Der Kuss des Killers - J.D. Robb - E-Book

Der Kuss des Killers E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

Rasant, sexy und eigenwillig: der 5. Fall für Polizei-Lieutenant Eve Dallas!

Niemals ist Lieutenant Eve Dallas etwas so schwer gefallen: Sie muss gegen ihre eigenen Kollegen ermitteln, weil alle Spuren des Mordes an einem liebenswerten, anständigen Polizisten direkt in die Zentrale führen. Als eine weitere Leiche vor ihrer Haustür deponiert wird, begreift Eve Dallas, dass dieser zweite Mord eine eindeutige Warnung ist: Eve selbst soll das nächste Opfer sein. Und diesmal steht Eve einem Killer gegenüber, so raffiniert, überheblich und hinterhältig wie das personifizierte Böse...

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J.D.ROBB

Der Kuss des Killers

Roman

Aus dem Amerikanischen von Uta Hege

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel »Ceremony in Death« bei Berkley Books, The Berkley Publishing Group, a member of Penguin Putnam Inc., New York.
Copyright © der Originalausgabe 1997 by Nora Roberts Published by arrangement with Eleanor Wilder Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2003 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, 30161 Hannover. Covergestaltung: www.buerosued.de Covermotiv: Masterfile Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin Verlagsnummer: 35633 Lektorat: Maria Dürig Redaktion: Petra Zimmermann Herstellung: Heidrun Nawrot E-Book-Umsetzung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-641-04037-6V005
www.blanvalet-verlag.de

Buch

 

Niemals ist Lieutenant Eve Dallas etwas so schwer gefallen wie dieser Fall: Ein Kollege ist ermordet worden, ein Freund von ihr und ein guter, anständiger Polizist. Jetzt muss Eve Dallas gegen ihre eigenen Kollegen ermitteln, was ihr natürlich nicht nur Freunde schafft, und dabei stets ihre berufliche Professionalität über ihre privaten Sympathien stellen. Als aber eine weitere Leiche direkt vor ihrer Haustür deponiert wird, nimmt Eve Dallas den Fall plötzlich sehr persönlich. Denn dieser zweite Mord ist eindeutig eine Warnung, dass sie selbst das letzte Opfer des Mörders sein könnte. Von jetzt an bewegt sich Eve bei ihren Ermittlungen auf hochexplosivem Terrain: Jede falsch gestellte Frage, jeder übersehene Hinweis kann sie ihr Leben kosten. Denn diesen Killer treiben nicht die üblichen Mordmotive wie Habgier oder Rache. Diesmal hat Eve einen Gegner, der so raffiniert überheblich und hinterhältig ist wie das personifizierte Böse …

 

Autorin

 

J. D. Robb ist das Pseudonym der internationalen Bestsellerautorin Nora Roberts. Ihre überaus spannenden Kriminalromane mit der Heldin Eve Dallas sind in den USA bereits Bestseller und haben seit der Veröffentlichung von »Rendezvous mit einem Mörder« auch in Deutschland immer mehr Fans. Vor rund 20 Jahren begann Nora Roberts zu schreiben, heute ist sie eine der meist verkauften Autorinnen der Welt und wird in 25 Sprachen übersetzt.

 

Von J. D. Robb bereits erschienen (Auswahl):

In Rache entflammt · Tödlicher Ruhm · Verführerische Täuschung · Aus süßer Berechnung · Zum Tod verführt · Das Böse im Herzen · So tödlich wie die Liebe · Geliebt von einem Feind · Der liebevolle Mörder · Im Licht des Todes · Eiskalte Nähe · Mörderspiele. Drei Fälle für Eve Dallas · Mörderstunde. Drei Fälle für Eve Dallas

 

Nora Roberts ist J. D. Robb:

Ein gefährliches Geschenk

 

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There are more Things in heaven and earth, Horatio, Than are dreamt of in your philosophy.Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, Horatio, als du in deiner Philosophie erträumst.

– Shakespeare

We may not pay Satan reverence, for that would be indiscreet, but we can at least respect his talents. Sicher wäre es unbedacht, Satan zu verehren,

1

Sie war vom Tod umgeben. Sie begegnete ihm täglich bei der Arbeit, erlebte ihn in jeder Nacht in irgendeinem Traum. Lebte stets in seiner Nähe, kannte seine Geräusche, seine Gerüche, ja selbst seine Textur. Sie konnte, ohne zusammenzuzucken, in sein dunkles, bösartiges Antlitz blicken, was ihre Rettung war. Denn sie wusste, der Tod war der trickreichste von allen Feinden. Man brauchte nur zu zucken, brauchte nur zu blinzeln, und schon veränderte er seine Position, seine Gestalt, schon konnte es geschehen, dass er den Kampf gewann.

Selbst nach zehn Jahren als Polizistin war sie noch nicht abgestumpft. Konnte sie den Tod nicht akzeptieren. Wenn sie ihm entgegensah, dann mit der stählernen Entschlossenheit der alten Kriegerin.

Auch in diesem Augenblick starrte Eve Dallas auf den Tod. In Gestalt eines Menschen, der ein Mitglied ihrer eigenen Truppe gewesen war.

Frank Wojinski war ein guter, ein solider Cop gewesen. Einige hätten ihn vielleicht ein wenig schwerfällig genannt. Sie erinnerte sich an ihn als einen umgänglichen Mann - jemand, dem nie auch nur die leiseste Beschwerde über den Fraß in der New Yorker Polizeikantine oder über die Berge von Papierkram, die mit seinem Job verbunden waren, über die Lippen gekommen war. Oder, dachte Eve, darüber, dass er es mit zweiundsechzig nicht weiter gebracht hatte als zum Detective-Sergeant.

Er hatte, obwohl es im Jahre 2058 eher ungewöhnlich war, auf Körperformung und andere Möglichkeiten der Verjüngung zu verzichten, einen leichten Bauchansatz gehabt und sein Haar natürlich ergrauen und dünner werden lassen. Jetzt, in dem durchsichtigen Sarg, auf dem ein einzelnes, trauriges Liliensträußchen lag, wirkte er wie ein friedlich schlafender Mönch aus einer anderen Zeit.

Und tatsächlich stammte er aus einer anderen Zeit. Er hatte am Ende des vorherigen Jahrtausends das Licht der Welt erblickt und auch noch die innerstädtischen Revolten hautnah miterlebt, jedoch seltener davon gesprochen als so viele andere ältere Cops. Frank hatte, statt mit Kriegsgeschichten anzugeben, lieber die neuesten Schnappschüsse oder Hologramme seiner Kinder und Enkelkinder herumgezeigt.

Er hatte gerne schlechte Witze erzählt, über Sport geredet und hatte eine Schwäche für Sojaburger und würzige Essiggurken gehabt.

Ein Familienmensch, sagte sich Eve, ein Mann, dessen Tod große Trauer hinterließ. Tatsächlich fiel ihr niemand ein, der Frank Wojinski gekannt und ihn nicht geliebt hätte.

Er war gestorben, als er noch das halbe Leben vor sich gehabt hatte; vollkommen allein, als das Herz, das alle für so groß und stark gehalten hatten, einfach stehen geblieben war.

»Gott verdammt.«

Eve drehte sich um und ergriff den Arm des Mannes, der neben sie getreten war. »Tut mir Leid, Feeney.«

Er schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der Hand durch das drahtige rote Haar und seine müden Augen füllten sich mit Tränen. »Wenn er im Dienst gestorben wäre, wäre es einfacher für mich. Damit käme ich irgendwie zurecht. Aber dass plötzlich sein Herz aufhört zu schlagen, während er gemütlich in seinem Sessel sitzt und sich im Fernsehen ein Footballspiel ansieht, ist einfach nicht richtig, Dallas. Ein Mann in seinem Alter sollte nicht so abrupt aufhören zu leben.«

»Ich weiß.« Unsicher, wie sie Feeney trösten sollte, schlang sie einen Arm um seine Schulter und führte ihn sanft fort.

»Er hat mich ausgebildet. Hat sich um mich gekümmert, als ich noch ein blutiger Anfänger war. Hat mich nie im Stich gelassen.« In seinen Augen schwammen Tränen und seine Stimme schwankte. »Frank hat in seinem ganzen Leben niemanden jemals im Stich gelassen.«

»Ich weiß«, wiederholte Eve, da es sonst nichts zu sagen gab. Sie kannte Feeney als einen harten, zähen Brocken, und die Schwäche, die er mit einem Mal in seiner Trauer zeigte, erfüllte sie mit Angst.

Sie führte ihn an den anderen Trauergästen vorbei. Der Raum war zum Bersten mit Polizisten und Angehörigen des Toten angefüllt. Und wo es Polizisten und Tote gab, gab es ganz sicher Kaffee. Oder zumindest etwas, was man an einem Ort wie diesem Kaffee nannte. Eve füllte eine Tasse und drückte sie Feeney entschieden in die Hand.

»Ich komme einfach nicht darüber hinweg. Ich kann es nicht begreifen.« Er atmete vorsichtig aus. Er war ein kräftiger, etwas untersetzter Mann, der seine Trauer ebenso offen wie seinen zerknitterten Mantel trug. »Ich habe bisher nicht mit Sally gesprochen. Meine Frau ist momentan bei ihr. Ich bringe es noch nicht übers Herz.«

»Das ist vollkommen in Ordnung. Ich habe auch noch nicht mit ihr gesprochen.« Um sich zu beschäftigen, schenkte sich Eve, auch wenn sie nicht die Absicht hatte, ihn tatsächlich zu trinken, ebenfalls einen Kaffee ein. »Wir alle sind von seinem Tod total erschüttert. Ich hatte keine Ahnung, dass er herzkrank war.«

»Das wusste niemand«, antwortete Feeney leise. »Keiner von uns hat es gewusst.«

Eine Hand auf Feeneys Schulter, sah sich Eve in der überfüllten, überhitzten Halle um. Wenn ein Kollege im Dienst ums Leben kam, hatten sie die Möglichkeit, wütend zu sein und sich darauf zu konzentrieren, den Schuldigen zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn sich der Tod jedoch heimlich von hinten an jemanden heranschlich, konnte man niemandem einen Vorwurf machen. Und niemanden bestrafen.

Der gesamte Raum war von einer Atmosphäre der Hilflosigkeit erfüllt, einer Hilflosigkeit, die sie selbst ebenfalls empfand. Schließlich konnte man weder mit seiner Waffe noch mit der geballten Faust etwas gegen das Schicksal ausrichten.

Der Leiter des Bestattungsinstituts lief in seinem altmodischen schwarzen Anzug und mit einem derart wächsernen Gesicht, dass er aussah wie einer seiner Kunden, durch die Gegend und sprach den Anwesenden mit ernster Miene tröstende Worte zu. Eve dachte, lieber stünde sie einer aufrecht sitzenden und boshaft grinsenden Leiche gegenüber als sich diese Platituden anhören zu müssen.

»Warum gehen wir nicht zusammen zu seiner Familie hinüber?«

Auch wenn es ihm sichtlich schwer fiel, nickte Feeney und stellte die noch volle Kaffeetasse vorsichtig auf den Tisch. »Er hat dich gern gehabt, Dallas. ›Das Mädchen hat Nerven wie Stahl und einen erstaunlich wachen Geist‹, hat er immer zu mir gesagt, und dass er, wenn er jemals in der Klemme säße, gern von dir den Rücken freigehalten bekäme.«

Auch wenn Eve diese Worte überraschten und erfreuten, verstärkten sie doch gleichzeitig die Trauer. »Ich hatte keine Ahnung, dass er so von mir dachte.«

Feeney sah sie an. Sie hatte ein nicht wirklich schönes, so doch interessantes Gesicht, das mit seinen Ecken und Kanten und dem kleinen Grübchen mitten auf dem Kinn die Blicke der Männer auf sich zog. Der eindringliche und gleichermaßen skeptische Blick der Polizistin ließ Feeney oft vergessen, dass in ihren goldbraunen Augen häufig ein überraschend warmer Glanz lag. Ihr Haar hatte dieselbe seidig weiche Farbe, leider jedoch säbelte sie für gewöhnlich selbst daran herum, sodass von einem ordentlichen Schnitt ganz sicher nicht gesprochen werden konnte. Sie war groß und schlank und überraschend zäh.

Vor weniger als einem Monat hatte er sie angetroffen, als sie zerschunden und blutüberströmt, die Waffe jedoch immer noch fest in ihrer Hand, zur Rettung ihres eigenen Mannes angetreten war.

»So hat er von dir gedacht. Und so denke ich ebenfalls von dir.« Als sie verwundert blinzelte, straffte er die für gewöhnlich schlaff herabhängenden Schultern. »Also, gehen wir und reden mit Sally und den Kindern.«

Sie schoben sich durch das Gedränge in der Halle, deren Ambiente aufgrund der unechten dunklen Holzpaneele, der schweren roten Vorhänge und des süßlichen Gestanks allzu vieler in einen viel zu kleinen Raum gestopfter Blumen allzu bedrückend war.

Eve fragte sich, weshalb Tote immer inmitten von zahllosen Blumen und schweren roten Stoffen aufgebahrt wurden. In welcher uralten Zeremonie hatte dieses Brauchtum seinen Ursprung und weshalb klammerten sich die Menschen derart verzweifelt an dieses Ritual?

Sie war sich sicher, wenn ihre Zeit gekommen wäre, würde sie nicht in einem überhitzten, mit halb verrotteten Blumen voll gestopften Raum von ihren Lieben und ihren Kollegen verabschiedet werden wollen.

Dann sah sie Sally, die von ihren Kindern und Enkeln gestützt wurde, und ihr wurde klar, derartige Riten waren für die Lebenden. Den Toten waren sie egal.

»Ryan.« Sally streckte ihre kleinen, beinahe feengleichen Hände aus, ließ sich von Feeney auf die bleiche Wange küssen und schloss dabei kurz die Augen.

Sie war eine schmale, sanfte, wie Eve immer gedacht hatte, zart besaitete Frau. Doch um als Polizistengattin über vierzig Jahre lang den Stress dieses Berufs zu überstehen, hatte sie sicher Nerven wie Drahtseile gebraucht. Über ihrem schlichten schwarzen Kleid trug sie an einer Kette den Ring, der ihrem Mann anlässlich seines fünfundzwanzigjährigen Dienstjubiläums bei der Polizei überreicht worden war.

Ein weiteres Ritual, überlegte Eve. Ein weiteres Symbol.

»Ich bin so froh, dass du hier bist«, murmelte Sally.

»Er wird mir fehlen. Er wird uns allen fehlen.« Feeney tätschelte ihr unbeholfen die Hand. Vor lauter Trauer brachte er kaum einen Ton heraus. Doch als er das Gefühl herunterschluckte, legte es sich kalt und schwer wie Blei auf seinen Magen. »Du weißt, falls es irgendetwas gibt, was ich «

»Ich weiß.« Sie bedachte ihn mit einem leichten Lächeln, drückte ihm tröstend die Hand und wandte sich an Eve. »Ich weiß es zu schätzen, dass auch Sie gekommen sind, Dallas.«

»Er war ein guter Mann. Ein solider Polizist.«

»Ja, das war er.« Da sie wusste, dass dies ein hohes Lob war, zwang sich Sally erneut zu einem Lächeln. »Es hat ihn mit Stolz erfüllt, den Menschen zu dienen und sie zu beschützen. Commander Whitney, seine Frau und Chief Tibble sind ebenfalls gekommen. Genau wie so viele andere.« Ihr Blick wanderte blind durch den überfüllten Saal. »So viele. Er war ihnen wichtig. Frank war ihnen wichtig.«

»Natürlich war er das, Sally.« Feeney trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Du, ah, weißt, dass es einen Fonds für die Hinterbliebenen von Polizisten gibt.«

Abermals lächelnd tätschelte sie ihm begütigend die Hand. »Wir kommen zurecht. Keine Sorge. Dallas, ich glaube, Sie haben meine Familie noch nicht kennen gelernt. Lieutenant Dallas, meine Tochter Brenda.«

Brenda war eine klein gewachsene, rundliche Person mit dunklen Haaren, dunklen Augen und einem etwas schweren Kinn. Sie kam nach ihrem Vater.

»Mein Sohn Curtis.«

Schlank, schmalgliedrig, mit weichen Händen, und trockenen, jedoch aufgrund der Trauer etwas trüben Augen.

»Meine Enkel.«

Das jüngste der fünf Kinder war ein Junge von ungefähr acht Jahren mit einer von Sommersprossen übersäten, ein wenig platten Nase. Er bedachte Eve mit einem nachdenklichen Blick. »Warum tragen Sie denn noch Ihre Knarre?«

Leicht verlegen zog sie ihre Jacke über das Halfter. »Ich bin direkt vom Revier hierher gekommen. Ich hatte keine Zeit, um nach Hause zu fahren und mir etwas anderes anzuziehen.«

»Pete.« Curtis bedachte Eve mit einem entschuldigenden Blick. »Sei bitte nicht so aufdringlich.«

»Wenn sich die Menschen mehr auf ihre persönlichen und spirituellen Kräfte besinnen würden, wären Waffen gar nicht nötig. Ich bin Alice«, stellte sich eine schlanke Blondine vor. Sie war eine wahre Schönheit, mit weichen, verträumten blauen Augen, einem vollen, ungeschminkten Mund und glattem, langem Haar, das sich wie ein schimmernder Vorhang über die Schultern ihres weich fließenden schwarzen Trauergewands ergoss. Um den Hals trug sie eine lange, dünne Silberkette mit einem schwarzen, in Silber eingefassten Stein.

»Alice, du bist eine echte Spinnerin.«

Sie warf einen kühlen Blick über ihre Schulter in Richtung eines zirka sechzehnjährigen Jungen. Ihre Hände jedoch flatterten aufgeregt wie zwei elegante Vögel, die ihr Nest bewachten, um den schwarzen Stein.

»Mein Bruder Jamie«, erklärte sie mit seidiger Stimme. »Er bildet sich ein, dass man, wenn er einen beleidigt, auf ihn reagiert. Mein Großvater hat viel von Ihnen gesprochen, Lieutenant Dallas.«

»Ich fühle mich geschmeichelt.«

»Ihr Mann ist heute Abend nicht da?«

Eve zog eine Braue in die Höhe. Neben der Trauer empfand das junge Mädchen eine deutlich erkennbare Nervosität. Außerdem sandte es jede Menge, wenn auch undeutlicher, Signale an sie aus. Es ging ihr um etwas Bestimmtes, dachte Eve. Doch was konnte das sein?

»Nein, leider nicht.« Sie wandte sich wieder an Sally. »Er lässt Ihnen sein Mitgefühl ausrichten, Mrs. Wojinski. Leider ist er zurzeit beruflich unterwegs, sonst wäre er bestimmt heute Abend hier.«

»Sicher braucht man eine Menge Konzentration und Energie«, mischte sich Alice erneut in das Gespräch, »um eine Beziehung zu einem Mann wie Roarke aufrechterhalten und gleichzeitig einen anstrengenden, schwierigen, ja sogar gefährlichen Beruf wie den Ihren ausüben zu können. Mein Großvater hat oft gesagt, wenn Sie sich einmal in eine Sache verbissen haben, lassen Sie nicht mehr los. Würden Sie sagen, dass das richtig ist, Lieutenant?«

»Wenn man loslässt, besteht die Gefahr, dass man verliert. Und ich verliere äußerst ungern.« Sie hielt Alices eigenartigem Blick ein paar Sekunden lang stand, ging jedoch dann spontan in die Hocke und erklärte Pete: »Als ich noch in der Ausbildung war, habe ich gesehen, wie dein Großvater einen Typen auf zehn Meter Entfernung mit seinem Stunner außer Gefecht gesetzt hat. Er war der Allerbeste.«

Pete belohnte ihre Sätze mit einem breiten Grinsen und zufrieden richtete sie sich wieder auf. »Er wird hundertprozentig nicht vergessen werden, Mrs. Wojinski«, sagte sie und bot der Witwe ihre Hand. »Er war uns allen wichtig, nicht nur als Kollege, sondern auch als Mensch.«

Sie wollte sich zum Gehen wenden, doch Alice legte eine leicht zitternde Hand auf ihren Arm und beugte sich vertraulich zu ihr vor. »Es war interessant Ihre Bekanntschaft zu machen, Lieutenant. Danke, dass Sie gekommen sind.«

Eve nickte und glitt zurück in das Gedränge. Beiläufig steckte sie dabei eine Hand in ihre Jackentasche und betastete das kleine Stück Papier, das von Alice dort hineingeschoben worden war.

Es dauerte weitere dreißig Minuten, bis sie endlich draußen in ihrem Wagen saß, das Papier hervorzog und es las.

Treffen Sie mich morgen um Mitternacht im Aquarian Club. ERZÄHLEN SIE NIEMANDEM DAVON. Ab jetzt ist Ihr Leben in Gefahr.

Statt einer Unterschrift fand sich ein Symbol, eine dunkle Linie, die in einem weiten Kreis verlief und dabei eine Art Labyrinth zu bilden schien. Beinahe ebenso fasziniert wie wütend über dieses lächerliche Spielchen stopfte Eve den Zettel zurück in ihre Tasche und startete den Wagen.

Als gute Polizistin sah sie die ganz in Schwarz gekleidete Gestalt, die in der Dunkelheit nicht viel mehr als ein Schatten war. Und ebenfalls als gute Polizistin war sie sich darüber klar, dass sie von dieser Gestalt beobachtet worden war.

Wann immer Roarke nicht da war, tat Eve, als wäre sie allein. Sie und Summerset, der das Hauspersonal führte, gaben sich die größte Mühe, die Anwesenheit des jeweils anderen zu ignorieren. Das Haus war riesengroß, es bestand aus einem Labyrinth von Räumen, weshalb dies eine recht leichte Übung war.

Sie betrat die große Eingangshalle und warf ihre abgewetzte Lederjacke, weil sie wusste, dass Summerset dann mit den Zähnen knirschen würde, über den elegant geschnitzten Endpfosten der breiten Treppe, über die man in die oberen Etagen kam. Er hasste alles, was die Eleganz des Hauses trübte, und ganz besonders Eve.

Sie stieg die Treppe hinauf, ging jedoch statt ins Schlafzimmer in ihr eigenes Büro. Da Roarke wahrscheinlich nicht nach Hause kommen würde, schlief sie lieber in ihrem Entspannungssessel, statt in dem gemeinsamen Bett. Wenn sie allein war, wurde sie häufig von schlimmen Albträumen gequält.

Nach der Arbeit und vor dem Besuch des Bestattungsinstituts hatte sie keine Zeit zum Essen gehabt, und so bestellte sie ein Sandwich - echten Virginia-Schinken auf frischem Roggentoast - und Kaffee, der echtes Koffein enthielt. Prompt führte der AutoChef ihre Bestellung aus und sie sog den Duft der beiden Köstlichkeiten langsam und genüsslich ein, ehe sie mit geschlossenen Augen, um das Wunder zur Gänze zu genießen, den ersten Bissen nahm.

Es war eindeutig ein Vorteil, mit einem Mann verheiratet zu sein, der es sich leisten konnte, echtes Fleisch und echte Wurst zu kaufen, statt irgendwelcher Nebenerzeugnisse oder eines billigen Imitats.

Kauend und schluckend trat sie vor ihren Computer und schaltete ihn ein. »Sämtliche verfügbaren Daten über eine gewisse Alice, Nachname unbekannt. Mutter Brenda, geborene Wojinski, Großeltern mütterlicherseits Frank und Sally Wojinksi «

Suche

Eve trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Schreibtischplatte herum, zog den Zettel aus der Tasche und faltete ihn, während sie ihr Mahl beendete, langsam auseinander.

Alice Lingstrom. Geboren am 10. Juni 2040 als erstes Kind und einzige Tochter von Jan Lingstrom und Brenda Wojinski, geschieden. Wohnhaft 486 Achte West, Apartment 4B, New York City. Bruder James Lingstrom, geboren am 22. März 2042. High-School-Abschluss, hat die Abschiedsrede gehalten. Zwei College-Semester in Harvard. Hauptfach Anthropologie, Nebenfach Mythologie. Im dritten Semester ausgesetzt. Derzeit angestellt bei Spirit Quest, 228 Zehnte West, New York City. Familienstand ledig.

Eve fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Vorstrafen?«

Keine Vorstrafen.

»Klingt alles ziemlich normal. Sämtliche verfügbaren Daten über Spirit Quest.«

Spirit Quest. Laden für Hexereibedarf und Beratungszentrum. Eigentümer Isis Paige und Charles Forte. Eröffnung vor drei Jahren. Jährliche Bruttoeinnahmen einhundertfünfundzwanzigtausend Dollar. Lizensierte Priesterin, Kräuter-heilkundige und offiziell zugelassener Hypnotherapeut stellen den Kunden ihre Dienste zur Verfügung.

»Hexerei?« Eve lehnte sich schnaubend auf ihrem Stuhl zurück. »Hexerei? Himmel. Was ist denn das für ein Schwachsinn?«

Hexerei basiert sowohl als Religion als auch als Handwerk auf einem alten Glauben an die Kräfte der Natur, der

»Stopp.« Eve atmete hörbar aus. Sie suchte nicht nach einer Erklärung für Hexerei, sondern dafür, dass ein durch und durch bodenständiger Bulle wie Frank Wojinski eine Enkeltochter hatte, die an irgendwelche Zaubersprüche und magische Kristalle glaubte.

Und dafür, dass besagte Enkeltochter ein geheimes Treffen mit ihr wollte.

Der beste Weg, um eine Erklärung dafür zu bekommen, wäre, dass sie in etwas mehr als vierundzwanzig Stunden zu dem Treffpunkt führe. Sie legte den Zettel auf den Schreibtisch. Sicher hätte sie ihn einfach achtlos fortgeworfen, hätte nicht eine Verwandte eines Mannes, der ihren uneingeschränkten Respekt genossen hatte, ihn ihr zugesteckt.

Und hätte sie nicht diese Gestalt in der Dunkelheit gesehen. Eine Gestalt, die sicher nicht gewollt hatte, dass sie sie dort sah.

Sie ging in das angrenzende Bad und zog sich langsam aus. Zu schade, dass sie nicht Mavis zu dem Treffen mitnehmen konnte. Eve hatte das Gefühl, dass der Aquarian Club genau das Richtige für ihre Freundin wäre. Sie stieg aus ihrer Jeans, reckte ihre müden Glieder und fragte sich, wie sie die sich endlos vor ihr erstreckende Nacht am besten herumbrächte.

Sie hatte nichts zu tun. Ihren letzten Mordfall hatten sie und ihre Assistentin in weniger als acht Stunden erfolgreich abgeschlossen. Eventuell sollte sie ein paar Stunden fernsehen. Oder sie könnte sich eine Waffe aus Roarkes Waffenkammer holen und unten im Hologramm-Raum mit einem Programm ihre überschüssige Energie abbauen, bis sie müde genug wäre um zu schlafen.

Sie hatte noch nie eins von seinen automatischen Sturmgewehren getestet. Vielleicht wäre es interessant zu sehen, mit welchen Mitteln die Polizisten zu Beginn der innerstädtischen Revolten ihre Gegner zur Strecke gebracht hatten.

Mit diesen Gedanken trat sie unter die Dusche. »Voller Strahl, pulsierend«, befahl sie dem Gerät. »Zweiunddreißig Grad.«

Sie wünschte, sie hätte einen Mordfall, um sich darin zu verbeißen. Etwas, auf das sie sich konzentrieren, auf das sie ihre gesamte Energie verwenden konnte. Verdammt, es war wirklich ein Elend. Sie musste sich gestehen, dass sie einsam war. Dass sie sich nach Ablenkung sehnte, und das, obwohl er erst seit drei Tagen unterwegs war.

Schließlich hatten sie beide noch ein eigenes Leben, oder etwa nicht? Sie hatten diese eigenen Leben gelebt, bevor sie sich getroffen hatten, und hatten sie auch nach der Hochzeit glücklich fortgeführt. Sie hatten beide eine Tätigkeit, die viel von ihrer Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchte. Ihre Beziehung funktionierte auch und vor allem deshalb, weil sie beide ihre Unabhängigkeit bewahrten.

Himmel, trotzdem vermisste sie ihn schrecklich. Angewidert streckte sie den Kopf unter die Dusche und ließ sich das Wasser aufs Hirn trommeln.

Als plötzlich zwei Hände erst um ihre Taille und dann hinauf in Richtung ihrer Brüste glitten, zuckte sie nicht einmal zusammen. Ihr Herzschlag jedoch sprengte ihr beinahe die Brust. Sie kannte die Berührung, kannte das Gefühl der langen, schlanken Finger, die Festigkeit der Hände auf ihrer nackten Haut. Sie legte den Kopf in den Nacken und schmiegte ihre Schulter an seinen vollen Mund.

»Mmm. Summerset. Sie sind wirklich ein Draufgänger.«

Zähne nagten sanft an ihrem Fleisch und sie lachte selig auf. Daumen strichen über ihre eingeseiften Nippel und sie begann zu stöhnen.

»Ich werde ihn nicht feuern.« Roarke fuhr mit einer seiner Hände über ihren Bauch.

»Der Versuch hat nicht geschadet. Ich hätte dich nicht so « Seine Finger schoben sich nass und geschmeidig in ihre Weiblichkeit hinein, worauf sie sich ihm entgegenreckte, mit lautem Stöhnen kam und ihren Satz mit einem gekeuchten »früh erwartet« beendete. »Himmel.«

»Ich würde sagen, dass ich gerade zur rechten Zeit gekommen bin.« Er drehte sie zu sich herum und noch während sie sich erschaudernd das Wasser aus den Augen blinzelte, gab er ihr einen langen, heißhungrigen Kuss.

Während des endlosen Rückflugs hatte er an sie gedacht. Hatte daran gedacht, sie zu berühren, sie zu kosten und zu hören, wie sie erstickt nach Luft rang. Und hier stand sie vor ihm, nackt und nass und bebend vor Verlangen.

Er drückte sie in die Ecke, umfasste ihre Hüften und hob sie langsam hoch. »Habe ich dir wenigstens gefehlt?«

Sie konnte kaum noch atmen. Gleich schöbe er sich tief in sie hinein, füllte sie zur Gänze an, machte sie zu einem Teil der eigenen Person. »Nicht wirklich.«

»Tja, wenn das so ist -«, er küsste sie federleicht aufs Kinn, »dann sollte ich dich wohl besser in Ruhe zu Ende duschen lassen.«

Umgehend schlang sie ihre Beine um seine schlanke Hüfte und vergrub ihre Hände in seinem dichten, nassen Haar. »Junge, wenn du das auch nur versuchst, bist du ein toter Mann.«

»Also gut, aus reinem Selbsterhaltungstrieb gebe ich mich für dieses Mal geschlagen.« Um sie beide noch etwas zu quälen, glitt er schmerzlich langsam in sie hinein, nahm ihren Mund mit seinen Lippen und sog ihren bebenden Atem begierig ein.

Ihre Vereinigung war langsamer, feuchter und zärtlicher, als sie erwartet hätten, der Höhepunkt kam wie ein langer, leiser Seufzer und am Ende presste sie ihre Lippen mit einem leisen »Willkommen daheim« sanft an seinen Mund.

Endlich konnte sie ihn sehen, die strahlend blauen Augen, den Mund des unglücklichen Poeten, das Gesicht, das gleichzeitig das eines Heiligen und eines Sünders war. Sein glattes, rabenschwarzes Haar hing ihm nass bis auf die breiten Schultern, unter deren sonnengebräunter Haut das Spiel der harten Muskeln deutlich zu erkennen war.

Immer wenn Eve ihn nach einer der kurzen, doch regelmäßigen Phasen des Getrenntseins ansah, machte ihr Herz vor Freude einen Satz. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich je daran gewöhnen würde, dass er sie nicht nur wollte, sondern liebte.

Immer noch lächelnd fuhr sie mit ihren Fingern durch sein dichtes, dunkles Haar. »Und, ist im Olympus Resort alles in Ordnung?«

»Es müssen noch ein paar Kleinigkeiten verändert werden, und es gibt ein paar kleine Verzögerungen. Nichts, womit wir nicht fertig werden würden.« Die hochmoderne Freizeit-Raumstation mit angeschlossenem Vergnügungscenter würde, weil Roarke etwas anderes nicht akzeptierte, garantiert termingerecht eröffnet.

Er schaltete die Dusche ab und hüllte sie, obwohl sie lieber den Körperfön verwendet hätte, in ein großes Handtuch. »Langsam fange ich an zu verstehen, warum du, wenn ich weg bin, lieber hier in deinem Büro schläfst statt in unserem Bett. Ich habe in der Präsidenten-Suite kein Auge zu gekriegt.« Er griff nach einem zweiten Handtuch und rubbelte damit energisch seine nassen Haare. »Ohne dich war es dort grässlich einsam.«

Nur, um die vertrauten Konturen seines Körpers an ihrem Leib zu spüren, schmiegte sie sich einen Moment lang an ihn. »Allmählich führen wir uns wie zwei Turteltauben auf.«

»Das ist mir egal. Wir Iren waren schon immer äußerst sentimental.«

Als er zwei Bademäntel vom Haken nahm, verzog sie den Mund zu einem Grinsen. Auch wenn seine Stimme melodisch wie die der meisten Iren klang, hegte sie große Zweifel, ob auch nur einer seiner Geschäftspartner oder Konkurrenten ihn jemals als sentimental bezeichnet hätte.

»Keine neuen blauen Flecken«, bemerkte er, als er ihr in den Morgenmantel half. »Ich nehme an, das heißt, dass die letzten Tage ziemlich ruhig waren.«

»Im Großen und Ganzen ja. Wir hatten einen Typen, der bei seinen Spielchen mit einer lizensierten Gesellschafterin ein bisschen übertrieben und sie beim Sex erwürgt hat.« Sie knotete den Gürtel des Bademantels zu und fuhr sich mit den Fingern durch das feuchte Haar. »Daraufhin hat er einen Heidenschreck bekommen und ist davongerannt.« Schulterzuckend kehrte sie zurück in ihr Büro. »Aber dann hat er sich in Begleitung eines Anwalts ein paar Stunden später gestellt, wofür der Staatsanwalt statt auf Mord nur auf Totschlag plädiert. Das Verhör und die anschließende Festnahme habe ich Peabody durchführen lassen.«

»Hmm.« Roarke trat an die Bar und füllte zwei Gläser mit Wein. »Dann war es also wirklich eher ruhig.«

»Ja. Nur, dass heute Abend die Totenwache war.«

Er runzelte die Stirn, doch dann hellte sich seine Miene wieder auf. »Ah ja, du hast mir davon erzählt. Tut mir Leid, dass ich es nicht geschafft habe, rechtzeitig zurück zu sein, um dich dorthin zu begleiten.«

»Feeney nimmt es wirklich schwer. Es wäre leichter für ihn, wenn Frank in Ausübung seines Dienstes umgekommen wäre.«

»Es wäre ihm wirklich lieber, wenn sein Kollege ermordet worden wäre, als dass er einfach sanft und schmerzlos aus dem Leben gegangen ist?«

»Dann könnte man es zumindest etwas besser verdauen.« Sie runzelte die Stirn. Sicher wäre es unklug, Roarke zu offenbaren, dass ihr selbst ebenfalls ein schneller, gewaltsamer Tod lieber wäre als ein sanftes Dahinscheiden. »Allerdings gibt es da etwas, was ein bisschen seltsam ist. Ich habe die Bekanntschaft von Franks Familie gemacht. Die älteste Enkeltochter ist ein ziemlich eigenartiges Geschöpf.«

»Inwiefern?«

»Sie hat so komisch geredet und das, was ich, nachdem ich heimgekommen bin, per Computer über sie herausgefunden habe, war auch nicht ganz normal.«

Er nippte vorsichtig an seinem Wein. »Du hast sie überprüft?«

»Nur flüchtig. Weil sie mir das hier mitgegeben hat.« Eve trat vor ihren Schreibtisch, nahm den Zettel und hielt ihn ihrem Gatten hin.

Roarke überflog die kurze Nachricht und runzelte die Stirn. »Das Labyrinth der Erde.«

»Was?«

»Dieses Symbol hier. Es ist keltischen Ursprungs.«

Kopfschüttelnd trat Eve neben ihn und sah sich den Zettel noch einmal genauer an. »Du weißt wirklich die seltsamsten Dinge.«

»So seltsam ist das nicht. Schließlich stamme ich selbst von den Kelten ab. Und bei dem Labyrinth handelt es sich um ein magisches und zugleich heiliges Symbol.«

»Was durchaus passt. Sie fährt offenbar total auf Hexerei und solche Dinge ab. Hat zwei Semester in Harvard studiert, dann jedoch das Studium geschmissen und arbeitet stattdessen in irgendeinem komischen Laden im West End, in dem Kristalle und magische Kräuter verkauft werden.«

Roarke fuhr mit der Fingerspitze über das seltsame Zeichen auf dem Blatt Papier. Dieses und andere Symbole hatte er während seiner Kindheit in Dublin des Öfteren gesehen. Damals hatte es alle möglichen Sekten gegeben, von gemeingefährlichen Banden bis hin zu frommen Pazifisten. Und sie alle hatten natürlich, wenn sie gemordet hatten oder sich hatten ermorden lassen, die Religion als Entschuldigung benutzt.

»Und du hast keine Ahnung, weshalb sie sich mit dir treffen will?«

»Ich habe keinen blassen Schimmer. Ich nehme an, sie bildet sich ein, sie hätte meine Aura oder sonst etwas gelesen. Mavis hat sich, bevor ich sie wegen Taschendiebstahls festgenommen habe, eine Zeit lang als Wahrsagerin versucht. Sie hat mir erzählt, dass die Leute jede Menge Geld dafür zahlen, wenn du ihnen das erzählst, was sie hören wollen. Und, wenn du ihnen Sachen auftischst, die ihnen nicht so lieb sind, sogar noch viel mehr.«

»Weshalb Trickbetrug und ehrliches Geschäft einander durchaus ähnlich sind.« Er sah sie lächelnd an. »Ich nehme an, dass du trotzdem zu diesem Treffen gehst.«

»Na klar.«

Roarke betrachtete noch einmal den Zettel und legte ihn dann zur Seite. »Ich werde dich begleiten.«

»Sie will -«

»Es ist mir völlig gleich, was dieses Mädchen will.« Wieder nippte er an seinem Wein. Er war ein Mann, der es gewohnt war, egal auf welche Weise zu bekommen, was er wollte. »Ich halte mich im Hintergrund, aber ich komme mit. Der Aquarian Club ist im Grund ein eher harmloses Lokal, aber ab und zu tauchen auch dort ein paar ziemlich fiese Gestalten auf.«

»Fiese Gestalten sind fester Bestandteil meines Lebens«, erklärte sie ihm fröhlich und sah ihn fragend an. »Das Aquarian ist nicht zufällig, hmm, in deinem Besitz?«

»Nein.« Er bedachte sie mit einem Lächeln. »Würdest du das denn wollen?«

Lachend nahm sie seine Hand. »Komm. Trinken wir den Rest von unserem Wein im Bett.«

Entspannt vom Sex und Wein schlief Eve, eng von Roarke umschlungen, sanft und friedlich ein. Kaum zwei Stunden später jedoch war sie mit einem Mal wieder vollkommen wach. Sie hatte keinen ihrer Albträume gehabt. Sie empfand keinerlei Entsetzen, keine Schmerzen, badete nicht in kaltem, klammem Schweiß.

Trotzdem war sie plötzlich aus dem Schlaf gefahren, starrte mit klopfendem Herzen durch das große Oberlicht direkt über dem Bett und lauschte auf Roarkes leisen, gleichmäßigen Atem.

Sie richtete sich auf, blickte ans Fußende des Bettes und hätte, als ein Paar leuchtend gelber Augen sie anfunkelten, beinahe geschrien. Dann jedoch spürte sie das Gewicht auf ihren Beinen, dachte Galahad und rollte mit den Augen. Der Kater war hereingekommen und aufs Bett gesprungen. Das hatte sie geweckt, sagte sie sich. Das war alles.

Sie legte sich wieder hin, drehte sich auf die Seite und spürte, dass Roarke im Schlaf den rechten Arm um ihre Taille schlang. Seufzend schloss sie ihre Augen und schmiegte sich behaglich an den Geliebten an.

Nur der Kater, sagte sie sich schläfrig.

Doch war sie sich gleichzeitig beinahe sicher, dass bei ihrem plötzlichen Erwachen von irgendwoher leiser Gesang an ihr Ohr gedrungen war.

2

Bis Eve am nächsten Morgen bis über beide Ellbogen in Papierkram steckte, war die seltsame Unruhe der Nacht bereits vergessen. New York schien sich damit zu begnügen, die warmen Tage des Herbstanfanges zu genießen und sich währenddessen zu benehmen. Was ein guter Zeitpunkt war, um endlich einmal eine gewisse Ordnung zu schaffen in ihrem Büro.

Oder aber Peabody diese Aufgabe zu übertragen.

»Wie haben Sie es nur geschafft, ein derartiges Durcheinander in Ihre Akten zu bringen?« Peabodys ernstes, kantiges Gesicht drückte gleichermaßen Mitleid wie Enttäuschung aus.

»Ich weiß genau, wo alles ist«, erwiderte Eve. »Ich möchte, dass Sie die Sachen so ordnen, dass ich immer noch weiß, wo alles ist, während gleichzeitig eine gewisse Systematik zu erkennen ist. Oder, Officer, ist diese Aufgabe für Sie vielleicht zu schwer?«

»Ich werde es schon schaffen.« Hinter Eves Rücken rollte Peabody entnervt mit ihren Augen. »Madam.«

»Gut. Und rollen Sie nicht mit den Augen. Wenn hier alles ein bisschen durcheinander ist, dann liegt das einzig daran, dass es im letzten Jahr für mich sehr viel zu tun gab. Und da inzwischen das letzte Viertel des Jahres angebrochen ist und ich als Ihre Ausbilderin fungiere, gehört es zu meinem Job, Ihnen diese Arbeit zu übertragen.« Eve bedachte ihre Untergebene mit einem schmalen Lächeln. »In der Hoffnung, dass Sie eines Tages ebenfalls einen Untergebenen oder eine Untergebene haben werden, dem oder der Sie derart blöde Tätigkeiten aufs Auge drücken können.«

»Ihr Vertrauen in mich ist wirklich rührend. Es treibt mir regelrecht die Tränen in die Augen.« Sie blickte erbost in Richtung des Computers. »Oder vielleicht fange ich gleich deshalb an zu weinen, weil hier noch Sachen von vor fünf Jahren gespeichert sind. Sie hätten spätestens nach vierundzwanzig Monaten von Ihrem Gerät auf den Hauptcomputer übertragen werden sollen.«

»Dann machen Sie das halt jetzt.« Eves Lächeln wurde breiter, als die Maschine hustete und dann eine Warnung vor einem bevorstehenden Systemzusammenbruch herausgab. »Ich wünsche Ihnen dabei viel Glück.«

»Die Technologie kann auch der Freund des Menschen sein. Und wie jede Freundschaft erfordert auch diese ein gewisses Maß an Fürsorge und gegenseitigem Verständnis.«

»Ich verstehe den Kasten durchaus.« Eve trat vor den Computer, schlug zweimal kräftig mit der Faust auf das Gehäuse und mit einem leichten Schluckauf nahm er die Arbeit wieder auf. »Sehen Sie?«

»Sie sind ein außerordentlich einfühlsames Wesen, Lieutenant. Das ist sicher auch der Grund, weshalb die Typen in der Instandhaltung mit Ihrem Foto Darts spielen.«

»Immer noch? Himmel, die sind aber wirklich nachtragend.« Schulterzuckend setzte sich Eve auf eine Ecke ihres Schreibtischs. »Was wissen Sie über Hexerei?«

»Falls Sie die Kiste hier verzaubern wollen, Dallas, muss ich Ihnen leider sagen, dass das außerhalb meines Fachbereiches liegt und somit meine Fähigkeiten übersteigt.« Peabody jonglierte mit zusammengebissenen Zähnen Dateien hin und her.

»Ihre Eltern waren doch echte Hippies.«

»Scheiße. Nun komm schon, du schaffst es«, murmelte sie den Computer an. »Außerdem«, fügte sie in Richtung ihrer Vorgesetzten hinzu, »sind Hippies und Hexen nicht dasselbe. Sie beten beide zur Mutter Erde und halten sich beide an eine natürliche Ordnung, aber verdammter Mist, wo ist sie geblieben?«

»Was? Wo ist was geblieben?«

»Nichts.« Peabody saß mit hängenden Schultern vor dem Gerät. »Nichts. Keine Sorge, ich habe alles im Griff. Außerdem hätten Sie diese Datei wahrscheinlich sowieso nie mehr gebraucht.«

»Soll das vielleicht ein Witz sein, Peabody?«

»Was sonst? Ha ha.« Peabody hämmerte mit schweißnassen Händen auf die Tasten. »Da. Da ist sie. Kein Problem, wie gesagt, ich habe alles voll im Griff. Und jetzt schicke ich das Ding an das Hauptgerät hinüber. Aufgeräumt und ordentlich wie es sein soll.« Gleichzeitig entfuhr ihr ein abgrundtiefer Seufzer. »Könnte ich eventuell eine Tasse Kaffee haben? Dann bleibe ich nämlich auch weiterhin hellwach.«

Eve blickte auf den Bildschirm des Computers, konnte dort jedoch nichts Bedrohliches erkennen, und so stand sie schweigend auf und bestellte an ihrem AutoChef zwei Tassen des kostbaren Getränks.

»Warum interessieren Sie sich plötzlich für Hexerei? Haben Sie Ihre heimliche Schwäche für das Übersinnliche entdeckt?« Als Eve sie reglos ansah, versuchte Peabody zu lächeln. »Das war ebenfalls ein Witz.«

»Sie sind heute echt lustig. Ich frage nur aus Neugier.«

»Ja, es gibt ein paar grundlegende Übereinstimmungen zwischen den Hippies und den Hexen. Die Suche nach Gleichgewicht und Harmonie, das Feiern der Jahreszeiten, das auf alte heidnische Rituale zurückzuführen ist, das strikte Verbot jeglicher Gewalt.«

»Ein Verbot von Gewalt?« Eve sah Peabody aus zusammengekniffenen Augen an. »Und was ist mit Flüchen, dunklen Zaubersprüchen und Opferritualen? Nackten Jungfrauen auf finsteren Altären und schwarzen Hähnen, denen die Köpfe abgeschlagen werden?«

»In der Literatur werden die Hexen regelmäßig so dargestellt. Sie wissen schon, wie die bösen Weiber in Shakespeares Macbeth.«

Eve schnaubte verächtlich auf. »Ich werde dich schon kriegen, meine Kleine, dich und deinen kleinen Hund.« Die böse Hexe aus dem Westen, die es oft auf einem der klassischen Videokanäle zu sehen gab.

»Auch ein gutes Beispiel«, gab Peabody unumwunden zu. »Selbst wenn beide auf völlig falschen Vorstellungen basieren. Hexen sind keine hässlichen, bösen alten Weiber, die irgendwelche stinkenden Zaubertränke rühren, junge Mädchen jagen und sich mit ihren freundlichen, sprechenden Krähen unterhalten. Hexen haben eine Vorliebe für die so genannte Freikörperkultur, aber sie machen auf nichts und niemanden jemals Jagd. Das, was sie betreiben, ist ausschließlich weiße Magie.«

»Im Gegensatz zu?«

»Schwarzer Magie.«

Eve sah ihre Assistentin fragend an. »Sie glauben doch wohl nicht an dieses Zeug? An Zaubersprüche und Magie?«

»Nein.« Wiederbelebt von dem echten Kaffee wandte sich Peabody erneut dem Computer zu. »Ich weiß ein paar grundlegende Dinge, weil einer meiner Cousins zu den Hexern übergetreten ist. Er ist davon total begeistert. Hat sogar mal bei einem Hexensabbat in Cincinnati mitgemacht.«

»Sie haben einen Cousin, der beim Hexensabbat in Cincinnati mitmacht?« Lachend stellte Eve ihre eigene Tasse ab. »Peabody, Sie überraschen mich immer wieder.«

»Eines Tages erzähle ich Ihnen auch noch von meiner Großmutter und ihren fünf Liebhabern.«

»Fünf Liebhaber sind im Verlauf des Lebens einer Frau nicht weiter ungewöhnlich.«

»Sie hatte sie nicht im Verlauf ihres gesamten Lebens, sondern allein im letzten Monat. Und zwar alle zur selben Zeit.«

Peabody hob den Kopf und sah Eve mit ernster Miene an. »Sie ist inzwischen achtundneunzig. Ich hoffe, ich gerate nach ihr.«

Eve unterdrückte ihr Gelächter, als das Link auf ihrem Schreibtisch piepste. »Dallas.«

Auf dem Bildschirm erschien Commander Whitney. »Ja, Commander.«

»Ich würde gern mit Ihnen sprechen, Lieutenant. Kommen Sie doch bitte so bald wie möglich zu mir in mein Büro.«

»Sehr wohl, Sir. Fünf Minuten.« Eve wandte sich an ihre Assistentin. »Vielleicht haben wir ja etwas Neues reinbekommen. Machen Sie hier weiter. Ich melde mich bei Ihnen, falls wir los müssen.«

Sie wandte sich zum Gehen, steckte dann jedoch noch einmal den Kopf durch die Tür und warnte: »Essen Sie ja nicht meinen Schokoriegel auf.«

»Verdammt«, knurrte Peabody so leise, dass sie es nicht hörte. »Sie vergisst auch nie etwas.«

Whitney hatte den Großteil seines Lebens als Polizist und wiederum den Großteil seines Polizistenlebens auf dem Chefsessel verbracht. Er kannte seine Leute, wusste, wo die Stärken und die Schwächen jedes Einzelnen lagen und wusste, wie dieses Wissen am besten einzusetzen war.

Er war ein Hüne von einem Mann mit großen, groben Händen und dunklen, wachen Augen, deren Blick von einigen als kalt beschrieben wurde. Oberflächlich betrachtet war er ein beinahe erschreckend ausgeglichener Mensch. Hinter der ruhigen, gelassenen Fassade jedoch war er ein gefährlich intelligenter, durchsetzungsfreudiger Mensch.

Auch wenn Eve Whitney nicht immer mochte, genoss er doch allzeit ihre Bewunderung und ihren Respekt.

Als sie in sein Büro kam, saß er hinter seinem Schreibtisch und blickte mit gerunzelter Stirn auf ein Blatt Papier. Ohne auch nur den Kopf zu heben, winkte er in Richtung eines Stuhls. Gehorsam nahm sie Platz, betrachtete einen an seinem Fenster vorbeirumpelnden Flieger und war wie üblich von der Zahl der mit Ferngläsern ausgerüsteten Passagiere überrascht.

Was hofften sie hinter den Fenstern der Polizei zu sehen? Verdächtige, die gefoltert wurden, geladene, entsicherte Gewehre, blutende, schluchzende Opfer? Und weshalb war die Vorstellung von derartigem Elend etwas offensichtlich Unterhaltsames für sie?

»Ich habe Sie gestern Abend auf der Totenwache gesehen.«

Eve wandte ihre Gedanken und Aufmerksamkeit ihrem Vorgesetzten zu. »Ich nehme an, dass die meisten Cops von unserem Revier dort gewesen sind.«

»Frank war sehr beliebt.«

»Ja, das war er.«

»Sie haben nie mit ihm zusammengearbeitet?«

»Er hat mir als ich noch in der Ausbildung war, ein paar wertvolle Hinweise gegeben, und hat ein paar Mal irgendwelche Laufarbeiten für mich übernommen, aber nein, eine direkte Zusammenarbeit zwischen uns beiden gab es nie.«

Ohne sie aus den Augen zu lassen, nickte Whitney. »Vor Ihrer Zeit waren er und Feeney Partner. Erst nachdem Frank von der Straße an den Schreibtisch versetzt worden war, wurden Sie Feeney zugeteilt.«

Plötzlich hatte sie ein ungutes Gefühl. Hier ist irgendetwas faul, dachte sie beklommen. Irgendetwas faul. »Ja, Sir. Diese Sache hat Feeney auch ziemlich hart getroffen.«

»Das ist mir bewusst, Dallas. Was auch der Grund dafür ist, dass Captain Feeney heute Morgen nicht hier neben Ihnen sitzt.« Whitney stützte seine Ellenbogen auf den Schreibtisch und verschränkte seine Hände. »Möglicherweise befinden wir uns in einer ziemlich delikaten Situation, Lieutenant.«

»Wegen Detective-Sergeant Wojinski?«

»Das, was ich Ihnen gleich erzählen werde, ist streng vertraulich. Sie dürfen Ihre Assistentin, ansonsten jedoch niemanden von der Truppe und niemanden von den Medien darüber informieren. Ich bitte Sie, nein, ich befehle Ihnen«, verbesserte er sich, »in dieser Sache überwiegend alleine vorzugehen.«

Bei dem Gedanken an Feeney nahm ihr Unbehagen zu. »Verstanden.«

»Es gibt da gewisse Ungereimtheiten in Zusammenhang mit Detective-Sergeant Wojinskis Tod.«

»Ungereimtheiten, Commander?«

»Sie brauchen noch ein paar Hintergrundinformationen.« Er legte seine gefalteten Hände auf die Kante seines Schreibtischs. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Detective-Sergeant Wojinski entweder auf eigene Faust Ermittlungen durchgeführt haben oder aber in Drogengeschäfte verwickelt gewesen sein muss.«

»Drogen? Frank? Keiner war sauberer als Frank.«

Whitney sah sie reglos an. »Am 22. September dieses Jahres wurde Detective-Sergeant Wojinski von einer verdeckten Ermittlerin der Drogenabteilung beobachtet, während er Geschäfte in einem vermutlichen Verteilungszentrum für chemische Drogen getätigt hat. Das Athame ist ein privater, vorgeblich religiöser Club, der seinen Mitgliedern rituelle Dienste für Gruppen oder Einzelpersonen anbietet und eine Lizenz für private Sexpartys besitzt. Seit beinahe zwei Jahren steht er unter Beobachtung durch die Drogenfahndung, und Frank wurde gesehen, als er etwas gekauft hat.«

Als Eve daraufhin schwieg, atmete Whitney hörbar ein. »Der Vorfall wurde mir gemeldet und ich habe Frank dazu befragt, doch er hat sich mit keinem Wort dazu geäußert.« Nach kurzem Zögern sprach Whitney schließlich weiter. »Offen gestanden, Dallas, war es völlig untypisch für ihn, die Sache weder zu bestätigen noch zu leugnen und sich darüber hinaus beharrlich zu weigern, auch nur mit einer Silbe über die Angelegenheit zu sprechen. Ich war deshalb in großer Sorge. Ich habe ihn angewiesen, sich einer ärztlichen Untersuchung einschließlich eines Drogen-Scannings zu unterziehen und ihm geraten, sich eine Woche frei zu nehmen. Das hat er auch getan. Das Scanning hat nichts ergeben und aufgrund seiner bis dahin vorbildlichen Akte und meiner persönlichen Kenntnis und Wertschätzung seiner Person habe ich den Zwischenfall nicht in seine Akte aufgenommen, sondern unter Verschluss gehalten.«

Er erhob sich, trat ans Fenster und sah hinaus. »Vielleicht war das ein Fehler. Vielleicht wäre er, wenn ich der Sache weiter nachgegangen wäre, heute noch am Leben und das Gespräch, das Sie und ich jetzt führen, hätte sich erübrigt.«

»Sie haben Ihrer Urteilskraft und Ihrem Untergebenen vertraut.«

Whitney wandte sich ihr wieder zu. Seine Augen waren dunkel. Doch statt mit einem kalten, bedachte er Eve mit einem schmerzlichen und zugleich durchdringenden Blick. »Ja, das habe ich getan. Aber inzwischen weiß ich, dass das offenbar nicht richtig war. Die routinemäßige Autopsie von Detective-Sergeant Wojinski hat Spuren von Digitalis und Zeus zu Tage gefördert.«

»Zeus.« Jetzt erhob sich auch Eve von ihrem Platz. »Frank hat keine Drogen genommen, Commander. Abgesehen davon, wer und was er war, kann man eine chemische Droge wie Zeus nicht nehmen, ohne dass irgendwer es merkt. Man sieht es an den Augen und an der Veränderung, die die Persönlichkeit durchmacht. Wenn er Zeus genommen hätte, hätte jeder Cop in seiner Abteilung es gewusst. Und das Drogenscanning hätte es gezeigt. Den Pathologen muss ein Fehler unterlaufen sein.«

Um nicht im Zimmer auf und ab zu laufen, vergrub sie die Hände in den Taschen. »Ja, es gibt Cops, die das Zeug nehmen, und es gibt Cops, die meinen, ihre Dienstmarke schütze sie vor dem Zugriff durch das Gesetz. Aber Frank bestimmt nicht. Nie im Leben war er einer von diesen unsauberen Typen.«

»Aber die Spuren der Drogen waren da, Lieutenant. Ebenso wie Spuren anderer Chemikalien, so genannter Designer-Klons. Die Mischung dieser Chemikalien hat zu dem plötzlichen Herzstillstand und dadurch zu seinem Tod geführt.«

»Sie vermuten, dass er eine Überdosis genommen oder Selbstmord begangen hat?« Sie schüttelte den Kopf. »Absolut unmöglich.«

»Ich wiederhole, die Spuren der Drogen waren da.«

»Dann muss es dafür einen Grund gegeben haben. Digitalis?« Sie runzelte die Stirn. »Das ist ein Herzmittel, nicht wahr? Sie sagen, er hätte sich vor ein paar Wochen ärztlich untersuchen lassen. Weshalb wurden seine Herzprobleme dabei nicht entdeckt?«

Nach wie vor fixierte Whitney sie. »Franks bester Freund bei der Polizei ist der beste elektronische Ermittler der gesamten Stadt.«

»Feeney?« Unweigerlich machte Eve zwei Schritte nach vorn. »Sie denken, Feeney hätte ihn gedeckt und seine Akte manipuliert? Verdammt, Commander.«

»Es ist eine Möglichkeit, die ich nicht einfach ignorieren kann«, erklärte Whitney tonlos. »Ebenso wenig wie Sie. Freundschaft kann einen Schatten auf das Urteilsvermögen eines Menschen werfen. Ich vertraue darauf, dass Ihre Freundschaft zu Feeney in diesem Fall nicht ebenfalls einen Schatten auf Ihr Urteilsvermögen wirft.«

Er kehrte zurück hinter seinen Schreibtisch, in die Position der Autoritätsperson. »Diesen Vorwürfen und Verdächtigungen muss gründlich nachgegangen werden. Ich möchte, dass am Ende der Ermittlungen keine Frage mehr offen bleibt.«

Inzwischen hatte sie das Gefühl, als würden ihre Magen-wände von Salzsäure verätzt. »Sie wollen, dass ich gegen Kollegen von mir ermittle. Von denen einer tot ist und eine trauernde Familie hinterlassen hat, während der andere mich ausgebildet hat und heute einer meiner besten Freunde « - sie stemmte sich mit beiden Händen auf der Schreibtischplatte ab - »und auch einer Ihrer besten Freunde ist.«

Er hatte ihren Zorn erwartet, hatte ihn bereits im Vorfeld akzeptiert. Ebenso wie er von ihr erwartete, dass sie diese Arbeit trotzdem übernahm. »Wäre es Ihnen lieber, wenn ich die Ermittlungen jemandem übertrüge, dem die beiden egal sind?« Er zog eine seiner Brauen in die Höhe. »Ich will, dass die Ermittlungen in aller Stille durchgeführt werden und dass sämtliche Beweisstücke und Aufzeichnungen ausschließlich durch mich eingesehen werden können. Vielleicht wird es irgendwann erforderlich für Sie, mit der Familie von Detective-Sergeant Wojinski in Kontakt zu treten. Ich vertraue darauf, dass Sie dabei möglichst diskret und taktvoll zu Werke gehen. Es besteht keine Notwendigkeit, ihre Trauer um Frank zu verstärken.«

»Und wenn ich etwas finde, durch das sein Leben im Dienst der Öffentlichkeit in den Schmutz gezogen wird?«

»Die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise läge dann bei mir.«

Sie richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. »Das, worum Sie mich da bitten, ist so ziemlich das Schlimmste, was eine Polizistin tun kann.«

»Ich gebe Ihnen den Befehl«, verbesserte Whitney. »Das sollte es leichter für Sie machen, Lieutenant.« Er reichte ihr zwei versiegelte Disketten. »Gucken Sie sich die Dinger am besten bei sich zu Hause an. Sämtliche Übertragungen in dieser Angelegenheit dürfen ausschließlich von Ihrem Privatcomputer an meinen Privatcomputer erfolgen. Es darf nichts über die Zentrale laufen, bis ich es Ihnen sage. So, und jetzt können Sie gehen.«

Sie machte kehrt und marschierte Richtung Tür, blieb jedoch, ohne sich noch einmal zu ihrem Vorgesetzten umzudrehen, kurz dort stehen. »Ich werde Feeney nicht hinterherspionieren. Ich will verdammt sein, wenn ich so was jemals tue.«

Whitney verfolgte, wie sie das Büro verließ und schloss dann müde seine Augen. Sie würde tun, was getan werden musste, das wusste er genau. Er konnte nur hoffen, dass sie mit den Dingen würde leben können, die zu tun sie bei der Erfüllung dieses Auftrags vielleicht gezwungen war.

Bis sie wieder in ihrem eigenen Büro war, schäumte sie vor Wut. Peabody jedoch saß grinsend vor dem Bildschirm.

»Beinahe hätte ich das Ding k.o. geschlagen. Ihre Kiste ist ein echter Jammerlappen, Dallas, aber ich habe sie inzwischen wenigstens halbwegs in Form gebracht.«

»Gerät aus«, fauchte Eve und riss ihre Jacke und ihre Handtasche vom Stuhl. »Los, Peabody, packen Sie Ihre Sachen.«

»Dann haben wir also einen Fall?« Peabody sprang auf und rannte ihrer Chefin hinterher. »Was für einen Fall? Wo gehen wir hin?« Um mit Eve Schritt halten zu können, verfiel sie in einen flotten Trab. »Dallas? Lieutenant?«

Eve schlug auf den Knopf des Fahrstuhls und der zornige Blick, mit dem sie Peabody bedachte, reichte, damit sich ihre Assistentin jeder weiteren Frage enthielt. Eve betrat den Lift und hob sich durch ihr eisiges Schweigen von den bereits in dem Gefährt versammelten, fröhlich lärmenden Kollegen ab.

»He, Dallas, was macht die Ehe? Warum bringst du nicht deinen reichen Göttergatten dazu, die Kantine zu kaufen und endlich mal was Anständiges dort auf den Tisch bringen zu lassen?«

Sie warf einen stählernen Blick über die Schulter und starrte in das Gesicht eines grinsenden Cops. »Ach Carter, leck mich am Arsch.«

»He, das habe ich vor drei Jahren versucht und dabei hättest du mir um ein Haar sämtliche Zähne ausgeschlagen. Jetzt suche ich mir für derartige Vergnügen lieber Zivilistinnen«, erklärte er unter dem wiehernden Gelächter seiner Freunde.

»Jemanden, der es mit dem größten Arschloch des Raubdezernates aushält«, warf einer der Kerle ein.

»Immer noch besser als das kleine Arschloch der Abteilung zu sein, Forenski. Hey, Peabody«, fuhr Carter fort. »Soll ich Sie vielleicht mal am Arsch lecken?«

»Sind Ihre Zähne auch in Ordnung?«

»Ich werde es überprüfen lassen und mich dann bei Ihnen melden.« Augenzwinkernd trat Carter gemeinsam mit ein paar Kollegen in den Korridor hinaus.

»Carter macht allen Frauen schöne Augen«, meinte Peabody - allmählich in ernster Sorge, da Eve immer noch reglos geradeaus sah - in beiläufigem Ton. »Zu schade, dass er ein solches Arschloch ist.« Keine Reaktion. »Aber Forenski ist echt süß«, fuhr Peabody fort. »Er ist nicht fest liiert, oder?«

»Ich stecke meine Nase nicht in die Privatleben meiner Kollegen«, raunzte Eve und stürmte aus dem Lift in die Garage.

»In meins schon«, murmelte Peabody erbost, wartete, bis Eve den Wagen aufgeschlossen hatte und stieg auf der Beifahrerseite ein. »Soll ich ein Ziel eingeben, Madam, oder ist es eine Überraschung?« Statt zu antworten, legte Eve zu ihrer Überraschung jedoch wortlos den Kopf gegen den Lenker. »He, ist alles okay? Was ist los, Dallas?«

»Geben Sie als Ziel mein Büro zu Hause ein.« Eve richtete sich wieder auf und atmete tief durch. »Ich werde Ihnen unterwegs alles erklären. Sämtliche Informationen, die Sie im Rahmen dieser Ermittlungen bekommen, gelten als streng vertraulich.« Eve lenkte den Wagen aus der Garage auf die Straße. »Außer mit mir und dem Commander dürfen Sie mit niemandem über die Sache sprechen.«

»Sehr wohl, Madam.« Peabody schluckte. »Es geht um was Internes. Es geht um einen von uns.«

»Ja. Gott verdammt. Es geht um einen von uns.«

Ihr heimischer Computer war deutlich weniger exzentrisch als die Kiste im Büro. Dafür hatte Roarke gesorgt. Die Daten rollten geschmeidig über den Bildschirm.

»Detective Marion Burns. Sie arbeitet seit acht Monaten undercover als Thekerin im Athame.« Eve spitzte ihre Lippen. »Burns. Die kenne ich gar nicht.«

»Ich kenne sie flüchtig.« Peabody rückte ihren Stuhl etwas dichter an den Monitor heran. »Ich habe sie kennen gelernt, als ich Sie wissen schon, während der Sache mit Casto. Sie erschien mir wie der grundsolide, einzig auf ihren Job bedachte Typ. Wenn ich mich recht entsinne, ist ihre Familie mit ihr bereits in der dritten Generation bei der Polizei. Ihre Mutter ist auch noch dabei. Ich glaube, sie ist Captain in Bunko. Der Großvater hat sich während der Innerstädtischen Revolten verdient gemacht. Ich kann nicht verstehen, weshalb sie DS Wojinski beim Commander verpfiffen hat.«

»Vielleicht hat sie lediglich gemeldet, was sie gesehen hat, vielleicht hatte sie aber auch einen anderen Grund. Genau das müssen wir herausfinden. Ihr Bericht an Whitney war ziemlich nüchtern. Am 22. September 2058, um 1.30 Uhr will sie Detective-Sergeant Wojinski zusammen mit der polizeibekannten Dealerin Selina Cross an einem Tisch in einer Nische des Clubs beobachtet haben. Wojinski hat angeblich Kreditchips gegen ein kleines Päckchen eingetauscht, das eine illegale Substanz zu enthalten schien. Das Gespräch und der Warenaustausch haben laut Bericht ungefähr fünfzehn Minuten gedauert und dann soll Cross an einen anderen Tisch gegangen sein. Wojinski blieb angeblich noch ungefähr zehn Minuten im Club, und als er ging, will Detective Burns sich ihm an die Fersen geheftet und ihn ungefähr zwei Blocks weit verfolgt haben, bis er dort ein öffentliches Transportmittel bestieg.«

»Dann hat sie also zu keinem Zeitpunkt gesehen, dass er selbst was von dem Zeug genommen hat.«

»Nein. Und weder in der noch in einer der folgenden Nächte hat sie ihn noch einmal im Club gesehen. Trotzdem müssen wir sie unbedingt noch mal zu der ganzen Sache befragen.«

»Sehr wohl, Madam. Dallas, wenn Wojinski und Feeney so dicke Freunde waren, hätte sich Wojinski ihm dann nicht vielleicht anvertraut? Oder hätte nicht Feeney sowieso irgendwas bemerkt?«

»Ich weiß nicht.« Eve rieb sich die Augen. »Athame. Was zum Teufel soll das sein?«

»Ich habe keine Ahnung.« Peabody zog ihren Taschencomputer hervor und gab die Bezeichnung ein. »Athame, zeremonielles Messer, rituelles, normalerweise aus Stahl gefertigtes Werkzeug. Traditionsgemäß wird das Athame nicht zum Schneiden, sondern zum Aufzeichnen oder zur Aufhebung von Zirkeln in Erdreligionen verwandt.«

Peabody blinzelte Eve an. »Was für ein Zufall. Schon wieder was mit Hexerei.«

»Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist.« Sie zog Alices Nachricht aus der Schublade ihres Schreibtischs und reichte sie ihrer Assistentin. »Das hier hat Franks Enkelin mir während der Totenwache heimlich zugesteckt. Wie ich herausgefunden habe, arbeitet sie in einem Laden namens Spirit Quest. Kennen Sie den?«

»Ich weiß, was für ein Geschäft das ist.« Peabody legte den Zettel auf den Schreibtisch und verzog sorgenvoll das Gesicht. »Aber Hexen sind friedliche Geschöpfe, Dallas. Und sie verwenden Kräuter und nicht irgendwelche Chemikalien. Keine echte Hexe und kein echter Hexer würde jemals so etwas wie Zeus kaufen, verkaufen oder verwenden.«

»Und was ist mit Digitalis?« Eve legte den Kopf schräg. »Das ist doch eine Art Kraut.«

»Es wird aus dem Fingerhut gewonnen und bereits seit Jahrhunderten für medizinische Zwecke benutzt.«

»Und als was, als Aufputschmittel?«

»Ich kenne mich mit diesen Dingen nicht besonders aus, aber ja, ich glaube, schon.«

»Genau wie Zeus. Ich frage mich, was für eine Wirkung man mit einer Kombination aus beiden Präparaten erzielt. Es würde mich nicht überraschen, wenn eine schlechte Mischung, eine falsche Dosierung oder so etwas zum Herzstillstand führt.«

»Dann denken Sie also, dass Wojinski Selbstmord begangen hat?«

»Der Commander nimmt es an, aber ich habe bisher nur Fragen, keine Antworten. Doch ich werde die Antworten bekommen.« Ungeduldig nahm sie den Zettel vom Schreibtisch und betrachtete ihn noch einmal. »Und zwar fangen wir gleich heute Abend mit der guten Alice an. Ich möchte, dass wir uns um elf in Zivilklamotten in dem Laden treffen. Versuchen Sie, nicht wie ein Cop, sondern wie ein Hippie auszusehen.«

Peabody ächzte. »Ich habe dieses Kleid, das meine Mutter mir zu meinem letzten Geburtstag genäht hat. Wenn Sie allerdings darüber lachen, werde ich stinksauer.«

»Ich werde versuchen, mich zu beherrschen. Und jetzt sollten wir sehen, was wir über diese Selina Cross und den Athame Club herausfinden können.«

Fünf Minuten später spähte Eve mit einem grimmigen Lächeln auf den Bildschirm ihres Geräts. »Interessant. Die gute Selina hat ganz schön was auf dem Kerbholz. Gucken Sie sich mal ihre Akte an, Peabody. '43 und '44 Anklage wegen nicht genehmigter Prostitution, ebenfalls '44 eine Anklage wegen tätlichen Angriffs, die jedoch fallen gelassen worden ist. Dann, im Jahre '47, ist sie wegen irgendwelcher Auftritte als Medium in Bunko eingefahren. Wozu zum Teufel wollen die Leute überhaupt mit den Toten reden? '49 Anklage wegen Verdachts auf Verstümmelung von Tieren und auch wenn damals die Beweise für eine Verurteilung nicht reichten, haben sie sie schließlich erneut wegen Herstellung und Verkauf von illegalen Substanzen in den Jahren '50 und '51 hinter Gitter gebracht. Lauter Kleinkram. Aber hier, '55 wurde sie in Verbindung mit der rituellen Abschlachtung einer Minderjährigen verhaftet und verhört. Allerdings hatte sie ein Alibi, das nicht zu knacken war.«

»Seit sie '51 wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, steht sie unter Beobachtung durch die Drogenfahndung«, fügte Peabody hinzu.

»Aber sie haben sie nicht noch mal verhaftet.«

»Wie Sie selbst gesagt haben, ist sie halt nur ein kleiner Fisch. Offensichtlich haben sie es auf die größeren Fische abgesehen.«

»Das schätze ich auch. Wir werden hören, was Marion dazu zu sagen hat. Schauen Sie, hier steht, dass Selina Cross der Athame Club gehört.« Eve presste die Lippen aufeinander. »Tja, woher kriegt eine kleine Dealerin wie sie die Kohle für den Kauf und die Eröffnung eines solchen Clubs? Sie ist gewiss nur eine Strohfrau. Ich frage mich, ob die Drogenfahndung weiß, für wen. Wir sollten sie mal näher betrachten. Computer, ich brauche ein Foto von Selina Cross.«

»Wow.« Peabody erschauderte, als das Foto auf dem Monitor erschien. »Gespenstisch.«

»Kein Gesicht, das man so schnell vergisst«, murmelte auch Eve.

Es war kantig und schmal, mit vollen, leuchtend roten Lippen und rabenschwarzen Augen. Die fein gemeißelten Züge und die glatte weiße Haut waren durchaus attraktiv, doch gleichzeitig erschreckend kalt und, wie Peabody gesagt hatte, geradezu gespenstisch. Ihre sorgsam in der Mitte gescheitelten, glatten Haare waren so schwarz wie ihre Augen, und über der linken Braue hatte sie eine kleine Tätowierung.

»Was ist das für ein Symbol?«, überlegte Eve. »Computer, Vergrößerung des Segments zwanzig bis zweiundzwanzig um dreißig Prozent.«

»Ein Pentagramm.« Peabodys Stimme bebte und Eve sah sie fragend an. »Es steht auf dem Kopf. Sie ist keine Hexe, Dallas.« Peabody räusperte sich leise. »Sie ist Satanistin.«

Eve glaubte weder an weiße noch an schwarze Arten der Magie, doch sie war bereit zu glauben, dass andere es taten. Und noch bereiter anzunehmen, dass es Menschen gab, die diesen Irrglauben für ihre Zwecke nutzten.

»Du solltest diese Dinge nicht so einfach abtun.«

Sie blickte zur Seite. Roarke hatte darauf bestanden sie zu fahren, und da seine Wagen im Gegensatz zu ihrer Kiste die reinsten Luxusgefährte waren, hatte sie sich nicht darüber beschwert.

»Was willst du damit sagen?«

»Ich meine, wenn bestimmte Religionen und Traditionen Jahrhunderte überdauern, gibt es dafür einen triftigen Grund.«

»Natürlich gibt es den, denn wir Menschen sind und waren schon immer leichtgläubige Wesen. Ebenso wie es seit jeher Individuen gibt, die wissen, wie man sich diese Leichtgläubigkeit zu Nutze machen kann. Ich werde herausfinden, ob Franks Leichtgläubigkeit von jemandem ausgenutzt worden ist.«

Sie hatte Roarke alles erzählt und ihr Tun dadurch vor sich gerechtfertigt, dass sie sich sagte, wenn sie schon Feeney als Computerexperten nicht in Anspruch nehmen könnte, bräuchte sie stattdessen eben ihren Mann.

»Du bist eine gute Polizistin und eine vernünftige Frau. Oft zu gut und zu vernünftig.« Als er an einer Kreuzung warten musste, blickte er sie an und sagte mit drängend ernster Stimme: »Ich bitte dich, solange du dich auf diesem dir fremden Terrain bewegst, besonders vorsichtig zu sein.«

»Du meinst, solange ich mit Hexen und Teufelsanbetern verkehre? Also bitte, Roarke, wir leben im zweiten Jahrtausend. Satanisten, Himmel!« Sie schob sich die Haare aus der Stirn. »Was zum Teufel würden sie wohl machen, wenn er wirklich existieren und es ihnen gelingen würde, seine Aufmerksamkeit zu wecken?«

»Genau das ist das Problem«, antwortete Roarke ruhig, bog nach Westen ab und brachte seinen Wagen in einer Lücke in der oberen Parkebene unweit des Aquarian Club zum Stehen.