DIE HEXENFALLE - Carter Brown - E-Book

DIE HEXENFALLE E-Book

Carter Brown

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Beschreibung

Emma glaubt felsenfest, dass der Mordanschlag auf ihre hübsche Nichte den Hexen von Waters Meet zuzuschreiben ist, die ein jungfräuliches Opfer für ihre Schwarze Messe suchen. Und tatsächlich ereignen sich Dinge in dem unheimlichen Landhaus - derart mysteriös, dass selbst Fernsehautor Larry Baker hinter jedem Grabstein Hexen zu sehen glaubt; Hexen mit blutigen Händen. Aber die Wirklichkeit ist noch weitaus grauenhafter... Der Kriminal-Roman DIE HEXENFALLE des australischen Schriftstellers Carter Brown (* 1. August 1923 in London, England unter dem Namen Alan Geoffrey Yates; † 5. Mai 1985 in Sydney, Australien) erschien erstmals im Jahr 1968; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr. Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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CARTER BROWN

 

 

Die Hexenfalle

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

DIE HEXENFALLE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © by Alan Geoffrey Yates/Signum-Verlag.

Published by arrangement with the Estate of Alan Geoffrey Yates.

Original-Titel: Had I But Groaned.

Übersetzung: Sigrid Kellner.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge (Model: Victoria Borodinova).

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Emma glaubt felsenfest, dass der Mordanschlag auf ihre hübsche Nichte den Hexen von Waters Meet zuzuschreiben ist, die ein jungfräuliches Opfer für ihre Schwarze Messe suchen.

Und tatsächlich ereignen sich Dinge in dem unheimlichen Landhaus - derart mysteriös, dass selbst Fernsehautor Larry Baker hinter jedem Grabstein Hexen zu sehen glaubt; Hexen mit blutigen Händen.

Aber die Wirklichkeit ist noch weitaus grauenhafter...

 

Der Kriminal-Roman Die Hexenfalle des australischen Schriftstellers Carter Brown (* 1. August 1923 in London, England unter dem Namen Alan Geoffrey Yates; † 5. Mai 1985 in Sydney, Australien) erschien erstmals im Jahr 1968; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr. 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

  DIE HEXENFALLE

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Boris Slivka kippte ein weiteres Glas Wodka pur in sich hinein und musterte mich dann stieren Blicks, wobei ein Lächeln in seinem Bernhardinergesicht aufdämmerte. »Die Diskothek ist wirklich ganz lustig«, vertraute er mir in heiserem Flüsterton an. »...diese Musik und die komischen Pärchen auf der Tanzfläche.«

Ich ließ den Blick durch die spärlich beleuchtete Bar wandern, konnte jedoch nur ein halbes Dutzend Leute entdecken, die ausnahmslos so wirkten, als litten sie bereits unter frühmorgendlichem Katzenjammer. Es schien mir Energieverschwendung, Boris auseinanderzusetzen, dass wir die Diskothek bereits vor geraumer Zeit verlassen hatten; folglich unternahm ich auch erst gar nicht den Versuch. Etwa zehn Sekunden später stellte Boris sein Glas behutsam auf den Tisch zurück und verfiel in eine Art Trance, was mir Gelegenheit gab, mich auf die dritte Person in unserer Runde zu konzentrieren, deren rosa Haarfarbe, wie ich hoffte, nur auf einen Beleuchtungseffekt zurückzuführen war.

»Hallo!« Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Mein Name ist Larry Baker.«

»Ich weiß.« Sie seufzte tief. »Das haben Sie mir schon vor drei Stunden verraten.«

»Tatsächlich?« Ich versuchte krampfhaft, mich zu erinnern, aber es hätte eines Historikers bedurft, so tief in der Vergangenheit zu schürfen. »Und wer sind Sie?«

»Zum fünftenmal: Elaine Langdon!«

»Natürlich, jetzt erinnere ich mich«, schwindelte ich. »Boris hat Sie mitgebracht, nicht wahr?«

»Nein, ich saß an der Hotelbar und hatte mir gerade einen Drink bestellt, als Sie und Ihr Freund darauf bestanden, mir Gesellschaft zu leisten«, erwiderte sie spitz. »Sie ließen sich auch nicht davon abbringen, dass ich Ihnen helfen sollte, die Vollendung Ihres neuen Fernsehspiels zu feiern. Törichterweise dachte ich, ein Abend mit zwei Fernsehautoren könnte ganz amüsant sein. Seither waren wir in fünf verschiedenen Bars und einer Diskothek, wo Sie sich beide weigerten zu tanzen, weil das Ihren Alkoholkonsum beeinträchtigt hätte. Jetzt sind wir in diesem Totenhaus gelandet. Ihr Freund ist bereits hinüber, und Sie können sich nicht einmal mehr an meinen Namen erinnern.« Sie holte tief Luft. »Noch ein Glas, und Sie liegen lang auf dem Boden. Ich werde wohl besser ins Hotel zurückfahren und mich schlafen legen. Zu Dank verpflichtet bin ich Ihnen für diesen stinklangweiligen Abend jedenfalls nicht!«

Ich unternahm eine gewaltige Anstrengung, meine Augen zu koordinieren, offenbar mit Erfolg, denn plötzlich hatte ich sie im Visier. Die rosa Ponyfrisur umschloss ihren Kopf wie eine Kappe und endete erst etwa einen Zentimeter über unschuldsvollen blauen Augen. Die rosa Lippen litten offensichtlich unter einem akuten Mangel an männlicher Betreuung. Sie trug ein ärmelloses Jerseykleid, natürlich shocking pink - was wohl auch sonst? -, das sich eng um ihre spitzen kleinen Brüste schmiegte und von der schmalen Taille abwärts weiter wurde, bis es etwa fünfzehn Zentimeter über den wohlgeformten Knien endete.

»Sie sind hübsch«, sagte ich feierlich.

Sie zuckte ungeduldig die Schultern. »Sie riechen nach Schnaps und wissen vermutlich überhaupt nicht, was Sie sagen.«

»Ich meine es ernst«, erwiderte ich. »Was habe ich nur während der vergangenen drei Stunden gemacht, dass ich Sie gar nicht wahrgenommen habe?«

»Getrunken«, fauchte sie. »In der ersten halben Stunde haben wir uns sogar mal unterhalten, doch das wissen Sie garantiert nicht mehr.«

»Habe ich Ihnen die Geschichte meines Lebens an vertraut?« Ich zuckte bei der Vorstellung zusammen.

Sie nickte. »Einiges davon. Und dann habe ich Ihnen von mir erzählt. Damit sind wir also quitt.«

»Meine Lebensgeschichte ist mir nicht ganz unbekannt«, sagte ich, »aber wie wäre es, wenn Sie mir die Ihre noch einmal wiederholen würden?«

»Es schien so ein nettes Wochenende zu werden«, klagte sie. »Wir wollten alle zum Hotel zurück, unser Gepäck holen, und ich sollte uns drei fahren. Aber dann haben Sie beide unentwegt weitergetrunken.«

»Ein Wochenende?« Meine Stimme klang etwas belegt, während mein Geist unverzüglich die darin enthaltenen Möglichkeiten auslotete. »Lassen Sie uns doch gleich aufbrechen. Sie sind noch nüchtern und können wunderbar Chauffeur spielen.«

»Damit wir früh um vier Uhr ankommen?« Sie schüttelte den Kopf. »Außerdem bin ich mir im Hinblick auf Sie nicht mehr so sicher. Zuerst hielt ich Sie für einen guten Enthexer, aber jetzt bin ich im Zweifel. Ich meine: Kann ein Hexenmeister wirklich so viel Alkohol verkonsumieren und trotzdem noch Hexen bannen?«

Allmählich sah ich Elaine doppelt. »Ich bin der größte Hexenmeister, der Ihnen jemals begegnet ist«, verkündete ich entschlossen. »Mit einem Fingerschnalzen jage ich sie alle weg - ganz einfach so!« Ich versuchte mit den Fingern zu schnalzen, aber sie wollten mir unglücklicherweise nicht so recht gehorchen.

»Verstehen Sie, wie wichtig das ist?« Als sie sich vorbeugte, wurde aus dem Doppelwesen wieder ein einzelnes Mädchen. »Es ist mehr als Hexerei. Um ganz offen zu sein: Es ist ein Fluch!«

»Das ist für uns Hexenmeister völlig egal«, versicherte ich ihr. »Hexerei oder Fluch - ein Finger schnalzen, und alles ist vorbei. Wovon reden wir eigentlich?«

»Doch von meiner Schwester Iris und von Waters Meet.«

»Waters Meet?«, wiederholte ich verständnislos.

»Das ist der Name des Hauses«, erläuterte sie. »Es wurde an der Stelle erbaut, wo der Fluss in den See mündet, und steht unter einem Fluch. Sind Sie ein Wassergeist, Larry?« Ihre Miene erhellte sich bei dem Gedanken. »Das könnte uns vielleicht weiterhelfen. Iris hat das Haus von einer Tante geerbt, die vor einem Jahr gestorben ist«, fuhr Elaine eifrig fort. »Da wir nicht sonderlich viel Geld haben, zogen wir hinaus, zumal uns die Vorstellung reizte, statt in Bronx draußen im Grünen zu wohnen. Leider erfuhren wir nichts von dem Fluch - bis es zu spät war.«

Ich starrte sie an. »Was ist denn passiert?«

»Noch nichts«, räumte sie ein, »aber es geschehen dauernd merkwürdige« - sie schauderte zusammen - »und schreckliche Dinge. Um mich etwas abzulenken, wollte ich das Wochenende in Manhattan verbringen, aber es hat nichts genützt. Ich muss dauernd an Iris denken, obwohl das natürlich dumm ist, denn sie hat schließlich Mrs. Robins, die sich um sie kümmert, und auch Tante Emma. Allerdings braucht Tante Emma selbst Aufsicht.« Sie schloss sekundenlang die Augen und lächelte dann hilflos. »Sie sehen, es ist alles ziemlich kompliziert.«

»Vielleicht sollte Ihre Schwester das Haus samt dem Fluch verkaufen?« schlug ich vor.

Sie schüttelte den Kopf. »Das kann sie nicht. Das Haus gehört ihr nur, solange sie dort wohnt. Und Tante Emma muss ebenfalls dort bleiben. Unsere Ersparnisse sind restlos für neue Gardinen und Möbel draufgegangen, und was wir so verdienen, reicht gerade, um das Haus zu unterhalten, uns zu kleiden und ab und zu einen Abstecher in die Stadt zu machen. So sind wir also mit dem verdammten Haus und seinem Fluch geschlagen.«

»Verblüffend!« Die Stimme gehörte Boris, und der Schreck, sie so unvermutet zu hören, ließ mich fast über den Tisch springen. »Ich weiß nicht, wie die das machen.«

»Was?«, erkundigte ich mich vorsichtig.

»Das Licht, die Musik, die tanzenden Pärchen - alles ist verschwunden«, entgegnete er. »Ich habe nur einen Moment die Augen geschlossen, und plötzlich hat sich die ganze Diskothek in eine schäbige kleine Bar verwandelt. Wirklich erstaunlich.«

»Hexerei«, klärte ich ihn auf. »Ich bin der große Hexenmeister. Ein Fingerschnalzen, und die Diskothek war weg.«

»Faszinierend.« Boris blinzelte träge. »Tust du mir einen Gefallen, Genosse? Schnalz noch mal mit den Fingern. Die Diskothek war diesem Schuppen entschieden vorzuziehen.«

»Meine Kräfte gestatten mir pro Abend nur ein Fingerschnalzen«, erwiderte ich. »Außerdem braucht Elaine hier alle meine verfügbaren Hexenkünste.«

»Mein Onkel, der Großherzog, war für seine magische Persönlichkeit bekannt.« Boris strahlte das rosahaarige Mädchen an. »Auf seinen Besitzungen am Schwarzen Meer erzählte man sich, er könne eine Magd kraft seines Blickes schwängern. Vielleicht habe ich einiges von ihm geerbt?« Er schnalzte vorsichtig mit den Fingern, und wenige Sekunden später tauchte ein Kellner neben ihm auf. Boris musterte ihn angewidert. »Wenn ich etwas verabscheue, dann männliches Dienstpersonal«, sagte er klagend. »Aber da Sie nun schon einmal hier sind, möchte ich noch einen Wodka.«

»Einen Doppelten?«, brummte der Ober. »Wir schließen in fünf Minuten.«

»Dann einen Dreifachen«, erwiderte Boris schnell. »Larry?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich möchte nüchtern bleiben für die Fahrt.«

»Welche Fahrt?«

»Wir werden das restliche Wochenende in Elaines Haus auf dem Land verleben«, erklärte ich. »Sie braucht unsere Hilfe.«

»Weiße Magie?« Er wandte den Blick wieder dem Mädchen zu. »Sie sehen eher bezaubernd als verzaubert aus, meine Liebe.«

»Ich weiß nicht so recht...« Elaine betrachtete uns zweifelnd. »Ich meine, wenn Sie die ganze Zeit so weiter trinken wie heute Abend?«

»Das Fest ist zu Ende.« Ich warf Boris einen vernichtenden Blick zu. »Dieser Wodka war dein letzter. Von nun an wird sich Elaine in Gesellschaft der bekannten Antialkoholiker Slivka und Baker befinden.«

Elaine kaute an ihrer Unterlippe. »Wollen Sie im Ernst mit dem Trinken aufhören?«, fragte sie schließlich. »Oder nehmen Sie mich nur auf den Arm?«

»Ich schwöre«, gelobte ich.

»Es wäre gut für Iris, wenn sie einmal ein paar neue Gesichter um sich hätte. Sie ist schon monatelang nicht mehr aus dem Haus gewesen.« Ihre Miene verdüsterte sich. »Und dann könnten Sie die anderen - Dinge auch selbst erleben. Wenn abends der Nebel über dem See liegt, ist schwer festzustellen, ob man sie sich nur einbildet, oder nicht.«

»Wen: sie?« Boris stellte sein überdimensionales Glas behutsam auf den Tisch und starrte Elaine irritiert an.

»Es ist einfach unmöglich, so etwas zu erklären.« Sie lächelte entschuldigend. »Sie sind - nun - Phantome vielleicht. Nur kann man sie zuweilen auch hören.«

Boris schnappte sich sein Glas wieder und nahm schnell einen Schluck. »Hören?« Sein rechtes Augenlid begann langsam zu zucken.

»Reden hören. Zumindest vermute ich, dass sie sprechen, obwohl es niemals laut genug ist, dass man irgendwelche Worte unterscheiden kann.« Elaines Finger zupften am Saum ihres knappen Kleidchens, was ihn noch höher über die festen zartbraunen Schenkel emporrutschen ließ.

»Genosse?« Das Zucken in Boris’ rechtem Augenlid verstärkte sich. »Wenn wir uns schon irgendwo ein nettes, ruhiges Wochenende gönnen wollen - wie wäre es dann mit dem El Mirador in Acapulco?«

»Elaine braucht unsere Hilfe«, sagte ich fest. »Trink aus, damit wir ins Hotel zurückfahren und packen können. Und dann«, ich bedachte das rosahaarige Mädchen mit einem bedeutungsschweren Grinsen, »auf in ein wunderschönes Wochenende im Grünen.«

Boris strich sich mit der Hand über die spiegelnde Glatze. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Das hast du missverstanden, Genosse«, sagte er entschlossen. »Du magst vielleicht ein wundervolles Wochenende im Grünen verbringen, ich bleibe jedenfalls lieber hier im Asphaltdschungel. Die einzigen nächtlichen Phantome, denen ich begegnen will, tragen enge Röcke und stöckeln zu später Stunde den Broadway hinunter. Aber nimm meinen Segen. Falls ich dich nicht mehr wiedersehe, werde ich unserer Freundschaft stets ein ehrendes Andenken bewahren.«

Der Ober wählte eben diesen Augenblick, um Boris die Rechnung zu präsentieren, die jener mir mit einer von außergewöhnlicher Reaktionsfähigkeit zeugenden Geschwindigkeit zuschob.

»Du willst das Andenken an diese Freundschaft doch nicht trüben, Larry?« Er schenkte mir ein seelenvolles Lächeln. »Ich meine, du wirst dich doch zum Abschied nicht etwa knauserig zeigen?«

»Natürlich nicht.« Ich nahm die Rechnung mit großzügiger Geste an mich. »Vermutlich hast du auch ganz recht, lieber Freund. Die viele frische Luft auf dem Land wäre für deinen wodkabetäubten Organismus ein zu großer Schock.«

»Nun«, Elaine Langdon blickte mich unsicher an, »wenn Mr. Slivka nicht mitkommt, wollen Sie dann vielleicht auch lieber hierbleiben?«

Hätte ich doch bloß gestöhnt und vielleicht irgendeine plötzliche Übelkeit vorgeschützt, um dieser Einladung in die Schreckenskammer Waters Meet zu entgehen - mir wäre einiges erspart geblieben.

Aber ich verkündete: »Nichts könnte mich zurückhalten«, wobei ich dem rosahaarigen Mädchen töricht zulächelte und den Gedanken genoss, dass ich sie, nachdem Boris sich verdrückt hatte, das ganze Wochenende für mich allein haben würde.

Etwa drei Stunden später, die ersten Sonnenstrahlen färbten den Himmel rötlich, überquerten wir die George Washington Bridge, und ehe ich mich versah, rollten wir bereits über den Palisades Parkway. Elaine fuhr einen alten Sedan, der seinem früheren Besitzer als Hühnerstall gedient haben musste, aber vielleicht war dieser Eindruck auch auf meinen übernächtigten, verkaterten Zustand zurückzuführen. Ich schloss die Augen für, wie ich meinte, einige Sekunden, und als ich sie wieder aufschlug, war nichts mehr von der Stadt zu entdecken, nur hohe Bäume und jede Menge Natur. Ungefähr nach einer Stunde bogen wir in einen geschotterten Seitenweg ein, der sich schätzungsweise einen halben Kilometer zwischen mächtigen Eichen hindurchschlängelte, bis er plötzlich auf einer Lichtung endete.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Den ersten Anblick von Waters Meet werde ich niemals vergessen. Inmitten des Nebels, der träge aus dem unbewegten schilfbewachsenen See emporstieg, nahm das Haus, einem düsteren Trugbild gleich, nur ganz allmählich Gestalt an. Als wir näher kamen, sah ich, dass es an der Stelle stand, wo ein gewundenes Flüsschen in den See mündete. Es war eine dreistöckige schindelgedeckte Monstrosität mit vielen Türmchen, die sich von einem hohen moosbedeckten Steinfundament erhob. Die Schindeln sahen aus, als hätten sie in den vergangenen fünfzig Jahren dem alljährlichen Termitenkongress als Tagungsort gedient, auch mit Farbe schienen sie während dieser Zeit nicht in Berührung gekommen zu sein. Die kleinen Fenster standen in keinem Verhältnis zu den Ausmaßen der Fassade und waren durch rautenförmige, farbige Butzenscheiben noch zusätzlich verunstaltet.

Als Elaine den Wagen auf den Steinplatten vor der Veranda zum Halten brachte, hatte ich ein Gefühl, als grinse mir das Haus höhnisch zu. Nachdem sie den Motor abgestellt hatte, herrschte einen Augenblick himmlische Ruhe. Dann blickte sie mich mit etwas verlegenem Gesicht an.   

»Wenn Sie nichts dagegen haben, will ich zuerst reingehen. Es ist noch sehr früh, und vielleicht sind alle noch im Bett, aber falls doch...« Sie errötete leicht: »...nun, es ist besser, wenn ich meine Familie auf Ihre Anwesenheit vorbereite, bevor Sie sich begegnen.«

»Natürlich«, nickte ich. »Ich bleibe hier sitzen und rauche eine Zigarette.«

»Das ist auch etwas, worum ich Sie bitten wollte.« Sie errötete wieder, und ihre Wangen waren jetzt einen Ton dunkler als ihr Haar. »Mrs. Robins kann es nicht vertragen, wenn man im Hause raucht. Sie ist darin ein bisschen überempfindlich.«

»Wie war’s dann, wenn ich in den See springe?« Ich entblößte die Zähne. »Ist Rauchen dort erlaubt? Ich meine natürlich nur unter Wasser?«

»Tut mir leid, Larry.« Sie biss sich auf die Lippe. »Aber sie kann so eklig sein, wenn sie verärgert ist. Verstehen Sie?«

»Na klar. Ich werde die Luft im Hause sauber halten.«

»Sie sind ein sehr netter Mann.« Sie lächelte kurz, stieg aus dem Wagen und lief zur Verandatür, während sie in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel kramte.

Ich blickte ihr nach, bis sie im Haus verschwunden war, und steckte mir dann eine Zigarette an. Ein unbestimmter Zweifel begann sich in mir zu regen. Heute Nacht, in der Bar und davor, hatte ich Elaine für eine ausgewachsene Fünfundzwanzigjährige gehalten, mit der entsprechenden Erfahrung. Aber im hellen Morgenlicht schien sie fünf Jahre jünger und das rosa Haar nur ein Mittel zu sein, um reifer zu wirken.

»Guten Morgen!« trompetete eine Stimme in mein Ohr, dass ich beinahe durch die Windschutzscheibe gegangen wäre.

Als ich mich umdrehte, stand eine etwas merkwürdige alte Dame vor mir. Sie mochte zirka einsfünfundsiebzig groß sein und einen Zentner achtzig wiegen. Auf ihrem Kopf thronte ein riesiger blumenbesetzter Hut, ansonsten trug sie ein knöchellanges, verblichenes blaues Kleid mit womöglich noch verblassterem Blumenmuster. Ihre Füße steckten in derben Gartenstiefeln, an ihrem Arm hing ein Korb. Unter dem breiten Hutrand hervor musterten mich ein Paar scharfe blaue Augen.

»Ein herrlicher Morgen.« Während sie sprach, wogte ihr fünffaches Kinn. »Ich freue mich, dass Sie so zeitig kommen konnten. Es war schrecklich lästig.«

»Tatsächlich?« äußerte ich vorsichtig.

»Ich hasse es, jedes Mal die Schuhe ausziehen zu müssen, nur um für ein paar Minuten ins Haus zu gehen. Wenn man rauskommt, muss man sie natürlich wieder anziehen. Das hindert mich bei der Gartenarbeit. Ich denke, es liegt am Wasserspeicher.«

»Am Wasserspeicher?«, murmelte ich.

»Na, Sie sind doch der Klempner, junger Mann.« Sie stieß ein kurzes bellendes Gelächter aus, das mich noch mehr enervierte. »Aber jetzt wollen Sie vermutlich wissen, wo sie liegt?«

Elaine, die aus dem Haus kam und auf den Wagen zulief, enthob mich der Beantwortung dieser Frage. »Wie ich sehe, haben Sie Tante Emma bereits kennengelernt«, sagte sie heiter.

»Wir sind noch nicht dazu gekommen, uns bekannt zu machen«, erklärte ich.

»Tante Emma, dies ist Larry Baker, ein Freund von mir, der übers Wochenende bleibt«, sagte Elaine.

»Oh?« Die alte Dame schien enttäuscht. »Ich dachte, er sei gekommen, um die Außentoilette zu reparieren.

---ENDE DER LESEPROBE---