Die gespenstische Lady - Carter Brown - E-Book

Die gespenstische Lady E-Book

Carter Brown

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Das war's: ein altes großes Herrschaftshaus in Bald Mountain, ein öder Bau, eingeschlagene Fenster, zerbrochene Türen, und zu all dem ein unglücklicher Liebhaber mit sorgfältig durchschnittener Kehle. Und ausgerechnet in die Trostlosigkeit von Bald Mountain wurde Lieutenant Al Wheeler beordert, um einen seltsamen Mord aufzuklären. Die Familie Harvey zeigte ihm deutlich, wie unwillkommen er war. Da war nämlich Ellis, und da waren ihre zwei besonders reizvollen dunkelhaarigen Töchter Justine und Martha, ferner der weitgereiste, aber leider sehr geldgierige Onkel Ben. Und schließlich Delia, die Graue Lady, ein Familiengespenst von geradezu passionierter Schamlosigkeit und einer überraschenden und gefährlichen Neigung zum Morden. Das war wieder einmal gar keine leichte Aufgabe für den Teufelskerl, diesen nicht umzubringenden AI Wheeler...    Der Roman   Die gespenstische Lady   von Carter Brown (eigentlich Allan Geoffrey Yates; * 1. August 1923 in London; † 5. Mai 1985 in Sydney) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1964.    Der Apex-Verlag veröffentlicht   Die gespenstische Lady   in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

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CARTER BROWN

 

 

Die gespenstische Lady

 

Roman

 

 

 

 

Apex Noir, Band 16

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE GESPENSTISCHE LADY 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Das war's: ein altes großes Herrschaftshaus in Bald Mountain, ein öder Bau, eingeschlagene Fenster, zerbrochene Türen, und zu all dem ein unglücklicher Liebhaber mit sorgfältig durchschnittener Kehle. Und ausgerechnet in die Trostlosigkeit von Bald Mountain wurde Lieutenant Al Wheeler beordert, um einen seltsamen Mord aufzuklären. Die Familie Harvey zeigte ihm deutlich, wie unwillkommen er war. Da war nämlich Ellis, und da waren ihre zwei besonders reizvollen dunkelhaarigen Töchter Justine und Martha, ferner der weitgereiste, aber leider sehr geldgierige Onkel Ben. Und schließlich Delia, die Graue Lady, ein Familiengespenst von geradezu passionierter Schamlosigkeit und einer überraschenden und gefährlichen Neigung zum Morden. Das war wieder einmal gar keine leichte Aufgabe für den Teufelskerl, diesen nicht umzubringenden AI Wheeler...

 

Der Roman Die gespenstische Lady von Carter Brown (eigentlich Allan Geoffrey Yates; * 1. August 1923 in London; † 5. Mai 1985 in Sydney) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1964.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht Die gespenstische Lady in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  DIE GESPENSTISCHE LADY

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Der plötzliche Donnerschlag vor dem Fenster draußen ließ das Mädchen mit dem dunklen Haar und der interessanten silbernen Strähne aufschreien, während ihr Körper, eine ergötzliche Kombination aus fülligen Rundungen in duftiger schwarzer Spitze, zu zittern begann.

»Ich hasse Gewitter«, wimmerte sie nervös.

»Ich liebe sie«, sagte ich. »Vor einer Stunde, wenn ich mich recht erinnere, saßest du noch wie ein tiefgefrorener Eiswürfel auf meiner Couch und machtest in gepflegter Konversation. Dann brach das Gewitter los...«

»Und sieh mich jetzt an!« Sie seufzte tief. »Eins ist sicher, Al Wheeler, ich bin in der Zwischenzeit erheblich übler dran - wenn ich auch nicht klüger geworden bin.«

»Jackie, Süße«, sagte ich in schockiertem Ton, »soll das heißen, dass unser gemeinsames Erlebnis soeben nicht zu den Dingen gehört, deren Erinnerung einmal dein Alter vergolden wird?«

»Ich habe noch nie in meinem Leben einen Kerl kennengelernt, der so wie ein D-Zug rangeht«, sagte sie verdrossen. »Bevor ich mir noch im Klaren darüber war, dass dieses verdammte Gewitter das geringste meiner Probleme war, war es bereits zu spät.«

»Ich dachte, wir hätten unseren eigenen Sturm entfacht, an den selbst Mutter Natur nicht heranreicht«, sagte ich gekränkt. »Willst du behaupten, dass du die ganze Zeit über wegen dieses läppischen Gewitters Angst gehabt hast?«

»Ich glaube, ich hätte niemals meine Schuhe ausziehen dürfen. Das untergräbt immer die Moral eines Mädchens«, überlegte sie laut. »Al, bist du ganz sicher, dass sie den Blitz anziehen, genauso wie große Bäume?«

Das Telefon klingelte mit plötzlicher schriller Brutalität. Jackie schrie auf und reagierte so heftig, dass ihre obere Hälfte geradewegs aus den duftigen schwarzen Spitzen fuhr. Ich ging rückwärts in Richtung des Telefons und nahm schließlich den Hörer ab, nur ungern die Augen von dem gebotenen Anblick abwendend.

»Wetterdienst«, sagte ich in die Sprechmuschel hinein. »Wir werden eine schöne klare Nacht bekommen, und dieses Gewitter besteht lediglich in Ihrer Einbildung, Lady.«

»Wheeler?« Dieses tiefe Gebrumm konnte natürlich nur von Sheriff Lavers stammen. Wer hätte sonst auch mitten in der Nacht angerufen?

»Sie meinen Wheeler, den Polizei-Lieutenant?«, fragte ich vorsichtig. »Ich bin sein Bruder - der, der ßo lißpelt, wissen Ssie.«

»Hören Sie mit Ihren Faxen auf«, sagte er gereizt. »Wir haben wieder mal Scherereien - einen Mord. Sie gehen am besten gleich einmal dorthin.«

»Wohin?«

»In die Old Canyon Road. Hinter Bald Mountain gabelt sich die Straße, da fahren Sie rechts. Das Haus steht etwa sieben- bis achthundert Meter weiter unten an der rechten Seite. Sie können es nicht verfehlen, es gibt im Umkreis von drei Kilometern kein anderes Haus.«

»Okay«, sagte ich. »Wer ist denn tot?«

Der Sheriff machte eine um zwei Sekunden zu lange Pause, bevor er antwortete. »Das ist mir nicht ganz klar«, sagte er mit einer ersten Spur von Unsicherheit in der Stimme. »Aber sie schienen ziemlich überzeugt davon zu sein, dass er tot ist.«

»Sie?«, fragte ich.

»Die anderen, die dort im Haus sind«, erklärte er vage. »Sie hörten den Schrei und dann einen dumpfen Fall.«

»Sie hörten einen Schrei - und dann einen dumpfen Fall?«, wiederholte ich verwundert. »Niemand hat nachgesehen, um sich davon zu überzeugen? Nur um nachzuprüfen, ob er umgebracht worden ist oder vielleicht nur einen besonders schweren Anfall von Sodbrennen gehabt hat?«

»Sie hatten zu viel Angst«, sagte der Sheriff schlicht. »Und außerdem ist die Tür von innen verschlossen.«

Jackie war damit beschäftigt, ihre Gänsehaut zu bedecken. Die Gebirgslandschaft verflüchtigte sich schnell, und so hinderte mich nichts mehr daran, dem Sheriff meine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Oder vielleicht hinderte mich nur eine Kleinigkeit – meine Gehirnzellen begannen langsam, ein wenig brüchig zu werden.

»Sie könnten dort doch die Tür aufbrechen, oder nicht?«, fragte ich ohne rechte Zuversicht.

»Das könnten sie vermutlich«, gab er mit erstickter Stimme zu. »Nur der Geist könnte noch drinnen sein. Verstehen Sie?«

»Sheriff«, sagte ich sanft, »sind Sie vielleicht wieder an die Schnapsflasche gegangen?«

Vielleicht wäre das Geräusch, das an mein Ohr drang, einem weißen Jäger, der hinter einem verletzten Rhinozeros her durch den Busch schleicht, geläufig gewesen, aber ich hatte noch nie zuvor etwas dergleichen gehört.

»Werden Sie nicht unverschämt, Wheeler!«, bellte Lavers. »Möglicherweise sind das dort draußen wirklich nur ein paar Verrückte, aber andererseits haben sie vielleicht wirklich eine Leiche herumliegen. Eins ist jedenfalls sicher, was immer in dem verschlossenen Zimmer vorgefallen ist, sie werden nicht nachsehen, und das heißt, dass Sie dran glauben müssen.«

»Wollen Sie nicht doch vielleicht zuerst den Geist austreiben lassen?«, fragte ich verzweifelt.

»Ich möchte innerhalb der nächsten zwei Stunden einen detaillierten Bericht von Ihnen haben, Lieutenant«, sagte er kalt. »Wenn ich bis dahin nichts von Omen gehört habe, werden Sie aus meinem Büro entlassen und sind noch vor morgen Mittag wieder zurück bei Captain Parker von der Mordabteilung!« Es gab einen hässlichen Laut in meinem Ohr, als er einhängte.

Auf Jackies Gesicht lag ein fragender Ausdruck, als ich zur Couch zurückkam. Sie war nun wieder völlig bekleidet, bis auf die Schuhe. Und nun, da sich draußen das Gewitter etwas zu legen schien, begann in ihren Augen ein misstrauischer Ausdruck aufzutauchen. Ich hatte das instinktive Gefühl, dass mir das keineswegs gut bekommen würde.

»Wer war das?«

»Der Ruf der Pflicht, Jackie, Süße«, sagte ich sorgenvoll. »Kein Geringerer als der Sheriff. Entweder ist er übergeschnappt oder es gibt hier in diesem Distrikt einen funkelnagelneuen Mord. Das muss ich herausfinden.«

»Und was tue ich einstweilen, während du das herausfindest?«, fuhr sie mich an. »Dir ein Paar wollene Pulswärmer stricken?«

»Ich dachte, ich könnte dich vielleicht auf dem Weg dorthin zu Hause absetzen?«

»Diese Männer!« Es klang wie ein Schimpfwort. »Jetzt, nachdem alles vorüber ist, kannst du es gar nicht ab warten, mich loszuwerden, was?«

»Das ist nicht wahr.« Nun, zumindest war es nur zur Hälfte wahr. »Wenn du hier warten willst, bis ich zurück bin, ist es mir recht«, sagte ich mit überaus aufrichtiger Stimme. »Bleib die Nacht über hier, wenn du möchtest.«

»Nein, vielen Dank.« Sie wechselte mit gewohnt weiblicher Unlogik auf gewohnt weibliche Weise ihre Ansicht. »Ich würde keine Minute mehr hierbleiben, und wenn du mir ein Luxusappartement im Waldorf

Astoria einschließlich Frühstück anbötest.« Sie stand von der Couch auf und wanderte auf bestrumpften Beinen, die Schuhe sorgfältig in der rechten Hand haltend, auf die Tür zu. »Bring mich jetzt sofort nach Hause, Al Wheeler, oder ich rufe die...« Sie schüttelte erschöpft den Kopf. »Oh, zum Kuckuck! Ich vergesse das immer wieder. Bring mich nach Hause. Ja?«

»Klar«, sagte ich und holte sie an der Tür ein. »Wann sehe ich dich wieder, Jackie, Süße?«

»Wie wär’s mit Herbst?«, sagte sie eisig. »Das würde ausgezeichnet passen - wenn auch alles übrige am Absterben ist.«

Die Fahrt zu ihrem Haus verlief ausgesprochen schweigsam. Ich setzte Jackie vor ihrem Appartementgebäude ab; und der einzige Abschiedsgruß, den ich erhielt, war ein schriller Schreckensschrei, als genau im Augenblick, da sie die Haustür erreichte, ein erneuter Blitz aufzuckte. Im Bruchteil einer Sekunde war sie verschwunden, und die einzige Erinnerung an sie waren ein Paar Schuhe, die sie auf dem Gehsteig vor der Tür hatte fallen lassen. Nachdem mich die Pflicht so nachdrücklich mahnte, fand ich, dass der Zeitpunkt für Wheeler, den ritterlichen Prinzen zu spielen, nicht geeignet sei, zumal Aschenbrödel ihm ohnehin nur eines mit ihrem Besen über den Schädel gegeben hätte, wenn er innerhalb der nächsten sechs Monate wieder bei ihr aufgetaucht wäre.

 

Als ich die Old Canyon Road erreicht hatte, war das Gewitter in voller Stärke zurückgekehrt. Der Donner rollte beinahe ununterbrochen, und der Regen prasselte mit brutalem Gleichmut auf die Landschaft herab, sich über die vergeblichen Bemühungen des Scheibenwischers lustig machend. Innerhalb von zwei Minuten ließ das Segeltuchdach des Austin Healey das Wasser durch, und ein unendliches Rinnsal großer kalter Tropfen ergoss sich in meinen Nacken.

Ein lebhafter, vielfach gezackter Blitz erhellte für einen Augenblick die düstere Silhouette des Bald Mountain, und dann tauchte die Straßengabelung vor mir in dem regenschimmernden Scheinwerfer meines Wagens auf. Ich bog vorsichtig rechts ab, fuhr langsam noch zwei Minuten weiter, und dann zuckte ein weiterer Blitz über den Himmel. In seinem Licht konnte ich etwa hundert Meter weiter vorn das Haus erkennen - ein solides massives Gebäude, elfenbeinweiß im Schein des Blitzes, mit einer phantastischen Dachsilhouette, die aussah, als bestünde sie ausschließlich aus Türmchen und Giebeln - ein architektonisches Gebilde, das den Eindruck vermittelte, als sei es von Disney, Hans Christian Andersen und Graf Dracula zugleich entworfen worden. Dann wurde die Landschaft wieder in völlige Schwärze getaucht, und ich war allein mit dem Healey, dessen Scheinwerfer eine schmale Lichtstraße durch die Regenböen bahnten.

Die Zufahrt war mit ungepflegtem Kies bestreut, in den der Regen kleine Flussbette gegraben hatte. Entlang den Seiten standen nasse wildwachsende Büsche.

Ich parkte den Wagen so nahe beim Haus wie möglich, stieg dann aus und rannte auf die Eingangstür zu. Das Haus schien völlig dunkel zu sein; und nun, ohne das beruhigende Geräusch des Motors meines Healeys mehr im Ohr, begann ich, mich zu fragen, warum um alles auf der Welt ich je Polizeibeamter geworden war, wenn ich auch von der Arbeitslosenunterstützung hätte leben können.

Ein weiterer Blitz erhellte im richtigen Augenblick das Eingangsportal lange genug, um mich eine riesige Glocke an der einen Seite der massiven Haustür und dazu einen von ihr herabhängenden Strick erkennen zu lassen. Ich zog zweimal scharf daran, und die Glocke übertönte den fortgesetzt rollenden Donner wie die eherne Glocke des Jüngsten Gerichts.

Ungefähr zehn Sekunden später hatte ich das Gefühl, rapide meinen Verstand zu verlieren. Ein kleines, auf gleicher Höhe mit meinen Augen liegendes Viereck in der Tür begann in schwachem gelblichem Licht zu schimmern, das zunehmend stärker wurde. Kurz bevor mein Gehirn endgültig in den Abgrund des Irreseins stürzte, wurde mir klar, dass es sich um ein in die Tür eingesetztes Guckloch handelte - ein schwer mit Gusseisen vergittertes Glasfenster - und dass das Licht von einer Lampe stammte, die jemand trug, der sich von innen der Tür näherte. Zwei eiskalte Augen spähten unbeweglich volle fünf Sekunden zu mir heraus, dann hörte ich das Geräusch eines schweren Riegels, der zurückgeschoben wurde, und die Tür öffnete sich langsam mit lautem Quietschen nach innen.

Die Gestalt, die da stand, wirkte ganz wie die Tochter Draculas auf ihrem Weg zurück ins Grab, und ich hatte wenig Lust, ihr dabei in die Quere zu kommen. Sie war eine große, majestätisch aussehende Person, deren dichtes dunkles Haar ihr lose über den Rücken herabhing. Sie starrte mich mit geistesabwesendem Ausdruck an. Sie trug eine Art weißen Gewandes, das geradewegs von ihrem Hals hinab bis zu den Knöcheln zu wallen schien und das auf Taillenhöhe von einer dünnen silbernen Filigrankette umschlossen war.

»Was wollen Sie?«, fragte sie mit tiefer, hallender Stimme.

»Ich bin Lieutenant Wheeler«, brachte ich heraus, »vom Büro des Sheriffs.«

Sie hob den Arm, so dass der Schein der Lampe in ihrer rechten Hand voll auf mein Gesicht fiel. »Woher soll ich wissen, ob Sie die Wahrheit sagen?«, fragte sie gebieterisch.

»Glauben Sie, dass irgendjemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, in einer solchen Nacht hier heraus käme, um Bürsten zu verkaufen?«, knurrte ich sie an.

»In einer solchen Nacht kann man gar nicht vorsichtig genug sein«, fuhr sie mich ihrerseits an. »Haben Sie einen Ausweis?«

Ich zeigte ihr meine Marke, und sie betrachtete sie so eingehend, als handle es sich um einen Kreditantrag. Schließlich war sie zufrieden und trat einen Schritt zurück.

»Bitte, treten Sie ein, Lieutenant - und bitte putzen Sie Ihre Schuhe ab!«

Nachdem ich eingetreten war, schloss sie die Tür und verriegelte sie wieder sorgfältig. »Heute Nacht ist das Böse draußen ebenso wie hier im Haus selbst«, sagte sie mit sachlicher Stimme. »Der Blitz schleudert seine Feuerbälle zur Erde, und sie fahren mit herab.«

Ich hatte nicht die Absicht, mich zu erkundigen, wer sie waren, für den Fall, dass sie es mir sonst vielleicht mitgeteilt hätte.

»Hm«, sagte ich vage und räusperte mich. »Haben Sie kein elektrisches Licht hier draußen?«

»Es hat versagt«, antwortete sie, »kurz bevor er geschrien hat.«

»Der Bursche in dem verschlossenen Zimmer?«

»Henry Slocombe.« Sie nickte ernst. »Er ist natürlich tot. Der arme Narr dachte, er könnte mit seiner läppischen Wissenschaft gegen sie ankommen.«

»Ja?« Ich schluckte. »Nun, wie wär’s, wenn ich mal nachsehen würde?«

»Aber völlig auf eigene Gefahr, Lieutenant«, sagte sie, ein bittersüßes Lächeln im Gesicht. »Bitte, folgen Sie mir. Oder wollen Sie erst mit den anderen sprechen? Sie sind jetzt gerade alle im Esszimmer.«

»Ich möchte erst nach Slocombe sehen, bevor ich mit jemand anderem spreche«, sagte ich, den gefährlichen Impuls unterdrückend, sie zu fragen, ob sich jemand darunter befände, der normal sei.

Sie glitt mit fließenden Bewegungen vor mir her durch den breiten Korridor und dann eine gewundene Treppe empor zum oberen Stock des Hauses. Als wir schließlich vor einer Tür haltmachten, hatte ich bereits jeden Zeit- und Orientierungssinn verloren. Ich hatte das vertraute Gefühl eines Alptraums, bei dem man weiß, dass man irgendwie aus der Situation, in der man sich befindet, herausfinden muss. - Aber wie?

Die statuarische Dunkelhaarige hielt die Lampe hoch, und die gelben Lichtstrahlen beschienen eine Tür, die aussah, als bestünde sie aus gut sechs Zentimeter dickem Eichenholz. Ich rüttelte ein paarmal vergeblich am Türknauf und gab es dann auf.

»Sie ist von innen verschlossen, Lieutenant«, sagte sie ruhig. »Henry Slocombe war ein ebenso tapferer wie dummer Mann.«

»Nachdem Sie den Schrei gehört hatten, kam vermutlich niemand auf den Gedanken, eine Leiter ans Fenster zu stellen und einen Blick ins Zimmer zu werfen, um nachzusehen, was los ist?«, erkundigte ich mich mürrisch.

»Das wäre sinnlos gewesen«, sagte sie. »Das Fenster dieses Zimmers ist, solange ich mich erinnern kann, mit Brettern verschalt gewesen.«

Ich zog den .38er aus meinem Gürtelholster und blickte sie dann fragend an. »Stört es Sie, wenn ich das Schloss zerschieße?«

»Tun Sie, was Sie für notwendig halten, Lieutenant«, sagte sie entschlossen. »Nur - wenn es Ihnen nichts ausmacht - würde ich vorziehen, währenddessen nicht mit dabei zu sein. Er könnte ja noch immer da sein - im Zimmer, verstehen Sie?«

»Er?«, sagte ich mit erstickter Stimme.

»Der materialisierte Dämon, der Slocombe umgebracht hat«, erklärte sie in dem geduldigen Ton, den die Leute normalerweise etwas zurückgebliebenen Kindern gegenüber anwenden. »Ich glaube, es ist die Graue Dame gewesen, obwohl es in einer Nacht wie dieser nicht unmöglich ist, dass auch Astarte oder Asmodeus erschienen sind.«

Ich wandte mich entschlossen dem wesentlichen Punkt der Angelegenheit zu. »Wer bekommt die Lampe?«, fragte ich kalt.

»Ich brauche sie nicht, ich finde hier im Haus meinen Weg auch ohne sie«, sagte sie gleichmütig. »Bitte, nehmen Sie sie, Lieutenant.«

Wie betäubt nahm ich die Lampe aus ihrer ausgestreckten Hand und beobachtete dann, wie sie von dannen glitt. Ein paar Sekunden lang schimmerte ihr weißes Gewand noch wie der Geist eines Verstorbenen, dann wurde es von der Dunkelheit verschluckt.

Ich holte tief Luft und schoss zweimal in das Schloss. Der betäubende Krach hämmerte gegen mein Trommelfell, während ich einen Fuß hob und kräftig gegen die eichene Türfüllung stieß. Die Tür klemmte noch einen Augenblick lang und schwang dann nach innen auf.

Zwei zögernde Schritte brachten mich in das Zimmer hinein, während sich meine Nackenhaare unbehaglich sträubten. Die Luft war abgestanden und voll eines schweren üblen Geruchs, als ob irgendein unsauberes Tier drinnen sein Lager aufgeschlagen hätte. Ich hielt die Lampe mit der Linken über meinem Kopf, mit der Rechten hielt ich noch immer die Pistole umklammert. Die Lichtstrahlen erhellten trübe die dunklen modrigen Wände. Die über die Fenster genagelten Bretter waren rissig und vor Morschheit mit Löchern übersät.

Das Mobiliar war spärlich - ein Bett mit hohen Pfosten, über dem eine Überdecke aus Drillich lag. Ein runder Säulentisch und zwei Stühle mit geschnitzter Rücklehne. Der blumengemusterte Teppich war bis zur Fadenscheinigkeit durchgescheuert. In verblüffendem Kontrast hierzu stand auf dem Tisch ein teuer aussehendes Tonbandgerät, das leise vor sich hin summte, während auf einem der Stühle eine Aktenmappe lag. Vermutlich handelte es sich bei dem Mann, der, das Gesicht nach unten, auf dem Teppich zu Füßen des Bettes lag, um den Besitzer dieser beiden Gegenstände.

Ich stellte die Lampe auf den Tisch neben das Tonbandgerät - das verdammte Summen begann mir auf die Nerven zu gehen - und stellte den Apparat ab, bevor ich neben dem ausgestreckt daliegenden Körper niederkniete und ihn sachte auf den Rücken rollte. Das Gesicht des Mannes war jung - er mochte Mitte Zwanzig sein - und auf eine dunkle, scharf geschnittene Weise hübsch. Die Augen standen weit offen und starrten mit eisigem Entsetzen zu mir empor.

Der starke Gestank drang mir in die Nase, als ich hastig wieder auf stand und die Welle von Übelkeit, die in mir hochstieg, hinunterkämpfte. Eine halbe Minute später hatte ich mich wieder genügend unter Kontrolle, um einen zweiten Blick auf die Leiche zu meinen Füßen werfen zu können. Henry Slocombe war in der Tat tot - jemand hatte mit der grausamen Geschicklichkeit eines Berglöwen seine Gurgel herausgerissen.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Unten an der Treppe wartete geduldig der Geist einer Verstorbenen auf mich. Als ich näher kam, ließ der Schein der Öllampe die Lichter auf ihrem dichten, glänzenden schwarzen Haar aufblitzen und beleuchtete den unbekümmerten Ausdruck ihres Gesichts, ihre glatte und alabasterweiße Haut.

»Er ist tot, nicht wahr?«, sagte sie leise.

»Ja«, sagte ich.

»War es...«, sie zögerte ein paar Sekunden, »...seine Gurgel?«

»Woher wissen Sie das?«