Der liebevolle Mörder - J.D. Robb - E-Book
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Der liebevolle Mörder E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

Ein mordlustiges Pärchen, das eine Spur des Bösen hinterlässt – und Eve Dallas wird nicht ruhen, bis die beiden hinter Gittern sind …

New York: Als Eve Dallas eine Leiche in einer heruntergekommenen Gasse in Manhattan untersuchen soll, bemerkt sie wegen der vielen Verletzungen des Opfers fast ein wichtiges Detail nicht: In die Haut wurde ein Herz geritzt – mit den Initialien »E« und »D«.
Arkansas: Ella-Loo und ihr kürzlich aus dem Gefängnis entlassener Freund Darryl sind sich sicher, dass sie sobald nichts mehr trennen darf. Ihr neues Leben wollen sie in New York starten. Doch dann läuft einiges schief, und sie töten jemanden. In Ella-Loo löst das ein wildes Verlangen aus, wieder zu morden, und sie hinterlassen eine Spur des Bösen. Doch sie haben nicht mit Eve Dallas und ihrem geliebten Ehemann Roarke gerechnet, die alles daran setzen, das Paar zu verhaften …

20 Jahre, 41 Romane und eine riesige Fangemeinde – Nora Roberts als J. D. Robb ist einfach unschlagbar!

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Seitenzahl: 607

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Buch

New York: Als Eve Dallas eine Leiche in einer heruntergekommenen Gasse in Manhattan untersuchen soll, bemerkt sie ob der vielen Verletzungen des Opfers fast ein wichtiges Detail nicht: In die Haut wurde ein Herz geritzt – mit den Initialien »E« und »D«.

Arkansas: Ella-Loo und ihr kürzlich aus dem Gefängnis entlassener Freund Darryl sind sich sicher, dass sie so bald nichts mehr trennen darf, sie wollen Arkansas hinter sich lassen und machen sich auf den Weg nach New York. Doch auf der Reise läuft einiges aus dem Ruder und sie töten jemanden. In Ella-Loo löst das ein wildes Verlangen aus, wieder zu töten, und sie hinterlassen eine Spur des Bösen. Doch sie haben nicht mit Eve Dallas und ihrem geliebten Ehemann Roarke gerechnet, die alles daransetzen die beiden zu verhaften …

Autorin

J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts, einer der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren erfolgreich Kriminalromane.

Liste lieferbarer Titel

Rendezvous mit einem Mörder · Tödliche Küsse · Eine mörderische Hochzeit · Bis in den Tod · Der Kuss des Killers · Mord ist ihre Leidenschaft · Liebesnacht mit einem Mörder · Der Tod ist mein · Ein feuriger Verehrer · Spiel mit dem Mörder · Sündige Rache · Symphonie des Todes · Das Lächeln des Killers · Einladung zum Mord · Tödliche Unschuld · Der Hauch des Bösen · Das Herz des Mörders · Im Tod vereint · Tanz mit dem Tod · In den Armen der Nacht · Stich ins Herz · Stirb, Schätzchen, stirb · In Liebe und Tod · Sanft kommt der Tod · Mörderische Sehnsucht · Ein sündiges Alibi · Im Namen des Todes · Tödliche Verehrung · Süßer Ruf des Todes · Sündiges Spiel · Mörderische Hingabe · Verrat aus Leidenschaft · In Rache entflammt · Tödlicher Ruhm · Verführerische Täuschung · Aus süßer Berechnung · Zum Tod verführt · Das Böse im Herzen · So tödlich wie die Liebe · Geliebt von einem Feind ·

Mörderspiele. Drei Fälle für Eve Dallas · Mörderstunde. Drei Fälle für Eve Dallas · Mörderlied. Vier Fälle für Eve Dallas

Nora Roberts ist J. D. Robb

Ein gefährliches Geschenk

J. D. Robb

Der liebevolle Mörder

Roman

Deutsch von Uta Hege

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel

»Devoted in Death« bei Berkley Books,

an imprint of Penguin Random House LLC, New York.

Dieser Roman ist im Dezember 2020 bei Weltbild erschienen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © der Originalausgabe 2015 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe by Blanvaletin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Redaktion: Regine Kirtschig

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagabbildung: Anja Weber Decker/Arcangel Images

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

LH ∙ Herstellung: sam

ISBN 978-3-641-26469-7V003

www.blanvalet.de

1

Der erste Mord war eigentlich ein Unfall. Oder Folge eines Missgeschicks. Sie hatten gerade Arkansas erreicht, als ihre Schrottkiste von Truck plötzlich gestottert und gepfiffen hatte und mit einem letzten lauten Röcheln stehen geblieben war, sodass sie einfach einen anständigen, anderen fahrbaren Untersatz gebraucht hatten.

Ella-Loo hatte sofort gewusst, wie das Problem am einfachsten zu lösen war. Sie hatte ständig die verrücktesten Ideen und hochfliegende Träume, zusammen mit Darryl würde sie jetzt dafür sorgen, dass der größte ihrer Träume in Erfüllung ging.

Sie stammte aus Dry Creek, einem verschlafenen Nest in einer Gegend, die die Leute oft den Ellenbogen Oklahomas nannten, weil sie bis ins nachbarliche Texas ragte. Dort hatte sie als Serviererin in einer Cowboybar gejobbt und einen Freund gehabt, den gottverdammten Sohn der Hure Cody Bates, der sie mit einem Veilchen und mit einer aufgeplatzten Lippe mitten auf dem Parkplatz vor der Kneipe liegen lassen hatte, als sie auf dem Weg zu ihrer Abendschicht mit ihm in Streit geraten war.

Aber sie war für Besseres gemacht, als irgendwelchen blöden Cowboys und den aufgemotzten Tussis, die sich ihnen an die Fersen hefteten, lauwarmes Bier und Billigfusel zu servieren. Sie war für Besseres gemacht als für das bisschen Extrageld, das sie damit verdiente, dass sie Kerlen, die nach Bier stanken und keinen größeren Ehrgeiz hatten, als zu ficken, einen Blowjob oder einen Quickie auf dem Klo oder in der Kabine ihres Pick-ups bot.

Folgerichtig war er an einem schicksalhaften Abend durch die Tür der Bar getreten, sie hatte es auf den ersten Blick erkannt, dass er ihr Schicksal war. Dass sie die ganze Zeit auf ihn gewartet hatte. Dass er ihr die Chance böte, all das zu sein, was sie schon immer sein wollte.

Später sollte sie ihm offenbaren, dass ein rotgoldenes Licht um ihn herum geleuchtet hatte, als er durch die unechten Saloon-Türen getreten war. Dass sein blondes Haar geschimmert hatte und der Glanz in seinen Augen, die so blau und klar waren wie das Wasser eines Sees auf einer Ansichtskarte, ihr verraten hatte, dass er anders als die anderen war.

Er hatte keine Ähnlichkeit mit den nach Stall riechenden Arschgrapschern, aus denen das normale Publikum des Rope ’n Ride bestand.

Er hatte etwas, was ihn von den anderen unterschied.

Nach einem kurzen, intensiven Paarungsritual, bei dem er sie zunächst an die Toilettenwand und dann noch mal von außen an die Tür des Pausenraums genagelt hatte, hatte er erklärt, dass es ihm ebenso ergangen war.

Ein Blick hatte genügt. Oder wie hatte Darryl es in Anlehnung an Shakespeare formuliert? Er hatte sie geschaut und gleich geliebt. Darryl hatte Shakespeare, den er selbst den wortgewandten Willy nannte, lesen müssen, um den Highschool-Abschluss zu bekommen, nachdem er mit sechzehn von zu Hause abgehauen und kurz darauf in Denton County, Texas, in den Knast gewandert war.

Mit achtzehn war er wieder rausgekommen, und der Freund seiner Mutter hatte ihn in seiner Werkstatt angestellt. Darryl kannte sich mit Autos und Motoren mindestens so gut wie andere mit Pferden aus, doch Barlow hatte ihm den letzten Nerv geraubt, indem er ständig an ihm rumgenörgelt und behauptet hatte, wenn er auch nur einen Bruchteil seiner Energie in die Arbeit stecken würde, statt den ganzen Tag lang von der großen, weiten Welt zu träumen, wäre er schon bald ein reicher Mann.

Doch Darryl hatte keinen Sinn darin gesehen, sich totzuschuften, während es so viele andere Möglichkeiten gab zu kriegen, was er wollte. Am einfachsten, indem er sich die Dinge, die sein Herz begehrte, einfach nahm.

Trotzdem hatte er drei Jahre in der Werkstatt durchgehalten, denn er hatte keine Lust gehabt, sofort noch einmal einzufahren.

Bis er bekommen hatte, was er wollte, indem er Barlow die unter dem falschen Boden einer Schublade des Schreibtischs im Büro versteckten 6800 Dollar stahl.

Was zeigte, was für ein Idiot der Alte war.

Außerdem hatte er sich noch an dessen Werkzeugen und einigen Ersatzteilen bedient und auch das lange Jagdmesser, das Barlows ganzer Stolz und sicher etwas wert war, eingesteckt. Während seine Mutter im Café gewesen war, um sich für einen jämmerlichen Lohn und ein noch elenderes Trinkgeld dort die Hacken abzulaufen, hatte er sein Zeug gepackt und zusätzlich 3.200 Dollar aus dem Beutel in der Zuckerdose eingesackt. So hatte er die Reisekasse auf genau 10 000 Dollar aufgestockt und seiner Mutter als der gute Sohn, der er nach seiner Meinung war, zu den ihr noch verbliebenen 646 Dollar eine kurze Nachricht in den kleinen Baumwollsack gesteckt.

Danke, Ma. In Liebe, Darryl

Dann hatte er den Truck beladen, den er aus der Werkstatt mitgenommen hatte, Lonesome, Oklahoma abermals auf Nimmerwiedersehen den Rücken zugekehrt und war an seinem 21. Geburtstag in das Rope ’n Ride marschiert, wo Ella-Loo hinter dem Tresen stand.

Sie beide hatten gleich gewusst, dass die Begegnung Schicksal war, keine 24 Stunden später hatte sie mit ihrer Reisetasche, die all ihre weltlichen Besitztümer enthielt, in seinem Truck gesessen, und sie waren davongebraust.

Sie hatten Darryls Geld verprasst und sich mit Diebstählen und wildem, hemmungslosem Sex vergnügt, bis er in Tulsa festgenommen worden war. Er hatte einen Verlobungsring für seine Seelenverwandte stehlen wollen und dabei zufällig das lange Jagdmesser dabeigehabt. Das hatte einen schweren Raub aus dem im Grunde eher bescheidenen Vergehen gemacht und ihm vier Jahre, dieses Mal in Oklahomas Staatsgefängnis, eingebracht.

Kurz entschlossen hatte Ella-Loo sich einen Job in einer anderen Bar gesucht, sich dort aber nur noch mit Blowjobs etwas dazuverdient. Die Zeit der Quickies war vorbei gewesen, denn sie hätte Darryl niemals derart hintergehen wollen.

Beständig wie die Priester, die allsonntäglich die Messe lasen, hatte sie ihn wöchentlich im Knast besucht, und während eines ihrer Aufenthalte im Familienzimmer hatten sie sogar ein Kind gezeugt.

Darryl hatte sich die Jahre hinter Gittern abermals mit Shakespeare und dem Ausbau seiner Fähigkeiten als Mechaniker vertrieben und sich mit dem Bau von Bomben, mit Computern und mit Elektronik allgemein befasst, und während er sich derart auf das Leben draußen vorbereitet hatte, hatte Ella-Loo die Kleine, die nach ihrem geliebten Darryl Darra hieß, im heimischen Elk City ihrer Mutter präsentiert.

Obwohl sie es kaum ausgehalten hatte, einen der Besuche im Gefängnis ausfallen zu lassen, war sie fast zwei Wochen dort geblieben, bis die Mutter ganz vernarrt in ihre Enkelin gewesen und bis selbst der Stiefvater dem Kind nicht mehr misstrauisch begegnet war.

Dann hatte sie in dem Bewusstsein, dass die Mutter ihrem Stiefvater niemals erlauben würde, ihr die Bullen auf den Hals zu hetzen, kurzerhand das Silber der Urgroßmutter, das sie schließlich früher oder später ohnehin geerbt hätte, eingepackt, das Baby bei ihrer Mutter zurückgelassen und war wieder nach McAlester gefahren, um pünktlich zum Besuchstag dort zu sein.

Vielleicht würden sie und Darryl ihre Tochter ja holen, wenn sie irgendwann für ein ruhiges Leben bereit wären. Aber Darryl nach stand ihre Liebe unter einem schlechten Stern, und deshalb müssten sie im Leben und in der Liebe permanent bis an die Grenzen gehen.

Dabei wäre ihnen ein Baby nur im Weg.

Als Darryl wegen guter Führung nach dreieinhalb Jahren vorzeitig entlassen wurde, holte Ella-Loo ihn selbstverständlich ab. Sie trug dabei ein enges weißes Kleid und hochhackige rote Schuhe, und sie schafften es mit Mühe bis ins Motel, bevor die Schuhe durch die Luft flogen und das bis dahin blütenweiße Kleid auf dem verdreckten Boden lag.

Nachdem sie beide fanden, dass McAlester im Rückspiegel des Trucks am schönsten wäre, brachen sie nach einem guten Essen, dem Genuss des Sekts, den Ella-Loo aus der verdammten Bar, in die sie nicht noch mal zurückkehren würde, hatte mitgehen lassen, und nachdem sie sich noch einmal hemmungslos geliebt hatten, in Richtung Osten auf.

Sie wollte endlich einmal den Atlantik sehen. Sie wollte Großstadtlärm und Großstadtlichter, wollte alles, was nicht Oklahoma war.

New York City, sagte Ella-Loo zu Darryl, einzig New York City wäre groß und hell genug für sie.

Also nutzte Darryl seine Fähigkeiten, machte ihren Truck mithilfe einiger Ersatzteile aus einem anderen Gefährt, das in der Nähe parkte, wieder flott, und während Ella-Loo sich wie ein Blinddarm an ihn schmiegte und im Radio lauter Trash-Rock dröhnte, ging es los.

Trotz Darryls Fähigkeiten aber kam der alte Truck mit dem hohen Tempo und den vielen Meilen, die sie fuhren, auf Dauer nicht zurecht und verreckte schließlich elendig.

Doch Ella-Loo hatte sofort eine Idee.

Darryl schaffte es, die Kiste so weit in Gang zu bringen, dass sie von der Hauptstraße auf eine Nebenstraße abbiegen konnten, während sie das Navi konsultierte, und fuhr weiter auf den Teil des Highway 12, der unterhalb von Bentonville verlief.

Ella-Loo grub nach dem weißen Kleid und ihren roten Schuhen, malte sich die Lippen an, beugte sich vor und fuhr sich mit den Fingern durch das lange blonde Haar.

Wenn ein allein reisender Mann vorüberführe, hielte er auf alle Fälle an. Das kurze Kleid betonte ihre Rundungen, und als sie ihre Haare schwungvoll über die Schultern warf, sah sie mit ihrer blonden Mähne wie eine Sirene aus.

Darryl streckte seine Hände nach ihr aus, doch lachend scheuchte sie ihn fort. »Warte, Baby, warte. Versteck dich im Gebüsch. Die Männer halten eher, um mir zu helfen, wenn sie mich allein am Rand der Straße stehen sehen.«

»Ich glaube kaum, dass sie dir dann nur helfen wollen. Mein Gott, Ella-Loo, du bist so sexy wie ein schwarzes Spitzenhöschen, ich brauche dich nur anzusehen, damit ich einen Ständer kriege, der mich umbringt, wenn ich dich nicht sofort ficken kann.«

»Genauso ist es auch geplant. Falls eine Frau vorbeikommt, hält sie vielleicht an, vielleicht aber auch nicht. Zwei Männer halten sicher an, zwei Frauen vielleicht. Bei Pärchen bin ich mir nicht sicher, aber früher oder später hält auf alle Fälle jemand an.«

Sie glitt mit einem Finger über seine Lippen, rieb sich kurz an ihm, und als er stöhnte, schob sie ihn entschlossen von sich fort.

»Später, Schatz«, vertröstete sie ihn. »Es ist noch nicht ganz dunkel, und die Leute halten eher, bevor es dunkel wird. Also versteck dich, ja? Ich muss versuchen, möglichst hilflos auszusehen, mit einem starken, attraktiven Kerl an meiner Seite schaffe ich das nicht.«

Sie hatte die Stelle gut gewählt. Vielleicht sogar zu gut, denn bis zum Sonnenuntergang kam kein einziger Wagen dort vorbei.

»Vielleicht kann ich den Truck ja doch noch mal zum Laufen bringen«, rief Darryl aus seinem Versteck am Straßenrand. »Zumindest so, dass wir noch bis zu einer Stadt oder zu einem Motel kommen, wo ich ein anderes Gefährt für uns besorgen kann.«

»Es wird ganz sicher klappen, Darryl«, antwortete Ella-Loo, denn schließlich hatte sie diese fantastische Idee gehabt. »Wir müssen nur – da kommt ein Wagen. Wenn er hält, gib mir ein bisschen Zeit, damit ich meine Rolle spielen kann. Dann kommst du aus dem Gebüsch, Baby, und erledigst den Rest. Das kriegst du doch wohl hin, oder?«

»Auf jeden Fall.«

Sie stand neben dem Truck, faltete die Hände wie zu einem Gebet und riss halb ängstlich und halb hoffnungsvoll die blauen Augen auf.

Sie hatte auch schon in der Schule gern geschauspielert und sah mit freudiger Erregung, dass der schicke Wagen hielt, der Fahrer sich über den leeren zweiten Sitz in ihre Richtung beugte und durchs offene Fenster fragte: »Gibt es ein Problem?«

»Allerdings, Sir, allerdings.« Er war schon etwas älter, merkte sie. Einen Mann von vielleicht 50 könnte Darryl ganz problemlos niederschlagen, fesseln und hinter die Bäume ziehen. »Urplötzlich ging der Motor aus. Es ist der Truck von meinem Bruder, ich habe schon versucht, ihn anzurufen, aber wie es aussieht, ist mein Handy ebenfalls kaputt oder ich habe wieder mal vergessen, die Gebühren zu bezahlen. Ich vergesse einfach immer irgendwas.«

»Aber das Tanken haben Sie nicht vergessen?«, fragte er und lächelte sie an.

»Oh nein, Sir. Das heißt, Henry hat erst heute früh für mich getankt. Mein Bruder, Henry Beam.« So hatte ihr Geschichtslehrer geheißen, den Namen fand sie schön. »Aus Fayetteville. Vielleicht kennen Sie ihn ja – es kommt mir immer vor, als würde jeder Henry kennen.«

»Leider nein. Ich bin nicht aus der Gegend, aber wenn Sie möchten, schaue ich mir Ihren Truck mal an.«

»Oh ja, das wäre wirklich nett. Vielen, vielen Dank. Ich habe einfach keine Ahnung, was ich machen soll. Vor allem, weil’s allmählich dunkel wird.«

Er lenkte seinen Wagen an den Straßenrand. Er war in einem eleganten Silberton lackiert, obwohl Ella-Loo ein Auto in demselben schicken Rot wie ihre Schuhe vorgezogen hätte, konnte sie sich nicht beschweren. Er forderte sie auf, die Motorhaube zu entriegeln, doch sie flatterte nervös um den Truck herum, schließlich beugte er sich durch das Fenster, um es selbst zu tun.

Er hatte eine hübsche Armbanduhr, bemerkte Ella-Loo. Sie glänzte silbrig wie der Wagen, und sie würde Darryl ausgezeichnet stehen.

»Ich kenne mich mit Trucks nicht wirklich aus«, setzte er an. »Wenn ich den Fehler also nicht beheben kann, fahren Sie einfach mit bis Bentonville oder rufen von meinem Handy aus bei Ihrem Bruder an.«

»Das ist unglaublich nett von Ihnen. Ich hatte Angst, dass vielleicht jemand hält, der nicht so nett ist, und ich dann nicht wüsste, was ich machen soll.« Sie sah in Richtung des Gebüschs und fuhr, damit der Mann nichts rascheln hörte, als sich Darryl durch das Blattwerk schob, mit lauter Stimme fort: »Wahrscheinlich macht sich meine Ma schon fürchterliche Sorgen, also nehmen Sie mich vielleicht besser mit nach Bentonville. Sie wird Ihnen persönlich dafür danken wollen, dass Sie mich nach Hause fahren.«

»Hatten Sie nicht gesagt, Sie wären aus Fayetteville?«

»Was? Oh, Henry«, fing sie an, doch offensichtlich hatte ihr der Mann etwas angesehen oder doch etwas gehört, denn während Darryl noch den Wagenheber über seinem Kopf schwang, fuhr er blitzartig herum, weshalb die Waffe ihn nur an der Schulter traf.

Wie von Sinnen stürzte sich der Kerl auf Darryl und ging knurrend mit den Fäusten auf ihn los. In Gedanken nur bei ihrem Liebsten, bückte Ella-Loo sich nach dem Wagenheber, den er hatte fallen lassen, und ließ ihn dem ausgeflippten Samariter auf den Rücken krachen, doch statt umzufallen, ging er abermals auf Darryl los. Also zielte sie beim nächsten Mal auf seine Knie, obwohl sie es laut knacken hörte und das eine Bein zur Seite knickte, holte er noch einmal kraftvoll aus und brachte sie durch einen Schlag mit dem Handrücken auf ihre Wange aus dem Gleichgewicht. Bevor sie die Balance wiederfand und auch sein zweites Bein zertrümmern konnte, drehte Darryl vollends durch.

»Du hast meine Frau geschlagen! Dafür bringe ich dich um!«

Mit wildem Blick und wutverzerrter Miene trommelte er mit den Fäusten auf den unglücklichen Helfer ein. Sie selber hatte kaum genügend Zeit, um aus dem Weg zu krabbeln, als der Mann infolge des verletzten Beins das Gleichgewicht verlor. Er fiel hintüber, krachte mit dem Kopf gegen die Stoßstange des Trucks und dann auf den Asphalt, ohne nachzudenken sprang sie auf und schlug ihm zweimal mit dem Wagenheber ins Gesicht.

Jetzt lag er völlig still und starrte sie mit großen Augen an. Darryls Fäuste und der Wagenheber hatten sein Gesicht zu Brei geschlagen, sein Schädel lag in einer Lache leuchtend roten Bluts.

Ella-Loo fing an zu zittern, sie atmete mit einem lauten Zischen aus. »Ist er … ist er tot?«

»Scheiße, Ella-Loo, verdammt.« Darryl zog ein Halstuch aus der Hosentasche und tupfte sich Schweiß und Blut aus dem Gesicht. »Viel Leben scheint auf alle Fälle nicht mehr in ihm drin zu sein.«

»Das heißt, wir haben ihn umgebracht.«

»Das war doch keine Absicht. Scheiße, Ella-Loo. Er hat dir mitten ins Gesicht geschlagen, das konnte ich nicht zulassen. Ich kann nicht zulassen, dass jemand meinem Mädel etwas tut.«

»Genauso wenig wollte ich, dass dieser Typ noch mal auf dich losgeht. Also habe ich … Du musst ihn von der Straße schaffen. Zieh ihn ins Gebüsch, Darryl, bevor uns jemand sieht. Und nimm die Brieftasche, die Uhr und alles, was er vielleicht sonst noch bei sich hat. Beeil dich.«

Sie holte einen Lappen aus dem Truck, wischte den Wagenheber damit ab und ließ ihn auf den Rücksitz ihres neuen Wagens fallen.

»Nimm auch seine Kleider mit, Baby. Nimm alles mit, schließlich weiß man nie, wofür man es vielleicht gebrauchen kann. Und mach, um Himmels willen, schnell!«

Sie selber zerrte bereits ihre Sachen aus dem Truck. »Leg einfach alles in den Kofferraum. Wir haben später noch genügend Zeit, um alles durchzugehen.«

Ihr Herz schlug bis zum Hals, und die Hände zitterten, aber sie arbeitete schnell und zielorientiert.

»Wir müssen alle unsere Sachen aus dem Truck holen, Baby, dann müssen wir das Lenkrad und alle anderen Stellen abwischen, mit denen wir womöglich in Kontakt gekommen sind. Das übernehme ich.«

Es gab kaum etwas umzuladen, nachdem sie erst allein und dann mit Darryls Hilfe den verdammten Truck gereinigt hatte, fuhren sie zehn Minuten später los.

»Fahr besser erst mal nicht zu schnell. Wir müssen Abstand zwischen uns, den Truck und diesen Typ bringen«, riet Ella-Loo und hielt dann tapfer 25 Meilen durch, bevor sie rief: »Halt an! Halt an! Siehst du da vorn den schmalen Weg? Allmächtiger, halt sofort zwischen diesen Bäumen an.«

»Musst du dich übergeben, Schatz?«

»Ich rieche immer noch sein Blut. Es klebt an deinen Kleidern und an meinen auch.«

»Schon gut. Schon gut.« Er holperte den schmalen Weg hinab und hielt zwischen den Bäumen an. »Jetzt ist es gut, mein Schatz.«

»Erinnerst du dich noch an das Gesicht des Kerls? Die Augen haben uns angestarrt, aber sie konnten uns nicht sehen. Aus den Ohren und dem Mund quoll Blut.«

Sie wandte sich ihm strahlend zu, ihre aufgerissenen Augen drückten erst Verwunderung und dann Begehren aus. »Wir haben einen Menschen umgebracht. Zusammen.«

Sie stürzten sich begierig aufeinander, der heiße, harte Sex, den sie normalerweise miteinander hatten, wurde durch das Wissen um die Tat, die sie begangen hatten, und den süßlichen Geruch des frischen Bluts so wild und animalisch, dass das Echo ihrer beider Schreie das Gefährt erbeben ließ.

Als sie fertig waren, das weiße Kleid mit all den Flecken, die dasselbe Rot wie ihre Schuhe hatten, ihr in Fetzen von den Schultern hing und Schweiß ihr nacktes Fleisch und das Kleid wie Leim zusammenhielt, blickte sie lächelnd zu ihm auf.

»Ich möchte nicht, dass es beim nächsten Mal so schnell geht wie vorhin. Beim nächsten Mal gehen wir es langsam an, okay?«

»Ach, Ella-Loo, ich liebe dich.«

»Genauso wie ich dich. So eine Liebe wie die zwischen uns hat es noch nie gegeben«, fügte Ella-Loo hinzu. »Ab sofort werden wir auf unserem Weg nach New York City alles tun und alles haben, was wir wollen.«

Der erste Mord, der eigentlich ein Unfall war, ereignete sich während eines heißen Abends im August. Bis sie Mitte Januar New York erreichten, hatten sie 28 weitere Menschen umgebracht.

Und mit New York erging es Ella-Loo nicht anders als mit Darryl.

Es war Liebe auf den ersten Blick.

Kalte Windböen wirbelten den Unrat in der Gasse auf, bahnten sich heulend einen Weg aus Richtung Madison in den düsteren Gang, der zwischen den mit Graffitis verunzierten, verfallenen Beton- und roten Backsteinhäusern lag, und schnitten einem wie Messer in die Haut.

Die violetten Schatten und die Flecken kränklich gelben Lichts, die eine Handvoll funktionierender Laternen auf die Straße warfen, sahen wie Hämatome und infizierte Wunden aus.

Womöglich führten irgendwelche Bordsteinschwalben ihre Freier in der Hoffnung auf ein Minimum an Schutz vor Kälte und vor Wind in einen offenen Hauseingang, oder ein Junkie, der die nächste Dröhnung brauchte, folgte seinem Drogendealer in die ungesunde Dunkelheit.

Jeder andere jedoch, der eine Abkürzung durch diese Gasse nähme, ginge vorsätzlich das Wagnis ein, überfallen, ausgenommen, vergewaltigt oder umgebracht zu werden.

Dorian Kuper war schon tot gewesen, als er, eingehüllt in eine Plastikplane, bei den von den Ratten und dem Wind zerrissenen Säcken neben dem defekten Müllcontainer abgeladen worden war.

Er hätte also kein Problem mehr mit der Kälte, doch die Frau, die über seiner Leiche stand, zog eine Skimütze mit aufgedruckter Schneeflocke aus ihrer Tasche und setzte sie widerstrebend auf. Die kuscheligen Fäustlinge, die Dennis Mira mit dem träumerischen Blick ihr an einem eisigen Dezembertag geschenkt hatte, zöge sie aber bestimmt nicht an.

Sie dachte flüchtig daran, dass sie noch vor 24 Stunden praktisch unbekleidet an dem feinen Sandstrand der privaten Insel ihres Ehemanns gelegen hatte, der zu ihrer Freude ebenfalls fast nackt gewesen war.

Obwohl das Jahr 2061 sonnig und entspannt für sie begonnen hatte, waren sie selbst und auch der Tod inzwischen nach New York zurückgekehrt.

Also beugte sich Lieutenant Eve Dallas mit zwar nackten, aber eingesprühten Händen über den Toten, sah ihn aus zusammengekniffenen braunen Augen an und stellte fest: »Tja, Dorian, da hat dir aber irgendjemand ganz schön zugesetzt.«

»Er hat eine Adresse in der Upper West Side, Dallas.« Ihre Partnerin, Detective Peabody, trug einen pinkfarbenen Mantel, warme pinkfarbene Boots mit Puschelrand und einen Schal in allen Regenbogenfarben, der ein halbes Dutzend Mal um ihr Gesicht gewickelt war.

»38 Jahre alt, alleinstehend. Er hat das erste Cello bei der Met gespielt.«

»Was macht ein Cellist, der in der Upper West Side lebt, tot in der Mechanic Alley? Auch wenn er nicht hier ermordet worden ist? Die Plane und sein Körper sind voll Blut, die Fesselspuren an den Hand- und Fußgelenken und ein paar der Schürfwunden und blauen Flecken sehen aus, als wären sie ein, zwei Tage alt. Wie alt genau, wird Morris für uns rausfinden.«

»Er hat zahlreiche Schnitt- und Stichwunden, Verbrennungen und Hämatome«, stellte Peabody nach einem Blick aus Augen, die ein wenig dunkler waren als die des Lieutenants, fest. »Die meisten eher oberflächlich, aber …«

»Einige auch nicht. Den Abschürfungen und den Schnitten in den Hand- und Fußgelenken und den Mundwinkeln zufolge war er offenbar gefesselt und geknebelt, während er gefoltert worden ist. Wahrscheinlich ein, zwei Tage lang, bevor der Täter irgendwann die Lust verloren hat. Und dann … hat er ihm einen letzten Schnitt von links nach rechts über den Bauch verpasst und ihn verbluten lassen, was bestimmt sehr schmerzhaft war und eine halbe Ewigkeit gedauert hat.«

Sie zog den Untersuchungsbeutel auf, zerrte ein Messgerät heraus und stellte den genauen Todeszeitpunkt fest. »22.20 Uhr gestern Abend.«

»Er ist als vermisst gemeldet, Dallas. Die Vermisstenmeldung ging erst vor fünf Stunden raus. Sie kam von seiner Mutter. Ah … okay. Vorgestern Abend kam er nicht zur Probe, ging nicht an sein Handy, hat dann gestern Nachmittag den Unterricht, den er einem der Schüler an der Juilliard gibt, versäumt und kam auch gestern Abend nicht zur Aufführung.«

»Das heißt, dass er vor zwei Tagen verschwunden ist. Finden Sie raus, wer die Vermisstenmeldung aufgenommen hat, und fragen, was genau die Frau zu Protokoll gegeben hat. Danach werden wir sie informieren, dass ihr Sohn gefunden worden ist.«

Noch immer in der Hocke, schaute Eve sich das Gesicht des Toten an. Auf seinem Passbild sah man einen attraktiven Mann mit grünen, flirtbereiten Augen, langem, dichtem blondem Haar und einem feingemeißelten Gesicht mit einem hübsch geschwungenen Mund.

Der Killer hatte ihm die Haare abgesäbelt und nur ein paar dürre Büschel neben Schnitt- und Brandwunden auf seinem Schädel hinterlassen, kleine Kreise, die wie schwarze Grübchen aussahen, hatte er in die Wangen des Musikers gebrannt. Die geplatzten Äderchen im Weiß der Augen sahen wie Spinnennetze aus. Die meiste Energie und Kreativität hatte der Mörder jedoch in die qualvolle Misshandlung seines Leibs und seiner Gliedmaßen gesteckt. Auch ohne Obduktion waren die zahlreichen gebrochenen Knochen deutlich zu erkennen, und Chefpathologe Morris würde sicher feststellen, dass auch die Organe schwer geschädigt waren.

»Ein Teil der Verbrennungen ist klein und sehr präzise. Wahrscheinlich stammen sie von einem Lötkolben oder von einem anderen Werkzeug in der Art. Aber sehen Sie die Verbrennungen auf seinen Handrücken? Sie sind viel größer und auch nicht kreisrund. Jemand hat dort Zigaretten, einen Joint oder eine Zigarre ausgedrückt. Er war Cellist. Ein Cello ist so was wie eine Geige, richtig?«

»Nun, es ist …«, Peabody zog die Form des Instruments mit ihren Händen nach und tat, als würde sie behutsam einen Bogen über die imaginären Saiten führen.

»Eine dicke, fette Geige. Habe ich das nicht gesagt? Für die man die Hände braucht. Wenn man seine Handrücken verbrannt, vier Finger der rechten Hand gebrochen und die linke Hand mit einem schweren Gegenstand zertrümmert hat, ist es vielleicht etwas Persönliches. Auch das Absäbeln der Haare und dass man ihn nackt hier abgeladen hat, könnte was Persönliches sein.«

Eve hob eine seiner Hände hoch und schaute sich im Licht der Taschenlampe die Nägel an. »Ich sehe keine fremde Haut und keinen Hinweis darauf, dass er sich gewehrt hat.« Sie bewegte vorsichtig den Kopf der Leiche und betastete den Hinterkopf. »Aber dahinten hat er eine dicke Beule.«

»Vielleicht hat er sich mit jemandem gestritten«, begann ihre Partnerin. »Vielleicht hat er ihm dabei irgendwann den Rücken zugewandt und der andere hat zugeschlagen, war dann aber immer noch so wütend, dass er ihn gefesselt, geknebelt und dann stundenlang gefoltert hat.«

»Für mich wirkt das hier nicht wie Wut.« Eve schüttelte den Kopf, und als sie wieder aufstand, riss der Wind an dem langen Ledermantel und ließ ihn um ihre Beine knallen. »Aber nach Geduld oder nach einem sorgfältig zurechtgelegten Plan sieht’s auch nicht aus. Wissen Sie noch, der Bräutigam?«

»Ich glaube nicht, dass ich den je vergessen werde«, gab die Partnerin zurück.

»Er hat aus der Folter eine Wissenschaft gemacht. Für ihn war Folter Arbeit. Aber das hier wirkt auf mich eher wie ein Spiel.«

»Ein Spiel?«

»Wenn jemand wütend ist, geht er normalerweise direkt auf den anderen los. Vor allem hätte er es dann hauptsächlich aufs Gesicht des anderen abgesehen, zumal wenn es eine persönliche Beziehung zwischen ihm und seinem Gegenüber gibt.«

Bei Dorian aber hatte sich der Täter weniger auf das Gesicht als auf den Körper konzentriert, als hätte er dem Opfer bis zum Ende in die Augen sehen wollen oder als hätte man ihn auch als Toten noch erkennen sollen.

»Vor allem foltert man aus reiner Wut nicht 48 Stunden lang. Dafür müsste man außer wütend auch noch völlig irre sein. Und wenn man wütend und vollkommen irre wäre, würde man mit den Fäusten auf sein Gegenüber losgehen. Dorians Genitalien sind zwar geschädigt, aber nicht so sehr, wie man erwarten würde, hätte Dorian Streit mit einer Exfreundin oder mit einem Ex-Lover gehabt. Aber natürlich schließen wir die Möglichkeit erst mal nicht aus.«

Eve blickte Richtung Madison, drehte sich um und sah nach Norden Richtung Henry Street.

»Der Killer brauchte ein Transportmittel und kam wahrscheinlich durch die Madison. Die Fundstelle des Opfers deutet darauf hin. Das Opfer ist 1,77 m groß und 70 Kilo schwer. Die Leute von der SpuSi sollen gucken, ob die Plastikplane mit der Leiche über den Asphalt gezogen wurde, aber danach sieht’s für mich nicht aus. Bei diesem Licht ist das nur schwer zu sagen, aber ganz egal, ob sie gezerrt oder getragen wurde, hätte man dafür entweder Hilfe oder jede Menge Kraft gebraucht. Die Kollegen sollen auch die Anwohner befragen«, fügte sie hinzu und blickte zu den dunklen Fenstern der Gebäude auf. »Aber natürlich ist es mitten in der Nacht, dazu mitten im Winter, und bei dieser Kälte friert man sich hier draußen regelrecht die Nippel ab.«

»Den Arsch.«

»Warum? Egal«, kam Eve einer Erläuterung durch ihre Partnerin zuvor. »Im Grunde ergibt beides keinen Sinn. Denn schließlich hat man bei dem Wetter seine Nippel und auch seinen Arsch so gut wie möglich eingepackt. Wobei ich noch vor 24 Stunden nur mit ’nem Bikini ausgekommen bin.«

»Dann war Ihr Urlaub also schön?«

»Er war nicht schlecht.«

Blauer Himmel, blaues Wasser, weißer Sand und Roarke an ihrer Seite. Nein, das war bestimmt nicht schlecht.

Aber jetzt war es vorbei.

»Jetzt rufen wir die SpuSi und den Leichenwagen und bestellen zwei Leute von der Trachtengruppe, die hier Wache stehen.« Sie sah auf ihre Uhr. »Als Erstes nehmen wir uns die Wohnung unseres Opfers vor. Es macht keinen Sinn, um diese Uhrzeit seine Mutter aufzuwecken und ihr mitzuteilen, dass er nicht mehr lebt.«

Eve zerrte sich die Mütze über die kalten Ohren, ließ dabei die Taschenlampe fallen, und als sie sich bückte, um sie aufzuheben, landete ihr Blick auf einer Stelle an der Leiche, auf die zufällig das Taschenlampenlicht fiel.

»Moment. Ist das … geben Sie mir die Mikrobrille, Peabody.«

»Haben Sie etwas gesehen?«

»Um das zu sagen, sehe ich besser noch mal genauer hin.«

Sie kniete sich neben den Toten und verdrehte seinen linken Arm.

»Verdammt, das hätte ich tatsächlich beinah übersehen.«

»Was?« Die Partnerin zog eine Mikrobrille aus dem Untersuchungsbeutel, drückte sie ihr in die Hand und reckte den Kopf, um sich auch selbst die Stelle anzuschauen, auf die der Taschenlampenstrahl fiel.

»Das ist ein Herz. Bei all dem Blut und all den Abschürfungen hätte ich es beinah übersehen. Natürlich hätte Morris es entdeckt, wenn der Tote auf seinem Tisch liegt, aber bei dem schlechten Licht hier ist es kaum zu sehen.«

»Ich sehe es auch jetzt noch nicht.«

»Direkt unter der Achselhöhle.« Mit der Brille auf der Nase beugte Eve sich über Dorians Arm und zog die Umrisse des Herzens mit der Fingerspitze nach. »Zweieinhalb Zentimeter breit und hoch. Präzise wie ein echt teures Tattoo. Mit Initialen in der Mitte. Einem E und einem D.«

»D für Dorian.«

»Könnte sein.« Vor allem rückte es die Sache in ein völlig neues Licht. »Vielleicht war es ja doch ein Streit zwischen Geliebten«, überlegte sie. »Hat er wohl noch gelebt oder war er schon tot, als er das Herz in seinen Arm geritzt bekommen hat? Ist es eher ein Statement oder einfach eine Signatur? Auf alle Fälle ist es eine sehr präzise Arbeit, für die sich der Killer Zeit genommen hat.«

»McQueen hat seinen Opfern Zahlen in die Haut geritzt«, erinnerte sich Peabody. »Damit wir wissen, wie viele es sind. Vielleicht ist ja das E die Signatur des Täters oder auch der Täterin. Vielleicht hat E das Opfer ja gestalkt und eine kranke, eingebildete Beziehung zu dem armen Dorian entwickelt. Und da kranke, eingebildete Beziehungen nie ein gutes Ende nehmen, hat der Killer Dorian umgehauen, gefesselt und geknebelt, stundenlang gefoltert, umgebracht und ihm danach das Herz mit ihrer beider Initialen in den Arm geritzt.«

Das war tatsächlich eine gute, logische und grundsolide Theorie.

Eve nickte zustimmend. »So könnte es gelaufen sein.«

»Vielleicht ist dies ja nicht die erste kranke, eingebildete Beziehung, die der Täter hat.«

»Auch das ist durchaus möglich«, stimmte Eve ihr zu, stand wieder auf und nahm die Brille ab. »Vielleicht gibt’s in der Datenbank des IRCCA ähnliche Verbrechen. Aber erst mal sehen wir uns in Dorians Wohnung um. Vielleicht finden wir dort einen Hinweis darauf, wen er kannte, dessen Vorname mit einem E anfängt.«

»Die Mutter lebt im selben Haus«, erklärte Peabody, als Eve einem Kollegen von der Trachtengruppe winkte, der am Eingang der düsteren Gasse Wache stand.

»Dadurch sparen wir Zeit. Wir sehen uns erst in seiner Wohnung um, und danach informieren wir sie.«

»Sie spielt auch in dem Orchester. Babycello.«

»Haben Cellos Babys?«, fragte Eve.

»Das war ein Witz. Sie spielt die Erste Geige. Geige – Babycello – na, Sie wissen schon.«

»Haha. Sie lebt also im selben Haus wie er und hat dazu noch fast denselben Job. Da müsste sie doch wissen, wen er kannte, dessen Vorname mit E anfängt, wie er mit den Kollegen ausgekommen ist und wie es um sein Liebesleben stand.«

Eve wandte sich zum Gehen, sprach kurz mit den Beamten, und nachdem sie abgesehen von den beiden Polizeidroiden, die das Mordopfer gefunden hatten, keine Zeugen zu dem Fall hätte vernehmen können, schwang sie sich hinter das Lenkrad ihres Wagens, drehte die Heizung hoch, nahm die verfluchte Mütze ab und atmete erleichtert auf.

»Schade. Mit der Mütze sehen Sie echt niedlich aus.«

»Wenn ich niedlich aussehen wollte, wäre ich bestimmt nicht bei der Polizei.« Sie fuhr sich mit den Fingern durch das kurze, plattgedrückte braune Haar. »Adresse, Peabody.«

»71. West, zwischen Amsterdam und Columbus.«

»Ganz schön weit weg von dort, wo er am Schluss gelandet ist.« Allmählich tauten ihre Finger auf, und es kam ihr so vor, als stäche jemand ihr mit tausend Nadeln in die Haut.

Sie ließ den Motor an und dachte dankbar an den gut bestückten AutoChef, mit dem ihr äußerlich bescheidenes, von Roarke jedoch mit allen technischen Finessen ausgestattetes Gefährt versehen war.

Für einen anständigen, echten Kaffee würde sie in ihrem halb erfrorenen Zustand vielleicht sogar einen Mord begehen.

Sie drückte auf den Knopf des AutoChefs.

»Juhu!«

»Klappe, Peabody, sonst gibt es nichts für Sie.«

Der AutoChef ist eingeschaltet, Lieutenant Dallas. Was haben Sie für einen Wunsch?

»Einen schwarzen Kaffee und einen mit Milch und Zucker.«

Einen Augenblick bitte. Soll ich den Kaffee vorn servieren?

»Wo sonst?«

»Ich wusste nicht, dass er auch vorn servieren kann«, stellte die Partnerin bewundernd fest. »Ich dachte, dass so was nur hinten möglich ist. Aber hallo!«

Bitte sehr.

Der Computer schob ein Tablett mit den zwei Bechern aus dem Handschuhfach.

»Wie cooool!«, juchzte die Partnerin.

»Der Kaffee soll nicht kalt sein, sondern möglichst heiß.« Eve schnappte sich den Becher mit dem schwarzen Deckel, hob ihn an den Mund und merkte, dass ihr Kaffee, wie nicht anders zu erwarten, heiß, stark und einfach köstlich war.

Auch Peabody nahm einen Schluck aus ihrem Becher mit dem braunen Deckel, wärmte dann die Hände daran und stellte fest: »Ich liebe Ihr Gefährt!«

»Gewöhnen Sie sich besser gar nicht erst an diesen Service. Kaffee gibt’s hier nur, wenn wir um fünf Uhr nachts bei minus 20 Grad und einem Windchillfaktor von gefühlten minus 100 irgendwo im Einsatz sind. Ansonsten nicht.«

Lächelnd gönnte sich die Partnerin den nächsten wundervollen Schluck und wiederholte hartnäckig: »Ich liebe Ihr Gefährt.«

2

Als Eve die Wohnung sah, erkannte sie, dass sich mit einer dicken, fetten Geige offenbar viel Geld verdienen ließ. Das zweigeschossige Apartment lag in einem sorgsam restaurierten Haus, das die Innerstädtischen Revolten überlebt hatte und jetzt mit seinem hellen Backstein und den breiten Glasfronten ein echtes Schmuckstück war.

Als der Türsteher, der über der Livree zum Schutz vor Wind und Kälte einen klassisch schwarzen Mantel trug, sie gleich mit ihrem Rang ansprach, statt rüde zu verlangen, dass sie ihre Rostlaube woanders als vor seinem Eingang parkte, wusste sie, dass Roarke der Eigentümer des Gebäudes war und Portier Frank wie alle anderen Angestellten Anweisung erhalten hatte, möglichst kooperativ zu sein.

»Was kann ich für Sie tun, Lieutenant?«

»Dorian Kupers Wohnung.«

Er verzog das runde, freundliche Gesicht. »Das hatte ich befürchtet. Bitte, kommen Sie doch rein. Dort ist es windgeschützt. Mr. Kuper wird seit vorgestern vermisst. Dass Sie hier sind, heißt wahrscheinlich, dass Sie ihn gefunden haben, was nichts Gutes zu bedeuten haben kann.«

Sie betrat die warme Eingangshalle, lief über den weißen Marmorboden mit der feinen grauen Maserung und atmete den seltsam würzigen Geruch der Blumen ein, die sie hübsch in einer Silberurne angeordnet auf einem antiken Holztisch stehen sah.

»Wir haben ihn gefunden, und das hat nichts Gutes zu bedeuten«, gab sie unumwunden zu.

»Das wird ein fürchterlicher Schlag für Miss McKensie sein. Seine Mutter. Sie und Mr. Kuper standen sich sehr nah. Er war ein netter Kerl, Lieutenant, und hatte stets ein nettes Wort für einen übrig, wenn Sie wissen, was ich damit sagen will.«

»Wissen Sie, ob irgendwer ihn vielleicht nicht für einen netten Kerl gehalten hat?«

»Spontan fällt mir da niemand ein. Tut mir leid. Er hatte jede Menge Freunde. Sie waren häufig hier und haben gefeiert oder zusammen Musik gemacht.«

»Wie steht es mit einer festen Freundin oder einem festen Freund?«

Verlegen trat der Türsteher von einem auf den anderen Fuß.

»Alles, was Sie uns sagen können, kann uns helfen herauszufinden, wer Dorian getötet hat«, erklärte Peabody und legte aufmunternd die Hand auf seinen Arm.

»Das ist mir klar, aber es fällt mir schwer, mich über das Privatleben eines Bewohners auszulassen. Meiner Meinung nach hat Mr. Kuper sowohl Freunde als auch Freundinnen gehabt, aber was Ernstes war das nicht.«

»In Ordnung. War in letzter Zeit mal jemand hier und hat nach ihm gefragt?«, erkundigte sich Eve. »Jemand, mit dem er Streit hatte oder der wütend auf ihn war?«

»Nicht dass ich wüsste. Und in meinem Job bekommt man so was für gewöhnlich mit.«

»Okay, Frank, vielen Dank. Dann schließen Sie uns jetzt bitte die Tür von seiner Wohnung auf.«

»Sie liegt im sechsten Stock. Apartment 600. Am besten nehmen Sie Fahrstuhl eins. Aber ich muss noch die Erlaubnis einholen, um seine Tür zu öffnen. Einen Augenblick.«

»Ich habe einen Generalschlüssel dabei und mache uns am besten einfach selber auf.«

Nickend trat der Türsteher vor den Computer, der auf dem Empfangstisch stand. »Die Empfangsdroidin steht noch hinten. Sonst wird sie immer erst später aktiviert. Um diese Uhrzeit ist normalerweise alles ruhig, da brauche ich sie nicht. Der Fahrstuhl steht bereit, Lieutenant.«

Er räusperte sich leise, während Eve zusammen mit Peabody den Lift bestieg. »Ah, weiß seine Mom es schon?«

»Wir werden mit ihr sprechen, nachdem wir in seiner Wohnung waren. Wie Sie eben sagten, ist es schließlich noch sehr früh, und es gibt keinen Grund, sie mit einer solchen Nachricht aus dem Bett zu holen.«

»Sie wird vollkommen fertig sein. Die beiden haben einander abgöttisch geliebt.«

Obwohl Eve keine Ahnung hatte, wie es war, wenn eine Mutter und ein Kind sich derart liebten, nickte sie, bevor die Tür des Lifts sich schloss.

Wir fahren in den sechsten Stock, verkündete eine Computerstimme und bewies, dass Frank genauso effizient wie jeder noch so ausgeklügelte Droide war.

»Er war also ein netter Kerl mit einem großen Freundeskreis, hat seine Mutter abgöttisch geliebt und stand auf Männer und auf Frauen«, überlegte Eve. »Keine schlechte Ausbeute für ein Gespräch mit einem Türsteher.«

»Der arme Frank sah wirklich traurig aus«, bemerkte Peabody. »Und wenn der Türsteher schon um ihn trauert, kriegen wir’s bei den Ermittlungen wahrscheinlich noch mit jeder Menge Trauernder zu tun.«

»Wenn Sie mit fröhlichen und gut gelaunten Menschen sprechen wollen, hätten Sie nicht zum Morddezernat gehen sollen. Am besten gar nicht erst zur Polizei«, erklärte Eve.

Die Fahrstuhltür glitt wieder auf, und sie betraten einen breiten Flur mit einem eleganten grauen Teppichboden, Bilder alter Meister hingen an den Wänden, und durchsichtige Vasen voll weißer Blumen standen auf sanft geschwungenen, halbrunden Tischchen zwischen den verschiedenen Wohnungstüren.

Dorians Apartment, das am weitesten vom Lift entfernt in einer Ecke lag und somit Fenster nach zwei Seiten hatte, schien eine der besten Wohnungen in einem erstklassigen Haus zu sein. Das Spielen einer dicken, fetten Geige brachte offenkundig wirklich jede Menge Geld ein.

»Die Wohnung ist hervorragend gesichert«, sagte Eve und schaltete ihren Rekorder ein. »Mit Kamera, doppeltem Polizeischloss und mit einem Handlesegerät.«

Sie schob den Generalschlüssel ins Schloss, öffnete den rechten Teil der Flügeltür, und sofort gingen in der Wohnung angenehm gedämpfte Lichter an.

»Schön, aber nicht hell genug. Licht hundert Prozent«, bat sie, und Peabody sah sich mit großen Augen um.

»Aber hallo. Nobel, nobel.«

Klassisch europäisch, dachte Eve. Die Art von Einrichtung, die Roarke gefiel. Kräftige Farben, dunkles, warm schimmerndes Holz, glänzendes Silber und Kristall, hochlehnige, sanft geschwungene Stühle, deren Polsterung so dick war, dass man regelrecht darin versank, alte, sicher teure Vasen voll frischer Blumen, Kerzenständer aus Silber, und die Wände waren mit altmodischen Landschaftsbildern, Stadtansichten, Seegemälden geschmückt.

»Am besten sehen wir uns erst einmal hier unten um und gucken, ob es ein Arbeitszimmer gibt. Vielleicht finden wir ja irgendwas auf dem Computer oder seinem Link.«

Eve schickte Peabody nach rechts, ging selbst nach links, öffnete eine Doppelschiebetür und stellte dadurch die Verbindung zwischen Wohn- und Essbereich und Küche her.

Einer durchaus beeindruckenden Küche, dachte sie, mit einem Riesenherd, zwei AutoChefs und einer kilometerlangen Arbeitsplatte in der Farbe feinen Sands. In Schubladen und Schränken lagen viele teure Küchenwerkzeuge, und in der großen, gut bestückten Speisekammer stand eine Droidin, die mit ihrem freundlichen Gesicht, ihrer gedrungenen Statur, der grauen Uniform und weißen Schürze einer altmodischen Haushälterin nachempfunden war.

»Hier ist eine Droidin!«, informierte Eve die Partnerin und suchte nach dem Schalter, um sie hochzufahren.

»Es gibt ein wirklich hübsches Gästebad und ein Musikzimmer«, erklärte Peabody, als sie auf ihrem Rundgang in die Küche kam. »Es gibt dort ein Klavier, ein Cello, einen Kontrabass, drei Violinen, Piccolo- und Querflöten. Wenn man die Schiebetüren aufmacht, wird der Raum zu einem Teil des Wohnbereichs. Das heißt, dass man hier echt gut feiern kann. Moment.«

Sie ging an Eve vorbei, griff unter den grauen Knoten im Genick der Hauswirtschaftsdroidin, drückte einen Knopf, und die bisher toten blauen Augen blitzten fröhlich auf.

Mit einem Lächeln auf den bis dahin schlaffen Lippen sagte die Droidin: »Guten Morgen, meine Damen. Was kann ich für Sie tun?«

Während Eve sich fragte, ob ihr Mann, der selbst nur einen melodiösen Hauch von Irland in der Stimme hatte, ob des ausgeprägten irischen Akzents, in dem sie sprach, in Lachen oder Tränen ausgebrochen wäre, wies sie sich mit ihrer Marke aus.

Die blauen Augen scannten die Marke ein, und die Droidin nickte knapp. »Und was, Frau Lieutenant, will die Polizei von jemandem wie mir?«

»Dallas. Lieutenant Dallas. Und Detective Peabody. Wann waren Sie letztmals aktiviert?«

»Ich werde Ihnen diese und auch alle anderen Fragen gern beantworten, sobald mir Dorian die Genehmigung dazu gibt. Der Schlingel ist bestimmt nur deshalb so früh auf, weil Sie gekommen sind.«

»Schlingel?«

»Allerdings. Ein putzmunterer Bursche, unser Dorian. Er arbeitet sehr hart, aber er feiert mindestens genauso viel und gern. Wenn Sie ihn um diese Uhrzeit aus dem Bett geklingelt haben, wird er erst mal seinen Kaffee wollen. Ich serviere Ihnen selbstverständlich gerne auch einen.«

»Dorian wird keinen Kaffee wollen. Dorian ist tot.«

Die Miene der Droidin drückte ehrliches Entsetzen aus. »Diese Information konnte ich nicht verarbeiten. Bitte wiederholen Sie den letzten Satz.«

»Könnten wir Ihren Namen haben?«, fragte Peabody.

»Ich heiße Maeve.«

»Wir müssen Ihnen leider mitteilen, Maeve, dass Ihr Dorian letzte Nacht getötet worden ist. Es tut uns leid.«

»Aber er ist jung und kerngesund.« Die Stimme und die Augen der Droidin drückten tief empfundene Trauer aus. »Getötet? Hatte Dorian einen Unfall?«

»Er wurde ermordet. Lassen Sie uns in die Küche gehen«, verlangte Eve. »Hier in der Speisekammer ist es mir zu eng.«

»Niemand würde ihm ein Leid zufügen wollen. Ich bitte um Verzeihung, aber da liegt sicherlich ein Irrtum vor.«

»Es ist kein Irrtum«, begann Eve. »Die Identifizierung war eindeutig.«

Maeve ließ sich unglücklich auf einen Hocker vor der Arbeitsplatte sinken. »Warum müssen Menschen so zerbrechlich sein?«

»Das ist mir ebenfalls ein Rätsel«, antwortete Eve. »Wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt zu Dorian?«

»Einen Augenblick bitte.« Die Miene der Droidin wurde ausdruckslos, doch dann verzog sie wieder traurig das Gesicht. »Oh Gott, oh Gott. Dem Protokoll nach ist es jetzt 62 Stunden und 18 Minuten her, dass ich von Dorian runtergefahren worden bin. Ist er bereits so lange tot?«

»Nein. Und seither hat Sie niemand aktiviert?«

»Nein.«

Warum zum Teufel hatte der Beamte, bei dem Dorian als vermisst gemeldet worden war, die Hauswirtschaftsdroidin nicht befragt? Wahrscheinlich, weil die Meldung erst vor ein paar Stunden bei ihm eingegangen war.

»War Dorian allein, als er Sie deaktiviert hat?«

»Ja. Er wollte zur Probe in die Met. Sie geben dort zur Zeit Giselle. Er hat gesagt, dass ich nicht auf ihn warten soll – wir haben oft auf diese Art gescherzt – und dass er mich morgens wecken würde, weil es bei ihm sicher später wird. Er wollte nach der Probe noch mit Freunden essen gehen. Das hat er oft gemacht.«

»Sie könnten uns doch sicher eine Liste seiner Freundinnen und Freunde sowie all der Leute geben, die zu irgendwelchen Partys bei ihm eingeladen waren.«

»Das kann ich auf jeden Fall. Ich kann diese Liste für Sie ausdrucken, auf Ihren Computer schicken oder auf einer Diskette brennen. Wie’s für Sie am besten ist.«

»Wie sieht’s mit intimen Freundinnen und Freunden aus?«

»Mein Dorian hatte einen großen, munteren Freundeskreis. Er hat hier gern gefeiert oder musiziert, aber genauso gerne ruhige Abende im kleinen Kreis oder nur mit dem Menschen, der ihm jeweils ganz besonders nahestand, verbracht.«

Hauswirtschaftsdroiden waren mitunter mindestens so gute Informanten wie Portiers, erkannte Eve. »War irgendjemand sauer, weil Dorian plötzlich jemand anderem besonders nahestand?«

»Davon habe ich nichts mitbekommen, und das hätte ich auf jeden Fall. Mein Dorian hat mir alles anvertraut, und wenn eine Trennung nicht im Einvernehmen stattgefunden hätte, hätte er mir das erzählt. Aber für diese Art von Freundschaft hat er immer Menschen ausgewählt, die auch nichts Festes wollten, denn er wollte sich nicht binden. Für ihn kam die Musik an erster Stelle. Es gab nichts, was ihm so wichtig war wie sie«, erklärte die Droidin und stieß allen Ernstes einen leisen Seufzer aus.

»Ich habe viele Stunden damit zugebracht, ihm zuzuhören, wenn ich bei der Arbeit war. Er schrieb selbst an einer Oper, wenn die Zeit es ihm erlaubte und er in der Stimmung dazu war, hat er die Arbeit daran fortgesetzt.«

»Okay.«

»Er wird mir fehlen.«

Als Eve die Brauen hochzog, fügte die Droidin kopfschüttelnd hinzu: »Das können Sie wohl kaum verstehen, es ist kein wirklich menschliches Gefühl. Aber seine Mutter hat mich als Kopie der Maeve herstellen lassen, die vor Jahren Dorians Kindermädchen war. Und diese Maeve hat ihn mindestens so sehr geliebt wie Dorian sie.«

Seltsam, dachte Eve, aber es gab jede Menge echter Menschen, die nicht annähernd so ehrlich waren wie dieser Roboter.

»Das tut mir leid.«

»Seine Mutter. Ich könnte ihr beistehen und ihr helfen, sollte sie das wollen. Die beiden waren sich von Herzen zugetan.«

»Wir richten es ihr aus. Falls Sie mir diese Liste machen könnten, auf Diskette und als Ausdruck, wäre uns das eine große Hilfe. Jetzt müssen meine Partnerin und ich uns weiter in der Wohnung umsehen.«

»Es freut mich, wenn ich Ihnen helfen kann. Können Sie mir sagen, Lieutenant Dallas, warum sich die Menschen gegenseitig umbringen? Das kann ich nicht verstehen.«

»Weil es nicht zu verstehen ist.«

Eve überließ der Partnerin die Links und die Computer und ging selbst ins Schlafzimmer, das in der oberen Etage lag.

Die Schublade des Nachttischs war nicht wirklich überraschend mit Kondomen und diversem Sexspielzeug gefüllt. Das zeigte, dass er sexuell ein aufgeschlossener, neugieriger Mensch gewesen war. Die wenigen ausnahmslos legalen Pillen in der zweiten Lade machten deutlich, dass er kerngesund gewesen war.

Den teuren Cremes und Shampoos nach hatte er Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt, die verschiedenen Klamotten in dem gut gefüllten Schrank – von förmlich elegant bis Grunge – bewiesen, dass er offen für verschiedene Trends gewesen war.

In einer Schrankecke fand sich ein kleiner Safe, und Eve war stolz auf sich, dass sie ihn als gute Schülerin von Roarke problemlos aufbekam.

Neben etwas Bargeld lagen dort sein Pass und eine kleine Sammlung Armbanduhren und Manschettenknöpfe, die jedoch nicht weiter ungewöhnlich und durchaus im Rahmen dessen, was er sich wahrscheinlich leisten konnte, waren.

Dazu hatte Dorian noch ein kleines Arbeitszimmer neben seinem Schlafzimmer gehabt, es aber offenkundig nur für das Bezahlen irgendwelcher Rechnungen und das Führen des Terminkalenders, in dem Proben, Aufführungen, Reisen, Einladungen aufgelistet waren, genutzt.

Auch die beiden Gästezimmer waren nach dem Geschmack des Opfers eingerichtet und bezeugten, dass die Hauswirtschaftsdroidin ein besonderes Talent zu Ordnung und zu Sauberkeit besaß.

»Ich habe Maeves Liste, ausgedruckt und auf Diskette«, sagte Peabody, als Eve wieder nach unten kam. »Sie ist echt lang. Nachdem ich sie bekommen habe, habe ich die arme Maeve wieder ausgestellt. Sie hat darum gebeten und noch einmal wiederholt, dass sie für Ms. McKensie da sein wird, falls sie sie braucht.«

»Das werden wir ihr ausrichten.« Eve sah auf ihre Uhr. »Wir sollten vielleicht langsam zu ihr runtergehen. Es wird ihr auch nicht helfen, wenn wir warten, bis sie aufgestanden ist. Oben ist mir nichts aufgefallen. Wie sieht’s mit Dorians Links und den Computern aus?«

»Unzählige Telefongespräche mit verschiedenen Freundinnen und Freunden, Verabredungen, Bestellungen beim Weinhändler oder beim Partyservice, lauter Sachen in der Art. Am besten sehen die elektronischen Ermittler sich die Kisten noch mal an, aber ich habe keine Streitereien, keine Drohungen, kein Stalking, nichts, was seltsam ist, entdeckt. Den Computer hat er weniger privat als für die Arbeit eingesetzt.«

»Die Arbeit?«, wiederholte Eve, löschte das Licht in Dorians Apartment und trat in den Flur hinaus. »Er hat ein kleines Arbeitszimmer in der oberen Etage, aber das hat er anscheinend nur zum Zahlen von Rechnungen und anderem Kram gebraucht.«

»Mit Arbeit meine ich Musik. Er hat einen Computer im Musikzimmer. Ich dachte erst, er steht in einem Schrank, aber in Wirklichkeit ist es ein kleiner Arbeitsplatz. Er hat dort Musik abgespeichert, Aufnahmen, die er sich anhören musste, und verschiedene, eigene Kompositionen, die noch nicht fertig waren. Etwas anderes war nicht drauf. Weder irgendwelche Mails noch andere Arbeitssachen. Nur Musik.«

»Dann sollen die elektronischen Ermittler alles abholen und sich noch mal ansehen.« Eve trat in den Flur und versiegelte die Wohnungstür. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Elektronikfuzzis irgendetwas von Bedeutung darauf fänden, aber es war immer gut, wenn man auf Nummer sicher ging.

»Kontaktieren Sie den Beamten, bei dem die Vermisstenmeldung eingegangen ist. Erklären Sie ihm, dass wir Dorian gefunden haben, und er Ihnen alles geben soll, was er bisher herausgefunden hat, auch wenn das sicher kaum was ist.«

»Okay.«

»Die Mutter hat die 508, nicht wahr?«, erkundigte sich Eve und drückte auf den Fahrstuhlknopf des fünften Stocks, während die Partnerin die E-Mail schrieb. »Haben Sie schon was vom IRCCA gehört?«

»Es ist noch früh und gerade einmal eine Stunde her, dass ich sie angeschrieben habe. Also wird es sicher noch ein bisschen dauern, bis wir was von ihnen hören. Sie glauben, dass er nicht der Erste ist?«

»Warum foltert jemand 48 Stunden lang einen Cellisten und bringt ihn am Ende um? Vielleicht war es tatsächlich was Persönliches. Vielleicht war es ja eine dieser Frauen oder einer dieser Männer, die angeblich ebenfalls nichts Festes haben wollen. Vielleicht wollte ein anderer Musiker das erste Cello im Orchester spielen. Vielleicht wusste das Opfer irgendetwas über etwas oder jemanden, was jemand anderes wissen wollte. Es gibt jede Menge Möglichkeiten. Unter anderem die, dass Dorian nicht das erste Opfer ist. Auch wenn das Herz an seinem Arm mir irgendwie zu schaffen macht. Wie viele E stehen auf der Liste?«

»Ganz genau weiß ich’s noch nicht, wobei mir auf den ersten Blick eine Elizabeth, eine Elyssa, ein Ethan und ein Edgar aufgefallen sind. Da aber auf der Liste gut 200 Namen stehen, finden wir bestimmt noch mehr.«

Inzwischen hatten sie den fünften Stock erreicht und traten vor die Tür der 508, die gleich neben dem Fahrstuhl lag. Sie war genauso gut gesichert wie die Tür von Dorians Wohnung, merkte Eve und drückte auf den Klingelknopf.

Das grüne Licht der Kamera sprang an, und eine Männerstimme sagte: »Guten Morgen. Kann ich etwas für Sie tun?«

Die Stimme hatte einen dunklen, warmen Klang und einen britischen Akzent.

»Lieutenant Dallas und Officer Peabody von der New Yorker Polizei«, erklärte Eve, während sie ihre Marke vor den Scanner hielt. »Wir müssen mit Mina McKensie sprechen.«

»Selbstverständlich.«

Er entriegelte das Schloss und öffnete die Tür.

Ein weiterer Droide, dachte Eve, dem Aussehen nach ein distinguierter Gentleman mit dichtem, dunklem Haar und Silber an den Schläfen, der den schwarzen Anzug eines Butlers trug.

»Bitte treten Sie doch ein. Ms. McKensie ist noch oben. Ich werde sie darüber informieren, dass Sie sie sprechen wollen.«

Er geleitete sie höflich in den Wohnbereich, der wesentlich moderner als das Wohnzimmer des Sohns war. Zwar war er ebenfalls ausnehmend elegant, statt dunkler hatte seine Mutter aber kräftige Primärfarben, statt Landschafsbildern kühne Kunstwerke moderner Maler und statt Polstermöbeln Leder, Glas und Chrom gewählt.

»Wenn Sie hier bitte warten würden. Nehmen Sie doch Platz, und machen Sie es sich bequem. Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?«

»Nein, danke. Sagen Sie Ms. McKensie einfach, dass wir hier sind und sie sprechen wollen.«

»Sehr wohl.«

Er nahm die elegant geschwungene Treppe in die obere Etage, und Eve sah ihm hinterher.

Die arme Frau würde es wissen, dachte sie. Sie würde sofort wissen, was passiert war, wenn sie hörte, dass die Polizei sie sprechen wollte. Würde sich an einen letzten Funken Hoffnung klammern, doch in ihrem tiefsten Innern wüsste sie Bescheid.

Tatsächlich stand sie kurz darauf in einem bodenlangen, cremefarbenen Seidenmorgenrock am Kopf der Treppe, und in ihren Augen kämpfte dieser letzte Funke Hoffnung gegen die in ihrem Innern aufsteigende Trauer an.

Sie klammerte sich am Geländer fest, um nicht zu stürzen, als sie schnellen Schritts herunterkam, und blieb Eve gegenüber stehen.

»Dorian. Bitte sagen Sie mir, was passiert ist. Sagen Sie es schnell.«

»Ms. McKensie, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Sohn getötet worden ist.«

Sie warf die Hände in die Luft, als könnte sie die Worte dadurch abwehren, während sie sich vorsichtig wie eine Invalidin in einen korallenroten Sessel sinken ließ.

»Sind Sie sich völlig sicher, dass es Dorian ist? Gibt es nicht den geringsten Zweifel?«

»Ja, wir sind uns sicher. Unser Beileid zu Ihrem Verlust.«

»Verlust? Das ist ein kleines Wort. Die meisten Dinge, die man irgendwann einmal verliert, kann man ersetzen. Einen Schlüssel oder einen Ohrring. Wenn man so etwas verliert, besorgt man es sich einfach neu. Aber …«

Sie wiegte sich sachte hin und her, und in ihren schwarzen Augen stiegen Tränen auf. »Ich wusste es. Ich wusste es. Ich wusste es. Als Dorian nicht zur Aufführung erschien. Er hätte niemals eine Aufführung versäumt. Aber ich dachte, nein, es ist … was anderes. Irgendetwas anderes. Aber er ging auch nicht ans Handy, dabei habe ich ihn angefleht, mir Bescheid zu geben, dass mit ihm alles in Ordnung ist. Er hätte nie gewollt, dass ich mir Sorgen um ihn mache. Das hätte mir Dorian niemals angetan. Sie, die Polizei, hat mir erklärt, es wäre noch zu früh für eine Vermisstenmeldung, sie könnten noch nichts tun. Aber warum nicht? Warum haben sie nicht nach ihm gesucht?«

Peabody beugte sich behutsam zu ihr vor. »Es gibt viele Leute, die sich einfach einmal eine kurze Auszeit nehmen, um für sich zu sein.«

»Aber das hätte Dorian nie getan.«

»Ich verstehe, Ms. McKensie.«

»Hätte es etwas genützt?«, stieß sie mit rauer, beinah vorwurfsvoller Stimme aus. »Wäre er, wenn Sie schon eher nach ihm gesucht hätten, jetzt noch …«

»Ich glaube, nicht.« Auf die ihr eigene sanfte Art ergriff Eves Partnerin die Hand der anderen Frau. »Ich glaube nicht, es tut mir leid. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen, Ms. McKensie?«

»Ich …« Obwohl sie ihre Augen zukniff, brachen sich zwei Tränen Bahn. »Ich brauche einen Brandy, Jarvis, bitte.«

»Selbstverständlich, Madam.«

»Einen Brandy«, wiederholte Mina und schlug ihre Augen wieder auf. »Und einen Augenblick, damit ich wieder zu mir kommen kann. Dann müssen Sie mir sagen, was ihm zugestoßen ist. Sie müssen es mir sagen und mir sagen, wo er ist, damit ich zu ihm kann. Ich muss ihn sehen.«

»Wir werden dafür sorgen, dass Sie ihn so schnell wie möglich sehen können«, sagte Eve ihr zu.

Als der Droide mit dem Brandy kam, hob sie das Glas an ihren Mund und genehmigte sich einen großen Schluck. »Ich werde nicht zusammenbrechen. Damit warte ich, bis ich alleine bin. Ich werde nicht zusammenbrechen«, wiederholte sie, auch wenn das Zittern ihrer Stimme und die Tränen auf den goldenen Wangen deutlich machten, dass sie sich nur noch mit Mühe aufrecht hielt. »Sagen Sie mir, was mit meinem Sohn passiert ist.«

»Ms. McKensie, kann ich jemandem Bescheid geben, damit er kommt, um Ihnen beizustehen?«

»Ich brauche niemanden. Ich muss nur wissen, was mit ihm passiert ist.«

»Ms. McKensie.« Eve nahm auf dem eleganten Glastisch Platz, damit sie mit der anderen Frau auf Augenhöhe war. »Was ich Ihnen sagen muss, ist sicher furchtbar hart für Sie. Falls es also einen Menschen gibt, dem Sie vertrauen, sollten wir ihn bitten, herzukommen und für Sie da zu sein, wenn Sie erfahren haben, was ihm zugestoßen ist. Wir haben mit der Hauswirtschaftsdroidin Ihres Sohns gesprochen. Sollen wir sie aktivieren und herunterholen?«

»Maeve.« Wieder brach sich eine Träne Bahn, aber sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht Maeve. Dafür ist es noch zu früh. Ethan. Ethan Chamberlin. Mein Dirigent. Und mein Geliebter. Ich habe ihn letzte Nacht gebeten heimzufahren, aber …«

»Jarvis, bitte kontaktieren Sie Mr. Chamberlin und …«

»Am besten spreche ich mit ihm«, erklärte Peabody und stand entschlossen auf.

»Jarvis, geben Sie der Beamtin seine Nummer.«

»Vielleicht gehen wir dafür nach nebenan.« Mit einer Handbewegung gab Peabody dem Droiden zu verstehen, dass er vorangehen sollte, und verließ mit ihm den Raum.

»Ich werde nicht zusammenbrechen«, wiederholte Mina. »Ich bin stark. Ich habe Dorian nach dem Tod von seinem Vater ganz alleine großgezogen. Dorian war damals erst sechs. Ich habe ihn alleine großgezogen und mir gleichzeitig eine Karriere aufgebaut. Ich werde nicht zusammenbrechen. Ich bin stark. Jetzt sagen Sie endlich, was ihm zugestoßen ist.«

»Seine Leiche wurde in der Mechanic Alley aufgefunden. Kennen Sie die Gegend?«

»Nicht besonders gut.«

»Sie liegt in der Lower East Side«, klärte Eve sie auf. »Wüssten Sie, aus welchem Grund er sich dort aufgehalten haben könnte?«

»Nein. Oh nein. Natürlich hat er Freundinnen und Freunde in der City. In SoHo, im Village, in Tribeca. Dorian hatte jede Menge Freunde. Ich will wissen, was ihm zugestoßen ist.«

»Um das genau zu sagen, ist es noch zu früh.«

»Sie wissen es. Das ist Ihr Job, nicht wahr? Sie wissen, was ihm zugestoßen ist. Ich bin seine Mutter und muss wissen, wie er umgekommen ist.«