Der Sohn des Meeres - Karl Friedrich Kurz - E-Book

Der Sohn des Meeres E-Book

Karl Friedrich Kurz

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Beschreibung

Eine ganz närrische Zeit bricht in Godenes, diesem Felsenland, aus, als auf einmal ein großes, fremdes Schiff mit gebrochenen Masten zwischen den Felsen festsitzt. Alle Seeleute werden gerettet und Serano und Martinez bleiben zurück. "Martinez, unser Spaniole", sagen die Mädchen. "Serano, mein Spaniole", sagt Kjersti und auch die Männer von Godenes waren nach ihrer Heldentat selbstbewusst und überlegen und das Leben in diesem Sommer war wunderbar und herrlich. Die Kinder von Godenes spielen ihre eigenen Spiele. Sie spielen Bootsmanöver und Fischfang, Ausfahrt und Heimkehr. -

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Karl Friedrich Kurz

Der Sohn des Meeres

Roman

Saga

Der Sohn des Meeres

German

© 1938 Karl Freidrich Kurz

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711518410

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Südländer

Das mit den Spaniolen ist nun schon eine alte, halb vergessene Geschichte. Sie begann am Gestade von Godenes, in einer nebelgrauen Dämmerung, an einem Februarmorgen ...

Es kam an diese Felsenküste heran im Gewieher des Weststurms, im Brüllen der Brandung. Vielleicht fielen ein paar Kanonenschüsse; kein Mensch hörte es. Kanonenschüsse müssen völlig untergehen im Höllenlärm zwischen den Schären, wenn die gewaltigen Kräfte am Werk sind. Unter Donnern und Fauchen, Prasseln und Zischen entsteigen dann die bösen Geister der See, schwingen ihre Gischtschleier und tanzen um die äussersten Riffe. — Wenn du dieses niemals mit eigenen Augen gesehen und miterlebt hast, mein Freund, so kannst du es gar nicht glauben ...

Auf einmal stand an jenem Morgen die grosse fremde Bark hoch zwischen den Felsen; ein Schiff mit gebrochenen Masten, mit jammervollen Fetzen von Segeln, mit flatterndem Takelwerk — als das zerzauste Gespenst eines Schiffes stand es, halb verwischt hinter Regentüchern, unbegreiflich, unheimlich und furchtbar. Gott allein weiss, ob ein paar arme Menschen schrien in Todesangst ... Ganz gewiss schrien Menschen ...

Kjersti war es, die das fremde Schiff zuerst sah. Kjersti sprang aus dem Bett und rief ihrem Manne zu: „Jesus tröste mich — ein Unglück!“

Darauf drehte auch Aslak sein rotbärtiges Gesicht gegen das Fenster hin, begann vor Aufregung laut zu schnaufen und griff ohne ein Wort nach seinen Kleidern. Das war eine ganz grosse Sache.

Wilder Aufruhr fuhr in alle Hütten; Männer in nassglänzendem Oelzeug rannten dem Strande zu, an die kleine Bucht von Nesse. Das grosse Kirchenboot glitt schaukelnd über die hohe Schwelle des Schuppens, glitt über die Querbalken und Steine. Knisternder Gischt umfing es gierig, die zu- und abfliessenden Wasser hoben es, schleuderten es hin und her.

Die Männer riefen einander zu: „Haltet es klar von den Steinen ... Passt auf ... Stosst ab ...“ Sie schrien mit hohen, heiseren Stimmen: „Das ist ein überhändig schweres Wetter ... Nein, wie wird das ausgehn ...“

Sie meinten ja alle, es könne niemals gut ausgehen. Aber sie stiessen dennoch ab ... „In des Herrn Namen ...“

Acht Ruder legten aus, acht lange, dünne Spinnenbeine tauchten in den fahlen Schaum. Selbst hier, in der geschützten kleinen Bucht von Nesse, kochte das Wasser — doch dort hinter der Landzunge von Levra schoss es gleich einer ungeheueren Schneewand, kirchturmhoch, empor. Eine Mauer, schreckhaft und unüberwindlich ... Die Männer richteten ihre Blicke hinüber. Ach, sie kannten die Gefahr; aber sie ruderten. Die dunkle Spinne kroch auf ihren lächerlich dünnen Beinen mühsam über den brodelnden Gischt. Es schien rein unglaubhaft. Es war verrückt. Autun, der Lotse, führte sie.

Die Männer schrien sich keine Worte mehr zu; sie pressten ihre Lippen hart zusammen, ihre bärtigen, bläulichen Lippen. Sie bissen die Zähne aufeinander. Kein einziger hielt es für möglich, an Levra vorbeizukommen. „In des Herrn Namen“, dachten sie und legten sich weit zurück und rissen an den Rudern wie Besessene.

Autun, der Lotse, steuerte wahrlich gut; den Schutz jeder Felswand nutzte er aus, den Schutz jedes Riffes, jeden Fall des Wassers; das reine Kunststück war es, wie er die Sturzseen nahm, im rechten Augenblick, wenn sie in ihrer eigenen Wut zerfielen ... Seht, wie er so hinten im Boot steht, emporgeschleudert, niederfallend, festgenagelt auf den schmalen Planken, gleicht er ja selber einem Felsstück. Und das ganze schwarze Boot gleicht zuweilen einem Riff, das sich im allgemeinen Tumult vom Meeresgrunde losgerissen, und sich nun, von irgendeinem Geist der Tiefe getrieben, auf die Wanderschaft begibt ...

Aber das alles ist noch gar nichts, lieber Freund — hier, im Lee der Felsen von Nesse. Das reine Kinderspiel ist es, gegen das, was hinter Levra wartet. „Jaja — Herr Gott im Himmel“, denken die Männer, „es ist furchtbar heute ...“ Und sie rudern. Sie rudern und kämpfen sich langsam bis zur Landzunge hin, und begreifen selber kaum, dass es geht.

Die erste Woge kracht als fauchendes Ungetüm auf sie nieder, überschüttet sie mit dickem Sprühregen, peitscht sie, blendet sie — bösartige Tropfen, die hart wie Kiesel auf die Planken prasseln und auf der Haut schmerzen wie scharfe Eisennägel. Halb verborgen in grünlichen Schaumsträhnen richtet das Boot sich in die Höhe ... steil, steil steht sein Bug empor, als wolle es mit einem gewaltigen Sprunge den bräunlichen Wolkenfetzen zufliegen. Die Felsennase, das ist das allerschwerste Stück — das ist die Probe.

Möglicherweise hatte der Sturm sich ein wenig müde gerast. Fast sah es so aus, als liessen sich die tobenden Wasser verblüffen von der schwarzen, beharrlichen Spinne, die nicht müde ward, sich nicht schrecken liess, sondern starrsinnig herankroch — möglicherweise lag es nur im Spiel der hohen Mächte; das Boot durchbrach die weisse Mauer. Die Männer starrten die Felsen an und murmelten. Und so kämpften sie denn weiter, in des Herrn Namen ...

Zu dieser Stunde hätte man ihre Gesichter sehen sollen, die struppigen Gesichter der Fischer von Godenes. Seltsam verwandelt waren sie, verzerrt, in Verzweiflung erstarrt; helle Flammen standen in ihren Augen. Mochten sie im täglichen Leben schwerfällig und einfältig sein, diese Männer, schläfrig, ja sogar träge — jetzt waren sie geschmeidig in ihren Wendungen, entschlossen in ihrem Handeln, und in ihren Armen lagen Riesenkräfte. Irgendwie sahen sie einander ähnlich, im gemeinsamen Kampf gegen die Seegewalten. Restlos vereinigten sie ihre Kräfte; durch ein paar schwarze Planken wuchsen sie zusammen zu einem einzigen Leib.

So ungefähr war der Anfang dieser Geschichte — mit einem Untergang begann sie.

Schwach und klein ist der Mensch, wenn die See ihre Pranken hebt zum Schlage. Aber die Fischer von Godenes trotzten ihr. Die Fischer verrichteten an diesem Wintermorgen eine Grosstat. Die Bark brach zwar auseinander, noch ehe sie sie erreichen durften; einige Menschen ertranken. Nur fünf Mann blieben zurück von der ganzen Besatzung. Und ein grosser schwarzer Hund blieb zurück, ein Hund, wie man seinesgleichen in dieser Gegend noch nicht gesehen; er schwamm auf das Boot zu. Als sie ihm helfen wollten, biss er nach ihnen. Da glaubten sie, es sei ein Abgesandter des Teufels; der Lotse Autun erschlug ihn mit dem Bootshaken.

Die fünf aber brachten sie im Kirchenboot zurück — schwarzhaarige, dunkeläugige Menschen, Spaniolen; den Kapitän und vier Matrosen, verkommen, fast leblos.

Sowie er festen Boden unter sich fühlte, sank der Kapitän in die Knie, schlug das Kreuz über Stirn und Brust und schluchzte laut. Die Fischer wagten kaum hinzublicken, so unmännlich benahm sich der fremde Kapitän. Auf einmal neigte er sich zur Seite und fiel zur Erde; er war schwer betrunken. Als sie das Ende vor sich sahen, hatten die Spaniolen aus Angst ihren dicken, süssen Wein getrunken.

Ein junger Bursche blieb bleich und reglos auf den Bootsdielen liegen. Autun, der Lotse, beugte sich über ihn, zog ihm den Genser herauf, horchte lange auf seiner Brust. Als er sich wieder aufrichtete, schüttelte er den Kopf. „Der ist fertig und tot und alles“, meinte der Lotse Autun.

Inzwischen waren die Frauen von Godenes zusammengelaufen; sie halfen mit, das grosse Kirchenboot wieder in den Schuppen zu ziehen. Und da lag also der blasse Spaniole noch immer auf den Dielen. Die Frauen bekamen feuchte Augen, als sie ihn so ausgestreckt und ohne Leben liegen sahen. Sie meinten, es sei ein grosser Jammer. Sie redeten leise miteinander und meinten, es sei schade um diesen hübschen Burschen.

„Seht doch nur, wie dunkel ihm das Haar in die Stirn niederhängt“, sagte Kjersti.

Dann stellten die Männer die vier Lebenden, so gut und so schlecht es sich machen liess, auf die Beine, stützten sie von allen Seiten und führten sie zu den Hütten hinauf. „Den dort wollen wir vorläufig liegen lassen, wo er liegt“, sagten sie zueinander. „Dem kann niemand mehr helfen.“

Ja, dann gingen sie alle fort. Doch Kjersti war in ihrem Herzen derart beschaffen, dass sie immerzu an den blassen Spaniolen im Kirchenboot denken musste. Und sie musste auch daran denken, dass der Sturm dieser Nacht viele Ziegel vom Dach des Bootschuppens heruntergefegt hatte. Als sie es nicht länger für sich allein behalten konnte, sagte sie zu Aslak: „Du, Aslak, das ist doch ganz und gar unchristlich! Wir dürfen ihn nicht so unter offenem Himmel liegen lassen ... Denk nur daran, wie ihm der Regen ins Gesicht schlägt ... Was meinst du, Aslak?“

„Ich? Nein — ich weiss nicht ... was soll man machen ...?“

„Warte ... Jetzt lauf’ ich hinauf und hol’ eine warme Decke“, ruft Kjersti. „Und dann musst du wieder mit mir hinuntergehen, Aslak; denn allein fürchte ich mich.“

„Jaja“, sagt Aslak. „Eine Decke? Was soll er mit einer Decke?“

Aber als Kjersti von ihrem Haus zurückkam, brachte sie ihre eigene Wolldecke mit. So überaus gütig war sie in ihrem Herzen und so frisch und warmblütig ...

Kjersti stand ja in der allerersten Zeit ihrer Ehe. Kjersti blühte damals in ihrer Weise. Sie blühte still und bescheiden, mit wenigen Farben, eben gerade nur so, wie die Blumen auf den äussersten Schären blühen dürfen. Lieber Gott — sie zählte ja noch nicht zwanzig Sommer. Sie war nicht einmal besonders schön, Kjersti, nein, aber sie bekam jedesmal, wenn sie lachte, so überraschend hübsche Grübchen in ihre Wangen; und manchmal wurden ihre Augen so blank und rührend nackt in ihrer Unschuld. Bis zu dieser Stunde hatte sie noch keinen schwarzhaarigen Südländer gesehen ...

Im Grunde mag es wohl mit diesem und jenem begonnen haben — Ursachen findet man nachträglich zum Ueberfluss. Aber wenn sich etwas ereignen soll, dann ereignet es sich, irgendwie, entweder alltäglich oder durch Wunder. Sicher ist jedenfalls, dass Kjersti an einem Februarmorgen so erregt und unbegreiflich wurde, dass sie imstande war, ihre eigene Decke für einen toten Südländer herzugeben. Doch als sie ihre Decke sachte über ihn ausbreiten wollte, stiess sie einen pfeifenden Schrei aus und die Knie wurden unter ihr so schwach, dass sie niedersank; denn der Spaniole lebte noch. Es war der Leichtmatrose Serano.

Viel Leben war nicht in ihm zurückgeblieben; wenn Kjersti ihn nicht so sehr lange und genau betrachtet hätte, würde sie niemals bemerkt haben, dass ihm die Lippen ein wenig zuckten, dass seine langen Wimpern ein wenig zitterten. Die reine Fügung und Schicksalslaune steckte dahinter: ohne Kjersti hätte Serano damals sicherlich sterben müssen.

Doch nun legten sie ihn auf die Wolldecke und trugen ihn fort; Aslak, der Riese trug ihn allein, und Kjersti lief nur nebenher und stützte seinen Kopf; dabei liess sich nicht vermeiden, dass ihre beiden heissen Hände in das feuchte schwarze Lockenhaar griffen. Verschiedenes trägt sich immerfort unter dem grossen Himmel zu, und zuweilen ereeignet sich Unglaubhaftes zu Wasser und zu Land. Für Kjersti wurde es so etwas wie eine Wiedergeburt.

„Wohin sollen wir nun mit ihm?“ fragte Aslak und blieb oben auf den Felsen stehen.

„Wohin?“ fragte Kjersti verständnislos. „Was meinst du denn? Nach Hause wohl ...“

Vielleicht meinte Aslak in seiner Einfalt, dass die Hütte auf Udvär gewissermassen nur eine Stube sei; und er meinte wohl auch, dass in der Stube nur ein einziges Bett stehe; deshalb zögerte er noch und fragte: „Ja, glaubst du, dass es angeht?“

Ueber dieses Zögern konnte Kjersti richtig zornig werden. „Wie? Warum sollte dieses denn nicht angehen dürfen?“

„Ja, ja“, sagte dann Aslak, und setzte sich abermals in Bewegung.

Man könnte es vielleicht auch so erklären, dass Kjersti in dem blassen Spaniolen ein Geschenk erblickte, ein Ding voller Geheimnisse — das hatte sie vom grossen Meer erhalten. Und sie nahm es entgegen. Schlimmes meinte Kjersti gewiss nicht bei dem allem. Nein, es war durchaus keine Sünde in ihrem Herzen ...

Aslak brachte also den Spaniolen in seine Stube, legte ihn in sein Bett, und wenn er es sich richtig überdachte, musste er selber zugeben, dass es ein hübscher Knabe war, und dass in den anderen Hütten wohl kaum mehr Platz vorhanden als auf Udvär. „Salze und brate mich!“ rief Aslak in seiner Gutmütigkeit, „ein feiner Seejunge! Ach, ja, ja, ja ...“ rief er und gähnte laut.

Nun weiter? Nichts. Höchstens, dass der Spaniole im Bett auf Udvär lag, ungefähr ebenso kalt und leblos wie unten im Kirchenboot. Er atmete ein wenig, das war alles.

„Wie sollen wir nur Wärme in ihn bringen?“ fragte Kjersti in grosser Angst, indem sie beide Hände vor ihre Brust presste.

„Hm“, sagte Aslak und überlegte. Dann kam er darauf. „Soviel kannst du doch wohl selber begreifen ... sieh doch nur seine Kleider an, die sind ja so nass wie Seetang.“

Darum zogen sie dem Spaniolen die Kleider aus, und er war in der Tat ein besonders feiner Seeknabe. Aber er wollte offenbar sterben. Wie er so dalag, weiss und schwarz, glich er schon einer Leiche. Es ging also hier um ein Menschenleben. — Aslak und Kjersti wussten keinen anderen Rat, als dass sie sich zu beiden Seiten von ihm legten. Sie opferten ihre gute Wärme ... Serano sollte gerettet werden.

Gerettet wurde Serano. In der Hütte auf Udvär berührten sich Leben und Tod. Aslak schlief dabei ein. Der rote Riese Aslak drehte sich der Wand zu und schnarchte aus reinem Gewissen. Rechtschaffen müde war er geworden, draussen; er hatte seine Kräfte ausgegeben im Kampf mit dem Sturm, er hatte eine Mannestat verrichtet.

Möglicherweise schlief auch Kjersti dabei ein — das weiss ausser ihr nur Gott allein ... Man darf bei dem allem nicht vergessen, dass der kleine Gaard Udvär zwischen den Felsen von Godenes liegt, und dass das Land Godenes vier gute Wegstunden vom Kirchorte Storevik entfernt liegt, und dass sogar der Ort Storevik noch hundert Meilen weit hinter der grossen Welt liegt. Man meint wohl, die Erwärmung Seranos sei nur ein Scherz oder höchstens ein Zufallsspiel gewesen — darin irrt man gewaltig: Diese Stunde auf Udvär wurde die Schicksalsstunde für ein einsames Felsenland und eine kleine Stadt hoch oben am Nordmeer ...

Bis weit in den Nachmittag hinein schlief Aslak seinen gesunden Schlaf. Als er seine Augen wieder aufschlug, war dieses Werk der Nächstenliebe vollbracht. Auf Seranos Wangen blühten abermals des Lebens Rosen.

Und Kjersti? Was denn? Seht, dort beim Ofen steht sie und beschäftigt sich mit gewöhnlichen kleinen Dingen. Kjersti mahlt Kaffee; sie hat sich dazu auf dem Holzklotz neben dem Ofen niedergelassen, hält die kleine Mühle zwischen den Knien. Seranos Kleider sind trocken geworden. Kjersti schaut ins Torffeuer, dreht und dreht. Aber als Aslak sein Schnarchen abbricht und mit einem frischen, frohen Gähnen abermals in die Wirklichkeit des Daseins zurückkehrt, beugt Kjersti sich tief über das Ofenloch und bläst heftig ins Feuer.

Wäre Aslak nicht immer noch gar so schläfrig gewesen, so hätte er darüber ein wenig nachdenken können. Ja, weshalb nur machte Kjersti sich so viel unnötige Mühe mit einem Feuer, das prasselt und lichterloh brennt? Aber auch dabei ist wohl nichts Erstaunliches. Durch die Anstrengung mit Bücken und Blasen und auch durch des Feuers Glut werden Kjerstis Wangen gerötet. Erstaunlich blieb höchstens die neue Linie in Kjerstis Gesicht, das Leuchten in ihren blanken Augen. Doch dieses zu entdecken braucht es zwei andere Augen, als Aslak sie besitzt.

„Ach jaja — lieber Gott im Himmelreich ...“gähnt Aslak, trinkt heissen Kaffee, nickt dem Spaniolen zu, und alles wird ein wenig sonderbar und komisch. Aber sonst steht es ausgezeichnet. „Oh, jaja, du dunkler Seeknabe“, sagt Aslak gutmütig.

Der Ofen strömt eine gewaltige Glut aus. Kein Wunder, dass Kjerstis Wangen mehr und mehr brennen, dass Kjerstis Augen heller und heller funkeln. Das ganze junge Weib Kjersti wird zu einem Feuerwirbel. Arme, unschuldige Kjersti — es wurde für sie noch mehr als eine Wiedergeburt: Es wurde daraus eine sündhaft süsse Seligkeit.

„Willst du nicht selber eine Tasse Kaffee trinken?“ fragt Aslak, „und was machst du denn da?“

„Er kann doch nicht jede Nacht mit uns im Bett schlafen“, antwortet Kjersti, indem sie sich tief, tief niederbückt und mit dürrem Heidekraut und Halm raschelt.

Wenn Aslak die richtigen Ohren an seinem Kopf gehabt hätte, würde er gehört haben, wie Kjerstis Stimme schwang und sang und wie sie bebte von schweren Herzstössen, so dass es ihr mit Hammerschlägen im Halse klopfte. Aber aus Aslaks Ohren wuchsen ganze Büschel roter Haare hervor; seine Ohren waren darum nicht taub, nein, gar nicht; zuweilen hörte er damit überraschend fein, zum Beispiel, wenn er in stockfinsterer Nacht durch den Hexenkessel vor der Godenesküste segelte und jede Schär und jeden Grund am besonderen Laut des Wogenschlags erkennen konnte. Bei solcher Gelegenheit erwiesen sich Aslaks Ohren fast unnatürlich scharf, fast übermenschlich hellhörig. Aber Kjerstis Herzstösse vernahm er nicht.

Da sich an diesem Sturmtag und zu dieser Jahreszeit keine Arbeit auf dem Hofe fand und Aslak auch keine finden wollte, und da überdies der Spaniole eine unmögliche Zungensprache hatte, ging Aslak bald hinaus zu den anderen Fischern, um Neuigkeiten aus den Hütten zu vernehmen. Das grosse Ereignis musste doch ausgiebig beschwatzt werden.

Es fand sich nicht die leiseste Spur von Ungewöhnlichem an Aslak. Er war in allen Dingen genau so, wie sie alle sind, die Männer von Godenes.

Und nun konnte Kjersti ungestört Säcke und Tücher über das Strohlager ausbreiten und beim Ofen ein gutes Nestchen bauen. Serano war noch ein wenig müde von Schiffbruch und Rettung und allen Zufälligkeiten des Erdendaseins; er blieb im Bett liegen und schaute Kjersti an mit seinen grossen, weichen Augen, die dunkel waren wie die Schatten der südlichen Nacht.

Dieser Art wurde Serano auf Udvär aufgenommen. Er wohnte in Aslaks Hütte. Aber sein Kamerad, der Matrose Martinez, traf es wahrlich nicht schlechter. Martinez traf es womöglich noch besser als Serano; er kam zu Berent auf Lia, und das war der erste Mann im Lande Godenes. Ein Fischer mit eigenem Heringsnetz und eigenem Grossboot, ein Bauer mit fünf Milchkühen und drei Dutzend Schafen; Berent, unwidersprochen der reichste Mann in einem Lande, wo sonst keiner mehr als zwei Kühe und an irgendeinem Heringsnetz höchstens einen Anteil besass.

Berent auf Lia besass neben all seinem Reichtum zwei Mädchen, zwei zierliche Töchter mit Blauaugen und aufreizend weichen und runden Wangen und einer blonden Lockenkrone über allem. Rank und frisch waren sie alle beide. Wenn es stimmt, dass Jofridur damals neunzehn Sommer zählte, so ist ebenso sicher, dass Björg nicht mehr als einundzwanzig zählte. Sie schritten treuherzig und sanft einher, im Strahlenglanz ihrer ersten Blüte. Sass Serano auf Udvär wie der Hahn im Korb, so sass Martinez auf Lia wie der Dotter im Ei.

Nach ein paar Tagen mietete der spanische Kapitän das Kirchenboot und fünf Mann und segelte der Küste entlang nach dem Ort Storevik, wo es zu jener Zeit schon Post und Telegraph gab. Wiederum führte der Lotse Autun das Steuer, die Mütze mit dem blanken Schild auf dem Kopfe, die Weste mit den zwei Reihen Hornknöpfen über der Brust, und über dem Bauch die dicke silberne Uhrkette. So sass er wie ein Admiral und liess seine Befehle erschallen. Gewiss übertrieb es Autun bei dieser Fahrt, er machte sich lächerlich und liess alle Welt gar zu deutlich erkennen, dass es einen Morgen gegeben, an dem er das Leben einiger Spaniolen in seiner Hand gehalten. „Hol’ das Fockschott schärfer ein, Daniel!“ rief er. „Und, Aslak, sitz klar am Grosssegelfall!“ kommandierte er, als blase ein Generalsturm.

„Jawohl“, sagte Daniel.

„Jawohl“, sagte Aslak.

Sie nahmen es alle so unerhört wichtig, als sei dies das erste Boot, das je von Menschenhand über die salzige Flut gesteuert worden.

Es blieben Serano und Martinez auf Godenes zurück, Wrackgut zu bergen. Eine ganz närrisch schöne Zeit brach an für die Menschen dieses armen Felsenlandes. Fast wie im Märchen ging es zu, mit den wunderbarsten Begebenheiten und Ueberraschungen. „Martinez, unser Spaniole“, sagten die Mädchen von Lia. „Serano, mein Spaniole“, sagte Kjersti. Und wie dabei allen dreien die Augen blitzten ...

„Du kannst es dir gar nicht vorstellen, wie freundlich und gut er ist“, konnte Kjersti der Nachbarin Johanna auf Indrevär anvertrauen. „Ja, wenn ich mir nun alles richtig überlege, so muss er sicherlich aus vornehmem Hause stammen ...“

„Hihihi — das magst du nur selber glauben!“ erwiderte darauf Johanna.

Wisst, die Frauen sind auch an dieser entlegenen Küste nicht so ganz verschieden von anderen Frauen. Und Johanna besass ja nichts, was sie hätte „mein Spaniole“ nennen können. Deshalb war sie nicht reinen Herzens. Sie besann sich und fragte: „Verstehst du ihn denn, wenn er zu dir spricht?“

„Wie? Ob ich ihn verstehe?“

„Ja, in seiner Zungensprache ...“

„Ach, er trägt mir doch jeden Morgen das Wasser in die Stube und holt den Torf für den Ofen. Und dabei schaut er mich immer lange und demütig an mit seinen merkwürdigen, schwarzen Südlandsaugen ...“

Ungeheuer entflammt war Kjersti; ihr Herz loderte, ihre Zunge loderte. Wenn es ihr Leben gegolten hätte, sie konnte unmöglich alles, was in ihr sang, völlig verschweigen.

„Oh du, oh du! ... Nein, aber jetzt!“ ruft Johanna hämisch. „Ich will nichts gesagt haben; aber du bist komplett verrückt ... Jawohl, Kjersti, das bist du. Und du führst dich in allen Dingen auf wie ein lediges Mädchen, das noch mit allen Knaben spielen darf ...“

Johanna meinte, Kjersti führe sich schandbar und sündig auf, und ihre Rede schicke sich keineswegs für eine verheiratete Frau; Johanna war doch selber noch saftig und begehrlich und erregt vom Schiffbruch und aller fremdländischen Männlichkeit. Darum ging sie entrüstet nach Indrevär zurück und war ohne Gnade. Sie verstand wohl nicht recht, was in Kjersti vorging — oder vielleicht doch? Sie lebten ja damals noch so sehr natürlich und menschlich in allen Dingen, die Leute von Godenes.

Die Wochen, die dem Schiffbruch folgten, brachten viel Gutes und Schönes für alle. Dieser Sommer wird hier niemals vergessen werden ... Hat man über Godenes je zuvor und je nachher eine so blaue und milde Luft erlebt? Wehten je die Winde so friedlich aus der geheimnisvollen Ferne herauf? Lachten jemals die Mädchen so laut und so froh? Wahrlich kein einziger Tag verging ohne grössere oder kleinere Wunder.

Das Meer wurde nicht müde, Schiffstrümmer an den Strand zu spülen. Man hätte glauben können, das Meer habe nur zu Spiel und Scherz die spanische Bark an diese einsame Küste heraufgetrieben und an den Felsen von Godenes zerschlagen — nun gab es das meiste wieder freiwillig zurück. Handelt es sich dabei um wichtige Dinge, so wurden sie von den beiden Spaniolen gesammelt; Martinez schrieb alles mit Mühe und Beschwer in ein Buch. Doch es lagen ja hundert kleine Dinge überall zwischen den Felsen, Dinge, die nicht der Mühe lohnten aufgeschrieben zu werden.

Uebrigens zeigten sich die beiden Spaniolen als Seeleute vom prächtigsten Schlage, sie nahmen es nicht allzu genau und gönnten ihren Rettern guten Herzens ihren Anteil am Strandgut. Darum liessen sie auch einige Fässer süssen, herrlich duftenden Weins von Malaga als kleine Dinge gelten; zur Ausnahme durfte in dieser öden Gegend, wo man noch nie eine Traube gesehen, ein wenig irdische Glückseligkeit genossen werden.

Die Männer von Godenes waren nach ihrer Heldentat selbstbewusst und überlegen, alle miteinander; am stolzesten war Autun, der Lotse und Anführer. Ja, das war seine grosse Zeit mit Ruhm und Ehre, es war der Glanz, an dem Autun für den Rest seines Lebens zehren durfte.

Wenn Autun in späteren Jahren auf den Wein aus Malaga zu sprechen kam, glänzten seine Augen wild und er rief: „War das ein Sommer — Gott tröste uns alle ... Oh, du grosses Mirakel ... und der Himmelssegen mit den dicken Weinfässern ... Wir wurden davon alle so jung und leicht und weich in den Gelenken, dass ich es dir gar nicht schildern kann — wie auf Daunen gingen wir. Und wie wir dann drauf losstürmten mit mancherart Verrichtungen ... Mag sein, dass einiges, was wir damals taten, ein wenig gottlos war, nein, das weiss ich nicht; aber jedenfalls war in jenem Sommer das Leben über alle Massen herrlich ...“

Nun muss aber leider alles, was auf unserer unebenen Erde beginnt, irgendwie ein Ende nehmen. Ueber Godenes verwehten die Freuden des Sommers; und dann kam abermals ein Herbst.

In diesem Herbst reisten Serano und Martinez fort, wunderten durch den Sumpf und über den Bergzug im Osten, begleitet vom ganzen Godenesvolke. Es wurde ein grausam schmerzlicher Abschied, mit salzigen Augenwassern im Ueberfluss. Hierauf winkten die beiden Südländer, schwenkten ihre Mützen und verschwanden im Birkenwalde von Libavoll. Das war das letzte, was man von ihnen gesehen.

Doch sollte es noch nicht das Allerletzte sein. Das zeigte sich um die Julzeit; es zeigte sich auf seltsame Weise: Berent auf Lia, der Grossbauer und Netzbaas und erster Mann, der fast jeden Satz mit „Siehst du“ abschloss, dieser Mann und Vater brachte eine erstaunliche Neuigkeit unters Volk. Zuerst rannte er nach Udvär zum Nachbar Aslak und verkündete: „Aslak, ich bin — Pein und Tod — an diesem Strande noch lange nicht der letzte, wenn es darauf ankommt, eine schwierige Aufgabe zu lösen, siehst du! Hingegen — hol’ mich der Teufel — wenn ich mit meinem armen, sündigen Kopf je erfassen soll, was sich mit Jofridur begeben hat. Und was Björg anbetrifft, so steht es bei ihr ebenso und um kein Haar besser, siehst du ...“

Wenn Berent sich aber in einer so verwickelten Angelegenheit an Aslak wendet oder in Udvär Aufklärung erwartet, dann kommt er weder an den rechten Mann noch an den rechten Ort. Und wenn Berent bis zu dieser Stunde auf einem Auge nur mangelhaft sah, so war Aslak sozusagen auf beiden Augen blind und begriff zuerst nicht einmal, worauf Berent mit seinen Andeutungen abstellte. In solchen Fragen waren diese beiden braven und tüchtigen Männer noch unglaublich treuherzig.

Aslak, wie er so mit seinem ungeheueren Brustumfang dastand und vor Staunen den Kiefer hängen liess, glich einem grossen Kinde mit zwei langen Armen und gewaltigen Fäusten dran. Mit diesen Armen vermochte er ein schweres Boot allein aus dem Wasser und in den Schuppen hinaufzuziehen. So wenig wie an Muskelkräften fehlte es ihm an Treue und Zuverlässigkeit, und einen tüchtigeren Fischer konnte man an dieser langen Küste schwerlich finden; jedoch das geheime Walten in einem Frauenherz blieb Aslak für alle Zeit ein unlösbares Rätsel, darum erhob er auf einmal seinen Kopf und rief fröhlich: „Beim Hunde, du Berent, was mag dir nur Sonderbares zugestossen sein, dass du so hackend rasend herumrennst und solche Worte von dir gibst?“

Der Mann Siehstdu war völlig von Verstand und Sinnen, bis zum Platzen angefüllt mit Empörung; er rief: „Oh, du Mensch und Mann — oh, du einfältiger Narr, wie du dastehst ... hast du denn keine Augen im Kopf?“

„Ob ich Augen habe?“

„Jösses ja — nun sind sie doch alle beide soweit, siehst du ... Oh, die siebenmal verfluchten Südländer! Warum nur, frage ich dich jetzt, du Aslak, haben wir sie nicht alle miteinander ersaufen lassen?“

Fort rennt Berent mit seinem gerechten Zorn und seiner Neuigkeit und lässt Aslak in grösster Verblüffung zurück. Von Gaard zu Gaard rennt Berent, schändet sich selber und sein eigenes Blut aus. Nicht an allen Orten trifft er es so günstig wie auf Udvär, nicht überall stürzt er die Menschen in Sprachlosigkeit und Staunen. Ach, Berent war ja durchaus nicht der erste, dem das Walten der Naturkräfte in seiner Familie offenbar wurde. Nein, die Weiber waren die ersten; die Weiber von Godenes merkten es schon lange. Aber sie besprachen es nur unter sich und hielten es geheim vor dem Mannsvolk. Sie waren so undenkbar schlau, diese Weiber, seit jeher standen sie zusammen und hüteten ihre Geheimnisse. Deshalb blieben die Männer von Godenes in gewisser Beziehung so bodenlos unwissend und kannten nicht das innere Wesen der Frauen.

Und nun? Nichts — rein nichts ... Die Natur nahm ihren Lauf. Welchen Sinn konnte es denn haben, wenn der Mann Siehstdu herumrannte, die Spaniolen lästerte und sich selber versündigte?

Mehr als schandbar benahm sich Berent. Dafür sollte er gezüchtigt werden. Das Auge des Himmels richtete sich in Strenge auf ihn, und er wurde in der Weise bestraft, dass seine jüngste Tochter Jofridur im Wochenbett starb. Sie gebar ein kleines Mädchen und verblutete dabei. Die Tochter Björg gebar ebenfalls ein kleines Mädchen und überlebte es.

Björg legte nun beide Mädchen an ihre Brust; das ging ausgezeichnet. Die kleinen Mädchen tranken, schliefen, schrien und gediehen. Berents Sinn aber wurde nach der Züchtigung überraschend mild; er zügelte seine Zunge und tat Busse, mit tiefen Seufzern und Trauer im Herzen, denn er war seit jeher nicht nur ein reicher Mann, sondern auch ein guter Vater.

Dabei blieb es. Keine Spur von Strafgericht, keine unnötige Reue. Es waren übrigens zwei Wunder von kleinen Mädchen, feine Näschen hatten sie alle beide und dunkle Augen, jawohl, echte Südlandaugen. Der Mann Siehstdu nahm sie bald auf seine Knie und schaukelte sie; so natürlich war das Leben damals noch im Lande Godenes.

Der Mann Siehstdu schlachtete sogar einen fetten Hammel, liess das Kirchenboot bemannen, segelte mit seinen zwei kleinen Mädchen zur Kirche von Storevik und hielt ein grossartiges Taufefest. Er war völlig umgewandelt. Und die Mädchen hiessen hinfort Randi und Jorun. In dieser Art ward die Sache auf Lia geordnet.

Aber nachher trat ein anderer Fall ein: Kjersti gebar auch ein Kind. Kjersti gebar unter grossen Schmerzen einen Sohn. Das wäre an sich nichts als Frauenlos und keine Unnatürlichkeit gewesen. Wenn aber nun Kjerstis Sohn ebenfalls dunkle Südlands- und Märchenaugen hatte? Ja, dann war es etwas anderes. Diese Angelegenheit wurde damit eine verwickelte Angelegenheit.

Aslak, in seiner Kraft und Einfalt lebte ohne Sorgen und selbstzufrieden von einem Morgen zum anderen. Um seine Seelenruhe zu stören brauchte er Berent. Ja, Berent musste von Lia herüberkommen und Verwirrung nach Udvär bringen. Berent steht vor Kjerstis Sohn und ruft: „Der Hund häute, salze und brate mich — wenn das nicht genau dieselben Augen sind, siehst du ...“

Kjersti hört nicht so genau hin, denn das Kind fängt bei Berents Anblick und bei Berents rauher Stimme an zu schreien. Sie sagt: „Geh’ gleich wieder hinaus, Berent, denn der Kleine fürchtet sich vor dir.“

Vor der Haustür bleiben die beiden Männer stehen, und Aslak senkt seine buschigen Brauen: „Beginnst du nun wieder aufs neue mit deiner Verrücktheit?“ fragt er. „Wie mir scheint, bist du irr in deinem Kopf ...“

„Hoho — meinst du das?“ lacht Berent. „Jaja — in dieser Beziehung magst du es wohl am besten wissen ...“

Nun aber regt sich der stille, starke Aslak doch ein bisschen auf; er entgegnet ärgerlich: „Rede meinetwegen oder schweige, ganz wie du willst — ich würdige nicht, was du glaubst oder nicht glaubst — was für Augen sollten es wohl sein?“

„Schwarze Augen — Südländeraugen, Mann ...“

„Südländeraugen, meinst du? Wie sollte dieses denn nur vor sich gegangen sein?“

Aslak redet leise; Aslak redet so unheimlich leise und sein Lächeln wird schief und gefährlich. Da begreift Berent, dass er einen Schritt zu weit ging; er möchte es gleich wieder gutmachen: „Nimm es nur mit Ruhe und Geistesgegenwart, du, Aslak! Nein, du darfst deswegen nicht auf einmal so hitzig werden, siehst du ... Was ich sagte, das sagte ich ja nur zum Spass und nicht aus schlimmer Absicht, siehst du ...“

Ach, wie könnte Berent auf Lia je eine schlimme Absicht haben? Er war noch unberührt in seinem Herzen, ein Knabe mit langem Bart und grauen Haaren — nur das Schweigen fiel ihm alle Tage so ungeheuer schwer. Und nun will er es gleich noch besser als gut machen; man hätte fast glauben können, er fürchte sich vor Aslak, dem ein grüner Funke in den Augen blitzt: „Jaja, Aslak — und wenn wir nun schon auf die Augen gekommen sind, so gibt es in der ganzen Welt überhaupt keine schöneren Augen als die schwarzen ...“

Aslak kommt da nicht ganz mit. Er wiederholt zwar: „Schwarze Augen ... So ...“ Doch in seiner Stimme liegt etwas, das Berent keineswegs gefällt; darum besinnt er sich nicht länger und marschiert davon.

Berent denkt jetzt wohl bei sich selber, dass Aslak ein komischer Kerl sei. Nun, da er sich selber mit dem Schicksal so schön ausgesöhnt hatte, bereitet es Berent keine Mühe, in dieser Weise zu denken.

Aber für Aslak war es dennoch eine böse Botschaft. Er steht und starrt auf den Boden zwischen seinen Füssen. „Schwarze Augen ...“ murmelt er, „Alter Narr ...“ knurrt er ...

Dort auf dem Tun von Udvär steht ein Mann, dem wurde, als er sein rechtschaffen Dasein führte, ein schartiges Messer zwischen die Schulterblätter gestossen ... Warum nur muss das Spiel der unsichtbaren Gewalten für die armen Menschengeschöpfe zumeist so schmerzlich ausfallen?

Aber vielleicht ist das Spiel gar nicht grausam und nur die Gedanken der Menschen sind klein und kümmerlich, sie vermögen keinem Ding bis ganz auf den Grund zu dringen. War denn zum Beispiel Oluf, der Sohn Kjerstis, nicht in jeder Beziehung tadellos? War er nicht ein prächtiger Stammhalter und ein Stolz für die Mutter? Kjersti kann sich kaum halten vor Freude: „Sieh doch nur — er hebt schon den Kopf ... Ach, du, Aslak — sieh, er lacht dir ja zu ...“

„Warum hat er schwarze Augen?“ fragt Aslak in seinem Unverstand und bringt Kjersti zum Weinen.

Weiter kam es allerdings nicht; nein, nein, Aslak war durchaus nicht der Mann, ein Wort mehr als notwendig zu sagen; er bereute schon das, was er gesagt hatte. Wenn es im Lande Godenes einen Mann gab, der sich aufs Schweigen verstand, so war es sicherlich Aslak.

Damit war also der Winter da; der Winter konnte unmöglich so voller Freuden sein wie der Sommer. Auch der Winter ging schliesslich vorüber. Und im Frühling liess ein kleines, graues Dampfschiff draussen zwischen den Schären seine Sirene heulen. Der Lotse Autun erlebte abermals eine grosse Stunde; es reichte diesmal wohl nicht zu einer Heldentat, doch er steuerte immerhin den Regierungsdampfer sicher an allen Untiefen vorbei zu gutem Ankergrund.

Wiederum erschallten fremde Stimmen an diesem Strande, und es begann ein eifriges Treiben. Fremde Männer kamen mit Dynamit, Zement und Eisen an. Sie bauten bei Skaar einen Leuchtturm; denn durch den Schiffbruch war man weiter unten im Lande aufmerksam geworden auf diese entlegene Küste. Spät im Sommer stand der Turm bereits fertig da, riesengross und kühn, eine blutrote Säule, eine aufgerichtete Schlange mit schimmerndem Kopf, mit funkelndem Glasauge.

Es erschien Mikkjel Eidal, ein junger Kapitän, dem das Meer in seiner Laune Schiff und Zukunft genommen ... Mikkjel erschien mit Frau und Kind und war der Leuchtturmwärter.

Man brauchte aber einen ersten Gehilfen für den Dienst auf Skaar; und dazu wurde Aslak ernannt. Man brauchte für die schwärzesten Winterwochen einen zweiten Gehilfen, den fand man in Eilif Torevik.

Darauf folgte lange Zeit nichts mehr von Bedeutung. Unerbittlich versank das Land Godenes in Einerlei und Alltag, im kleinen Kreislauf, ohne neue Wunder oder fremde Gestalten.

Gleichmässig gingen die Tage. Die Kinder wuchsen heran. Die Erwachsenen wurden grau und morsch; des Leuchtturmwärters Frau starb; der Lotse Autun starb ... Es wurde abwechselnd Helle und Dunkelheit, Sommer und Winter ...

Auf Udvär wurde schliesslich Ragna, die Tochter Kjerstis und Aslaks, geboren ...

Das Felsenschiff

Schon vierzehnmal ging die grosse Helle und die grosse Dunkelheit über den Leuchtturm von Skaar hin ...

Einige meinten, mit diesem Leuchtturm hätte für das Land Godenes eine neue Zeit beginnen müssen. Sie irrten sich. Nichts begann; das Dasein schritt nur sehr gemächlich weiter.

Höchstens dass Mikkjel Eidal Berent auf Lia von seinem Platz verdrängte und unbestritten der erste Mann am Strande wurde, ein königlicher Beamter, ein Mann des Staates, ein früherer Kapitän, der weit herumgekommen in dieser Welt. Eine Veränderung, gewiss; aber konnte man das Erscheinen Mikkjels vielleicht Fortschritt nennen?

Ach, Mikkjel war ja so gerupft, so schreckhaft kahl auf seinem Schädel, so salzig und rechthaberisch in seinem Wesen, so grenzenlos verbittert in seiner Seele. Nur selten verliess er seinen Turm und sein Wächterhaus, denn er grollte dem Schicksal und wandte der Welt den Rücken. „Die Welt?“ fragte er höhnend und zeigte mit seinem Knochenfinger hinüber zu den steilen Felsen von Lonka, die kalkweiss leuchteten vom Sommerleben der Seevögel. — „Dort habt ihr ein Porträt von ihr ...“ rief Mikkjel Eidal.

Wie hätte ein solcher Mann irgendwelche Verbesserung, irgendwelche Belebung in das Steinland von Godenes bringen können? ...

Aber nun durfte es dennoch wieder einmal Sommer werden im Norden; die Zeit des Lichts, des hohen Himmels und der weissen Mitternächte brach an. Am neunzehnten Mai erlosch die grosse Lampe auf Skaar; sie brannte in der letzten Nacht nur eine halbe Stunde lang, dann schraubte Mikkjel, nach Vorschrift, den Docht nieder und schrieb diese Handlung in sein Kontrollbuch. In den nächsten zwei Monaten sorgte die unermüdliche Sonne für die Beleuchtung der Küste.

Aslak und Leif Torevik kehrten auf ihre kleinen Gehöfte zurück, zu Weib und Kind und Kuh ... Niemand weiss, was Mikkjel in diesen Wochen treibt, wie er seine Tage und seine Nächte verbringt. Man bemerkt ihn hin und wieder zwischen den schwarzen Klippen; er steht reglos und schmal und starrt in die blaue Ferne zwischen Himmel und Wasser — als sollte er von dort her etwas erwarten.

Der Leuchtturmwärter gleicht einem nacktköpfigen Geier. Das Volk fürchtet sich vor ihm. Fast unnatürlich ist Mikkjel.

Als seine Frau noch lebte, hat er ums Wächterhaus her ein Gärtlein angelegt, vier, fünf Schritte gross, da ein Häuflein Erde, dort ein Häuflein Erde in den Rissen und Mulden der Felsen. Er schlug ein paar Bohlenwände auf zum Schutz gegen den Seegischt. Es wurde nur die zaghafte Andeutung von einem Garten; Mikkjel musste ihn auf seinem Rücken herauftragen. Er schabte die Muttererde drüben am Strande zusammen und trug sie nach Skaar — ein Kinderwerk mit Manneskräften ausgeführt. Ob er es wohl ihretwegen tat? Wollte er damit der blassen Frau ein Scherblein grünes, lebendiges Dasein vortäuschen? Niemand wird das erfahren. Es bleibt ja alles so geheimnisvoll und undurchdringlich an diesem Manne. Nachdem die Frau mit dem Kirchenboot nach Storevik geführt worden, pflegte der Leuchtturmwärter seinen kleinen Garten weiter, pflanzte ein wenig Gemüse ... Ein paar Blumen blühen ...

Der blonde Knabe Sverre hat bisher nur diese Blumen gesehen. Als kleines Kind kniete er davor nieder, überwältigt vom bunten Wunder.

Jeden Sommer kehrt das Wunder nach Skaar zurück; immer wieder wachsen Blumen aus dem braunen Boden hervor — und es ergreift Sverre stets aufs neue. Seht, dort kniet er in tiefer Andacht, bis ein Schatten über ihn fällt und Mikkjels, des Vaters, trockene Stimme fragt: „Was fehlt dir denn, Knabe?“

„Mir ...“ stammelte Sverre, ertappt, beschämt, verwirrt und schleicht fort.

Sverre ist schmal und still und sonderbar; ein gelber Wirbel über der Stirn, blaue Trauer auf dem Grunde der Augen ... ein Knabe, der im düsteren Schweigen heranwächst am äussersten Rande der Welt.

Skaar ist nur ein Holm, eine winzige Insel. Zugleich mit dem Leuchtturm wurde ein Eisensteg über den schmalen Sund gebaut. Wenn die Luft still ist, kann man von den Gehöften her Kinderstimmen hören; das lockt Sverre zuweilen hinüber.

Denn selbst diese Stelle der Erde darf nicht ewig kahl und völlig gottverlassen unter dem Himmel liegen. Wo Blumen bühen, ist Leben. Wo Kinder spielen, ist Leben und Jubel dazu ...

Die Jugend von Godenes spielt ihre eigenen Spiele. Die Wirklichkeit erfasst diese Kinder ein wenig früher als die Kinder dort unten in der grossen Welt. Sie hören vom ersten Tage an die drohende, finstere Weise, die durch die Einsamkeit geht; sehr oft erstickt ihr Lachen im unbändigen Poltern und Rollen der fallenden Wasser. Aber dennoch sind es kleine Menschenwesen mit gewaltigem Tatendrang. Ihre Spiele sind Bootsmanöver und Fischfang, Ausfahrt und Heimkehr. Die Kinder von Godenes stehen niemals abseits von der Wahrheit.

Vor einer Stunde spielten sie Brautfest; gleich darauf Kindstaufe. Dann trugen sie die kleine Ragna in einer Fischkiste zum Kirchenboot hinunter und sangen dazu uralte Choräle ... Liebe, Geburt, Tod und ein kleines Stücklein Erdenwallen ... Stets liegt ein tiefer Sinn in den Spielen der Kinder ...

Jetzt haben sie hinter der Scheune auf Udvär einen Mast zwischen die Steine eingerammt, Pardunen, Stag, Wanten gesetzt, ein paar zerfetzte Segel gehisst — das ist ihr Schiff, ihr Felsenschiff. Es sind noch dieselben Segel, die den Lotsen Autun bedeckten auf seiner letzten Fahrt.

Den Befehl über dieses Schiff führt Oluf, der dunkle Sohn des roten Fischers Aslak, und er schont weder seine Stimme noch seine Mannschaft. Oluf, ein stämmiger, wilder Bursche — anstatt des Tabaks stopft er sich den Mund voll Moos, kaut ernsthaft, spuckt, flucht ... und wenn er auch nur blank spuckt, so sind doch sicher die Flüche echt genug. Mit seiner breiten Brust hat er schon etwas Männliches an sich. „Das Klüverschott einholen ... zum Satan ... und das etwas väterlich schnell ...“

Sverre ist auf diesem Schiff Steuermann und sagt zu seinem Kapitän: „Pass auf, jetzt bekommst du Backsegel ...“

Hierauf brüllt der Kapitän: „Halt dein verdammtes Maul, Mann!“ Und er jagt seine Mannschaft hin und her mit scharfen Manövern. „Zwei Mann in die Wanten — Toppsegel setzen ... Hol euch alle miteinander der schwarze Hirte und der Teufel ...“

Dieserart spielen die Kinder von Godenes. Das Achterdeck, von dem Oluf herabkommandiert, ist ein gewaltiger Steinblock. Und jawohl — jetzt segelt das Felsenschiff. Der Kapitän winkt mit der Hand hinüber zu einem andern Steinblock, wo Randi und Jorun stehen. Der Wind singt leise im Tauwerk. „Lebt wohl, ihr Weiber — jetzt fahren wir.“

Sverre, der Nächste im Kommando, warnt abermals vor dieser Fahrt: „Wenn sie jetzt in die Wanten klettern, fällt der Mast um“, meint er.

„Wieso?“ fragt Oluf. „Geh heim und leg dich!“ ruft er verächtlich.

Auf einmal schwingt eine eiserne Nock zurück und trifft Gunhild an den Kopf. Und dann fällt richtig der Mast um und begräbt die ganze Mannschaft. Die Mannschaft beginnt zu heulen.

Nur der Kapitän bewahrt ruhig Blut und schreit: „Hurra — Schiffbruch ... Komm herunter, Sverre, jetzt geht es erst recht los ...“ Damit wälzt er sich lachend auf dem Segel, unter dem die vielen Arme und Beine zappeln, herum.

Zu dieser Zeit hingegen nähert sich Johanna, die Bäuerin von Indrevär, dem havarierten Felsenschiff, und dieses Weib hat eine Fahrt, dass sich die Röcke hinter ihr mächtig blähen. Denn die Bäuerin Johanna vernahm den Notruf ihrer Tochter Gunhild; und wie sie nun Oluf auf dem Segel erblickt, wird sie rasend. „Oh, du sündiger, brandschwarzer Schurke“, ruft sie. Sie hat ihren grössten Kochlöffel mitgebracht, und es liegt zweifellos in ihrer Absicht, den Kapitän Oluf damit zu verhauen.

Doch der Sohn Aslaks zieht sich ahnungsvoll auf eine hohe steile Felsenklippe zurück. Von dort eröffnet er sogleich eine unwürdige Unterhaltung. Johanna, noch mehr aufgebracht durch Olufs Flucht und schlimme Reden, greift Sverre an und versetzt ihm den ersten Schlag.

„Was?“ fragt Sverre. — „Ich habe nichts Böses getan!“ ruft Sverre, erstaunt und gekränkt.

Darauf erhält er den zweiten Schlag. Auch Sverre entflieht jetzt. Oluf unterstützt vom hohen Felsen herab seinen Steuermann durch tapferen Zuspruch: „Beim Hunde, Sverre, dulde das nicht! Gib es ihr auf der Stelle zurück ... Und wenn dir zum Schlagen der Mut fehlt, so schmeiss doch wenigstens Steine ... Hat man je einen verfluchteren Troll von einem Weibervolk gesehn?“

Durch solche Redensarten kann Johanna natürlich keineswegs besänftigt werden, sondern sie ruft: „Gott verzeihe mir die Sünde; aber du, Oluf, wirst sicherlich am Galgen enden ...“ Hierauf zieht sie viel Luft in die Lunge, damit es zu einem gewaltigen Schrei ausreichen kann. „Verfluchter Südländer“, schreit sie.

Oluf wirft indessen Steine; aber da er sich in allzu grosser Entfernung hält, erzielt er damit keine Wirkung ...

Dieses also war ein Spiel der Godenesjugend und endete, was nicht selten vorkommt, mit einem Spektakel. Die Bäuerin Johanna zieht gleich einer Donnerwolke ab. Die Mannschaft kriecht unter den Schiffstrümmern hervor. Die alten Segel bleiben liegen. Die Gegend wird leer und still. Eine graue Möwe mit schwarzen Flügeln bemerkt aus dem blauen Himmel herab, dass hier etwas geschah, flattert heran, dreht den Kopf von einer Seite zur andern und lacht. „Hihihi — eija, eija ...“, lacht die Möwe ...

In einer Felsenkluft liegen Oluf und Sverre. Oluf spitzt mit seinem Daumennagel ein Streichholz, stochert damit das Moos aus den Zähnen und sagt: „Du, Mensch, gleichst einem Ziegenbock ... peitsche mich — du bist ja noch dümmer, als ich es mir vorher schon dachte ... Mich hätte das Trollweib nur soviel wie anrühren sollen; ja, mein Lieber, dann würde man in diesem Lande etwas Ernstliches erlebt haben.“

Möglicherweise liesse sich auf derlei Redensarten einiges erwidern. Doch Sverres Natur ist nicht dazu angetan, er findet kein bitteres Wort. Er schaut nur fragend und still auf den Kameraden.

Oluf hingegen, das Streichholz zwischen den Lippen, blickt verwegen und hoffnungsvoll aufs Meer hinaus. Er ist schon so überraschend wissend und weltklug, dieser Oluf. Im Herbst soll er in Storevik konfirmiert werden.

Auch Sverre und die beiden Mädchen von Lia sollen im Herbst konfirmiert werden; schon seit dem Frühling wandern sie wöchentlich einmal den langen Weg durchs Moor und übers Gebirge, zum Pfarrergaard.

Nach einer Weile spuckt Oluf das Streichholz aus und sagt: „Ich wundre mich, ob wir beide, ich und du, mit unsern blossen Fäusten Ivarnas närrischen Ponywagen anhalten könnten ... Was meinst du?“

Diese Frage ist so ungeheuerlich, dass Sverres Augen dunkel werden vor Staunen. „Was in aller Welt?“ fragt er überwältigt.

„Du verstehst es wohl nicht ... Aber hier stehe ich, und ich will in alle Ewigkeit ein Feigling und ein Stockfisch sein, wenn ich es nicht bei der nächsten Gelegenheit versuche ...“

Stabzauber

Selbst in Godenes, so kahl und arm es immer unter seinem allzu grossen Himmel, am Rande des rauhen Nordmeers liegen mag, dürfen die Menschen niemals völlig ohne Anwandlungen und Seelenkämpfe sein. Einiges geschieht laut, anderes geschieht leise; nichts ist ganz ohne Bedeutung ...

Was in der Einsamkeit geschieht, wird gross ... Wenn die Bäuerin Johanna auf Indrevär Kjerstis Sohn „Südländer“ schimpfte, so hatte sie damit eine schlimme Absicht; sie traf mit ihrem Wort viel besser als Oluf mit seinen Steinen.

„Was mag das nur für ein grosser Lärm gewesen sein heute abend hinter unserer Scheune?“ fragt Kjersti.

„Von einem Lärm habe ich nichts gehört“, antwortet Oluf.

„Wenn das Geschrei doch bis in die Stube drang ...“

„Geschrei?“ fragt Oluf. „Ach, das war nichts. Es kann höchstens Johanna gewesen sein. Die brüllte wie ein Löwe.“

Stets, wenn man von Johanna spricht, wird Kjersti missmutig, denn es herrscht nicht warme Freundschaft zwischen Udvär und Indrevär. Aber Kjersti möchte nun doch gerne wissen, was sich ereignete. Oluf trocknet sich mit der Mütze den Schweiss vom Gesicht: „Was es gab? Es gab gar nichts ... nur dass sie mich Schurke und Südländer nannte ... Komm jetzt her mit der Grütze!“

Kjersti füllt Olufs Teller und beugt sich tief über den Kochtopf. Durch die Ritzen im Ofen dringt roter Glutschein; es ist ja immer noch der gute, alte gusseiserne Ofen ... Kjerstis Gesicht aber wird jetzt weiss, trotz dem Glutschein, und sehr verändert. Sie stellt hastig Olufs Teller auf den Tisch; dann wendet sie sich wieder dem verrussten Winkel zu.

Dort an der Wand aber, neben dem Fenster, sitzt Aslak, der Vater. Mächtig und breit sitzt er hinter dem Tisch und löffelt, wie es einem Oedlandsbauer zukommt, mit Andacht und Hingebung seine tägliche Hafergrütze. Er richtet einen schnellen Blick unter dem Gestrüpp seiner Brauen hervor gegen den Ofenwinkel hin. Sonst nichts.

Südländer ... Ein kleines Wort fiel. Aber wie schwer wird die Stille, die folgt ... Nun hört man übermässig laut und drohend nah das dunkle Rollen der Brandung ...

Dann kommt Ragna. Ja, dann stürmt Ragna in das Schweigen der Stube hinein, zerzaust und heiss, die Zöpfe stehen lang hinter ihr in der freien Luft, helle Zöpfe; und ihre Augen strahlen blau, glatt wie ein Sommerhimmel. Blauaugen und Zöpfe wie Haferstroh — das ist so gewöhnlich und allgemein im Lande Godenes. Ragna kam einige Winter nach Oluf zur Welt und wurde als zweites und letztes Kind Aslaks geboren.

Der Vater steckt seinen Hornlöffel hinter die Leiste an der Wand; er hat wahrhaftig vergessen, ihn vorher mit seiner Zunge zu reinigen, und im Teller hängt noch ein brauner Rand von Grütze, und im Napf blieb ein Restlein saure Milch zurück. Was bedeutet das? Ist Aslak, der rote Riese, nicht ganz wohl und gesund? War Aslak denn je schwach oder krank? Ach, es fiel ihm wohl nur plötzlich ein, dass auf der Wiese unter dem Steinhammer noch ein Schochen Trockenheu lag und dass eine Herde Schäfchenwolken am Himmel heraufzog. Konnte das nicht heute wie ehedem Regen anzeigen? Ein Bauer hat doch an gar manches zu denken ...

Eine Stunde verstreicht. Dort kommt Aslak über den Hügel herab, ein Ungeheuer, ein wandelnder Heuberg. Kjersti sieht es durchs Fenster; sie murmelt seltsame Worte und stellt sich bei der Haustür auf, stellt sich am äussersten Rande der breiten Steinschwelle hin. Der Heuberg muss sie streifen, muss sie mitreissen und hinunterfegen. „Gottvater!“ ruft Kjersti in warmer Bewunderung. „Jetzt glaube ich aber ... hast du denn die ganze Hammerwiese auf deinem Rücken mitgebracht?“

Jawohl, der Heuberg streift ihr die Röcke von den Beinen hoch. Kjersti empfindet das wie eine kraftvolle Zärtlichkeit; sie hat ja noch immer ihre verwunderlichen Zustände und Blutwallungen, es erscheinen noch immer die hübschen Grübchen in ihren Wangen und ihre Augen sind noch blank. „Nein, du bist rein unglaublich in deiner Kraft und Stärke!“ ruft sie Aslak nach und gibt sich nicht Mühe, ihre Anerkennung zu verbergen.

Der wandernde Hügel verschwindet im Scheunentor. Kjersti nimmt es nicht schwer, dass sie auf ihre Zurufe keine Antwort erhielt, sie streicht sich das Haar aus der Stirn und geht hinüber.

„Was willst du?“ fragt Aslak.

„Kann ich dir nicht ein wenig helfen?“ fragt Kjersti.

„Was solltest du mir denn helfen können?“

„Ich könnte dir vielleicht das Tragseil auf der Schulter lösen, Aslak ...“

Und da lehnt er nun mit seiner gewaltigen Bürde am Heustock, sein Leib ist heiss, seine Brust arbeitet schwer. Da Kjersti sich zu ihm hinneigt, trifft sie sein Atem, ein Luftstrom von Moor und Wildnis. Er schaut sie nur seltsam an und schweigt. Aber das Tragseil hat sich ungewöhnlich tief in seine Schultern eingegraben; es kostet nicht geringe Anstrengung, es zu lösen.

Bei dieser Anstrengung öffnet sich Kjerstis Kleid am Halse, öffnet sich von selbst, und Kjersti achtet nicht darauf, sondern müht sich weiter mit dem Seil und Aslaks Schulter. Ihre runden, vollen Brüste werden auf einmal vor Aslaks Augen ausgebreitet, ganz nahe, völlig unentrinnbar. Durch allen Heuduft wittert Aslak Kjerstis Frauenkörper, Kjerstis überwältigende Frauenzärtlichkeit und lodernde Begehrlichkeit.

Für einen Herzschlag lang fährt etwas Sonderbares in Aslaks Seele, etwas Unbegreifliches und Furchtbares; er hebt seine Faust. Aslak hebt seine Faust, in der die Wucht einer Axt liegt; er hebt die bärtigen Lippen von den Zähnen. Er steht jetzt gewaltig und finster da wie das Verhängnis. In diesem Augenblicke wäre Aslak imstande, sein Weib mit seiner Riesenfaust zu zerschmettern.

Doch Kjersti weicht keinen Finger breit zurück; sie fürchtet sich nicht vor der drohenden Faust, und ihr weicher Frauenleib siegt spielend über Aslaks finstere Mördernatur. Der rote Riese muss heute, wie stets, unterliegen; da gibt es keine Gnade. Oh, Kjersti kennt das alles so wohl; sie schaut ihm von unten her in die Augen, schaut ihm lockend, schmeichelnd, lächelnd in seine Tieraugen.

Da löst sich auf einmal das Tragseil. Sie rollen alle beide ins sonnenwarme Heu. Man hört leises Kichern, man hört einen verhaltenen, kleinen Jubelschrei, man hört ein Röcheln.

Weiche Dämmerung liegt in der Scheune, Ueber dem weiten Meer steht ein Flammenhimmel, vereinzelte, unruhige Windstösse fegen von Süden her. Manchmal beginnen die Felsen in dunklem Orgelton zu läuten. Es ist weisse Mitternacht, und die Unsichtbaren treiben ihr ewiges Spiel mit Wind und Wogen und Menschenseelen. Bald spenden sie Freuden, bald sind sie ungnädig ...

Ei, gewiss ist es nur ein jammervoll armes Land, dieses Felsenland von Godenes. Hier muss ein hartes Geschlecht wohnen, ein Volk, das lebt und stirbt ohne Gefühlsverschwendung und unnötige Worte; hier wohnen sehr leibliche Menschen, die den Erdgeruch, den Wildgeruch an sich haben. Sie führen nicht ein heiliges Leben. Dennoch sind es Menschen mit unsterblichen Seelen.

Sie wohnen in einem halben Hundert Hütten, die an unförmige Holzkisten mit Löchern gemahnen. Nur der Lotse Autun wagte in den Tagen seines Glanzes, Tür und Fensterrahmen mit weisser Oelfarbe anzustreichen. Dieser Anstrich verblasste längst im Wechsel der Jahreszeiten. Doch Autuns Haus steht auch heute noch hochmütig da, hebt sich fast herrisch aus einer Versammlung von Bettlern.

Wie sind sie doch kahl und dürftig, diese Behausungen, grau und schmucklos von aussen, schwarzverräuchert und ohne Behaglichkeit von innen. Auf ihren Torfdächern wächst Gras und Gestrüpp, die Holzwände sind rauh und verwittert. Sie gleichen Steinklötzen in einer Felsenwüste; nur der Rauch, der aus ihren klobigen Schornsteinen emporsteigt, der scharfe Geruch des Torffeuers, verrät sie als Wohnungen von Menschen.

Kein einziges Pferd findet sich auf Godenes. Was sollte denn ein Pferd mit seinen schmalen Hufen im schwarzen, unsicheren Moorboden? Es gibt hier nur Schafe und wenige, erstaunlich magere Kühe. Wohin man blickt, sieht man nichts als wunderbare Genügsamkeit; und rein erstaunlich ist es, dass auch diese Menschen zuweilen lachen und ihre Lieder singen dürfen.

Wenn der Wind wochenlang mild und schmeichelnd aus dem Süden herauf weht, blüht das Moor; dann kommt die uralte Sehnsucht in alle Geschöpfe, und geheimnisvolles Walten geht durch die grauen Hütten. Der Sommer ist hier heftig, geladen mit Licht und Lust; er fällt als ein Freudenschrei über das kahle Land her. Aber der Winter ist hier grauenhaft lang und finster. Der Winter zieht gleich einer fahlen Todeswolke über das kahle Land hin ...

Ein seltenes Mal geschieht es, dass das Meer ausruht und nur träge und satt von Pracht daliegt wie ein schönes Weib und scherzhaft mit kleinen, blanken Wellen fächelt. Für eine Stunde oder gar für einen Tag verstummt das Grollen und Jammern zwischen den Riffen. Das ist Gottes hoher Feiertag.

Doch in Herbst- und Winterstürmen, wenn der Nordatlantik seine Wasserberge rasend über die Küste schüttet, dann ist wahrlich nicht Gottes Feiertag. Nein, dann ist grosser Gerichtstag. Dann zittern die Granitfelsen, und die Erde bebt. Dann schwankt die Kuppel des Leuchtturms auf Skaar und schaukelt; der Gischt fegt hoch über ihre Spitze und prasselt gegen die dicken Glasscheiben wie Bleihagel. Und die Klippe von Skaar, ihr Lieben, liegt dreissig Fuss über dem Wasser, und die Kuppel des Turms liegt hundert Fuss über der Klippe.

Wenn in heulender Winternacht ein Mann im Wächterzimmer unter der Lampe sitzt, dann sitzt er fern der übrigen Welt, am äussersten Rande der Dinge. Aslak sitzt unter der Lampe. Ueber ihm dreht sich die grosse Prismenkuppel, ein Berg von Diamanten, und sendet Sonnenstrahlen in die fauchende Finsternis hinaus. Aslak tut zuverlässig seinen Dienst, zieht die Kontrolluhr auf, macht seine Aufzeichnungen ins Buch. Aber das ist ja keine Beschäftigung für einen Mann, der mit seiner Muskelkraft Felsblöcke heben kann. Ein paar kleine Handgriffe zweimal in der Stunde ... vier Minuten Arbeit. Alle die vielen leeren Minuten starrt Aslak in den Wirbel der Regenbogen. „Ach, jaja — Gott helfe mir ...“, murmelt er manchmal.

Aber warum erhebt er sich jetzt? Wozu öffnet er die Eisentür und tritt auf die Galerie hinaus? Er muss doch selber wissen, dass das mit Lebensgefahr verbunden ist und nicht zu seinen Pflichten gehört. Ein halber Schritt — gleich springt der Sturm ihm an die Gurgel wie ein reissendes Tier, brüllt ihm in die Ohren und schlägt ihm ins Gesicht, wirft ihn gegen das Geländer.

Am Geländer hängt Aslak, hoch über Godenes, hoch über der Menschheit. Wolkenfetzen jagen in irrsinniger Hast an ihm vorbei, die Lampe streut zerflatternde Lichtgarben darein. Das ist so, als sause die Kuppel durch die heulende Nacht — ein einsames Haus mit einem einsamen Mann.

„Oh, jaja — Gott helfe mir!“ schreit Aslak und möchte der Nacht irgend etwas erzählen. Doch der Sturmwind füllt ihm den Mund; weder Nacht noch Himmel wollen ihn anhören. Niemand vernimmt den Schrei des einsamen Mannes.

Aslak zieht sich mit grosser Anstrengung am Eisengeländer empor; sein schwerer Oberkörper hängt schon weit darüber hinaus. Man könnte meinen, es hänge dort einer, der mit einem schweren Entschlusse ringt.

Aber Aslak wird nicht mit sich einig; er kehrt wieder an seinen Platz zurück, zieht abermals die Kontrolluhr auf, macht seine Eintragung und bleibt der zuverlässige erste Gehilfe im Leuchtturm auf Skaar.

Damit geht Aslaks Dienst zu Ende; Mikkjel Eidal tritt seine Wache an, kahl, bleich, verdrossen. Mit dem Stundenschlag der Wanduhr tritt er zur Tür herein und setzt sich auf Aslaks Platz ... Das wiederholt sich jede Nacht, vom Herbst bis zum Frühling, dreihundertmal. Während der Leuchtturmwächter nach Uhr und Journal greift, pflegt sein erster Gehilfe sich zu entfernen. „Gute Nacht“, sagt Eidal und beginnt zu schreiben.

Doch als er den Kopf wieder vom Buch hebt, steht Aslak in seiner ganzen Breite vor der Eisentür zur Galerie. Wenn ein Windstoss den Turm schüttelt, schwankt Aslak ein wenig auf seinen Beinen. Eidal wartet gespannt ... Es wird hier alles etwas unnatürlich und gespensterhaft. Tausend Stimmen heulen und klagen und rufen. Tausend Teufel pfeifen und johlen und lachen.

Mikkjel Eidals rotumränderte Augen beben kaum merklich — was ist das heute nur mit Aslak? denkt Mikkjel wohl. Die Uhr zeigt schon halb zwei ...

Ach, Aslak auf Udvär — viel ist weder an ihm noch an seiner Geschichte: Ein Mann, der ein kleines Leben lebt, ein Fischer und Bauer, Leuchtturmgehilfe und Familienvater. Stark und geduldig ging er den Weg von Udvär nach Skaar, von Skaar nach Udvär. Möglicherweise wurde vor Jahren ein Fehler begangen. Doch wenn Aslak eine Bürde auferlegt worden, so hatte er wahrlich auch die Schultern, sie zu tragen.

Er trug sie ohne Murren bis zu dieser Stunde; er presste vielleicht hin und wieder etwas viel Luft aus seinem hochgewölbten Brustkasten. Ach, jaja — das war alles. Ein einzigesmal hob er seine schwere Faust; aber er hob sie doch nicht ganz und schlug nicht zu; es blieb bei einem schwachen Anfang ...

Spät an einem Sommerabend tauchte Kjerstis Kopf im dunklen Spalt des Scheunentors auf. Kjersti spähte rundum und rief über ihre blosse, weisse Schulter zurück, dass keine einzige drohende Wolke mehr am Himmel stehe. Sie war immer noch heiss und lüstern, Kjersti, sie war voll Lebenstrieb. In jedem Frühling begann sie aufs neue zu blühen und konnte nicht welken. Der ewige Saftstrom der Erde kreiste mächtig in ihr.

Doch Aslak blieb in seiner Art ein Steinklotz, so plump und schwer. Er wollte in jener Nacht unbedingt draussen schlafen, er wollte wachen beim letzten Trockenheu auf der Hammerwiese. Er verliess Kjersti, geschlagen, zertreten, über alle Massen traurig.

Es fiel kein Regen in jener Nacht; es fiel auch kein Regen in den folgenden Tagen. Wärme und Trockenheit hielten an bis spät in den Herbst hinein. Erst Ende Oktober schlug das Wetter um und holte schnell an Bösem nach, was es versäumt. —

Aslak steht vor der Eisentür, lauscht mit schiefem Kopf, als habe er einen Ruf vornommen.

„Willst du nicht endlich nach Hause gehen?“ fragt Mikkjel.

Aslak schweigt lange, bis er sagt: „Er wird es kaum bis zum Morgen aushalten ...“ Aslak meint den Turm. Er meint, nie zuvor habe der Boden des Wächterraums derart unter ihm geschwankt ...

Mikkjel hebt seinen Geierkopf noch ein wenig höher und fragt: „Was in aller Welt ...? Was, Aslak, ist heute in dich hineingefahren?“

Darauf folgt wieder langes Schweigen. Dann sagt Aslak: „Sie, Eidal, sind ein gelehrter Mann, Kapitän und alles ... Ich möchte Sie heute etwas fragen ...“ Aber erst nach grosser Ueberwindung fragt er. Es betrifft Oluf ... „Ja, Eidal, und ich frage Sie nun, was ist Ihre Meinung in dieser Sache?“

Mikkjel Eidal schüttelt den Kopf; er, der Spötter und Weltverächter, antwortet: „Guter Mann, diese Aufklärung holst du dir am besten bei deinem Weib.“

„Das ist nicht möglich“, entgegnet Aslak.

„Was zum Pokker?“ denkt Mikkjel, schliesst die Augen und überlegt. Der schwerfällige Mann dort bei der Tür tut ihm leid. Mikkjel sucht schon nach einem guten Wort. Gleich aber erhebt er sich wieder voll Hohn über alle Lebensnot der Menschen. „Wie du weisst, Aslak, bin ich zwar kein Schriftgelehrter; doch soviel ist sicher, dass sich etwas Aehnliches früher auch schon zugetragen hat, und zwar in einem Lande, das Palästina heisst ...“

„Dieses Land steht in der Bibel“, sagt Aslak.

„Richtig ... Dort lebte einst ein Mann namens Isaak, der diente um eine gewisse Tochter Sarah — nein, halt, warte ein wenig ... Vielleicht war es Joseph, der um Potiphar diente ... beim Hunde, das hab’ ich wahrlich vergessen ... Aber einerlei — dieser Bursche machte es auf alle Fälle mit Stäben ...“