Der Geist - Julian Bates - E-Book

Der Geist E-Book

Julian Bates

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Beschreibung

Robin Wagner hat sich seinen Ruhestand genau ausgerechnet, ein Häuschen auf dem Lande, monatliche Ausgaben, Solaranlage, möglichst geringe Kosten, ein Haus ohne Kreditzahlungen, sehr viel Eigenleistung bei Reparaturen, kein Kraftfahrzeug, schon gar nicht eines mit Fossilien-Brennstoffen, eine Diät, die natürlich auch Aufwände bei Lebensmitteleinkäufen reduziert und die gestiegene Inflation in diesem Bereich berücksichtigt und so weiter und so fort. Man könnte davon sprechen, dass Robin all die Jahre, bis zu seinem Tod, minutiös durchgeplant hat. Also freut er sich auf eine wundervolle Zeit, die angefüllt ist mit aufregenden Hobbys, Lesen, gemütlichen Abenden vor dem Kamin oder auf der Terrasse und einer genügsamen Zeit als Einsiedler, die durch nichts gestört wird, vor allem nicht durch nervige Anforderungen von Managern, die ständig irgendwelche Einhörner von ihm forderten, die es aber in der IT niemals gibt. Genauso wenig wie grüne Buchstaben, die mit roter Tinte gefertigt werden. Es gab allerdings eine, einzige, winzige Kleinigkeit, mit der er nicht gerechnet hat. Genau genommen sogar zwei. Mit der Einsamkeit und einem echten, realen Geist.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Der Geist

 

Von Julian Bates

 

 

 

 

 

Buchbeschreibung:

Robin Wagner hat sich seinen Ruhestand genau ausgerechnet, ein Häuschen auf dem Lande, monatliche Ausgaben, Solaranlage, möglichst geringe Kosten, ein Haus ohne Kreditzahlungen, sehr viel Eigenleistung bei Reparaturen, kein Kraftfahrzeug, schon gar nicht eines mit Fossilien-Brennstoffen, eine Diät, die natürlich auch Aufwände bei Lebensmitteleinkäufen reduziert und die gestiegene Inflation in diesem Bereich berücksichtigt und so weiter und so fort.

Man könnte davon sprechen, dass Robin all die Jahre, bis zu seinem Tod, minutiös durchgeplant hat. Also freut er sich auf eine wundervolle Zeit, die angefüllt ist mit aufregenden Hobbys, Lesen, gemütlichen Abenden vor dem Kamin oder auf der Terrasse und einer genügsamen Zeit als Einsiedler, die durch nichts gestört wird, vor allem nicht durch nervige Anforderungen von Managern, die ständig irgendwelche Einhörner von ihm forderten, die es aber in der IT niemals gibt. Genauso wenig wie grüne Buchstaben, die mit roter Tinte gefertigt werden.

Es gab allerdings eine, einzige, winzige Kleinigkeit, mit der er nicht gerechnet hat. Genau genommen sogar zwei.

Mit der Einsamkeit und einem echten, realen Geist.

 

 

 

 

 

 

 

Über den Autor:

Wo liegen die Grenzen der Fantasie? Das ist eine Frage, die mich immer wieder einmal beschäftigt hat, welche Grenzen sollte man sich persönlich setzen? Die Grenzen, die einem von der Familie angeraten werden? Die von der allgemeinen Gesellschaft da draußen? Die von den diversen religiösen Gruppierungen? Die, die einem das Gesetz vorschreibt?

 

Irgendwann im Laufe eines Lebens kommen die meisten zu dem Schluss, man kann es nicht allen recht machen, und man muss sich seine eigenen Grenzen ziehen. Meine Fantasie hat natürlich überhaupt keine Grenzen, aber ich habe einige Dinge, die ich persönlich einfach nicht gut finde, und andere, die ich mag. Ich respektiere das Gesetz, ich füge niemand anders Schaden zu, und versuche, so vorausschauend zu leben, dass ich das auch unbeabsichtigt nicht tue.

 

Ich respektiere andere Menschen und ihre Würde, egal wie sie aussehen, welche sexuelle Ausrichtung sie haben oder welcher Religion sie angehören. Ich habe keinen Respekt vor Menschen, die andere Menschen schlecht behandeln, warum auch immer sie glauben das tun zu müssen.

 

Genau da setze ich auch die einzigen Grenzen meiner Fantasie, und zwar auch der sexuellen. Also respektieren meine Charaktere, abgesehen von den Bösewichten natürlich, das Gesetz und andere Menschen, und fügen niemandem mit Absicht Schaden zu. Sadismus und Erniedrigung wird man ebenfalls nicht in meinen Geschichten finden, Freiwilligkeit, Respekt und Liebe für den/die Partner ist die Basis für alle meine Geschichten.

 

Geschlechter sind für mich ein Kontinuum, ein dreidimensionales Gebilde, in dem sich irgendwo die tatsächlichen Geschlechter einer Person befinden. Meiner Ansicht nach sind sie nicht einmal sonderlich konsistent, sondern eher fluktuös und verändern sich mit der Zeit.

 

Wortzähler: 87042

 

 

 

 

 

 

 

Der Geist

 

 

 

von

 

Julian Bates

 

 

 

 

 

 

Julian Bates

Am Mühlbach 5

64853 Otzberg/Habitzheim

Cover by Shutterstock

Order ID: CS-09E2A-B198

Image ID: 1123273247

Modified by www.gimp.org

Version 1.1

julianbates@t.online.de

 

 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Der vorletzte Umzug

Kapitel 2 Unerwartete Probleme

Kapitel 3 Gefühle und Gebärdensprache

Kapitel 4 Ein Date oder nicht, das ist hier die Frage

Kapitel 5 Sport und Gebärdensprache

Kapitel 6 Das Restaurant Zendo

Kapitel 7 Eifersucht

Kapitel 8 Die Verführung

Kapitel 9 Ein unkalkulierbares Risiko

Kapitel 10 Anal oder nicht

Kapitel 11 Geisterhafte Dinge

Kapitel 12 Ein unerwartetes Erwachen

Kapitel 13 Schwimmen

Kapitel 14 Schwierige Verhandlungen

Kapitel 15 Ein netter Filmabend

Kapitel 16 Wenn dem Esel zu wohl ist

Kapitel 17 Sex oder die Wahrheit

Kapitel 18 Eine Entscheidung

Kapitel 19 Ein Experiment

Kapitel 20 Schlechte Nachrichten und eine Beichte

Kapitel 21 Zu groß oder zu klein

Kapitel 22 Die Polizei

Kapitel 23 Die Umzüge

Kapitel 24 Der Kinobesuch

Kapitel 25 Eine merkwürdige Nacht

Kapitel 26 Fesseln der Liebe

Kapitel 27 Entfesselte Liebe

Kapitel 28 Anmerkungen des Autors

Kapitel 1 Der vorletzte Umzug

meines Lebens sollte in das kleine Örtchen Habitzheim stattfinden. Der Ort ist nicht weit weg von Groß-Umstadt, hat allerdings trotzdem Otzberg als Gemeinde in seinem Namen und der Postleitzahl stehen. Die Bezeichnung Ort hat sich das Dörfchen bisher nicht verdienen können, weshalb sich die Anwohner mit Ortsteil zufriedengeben müssen. Was den Menschen hier jedoch nicht sonderlich schwerzufallen schien, da sie mehrheitlich ziemlich glücklich waren.

Der Schein trügt aber. Immer und überall. Sobald mal ein wenig genauer hinschaut, findet man Leichen im Keller, und zwar in allen Ecken. Ausnahmen gibt es keine. So viel hatte mich die Lebenserfahrung schon gelehrt. In diesem Örtchen wurde ich allerdings zum ersten Mal im Leben, was nun mittlerweile bereits fast sechzig Jahre andauerte, auf Anhieb nicht fündig. Viele Jahre im Beruf, einem sogenannten Informationstechniker, oder kurz ITler, haben mich eines gelehrt, und das ist, die Made zu finden, die sich in absolut jedem Gewürzschrank aufhält.

Fehlersuche, das war schon seit je her meine Spezialität. Wenn alle anderen versagten, fand ich doch noch den faulen Apfel, oder in den Begriffen der beruflichen Laufbahn, den Bug, der die Störungen verursachte. Was auch immer es war.

In Habitzheim jedoch wurde ich allerdings unerwarteterweise, wie schon erwähnt, nicht fündig. Dieser Ort erschien mir tatsächlich als das wahre Paradies auf Erden. Weshalb ich die Kündigungswelle eines großen, deutschen IT-Konzerns, den ich hier aus Loyalität gegenüber einem ehemaligen Arbeitgeber hier nicht nennen möchte, dazu ausnutzte, um mir eine Abfindung auszahlen zu lassen, die so großzügig war, dass sie gemeinsam mit meinen Ersparnissen dazu ausreichte, um mir in Habitzheim ein Haus zu kaufen, was bereits seit einigen Jahren leer zu stehen schien.

Die Rationalisierung war übrigens nicht unbedingt etwas Neues, und auch der Hang dazu, selbst qualifizierte Mitarbeiter zu entlassen, und für einen solchen hätte ich mich durchaus bezeichnet, bei diesem speziellen Konzern nun wirklich nichts Unbekanntes mehr. Im Übrigen genauso wenig wie der Hang dazu, die qualifizierten Mitarbeiter in einer anderen Konzerneinheit wieder einzustellen, ohne jegliche Fristen einzuhalten, aber dieses Mal war ich endgültig draußen. Ich hatte genug auf der hohen Kante, um den Lebensabend frühzeitig zu beginnen.

Die Ziele dieses Konzerns, dem ich jahrzehntelang meine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt hatte, interessierten mich von einem Moment auf den anderen nicht mehr. Dieses Mal hatten sie den Bogen meiner Ansicht nach endgültig überspannt, dieser brutale Arbeitsplatzabbau in Deutschland würde die IT im Konzern für Jahrzehnte zurückwerfen, und ich plante nicht, schon wieder mit persönlichen Überstunden dafür gerade zu stehen, gemeinsam mit all den anderen armen Schweinen ... hust ... ich meine natürlich den Kollegen. Den jetzt Ehemaligen.

Die neuen Nachbarn waren ein wenig zurückhaltend anfangs, was sich im Laufe der Zeit tatsächlich auch nicht wirklich besserte. Eine Nachbarin, die vor einigen Jahren von ihrem treulosen Ehemann, dem es das Scheidungskarussell wert gewesen war, sein Haus dafür aufzugeben, verlassen worden war, verriet mir das Geheimnis. Um die Gunst der lokalen Leute zu gewinnen, sollte ich schon in der Lage sein, ein lokales Stammbuch im Ort vorzuweisen, was mindestens drei Generationen zurückreichte.

Da sie schließlich im lokalen Gesangsverein die Solostimme war, was so in etwa mit der ersten Geige bei Orchestern vergleichbar sei, durfte ich sehr wohl davon ausgehen, dass ihre Aussagen völlig korrekt waren. Und genauso, dass sie allem, was ich ihr anvertraute, absolut verschwiegen gegenüberstehen würde. Die Bemerkung ließ sämtliche Alarmglocken bei mir schrillen, und zwar nicht nur die Spinnensinne, sondern alle anderen ebenfalls. Natürlich merkte ich mir den Kontakt vor, selbst wenn die Frau erheblich jünger als ich war, und im Übrigen noch dazu deutlich besser aussah.

Um ganz genau zu sein, war es mir ein Rätsel, warum sie überhaupt auch nur ein einziges Wort mit mir wechselte, denn meines Empfindens nach gehörte sie eher zu der Klasse von Leuten, die mich früher in der Schule immer gemobbt hatten, und nicht zu der Sorte, die ein Gespräch mit mir anfingen. Als ich sie aufmerksam studierte, noch während sie mir das alles erklärte, wurde sie auf einmal sehr nervös und verschwand mit einem recht schnellen: „Auf Wiedersehen“.

Nachdenklich sah ich ihr hinterher, als sie sich tatsächlich noch einmal zu mir umdrehte. Ihr Blick sah dabei ziemlich merkwürdig aus, fast so, als wäre sie sich gerade sehr unsicher darüber, was sie eigentlich eben getan hatte. Ihr Lächeln sah aufrichtig aus, allerdings auch irgendwie besorgt, was mich beunruhigte, denn wieso sollte diese wildfremde Frau sich Sorgen um mich machen? Oder machte sie sich einfach nur Sorgen um sich selbst, ihren Ruf im Ort? Dass die anderen Nachbarn noch vorsichtig waren, störte mich nicht unbedingt, da ich es gewohnt war, allein zu sein.

Ich brauchte nicht unbedingt jemanden zum Leben, nur den Laptop und das große, weite Internet, was mir die Gelegenheit gab, sehr viele Spiele wie Schach zu spielen und noch einigen weiteren Hobbys nachzugehen, wie zum Beispiel der Schreiberei. Geld verdiente ich nicht wirklich mit Zweiterem, das Einkommen war also sehr gering, lediglich die Photovoltaikanlage und die paar Bücherverkäufe stellten also die ganzen Einkünfte dar, über die ich verfügen konnte. Meine Idee war es daher, möglichst sparsam zu leben, ein wenig des Angesparten zu verbrauchen, freiwillig in die Rentenkasse und Krankenversicherung einzuzahlen und so die Zeit bis zur Rente zu überbrücken.

Natürlich hatte ich mir die Sache ziemlich genau überlegt und alles ausgerechnet, und an und für sich sah ich keine Probleme auf mich zukommen, da mein neues Haus kernsaniert war, eine Wärmepumpenheizung besaß und lediglich ein paar wenige Arbeiten noch ausstanden, die ich selbst erledigen konnte und würde. Der Vorbesitzer hatte das Haus in einem nahezu perfekten Zustand übergeben, und ich fragte mich immer noch, warum er denn eigentlich ausgezogen war, angesichts der vielen Modernisierungen, die er vorgenommen hatte. Vielleicht hatte er ja in ein anderes Land umziehen müssen.

Es dauerte ein paar Wochen angefüllt mit harter Arbeit, dann hatte ich nichts mehr auszusetzen und freute mich auf den Ruhestand, weitere Reparaturen sollten an und für sich erst einmal nicht anstehen. Der letzte Schritt war schließlich noch, mein Auto zu verkaufen, das Motorrad abzumelden und in der Garage einzulagern, da ich es nicht über das Herz brachte, die gute, alte Honda auch zu abzuschaffen. Ein Fahrrad mit einem großen Korb dienten mir zur Fortbewegung für die Einkäufe und reichten völlig aus.

Die allermeisten Dinge bekam ich von irgendeinem Versandhaus geliefert, falls ich doch einmal etwas größeres benötigte. Lebensmitteleinkäufe tätigte ich zu Fuß oder mit dem Fahrrad, je nach Wetterlage, was ganz gut funktionierte, da ich nur sehr wenig brauchte. Ich hatte es eine strenge Diät eingeplant, sobald die Arbeiten am Haus erst einmal erledigt worden waren, um von den einhundertzwanzig Kilo herunterzukommen, wegen denen mir der Hausarzt auch bereits, vor allem aufgrund der Blutwerte natürlich, einen ziemlich deutlichen Warnschuss vor den Bug verpasst hatte.

Mehr Bewegung und weniger Essen standen also auf dem Plan, mit dem ich aber durchaus leben konnte, da es sowieso zu der finanziellen Situation passte. Die Ergebnisse konnten sich bald schon sehen lassen, auf unter hundert Kilo zu kommen war nicht allzu schwer, und da ich konsequent weiter machte, sollte ich auch irgendwann wieder bei den neunzig Kilo ankommen, die ich bei mir als Normalgewicht erachtete. Der Hausarzt war ebenfalls bald schon erheblich zufriedener, mein Plan schien also voll und ganz aufzugehen, selbst die Budgetsituation war eindeutig in Ordnung, ich lag sogar eher ein wenig darunter, trotz der Inflation, die unser Land im Jahr 2024 heimsuchte.

 

Kapitel 2 Unerwartete Probleme

Ich lebte bereits ein halbes Jahr in dem neuen Haus, als einige Dinge passierten, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Der Beruf hatte für mich nicht nur eine professionelle Komponente gehabt, da er zum Geldverdienen diente, sondern eben auch eine soziale. Diese beinhaltete regelmäßigen Kontakt mit den Kollegen, und hin und wieder auch ein paar Geschäftsreisen und Treffen, die ich während meiner aktiven Zeit als recht nervig und unnötig empfunden hatte. Jetzt fehlten sie mir interessanterweise, was im Endeffekt bedeutete, dass ich depressiv wurde.

Alkohol ist immer eine gute Lösung für so ein Problem, allerdings nicht, wenn man ihn in den Mengen zu sich nahm, die ich mir gönnte. Das wurde mir recht deutlich bewusst, als ich eines Nachts, ich hatte wieder einmal ziemlich viel und über einen langen Zeitraum getrunken, in meinem Wohnzimmer, wo ich in völliger Dunkelheit gesessen hatte, ohne jede Vorwarnung eine durchsichtige, weiße Gestalt erblickte. Es war eindeutig eine Frau, und sie hatte ihren Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet. In diesem Augenblick holten Urängste ein, von denen ich nicht vermutet hatte, welche zu besitzen, dann verschwand sie, genauso plötzlich, wie sie erschienen war.

Eiskalte Schauer liefen mir den Rücken hinunter, als ich mich erhob, das Glas mit dem billigen Schnaps ergriff, in die Küche lief, den Drink in den Abfluss leerte und mich auf der Stelle in mein Bett begab, wo ich mich ohne weitere Verzögerungen hinlegte und bis auf Weiteres völlig vom Alkohol verabschiedete. Schweißgebadet wachte ich am frühen Morgen auf, da mich die ganze Nacht unangenehme Albträume geplagt hatten, die ich aber glücklicherweise innerhalb von wenigen Stunden am Vormittag vergaß.

Da es mittlerweile wieder Frühling wurde und sich außerdem die Sonne blicken ließ, unternahm ich eine sehr lange Radtour und ging anschließend noch eine Stunde Schwimmen im Groß-Zimmerner Hallenbad. Als ich nach der Anstrengung zuhause ankam, war ich restlos fertig, wobei ich trotzdem darauf achtete, nur einen Salat mit ein wenig Hühnchenfleisch zu mir zu nehmen, da ich die Gelegenheit für meine Gesundheit ausnutzen wollte. Natürlich ging ich früh zu Bett, um den Abschied vom Alkohol zu betonen.

Kurz nach Mitternacht musste ich die Toilette besuchen, was ich wie üblich im Dunkeln erledigte, da es genug Sternenlicht gab, um den Gang auch so hinter mich zu bringen, also ohne mich mit grellem Licht wieder vollständig aufzuwecken. Als ich zurück ins Schlafzimmer kam, erblickte ich die weiße, transparente Frau erneut, allerdings wenigstens ohne den unhörbaren Schrei. Stattdessen lächelte sie mich an und verschwand kurz darauf, genau wie am Tag vorher. Trotzdem konnte ich sie diesmal ein wenig besser studieren, sie trug ein langes, wallendes Kleid mit einem ziemlich großen Ausschnitt, der ihre flachen Brüste kaum bedeckt gehalten hatte.

Ihr Körper war völlig durchsichtig gewesen, dessen ungeachtet konnte ich keine weiteren Details unter dem Kleid entdecken. Sie hatte lange Haare gehabt, die mit einem Pferdeschwanz zurückgebunden worden waren, und vom Alter hätte ich sie auf höchstens fünfundzwanzig Jahre geschätzt, wobei das sehr schwierig einzuordnen war. Die eiskalten Schauer auf meinem Rücken ignorierend legte ich mich zurück ins Bett und grübelte nach. Gehörten Halluzinationen zum Krankheitsbild einer Depression dazu? Medikamente hatte ich ja keine eingenommen, sondern nur Alkohol getrunken, auch wenn es billiger Schnaps in rauen Mengen gewesen war.

An diesem Tag war ich jedoch völlig nüchtern, dafür hatte ich ja gesorgt. Grübelnd starrte ich an die Decke und überlegte mir, was ich als Nächstes tun sollte. An real existierende Geister glaubte ich nicht, und die Sache mit der Halluzination bei Depressionen kam mir ebenfalls sehr merkwürdig vor. Trotzdem hatte mich ihr Anblick nicht kalt gelassen und durchaus mit Furcht erfüllt, allerdings schon deutlich weniger als noch am Vortag. Ihr Lächeln hatte sogar richtig freundlich gewirkt, was mich eher verwirrte als beängstigte.

Ich tat es als Einbildung ab und schlief weiter, diesmal ohne die Alpträume und erwachte wie üblich am Morgen gegen sechs Uhr, da ich für meine Verhältnisse viel zu früh zu Bett gegangen war. Ich nutzte den Tag und warf den Laptop an, um ausführlich im Internet zu recherchieren, ob bei Depressionen auch Halluzinationen auftraten. Leider wurde ich nur allzu bald fündig, wobei ich allerdings das Gefühl hatte, dass die Symptome nicht zu dem konkreten Fall passten. Ja, ich war ein wenig depressiv, aber war ich bereits so schwer erkrankt, um dermaßen heftige Sinnestäuschungen befürchten zu müssen?

Als ich nachmittags erneut zu einer Radtour aufbrach, traf ich Frau Maier wieder, die hübsche, freundliche Nachbarin.

„Guten Tag, Frau Maier. Schönes Wetter, nicht wahr?“

„Hallo Herr Wagner, das kann man wirklich sagen, mein Garten fängt so langsam an, richtig schön auszutreiben. Machen sie noch eine Radtour heute?“

„Ja, ärztliche Anweisung. Ich muss abnehmen, der Blutdruck und die Blutwerte, wissen sie.“

Sie lachte laut auf.

„Das kann ich mir vorstellen, leider geht es mir genauso. Sie haben aber bereits ganz schön abgenommen, nicht wahr?“

„Ja, ich bin nicht unzufrieden, auch wenn ich noch nicht da angekommen bin, wo ich hin möchte.“

Sie sah mich unsicher an, als ob sie mir eine Frage stellen wollte, schüttelte dann jedoch ihren Kopf.

„Ich wünsche ihnen eine schöne Tour, Herr Wagner!“

„Ich heiße übrigens Robin.“, versuchte ich sie aus der Reserve zu locken.

„Tatjana, angenehm. Bis später, Robin!“

Ich zuckte mit den Schultern, fuhr los und winkte ihr noch einmal zu. Dann machte ich meine Tour und versuchte dabei, mich selbst zu reflektieren. Natürlich vermisste ich die lieben Kollegen, aber ganz sicher nicht unser Management mit seinen Ansagen, die mir von Jahr zu Jahr immer schräger vorgekommen waren. So richtig einsam war ich doch eigentlich gar nicht gewesen, oder? Fühlte ich mich mit dem Ruhestand wirklich derart schlecht? Verdrossen schüttelte ich den Kopf und trat fester in die Pedale, diesmal laugte ich mich so richtig schön aus.

Als ich wieder daheim ankam, verstaute ich das Fahrrad in der Garage und ging die kleine Treppe zum Eingang hinauf, wobei ich feststellte, dass ich die Muskeln dermaßen überangestrengt hatte, dass ich kaum die Stufen hochkam. Irgendetwas hatte ich an dem Tag also richtig gemacht, meinen Arzt würde es freuen. Nach einer ausgiebigen Dusche setzte ich mich nackt auf die Couch und sah fern, da ich keine Lust auf surfen oder schreiben hatte. Die Nachrichten waren wie üblich sehr deprimierend, der Ukraine-Krieg zog sich ewig hin, und die Probleme im Nahen Osten wurden gefühlt auch mit jedem Monat schlimmer.

Als ich an die Stelle kam, dass die Amis eventuell Trump wiederwählen würden, ging es mir schlechter als den ganzen Tag davor. Der Tatort war ganz nett, und der Spielfilm danach ebenfalls, was mich beides wieder ein wenig aufmunterte. Aus lauter Übermut zog ich mir noch einen Film rein, wobei ich mir diesmal zwei Bier aus dem Keller dazu holte und mit sehr viel Genuss leerte, nachdem ich sie eine Weile im Gefrierteil meines Kühlschranks runtergekühlt hatte. Das war eine Sache, auf die ich echt nicht verzichten konnte, nämlich eiskaltes Bier.

So gesund warmes oder kühles Bier auch ist, ich kriegte es einfach nicht herunter. Es war so gegen halb drei, als ich die Flimmerkiste abschaltete, mich genüsslich auf der Couch ausstreckte und mir noch die zweite Hälfte des Biers gönnte, sozusagen als Betthupferl. Viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte das kalte Getränk auf den Teppich gespuckt, als die durchsichtige Frau wieder erschien. Diesmal lächelte sie ein wenig gezwungen, deutete auf die Bierflaschen und schüttelte ihren Kopf.

Meine Kinnlade klappte nach unten, als mir klar wurde, dass die Erscheinung versuchte, mit mir zu kommunizieren. Hatte sie ein Problem mit dem Alkohol?

„Das Bier? Ich habe nur zwei getrunken, so viel war das nicht.“

Sie deutete auf ihre Ohren, schüttelte den Kopf, dann lächelte sie mich an, zwinkerte mir zu und verschwand. Als ich an mir heruntersah, fiel mir auf, dass ich mich gar nicht mehr angezogen hatte. Nun, wie auch immer, die Dame drang hier uneingeladen in mein Haus ein, da musste sie schon mit der einen oder anderen Überraschung leben. Wenn sie denn tatsächlich eine Dame war. Ein Geist. Der Gedanke machte mir nach wie vor zu schaffen, da ich an so etwas eigentlich nicht glaubte.

Trotzdem war mir noch etwas aufgefallen, sie hatte dieses Mal zwei Zöpfe gehabt, einen an jeder Seite. Offenbar war sie dazu in der Lage ihr Aussehen zu verändern. Hatte sie auch ein anderes Kleid angehabt? Was mir unerwarteterweise ebenfalls klar wurde, war, dass sie zu Lebzeiten einmal eine ausnehmend schöne, junge Frau gewesen sein musste. Mein Kopf fing an, sich zu verknoten, als ich darüber nachdachte, denn hatte ich nicht gerade eben nicht noch ausgeschlossen, dass ich an Geister glaubte?

Natürlich glaubte ich an Übersinnliches, in Fantasy- oder Mysteryromanen, aber ganz sich nicht in der Realität. Wir hatten das verdammte einundzwanzigste Jahrhundert und nicht das finsterste Mittelalter mit Hexen und Geistern. Oder Frauen mit roten Haaren, die alleine schon deshalb am Scheiterhaufen verbrannt wurden, weil sie sich weigerten, ihren Körper dem örtlichen Priester oder wem auch immer hinzugeben. Oder im Wald lebten und den Menschen halfen, mit ihrer Naturmedizin und Kräuterkunde.

Ich hielt mich für einen wissenschaftlich fundierten, aufgeschlossenen und rationalen Menschen, mit der aktuellen Situation war ich jedoch überfordert. Wobei ich wenigstens keine irrationalen Ängste entwickelte, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Frau gefährlich sein könnte. Höchstens nervig mit ihrer Lichterscheinung, so richtig nervte sie mich allerdings noch nicht einmal. Trotzdem nahm ich mir vor, am kommenden Tag das Haus gründlich nach Projektoren abzusuchen.

Diese Möglichkeit nahm ich jedoch nicht wirklich ernsthaft in Betracht, da ich sehr genau wusste, was man für eine dreidimensionale Projektion benötigte, und eine entscheidende Komponente war etwas, in dem sich das Licht reflektieren konnte, also Rauch oder Nebel. Oder alternativ Partikel in einem Glas- oder Akrylblock. Was ausnahmslos in meinem Wohnzimmer nicht vorhanden war, bis auf ein paar wenige schwebende Staubpartikel vielleicht, die aber definitiv nicht für so eine Erscheinung ausreichen würden.

Sherlock Holmes kam mir in den Sinn. Wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen wurden, dann muss diejenige, die am Schluss übrig bleibt, die Richtige sein, sei sie auch noch so unwahrscheinlich. Oder irgendetwas in der Art, was aber für mich bedeutete, dass mein Haus eventuell doch von einem Geist bewohnt wurde? Ich würde mir erneute Notar-, Makler- und sonstige Kosten ganz sicher nicht noch einmal leisten können, dann würde ich mir definitiv einen neuen Job suchen und wieder arbeiten gehen müssen.

Dieser Gedanke war mir absolut zuwider, das würde also nicht in Frage kommen. Alleine schon die Erinnerungen erzeugten bei mir sehr viele negative Gefühle. Selbst wenn ich die netten Kollegen mit einberechnete, aber den Kampf mit sinnlosen und unvernünftigen, geldgierigen Management-Entscheidungen noch einmal aufzunehmen, kam für mich nicht in Frage. Bereits die Vorstellung einer Wiederholung der Erlebnisse jagte mir eiskalte Schauer über den ganzen Körper, die erheblich kälter als alles waren, was der Geist bisher hinbekommen hatte.

Was auch immer hier los war, ich beschloss spontan, diese Sache hier aufzuklären, da die Alternative für mich deutlich schlimmer sein würde. Prompt verschluckte ich mich an meinem Bier und musste heftig husten, was diesmal auch nicht so schnell aufhörte.

‚Nicht schon wieder!‘, dachte ich noch, dann kippte ich um. Kurze Zeit später kam ich zu mir und blickte in das völlig entsetzte Gesicht des Geistes, die direkt über mir zu schweben schien. Ihr Mund war erneut zu einem lautlosen Schrei geöffnet, den aber niemand hören konnte. Oder wenigstens ich nicht. Noch ein wenig benommen setzte ich mich auf, was sie zurückweichen ließ. Mit einem äußerst ängstlichen Blick starrte sie mich an, weshalb ich in ihre Richtung abwinkte.

„Kein Problem, das passiert mir manchmal, es ist nichts Tragisches.“, sagte ich zu ihr, wunderte mich aber bereits über mich selbst. Wieso erklärte ich mich einer merkwürdigen Erscheinung, dessen Existenz ich eigentlich nach wie vor leugnete? Sie reagierte wie beim letzten Mal, deutete auf ihre Ohren und schüttelte mit dem Kopf. Ich zuckte mit den Schultern, was ihren Gesichtsausdruck auf einmal sehr traurig werden ließ. Vielleicht dachte sie gerade, dass es mir egal war, dass sie nicht mit mir reden konnte, auf jeden Fall verschwand sie danach auf der Stelle.

Das Bier hatte ich fallengelassen, was bedeutete, dass ich mein Wohnzimmer putzen musste, was aber glücklicherweise gefliest war, kein Teppich und kein Holzfußboden. Trotzdem war ich noch eine halbe Stunde beschäftigt, bis ich mich erledigt ins Bett fallen ließ. So oder so wurde diese ganze Geschichte nicht einfacher, allerdings war ich zeit meines Lebens lösungsorientiert gewesen, weshalb ich spontan beschloss, im Internet nach Gebärdensprache zu suchen. Vielleicht ließ sie sich ja darauf ein, das gemeinsam mit mir zu lernen, falls sie es nicht bereits beherrschte.

Da sie weder hören konnte, noch eine Tastatur oder einen Stift bedienen können würde, blieb das für mich als einzige Lösung übrig, falls wir miteinander kommunizieren wollten. Falls, denn natürlich hatte ich keine Ahnung über ihre Absichten. Bisher war sie aber meistens deshalb in Erscheinung getreten, wenn ich etwas getan hatte, wegen dem sie sich Sorgen gemacht hatte. Um mich? Sie kannte mich doch gar nicht. Sie wusste nur, dass ich ihr Haus gekauft hatte. Oder das ihrer Eltern oder was auch immer. Falls sie überhaupt begriff, dass ich ihr Haus besaß, denn einen Überblick darüber, was sie von der Realität mitbekam, hatte ich definitiv nicht.

Weit nach Mitternacht versank ich in einen unruhigen Schlaf, geplagt durch verwirrende und nervige Alpträume, in denen es immer wieder darum ging, dass ich das Haus aufgeben musste. Am kommenden Morgen durchsuchte ich das ganze Haus nach möglichen Projektoren, und wie erwartet fand ich gar nichts, nicht einmal Kabel, die ich nicht zuordnen konnte. Außerdem hatte sie auf mich zu realistisch gewirkt, mit ihrem merkwürdigen, viel zu engen Kleid und dem riesigen Ausschnitt. Als sie sich nach meiner Ohnmacht so dicht über mich gebeugt hatte, konnte ich den Geist sehr wohl recht genau studieren.

Von Nahem hatte sie erheblich detailreicher und schöner als aus der Ferne ausgesehen, und das war mehr als eindeutig keine Projektion von irgendeinem Gerät dieses Jahrhunderts, so weit war die Menschheit damit noch nicht, die technischen Limitationen kannte ich durchaus gut genug. Und wenn ich nicht bereits sechzig Jahre alt und die Dame noch am Leben, wäre ich eindeutig mehr als nur ein wenig interessiert gewesen. Natürlich ohne sie jemals anzusprechen, denn eine junge Dame dieses Alters und ein alter Sack wie ich, das gab es nur bei Rockstars, und nicht bei Frührentnern, die mit ihrem eigentlich viel zu knappen Ersparten versuchten, sich die letzten sieben Jahre vor der Rente irgendwie über Wasser zu halten und trotzdem alle Versicherungen und laufenden Kosten zu zahlen.

Irgendwann gab ich dir Suche nach Projektoren frustriert auf, ging eine Runde radeln und anschließend ins Hallenbad, wo ich mich richtig austobte. Als ich zuhause ankam, war ich erneut restlos fertig. Ich achtete auf die Ernährung, trank nichts, öffnete den Laptop und wartete auf meinen Geist. Die Suche nach Gebärdensprache erwies sich als äußerst erfolgreich, es gab einige Portale, die mehr als nur ein paar wenige Informationen zu dem Thema lieferten. Es gab sogar Websites mit kleinen Videos, die einem die entsprechende Gebärde zu dem deutschen Wort vorführten.

Durchaus begeistert auf meine alten Tage eine neue Sprache zu erlernen, fing ich damit an, die Gebärden einzustudieren und auswendig zu lernen. Leider war die Sprache nicht ganz so strukturiert, wie ich es von Programmiersprachen her gewohnt war, wahrscheinlich weil sie auch noch auf Menschen und nicht nur Maschinen optimiert worden war. Trotzdem kam ich gut voran, wurde aber bis um zwei Uhr morgens nicht mit der ersehnten Präsenz belohnt. Zu behaupten, ich wäre deswegen zutiefst unglücklich gewesen, wäre vermutlich genauso falsch gewesen, wie die Behauptung, dass es mir völlig egal gewesen war.

Aus irgendeinem Grund heraus mochte ich den Geist, sie hatte eine gewisse Besorgnis für mich demonstriert und zu sagen, dass sie hier im Haus klassisch herumgespukt hatte, wäre auch mehr als nur ein wenig übertrieben gewesen. Mein Geschirr, was wieder einmal darauf wartete in die Spülmaschine geräumt zu werden, war völlig heile, alle Bücher befanden sich nach wie vor im Regal, und der Fernseher hatte ebenfalls keine gruselige Figur ausgespuckt, die versucht hatte, mich mit einem Messer zu ermorden.

Ein bisschen betrübt ging ich zu Bett und verbrachte den nächsten Tag ziemlich identisch. Mit dem gleichen Ergebnis. Das Gespenst war und blieb verschwunden. Ein ganzer Monat ging ins Land, ohne dass ich an dieser Situation irgendetwas geändert hätte. Aus reiner Langeweile hatte ich mir die Gebärdensprache selbst beigebracht, bis ich sie, mehr oder weniger, fließend beherrschte. Der Geist jedoch, für den ich das alles unternommen hatte, blieb unauffindbar.

Wenigstens mein Hausarzt war hochzufrieden, denn ich hatte mich auf weniger als achtzig Kilo heruntergehungert, wobei ein großteils dieses Verdienstes dem Sport zuzuordnen war, dem Schwimmen und Radfahren. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, da ich im Internet über Habitzheim keinerlei Informationen über einen Geist oder ähnliche Heimsuchungen gefunden hatte, und klingelte völlig verzweifelt bei der Nachbarin, mit der ich seit dem Austausch unserer Vornamen kaum ein Wort gewechselt hatte.

Tatjana war sehr hilfreich, nachdem ich sie auf eine Tasse Kaffee eingeladen hatte, und auch wieder nicht. Sobald sie mein Haus betreten hatte, baggerte sie mich schamlos an, was mich nach unzähligen gescheiterten Beziehungen ziemlich abstieß. Ich wusste recht genau, dass ich als ehemaliger ITler nur für einen überaus geringen Prozentteil der weiblichen Bevölkerung überhaupt als Partner in Frage kommen würde, und sie war ganz sicher keine valide Kandidatin. Trotzdem bekam ich wenigstens ein paar nützliche Informationen aus ihr heraus.

Wer die schöne, junge Frau war, die in meinem Haus spukte, wusste sie auch nicht, aber eines wusste sie sehr genau. Die letzten sieben Hausbesitzer hatten alle das Haus nach einer Weile fluchtartig verlassen und viel zu günstig verkauft. Interessanterweise berichtete sie außerdem darüber, dass jemand in dem Haus spukte, denn die letzten drei Besitzer hatten alle über etwas Ähnliches berichtet. Unter dem absoluten Siegel der Verschwiegenheit natürlich, was sie üblicherweise auch einhielt, aber für mich, weil ich doch so ein toller und schöner Mann war, extra für mich brach.

Ich fühlte mich trotzdem nicht wirklich geschmeichelt und warf sie mit einer Ausrede hinaus, sobald es mir mit ein klein wenig Anstand möglich gewesen war, da ich sie so hemmungslos ausgequetscht hatte. Immerhin hatte sie mir einige wertvolle Informationen zukommen lassen, die mir einiges über meine Mitbewohnerin verriet. Sie wohnte schon sehr lange in diesem Haus und hatte daher durchaus die älteren Rechte. Dessen ungeachtet würde es ihr nicht bei dem Thema weiterhelfen, mich von hier zu vertreiben, da mir schlicht und einfach die finanziellen Reserven dafür fehlten.

Drei Monate später war ich dazu in der Lage, jede Nachrichtensendung mit Gebärdensprache ohne Ton zu verstehen, und im Großen und Ganzen vermutlich um eine ganze Größenordnung gesünder als zu dem Zeitpunkt war, als ich meine Abfindung angenommen hatte. Zumindest körperlich. Geistig war es leider nicht ganz so gut um mich bestellt, denn all die Stunden auf dem Fahrrad und im Schwimmbad hatten mich zum Grübeln gebracht, und ich hatte keine Ahnung, warum der Geist auf einmal ausgerechnet mich verschmähte, von allen bisherigen Hausbewohnern.

In einem der Getränkeläden in der Nachbarschaft hatte ich irgendwann eine Flasche Tabu Absinth mit fünfundfünfzig Prozent Alkohol entdeckt, die ich mir für medizinische Notfälle aufgehoben hatte. Nach über zehn Monaten, neun davon völlig geistfrei, hielt ich den Augenblick endlich dafür gekommen, genau diesen einzuläuten. Ich besorgte mir ein paar Eiswürfel, da ich keine Lust auf die aufwändige französische Art und Weise hatte, den Absinth zu mir zu nehmen, nämlich flambiert mit Zucker aufgegossen, gab ich mir an diesem Abend so richtig die Kante.

Nach zweieinhalb Absinth und vier Bier ging es mir so langsam recht gut, zwar sah ich nach wie vor keine grünen Feen um mich herum tanzen, aber dafür meinen Geist wieder einmal. Diesmal konnte ich sie allerdings eindeutig dem Suff zuordnen und fing damit an, schallend über mich selbst zu lachen. Als sie mir erschienen war, hatte sie auch bei dieser Gelegenheit den lautlosen Schrei draufgehabt, der mich mittlerweile jedoch völlig kalt lies. Stattdessen prostete ich ihr mit dem dritten Absinth zu und leerte den Drink grinsend.

Ihr Gesichtsausdruck wechselte von dem lautlosen Schrei nach ziemlich wütend und sie kam mir immer näher, bis sie sich genauso nah vor mir befand wie neulich, als ich das Bewusstsein verloren hatte. Ich erhob einen Zeigefinger zwischen uns, was sie ein wenig zurückzucken ließ, allerdings erreichte ich damit trotzdem etwas Gutes, sie sah mich nämlich verwirrt an und hielt inne. Ich öffnete LibreOffice auf meinem Laptop, was zufällig gerade eingeschaltet war, und tippte darauf eine Frage.

„Wie heißt du?“

Sie sagte etwas, was ich natürlich nicht verstand, und schlug ihre Hand auf die Stirn. Eine Geste, die ich wiederholte, und mich darüber ärgerte, dass sie offenbar nur auf Volltrunkene so allergisch reagierte, dass sie erschien.

„Kannst du das hier lesen?“, tippte ich als Nächstes.

Als sie nickte, seufzte ich erleichtert auf, weshalb ich den Text ersetzte.

„Es wird Zeit, dass wir reden.“

Sie sah mich höchst misstrauisch an, als hätte ich ihr gerade vorgeschlagen, ein Brot belegt mit Kakerlaken zu essen, nickte aber schließlich.

„Hast du immer nur wenige Minuten Zeit? Pro Nacht?“

Sie schüttelte mit dem Kopf. Ja-Nein Fragen waren eindeutig die Wahl der Stunde und wir kamen voran. Ich überlegte, was ich als Nächstes fragen sollte, allerdings fiel mir nichts Intelligentes ein. Endlich begriff ich, warum das so war.

„Ich bin betrunken. Treffen wir uns morgen, falls ich bis dahin ich wieder nüchtern bin?“

Sie kniff die Augen zusammen, wiederum ziemlich wütend, dann entspannte sie sich ein wenig und schüttelte den Kopf.

„Du willst mich nicht mehr treffen?“, tippte ich mit einigen Rechtschreibfehlern in die Tastatur, bis es mir schließlich gelang und ihr den Bildschirm vors Gesicht hielt.

Der Gesichtsausdruck, den sie jetzt aufsetzte, sagte mir absolut gar nichts, weshalb ich ein wenig genervt die Augenbrauen hochzog und die Handflächen ausstreckte. Sie hob den Zeigefinger, welches mir wiederum etwas besagte. Was der Grund dafür war, dass ich abwartete. Sie überlegte eine ganze Weile, dann zeigte sie auf den Satz und schüttelte mit dem Kopf. Also wollte sie mich wiedersehen, was ja schon einmal eine gute Sache war. Danach dachte ich über die vorhergehende Ablehnung nach.

„Möchtest du jetzt gerade mehr Zeit mit mir verbringen?“

Sie lächelte und nickte, zeigte auf den Bildschirm des Laptops und streckte ihre Hand aus. Symbolisch ergriff ich ihre Hand, ohne allerdings irgendetwas Materielles ergreifen zu können. Stattdessen ging die Hand durch ihre hindurch, genauso wie ihre durch meine hindurch ging. Für einen winzigen Moment jedoch vernahm ich ein Gefühl, ein positives, und Wärme. Verblüfft sahen wir uns beide an, dann streckte ich auch die andere Hand in ihre Richtung aus, hoffentlich ohne fordernd zu wirken, worauf sie nichtsdestoweniger sofort einging und Ihre wiederum vorsichtig meiner näherte.

Kapitel 3 Gefühle und Gebärdensprache

Als sich unsere Hände ineinanderschoben, fühlte ich plötzlich Dinge, die ich auf der Stelle ihr zuordnen konnte. Verwirrung, Erregung, Nervosität, Erstaunen, Respekt und einen geradezu winzigen Keim von Verbundenheit, der sich gerade zu entwickeln schien. Als wir die Hände voneinander lösten, wurde auch die Übertragung der Gefühle wiederum unterbrochen. Das letzte Gefühl, was ich empfing, war allerdings Enttäuschung, lediglich ein kurzes Aufflackern, aber trotzdem sehr eindeutig.

Ich schrieb es meinem Alter und der eher doch ärmlichen Zustände zu, in denen ich mich derzeit befand, wobei mir nicht ganz klar war, wieso sie das als Geist interessieren sollte. Ich tippte noch einen Satz ein, was sie dazu brachte, sich neben mir auf die Couch zu setzen. Offensichtlich konnte sie durchaus den Boden, Couch und eventuell sogar mich als feste Körper respektieren, falls es ihr gerade in den Kram passte. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie jederzeit durch den Boden in den Keller diffundieren konnte, wenn sie es nur wollte.

„Was habe ich falsch gemacht, wieso wolltest du mich nicht mehr sehen?“, tippte ich in die Maschine ein, ein wenig frustriert. Sie zuckte mit den Schultern und schüttelte ihren Kopf. Na toll, der Absinth wieder, es war keine Ja-Nein Frage und damit für sie unlösbar. Es gab nur eine Lösung, und das war die Gebärdensprache.

„Die Menschen haben inzwischen eine Sprache für Taubstumme entwickelt, die auf Gebärden basiert. Möchtest du diese mit mir lernen?“

Ihr Gesicht fing von einem Moment auf den anderen damit an, mit einem wunderschönen Lächeln zu erstrahlen, und außerdem schien es mir, als ob ihr gesamter Körper heller als vorher leuchtete. Ohne, dass sie etwas sagen musste, bekam ich den Eindruck, dass ich endlich etwas richtig gemacht hatte. Ich löschte alles, was ich vorher geschrieben hatte, und schrieb noch einen, weiteren Satz hin:

„Ich habe dich vermisst.“

Genervt von mir selbst und meinem Zustand, vor allem weil ich schon wieder etwas geschrieben hatte, was keine Ja-Nein Frage gewesen war, löschte ich auch diesen Satz und klappte das Notebook zu. Mein Körper gehorchte mir nur noch teilweise, als ich betrunken und erschöpft nach hinten fiel, in die weichen Kissen auf dem Sofa, und die Hände vor das Gesicht legte. Eindeutig war das ein Abend voller Chancen gewesen, und ich hatte ihn wieder einmal vergeigt. Und zwar so gründlich, dass mir nicht einmal klar wurde, obwohl ich scharf darüber nachdachte, was ich eigentlich so Schlimmes getan hatte.

Dass sie verschwunden sein würde, sobald ich die Augen erneut öffnete, wusste ich so genau, wie ich das Gefühl der Enttäuschung empfangen hatte, als wir miteinander verbunden gewesen waren. Betrunken, durcheinander und ziellos überlegte ich, wie ich es schaffen konnte, ein wenig mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Nur ein kleines bisschen mehr Zeit mit der schönen Frau würde mir ja reichen, allerdings würde ich dafür deutlich nüchterner als heute sein müssen.

Schulterzuckend legte ich die ganze Sache nominal zu den virtuellen Akten, öffnete die Augen und wollte mich erheben, um ins Bett zu gehen, als ich direkt in ihre durchsichtigen Augen blickte. Sie lag auf dem Bauch, auf einem virtuellen Sofa oder so, und hatte die Knie angewinkelt und die Füße überkreuzt. Außerdem befand sie sich mitten in der Luft, schwebend, und zwar so, dass ihr Körper senkrecht zu meinem Gesicht lag. Sie lächelte mich an und nickte mir zu, wobei sich mein Blick dadurch schon fast zwangsweise auf ihren Ausschnitt fokussierte.

Offensichtlich gehorchte ihr Kleid den Gesetzen der Schwerkraft, oder erweckte zumindest diesen Eindruck, weshalb sie mir auf diese Art und Weise Einblicke bis zu ihrem Bauchnabel bot. Ich musste spontan grinsen, als ich mir ihre wunderschönen, winzigen Brüste ansah, die so durchaus deutlich größer wirkten, als sie in der Realität waren. Es erforderte ziemlich viel Anstrengung meinerseits, nicht die Hände auf die beiden zarten Wölbungen zu legen, durch die meine Finger eh hindurchgeglitten wären.

Sie neigte ihren Kopf beiseite, zwinkerte mir zu und verschwand. Hoffnung erfüllte mich, dass ich sie vielleicht zeitnah wiedersehen würde, und sie unser Treffen nicht als völlige Zeitverschwendung betrachtet hatte. Aus irgendeinem Grund war sie von mir enttäuscht gewesen, das wusste ich bereits, aber auf der anderen Seite hatte sie mir schon zum zweiten Mal Einblicke geschenkt, die keine Frau, die ihre Sinne beisammen hat, einem Mann gewährt, den sie nicht leiden konnte.

Auf der anderen Seite war die Frau trotzdem immerhin tot, und das schon seit vielen Jahren. Wie zornig sie war, konnte niemand sagen, und ich am allerwenigsten. Eine Sache konnte ich aber definitiv feststellen, ich war ziemlich erregt, und zwar deutlich erregter, als ich es seit Monaten gewesen war. Glücklicherweise hatte ich dieses Mal recht weite Shorts getragen, die meine Erregung verborgen hatten, und trotzdem musste ich wegen der zu engen Hose humpeln, als ich mich damit in das Schlafzimmer verkrümelte und mir vor dem Schlafen noch selbst Befriedigung verschaffte, da ich ansonsten niemals hätte einschlafen können.

Am nächsten Morgen erwachte ich ziemlich verkatert und fragte mich, was ich zum Teufel hier gerade tat. Schließlich hatte mich der Hausgeist doch monatelang in Ruhe gelassen und was tat ich? Ich lockte sie, ich meine die Erscheinung, wieder hervor. Und dann auch noch mit so viel Begeisterung an der ganzen Sache, dass ich mir so langsam ernsthaft Sorgen über mich selbst machte. Wieso fühlte ich mich von dem Gespenst dermaßen angezogen, wo mir doch, zumindest als ich das letzte Mal hingeschaut hatte, eigentlich jeglicher Glaube an solche Dinge abging?

Eine Erscheinung. Ja, ganz sicher. Trotzdem konnte ich die Nacht kaum erwarten. Ob ich mir wieder die Kante geben musste? Oder vielleicht einfach nur abwarten, bis sie auftauchte? Wieso war sie so wunderschön? Die Fragen stürmten meinen Geist, überwanden jede Form von Rationalität, die sie dort vorfanden, und zurück blieb der Wille, sie wieder zu sehen. Idealerweise sofort, aber notgedrungen wohl erst spät in der Nacht. Wie immer, denn sie war bisher jedes Mal nach Mitternacht aufgetaucht.

Also ging ich wieder einmal radfahren und anschließend schwimmen. Diesmal hatte ich das Vergnügen, einem jungen, schönen Mädchen hinterher schwimmen zu können. Sie zog mich, war eigentlich ein bisschen schneller als ich, und trotzdem gelang es mir, mit ihr mitzuhalten. Irgendwann gab sie auf, und überglücklich kletterte ich hinter ihr aus dem Wasser, körperlich absolut fertig. Sie funkelte mich an und meinte:

„Na, haste die Show genossen, du alter Widerling?“

Völlig entgeistert starrte ich sie an, verstand die Welt nicht mehr und murmelte nur: „Entschuldigung, für was auch immer.“

Sie war jedoch bereits davongelaufen, während ich noch versuchte, meinen Körper aufzuklauben, denn ganz offensichtlich hatte ich die Verfolgungsjagd nicht so gut wie sie überstanden. Als ich schließlich dazu in der Lage war, aufzustehen, ging ich duschen und fuhr tief verletzt nach Hause, ohne zu verstehen, was da gerade eben überhaupt geschehen war. Daher war es nicht einmal dunkel, als ich bereits wieder den billigen Fusel auf dem Tisch stehen hatte, und noch dazu drei leere Bierflaschen.

Sobald ich restlos voll war, verstand ich endlich, was passiert war. Natürlich hatte ich eine Schwimmbrille getragen, da ich nicht sehr gut auf Chlor reagierte, allerdings waren meine Augen eben nicht mehr die allerbesten. Eventuell hatte sie irgendetwas angehabt, was ein bisschen gewagter gewesen war, und ich war ihr die ganze Zeit hinterhergeschwommen. Und sie dabei angestarrt, ohne sie wirklich zu sehen, was sie aber nicht wissen konnte. Zumindest nicht das, was auch immer sie zu verbergen gehabt hatte.

Als Spanner beschuldigt zu werden, ohne wirklich etwas zu sehen, das war ein neues Tief in meinem Leben. Selbstverständlich hatte ich mir, genau wie jeder andere Mensch, das Eine oder Andere zuschulden kommen lassen. Das liegt in der Natur des Menschen, aber unschuldig dermaßen wütend angemacht zu werden, das war mir bisher noch nie passiert. Tränen des Selbstmitleids, wie sie nur der Alkohol hervorlocken kann, den man bereits am zweiten Tag völlig unmäßig zu sich nimmt, rannen mir über die Wangen, als es schließlich dunkel wurde und der Ende dieses Tages eingeläutet wurde.

Eigentlich hätte ich nicht überrascht sein sollen, als sie auftauchte. Und auch nicht, dass sie mir wieder einmal als Banshee erschien, sobald sie all die leeren Flaschen auf dem Tisch erblickte. Sie sah noch wütender als je zuvor aus, flog um mich herum und leuchtete sogar heller als sonst. Ich ignorierte sie jedoch, selbst als sie mit einer völlig entzerrten Miene, unter der ein Totenkopf sichtbar geworden war, bis auf wenige Zentimeter auf mein Gesicht herankam. Sogar den überraschend spürbaren Stoß auf die Brust würdigte ich mit keiner Reaktion, obwohl es das erste Mal war, dass ich sie körperlich wirklich spüren und fühlen konnte.

Stattdessen erhob ich mich, sah sie traurig an, ging zum Gefrierschrank, holte mir noch eine Flasche Obstler, goss mir reichlich ein, prostete ihr zu und kippte das Glas weg, den Trost suchend, den ich nicht finden würde. Selbstverständlich war es nicht nur das Mädchen aus dem Bad, was mir dermaßen zu schaffen machte, sondern auch sie. Der wunderschöne Geist. Den ich mit meinen gierigen Blicken besudelt hatte. Die ungehörige Erregung, die ich empfunden hatte, als ich ihr in den Ausschnitt gestarrt hatte.

Dieser alte Sack hier war ein Widerling. Das Mädchen aus dem Schwimmbad hatte völlig recht, und das gleiche galt natürlich auch für die junge, wunderschöne Frau, die mein Haus heimsuchte. Ihr Haus. Eigentlich hatte ich nicht einmal das Recht, hier zu sein, denn sie hatte die älteren Rechte. Irgendwann hörte sie damit auf, als Banshee um mich herumzufliegen, sondern starrte mich nur noch wütend an. Dann kam sie plötzlich näher zu mir heran, bis sie sich wieder ganz dicht vor meinem Gesicht befand.

Ihr Mund öffnete sich und sie sagte etwas, was ich natürlich nicht verstand. Trotzdem antwortete ich ihr.

„Mir wurden heute die Augen geöffnet, es gehört sich nicht, wenn ein alter Widerling wie ich hinter einem schönen Mädel wie dir hinterher steigt. Und dabei auch noch das empfindet, was ich gestern getan habe.“

Ihre Wut war irgendwann verflogen, als sie auf den Laptop zeigte, welches sich hinter all den Flaschen auf dem Tisch befand, allerdings war ich bereits jetzt viel zu betrunken, um es noch vernünftig zu bedienen. Trotzdem öffnete ich das Lid und entsperrte die Maschine mit meinem Gesicht, sobald sie hochgefahren war. LibreOffice zu starten und die Schriftgröße einzustellen, die ich für sie das letzte Mal verwendet hatte, war der einfache Teil. Die richtigen Tasten zu finden, eher nicht.

„Es gehört sich nicht. Ich bin ein alter Widerling.“, tippte ich wutentbrannt, wobei ich an das arme Mädchen im Schwimmbad dachte, welches ich belästigt hatte. Sie las, was ich auf dem Bildschirm geschrieben hatte, sah mich an, und dann wieder die Worte auf dem Bildschirm. Plötzlich fing sie an, schallend zu lachen, auf ihre typische, lautlose Art. Völlig aus der Spur geworfen starrte ich sie entgeistert an, als sie erneut auf den Bildschirm zeigte und mich auslachte.

Wie ich darauf reagieren sollte, wusste ich nun wirklich nicht, weshalb ich mir noch ein Glas einschenkte. Als ich es trinken wollte, zeigte sie mir erneut ihren Bansheeblick und schlug nach meiner Hand. Sie traf mich, heftig, das Glas löste sich aus meinen Griff, flog gegen die Wand und zerschellte dort. Dann schlug sie mich erneut, ins Gesicht und gab mir eine heftige Ohrfeige, die mich auf der Stelle so gut wie nüchtern werden ließ. Ihr Blick war so wütend, zornentbrannt und verletzt, dass ich nicht anders konnte.

Ich sprang auf, überwand den Abstand zwischen uns, öffnete die Arme, umarmte sie und drückte ihren astralen Leib an mich. Was diesmal zu meiner Erleichterung tatsächlich auch funktionierte. Sie schlug mir noch ein paar Mal gegen die Brust, was aber nicht schmerzhaft genug war, um es nicht ignorieren zu können. Ihre bleichen, leuchtenden Schultern bebten, was ich als Schluchzen interpretierte. Völlig verwirrt und hilflos wusste ich mir nicht anders zu helfen, als sie immer weiter an mich zu drücken, in einem ohnmächtigen Versuch, sie zu trösten.

Ihre Arme umschlungen mich spürbar immer fester, von ihrer etherischen Existenz, die sie sonst mir gegenüber gezeigt hatte, war offenbar in diesem so emotionalen Moment zwischen und nicht mehr viel übrig geblieben. Als mir die ganze Situation irgendwann peinlich wurde, dass ich mich dermaßen schamlos an ein junges Mädchen drückte, Geist hin oder her, und versuchte, mich von ihr zu lösen, presste sie ihren Körper nur noch fester an mich. Seufzend gab ich ihrem offensichtlichen Verlangen nach und erwiderte die Umarmung in gleicher Intensität.

Wie lange wir in meinem Wohnzimmer standen, genau so, uns nicht rührten, einfach nur die Nähe des anderen aufzunehmen wie ein Ertrinkender die so dringend benötigte Luft, ist für mich unmöglich zu sagen. Ich weiß nur eines, nämlich, dass sobald einer von uns versuchte, sich zu lösen, stieß die Geste beim Anderen auf heftigen Widerstand. Und zwar auch bei mir, nachdem sie, nach drei erfolglosen Versuchen meinerseits, schließlich ähnlich wie ich reagiert hatte, und auf Abstand gehen wollte.

Irgendwann verlangte die Natur jedoch nach ihrem Recht, und da ich kein Geist mit endloser Kondition war, sackte ich zusammen, jedenfalls vermutete ich das, denn die Welt verlor von einem Moment auf den anderen jeden Halt und Realität, ganz so, als wäre ich am Rand der Scheibe angekommen und hinunter gestürzt, in Richtung der geheimnisvollen Schildkröte, auf dem die Scheibe lastet.

Als ich erwachte, wurde es bereits wieder hell, weshalb ich mich räkelte und bemerkte, dass ich für die Jagd auf das junge Mädel nicht nur mit ihren harschen Worten, sondern auch noch mit einem heftigen Muskelkater bestraft wurde, kam mir die Welt endlos ungerecht vor. Das Gefühl verflog jedoch ziemlich schnell, als ich feststellte, dass ich nicht alleine unter der Bettdecke lag. Jemand hatte sich an meinen Körper gekuschelt, und drückte sich erneut an mich, als ich mich streckte.

Sehen konnte ich allerdings nichts, keinen Körper, kein Gesicht, gar nichts. Erst, als ich die Bettdecke über uns beide zog, erblickte ich das vertraute etherische Leuchten meines Geistes. Mitten am Tag. Morgens. Was auch immer, es war jedenfalls hell. Glücklich seufzend zog ich ihren schlanken Körper an mich, den Körper eines jungen Mädchens, das mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar noch älter als ich selbst war. Sie regte sich, erwiderte die Umarmung, drehte mich auf den Rücken und legte sich auf mich.

Ich studierte die sanften Linien ihres wunderschönen Gesichts, welches sich so dicht vor mir befand, dass ich es auch ohne Brille absolut scharf sehen konnte. Ohne jede weitere Vorwarnung drückten sich plötzlich ihre Lippen auf meine. Sie war weich, kühl und mit Abstand das erotischste und wunderbarste, was ich je in meinem Leben berühren durfte. Der Moment ließ in meinem Kopf ein Feuerwerk an Gefühlen entstehen, was mir bisher in all den Jahren, in denen ich bereits auf diesem Planeten verweilte, völlig abgegangen war.

Ihr Körper war kühl, fühlte sich aber ansonsten genauso an, wie mein Eigener. Bis er sich nicht mehr so anfühlte, und sie von einem Moment auf den anderen verschwand. Der Augenblick erschien für mich so surreal, gerade eben hatte ich noch ein junges Mädchen im Arm gehabt, die mit mir die ganze Nacht verbracht hatte, sobald ich weggetreten gewesen war. Und ich hatte all diese kostbaren Stunden nicht mitbekommen, die ich mit dem Geist so intim verbracht hatte.

Das Gespenst, an das ich nicht glaubte, das für mich nach wie vor ein eindeutiges Signal dafür war, dass ich unter depressiven Wahnvorstellungen litt. Nichts als Illusionen, die im Frühlingswind blühen, von zauberhaft schönen Blumen mitgetragen, auf deinen Geist treffen und dort Gefühle und Erinnerungen auslösen, die so nie stattgefunden haben. Illusionen blühen in der Wirklichkeit, zum Tanz der Jugendzeit, ein erster Hauch von Leid, wird sie verwehen.

Das Lied der Sängerin der Jugend, der schönen Kindheit, die so abrupt beendet worden war, rauschte durch meinen Geist und verursachte eine Melancholie, die niemand außer mir nachvollziehen konnte, dessen war ich mir absolut sicher. Sechzig Jahre dieses Lebens hatten mir durch Erfahrung und Schmerzen beigebracht, worauf es ankam, was andere Menschen einem antun können. Vor allem diejenigen, die einem am Nächsten standen, die waren die Allerschlimmsten.

Als ich mich desillusioniert erhob und das Einzige tat, was mir an diesem Tag möglich war, nämlich zu duschen, die Zähne zu putzen, auf mein Fahrrad zu schwingen und eine weitere brutale Radtour zu unternehmen. Durchgeschwitzt kam ich am Hallenbad an, immer noch so voller Zorn und Wut über das ungerechte Leben, was mich all die Zeit begleitet hatte. In vollem Bewusstsein, dass es mir einen Verweis von unserem Bademeister einbringen würde, sprang ich ins Wasser und fing an, heftig zu kraulen.

Nach ein paar Bahnen musste ich eine Pause einlegen, weil ich deutlich über die Verhältnisse geschwommen war. Keuchend hielt ich mich an der Kante fest, zog gierig Luft in die Lungen, da mein Körper so dringend danach verlangte. Neben mir tauchte jemand auf, der durchaus ganz ähnlich heftig schnaufte wie ich selbst.

„Hey, du ziehst heute ziemlich heftig.“, sagte eine weibliche Stimme.

„Einfach nur Frust, ich habe ein paar schlimme Tage hinter mir.“

Nach einem Moment des gemeinsamen heftigen Atmens wollte ich schon wieder los, als sie meinte:

„Du hast keine Ahnung, wer ich bin, oder?“

Verblüfft blickte ich sie an und schwamm deutlich näher, um sie zu erkennen.

„Kennen wir uns? Es tut mir leid, ich habe einen sehr lauten, nervigen Tinnitus im Ohr und sehe ohne Brille auch nicht mehr wirklich gut.“

Als sie zurückzuckte, nahm ich ebenfalls Abstand und schüttelte den Kopf.

„Schau, meine Brille liegt im Spind, sorry, aber ich habe echt keine Ahnung. Viel Spaß noch!“

Ich stieß mich mit den Füßen ab und tauchte sofort unter Wasser, weshalb alles, was sie auch immer noch sagen mochte, an mir vorbeiging. Erneut trieb ich mich an, hart, so viel härter, als ich es seit Jahren gewagt hatte, mit diesem alternden Körper, der mich so viel öfter im Stich ließ als nicht.

---ENDE DER LESEPROBE---


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