Der Fischer am Fjord - Karl Friedrich Kurz - E-Book

Der Fischer am Fjord E-Book

Karl Friedrich Kurz

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Beschreibung

Seit vielen Jahrhunderten leben die Fischer am Fjord mit den Stürmen, der rauen See und dem immer gleichen Alltag. Der alte Christoffer Lyngö hat es weit gebracht: ein großzügiger Besitz, zwanzig Kühe, hundert Schafe und ein beträchtliches Vermögen ist zusammengekommen, seit er mit seiner Frau Synive sein Erbe antrat. An ihr hängt der so kühle, herrische Fischer mit ungewohnter Zärtlichkeit. Aber mit seinem Sohn Johannes kommt eine seltsame Sehnsucht nach der Weite der Welt, ein Widerstand gegen den ewigen Kreislauf des Lebens am Fjord in die Familie. Vor allem durch den Lehrer Tyssen hat Johannes gelernt, dass es auch andere Dinge gibt außer Arbeit und Geld. Für Lyngö ist er schuld an dem Graben, der sich zwischen Vater und Sohn auftut. Der begnadete Pädagoge, der mit der Jugend wie mit der Natur umzugehen versteht und mit der ziemlich jungen Asta als Haushälterin zusammenlebt, ist allen ein Dorn im Auge. Auch wenn es gelingt, den Lehrer zu vertreiben und Johannes das uralte Fischerleben fortführt: in seinem Sohn Harald stoßen beide Welten endgültig aufeinander und löschen die Familie aus.Eine epische Familiengeschichte aus Norwegens Einöden.-

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Karl Friedrich Kurz

Der Fischer am Fjord

Roman

Saga

Der Fischer am Fjord

© 1941 Karl Friedrich Kurz

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711518489

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Der Sturm heulte.

Fern im Westen trieben zerrissene Wolkenfetzen mit wilder Hast. Unter ihnen brauste das aufgewühlte Meer. Eine Welle jagte die andere.

Schwärzlich lag das Wasser unter dem grauen Himmel. Immer dunkler wurde es, je höher es zum Horizont emporstieg. Dort schloss es mit einer unendlichen, allzuscharfen Linie ab.

Um die tausend gottverlassenen Riffe des äussersten Schärgaards tobte die Brandung. Blendend weiss schoss sie hinter dem dunklen Gestein aus dem gleichförmigen Grau des Wassers auf, sprühend und zischend. In sinnloser Wut zerschlugen sich die Wogen an der Küste.

Leer lag das Wasser. Weder Schiff noch Segel, soweit der Blick reichte. Nur zahllose Scharen leichtschwingiger Möven flatterten unstet in der dräuenden Luft. Ihr heiseres Krächzen klang zuweilen schrill aus dem Rollen und Donnern der Brandung.

«Ein rauchender Südwest, das! — der Herbst setzt früh ein diesmal!»

Das hatte der alte Christoffer Lyngö vor einer Weile schon zu seinem Sohne, dem Johannes, gesagt.

Seit ein paar Stunden hantierten die zwei Seite an Seite an einem Boote. Ueber einem kleinen Feuer zwischen den Steinen hing der schwarzglänzende Teertopf. Ein durchdringender Geruch, den auch der Wind nicht völlig zu entführen vermochte, hüllte den Platz in weitem Umkreise ein.

Des Alten Aeusserung über das Wetter blieb ohne Widerhall.

Johannes hatte nur kurz aufgeschaut und seine grauen Augen auf den unruhigen Wogenrand gerichtet. Die schweren Brauen, welche diese harten Augen überschatteten, zogen sich zusammen. Aber dann wandte er sich wieder stumm seiner Arbeit zu.

Der alte Christoffer war gross und ungeschlacht, mit etwas gebücktem Rücken und übermässig langen Armen. Sein Körper war wuchtig und unförmig von der Kraft seiner Muskeln und der Arbeit eines langen Lebens. Merkwürdig klein war sein Kopf, das weissgesprenkelte Haar und der struppige Bart verwildert, stets wie vom Winde zerzaust. In seinem Gesicht lief es kreuz und quer von Falten und Graben, ähnlich wie bei dem Gestein, das die ruhelose See zernagt hat.

Auch er hatte die grauen, harten Augen des Jüngeren, und die buschigen Brauen hingen noch tiefer darüber hinab.

Diese übermässig grossen Brauen waren das einzige, das die beiden einander ähnlich machte. Die niederhängenden, fast borstigen Haarbüschel verbargen die Augen teilweise und gaben dem Blick einen eigentümlich lauernden Ausdruck, als beobachteten sie alles, was um sie her vorging, tief aus den überschatteten Höhlen hervor, gleichsam aus sicherem Versteck, ohne sich selbst sehen zu lassen.

«Bist schlecht gelaunt heut!» sagte der Alte, nachdem er sich ein paarmal geräuspert, und begann mit dem langschäftigen Pinsel eifrig und umständlich im brodelnden Teertopf zu rühren.

«Warum sollt ich gut aufgelegt sein? — Muss einer schon was haben, um sich daran zu erfreuen.»

«Wirst zum rechten Sonderling und Grübler du! — Sorglos wie der Star im Frühling hast du’s! — Was sollte dich drücken? — Dennoch bist du immerzu unzufrieden — mit dir und mit anderen. Such dir eine Frau, Johannes!»

Der junge Lyngö liess die Hände plötzlich ruhen und schaute seinen Vater gross an.

Und der Alte wandte sich wieder dem Boot zu, indem er meinte:

«Nun — was ist denn dabei? Bist schon über die Dreissiger hinaus. Da ist’s nicht zu früh, sich einen eigenen Herd für das Alter zu bauen. — Das Alter kommt über dich, du merkst es kaum. Denkst nicht daran, bis es da ist — und dann reisst es dich hintenüber und wirft dich. — Jeden wirft das Alter, jawohl, weder Kräutlein noch Tränklein gibt’s dafür ...»

Johannes strich den langschäftigen Pinsel am Kiel des Bootes bedächtig ab.

«Darum sollt einer heiraten, meint Ihr?»

«Ja, darum! — Was soll aus dem Gaard werden, wenn kein Nachwuchs da ist? Denk an den Gaard!»

Ein spöttisches Lächeln ging über des Jüngeren Gesicht. Nachlässig meinte er:

«Was schert mich der Gaard, wenn ich einmal nicht mehr bin. Mag ein anderer ihn haben! Mag ein anderer schuften und rackern.»

«Red nicht so, Johannes!» rief der Alte erregt, fast ängstlich, als hätte sein Sohn sich an Gottvater selbst versündigt. «Wie kannst du den Gaard wegwerfen! — Den Gaard! — Gibt es seinesgleichen in vier, fünf Kirchspielen — he? Füttert er dir nicht deine zwanzig Kühe und deine hundert Schafe — he?»

«Zwanzig Kühe — hundert Schafe!» wiederholte Johannes gedehnt. «Habt Ihr mehr davon als Euer Hausmann, der Jens, von seiner einzigen Kuh und seinen drei Schafen?»

«Ja, das hab ich!» rief der Alte laut und schlug mit dem Pinsel im Aerger gegen die Planken des Boots. «Ja, das hab ich!»

«So!»

Der alte Lyngö schaute sich hastig um, obschon er wissen musste, dass kein Mensch auf fünfhundert Schritte war. Dann beugte er sich weit vor und flüsterte leise:

«... Das Geld, Johannes, — das Geld.»

«Das Geld!» sagte Johannes eigentümlich und dämpfte ebenfalls unwillkürlich seine Stimme. Fast feindselig blickte er zu seinem Vater hinüber.

Der schlug unter diesem Blicke die Augen nieder. Aber seine Finger krallten sich zu sehnigen Fäusten zusammen, als er sagte:

«Nein — noch ist es ja in meinen Händen, das Geld. Aber ich kann es doch nicht mit mir nehmen, wenn ich einmal gehen muss — dann kommt es auf dich, Johannes. So lange musst du schon warten ...»

«Und was habt Ihr denn jetzt davon?»

Fassungslos schaute Christoffer auf seinen Sohn, der gleichgültig weiter arbeitete.

«Das versteh ich nicht.»

«Hem — ja — Ihr habt wohl darüber nie nachgedacht. — Aber sagt mir doch einmal, ob Ihr Euch nicht tagaus, tagein abplagt wie der ärmste Fischer? Kaum an Festtagen gönnt Ihr Euch Ruhe! Und ist vielleicht unsere Suppe fetter und unsere Grütze besser als die eines andern? Schindet Ihr Euch nicht vom Winter zum Sommer und vom Sommer zum Winter, nur um ein paar lumpige hundert Taler zurückzulegen? »

Der Alte hatte, als Johannes so zu fragen anhub, die Hände sinken lassen. Mit wachsendem Staunen hatte er zugehört. Jetzt stand er breit da, und jenes eigentümliche Selbstbewusstsein, das nur der Besitz bringt, spiegelte sich in seinem Gesicht. «Was ich davon habe, fragst du? — Was ich habe? — das Geld habe ich! — Ist das nicht genug — he? — Nichts als der nackte Hof war an dem Tage da, als Lyngö auf mich kam. Kaum soviel Silber im Haus, um einen anständigen Leichenschmaus und das Grabbier zu bezahlen, als mir die Mutter starb. — Jawohl! — Und jetzt?! — Jawohl, jetzt kann ich mit harten, silbernen Spezitalern werfen! Ist das vielleicht nichts? Und jedes Jahr kommen die Renten dazu. Und jedes Jahr leg ich ein paar hundert Taler darauf — ist das vielleicht nichts, möcht ich wissen?»

Johannes lachte; ein kurzes, trockenes Lachen.

«Ja, ja — Ihr habt das Geld — das habt Ihr davon — dass es Euer eigen Geld ist. — Das ist es. Aber Ihr braucht es nicht, rührt nicht daran. Würdet hundertmal lieber verhungern, verderben!»

Der alte Lyngö war blass geworden. Seine Augenbrauen senkten sich noch tiefer über die grauen Augen herab.

Mit einer Stimme, in der sich Furcht und Zorn vereinten, sagte er:

«Tyssen, der alte Narr, hat dich beschwatzt, hat dich behext! — Seit der in der Gegend ist, steht’s nicht mehr recht um dich, Johannes. Der bringt all den verrückten Kram in deinen Kopf. Von dem hast du diese verdammten Bücher, in denen nichts als Widersinn und Lügen aufgeschrieben stehen. — Der Teufel hol den alten Narren mit allen seinen Schriften!»

Eine kleine Weile schwieg Johannes.

Dann sagte er langsam und ruhig:

«Durch den alten Tyssen und die Bücher hab ich vielleicht etwas früher einsehen gelernt, dass es noch andere Dinge gibt, als nur Arbeit und Geld. Weiter nichts. Einmal wären mir die Augen auch so aufgegangen. — Wir führen ein Leben wie Karrenpferde, die tagaus, tagein vorwärts gepeitscht werden. — Ziehen — immer ziehen; mit allen Kräften immer ziehen, stumpf, gleichmässig, ruhelos. — Und sagt mir doch nur, wohin eigentlich die Fuhre geht?»

«Johannes!» schrie der Alte rauh und heiser. «Herrgott, ist das nicht heller Wahnsinn, was du da schwatzest? Wie sollte das Leben denn sein? Seit wann bist du der Arbeit überdrüssig?»

Nachdenklich meinte Johannes:

«Ich scheue sie nicht, die Arbeit. Aber zu viel Arbeit macht den Menschen zum Lasttier. Das ist es!»

Jetzt sagte der alte Lyngö nichts mehr. Eifriger als zuvor hantierte er mit seinem langschäftigen Pinsel. Nur zuweilen murmelte er zwischen den zusammengepressten Zähnen hervor:

«... Er ist schuld daran, der alte Narr, der verdammte! — Aber das muss ein Ende haben!»

Johannes schwieg. Sein Gesicht war ruhig und ausdruckslos.

Wie zuvor war das Schweigen wieder zwischen den beiden.

Der Wind erfüllte mit seinem hohen Fauchen die Luft und das Donnern der Brandung kam zuweilen wie ein dumpfes, drohendes Rollen über die Felsen herauf.

Um die Mittagszeit rief Synive, des Christoffers Weib, von der Haustür herab zum Essen.

«Christoffer, ho — ho!» rief sie, die hohlen Hände wie einen Trichter vor den Mund haltend.

Des Weibes Stimme war laut und kreischend. Der Sturm aber überschrie sie.

Lange mühte sie sich vergeblich ab, es dem Winde gleich zu tun. Endlich aber begann sie mit dem buntkarierten Fürtuch zu winken, bis die zwei beim Boot aufschauten.

Es war ein grosses Stück Weg von der See hinauf zum weissgemalten Haus. Aber das war ihr Weg. Jahraus, jahrein, gingen sie ihn. Das war der Weg, auf dem alle ihre Vorfahren einst mit noch unbeholfenen Kinderfüssen den ersten Schritt in die Welt taten, der Weg, den seit undenklichen Zeiten alle Lyngös gegangen, von der Wiege bis ins Grab.

Andere Wege gab es auf der Insel nicht.

An der einen Seite, gegen die See hin, lag ein niedriger Hügel, dessen harten Rücken das Gletschereis der vergangenen Jahrtausende rund und flach geschliffen und auf dem erst spätere, mildere Zeiten zähes, dürftiges Gras wachsen liessen. Auf der anderen Seite lag eine kleine Wiese, aus der ein paar hausgrosse Steinblöcke emporragten. Unter diesen Steinen sammelte sich in einer Grotte der Regen. Das war die Quelle, welche für Haus und Hof das Wasser spendete.

Keiner der früheren Lyngö hatte über diesen Weg besonders nachgedacht. Nur dem Johannes war er stets zu steinig gewesen. Er liebte schon als Knabe den Weg nicht, den alle andern Lyngö vor ihm gegangen.

Tyssen, der alte Schulmeister, hatte, als er an die Küste herauszog, allerlei Pflanzen und Stauden mitgebracht und um sein Häuschen gepflanzt. Von ihm hatte Johannes ein paar Setzlinge erhalten und sie bei den grossen Steinen dem mageren Erdreich anvertraut. Jetzt waren sie zu kleinen Bäumen herangewachsen. Doch hatte der Sturm ihre Stämmchen gekrümmt, und die Aeste der dünnen Kronen hingen kraftlos zum Boden nieder.

Auch diese paar elenden, kränkelnden Bäumchen waren dem alten Lyngö ein Aergernis. Er hasste jede Neuerung. Doppelt hasste er sie, wenn sie vom Schulmeister herkam.

Heute, als er Johannes so absonderlich reden hörte, war es ihm mit einem Male klar geworden, dass Tyssen dem Sohn den Sinn gewendet und die Augen verblendet hatte. Und während er jetzt ein paar Schritte vor Johannes her den Weg zum Hause hinauf ging, wunderte er sich, dass er nicht früher auf diesen Gedanken gekommen.

Ja, bei Gott — da hätte er dem verrückten Kerl beizeiten das Handwerk gelegt. Er, der reiche Lyngö — wer hätte ihn daran nur hindern wollen?

Aber das kam so hinterrücks, langsam und schleichend. Er hatte zudem früher nie besonders auf Johannes geachtet. Ja — und nun war es vielleicht zu spät.

Mit düsterem Gesicht betrat er das Haus. Grübelnd sass er am oberen Ende des langen Tisches. Er starrte in seinen Teller und sann zum erstenmale in seinem Leben über etwas anderes nach als Arbeit und Gewinn und was damit zusammenhängt.

Kein Wort fiel während des Essens. Die Knechte und Mägde sassen stumm und verlegen. Alle schauten still vor sich nieder. Nur das Geklapper der Löffel erfüllte den Raum.

Draussen heulte der Südwest. In wütenden Anläufen fiel er über das Haus her, rüttelte und zerrte es. Die Sparren knackten leise.

Zuweilen brach ein fahler Sonnenstrahl über die grellen weissen Ränder der jagenden Wolken. Ein warmer Schein huschte durch die vielen kleinen Scheiben der niedrigen Fenster, flatterte über den Tisch und die düstern, schweigenden Menschen. Nur an der hintern Wand, bei dem buntbemalten Schrank, auf dem die grosse, altertümliche Bibel lag, schien er sich länger aufhalten zu wollen; dort spiegelte er sich freundlich in den blanken Messingbeschlägen.

Noch bevor die Knechte mit ihrem Essen ganz fertig geworden, gab ihnen der alte Lyngö mit ein paar kurzen Worten die Befehle. Und noch ehe der letzte Bissen den Hals hinunter war, standen alle auf und gingen. Jeder seiner Arbeit nach. Der erste, der sich erhob, war der alte Lyngö. Da wagte es keiner, noch länger sitzen zu bleiben. Synive und die Mägde trugen das Geschirr in die Küche.

Eine beachtenswerte Frau war des alten Lyngö Weib. Obschon ihr ehedem dunkles Haar sich nun mit grauen Strähnen zu durchziehen begann, so dass es aussah, als hätte sie Asche darüber gestreut, und obschon ihr Gesicht zu welken anfing und sich mit Falten durchzog, trug es noch immer die Spuren der einstigen Jugendschönheit. Und wenn der alte Sörren den jüngeren Knechten erzählte, dass Synive das hübscheste Mädchen auf viele Meilen in der Runde gewesen, so sagte er damit die volle Wahrheit. Aber keiner konnte verstehen, wie gerade sie, die Vielbegehrte, zum Christoffer Lyngö gekommen.

Aber die Liebe ist manchmal sonderbar, voller Widersprüche, und lässt sich schwer zum voraus berechnen. Alle mussten das zu ihrem Staunen auch bei der schönen Synive einsehen.

Christoffer, der sonst keinen Ueberschwang an Gefühlen hatte und all sein Leben lang ein kalter, trockener Wertmensch gewesen, hing mit einer gewissen Zärtlichkeit an seinem Weibe. Bis in seine alten Tage hinein hatte er ihr diese Zuneigung bewahrt. Seine gierigen, lauernden grauen Augen bekamen stets einen weicheren Schimmer, wenn er sich ihr zuwandte.

Des alten Lehrers Tyssen Haus lag ein paar Meilen von Lyngö in einem geschützten Winkel weiter hinten im Fjord.

Es war ein bescheidenes Häuschen, und die buckligen Wiesen zu beiden Seiten des schäumenden Bergwassers gaben nur spärliches Futter für den geringen Viehstand. Rings darum her dehnte sich die pfadlose Einöde der Wildmark. Staudenbewachsene Erdschollen ragten in wildem Durcheinander, Inseln gleich, aus den Geröllhalden und dem nackten Felsboden auf.

Früher war dieser Schulmeistergaard einer der verachtetsten weit und breit gewesen, und kein Lehrer hatte es dort lange ausgehalten. Aber in der Zeit, seit Tyssen herkam, hatte sich das Höflein verändert. Viele der Bauern und Fischer in der Gemeinde meinten, es könne dies nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.

Wie eine Oase des Lebens lag der Gaard unter den unfruchtbaren Hängen der kahlen Wildmark. Obstbäume, Birken und Tannen standen jetzt dort, wo früher nur dürftige Stauden ein nutzloses Dasein geführt. Und Blumen und allerlei fremdländische Gräser und Büsche zeigten ihre bunte Farbenpracht vom ersten Frühling bis tief in den Herbst hinein.

Aber was für die Fischer noch das Sonderbarste von allem blieb, das waren die Gemüsebeete Tyssens. Sie hielten das zuerst nur als Zierrat und schüttelten die Köpfe, als sie erfuhren, dass die Kohlköpfe, Erbsen und Gurken für den Tisch bestimmt seien.

Gras und Kraut fressen die Kühe und Schafe; aber kein vernünftiger Mensch wird solches Zeug anrühren! So sagten sie untereinander und spien voller Abscheu auf den Boden.

Alle prophezeiten dem Lehrer durch seine Gemüse Krankheit und frühen Tod. Und alle wunderten sich, dass ihre Voraussagen nicht in Erfüllung gingen.

In den letzten Jahren aber hatte da und dort einmal einer vom alten Lehrer ein paar Setzlinge angenommen. Jedoch die Wartung der Pflänzchen verdross sie. Daher war auch die Ernte nicht gross. Und da meinten sie, es sei halt nicht jedermanns Sache, mit solchem Kraut umzugehen, rissen es aus und warfen es auf den Mist.

Johannes Lyngö war der einzige von den Erwachsenen, der zum Lehrer hielt. Die andern waren teils gegen ihn misstrauisch, teils war er ihnen gleichgültig.

Aber die Jugend vergötterte ihn. Die wenigen Monate Schulunterricht im Jahre wurden ihr zu Festtagen.

Gleich wie aus der Wildnis um sein Häuslein her, verstand es der alte Tyssen, auch aus ihnen ein fruchtbar Erdreich zu fördern, worin er allerlei fremde Pflänzlein setzen und pflegen konnte.

Durch ihn kam es so weit, dass die heranwachsende Jugend von vielem wusste, was den Alten ferne stand und unverständlich war. Die Alten fühlten die Kluft, die sich zwischen ihnen und den Jungen auftat. Und keiner war darum dem Lehrer besonders grün.

Ein Sonderling war Tyssen. Alle die früheren Lehrer hatten ihre Ehefrauen mitgebracht, hatten grössere oder kleinere Kinderscharen um sich her gehabt und hatten sich den Schulräten in allem willig gefügt.

Er aber, der alte Tyssen, fuhr die Schulräte, als sie ihn am Band leiten wollten, zuerst in eine Sackgasse, aus der sich keiner mehr herausfand. Er fragte sie dies und fragte sie das, worauf sie stumm die Köpfe hängen liessen. Loch an Loch deckte er vor ihnen auf und gab ihnen zu verstehen, dass es auch für die Fischer draussen an der Küste notwendig sei, sich den Fortschritten der Zeit nicht zu verschliessen.

Ein paar der Schulräte hatten anfänglich widersprochen. Aber die waren nicht fein davon gekommen.

Nachdem sie gemerkt, dass mit dem alten Tyssen nicht gut anzubinden sei, liefen sie zum Pfarrer, verklagten ihn und suchten Hilfe. Aber als der Pfarrer sich in die Sache gemischt, trat er bald auf die Seite des Lehrers. Die Räte aber standen nun zwischen zwei Wassern und vermochten erst recht nicht gegen beide anzuschwimmen.

Daher liessen sie den alten Tyssen schliesslich nach seinem Gutdünken handeln, nickten zu allem voller Widerwillen und Grimm ihre Zustimmung und führten überhaupt nur noch ein Scheindasein.

Dann aber war noch ein anderes im Hause des Schulmeisters. Er hatte anstatt Weib und Kind ein noch ziemlich junges Frauenzimmer mitgebracht, das ihm den Haushalt führte, sich ebenso schön kleidete wie die Stadtleute und so hübsch war, dass alle verheirateten Frauen behaupteten, es sei eine Sünde.

Sie hiess Asta.

Es sei eine Sünde, das sagten die Weiber auch, als ihnen des Lehrers Dienstmagd zu Ohren trug, dass Tyssen und Asta stets so freundlich zueinander seien wie Brautleute. Die Männer aber hielten es für unschicklich, dass ihr Lehrer ein schönes Weib im Hause hatte, nahmen, wie es sich gehört, Anstoss und behaupteten, es gereiche ihm zur Schande, dass er freundlich zu ihr sei.

Sie glaubten, es sei weit züchtiger, das Weib gehörig unter der Fuchtel zu halten. Das, sagten sie mit wichtigen Mienen zueinander, stände wörtlich irgendwo in der Bibel, und die alten Israeliten hätten es auch schon so gemacht.

Dem Lehrer kam wohl dies und das von der Meinung der Fischer zu Ohren. Aber es focht ihn wenig an. Er ging still und unbekümmert um die andern seine Wege. Meinte, die Leute müssten sich an ihn und sein Leben gewöhnen.

Dass es aber unter Umständen ein gefährliches Ding sein kann, geradewegs seinen eigenen Kurs zu steuern und die Welt und ihre Meinung links liegen zu lassen, das musste zum Schlusse auch der Lehrer erfahren, bald nachdem der alte Pfarrer gestorben.

An einem Sommerabend sass Tyssen am Fenster. Draussen spannte sich der klare Himmel leuchtend und wunderbar über die kleine Bucht. Selbst der kahlen Armut der nackten Felsenberge warf dieser Himmel einen purpurnen Mantel um. Das Wasser lag ruhig und glatt. Alles, die Sträucher und die Bäume und die Felsen schauten scharfumrissen wieder daraus hervor.

Schneeweiss war Tyssens Haar. Es fiel in langen Locken bis auf die Schultern herunter und umrahmte sein noch frisches und fast jugendliches Gesicht. Nur um dieses weissen Haares wegen nannte man ihn mit Recht den alten Tyssen.

Er hatte traurige Augen, die stets lange auf einem Dinge ruhten, ehe sie zu einem andern gingen. Die Lider senkten sich tief und müde darauf nieder.

Ihm gegenüber sass das Weib, um dessentwillen sich die sittlichen Gemüter der Gemeinde so manches Jahr entrüstet. Tief lehnte sie im Stuhl zurück und ihre schmalen Hände ruhten lässig im Schosse. In ihrem bleichen Gesicht vermochte selbst der Abend keine Farbe zu erwecken. Wie Marmor sah es aus, fast wesenlos. Nur in den dunklen Augen glühte Leben und Leidenschaft.

Im Zimmer war es still.

Man hörte nur das Zwitschern der kleinen Vögel, die sich draussen in den dunklen Tannenästen ihr Nachtlager suchten. Manchmal kam auch von einer fernen Bergwand, verwehend und leise, das Herdengeläute der weidenden Schafe herüber.

«Warum bist du heute nicht mit zur Kirche gekommen?» fragte sie mit weicher, verschleierter Stimme.

«Ich war nicht neugierig. Und die Andacht lässt sich besser hier draussen finden», antwortete Tyssen, ohne dass er seinen Blick von den stillen Wassern wegwandte.

«Aber — wenn es dir der neue Pastor übel nimmt? Er ... gefällt mir nicht. Irgend etwas an ihm macht mir bange. Seine wässrigen Augen vielleicht — seine Stimme ...»

Tyssen lächelte.

«Sei nicht so schnell im Urteil, Asta!»

«Ich fürchte mich!» beharrte sie unbeirrt durch seinen Einwand.

Jetzt wandte sich Tyssen ihr zu. Eine Weile ruhten seine Blicke auf ihrem Gesicht. Dann fragte er:

«Was fürchtest du?»

Sie neigte sich vor und flüsterte:

«Mir ahnt ... irgendwo lauert das Uebel ... Die Leute schauen sonderbar auf mich seit ein paar Tagen ... Sie grüssen nicht wie früher und wollen nicht stehen bleiben, wenn ich sie anrede. Es liegt etwas in der Luft ... Und dann der neue Pfarrer ... wer kann sagen, ob er zu dir hält, wie der andere? Wenn wir von hier fortziehen müssten ... Von neuem wandern!»

Vorgebeugt sass sie ihm gegenüber. Ihre Lippen zuckten; ihre Augen glänzten feucht und fieberhaft.

Der alte Tyssen schwieg.

Lange schwieg er und schaute wieder hinaus auf das ruhige Wasser und auf die hohen Felsen, die im überschwenglichen Lichte des Abends zerflossen.

Kühl und sachte, kaum wahrnehmbar strich ein verlorener Lufthauch durchs Fenster herein. Ein paar Birkenblätter zitterten ganz leise.

Nach einer Weile sagte der Lehrer langsam und zögernd, wie aus tiefem Denken heraus:

«Von neuem wandern! ... Nach den langen Jahren der Ruhe und Arbeit. Weiss Gott, es würde mir nicht leicht fallen! ... Du magst dich gleichwohl täuschen, Asta ... Noch wenige Jahre und unsere Jugend wird ans Ruder kommen. Auf die baue ich. Und wenn die Zeit erst gekommen ist, wie vieles würde dann möglich sein. Wie vieles tut ihnen bitter not, was sie in ihrem Unverstande heute von sich weisen ... Es ist trotz allem ein guter Schlag hier draussen, zäh im Wollen und lenkbar, wenn sie vertrauen. So eigensinnig jetzt die Alten am Alten festhalten, ebenso gründlich werden die Jungen einmal damit aufräumen ... Mit Schmutz und Geiz und Heuchelei und kurzsichtigem Eigennutz.»

Dann schaute er wieder stumm auf das dunkelnde Wasser hinab.

Scharf und klar hob sich sein Kopf gegen das Feuer des Abends ab. Die kühle Ruhe des reinen Himmels spiegelte sich in seinem Antlitz. Die Abendröte stand wie ein Glorienschein dahinter.

Mit seltsamen Augen betrachtete ihn das blasse Weib.

Und ihre Gedanken wanderten zurück zu der Zeit, da er sie als herrenloses Gut von der Strasse aufgelesen. Zu der Zeit, da er sich ihrer angenommen, als der reiche Bauer sie verführt und die Bäuerin sie mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt.

Ein halbes Kind noch war sie damals, heimatlos, schutzlos. Jede Tür verschlossen vor ihr. Niemand wagte, dem mächtigen Bauer oder seinem Weib gegen den Willen zu sein. Sie wäre verhungert, verdorben.

Und da war er gekommen — der Sohn ihres Verführers. Hatte den Hof seiner Eltern verlassen, sich ihrer angenommen — um das Unrecht seines Vaters wieder gutzumachen. War mit ihr in die Fremde gezogen.

Sie aber hatte sich an ihn geklammert, wie sich die Efeuranke an den starken Stamm klammert.

Er hatte ihr neue Wege gezeigt, steile Wege voller Dornen und Steine und voll herber Entsagung. Er hatte wandern müssen, weil er ihretwegen überall in loses Gerede gekommen.

Eine seltsame Scheu erfüllte sie vor ihm. Sie sah zu ihm auf wie zu einem Heiligen, wie zu einem höheren Wesen, weil sie an ihm noch keine Schwäche gesehen.

Wie er, von der Abendröte umflossen, so ruhig und weltfremd vor ihr sass, da zwang sie ein unerklärliches Etwas, vor ihm hin zu knien — wie sie es früher getan, in den ersten, verzweifelten Tagen.

Und wie damals strich er sanft und sachte, ohne ein Wort zu sagen, über ihr dunkles weiches Haar.

Von der Bucht herüber kam ein gleichmässiger Ruderschlag. Wie ein dumpfes, drohendes Poltern kam es. Näher und näher.

Der alte Tyssen hörte es kommen. Doch schaute er unverwandt auf das dunkle Haar nieder. Ein paar wilde Löcklein hatten sich über seine Finger heraufgebäumt; der leise Hauch des Abends spielte damit.

Traurig und ernst sah er nieder. Auch in ihm war die Vergangenheit wach geworden.

Unten verstummte jäh der Ruderschlag. Ein Boot fuhr auf den Strand. Der Sand knirschte.

Als Tyssen sich hinwandte, sah er den alten Lyngö ans Land steigen. Er sah ihn mit langen Schritten zum Hause heraufkommen. Und er wusste, dass ihm dieser Besuch nichts Gutes bringen konnte.

Da sagte er leise:

«Geh nun, Asta. Der alte Lyngö scheint mich besuchen zu wollen — und ich glaube, deine bösen Ahnungen gehen schon jetzt in Erfüllung.»

Asta stand auf und entfernte sich ohne ein einziges Wort.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, trampelte der alte Lyngö mit seinen schweren Seestiefeln im Flur. Herrisch klopfte er. Und als er eingetreten, massen sich die beiden mit einem langen Blick.

«Tag, Lehrer», grüsste endlich der reiche Fischer.

«Guten Tag, Lyngö. Seid Ihr noch so spät auf der Fahrt?» fragte der alte Tyssen freundlich.

«Ich komm von Harbakke — nach der Kirche hatte der Schulrat seine Zusammenkunft. Man ist mit Euch unzufrieden, Lehrer.»

Tyssen entgegnete gelassen:

«Das ist eine alte Geschichte, Lyngö. Ist denn der Schulrat jemals mit mir zufrieden gewesen in all der langen Zeit?»

Doch der alte Lyngö zog die buschigen Brauen zusammen.

«Ein ander Ding war es früher — ein ander Ding ist es heute, Lehrer. Unsern neuen Pastor bekommt Ihr schwerlich herum in Eure verfluchten Ideen. Bernt Storemaken hat mit ihm gesprochen in der Sache. Und der Pastor ist Euer Obmann, Lehrer.»

«Ist das alles, Lyngö?»

«Nein, noch etwas anderes ist’s — — Horcht, Lehrer — an mir steht es jetzt, ob Ihr hier im Amt bleibt oder nicht. Ich hab es dieses Mal in der Hand, ich allein. Und ich will Euch helfen — wenn Ihr mir meinen Jungen wieder ins rechte Fahrwasser bringt. Das ist die einzige Bedingung, die ich stelle. Mit den andern Schulräten werd ich hernach schon fertig — zwei stehen in meiner Schuld — und der Storemaken ist ein Tölpel, der von selbst mitgeht. Also schlagt ein, Lehrer.»

Der mächtige Lyngö hielt dem Lehrer seine ungewöhnlich grosse, harte Hand hin. Sein Mund verzog sich zu einem herablassenden und erzwungenen Lächeln. Die grauen Augen aber lagen lauernd hinter den überhängenden Brauen.

Tyssen rührte sich nicht.

«Wie, Lehrer — sind wir einig?» drängte der alte Lyngö.

«Ich versteh nicht, was Ihr von mir wollt. Was ist’s mit Eurem Sohn? Was soll ich dabei?»

Da ballte sich des alten Lyngö ausgestreckte Hand zur Faust. Heiser klang seine Stimme.

«Nehmt Euch in acht, Lehrer! — Habt Ihr noch nicht genug Uneinigkeit und Zwiespalt in die Gemeinde gebracht? Habt Ihr nicht dem Johannes den Kopf verdreht, dass er mürrisch ist mit den Zuständen, wie sie hier bei uns von jeher gewesen? Zu eng ist ihm mein Haus, und das Erbe, das seiner wartet, achtet er gering ... An dem tragt Ihr die Schuld, Lehrer! ... Was geziemt unserem all der hirnverbrannte Kram, mit dem Ihr die Köpfe der Jugend füllt! Rechnen und Lesen, das tut not. Rechnen, damit sie vorwärts kommen im Leben, und Lesen, dass sie aus der Bibel ersehen mögen, wie sie leben sollen. Das ist genug. Und was darüber ist, das ist vom Uebel!»

Mit müdem Lächeln meinte der Lehrer:

«Dass Ihr mir das alte Lied wieder aufs neue vorsingen möget. Wir können doch hier nimmer zusammenstimmen. Lasst halt der Sache erst ihren Lauf; es mag sich dann zeigen, ob’s zum Bösen geht oder zum Guten.»

«Nein — ich werd ihr nicht den Lauf lassen — ich nicht!» schrie der alte Lyngö. «Entweder — Ihr fügt Euch meinem Willen — oder Ihr geht. Eins von beiden. Und wenn Ihr erst fort seid, dann werden wir schon wieder Ordnung schaffen hier draussen. — Noch einmal frag ich Euch, wollt Ihr den Johannes dahin bringen, wohin er gehört? Wollt Ihr ihm sagen, dass all der verdrehte Krimskrams in den Büchern und all der gelehrte Schnack, den Ihr ihm verkündet habt, unnützes Zeug ist und bleiben wird? Wollt Ihr das, Lehrer?»

Ernst, fast feierlich sagte da der alte Tyssen:

«Könnte ich die Wahrheit verleugnen! Versteht Ihr nicht, dass keiner mehr glauben würde, wenn ich das verneinen wollte, was sie längst selbst erkannt haben? Gerade Euer Johannes wird einst der Gemeinde zum Segen werden. Er ist von feinerm Schrot. Daran könnt Ihr nichts ändern und auch ich nicht.»

«Zum arbeitsscheuen Schwärmer wird er — ein Narr, wie Ihr selbst!»

Der alte Lehrer blieb gelassen.

«Schauet zum Fenster hinaus, Lyngö. Seht Ihr die Birken und Tannen und Föhren? Stehen ihrer nicht viele tausende am Strand und bis hinauf in die Klüfte der Felsen? Die hab ich mit meinen Händen gepflanzt. Sagt mir, sind das arbeitsscheue Hände? — Was hat Euch der Boden zuvor getragen? Ein Dutzend Schafe fanden vielleicht ihre Weide, das war alles. Und ist es Euch nie in den Sinn gekommen, dass jeder Regen mehr und mehr das fruchtbare Erdreich von den Felsen herunterwäscht, Erde, die nimmer hinaufgeschafft werden kann? — — Nun! — Wenn über diesen weiten Strecken wohlgepflegte Wälder ständen! Es waren ja einst Wälder dort, die dem Unverstande Eurer Vorfahren zum Opfer fielen. Und es könnten wieder Wälder dort stehen! Ein unerschöpflicher Reichtum wäre das für Eure arme Gemeinde. Alles Elend hätte mit einem Male ein Ende. Der Hunger wäre für immer von Eurer Schwelle verscheucht. — Ihr aber seht die Bergrücken kahler und kahler werden und rührt keine Hand. Nur darum nicht, weil Euch der Nutzen zu ferne liegt. Ob er einst Euren Kindern hundert- und tausendfältig zuteil wird, was ficht das Euch an. Und dass ich der Jugend die Augen öffnen möchte für ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder — darum scheltet Ihr mich einen Narren ...»

Der alte Lyngö hatte anfänglich gestutzt. Die Worte des Lehrers hatten tief in seinem Innern einen fernen Widerhall gefunden. Doch dann gab er sich einen jähen Ruck und fuhr mit seiner schweren Faust durch die Luft, als wollte er das Hindernis, das sich vor ihm auftat, niederschlagen. Barsch meinte er:

«Das ist alles verrücktes Zeug, was Ihr da schwatzt, Lehrer! Wir brauchen keine Wälder! Haben wir denn nicht die See und unsere Aecker und Wiesen? Hatte mein Vater oder Grossvater Wälder — he? — Nein! — Und die haben doch auch leben können, mein ich.»

Darauf entgegnete der Lehrer zuversichtlich:

«Eure Kinder werden einst anders denken. Und das ist gut so!»

Mühsam würgte der alte Lyngö an seinem Zorn. Breit und markig stand er vor dem Lehrer. Seine grauen Augen leuchteten hart wie stählerne Klingen.

Dann drehte er sich schroff um. Im Fortgehen sagte er:

«Gut, Lehrer — wir sind jetzt fertig miteinander. Und was kommt, ist Eure Schuld!»

Klirrend fuhr die Tür hinter dem alten Lyngö ins Schloss. Mit schweren Schritten trampelte er über den Flur. Und dann erhob sich unten am Strande wieder der dumpfe Ruderschlag. Drohend, wie er gekommen, entfernte er sich und verstummte endlich hinter der äussersten Landzunge.

Tyssen war am Fenster stehen geblieben und sah das Boot hinter den Felsen verschwinden.