister ist ein unnachgiebiger Patriarch, er drillt seine Kinder und Schwiegerkinder. Familiengeheimnisse werden unter Verschluss gehalten.

Benjamin, der Jüngste, gilt mit seinem Lausbubengesicht als der Star der Geschwister Lister. Geduldig und unterwürfig wie seine Geschwister macht er alles, was der Vater verlangt. Doch er träumt von einem anderen Leben ...

»Hast du etwa schon wieder einmal eine meiner Zeitschriften aus dem Wartezimmer gemopst, Zenzi?«, fragte der hochgewachsene Mann mit den dunklen Haaren.

Aus seinen dunklen Augen blitzte der Schalk, und es war ihm anzusehen, dass er die Rüge nicht ernst meinte. Dabei konnte Dr. Martin Burger durchaus streng sein – etwa, wenn er es mit einem uneinsichtigen Patienten zu tun hatte, der partout seine Medikamente nicht nehmen wollte. Ansonsten war der einundfünfzigjährige Landarzt aber ein sanfter und humorvoller Mensch.

Und so hatte die Angesprochene – Zenzi Bachhuber, die seit über vier Jahren bei den Burgers den Haushalt führte – auch überhaupt kein schlechtes Gewissen, als sie ihm mit gewichtiger Miene antwortete.

»Als Hauserin im Doktorhaus muss man einfach über alles Bescheid wissen, was sich in der Welt so tut.« Dabei blätterte sie ungeniert weiter in der Illustrierten. »Und du weißt ja, Martin: Sowie ich mit der Lektüre durch bin, lege ich sie eh wieder zurück ins Wartezimmer.«

Martin Burger schmunzelte. »Ist schon gut, Zenzi. Was steht denn leicht Spannendes drin?«

Zenzi bekam rote Ohren. »Alles Mögliche ...«, sagte sie ausweichend.

Martin hatte sie aber schon durchschaut.

»Ist es vielleicht wieder einmal ein Artikel über die Geschwister Lister?«, fragte er.

Zenzi nickte widerwillig. Sie wusste ja, dass der Bergdoktor kein Fan dieser Volksmusikgruppe war, und diese Tatsache ging ihr schwer gegen den Strich.

»Na, zeig her«, forderte Martin Burger gutmütig und schaute ihr über die Schulter. Da sah Zenzi wenigstens nicht, wie sich sein Gesicht verzog, als er das Foto der Geschwister Lister sah.

Ein älterer Mann mit einem Akkordeon stand wie ein König in der Mitte einer größeren Personengruppe. Sein Gesicht war braungebrannt, sein Haar weiß und die eisblauen, mit Fältchen umkränzten Augen schauten knapp an der Kamera vorbei ins Leere. Obwohl der Mann lachte, wirkte sein Ausdruck hart, und die im Lächeln gebleckten Zähne sahen eher furchterregend aus als freundlich.

Der Arm des Mannes war mit einer besitzergreifenden Geste über die Schultern einer zierlichen älteren Frau gelegt. Rund um das Paar hatte sich eine Gruppe junger Leute aufgestellt. Nur der jüngste Mann – ein fröhlicher Blondschopf – lag im Vordergrund quer über dem Boden hingestreckt.

Diese Aufstellung erinnerte Martin beinahe an den heimatlichen Fußballverein von St. Christoph, dessen junger, frecher und vorwitziger Tormann sich bei jedem Fotoshooting immer erst in letzter Sekunde lachend ins Bild warf.

Die jungen Leute auf dem Bild in der Illustrierten trugen Trachtenkleider in gedeckten Farben und lächelten bemüht. Es handelte sich – wie allgemein bekannt war – um die Kinder und Schwiegerkinder des älteren Paares.

Der junge Mann im Vordergrund, ebenfalls mit Akkordeon und einem breiten Lächeln, sah mit seinem blonden Haarschopf und den Sommersprossen fast noch wie ein Lausbub aus. Die Fans wussten freilich, dass Benjamin, der jüngste Spross der Listers, auch schon vierundzwanzig Lenze zählte.

Er war nicht nur der Beliebteste, sondern auch der Star der musikalischen Familie. Egal, welches Instrument man diesem musikalischen Tausendsassa in die Hand drückte – Benjamin beherrschte es in kürzester Zeit und spielte sofort ein lustiges Liedl. Am meisten beeindruckte aber seine klare Stimme, die zwar nicht mehr so hell klang wie noch vor wenigen Jahren, aber von einer ungewöhnlichen Reinheit zeugte.

Der Vater, Franz Lister, war das Familienoberhaupt, der Leiter und der Chef des musikalischen Unternehmens. Und das war es auch: ein richtiges Unternehmen. Schon seit Jahren tingelte die singende Großfamilie mit ihrer Wohnwagenkolonne erfolgreich durch Österreich und Süddeutschland. Zwar hätten es sich die Listers längst leisten können, mit hochmodern ausgestatteten Bussen umherzufahren und in teuren Hotels zu residieren, aber nein – die Familie gab sich bescheiden und legte großen Wert auf ihre Unabhängigkeit.

Leopold Lister, einer der beiden Schwiegersöhne von Franz und Annemarie, hatte nach der Hochzeit den Familiennamen seiner Frau Margret angenommen. Der frühere Journalist fungierte nun als Pressebetreuer der Geschwister Lister, und er erwähnte in den Interviews stets, dass die Listers ihre Wäsche selbst wuschen und auch ihr Essen selbst kochten. Dabei verkauften die Geschwister Lister ihre Musik so gut, dass sich auf ihren Konten sicherlich längst sechsstellige Beträge sammelten.

Diese Bodenständigkeit fand Martin Burger sogar sympathisch. Er konnte es nicht einsehen, wenn den Leuten der Erfolg zu Kopf stieg und schätzte es auch bei Künstlern, wenn sie geerdet blieben.

Was dem Bergdoktor hingegen an den Geschwistern Lister missfiel, war ihre Weigerung, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Und das machte der Vater, Franz Lister, in jedem Interview zum Thema.

»Meine Kinder mussten keine Schule besuchen, denn, was man zum Leben braucht, habe ich ihnen selbst beigebracht!«, verkündete er etwa. Oder auch – für Martin besonders unverständlich: »Ich war noch nie bei einem Arzt und halte auch meine Kinder von den Schulmedizinern fern. Meine Familie kennt kein Krankenhaus, keine ärztliche Untersuchung von innen. Selbstverständlich sind die Kinder auch nicht geimpft! Wenn sie einmal Halsweh haben, kocht ihnen meine Frau einen Kräutertee. Und wenn der Bauch zwickt, gibt es einen Kräuterwickel. Das genügt!«

Martin Burger bebte vor Zorn, wenn er las, welchen Unsinn dieser einflussreiche Mann da in aller Öffentlichkeit verzapfte. Aber wahre Fans – wie eben zum Beispiel die Haushälterin der Burgers, Zenzi Bachhuber, störten sich nicht an solchen Nebensächlichkeiten. Am liebsten würde Zenzi den ganzen Tag die fröhlichen Lieder der Listers hören, in denen es allesamt um das harmonische Miteinander, die gesunde Bergluft und den Traum vom Glücklichsein ging.

»Schau nur, Martin«, sagte Zenzi jetzt mit glänzenden Augen und deutete auf ein himmelblau unterlegtes Textfeld. »Das ist ein Gedicht, das Benjamin geschrieben hat. Und nachher hat er gleich eine Melodie dazu komponiert!«

»Es erstaunt mich, dass er schreiben kann«, knurrte Martin leise vor sich hin, »Wo er doch nie eine Schule besucht hat!«

Aber Martin machte Zenzi die Freude und las den Text und fand das Lied auch wirklich berührend. Wie schön Benjamin Lister seine Sehnsucht nach dem ausdrückte, was ihm das Leben bisher verweigert hatte.

Aber war es wirklich das Leben, das dem Burschen sein Glück verwehrte oder war es nicht vielmehr der Vater?, fragte sich Martin Burger. Warum sehnte sich ein Vierundzwanzigjähriger danach, mit einer jungen Frau händchenhaltend durch eine Straße zu gehen? Was hielt ihn davon ab? Ein Blick auf die harten Augen Franz Listers gaben Martin die Antwort.

»Hast du schon gehört, Martin?«, sprudelte es indes aus Zenzi heraus. »Die Listers kommen nach St. Christoph!«

»Hierher? Zu uns?« Martin konnte es kaum glauben. Das kleine Dorf St. Christoph lag doch etwas abseits vom Trubel in einem beschaulichen Seitental des Tiroler Zillertals. Die Menschen hier schätzten die Ruhe und Abgeschiedenheit, und wenn sie ins nächstgelegene Städtchen fuhren – nämlich hinunter nach Mayrhofen – dann bedeutete ihnen das die große Welt. In St. Christoph tickten die Uhren anders, und wer hier lebte, wollte es so. Der vor Jahren einmal gemachte Vorschlag, hier eine Schnellstraße zu erbauen, war von den Bewohnern resolut und einhellig abgeschmettert worden.

»Die Geschwister Lister kommen nach St. Christoph?«, wiederholte Martin Burger ungläubig.

»Hier steht es«, berichtete Zenzi aufgeregt. »In zwei Wochen soll ein großes Konzert auf der Feldkopfhütte stattfinden.« Die Dreiundsechzigjährige schlug die Hände vors Gesicht, und dabei entrang sich ihrer hageren Brust ein sehnsuchtsvoller Seufzer.

Martin Burger tauschte einen lächelnden Blick mit seiner Frau Sabine, die eben ins Wohnzimmer getreten war.

»Ich denke, Zenzerl, dass sich da was machen lässt!«, sagte er verheißungsvoll. »Du hast doch bald Geburtstag ...«

Zenzi hob den Kopf, wollte etwas sagen, brach aber stattdessen vor Rührung in Tränen aus.

Die drei Kinder der Burgers, die achtjährige Tessa, der fünfjährige Philipp, der von allen Filli genannt wurde, und die zweijährige Laura, waren mit ihrer Mama in die Stube gestürzt. Als sie sahen, wie erschüttert Zenzi war, drängelten sie sich sofort an die Hauserin heran und umschlangen sie mit ihren Ärmchen.

»Was ist denn, Zenzi?«, fragte Tessa besorgt und streichelte die Tränen von Zenzis Wangen.

Zenzi holte ein frisch gebügeltes, kariertes Schnupftuch aus der Schürzentasche und wischte sich über Nase und Augen.

»Es ist schon gut, Kinder«, schniefte sie. »Euer Vater hat mir gerade eine große Freude gemacht!«

»Warum musst du dann weinen?«, fragte der kleine Bub, dem die strohblonden Haare vom Kopf abstanden.

»Ach, Filli«, sagte Zenzi, »manchmal weint man aus Freude.«

Tessa nickte altklug. »So wie du damals, als dir das Christkind die Eisenbahn gebracht hat, Filli, erinnerst du dich nicht mehr?«

Filli dachte nach und bohrte dabei gedankenverloren in der Nase. Sofort zog Zenzi ihm die Hand weg, sanft und bestimmt, wie es ihre Art war.

»Ich bin einfach so gern ein Mitglied dieser Familie«, sagte sie leise, dann schniefte sie ein letztes, abschließendes Mal.

»Zum Abendessen gibt es einen faschierten Braten mit Kartoffelpüree«, fuhr sie in einer anderen Tonlage fort. »Ihr könnt schon mal den Tisch decken, Kinder!« Zenzi klatschte in die Hände, und die Kleinen stoben in die Küche.

»Danke«, sagte Zenzi zu Martin und Sabine Burger. Dann straffte sie sich und folgte der Kinderschar mit raschen Schritten.

***

»Das ist lieb von dir, Martin«, sagte Sabine Burger später zu ihrem Mann. Die Kinder lagen in ihren Betten, Opa Pankraz saß, in einen dicken Schmöker vertieft, in der Stube neben dem prasselnden Kaminfeuer, und Zenzi werkelte in der Küche. Das Ehepaar Burger spazierte wie so oft abends durch den schönen Garten, wobei Sabine und Martin einander berichteten, was sie tagsüber erlebt hatten.

Martin lachte auf. »Von dir ist das auch lieb, Sabine«, schmunzelte er. »Du wirst die Zenzi nämlich zum Konzert begleiten. Wir alle werden das. Ich habe für die ganze Familie Karten gekauft. Nur Laura lassen wir daheim.«

»Das ist eine gute Idee, Martin«, sagte Sabine. »Der Vater ist ja auch ein Fan der Geschwister Lister, und Filli singt ständig eines ihrer Lieder. Dieser Konzertbesuch wird ein nettes Erlebnis für uns alle, und Zenzi wird eine extra Freude haben, wenn wir sie begleiten. – Ich muss ehrlich sagen, dass ich auf diese Familie Lister ganz schön neugierig bin«, fügte die zierliche Sechsunddreißigjährige hinzu. »Ob die alle wirklich so eng und vertraut miteinander sind, wie man immer liest?«

»Das wirst du bei dem Konzert sicher nicht herausfinden, Sabi. Denn die Geschwister Lister sind Profis im Showgeschäft. Der Vater leitet diesen ›Betrieb‹ seit vielen Jahren, und seine älteste Tochter hat einen tüchtigen Geschäftsmann geheiratet, der sich um die Finanzen kümmert und inzwischen schon zum Hauptmanager geworden ist. Die zweite Tochter ist mit einem ehemaligen Journalisten verheiratet, der nun die Medien-Geschicke der Familie leitet, und der ältere Sohn hat eine Frau geheiratet, die eine wunderschöne Singstimme hat.«

»Dann erfüllt jeder in dieser Familie eine wichtige Rolle?«

»So ist es. Und soll ich dir was sagen? Gerade das macht diese Leute für mich verdächtig. Natürlich abgesehen davon, dass sie die Medizin und die Schulbildung verweigern. Aber muss es nicht in jeder Familie einen schrulligen Onkel geben oder ein aufmüpfiges Kind?«

»Du hast recht, die schwarzen Schafe machen eine Familie erst so richtig bunt. Ich frage mich, wer das einmal in unserer Familie sein wird?«

Martin lachte. »Ach, wir sind sowieso ein bunter Haufen. Wenn unser Vater erst einmal anfängt, über die Chronik von St. Christoph zu reden, und alle die Köpfe einziehen ... Oder wenn Zenzi ihren berühmten Apfelstrudel bäckt und die Küchentür verschließt, damit nicht einmal wir die Geheimzutaten erfahren. Oder wenn du in einer meiner alten Hosen, die du unterm Knie abgeschnitten hast, im Garten werkelst. – Warum verwendest du eigentlich ein Stück Paketschnur als Gürtel?«

»Weil sie grad bei der Hand war, als mir die Hose heruntergerutscht ist!«, sagte Sabine. Die zierliche Frau reichte ihrem Mann gerade mal bis zur Schulter.

Martin küsste sie schnell und fuhr lachend mit seiner Aufzählung fort: »Wenn Tessa altkluge Weisheiten von sich gibt, oder Filli einen seiner Streiche ausheckt, oder Laura ihr abgöttisch geliebtes Fröschli auf unserem Dackel Poldi reiten lässt ...«

Sabine lächelte und dann sah sie ihren Mann abwartend an.

»Und ...?«, fragte sie schelmisch.

»Was meinst du?«, gab sich Martin arglos, aber das Zucken seiner Augenbraue verriet ihn.

»Du hast eine Person vergessen, Liebling«, stellte Sabine naserümpfend fest. »Nämlich dich. Soll ich aufzählen, was dich so alles schrullig macht?«

Martin sprang plötzlich auf seine Frau zu, hob sie hoch und wirbelte mit ihr wild tanzend durch den Garten.

»Versuch's doch!«, rief er, und dann küsste er seine Sabine so leidenschaftlich, dass sie nicht mehr zum Reden kam.

***

Die Münchner Olympiahalle tobte. Zum zehnten Mal liefen die Geschwister Lister zurück auf die Bühne, und dabei hielten sich die acht Personen eng mit den Armen umschlungen. Am ersten Teil des Abends waren erstmals die beiden allerjüngsten Familienmitglieder mit dabei gewesen: die sechsjährigen Zwillinge Lara und Leonie. Beim Schlussapplaus standen die beiden Mädchen nun wieder auf der Bühne und blinzelten etwas verlegen in das blendende Licht der Scheinwerfer.

Die Mutter der beiden, Angelika Lister, stand auf der anderen Seite der Bühne neben dem Familienoberhaupt Franz. Kurz versuchte Angelika, unter dem Arm ihres Vaters durchzutauchen und zu ihren Töchtern zu laufen, aber der Vater hielt ihre Schulter mit eisernem Griff umklammert.

Angelikas Ehemann Rudolf, der nun auch die Bühne betrat, warf seiner Frau einen scharfen Blick zu, und sie resignierte, sank ein wenig in sich zusammen und blieb, wo sie war. Keiner im Publikum bemerkte den inneren Konflikt dieser Frau, denn ihr Gesicht war das wie ihrer Brüder und Schwestern, wie das von Mutter, Vater, Schwager und Ehemann von einem breiten Lächeln überzogen.

Es war Benjamin Lister, der als Superstar der Listers gewisse Sonderrechte besaß, der sich plötzlich aus der Reihe löste und die beiden Mädchen an der Hand nahm. Er flüsterte ihnen etwas zu, sie knicksten artig zum Publikum hin und liefen dann von der Bühne. Für einen kurzen Moment erschauderte Benjamin unter dem kalt missbilligenden Blick seines Schwagers Rudolf, der seine beiden herzigen Stieftöchter gern länger zur Schau gestellt hätte.

Benjamin entschärfte die Lage jedoch geschickt, indem er neuerlich zum Akkordeon griff und ganz spontan ein Abschiedslied anstimmte. Das Publikum, das schon lange nicht mehr auf seinen Sitzen saß, applaudierte stehend. Abschließend winkte Benni, wie er von der Presse und den Fans genannt wurde, und eilte dann zu seiner Mutter, die heute blasser war als sonst. Zur allgemeinen Begeisterung umarmte er sie, und dann verließen die Geschwister Lister endgültig die beleuchtete Bühne.