DER TANZ DES TODES - Carter Brown - E-Book

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Carter Brown

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Beschreibung

Wenn die Primaballerina auftrat, zog sie alle Blicke auf sich. Aber der Sog des Mordes war stärker: Er fesselte die Aufmerksamkeit aller. Der Balletttänzer baumelte an einem Strick. Es bestand kein Zweifel - er war tot. Man ging von Selbstmord aus. Und darüber schienen sich seine Kollegen nicht besonders aufzuregen... Der Kriminal-Roman DER TANZ DES TODES des australischen Schriftstellers Carter Brown (* 1. August 1923 in London, England unter dem Namen Alan Geoffrey Yates; † 5. Mai 1985 in Sydney, Australien) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr. Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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CARTER BROWN

 

 

DER TANZ DES TODES

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

DER TANZ DES TODES 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © by Alan Geoffrey Yates/Signum-Verlag.

Published by arrangement with the Estate of Alan Geoffrey Yates.

Original-Titel: The Dance Of Death.

Übersetzung: Rosmarie Kahn-Ackermann und Christian Dörge.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

 

Das Buch

 

 

Wenn die Primaballerina auftrat, zog sie alle Blicke auf sich. Aber der Sog des Mordes war stärker: Er fesselte die Aufmerksamkeit aller.

Der Balletttänzer baumelte an einem Strick. Es bestand kein Zweifel - er war tot. Man ging von Selbstmord aus. Und darüber schienen sich seine Kollegen nicht besonders aufzuregen...

 

Der Kriminal-Roman Der Tanz des Todes des australischen Schriftstellers Carter Brown (* 1. August 1923 in London, England unter dem Namen Alan Geoffrey Yates; † 5. Mai 1985 in Sydney, Australien) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr. 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

DER TANZ DES TODES

 

  Erstes Kapitel

 

 

Ich fuhr den Austin Healey vorsichtig über die Schlaglöcher und Querrinnen der Privatstraße, die eigentlich nur ein mit Hilfe einer Planierraupe gerodeter Weg war, und fragte mich, warum um alles auf der Welt sich überhaupt jemand die Mühe gemacht hatte, hier draußen ein Haus zu bauen. Die Ausläufer des Bald Mountain waren eine mit Bäumen und Gestrüpp bewachsene Wildnis, ein Nährboden für sommerliche Waldbrände, auf dem Paff-Bärs zeitgemäße Warntafeln nicht allzu viel bedeuteten. Gegen spontan ausbrechende Brände kann man sich nicht schützen.

Neben mir erwachte brummend ein leicht mottenzerfressener Brontosaurier aus seinem millionenjährigen Schlummer und blinzelte mit lethargischem Abscheu in die strahlende Helle des frühen Morgenlichts.

»He, Lieutenant Wheeler?« Sergeant Polniks sandstrahlpolierte Stimme zerriss mir beinahe das rechte Trommelfell. »Wie heißt dieser Kadaver noch?«

»Leckwick«, sagte ich. »Anton Leckwick.«

»Phhh!« Sein Adamsapfel hüpfte mitfühlend auf und nieder. »Bei so einem komischen Namen wundert's mich nicht, dass sich der Kerl umgebracht hat.«

»Ja«, sagte ich ohne ernstliche Hoffnung, dadurch das aktuelle Geplausche zu beenden.

»Und wer ist das Frauenzimmer, das angerufen und den Selbstmord gemeldet hat?«, erkundigte sich Polnik mit der ganzen unbarmherzigen Beharrlichkeit seines Einbahn-Gemüts.

»Tamayer.« Ich zuckte hilflos zusammen. »Natasha Tamayer.«

Sein vorübergehendes Schweigen war beredter als ein Schrei. »Natasha?«, wiederholte er ein paar Sekunden später wie betäubt. »Und Ballspielerin ist sie, haben Sie gesagt, Lieutenant?«

Es war zu spät, zu bedauern, was ich dem Sergeanten bereits mitgeteilt hatte. Nun blieb mir keine andere Wahl, als mich in die schlammigen Tiefen des wie auch immer gearteten Gehirnersatzes in diesem gusseisernen Schädel herabzerren zu lassen.

»Keine Ballspielerin, Sergeant«, sagte ich leichthin. »Eine Ballerina.«

»Das ist doch eine Stadt, Lieutenant«, sagte er zuversichtlich. »Etwa dreißig Kilometer nördlich von Long Beach, nicht?«

»Eine Ballerina ist eine Tänzerin«, knurrte ich. »Sie tanzt im Ballett.«

»Wo ist das?« Seine Neandertalerstirn furchte sich schreckenerregend. »Irgendwo in der Nähe von Rose Bowl, nicht?«

»Sie tanzt im Ballett«, seufzte ich. »Genauso, wie ein Schauspieler im Theater spielt.«

»Ja?« Er nickte langsam, so als ob er nachhaltig beeindruckt wäre. »In welchem Theater, Lieutenant?«

In diesem Augenblick gab ich auf, hauptsächlich, um meine eigene geistige Gesundheit zu bewahren. »In dem... in der Nähe von Rose Bowl wo sonst?«, zischte ich.

»Ich bin nie dort gewesen«, sagte er einfach. »Meine Alte hält nichts von dem Hüftgewackel.«

»Hüftgewackel?« Seiner Logik zu folgen hatte etwas fatal Faszinierendes, selbst wenn einen dies geradewegs auf die Bahn des Wahnsinns-Gestammels führte.

»Klar«, grunzte er. »Wenn sie schon Natasha heißt, muss das Frauenzimmer eine exotische Tänzerin sein, nicht?« Er betrachtete mich eifrig aus einem Augenwinkel. Dann räusperte er sich sachte, bevor er anhob, meine Unwissenheit zu beheben. »Eine exotische Tänzerin, Lieutenant«, erklärte er bedächtig, »ist der feine Ausdruck für eine Striptease-Tänzerin.«

Barmherzigerweise tauchte in diesem Augenblick, als wir eben um die letzte Biegung des gewundenen Wegs gebogen waren, das Haus vor uns auf. Es bestand aus einer irren Anhäufung von Giebeln, Türmchen und Balkonen, alles in großem Maßstab, und sah aus, als sei es von einer Hexe aufgestellt worden, um Waldturteltäubchen anzulocken. Von einer Hexe namens Natasha Tamayer? fragte ich mich halb geistesabwesend, während ich auf die Bremse trat und den Healey in einer Staubfontäne vor der überdachten Haustür zum Stehen brachte.

Die massive Eingangstür war mit dünnem, poliertem Kupferblech überzogen, auf der die Inschrift: Ich bin die Freistatt, wenn mit der Nacht der Jäger kommt eingraviert war. Allein diese Inschrift ließ mich froh darüber sein, dass ich in einem Appartementhaus im Herzen von Pine City wohnte, in dem die einzigen verdächtigen Geräusche in der Nacht von den Jungverheirateten stammten, die vor einer Woche in das Appartement über mir gezogen waren. Ich zog an dem zusammengeknoteten Klingelzug neben der Tür. Die Bronzeglocke setzte sich langsam in Bewegung und gab ein sonores Geläute von sich, das wie das Zeichen für die umliegenden Wälder klang, ihre Toten auszuspeien. Es war eines der wenigen Male, in denen ich über Polniks beruhigend ausdrucksloses Gesicht neben mir froh war.

Etwa fünfzehn Sekunden später öffnete sich die Tür mit einem knarrenden Laut, und ich konnte vage ein schlankes, Faun-artiges Wesen erkennen, das in dem dunklen Flur stand und mich mit einem feierlichen Ausdruck in den dunklen feuchten Augen anblickte. Dann trat es einen Schritt vor, was es aus der Düsternis in den glänzenden Sonnenschein brachte, der unter das Vordach fiel, und ich musste plötzlich anerkennend tief Luft holen.

Ihr schimmerndes schwarzes Haar war in der Mitte gescheitelt und hinten zu einem Knoten geschlungen. Sie war groß, bewegte sich mit biegsamer Grazie und trug ein hautenges Trikot, das die Konturen ihrer kleinen, spitzen Brüste, einer unwahrscheinlich schmalen Taille und fester, gerundeter Hüften bis zu den letzten intimen Kurven und Höhlungen betonte. Ihre langen Tänzerinnenbeine verjüngten sich nach unten elegant bis zu hübschen Knöcheln; ihre Oberschenkel und Waden waren straff und elastisch, ohne muskulös zu sein, an ihren langen, schmalen Füßen trug sie schwarze Ballettschuhe aus Leder.

»Hallo!« Sie lächelte und zeigte dabei schöne weiße Zähne. »Ich bin Natasha Tamayer. Sie sind doch sicher der Bulle?«

»Bulle?«, brummte Polnik, während er sie mit herausquellenden Augen anstarrte.

Ich lauschte innerlich noch immer dem Klang der tiefen, weichen Stimme mit jenem Akzent der Selbstsicherheit nach, der im allgemeinen auf Vassar oder ein gleichwertiges College hinweist.

»Als ich in Mailand tanzte, lernte ich einen faszinierenden Mann kennen, den man deportiert hatte, weil er ein Gangster war«, erklärte sie im Plauderton. »Besagte immer Bullen, wenn er von der Polizei sprach, und so dachte ich, das sei eine Art innerdienstlicher Ausdruck? Ich gehöre schrecklich gern überall zu der mit den inneren Verhältnissen vertrauten Gruppe, weil einem das immer das herrliche Gefühl des Erwünschtseins gibt, finden Sie nicht? Bulle ist doch hoffentlich keine Beleidigung?«

Ich blickte auf den Sergeanten und sah, dass er noch immer um Fassung rang, genau wie ich, und dass von seiner Seite nicht die geringste Hilfe zu erwarten war.

»Klar, wir sind Bullen«, sagte ich mit erstickter Stimme. »Ich bin Lieutenant Wheeler vom Büro des Sheriffs und dies ist Sergeant Polnik.«

»Hallo!« Sie strahlte uns beide erneut an. »Ich bin so froh, dass Sie gekommen sind. Der Anblick dieses Knilchs, der da an der Zeder baumelt, hatte in den letzten beiden Stunden direkt etwas zunehmend Deprimierendes. Würden Sie ihn vielleicht freundlicherweise herunternehmen?«

»Ein Ambulanzwagen ist unterwegs, um diese kleine häusliche Verrichtung zu erledigen«, murmelte ich. »Wo ist - äh - dieser Anton eigentlich?«

»Im Garten hinter dem Haus«, sagte sie obenhin. »Ausgerechnet die alte Zeder unmittelbar vor den Wohnzimmerfenstern hat er sich aussuchen müssen - er war seit jeher ein rücksichtsloser Knilch so dass wir ihn entweder die ganze Zeit über ansehen oder die Vorhänge zuziehen und in einem grässlichen düsteren Zwielicht proben mussten, was natürlich lächerlich ist. Ich bringe Sie zu ihm, wenn es Ihnen recht ist.«

Sie vollzog eine graziöse Pirouette und ging ins Haus zurück. Ich folgte der federnden Bewegung ihres hochsitzenden, gerundeten kleinen Hinterteils in einer Art gefühlloser Benommenheit und hatte dabei das Empfinden, mich inmitten eines verdrehten Alptraums zu befinden und jederzeit gewärtig sein zu müssen, aus dem Bette zu fallen und auf dem Boden aufzuwachen. Polniks Elefantenschritte waren unmittelbar hinter mir vernehmbar, als wir durch den langen, dunklen Flur gingen und dann plötzlich in ein hell erleuchtetes Wohnzimmer kamen, das sich über die gesamte Länge des Hauses erstreckte und ausreichend wirkte, um eine gesamte Ballett-Truppe und ihre Verwandten gleichzeitig zu beherbergen.

Ich wurde mir dumpf einer kleinen Gruppe von Leuten bewusst, die um ein Klavier am anderen Ende des Raumes geschart stand, aber unsere Führerin ließ mir keine Zeit, mich mit so unwesentlichen Dingen wie einer näheren Betrachtung zu befassen. Mit einer wunderbar fließenden Bewegung ihres rechten Arms wies sie auf die große Fensterwand, durch die man einen Blick auf den hübschen mit Bäumen bestandenen Rasen und einen kunstvollen Springbrunnen hatte.

»Da ist er, Lieutenant«, sagte sie sachlich. »Das ist Anton - oder sollte ich sagen, das war Anton?«

Vom mittleren Fenster umrahmt, so als sei sie ah- sichtlich dorthin gepflanzt worden, um der Komposition der Landschaft einen Mittelpunkt zu verleihen, stand eine stattliche rote Zeder. Von einer ihrer stämmigen unteren Äste hing, einen dicken Stride um den Hals, der Körper eines Mannes. Er wirkte wie der Körper eines jungen Mannes von Mitte Zwanzig mit dem Gesicht eines Filmidols. Sein langes dunkles Haar fiel ihm in die Stirn und bewegte sich sanft im Wind. Er trug enge, schwarze Hosen und einen schwarzen ärmellosen Sweater aus grober Wolle, so dass seine muskulösen Arme und Beine nackt blieben. Die Spitzen seiner schwarzen Slipper berührten eben den Boden. Das Ganze erinnerte mich an die alte Redensart: »Am Ende eines Stricks tanzen.«

»Ehrlich gesagt, Anton war nie ein besonders guter Tänzer«, bemerkte Natasha Tamayer, als ob sie meinen Gedanken gefolgt sei. Vielleicht war sie eine Hexe.

»Ich glaube, wir sehen uns die Sache einmal aus der Nähe an«, sagte ich finster.

»Bitte«, sagte sie mit einem Kopfnicken. »Die Glastür ist nicht verschlossen. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich hierbleibe! Ich habe den ganzen Morgen über praktisch nichts anderes als den baumelnden alten Anton gesehen, und ich habe den Anblick allmählich ein bisschen satt. Verstehen Sie das?«

»Klar...«, ich zog eine Grimasse, »und außerdem hat Ihre Truppe dieses Jahr todsicher nicht den »Danse Macabre< in ihr Repertoire auf genommen.«

Sie kicherte beglückt. »Das finde ich ganz entzückend, Lieutenant. Ich darf nicht vergessen, es Charvossier zu erzählen, der platzt vor Lachen.«

»Bitte«, brummte ich, »bringen Sie mich nicht mit einer weiteren Leiche in Verlegenheit. Eine reicht vollauf.«

Ich öffnete die Glastür, trat, dicht gefolgt von Pol- nik, auf den sauber geschnittenen Rasen hinaus und näherte mich dem Toten. Bei genauerer Betrachtung sah ich, dass das Filmstar-Gesicht von einem starren Ausdruck der Angst verzerrt war, das seine offensichtlich kostspieligen Kronen unter den dicken Lippen entblößte. Die dunkelblauen Augen waren weit aufgerissen; es lag ein Ausdruck starren Entsetzens in ihnen. Über mir, in den höheren Zweigen der roten Zeder, zwitscherte eine Schar Vögel, völlig unbekümmert ob des drastischen Memento mori unter ihnen.

»Das werde ich nie begreifen, auch in einer Million Jahren nicht!«, sagte Polnik heiser. »Wie kann sich ein Mensch derartig scheußlich fühlen, um sich auf diese Weise umzubringen, Lieutenant?«

»Wie, glauben Sie, hat er es fertiggebracht, sich auf diese Weise umzubringen, Sergeant?«, fragte ich.

»Kein Problem«, sagte Polnik. »Er ist auf diesen Ast geklettert, hat das eine Ende des Stricks um seinen Hals geknotet und das andere um den Ast und hat sich dann einfach fallen lassen.« Seine dicken Brauen bildeten plötzlich ein Gestrüpp. »Na, so was!«, verkündete er mit Grabesstimme. »Wenn er den Strick noch ein paar Zentimeter länger gelassen hätte, so wäre er geradewegs auf seinen Füßen gelandet!«

»Ziemlich erstaunlich«, bestätigte ich. »Wollen Sie mal schätzen, wieviel er wiegt?«

Der Sergeant betrachtete den Toten ein paar Sekunden lang kritisch und zuckte dann heftig die Schultern. »Hundertsechzig Pfund, Lieutenant?«

»So etwa«, sagte ich zerstreut. »Wie war’s, wenn Sie mal Tarzan spielten und auf diesen Ast kletterten?«

»Jawohl, Sir, Lieutenant.« Polnik straffte forsch die Schultern.

Ich sah zu, wie er auf dem abgebrochenen Stumpf eines einen guten halben Meter über dem Boden herausragenden verrotteten Astes Fuß fasste und sich dann hochzog, indem er den kräftigen Stamm umklammerte und sich dagegen presste, als handle es sich um eine blonde Amazone, deren Bellen möglicherweise ebenso aufregend war wie ihr Beißen. Dann angelte er mit einem verzweifelten Ruck nach dem betreffenden Ast, erwischte ihn sicher mit beiden Händen und zog sich gleich darauf mit einem Klimmzug hinauf. Fünf qualvolle Grunzer und dann saß er beglückt rittlings oben und strahlte auf mich herab wie ein junger Hund, der zum ersten Mal erfolgreich seinen Stock apportiert hat.

»Binden Sie den Strick los und lassen Sie ihn herunter«, sagte ich. »Ich werde die Leiche auf den Boden gleiten lassen, sobald Sie den Strick nachlassen.«

Als Polnik wieder auf dem Boden stand, lag Anton Leckwicks Leiche ausgestreckt auf dem Gras, und ich war damit beschäftigt, die letzten Zentimeter des Strickendes, das um den Ast geschlungen gewesen war, zu untersuchen.

»Haben Sie was Interessantes gefunden, Lieutenant?«, fragte Polnik atemlos.

»Haben Sie je etwas von der Goddefroy-Methode gehört?«, fragte ich ohne zu überlegen.

»Herrje, Lieutenant!« Seiner Stimme war eine alberne Belustigung anzumerken. »Ich weiß nicht, ob meine Alte was dafür übrig hätte!«

»Goddefroy ist der belgische Kriminalbeamte, der so klug war, sich ein paar gute Tests auszudenken, wenn ein Strick auf die Art wie diese hier verwendet worden ist«, unterbrach ich ihn mit mordlüsterner Stimme. »Sehen Sie sich einmal das Ende hier genau an.«

Der Sergeant reckte seinen Hals nach vorne und studierte das Strickende ein paar Sekunden lang mit äußerster Konzentration. Dann blickte er erwartungsvoll zu mir auf. »Das Ende ist abgeschnitten«, sagte er erstaunt.

»Stimmt«, sagte ich. »Betrachten Sie einmal den letzten halben Meter des Stricks. Sehen Sie die Richtung, in der die Fasern langgezogen wurden?«

»Hm.« Er schüttelte in schweigender Bewunderung den Kopf. »So was!«

»Mit der Goddefroy'schen Methode hat es folgende Bewandtnis«, sagte ich leichthin. »Wenn der Strick über diesen Ast gezogen und gleichzeitig dazu benutzt wurde, um ein Gewicht zu heben, so bewirkt der Kontakt zwischen Strick und Ast, dass die Fasern in Richtung des Gewichts gezogen werden - so wie hier.«

»Ja?« Er blinzelte mich bedächtig an. »Na, das ist wirklich faszinierend, Lieutenant.«-

So sehr er seine Wimpern auch bewegte, der verständnislose Ausdruck blieb in seinen Augen; so kam ich zu dem Schluss, dass ich mich deutlicher ausdrücken musste.

»Glauben Sie vielleicht, Leckwick hat den Strick um seinen eigenen Hals gebunden, das andere Ende über den Ast geworfen und sich dann selbst hochgehievt, bis seine Zehen eben gerade über dem Boden hingen?«, fragte ich milde. »Dann hätte er den Trick beherrschen müssen, das Strickende über den Ast zu werfen - so dass es sich dort festknotete und zwar schnell genug, um zu verhindern, dass man wieder auf den Füßen landet, während das andere Ende des Stricks noch in der Luft ist!«

»Hm?« Polnik gaffte mich an.

»Goddefroys Methode beweist, dass jemand den Strick um Leckwicks Hals gebunden, das andere Ende über den Ast gezogen und ihn dann hochgezogen hat«, brummte ich. »Dann hat er vielleicht den Strick um den Baumstamm geschlungen, um Leckwick aufrecht zu halten, bis er auf den Ast geklettert war. Danach hat er das Strickende oben verknotet und das Ende, das zu lang war, abgeschnitten.«

»Lieutenant?« Polnik schüttelte zaghaft den Kopf. »Ich dachte eigentlich, der Bursche hätte Selbstmord begangen.«

»Das hat sein Mörder uns weiszumachen beabsichtigt«, sagte ich und versuchte, meine Stimme nicht so verdammt überheblich klingen zu lassen - es war ohnehin Goddefroy, dem das Verdienst gebührte.

»Oh!« Er stieß einen explosionsartigen Seufzer der Erleichterung aus. »Nun, nachdem ich weiß, dass der Bursche ermordet worden ist, fühle ich mich schon wesentlich besser, Lieutenant.«

»Ermordet?«, sagte eine tiefe, weiche Stimme erstaunt hinter mir. »Habe ich da nicht etwas von »ermordet gehört?«

Ich drehte mich um und sah in die gemäßigt neugierigen dunklen und feuchten Augen der Ballerina, die sich angeschlichen haben musste.

»Stimmt!«, brummte ich. »Leckwick ist ermordet worden, und sein Mörder hat versucht, das Ganze wie Selbstmord aussehen zu lassen.«

Natasha rümpfte angewidert ihre Patriziernase. »Wie ekelhaft! Das bedeutet vermutlich, dass wir die Bullen Tag und Nacht um uns haben werden, wie einen italienischen Impresario oder dergleichen?«

»Ganz recht«, knurrte ich.

»Eines spricht jedenfalls für die Sache.« Ihr ungeschminkter Mund verzog sich zu einem verschmitzten Lächeln. »Cissie wird die Situation entschieden im höchsten Maß genießen.«

»Cissie?«

»Meine beste Freundin, Cissie St. Jerome«, verkündete die Ballerina beiläufig. »Sie schreibt wunderschöne Gedichte, die niemand versteht, schwärmt für Pizza und trinkt Black Velvet - das verschafft einem Energie, behauptet sie immer! - und ist die ganze Zeit hinter Männern her.«

»Das ist die Sorte Frauenzimmer, von der ich immer geträumt habe«, sagte Polnik.

»Ich wusste gar nicht, dass Sie sich etwas aus Gedichten machen, Sergeant«, sagte ich leicht zittrig.

»Ich meine doch, dass sie die ganze Zeit hinter Männern her ist, Lieutenant.« Er seufzte: »Über zehn Jahre meines Lebens bin ich herumgesessen und habe darauf gewartet, bis solch ein Frauenzimmer daherkam - und dann hat sich herausgestellt, dass es meine Alte war!« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Es gibt eben keine Gerechtigkeit mehr.«

In mir tauchte plötzlich eine schwache Erinnerung auf. »Bevor wir hier herauskamen, haben Sie doch noch jemand anderen erwähnt«, sagte ich zu dem Mädchen. »Charvossier?«

»Er ist ein französischer Impresario«, antwortete sie bereitwillig. »Die französischen unterscheiden sich kaum von den italienischen; nur fangen sie damit an, einem die Hand zu küssen, statt einen in den Hintern zu kneifen.«

»Diese Leute, die um das Klavier herumstanden«, sagte ich mit matter Stimme, »waren es nicht drei - nein, vier? Ihre nymphomane Freundin, die Dichterin Cissie St. Jerome...« ich bebte hilflos, nachdem ich den Namen ausgesprochen hatte, »...und Charvossier. Wer waren die anderen zwei?«

»Laurence Beaumont«, sagte sie hilfsbereit. »Er schreibt das Szenario und hat die Choreographie für unser neues Ballett unter sich. Und der Mann, der aussieht, als ob sein Kopf ein Flammenmeer wäre, ist Dickie Gamble, der erste Solotänzer.«

»Sind das alle Leute, die im Haus wohnen?«, fragte ich nervös.

»Das sind alle«, sagte sie. »Wir brauchten absolute Abgeschiedenheit und einen Ort, an dem wir arbeiten konnten, bis dieses neue Ballett aus den Geburtswehen heraus ist.«

»Sind Sie ganz sicher, dass Sie nicht irgendwo in den oberen Zimmern ein paar abessinische Impresarios weggeschlossen haben?«, brummte ich.

»Nur wir sechs wohnen im Haus, Lieutenant«, sagte sie leichthin. »Oder vielmehr, wir waren zu sechst, bis Anton - ermordet wurde. Sonst gibt es hier niemanden.« Sie überlegte einen Augenblick. »Außer dem Voyeur, glaube ich.«

»Voyeur?« Ich starrte sie an.

»Er ist in den letzten paar Nächten hier gewesen«, berichtete die Ballerina mit ruhiger Stimme. »Wir haben ihn alle zu verschiedenen Zeiten gehört, aber niemand hat es bisher geschafft, ihn auch nur flüchtig zu sehen. Die arme Cissie schnappte beinahe über vor Aufregung.«

»Sie war wohl halbtot vor Angst, der Dreckskerl könnte jeden Augenblick in ihr Zimmer hereinplatzen?«, fragte Polnik schroff.

»Sie haben mich falsch verstanden, Sergeant«, erklärte sie liebenswürdig. »Die letzten beiden Nächte hatte Cissie die Vorhänge zurückgezogen, die Fenster weit geöffnet und sämtliche Lichter in ihrem Zimmer angeknipst. Dann verbrachte sie jede Nacht eine gute halbe Stunde damit, in ihrem Bikini-Pyjama langsam vor dem Fenster auf und ab zu spazieren und mit dem Zeigefinger freundlich einladende Bewegungen zu machen - und nichts ist passiert! Sie glaubt, sie wäre vielleicht irgendwo fett geworden, ohne es zu bemerken und somit einem sicheren Niedergang ausgeliefert.«

»Sechs Verdrehte im Haus und einer außerhalb«, stöhnte ich.

»Ich finde, die Bullen sollten sich um bessere Manieren bemühen«, sagte sie kalt.

»Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte ich verzweifelt.

»Niemand.«

»Wieso?« Meine Stimme sprang plötzlich eine Oktave höher.

»Ich wollte damit sagen«, erklärte sie vergnügt,

»dass wir alle gegen neun Uhr heute Morgen wie immer in der Küche frühstückten, und dann, als wir fertig waren, versammelten wir uns alle im Wohnzimmer, um mit der Arbeit anzufangen. Dann zog jemand die Vorhänge auf und da baumelte er direkt vor unserer Nase vor dem Fenster!

---ENDE DER LESEPROBE---