Der Krummbacher und der Katzengusti - Karl Friedrich Kurz - E-Book

Der Krummbacher und der Katzengusti E-Book

Karl Friedrich Kurz

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Beschreibung

Die Krummbacher sind tüchtige Leut´, und was sie anpacken, geschieht mit Kraft und energiegeladener Freude. Heiter, humorvoll und sehr komisch sind die Geschichten dieser Eigenbrötler, die sich trotz aller Missgeschicke nicht ins Bockshorn jagen lassen. Nur der Katzengusti, in seiner Jugend ein charismatischer Alleskönner, ist selbst in Krumbach ein Besonderer und sein von Tragik bestimmtes Leben eine ganz andere Geschichte.Ein Dorf versteht zu leben  – Die Krummbacher als heiteres Vorbild einer Gemeinschaft.-

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Karl Friedrich Kurz

Der Krummbacher und der Katzengusti

Erzählungen

Saga

Der Krummbacher und der KatzengustiCopyright © 1913, 2019 Karl Friedrich Kurz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711570562

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Der Brunnen zu Krummbach

I

Auf seiner Pritsche sass der Schneider Benjamin Zwirn und flickte an einem grobfädigen, braunen Bauernkittel. Das rechte Bein hatte er über den Pritschenrand heraufgezogen und unter das linke geschoben, so dass der Fuss gerade bei der Kniekehle hervorlugte. Ganz zu äusserst auf den Zehen versuchte sich der einstens bunte Pantoffel, mit frei in der Luft schwebender Sohle, festzuhalten. Am Boden, unter dem linken Fuss, der so lose in der Luft herumbaumelte, als gehöre er gar nicht zum Schneider Zwirn, lag der andere.

Es war eine kleine Stube, niedrig und eng. Die Pritsche nahm fast den ganzen Raum ein. An die hintere Wand, den beiden halbblinden Fenstern gegenüber, lehnte sich ein alter, schiefer Schrank; ein zweitüriger, der recht wunderlich dreinschaute. Fast hätte man glauben können er verziehe sein hölzernes, altes Gesicht zu einem höhnischen, boshaften Grinsen. In einem Winkel stand ein Strohstuhl, im Dunkeln, als schäme er sich, dass seine Lehne während seines langjährigen Dienstes schadhaft geworden. Und von der weissgetünchten Wand leuchtete das grosse Zifferblatt einer Schwarzwälderuhr. Blutrote Blumen, die wohl aus irgendeinem fernen, unbekannten Lande stammten, mit merkwürdig geschwungenen Stielen und noch merkwürdigeren blaugrünen Blättern waren darauf gemalt. Diese Uhr wurde so zum eigentlichen Schmucke des Zimmers.

Der Schneider Zwirn aber schien ihr Dasein gar nicht zu beachten, obschon das lange Pendel girrte wie ein ungeschmiertes Karrenrad und aus ihrem Innern zuweilen ein unheimliches Schnarren kam, als ob die versammelten Räder dort nicht in Eintracht miteinander seien.

Der Schneider Zwirn nähte und grübelte dabei über etwas nach. Von der Nasenwurzel aufwärts liefen ihm zwei schmale, tiefe Rinnen bis zu den spärlichen Haaren und schnitten so seine ziemlich hohe Stirn in zwei Teile.

Gott mag wissen, über was der Schneider Zwirn nachsann. Er seufzte einmal über das andere tief auf und blies die Luft durch die dünnen, fest aufeinander gepressten Lippen. Er sass auf demselben Fleck wohl schon an die drei Stunden. Die Arbeit wollte ihm nicht aus der Hand gehen, und doch hatte er sich durch nichts abhalten oder stören lassen, weder durch den Lärm, der zuweilen von der Strasse zu ihm hereindrang, noch durch die verheissungsvollen Dämpfe und Düfte, welche aus der Küche nebenan sich bis zu ihm hinstahlen.

Dass der Schneider so still sass und sich über irgend etwas grämte, das fiel auch seinem Eheweib auf, wenn sie so beim Vorübergehen durch die halboffene Tür blickte. Auch sie begann da zu seufzen. So verstimmt und verbissen hatte sie ihren Mann noch nie gesehen. Wohl war er schon eine Zeitlang brummig gewesen, sie wusste nicht warum. An diesem Morgen aber schien’s noch schlimmer als sonst.

Als sie wieder einmal durch die Türspalte schielte, stöhnte gerade der Schneider so abgründig tief, dass dem armen Weib ganz bange wurde. Sie gab der Tür einen Ruck, dass sie vollends aufsprang und fragte hinaus:

„Was hast denn immer z’greinen und z’schnaufen, Beni? ’s ist ja bald nicht mehr zum Aushalten!“

Der Schneider sah einen Augenblick auf von seiner Arbeit, zornig über die Störung in seinem Gedankengange und doch wieder froh darüber, nun seinem Ärger ein wenig Luft machen zu können. Grollend und viel lauter, als nötig gewesen, fuhr er sein Weib an:

„Meinst du, das mach’ mich nit fuchsteufelswild, dass so manch anderer in Amt und Würden steht — und ich, wo sie doch alle im Sack könnt’ verkaufen, hock da in meiner Butik und hab’ kein einzig Wort z’sagen zu allem, was in der Gemeinde vorgeht! Meinst, d’Galle müss’ mir da nit überlaufen, he? Dir ist das alles gleich. Natürlich! Wenn du nur deinen Kaffee lappen kannst, die lieblang Zeit, dann bist du z’frieden. Aber nit ich! Mir ist das nit gleich, mir nit! Für das hab’ ich ja auch meine bessere Bildung, dass keiner höret, wenn ich etwas sag’ und dass man mich nit um Rat fragt, wenn dies oder das soll g’macht werden im Dorf.“

„Aber Beni,“ beschwichtigte ihn das Weib, „was willst denn du eigentlich? Du hast ja dein Verdienst, wir haben allezeit unser recht Essen und du bist einer von den geachtetsten Mannen im Dorf.“

„Was!“ schrie er und drehte sich hastig um — dabei verlor er nun auch den Pantoffel vom rechten Fuss. „Was, ich ein g’achteter Mann im Dorf! Schon lang sollt ich im G’meinderat sitzen! Viel müsst hernach anders werden bei uns oben, meiner Seel.“

Er erhitzte sich immer mehr dabei und sprach, ohne dass die Frau wieder zum Wort kam. Eine gute Weile hörte sie zu, fast mit einer Art Respekt. Doch als sie wieder in der Rüche draussen hantierte, da schüttelte sie doch verständnislos den Kopf.

Was er nur eigentlich hatte, der Zwirn? Sie ahnte, dass etwas über ihn gekommen war. Etwas, das sie nicht erfassen konnte; das ihn forttrieb, hinaus aus der engen Schneiderstube, hinaus ins Leben. Und da kam es an sie wie eine bange Traurigkeit. Sie fühlte, dass ein Unbekanntes zwischen ihn und sie getreten war.

Wie war das doch anders gewesen noch vor kurzem! Nicht dass er gerade mit allem zufrieden war. Nein. Aber er arbeitete vom frühen Morgen bis in die Nacht, mit der Selbstverständlichkeit, welche den armen Mann zwingt, seine Hände zu rühren fürs tägliche Brot. Wenn er auch dann und wann murrte über das, was um ihn her vorging, so gab es sich doch immer bald wieder, und seine gute Laune kehrte zurück. Stets war er ihr ein guter Gatte und ihren Kindern ein braver Vater gewesen. Nun blieb er verschlossen und finster den ganzen Tag. Nachts konnte er stundenlang im Bett wachend an ihrer Seite liegen. Und wenn er endlich schlief, dann redete er im Traume, zusammenhanglose Worte, die ihr fremd blieben und sie mit Schreck erfüllten.

Wie sie das alles so überdachte, da kam ihr das Wasser in die Augen. Sie weinte leise vor sich hin, während sie die Suppe anrichtete und die dampfenden Kartoffeln aus dem Wasser zog. Und weinte noch, als die Teller auf dem Tische standen und sie ihren Mann zum Essen in die Küche rief. Der sah die dünnen Bächlein zu beiden Seiten ihrer Nase niederfliessen, noch ehe er einen Löffel anrührte, und dies machte seine Stimmung nicht besser.

In dumpfem Schweigen sassen sie bei der Mahlzeit. Kaum dass eines verstohlen nach dem andern hinüberschielte. Kein Wort wurde laut und keine Frage. Der Unfrieden und die graue Sorge war zwischen ihnen. Auch die drei Kinder sassen mäuschenstill. So klein sie noch waren, sahen sie wohl die tiefen Furchen auf der Stirn des Vaters und die nassen Wangen der Mutter; das schüchterte sie ein.

Nach dem Essen stand der Schneider Zwirn auf, zog seine Stiefel an und verliess das Haus. Ohne Gruss ging er. Als er durch das kleine Gärtchen auf die Strasse gekommen war, blieb er eine Zeitlang unentschlossen stehen. Dann aber schritt er dem untern Dorfe zu, wo die Wirtschaft zum „Gesprungenen Krug“ lag.

Und er traf es gut, denn sie sassen dort in der dumpfen Schankstube gerade beisammen, die Bravsten von Krummbach.

Zu oberst an dem langen Tische sass, wie sich’s gehört, der Ammann. Weil’s gerade ordentlich warm in der Stube war, hatte er die Jacke ausgezogen und stemmte nun die breiten Hemdärmel — die am Sonntag vor acht Tagen noch schön sauber waren — mit Nachdruck auf die Tischplatte.

Er war lang und hager, der Ammann, mit einem schmalen Gesicht, aus welchem zwei seltsam hungrige Augen schauten. Und nicht nur der höchste war er in der Gemeinde, sondern auch einer der reichsten. Daher wollte man’s gar nicht verstehen, dass seine Blicke so gierig umhersuchten.

Doch heute war er guter Laune, oder in innerer Aufregung, denn er traktierte die andern am Tisch schon mit dem zweiten Doppelliter.

Eine ganze Weile war’s still gewesen zwischen ihnen. Sei es nun, dass die Hitze sie schläfrig machte, oder dass sie sich unter ihren tiefen Gedanken verlaufen hatten. Keiner sprach seit einer Viertelstunde. Höchstens dass sie ein oder das andere Mal nickten, oder tiefsinnig an den kurzen Zigarrenstummeln sogen.

Der Ammann muss schliesslich die etwas lange Pause gefühlt haben, und weil er gleichzeitig fühlte, dass er seiner Herde, als ihr Hirt, vorangehen müsse, wenn diese irgendwo stecken blieb im Sumpf des Lebens, so überkam ihn der Gedanke, etwas zu tun. Da er in diesem Augenblicke gerade nichts zu sagen wusste, nahm er sein dickes Weinglas zwischen die knöchernen Finger und stiess, ohne dass er dabei die Hand vom Tische aufhob, mit dem Glase des Bläsi Barger, der früher auch einmal Ammann war, an. Der zog nun eine seiner Hände, die beide in den umfangreichen Hosentaschen vergraben lagen, über den Horizont herauf und sagte „Proscht“. Bevor er aber trank, schob er sein Weinglas schwer auf dem Tisch bis zum Weinglas des Beni Zwirn, des Schneiders, und stiess damit an. Nachdem nun auch dieser sein „Proscht“ gesagt, tranken sie sürfelnd den gelben Erlenheimer, den letztjährigen, der nicht übel war.

Dass der Bläsi Barger mit dem Glase des Schneiders Zwirn anstiess, das hatte seine Bewandtnis. Der letztere wusste nämlich nicht nur mit der Nadelspisse recht flink umzugehen und zu stechen, sondern auch mit der Zungenspitze. Und da der Barger-Bläsi ausser einer grossen, roten, dicken Nase, auf deren Oberfläche tiefblaue Äderchen gleich einer fremdartigen Schrift herumliefen, keinerlei bemerkenswerte Eigenschaften an sich hatte, so fürchtete er sich etwas vor dem Schneider.

Rein Zweifel, er hatte eine gewisse Überlegenheit über die andern, dieser Schneider Zwirn, denn er war mehr als zwei Jahre in der Fremde gewesen — wenn auch nur in einem kleinen Städtlein — und hatte dort gesehen, wie man sich ,,nobel“ aufführt. Seit er wieder zurück war im Dorf, brachte ihm der Postbote alle Wochen einmal ein Blättlein ins Haus. Der „Rote Genosse“ hiess es, und es standen allerlei merkwürdige Sachen darin. Aus diesem Blättlein mochte er wohl auch seine höhere Bildung geschöpft haben, welche die Bauern schon des öftern verblüffte. Dann hatte er noch eins an sich, was ihnen auffiel, und das war die verteufelt feine Art, mit der er sich zuweilen mit seiner weisslichen Hand den Schnurrbart von den Lippen emporstrich. Das war ja allerdings anders als bei ihnen, wo die Borsten in jeden Löffel Suppe hingen, den sie assen. Er war ein „Besonderer“, das wussten alle; aber keiner sagte es, weil keiner den Anfang machen wollte.

Weil er besser rechnen und schreiben konnte als sie, hatten sie ihm, kaum dass er wieder in der Heimat war, das Portefeuille für das Frohnwesen anvertraut. Überdies gaben sie ihm den Gemeindebock, den weissen, stolzen Sahnerbock in Verwahrung, und selbst seine Feinde mussten es zugeben, dass er das schöne Tier in steter Bereitschaft für alle verliebten Ziegen und Zicklein des Dorfes hielt. Freilich, etwas hob dies ja sein Selbstgefühl schon; aber er wollte höher hinaus, viel höher. Er fühlte das Zeug dazu in sich.

Dass der Barger-Bläsi mit ihm anstiess, nahm er als eine gerechte Ehrung hin, und trank wohlgefällig einen langen Zug, der ihm um so besser mundete, weil ihn der Krugwirt gab und er nicht deswegen in die Tasche greifen musste.

Nachdem sie getrunken, stellten sie die Gläser wieder vor sich auf den Tisch und wischten mit den Handrücken über die Schnurrbärte. Der Ammann stöhnte laut und umständlich dabei, und der Schneider hüstelte.

Es gab wieder eine Pause, bis der Zwirni-Schneider vom letzten Lauentaler Markt zu reden anhub. Und das brachte das Gespräch plötzlich in Fluss. Der Garzam-Juli begann gleich auf die Juden zu schimpfen; doch da fuhr ihm der Zwirn auch schon übers Maul und erklärte ihm fein, dass die Metzger noch schlimmer seien.

„Die machen alle Jahr kleinere Würste, fürs Fleisch verlangen sie immer mehr; unsereiner kann sich ja kaum Sonntags noch eine gute Suppe kochen — aber fürs Vieh wollen sie nichts zahlen.“

Das sagte der Schneider mit edler Begeisterung.

Im „Gesprungenen Krug“ hatte man bislang nur immer auf die Juden geflucht, wenn der Lauentaler Markt schlecht gewesen; war er gut, dann hörte man nichts von ihnen. Ob das mit den Metzgern seine Richtigkeit habe, darüber liessen sie sich keine grauen Haare wachsen. Allein, dass der Zwirni eine eigene Meinung darüber hatte, das zeigte ihnen wieder aufs neue, dass er von ihnen verschieden war. Sie nickten alle so halb und halb Beifall — ihnen konnte es am Ende ja gleichgůltig sein, wer die Suppe ausfressen musste.

Nur der Garzam-Juli sah düster und brummig vor sich nieder. Er war der Schlächter von Krummbach. Was der Schneider so im allgemeinen über seine Kaste gesagt, das hatte ihn ganz besonders getroffen. Er biss in schnellem Tempo die Zähne aufeinander, so dass an beiden Backen zwei kleine Wülste entstanden und verschwanden. Und während er auf dem nassen Ring, den das Weinglas auf den Tisch vor ihm gezeichnet, stierte, stieg ein tiefer Hass gegen den Schneider in ihm auf. Schon früher hatten sich die beiden nie leiden mögen.

Der Zwirn hatte dem Seelenzustand des Garzam-Juli keine Beachtung geschenkt, und war, da er nun einmal das Gespräch führte, behende von einem Ding aufs andere übergesprungen. Nach kurzem kam er auf die Nachbargemeinden. Bei dieser Gelegenheit zeigte er den andern in kräftigen Worten, dass dort manches anders und besser sei als in Krummbach.

In nicht geringem Erstaunen hatten alle aufgehorcht. Sogar des Krugwirts Tochter, die Leni, stand hinten bei den Schoppengläsern und rührte sich kaum mehr. Nun wird’s gleich was absetzen — dachte sie im stillen —, denn der Vater und die Gemeinderäte lassen sich das, beim Eid, nicht gefallen.

Lange kam nichts. Sie starrten in grösster Verblüffung auf den Schneider.

Plötzlich aber schrie der Garzam-Juli mit böser, rauher Stimme:

„Das ist alles Laferei, Zwirni-Schneider! Bei denen dort ist auch nicht alles gülden, was funkeln tut.“

Da gab sich der Schneider einen Ruck und schrie nicht minder böse und rauh:

„Ja, selb glaub’ ich schon! Dir tut’s halt gefallen, wenn da alles bleibt, wie’s bei den Grossvätern war! Da ist der Rahm leichter von der Milch zu schöpfen. Aber ich kann dir sagen, auch bei uns oben kann’s nicht mehr lang so bleiben. Alle unsere Nachbarn gehn mit der Zeit. Nur wir hocken wie die Sau am Trog, schauen nicht darüber hinaus und schauen uns nicht um in der Welt. Not tät’s, meiner Seel, dass auch wir uns einmal rühren!“

Von jener Stunde an waren die zwei, der Garzam-Juli und der Zwirni-Schneider, Todfeinde.

Und die andern spitzten, als sie die Rede des Schneiders vernahmen, doch gar wunderlich die Ohren. Sie witterten irgend etwas hinter seinen Worten — irgend etwas, von dem sie noch nicht wussten, ob’s gut für sie war oder übel. Und merkwürdig war’s, sie nickten mit den Köpfen. Einige machten dazu noch leise, wie für sich selbst, „Jo — jo“. Nur der Ammann sah den Schneider mit seinen hungrigen Augen an, forschend und lauernd. Aber der blieb ruhig. Er strich sich den Schnurrbart in die Höhe und hielt den Blick aus. Und da nun der Ammann merkte, dass der Schneider keinen besondern Respekt vor ihm hatte, drehte er selbst langsam die Augen weg, dabei trommelte er mit den Fingern auf der Tischplatte.

Sie gingen dann bald auseinander. Jedoch des Schneiders Worte hatten sie um ein klein wenig aus ihrer Zufriedenheit aufgerüttelt. Er könne doch am Ende recht haben, dachte da einer und dort einer, und begann im geheimen Vergleiche anzustellen. Freilich viel kam dabei nicht heraus, denn das Nachdenken war nie die starke Seite der Krummbacher gewesen.

Seit diesem Tage aber merkte der Schneider Zwirn, dass seine Saat zu keimen begann.

Er ging nun öfters, wenn zwei oder drei auf der Strasse zusammen standen oder am Wirtstisch beieinander sassen, hinzu, und begann ganz sachte von dem oder jenem Übelstand in der Gemeinde zu sprechen.

Der Unzufriedenen gab es auch in Krummbach genug. Und an diese richtete sich der Schneider Zwirn am liebsten. Natürlich gab er ihnen recht und unterliess es nie hinzuzufügen, dass er schon dafür sorgen würde, dass dies und jenes besser werde, wenn er etwas zu sagen hätte in der Gemeinde.

Manchen gewann er so für sich.

Als die nächsten Gemeinderatswahlen kamen, blieb er gegen den Garzam-Juli, der schon an die zehn Jahr im Rat gesessen, Sieger.

II

Im Rathaus zu Krummbach war Gemeindeversammlung. Dieses Rathaus diente zwar zu gewöhnlichen Zeiten als Schulhaus.

Der Ammann und die Gemeinderäte waren schon alle erschienen und legten ihre Gesichter in ernste und wichtige Falten — das mochte wohl von den Sorgen und Mühen herkommen, welche das Regierungsgeschäft mit sich bringt.

Die letzten, welche kamen, waren der Barger-Bläsi und der Schneider Zwirn. Der erstere hatte, wie üblich, vorher noch einen Schoppen getrunken — vielleicht waren es auch zwei —, so dass er die rechte Zeit verpasste. Der zweite aber kam zu spät, weil er glaubte, es mache sich vornehmer.

Vor der Treppe trafen sie sich. Der Barger schnäuzte da recht umständlich und gründlich die Nase, dass es weithin klang wie ein Trompetenstoss. Darauf fuhr er sich mit dem braunen Handrücken über den Schnurrbart. Auch der Schneider Zwirn schnäuzte die Nase, um sich wie sein Kollege solcherweise auf die Sitzung vorzubereiten. Doch nahm er zum Abtrocknen sein schönes blauund rotkariertes Nastuch, damit der Barger eine richtige Meinung von ihm bekäme.

Als sie alle vereint drinnen in der Schulstube sassen, sagte der Ammann:

„Wir sind da beieinand, ihr Mannen, um über eine wichtige Frag zu beraten, welche der Zwirni-Schneider hat.“

Darauf schwieg der Ammann. Der Zwirn, der glaubte, seine Zeit sei gekommen, zog die Luft recht tief ein und sprach folgendermassen:

„Ihr wüsst so gut wie ich, ihr Mannen, dass wir allezeit, wenn’s eine Woche nicht zum regnen kommt, kein Wasser mehr in unsern Brunnen haben. Darum möcht ich am heutigen Tag vorschlagen, einen tiefen Brunnen zu graben, der auf eine grosse Wasserader führen tät. Dann müssten wir nicht alle Sommer so weit gehen, ums Wasser zu holen. Ich denk’, man könnt’ am besten beim ,Krug’ mit graben anfangen. Das wär so die Mitte vom Dorf, und es tät auch so am besten passen. Was sagt ihr dazu, ihr Mannen?“

Sie nickten bloss. Keiner hatte etwas zu sagen. Diese Idee schien ihnen so neu und ungeheuerlich, dass sie dieselbe in den ersten zehn Minuten gar nicht fassen konnten.

Endlich meinte der Ammann:

„Wir haben allezeit Wassermangel, das ist wahr.“

Mehr sagte er nicht. Die andern nickten wie zuvor. Das ging dem Schneider doch etwas zu langsam. Ganz unbegreiflich schien es ihm, wie die sich so besinnen konnten, als gelte es auf dem Markte eine Kuh zu kaufen. Er blickte unruhig von einem zum andern. Aber sie sagten nichts. Sahen nur vor sich hin oder zum Fenster hinaus, mit ausdruckslosen Augen, höchstens dass da und dort einer nickte.

Da sprach der Schneider Zwirn wieder, und seine Stimme zitterte vor Aufregung:

„Aber höret, ihr Mannen, ihr müsst bedenken, dass ein solches Wasser eine wertvolle Kraft ist, wo man allerhand Profit draus schlagen kann. Das ganze Dorf hätt’ mehr Wert, wenn ein guter Brunnen drin wär. Das müsst ihr bedenken. Und so müsst ihr euch also auch nicht so lange besinnen über die Frag. Schon lang hätt’s sein sollen, schon lang!“

Aus der ganzen Rede hatten sie hauptsächlich das Wort „Profit“ gehört, und da stutzten sie doch alle. Dieses kleine Wort regte in ihrem Innern eine Saite an, die nun langsam zu klingen begann. Aber sie sagten noch nichts.

„Und ich bin dafür,“ so fuhr der Schneider fort, „dass wir diese nützliche Sach’ nit so lang aufschieben sollten.“

Alle dachten nun an den „Profit“ und nickten eifriger mit den Köpfen. Sie schienen so allgemach die gleiche Meinung vom Brunnen zu bekommen wie der Schneider Zwirn. Das war klar.

Darum sagte nun der Ammann:

„So, jetzt sind wir so weit. Da könnten wir auch gleich abstimmen. Wer dafür ist, für den Brunnen, der soll die Hand aufheben.“

Alle streckten die Hände empor.

Der Schneider Zwirn war förmlich berauscht. Wer kann wissen — so dachte er in diesem Augenblick im stillen —, wo das noch hinaus will? Ist erst einmal der Wassernot in Krummbach abgeholfen, dann hab’ ich bei meiner ersten Sitzung das grösste Werk vollbracht, das dem hiesigen Gemeinderat je gelungen. Dann bin ich der erste Mann im Dorf! Und ihm war’s, als sage da irgendwo eine geheime Stimme: Beni, Beni, du bist der Mann, der Krummbach aus dem Schlaf aufrütteln wird. Du wirst ihnen allen den neuen Weg zeigen! Glaubst du, sie werden dann ihrer Dankbarkeit nicht irgendwie Ausdruck verleihen? Vielleicht dass sie gar auf dem Brunnentrog dein Bild in Stein aushauen lassen, damit ein jeder später einmal wisse: das ist der Schneider Zwirn, der grösste Bürger von Krummbach, der seine Heimatgemeinde, welche die Jahrhunderte hindurch etwas zurückgeblieben, den Fortschritten der Zeit entgegenführte. So oder ähnlich sprach die Stimme zum Schneider Zwirn.

Und wie er dieser heimlichen Stimme so lauschte und mit seiner gelben Hand durch den Schnurrbart strich, ganz nach Art der Stadtherren, da kamen ihm mit einem Male die andern Gemeinderäte samt dem Ammann so klein und nichtig vor. Mit schwerfälliger langsamkeit und sichtlicher Anstrengung dachten sie die Sache mit dem Brunnen durch, mühten sich an dem Gedanken, der ihm so spielend leicht gelungen. Eins ist gewiss — dachte er — ihnen würden die Nachkommen keinerlei Denkmäler setzen. Und er spürte da, wie sich eine tiefe Kluft auftat zwischen ihm und ihnen. Deshalb sah er gleichsam aus schwindelnder Höhe auf sie hernieder. Fast eine Art Mitleid beschlich ihn, als er sah, wie sie so dasassen und an der harten Nuss bissen, die er ihnen zum Knacken gegeben.

Nach einer Weile erhob der Schneider Zwirn abermals seine Stimme:

„Ich denke, ihr Mannen, wir müssen vor allem das Geld beschaffen. Aber das ist ein Kinderspiel. Die Kantonalbank in Sunnentorn gibt uns ja so viel Geld, als wir nur haben wollen. Wir müssen’s verzinsen, selb ist freilich wahr; aber der Profit vom Brunnen ist gewiss hundertmal grösser.“

Er schwieg. Und alle schauten zu ihm auf. Sie alle, die sonst geradeaus irgendwohin ins Leere schauten, drehten ihre Augen voller Bewunderung zum Schneider hinüber. Sicherlich dachte da jeder bei sich selbst: ist das ein verfluchter Kerl, dieser Zwirni-Schneider! Und bei diesem Gedanken erfüllte aller Herzen der Neid, es ihm nicht gleichtun zu können.

Den Vorschlag aber nahmen sie abermals einstimmig an und forderten von der Bank zwölftausend Franken.

Und der Zwirn fuhr fort:

„Wir haben in der Gemeinde nur einen einzigen Mann, der eine solche Arbeit ausführen könnt’. Und das ist der Grausengusti. Den müssen wir zum Brunnenmeister wählen.“

Als er schwieg, nickten sie wieder, sehr bedächtig, denn sie wussten alle, dass das der richtige Mann war.

So ward der Brunnen beschlossen und der Brunnenmeister gewählt.

Alle sechs gingen darauf nach Hause. Daheim erzählten sie’s ihren Frauen, und die brachten’s weiter, so dass noch selbigen Tags alle Einwohner von dem kühnen Aufschwunge hörten, den das entlegene Fleckchen Erde mit einem Male nehmen sollte. Und manches Herz hüpfte da schon vor Freude.

Es hiess sogar, dass ein altes Grossmütterchen, welches — wie alle wussten — die Gabe hatte, in die Zukunft zu sehen, den prophetischen Ausspruch getan, dass Krummbach in den nächsten Jahren schon einer der grössten Kurorte des Landes sein würde. Und das will etwas heissen.

Dem Schneider Zwirn wurde vom Gemeinderat der kaufmännische Teil des Brunnengrabens übergeben. Er war auch kaum zu Hause in der Stube angelangt, als er die Pritsche abräumte, Feder und Papier aus dem schiefen Kasten hervorholte und sich ans Schreiben machte. Er schrieb nach Sunnentorn „wegen dem Geld“. Bei der Tür stand seine Frau, das Jüngste auf dem Arm, und schaute ihm aus einiger Entfernung ehrfürchtig zu. Auch sie ahnte, dass Wichtiges im Gange war.

Als das Schreiben fertig war, nahm der Schneider abermals Stock und Hut und entfernte sich eilig. Sie sollten sehen, die von Krummbach, welche Arbeitskraft und Tüchtigkeit in ihm wohnten, so dachte er, als er die lange Dorfstrasse hinabschritt, der Kirche zu. Dort in der Nähe wohnte der Grausengusti, und den suchte er. Als er bei dem kleinen Häuschen angekommen, klopfte er flüchtig und herrisch an. Weil man ihm nicht sogleich öffnete, besorgte er dies selbst und trat ins Innere. Doch da schoss der schwarze Hund des Grausengusti, der allein zu Hause war, und der keine Ahnung hatte, wer vor ihm stand, mit wütendem Gekläff auf den Schneider los. So kam es, dass der Zwirni-Schneider, wie sie ihn im Dorfe nannten, noch schneller draussen als drinnen war und die Tür hinter seinem Rücken fest und sicher ins Schloss schlug.

Darauf ging er ins Nachbarhaus und fragte nach dem, den er suchte. Dort sagten sie ihm, dass der Gusti nicht zu Hause sei. Er „schaffe danieden auf der Föhnimatt“, hiess es, und komme nicht vor dem Abend zurück.

Das war die erste Schwierigkeit. Da musste der Schneider wohl oder übel seiner Ungeduld Zügel anlegen. Er liess Bescheid, der Gusti solle ihn, sowie er nach Hause komme, aufsuchen, er habe eine wichtige Sach’ für ihn.

Als der Gusti am Abend kam, hatten die beiden eine lange Sitzung, an derselben Pritsche, an der der Brief an die Bank in Sunnentorn geschrieben wurde.

„Was sagst dazu, Gusti,“ begann der Schneider, ,,wir graben jetzt einen tiefen Brunnen, und du bist unser Brunnenmeister, und fünfzig Batzen hast alle Tag.“

Der Gusti, der ordentlich nach Schnaps roch, sagte vorläufig nichts; er pfiff scharf durch die Zähne und sah den Zwirn ungläubisch an. Aber da der schwieg und auf eine Antwort zu warten schien, so meinte er:

„Jo, wo wollt ihr da den Brunnen graben?“

„He im Dorf natürlich, so beim Misthaufen vorm ,Gesprungnen Krug‘.“

„So — ich hab’ gedacht, man sollt da graben, wo’s Wasser hat.“

„Jo, meist du, es hab’ nit überall Wasser?“

„Das mein’ ich.“

Einen Augenblick kam es da an den Zwirni-Schneider wie Angst; Angst vor etwas Unbestimmtem. Doch dann schüttelte er das Gefühl der Schwäche rasch von sich ab. Er sagte in überlegenem Tone:

„Schwatz doch nit so narrechtig, Gusti. Es muss da überall Wasser genug haben.“

Und wieder pfiff der Grausengusti durch die Zähne und schwieg. Aber der Zwirn drängte:

„Weisst du etwas, womit man ’s Wasser auffinden kann?“

„Jo, selb’ wüsst’ ich schon.“

„Also, morgen früh gehst gleich dran und suchst den Pratz; aber mach’ nur, dass er auch in die Mitte vom Dorf kommt.“

„Das geht nit. Ich muss zuerst auf der Föhnimatt meine Arbeit fertig machen.“

Da brauste der Schneider auf:

„Nit von dem. Der danieden soll seine Arbeit machen lassen, wo er will. Morgen suchst ’s Wasser.“

Nur ungern tat das der Gusti. Es war ihm nicht recht, den „Föhnimättler“ einfach sitzen zu lassen. Er ärgerte sich. Aber was konnte er mehr tun?

Und weil er sich am andern Morgen immer noch ärgerte, trank er einen Schnaps mehr als gewöhnlich, dazu noch einen gehörigen. Dann ging er in den Wald und schnitt sich eine Wünschelrute.

Doch als er damit wieder dem Dorfe zuschritt, war in ihm der Ärger noch grösser geworden, ihm wollte die Sache nicht recht gefallen. Zudem fühlte er, dass ihn der lästige Durst noch mehr plagte als an andern Tagen, mit Nägeln und Sporen kratzte er ihm den Hals hinauf. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Grausengusti zuerst im „Kreuz“ einkehrte und dann in der „Krone“ und dabei jedesmal ins Glas hineinguckte. Weil das nun diesmal auf Gemeinderechnung kam, bestellte er sich immer ein grosses Glas. Als er die „Krone“ verliess, war er schon ordentlich befrachtet, doch nichtsdestoweniger tat er seine Pflicht. Er hielt die frischgeschnittene Wünschelrute zwischen den Fingern und sah voller Andacht und Aufmerksamkeit auf ihre Blätter nieder. Denn wenn sie sich neigten, dann war dies ein sicher Zeichen, dass er auf einer grossen Wasserader stand. Er ging und suchte und schimpfte und schwor dabei; aber weder links noch rechts schwenkte er die Augen, auch dann nicht, wenn er selbst manchmal ins Schwanken kam.

So näherte er sich dem „Gesprungenen Krug“.

Dort stolperte er über einen Stein und fiel auf die Strasse, so lang er war — dies behauptete wenigstens der Garzam-Juli —; der Gusti aber sagte, die Wünschelrute hätte ihn an den Boden gezogen. An jener Stelle müsse eine „meineidig“ grosse Wasserader sein, und wenn sie nicht dort sei, dann sei überhaupt keine da, denn so habe ihn das Wasser noch nirgends angezogen.

Dabei blieb er und ärgerte sich hinfort nicht mehr. Denn er selbst war nun überzeugt, dass ein unterirdischer Quell unter dem Dorfe vorbeirollte.

Zur nicht geringen Freude des Ammanns und zur Befriedigung des Schneiders war der Platz, wo der Gusti umfiel, gerade neben dem Misthaufen vom ,,Gesprungenen Krug“.

Als der Grausengusti sich wieder erhoben hatte, nahm er die Wüuschelrute, welche er beim Fallen festgehalten, am untern Ende und zeichnete damit auf die Strasse einen Kreis, der mehr oder weniger rund war.

Selbstverständlich war der Zwirni-Schneider dem Brunnensuchen nicht ferngeblieben. Er folgte dem Grausengusti stets auf dem ganzen Gang durchs Dorf in kaum zwei Schritte Abstand. So war er auch einer der ersten, die sahen, wie der Gusti den Brunnen auf den Boden zeichnete. Als er bemerkte, dass dies nun gerade der Ort war, den er im Gemeinderat als den rechten und den geeignetsten bezeichnet, glaubte er wie nie zuvor in seinem Leben an seine eigene Unfehlbarkeit. Einen kleinen Kummer hatte er nur bei dem Gedanken, dass sich vielleicht nicht alle Gemeinderäte seiner Worte von der Sitzung erinnern möchten. Darum unterliess er es auch nicht, jeden einzeln, der Reihe nach, wie sie ankamen — das dauerte nicht lange, da die Kunde wie ein Blitz durchs Örtlein flog —, daran zu erinnern.

Als der ganze Rat von Krummbach und alle Männer und Frauen und Kinder, soweit sie nicht krank waren und marschieren konnten, ausserhalb des Kreises standen, und der Grausengusti drinnen, da sagte der letztere nochmals mit grosser Überzeugung:

„Da niedenvor muss es meineidig viel Wasser haben, denn so hat’s mich an der Wünschelrute noch bei keinem Brunnen z’Boden gerissen.“

Mehr wusste der Gusti nicht zu sagen; aber das genügte auch vollauf, um einen tiefen Eindruck auf alle Anwesenden zu machen.

Und weil nun der Grausengusti schwieg, glaubte der Schneider es ja nicht versäumen zu dürfen, vor dem ganzen versammelten Volke auch seine Stimme erschallen zu lassen. Ähnlich wie tags zuvor im Gemeinderat, so sprach er da abermals in wohlgesetzten und kräftigen Worten vom Werte des künftigen Brunnens. Er sprach eine gute Weile und ohne Pause. Und eine Stille war ringsum, wie sie noch kein Pfarrer in der Krummbacher Kirche je erlebt hatte.

Als er endlich schwieg, sei es nun, dass er nichts mehr zu sagen hatte oder nicht mehr weiter wusste, da waren es nicht nur die Gemeinderäte, die nickten, sondern alle, wie sie dastanden. Denn jeder rechnete im stillen aus, wie gross der Nutzen sein könne und worin er läge, den gerade er aus dem Brunnen ziehen könne. Die vom „Kreuz“ und von der „Krone“ dachten schon daran, auf welche Weise sie wohl am zweckmässigsten ihre bislang bescheidenen Häuser in Hotels umbauen sollten. Während die übrigen glaubten, dass es unter den vielen fremden Vögeln, welche dann alljährlich durchs Dorf geflogen kämen, auch für sie einige bunte Federn zu rupfen gäbe.

Es mögen ja wohl auch einige gewesen sein, die aus blosser Neugierde hergelaufen waren, und die wie Kinder mit offenen Mäulern dastanden; aber auch sie kamen bei des Schneiders Zwirn schwungvoller Rede auf ihre Kosten. Gleich einem Fieber ergriff es auch sie bei der allgemeinen Begeisterung. Und so waren denn zum Schlusse alle hochbefriedigt.

Der Garzam-Juli wollte zwar zuerst so im Hintergrunde Einwendungen machen; aber da kam er schlecht weg. Wie die bösen Hunde zeigten sie ihm dräuend die Zähne, so dass er es vorzog, zu gehen.

Als der Schneider schwieg und kein anderer mehr das Wort ergriff, zerstreuten sich die Leute allmählich. Die Frauen schritten wieder ihren Kochherden zu, welche sie im Stiche gelassen, und standen vor den Türen zu zweien und zu dreien, um ihre Privatmeinungen von der Sache den Nachbarinnen auseinanderzusetzen. Weil aber diese Meinungen denn doch etwas verschieden voneinander waren und sich nicht nur so mit zwei Worten abtun liessen, so stand an jenem Tage auf mehr als nur einem Tische ein angebranntes Essen.

Doch mancher eheliche Zwist, der darob zu gewöhnlichen Zeiten unvermeidlich gewesen, wurde dadurch aufgehoben oder doch sehr gemildert, dass sämtliche Männer in wehrpflichtigem Alter und darüber — ein paar mögen auch darunter gewesen sein, doch das hat nichts zu sagen — sich vom Brunnen weg in die drei Wirtschaften des Dorfes zerstreuten. Dort sassen sie, hielten sich mit den Ellbogen an den Tischen fest und drehten die Sache mit dem Brunnen um und um. Von unten und von oben ward sie beleuchtet, und fast schien es, als ob kein einzig dunkles Flecklein daran zu finden sei.

Doch so beim dritten oder vierten Schoppen herum mochte es sein, als der Garzam-Juli ganz unvermutet eine kleine Trübung in die bisher so heiteren Gemüter brachte.

Ihm fiel nämlich, ganz urplötzlich und ohne dass er selbst wusste warum, ein, dass der Kreis, den der Gusti gezeichnet, mitten auf der Strasse lag; und die war dort nicht sehr breit. Es stand fest, dass, wenn einmal der Brunnen dort war, kein Fuhrwerk durchkommen konnte.

Als ihm dies einfiel, freute sich der Garzam-Juli im stillen, nicht nur der Entdeckung wegen, sondern auch darum, weil dies alles in der ganzen Zeit noch keinem andern eingefallen war. Im nächsten Augenblicke schon platzte er damit in die schäumende Freude, und alle schwiegen betroffen und betreten still. Den tiefsten Stich ins Herz gab’s dem Schneider Zwirn. Der liess den Unterkiefer hängen, als wäre plötzlich das Scharnier darin gebrochen, und stierte mit grossen, runden Augen auf den Garzam-Juli. Er sah in diesem Augenblicke viel weniger imponierend und würdevoll aus, als zwei Stunden zuvor am Brunnen. Da fühlte er’s mit wehem Druck, dass sein Weg zur Höhe schon eine kleine Krümmung machen wollte. Es schien eben auch ihm nicht vergönnt, so ohne weiteres die Regionen des Ruhms zu erklimmen.

Doch mit seiner ihm angeborenen Beweglichkeit fasste er sich schon wieder nach wenigen Minuten, eine gute Weile, ehe die andern sich von ihrem Schrecken erholten. Er suchte mit einer Anstrengung, die ihm den Schweiss in dicken Tropfen auf die Stirne trieb, nach einem Ausweg aus dieser Klemme. Und mit einem Male flog ein frohlockendes Lächeln über sein Gesicht. Er hatte ihn gefunden, den Ausweg! Doch sagte er vorläufig nur:

„Du, Juli, denkst du, ich hab’ das nit auch gewusst, dass die Strass’ dort eng ist? Meiner Seel’, das hab’ ich auch gewusst.“

Ale sahen nun abwechselnd auf den einen und den andern. Der Garzam-Juli hatte sich aufgeblasen wie ein Frosch und hielt mit seinen roten Händen den Stuhl, auf dem er sass, fest umklammert. Aber der Schneider strich höhnisch lächelnd seinen Schnurrbart in die Höhe. Und als er gar erst von seinem Stuhl aufstand, um in innerer Erregung ein paarmal auf und ab zu gehen in der raucherfüllten Schankstube, da schauten sie ihn mit masslosem Staunen an. Es war seltsam, welche Gewalt der Schneider in so kurzer Zeit über die sonst recht zugeknöpften und misstrauischen Bauern gewonnen hatte. Sie hätten wohl sicherlich alle von ihm geglaubt, er sei ein Genie — wenn sie gewusst hätten, was das ist.

Als der Schneider wieder bei seinem Stuhle angekommen, liess er sich darauf nieder, dass es krachte. Dann sagte er:

„Du, Juli, du musst nicht glauben, dass ich das nit gewusst hab’, wegen der Strass’. Ja, du, wie du so dahockst, du glaubst wohl, dass müss’ jetzt so ganz unmöglich sein, dem abzuhelfen. Nein, du wüsstest sicher nicht, wie — aber ich weiss es.“

Sich an alle wendend, fuhr er fort:

„Zwar kann ich euch das jetzt nicht sagen, weil das Sach’ vom Gemeinderat ist; aber ihr werdet’s ja bald erfahren.“

Diese Geheimtuerei machte einen gewaltigen Eindruck, so dass mehr als einer sich hinter den Ohren zu kratzen oder an der Nase zu reiben begann — alles Handlungen, die sie sonst nur verrichteten, wenn der Herr Pfarrer oder sonst eine wichtige Persönlichkeit mit ihnen redete. Dem Schneider entging dies nicht, und darum schwoll ihm auch der Kamm mächtig an.

Dem Garzam-Juli, den eine sinnlose Wut brandrot färbte, wandte er verächtlich den Rücken. Der bezeigte zwar nicht übel Lust, seinem Widerpart auf den Leib zu rücken. Aber er musste zu seinem Leidwesen die Wahrnehmung machen, dass er allein war mit seiner Abneigung gegen den Brunnen und seinem Hass gegen den Schneider, und dass er es mit mehr als einem zu tun bekäme, wenn er „anfinge“.

Dieserhalb fing er nicht an. Er erhob sich und ging mit polternden Schritten der Tür zu. Dort blieb er noch einmal stehen und brüllte:

„Horchet nur auf ihn, auf den Schneiderbock, den verdammten, und folget ihm, der führet euch alle miteinand in den Dreck!“

Weiter kam er nicht, obschon er offenbar viel mehr hatte sagen wollen, denn schon flogen die Schoppengläser, und ein böses Rumoren erhob sich. Was den Garzam-Juli veranlasste, die Tür schleunigst ins Schloss zu schlagen und zu gehen.

Dies alles spielte sich im „Gesprungenen Krug“ ab. Jedoch in ganz ähnlicher Weise freuten sich die Bauern in den beiden andern Wirtschaften, mit dem Unterschiede nur, dass es dort niemandem eingefallen, der Brunnen könne die Strasse versperren. Aber nicht lange war dieser Schatten im „Gesprungenen Krug“ aufgetaucht, bis er sich auch auf die beiden andern Schankstuben weiterpflanzte.

Es drückten sich nämlich sogleich nach der neuen Wendung der Dinge einige heimlich aus dem „Kruge“ fort, um ja die ersten zu sein, die es im „Kreuz“ und in der „Krone“ berichten konnten. Dann herrschte auch an diesen beiden Orten Verblüffung und anhaltendes, peinliches Schweigen.

Nicht anders wusste man sich zu helfen, als dass man eine dringliche Gemeinderatsversammlung auf den nächsten Tag einberief, zum Zwecke, den Brunnen aus der Enge zu bringen.

Und in jener Sitzung soll’s heiss zugegangen sein. Wurden doch ganz ausserordentliche Vorschläge gemacht und beispiellose Beschlüsse gefasst. Nach der Sitzung schüttelten darum auch einige Bürger bedenklich die Köpfe, sowie sie davon hörten, dass ein Haus und ein Häuslein und zudem noch zwei Scheunen gegenüber vom „Gesprungenen Krug“ abgebrochen werden sollten, um die Strasse, die dem Brunnen weichen musste, darüber zu leiten.

Nun aber stand dem Brunnen nichts mehr im Wege.

Die längsten Hebel wurden angesetzt, und Schaufel und Pickel dazu. Von den ehrwürdigen alten Scheunen, die schon so manches Donnerwetter glücklich überlebt hatten, sausten die Ziegel mit unheimlicher Eile auf den Erdboden nieder, so, dass sie nach wenigen Tagen schon aussahen, wie geschlachtete Tiere, welchen man das Fell abgezogen.

Die Fremden, die dann an den nächsten Sonntagen durchs Dorf kamen, blieben stehen und fragten, mit Bedauern in Stimme und Miene, ob’s da gebrannt habe.

Aber es wurde ihnen nur stets die tröstliche Antwort:

„Nein, wir graben jetzt einen grossen, tiefen Brunnen; es wird jetzt bald anders zu Krummbach, als es gewesen.“

III

In der Umgebung von Rosenach, Erlenheim und Krummbach und viel weiter noch war der Katzengusti eine gewissermassen berühmte Persönlichkeit. Jung und alt kannte ihn, sogar die Behörden, die im gewöhnlichen Leben sonst sehr zurückgezogen sind und sich um andere Leute nicht viel bekümmern, schenkten ihm bisweilen ihre Aufmerksamkeit. Woher sein sonderbar klingender Name kam, denn von seinen Eltern und vom Pfarrer hatte er gewiss einen andern erhalten, das wusste eigentlich niemand. Schon die ältesten Grossväter hatten ihn unter diesem Namen gekannt, die Jungen hatten ihn von ihnen übernommen, ohne dass sich je einer gefragt hätte, welche Bewandtnis es damit habe.

Vor vielen Jahren — so erzählten die Bauern — war er als blutjunger Bursch in die Gegend gekommen; und war schon damals der richtige Teufelskerl gewesen. Er konnte alles und wusste überal Bescheid. Er flocht neue Körbe und flickte die alten, schabte am Sonnabend den Bauern die Bärte, wenn eine Kuh in Geburtsnöten lag, holten sie ihn, und wenn eine der wenigen Uhren, die in Krummbach hingen, nicht mehr mit der Zeit gehen wollten, musste er auch da helfen. Er wurde der Gemeinde schliesslich für ihr irdisches Dasein ebenso unentbehrlich wie der Herr Pfarrer für das Heil ihrer Seelen.