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J. Kenner

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Beschreibung

Nikki und Damien Stark führen eine erfüllte Ehe voller Vertrauen und unbändiger Leidenschaft. Doch schmerzhaft müssen sie erfahren, dass auch das größte Glück zerbrechlich ist. Gerade als ihr innigster Wunsch wahr zu werden scheint, bricht die Vergangenheit mit voller Wucht in ihr Leben ein und droht alles zu zerstören. Nikki und Damien müssen um ihre Liebe kämpfen wie nie zuvor.

Roman 4 der Stark-Serie

Noch nicht genug von Nikki und Damien? Entdecken Sie auch die Stark Novellas sowie das kostenlose E-Book »Das große J. Kenner Fanbuch«!

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Zum Roman

Nikki und Damien Stark führen eine erfüllte Ehe voller Vertrauen und unbändiger Leidenschaft. Doch schmerzhaft müssen sie erfahren, dass auch das größte Glück zerbrechlich ist. Gerade als ihr innigster Wunsch in Erfüllung zu gehen scheint, bricht die Vergangenheit mit voller Wucht in ihr Leben ein und droht alles zu zerstören. Nikki und Damien müssen um ihre Liebe kämpfen wie nie zuvor.

Zur Autorin

Die New-York-Times- und SPIEGEL-Bestsellerautorin J. Kenner arbeitete als Anwältin, bevor sie sich ganz ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, widmete. Ihre Bücher haben sich weltweit mehr als drei Millionen Mal verkauft und erscheinen in über zwanzig Sprachen. J. Kenner lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Texas, USA. Ihre lieferbaren Romane und Erzählungen finden Sie unter J. Kenner im Diana Verlag.

Romane mit Nikki und Damien

Dir verfallen (Stark 1)

Dir ergeben (Stark 2)

Dich erfüllen (Stark 3)

Dich lieben (Stark 4)

Erzählungen mit Nikki und Damien

Dich befreien (Stark Novella 1)

Dir gehören (Stark Novella 2)

Dir vertrauen (Stark Novella 3)

Dich begehren (Stark Novella 4)

Dich beschenken (Stark Novella 5)

Dich besitzen (Stark Novella 6)

Dich berühren (Stark Novella 7)

Dich fühlen (Stark Novella 8)

J. Kenner

Dich

LIEBEN

(Stark 4)

Roman

Aus dem Amerikanischen von Pauline Kurbasik

Diana

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Copyright © 2017 by Julie Kenner

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel Anchor Me bei

Martini & Olive Books.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018

by Diana Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Anita Hirtreiter

Covergestaltung: t. mutzenbach design

Covermotiv: tianalima / shutterstock.com

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN 978-3-641-21715-0 V003

www.diana-verlag.de

Kapitel 1

Ich blicke aus dem Fenster auf die gepflegten Gärten entlang der Straße, auf der ich in einem luxuriösen Rolls-Royce Phantom fahre. Dieser Wagen ist derart elegant, dass ich mich einfach wie eine Prinzessin in einer königlichen Kutsche fühlen muss.

Die Allee wird von massiven Eichen gesäumt, die ein Schatten spendendes Laubdach bilden. Das Morgenlicht dringt golden durch die Blätter, und wie zu einer feierlichen Melodie funkelt und tanzt Staub in den Strahlen und verstärkt den Eindruck, wir würden durch ein Märchenland reisen.

Alles in allem ein vollkommener Augenblick.

Bloß, dass er eben doch nicht vollkommen ist. Eigentlich nicht. Oder zumindest nicht für mich.

Denn aus meiner Perspektive ist die Umgebung alles andere als traumhaft schön.

Wir sind in Dallas. In dem Viertel, wo ich aufgewachsen bin. Und das bedeutet, dass das alles kein Märchen ist. Sondern ein Albtraum.

Die Zweige sind nicht beeindruckend, sie sind bedrückend. Sie greifen nach mir, wollen mich umschlingen. Mich festhalten. Um mich in die Falle zu locken.

Das Blätterdach formt keinen königlichen Gang, der zu einem Schloss führt. Der Weg endet in einer Zelle. Und nicht der Tanz der Zuckerfee erklingt in der Luft. Sondern ein Requiem für die Toten.

Die Welt außerhalb des Wagens ist voller Fallen, und wenn ich nicht aufpasse, schnappt eine von ihnen zu und ich kann mich nicht mehr befreien. Von der Dunkelheit zerstört, die sich hinter den trügerischen Fassaden dieser herrschaftlichen Häuser verbirgt.

Um mich herum keine fröhlichen Kindergeschichten, sondern ein Horrorfilm. Das Versprechen von Schönheit lockt mich an, doch dann bin ich bis in alle Ewigkeit gefangen und werde langsam getötet, von den Monstern in der Dunkelheit in Stücke gerissen.

Atme, sage ich mir. Du schaffst das. Du darfst nur das Atmen nicht vergessen.

»Nikki. Nikki.«

Damiens Stimme bringt mich schlagartig wieder zurück in die Wirklichkeit. Ich zucke zusammen, versuche die richtige Haltung einzunehmen, um die Geister aus meinen Erinnerungen zu vertreiben.

Seine Stimme ist sanft und äußerst behutsam, als ich aber zu ihm schaue, bemerke ich, dass sein Blick zu meinem Schoß gewandert ist.

Einen Moment lang bin ich verwirrt, dann sehe ich, dass ich meinen Rock hochgeschoben habe und mit der Fingerspitze langsam die violette Narbe entlangfahre, die die Innenseite meines Oberschenkels verunstaltet. Ein Andenken an die tiefe, hässliche Wunde, die ich mir vor zehn Jahren zugefügt habe, als ich verzweifelt versuchte, die ganze angestaute Wut, die Angst und den Schmerz herauszulassen, die in mir brodelten.

Ich reiße die Hand weg und schaue aus dem Fenster; ich komme mir total dumm vor und bin beschämt.

Damien sagt nichts, lenkt aber das Auto an den Straßenrand und hält an. Kurz danach verschränkt er seine Finger mit meinen. Ich klammere mich an seine Hand, schöpfe Kraft, und als ich ihn genauer betrachte, erkenne ich Besorgnis in seinen markanten Gesichtszügen und den außergewöhnlichen zweifarbigen Augen.

Besorgnis, genau. Aber das, was ich noch sehe, raubt mir den Atem: Verständnis, Unterstützung, Respekt.

Doch vor allem sehe ich solch unerschütterliche Liebe, die mich dahinschmelzen lässt, und ich schwelge in ihrer beruhigenden Kraft.

Dieser Mann ist das Beste, was mir im Leben passiert ist, und es gibt Augenblicke, in denen ich immer noch nicht glauben kann, dass er zu mir gehört.

Damien Stark. Mein Ehemann, mein Lover, mein bester Freund. Ein Mann, der sein Unternehmen fest im Griff hat. Der sich von niemandem etwas sagen lässt und dennoch heute den Chauffeur spielt, um mir beizustehen, während ich mich meiner Vergangenheit stelle.

Einen Moment lang genieße ich einfach seine Anwesenheit. Seine Stärke, die sich sowohl in seinem souveränen Auftreten als auch in seinem schlanken, durchtrainierten Körper manifestiert. Seine Unterstützung, die sich in diesen Augen spiegelt, die mein Innerstes sehen. Damien hat im Laufe der Jahre sämtliche Geheimnisse von mir erfahren.

Er kennt jede Narbe an meinem Körper sowie die zugehörige Geschichte. Er weiß von meinem tiefen Schmerz, und er weiß, wie weit ich es gebracht habe. Wie weit seine Liebe mich gebracht hat.

Vor allem weiß er, wie schwer es mir fällt, nach Texas zurückzukehren. Diese Straßen entlangzufahren. Mir dieses Viertel anzuschauen, das in mir viel Leid und dunkle Erinnerungen hervorruft.

Ich erschaudere kurz und ziehe die Hand weg, um die Arme um meine Mitte zu verschränken.

»Oh, Baby.« Die Sorge in seiner Stimme ist nicht zu überhören. »Nikki, du musst das nicht machen.«

»Doch, muss ich.« Ich spreche heiser, denn ungeweinte Tränen verstopfen mir die Kehle, weshalb ich nicht normal reden kann.

»Süße …«

Ich warte, denke, dass er weiterspricht, aber er verstummt. Ich sehe die Anspannung in seinem Gesicht, als wäre er unsicher, was er sagen oder wie er es formulieren sollte, doch ein Damien Stark kennt keine Unsicherheit. Nicht, wenn es um Geschäftliches geht. Nicht in persönlichen Angelegenheiten. Nicht in Dingen, die mich betreffen.

Trotzdem zögert er nun. Behandelt mich, als wäre ich zerbrechlich.

Plötzlich werde ich wütend. Nicht auf ihn, sondern auf mich. Weil er verdammt noch mal recht hat. In diesem Augenblick bin ich so zerbrechlich wie nie zuvor, und ich gestehe es mir nicht gern ein. Ich musste mir meine Stärke hart erkämpfen, und mit Damien an meiner Seite habe ich es geschafft.

Aber im Moment bin ich schwach, die ganze Mühe ist für die Katz, nur weil ich in meine Heimatstadt zurückgekehrt bin.

»Du denkst also, dass es ein Fehler war hierherzukommen«, blaffe ich ihn an, doch nicht Damien irritiert mich, ich selbst bin es.

»Nein«, antwortet er wie aus der Pistole geschossen, und dass er keine Sekunde darüber nachgedacht hat, beruhigt mich ein wenig. »Aber ich frage mich, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Vielleicht wäre morgen besser. Nach deinen Meetings.«

Wir sind nicht nach Texas gekommen, damit ich mich mit einer Fahrt durch mein altes Viertel quälen kann, sondern weil ich einen Auftrag von einem der führenden Unternehmen für Webentwicklung in den USA an Land ziehen will und dabei besser als meine Konkurrenten sein muss. Die Firma möchte eine Reihe von Apps herausbringen, sowohl für die interne Nutzung durch Mitarbeiter als auch die externe Verwendung durch Kunden.

Ich habe ein Angebot abgegeben und bin nun unter den letzten fünf Unternehmen, die für den Pitch nach Dallas eingeladen wurden, und meines ist bei Weitem das kleinste und neueste. Ich vermute – wie sollte es auch anders sein? –, die Einladung ist zum Teil der Tatsache geschuldet, dass ich mit Damien Stark verheiratet bin und dass mein Unternehmen bereits Software für Stark International lizensiert hat.

Vor einem Jahr hätte mich das noch gestört.

Jetzt nicht mehr. Ich bin ziemlich gut in meinem Job, und wenn mir mein Nachname eine Tür öffnet, dann ist das eben so. Mir ist egal, wieich eine Chance bekomme, denn ich weiß, dass meine Arbeit erstklassig ist und – sollte ich die Ausschreibung gewinnen – mein Angebot und meine Präsentation die Auftraggeber überzeugt haben.

Es ist eine riesige Chance, die ich nicht vermasseln will. Vor allem, weil mein Ziel für die nächsten achtzehn Monate darin besteht, mein Unternehmen zu vergrößern, fünf Leute einzustellen und eine ganze Etage in meinem eigenen Bürogebäude zu belegen.

Ich habe monatelang an meinem Business-Plan gearbeitet und war an dem Abend, als ich ihn meinem Meister des Universums, meinem in Geschäftsdingen brillanten Ehemann zum Gegenlesen überreichte, ein ziemliches Nervenbündel. Nachdem er es mit dem Von Damien Stark geprüft und für gut befunden-Gütesiegel versehen hatte, fiel ich vor Erleichterung fast in Ohnmacht. Mein Plan zu expandieren hindert mich nicht daran, dass ich diesen Job machen will, wenn ich ihn aber bekomme, kann ich meine ganzen Termine um sechs Monate aufschieben. Wichtiger ist jedoch, dass ich – falls ich den Pitch gewinne – mein Business als konkurrenzfähig etabliere.

Ich sacke ein wenig in mich zusammen, als ich ihm in die Augen schaue. »Du hast Angst davor, ein Treffen mit meiner Mutter könnte mich aus der Bahn werfen und ich würde dann das Meeting morgen vermasseln und mir meine Chancen auf den Zuschlag verbauen.«

»Ich will, dass du so gut bist wie möglich.«

»Ich weiß«, sage ich aufrichtig, da Damien mich immer vorbehaltslos unterstützt hat. »Verstehst du das denn nicht? Genau deswegen sind wir hier. Es ist ein Präventivschlag.«

Er runzelt die Stirn, doch ehe er mich fragen kann, was ich meine, erkläre ich es ihm schnell: »Allein schon, dass wir in Dallas sind, macht mich fertig, das wissen wir beide. Sie spukt in dieser Stadt herum. Und weil du mit mir hier bist, fühle ich mich viel sicherer. Aber du kannst nicht immer an meiner Seite sein, und bevor ich mein Angebot abgebe, muss ich sichergehen, dass ich zwischen L. A. und Dallas pendeln kann, ohne Angst haben zu müssen, sie überall zu sehen.«

Tatsächlich habe ich meine Mutter in letzter Zeit überall gesehen – traurig, aber wahr. Ich dachte, ich hätte sie in Einkaufszentren in Beverly Hills entdeckt. An Stränden in Malibu. Auf belebten Straßen. Bei Wohltätigkeitsveranstaltungen. Ich habe keine Ahnung, warum diese Frau, an die ich nach langem Kampf endlich nicht mehr denken musste, plötzlich ständig vor meinem inneren Auge auftaucht, aber sie tut es.

Und ich will sie dort nicht haben.

Ich hole tief Luft und hoffe, dass er mich versteht. »Ich muss die Vergangenheit hinter mir lassen und einfach meine Arbeit tun. Bitte«, füge ich mit flehender Stimme hinzu, »bitte sag mir, dass du mich verstehst.«

»Ich verstehe dich«, sagt er, nimmt meine Hand und küsst sanft meine Fingerspitzen. Währenddessen klingelt sein Telefon. Es liegt auf der Konsole, und ich kann sehen, dass der Anrufer sein Anwalt Charles Maynard ist.

»Solltest du nicht drangehen?«, will ich wissen, und er schaut finster drein, dann drückt er das Gespräch weg.

»Das hat Zeit.«

Er klingt angespannt, und ich frage mich, was er mir verschweigt. Damien informiert mich zwar nicht über sämtliche geschäftlichen Angelegenheiten, da ihm so ziemlich alle Planeten und einige entlegene Sonnensysteme gehören und er sie steuert – das wären viel zu viele Updates –, aber er hält mich meistens über die Dinge auf dem Laufenden, die ihn stressen.

Ich runzele die Stirn. Natürlich erzählt er mir nichts, weil mir schon so viel durch den Kopf schwirrt. Und auch wenn ich das zu schätzen weiß, gefällt es mir nicht, dass sich meine Mutter wieder einmal zwischen meinen Mann und mich gedrängt hat.

»Du solltest ihn zurückrufen«, sage ich. »Wenn er dich an einem Sonntag anruft, muss es wichtig sein …«

Ich spreche nicht weiter, denn ich hoffe, dass er etwas dazu sagt, doch er schüttelt nur den Kopf. »Mach dir keine Sorgen«, entgegnet er, obwohl sein Handy gerade den Empfang einer SMS meldet.

Er schnappt sich das Telefon, aber ich kann noch sehen, wie Charles’ Name auf dem gesperrten Bildschirm aufblinkt. Er fasst sich kurz: Es ist dringend.

Damien schaut mich an, für einen Augenblick ist sein Ärger fast schon amüsant. Dann nimmt er das Telefon und ruft Charles an. Eine Sekunde später sagt er: »Verdammt, ich hab dir doch gesagt, dass ich im Moment nicht damit belästigt werden will.«

Er hört sich die Antwort an, seine Stirnfalten vertiefen sich. Schließlich seufzt er und sieht so frustriert aus wie schon lange nicht mehr.

Düstere Vorahnungen überkommen mich mit einem Schlag. Damien ist kein Mann, der sich wegen geschäftlicher Angelegenheiten aus der Ruhe bringen lässt. Im Gegenteil: Je schwieriger und herausfordernder die Sache, desto mehr blüht er auf.

Das bedeutet, dass diese Angelegenheit einen persönlichen Hintergrund haben muss.

»Ja, ich versteh schon, Charles, aber ich bezahle dich nicht für Ratschläge in dieser Sache, sondern für diese Quellen, die du so fleißig anpreist. Also mach was draus. Setz alle Hebel in Bewegung und liefere mir Antworten, wenn ich wieder in L. A. bin. Okay«, fügt er nach einer weiteren Pause hinzu, »ruf mich wieder an, wenn du Genaueres weißt. Andernfalls sehen wir uns in ein paar Tagen.«

Er beendet das Gespräch und wirft das Telefon wieder auf die Konsole. Ich öffne den Mund, will ihn fragen, was geschehen ist, aber noch bevor ich ein Wort herausbringe, zieht er mich ungestüm an sich und drückt seine Lippen auf meinen Mund. Der Kuss ist hart, brutal, und ich rutsche näher zu ihm, verliere mich in der Ungestümheit. Und zumindest für diesen Augenblick vergesse ich meine Bedenken und seine Probleme. Es gibt nur uns, unsere Leidenschaft ist ein tosendes Feuer, das die Trümmer unserer Leben aus dem Weg räumt, uns völlig entblößt, bis nur noch wir beiden da sind.

Ich atme schwer, als wir uns voneinander lösen, meine Lippen sind rissig und prickeln, mein Körper brennt. Ich will mich umdrehen und zum Hotel zurückkehren. Ich will mir die Kleider vom Leib reißen und seine Hände auf mir fühlen, seinen Schwanz tief in mir. Ich will es wild. Roh. Der Schmerz und meine Lust sind so stark, dass ich mich in ihnen verliere. Die Leidenschaft ist derart gewaltig, sie überwältigt mich. Und Damien, immer Damien, der für mich da ist und mich immer wieder aufbaut.

Ich will es mit ihm tun, aber es geht nicht. Noch nicht. Denn obwohl ich gerade andere Dinge im Kopf habe, bin ich doch mit einem Vorsatz in dieses Viertel gekommen, und wenn ich ihn jetzt fallen lasse, habe ich vielleicht nicht die Kraft wiederzukommen.

Und deswegen drücke ich – während Damien mich fest im Arm hält – die Wange gegen seine Schulter und seufze, genieße den Augenblick. Dann hebe ich den Kopf und schaue ihn an. Damien hat keine Geheimnisse vor mir – das war früher anders –, und ich erwarte, dass er mir erzählt, was es mit dem Anruf auf sich hatte. Aber er schweigt, und mein Magen zieht sich unangenehm zusammen. Weil ich Damien gut genug kenne, weiß ich, dass er nur deswegen nichts sagt, um mich zu beschützen. Und im Moment versucht er alles, um mich davor zu schützen, dass diese Reise wieder alte Wunden aufreißt.

»Damien?«

Er verschränkt seine Finger mit meinen, küsst dann unsere verschlungenen Hände. »Es tut mir leid. Gerade geht es um uns. Um dich. Ich hätte ihn nicht zurückgerufen, aber …«

»Verstehe ich. Wirklich.« Das meine ich auch so. Ich kann nachvollziehen, warum er zurückgerufen hat. Und ich kann auch nachvollziehen, dass diese Rechtfertigung seine Art ist, mir klarzumachen, dass er kein Wort darüber verlieren wird. Nicht jetzt. Nicht, bis wir meine Mutter gesehen haben.

»Wir sollten weiterfahren«, sage ich.

Einen Moment lang erwidert er meinen Blick und versucht abzuschätzen, ob ich tatsächlich bereit bin. Dann nickt er und schaut kurz auf sein Telefon. »Bist du dir ganz sicher, dass du sie nicht zuerst anrufen willst?«

»Will ich nicht. Lass uns einfach fahren.« Was ich verschweige – wovon ich aber weiß, dass Damien es versteht – ist, dass Überraschungen einen gewissen Reiz für mich haben. Vielleicht werde ich ausnahmsweise einmal die Oberhand haben. Und die Tatsache, dass Damien mit vor der Tür meiner Mutter stehen wird, gibt mir Rückendeckung. Ich lächele ganz leicht, aber von Herzen. »Ich denke, du schüchterst sie ein«, erkläre ich.

»Ich?« Sein Lächeln ist breit und jungenhaft. »Ich wüsste nicht, warum.«

»Mmm«, entgegne ich. »Okay, los jetzt.« Ich mache eine majestätische Handbewegung, die ihm bedeutet weiterzufahren. Er hat vor einem Herrenhaus nur einige Blocks vom Highland Park Village entfernt gehalten – einer der eleganteren Einkaufsmeilen des Landes und ein Ort, der mir sehr vertraut ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Mutter alles – angefangen bei Designer-Windeln bis hin zu Ballkleidern – für meine Schwester Ashley und mich in den Boutiquen dieser Mall eingekauft hat.

Doch trotz der Klatschseiten, die den Glanz dieses Stadtteils zu schätzen wissen, erregt ein Rolls-Royce Phantom hier Aufsehen. Besonders dieses liebevoll restaurierte Prachtstück.

»Die Nachbarn sind neidisch«, sage ich und mache eine Kopfbewegung hin zu zwei Frauen, die das Auto beim Joggen ganz unverhohlen anstarren. »Sie fragen sich, wer hier ins Viertel zieht und reicher ist als sie.«

Damien ignoriert meinen Kommentar: »Sie sind nicht vom Preis, sondern von der Schönheit fasziniert. Dem Design. Der Verarbeitung. Dieser Bezirk lebt von Äußerlichkeiten«, sagt er und macht eine Kopfbewegung hin zu den eleganten Häusern zu seiner Rechten, an denen wir vorbeifahren. Dann schaut er kurz nach links, lässt den Blick langsam über mich gleiten. »Und dieses Auto und die Frau darin sind zwei Objekte, die absolute Schönheit verkörpern.«

Ich erröte leicht. »Beim Wagen gebe ich dir recht«, erkläre ich bescheiden, obwohl ich nicht verleugnen kann, dass mir das Kompliment gefällt. »Aber ich denke, dass der Mann am Steuer sie am meisten fasziniert – ebenso wie die Tatsache, dass er auf der rechten Seite sitzt.«

Normalerweise hat Damien einen Chauffeur. Doch Edward ist auf dieser Reise nicht mit von der Partie, und selbst wenn er hier wäre, würde Damien darauf bestehen, sein neues Spielzeug selbst zu fahren.

Es ist seltsam, als Beifahrer auf der linken Seite zu sitzen, aber dieser Rolls-Royce Phantom V von 1967 ist durch und durch britisch. Diese Autos dienten früher als Staatskarossen in England.

Kein Wunder, dass ich mich wie eine Märchenprinzessin fühle.

Wir sind wegen meiner Arbeit nach Dallas gekommen, doch als Damien von der Reise erfahren hat, hat er einen Termin bei einem Raumfahrtingenieur im Ruhestand gemacht, den er einmal bei einer Oldtimerausstellung kennengelernt hatte und der sein Hobby zu einem zweiten Beruf gemacht hat: Er restauriert liebevoll Bentleys und Rolls-Royces, bis sie wieder wie neu aussehen. Nach unserer Ankunft in der Stadt sind wir gleich zu seinem Haus in North Dallas gefahren, und Damien hat zwei Stunden völlig glückselig über diesen Phantom gesprochen.

»Wie viel?«, hat Damien gefragt, nachdem er die Limousine gründlich inspiziert hatte und dabei das zeitlose Design und das mechanische Können mit der gleichen Begeisterung kommentierte, mit der andere Leute über Filmstars sprechen. Ich musste zugeben, dass er recht hatte: Der Wagen ist schön und einzigartig. Er ist in dem typischen Schwarzton lackiert, dessen Schimmer jeden Winkel und jede Rundung perfekt in Szene setzt. Und die Innenausstattung ist so elegant wie in einem Palast: Das Holz ist vollendet geschnitzt und poliert, die Ledersitze sind weich und geschmeidig. Der Wagen ist zudem selten: Angeblich wurden nur fünfhundertsechzehn Exemplare dieses Modells hergestellt.

Der Ingenieur hat einen sechsstelligen Betrag genannt, und Damien hat ohne zu zögern sein Scheckbuch gezückt. Kaum eine Stunde später sind wir den Dallas North Tollway in der neusten Errungenschaft von Damiens Autosammlung entlanggefahren, und Damiens aufgeregter Gesichtsausdruck hat mich an einen kleinen Jungen an Weihnachten erinnert.

Nun lenkt er den Wagen durch Highland Park, dem wohlhabenden Viertel, wo ich aufgewachsen bin. Das Vermögen meiner Familie kam zwar nie an Damiens heran, aber wir lebten auch nicht von der Hand in den Mund. Mein Großvater hatte viel Geld mit Öl gemacht, das zwar während und nach der Rezession zum Großteil durch die schlechte Verwaltung meiner Mutter verloren ging, dennoch kann ich nicht verleugnen, dass ich aus einer privilegierten Familie stamme, so wie alle anderen Kinder aus diesen schicken herrschaftlichen Häusern.

Als ich nach Los Angeles gezogen war, hatte ich dem Ganzen den Rücken zugekehrt, weil ich meine Vergangenheit hinter mir lassen wollte. Ich wollte ein neues Leben beginnen, eine neue Nikki sein. Und ich wollte es unbedingt allein schaffen, ohne die finanzielle Unterstützung meiner Mutter.

Jetzt muss ich einfach lächeln, wenn ich Damien anschaue. Wenn ich dieses Auto sehe, das mehr kostet, als die meisten Menschen im Jahr verdienen. Komisch, wie sich die Dinge ändern. In Dallas war ich wohlhabend, aber mir ging es schlecht. Nun bin ich stinkreich, lebe in Los Angeles und bin glücklicher, als ich es jemals zu träumen gewagt hätte. Nicht wegen meines Kontostandes, sondern wegen des Mannes an meiner Seite.

»Du lächelst«, sagt er angetan, und ich bin wieder einmal beeindruckt davon, dass er ebenso wie ich ziemlich durch den Wind ist. Jedoch ist Damien nicht wegen des Besuchs bei meiner Mutter beunruhigt. Damien sorgt sich um mich.

»Mir ist gerade aufgefallen, wie glücklich ich bin«, gebe ich zu und erzähle ihm dann den Grund.

»Weil unsere Beziehung nicht auf Geld basiert«, sagt er. »Du würdest mich auch lieben, wenn ich bettelarm wäre.«

»Das stimmt«, gebe ich zu und lächele verschmitzt. »Obwohl ich zugeben muss, dass mir die Annehmlichkeiten durchaus gefallen.« Ich streiche über das Armaturenbrett. »Natürlich würde mir genau diese Annehmlichkeit besser gefallen, wenn Edward hier wäre.«

»Nur meine Hand zu halten genügt Ihnen wohl nicht, Mrs. Stark?«

»Im Augenblick bin ich mit Händchenhalten zufrieden«, sage ich kokett. »Aber später will ich mehr. Später will ich deine Hände am ganzen Körper spüren.«

Er wirft mir einen heißen, ziemlich vielversprechenden Blick zu. »Ich denke, das wird sich einrichten lassen.«

»Auf die Straße schauen, Fahrer«, sage ich und zeige in eine Richtung: »Hier abbiegen.«

Er folgt meiner Anweisung, und meine Laune sinkt umgehend. Weil wir nun in meiner Straße sind. Wir sind nur noch einige Blocks von meinem Elternhaus entfernt.

Ich hole tief Luft. »Wir sind fast da. Und mir geht’s gut«, schiebe ich schnell hinterher, bevor er nachfragen kann. Mir geht’s nicht gut – nicht so ganz zumindest –, aber ich hoffe, dass ich – indem ich mir einrede, ich wäre okay – die fürchterlichen Bauchschmerzen und die Übelkeit vertreiben kann, die mich gerade überkommen.

»Sag mir, wann ich anhalten soll.«

Ich nicke, und einen Augenblick lang stelle ich mir vor, wie wir einfach vorbeifahren, immer weiter, das Viertel hinter uns lassen, wieder im Stadtzentrum von Dallas und weit entfernt von den Erinnerungen sind, die nun wie Wellen über mich hereinbrechen. Ich, als kleines Mädchen, eingesperrt in einem stockdunklen Zimmer, weil ich doch meinen Schönheitsschlaf brauche, und Ashley, die mir durch die Tür zuflüstert, dass in der Finsternis keine Monster auf der Lauer liegen, um mir wehzutun. Eine Stylistin, die an meinem langen goldenen Haar zerrt und zieht, meine Tränen und Schreie ignoriert, weil meine Mutter daneben steht und mich anherrscht, ich möge mich zusammenreißen. Dass ich ihr peinlich sei. Meine Mutter, die mich am Arm packt und mich durch den Gang schleift, um mich bei meinem ersten Schönheitswettbewerb anzumelden. Meine Augen sind immer noch rot vom Weinen wegen ihres Schlags auf meinen Kleinmädchenhintern, der mich daran erinnern soll, dass sich Schönheitsköniginnen nicht beschweren und heulen.

Ich denke zurück an den Teller beim Abendessen mit einer winzigen Portion Hühnchen und gedämpftem Gemüse, während meine Mutter und Schwester Lasagne mit viel Käse essen und mir meine Mutter erklärt, dass ich, wenn ich den Wettbewerb gewinnen will, jede Kalorie zählen und Kohlenhydrate meiden muss wie der Teufel das Weihwasser. Dann sehe ich wieder vor mir, wie sie den Mund missbilligend verzieht, wenn ich nachdrücklich erkläre, dass es mir egal sei, ob ich Schönheitskönigin werde. Dass ich nur nicht hungrig sein will.

Ich war nie gut genug. Zu stämmig, zu wenig Körperspannung, zu langweilig. Selbst mit einer Sammlung von Kronen und Titeln konnte ich ihre Erwartungen nie erfüllen, und ich erinnere mich an keinen Augenblick, in dem sie sich für mich wie eine Mutter oder Freundin anfühlte. Stattdessen war sie die strenge Gouvernante aus dem Märchen. Die böse Stiefmutter. Die Hexe im Lebkuchenhaus.

Meine große Schwester Ashley entkam ihren Klauen, indem sie die Schönheitswettbewerbe, bei denen sie antrat, einfach nicht gewann. Nach einigen Misserfolgen gab meine Mutter auf. Und obwohl auch ich scheitern wollte, war ich verflucht, weil ich weitere Kronen und Titel gewann.

Jahrelang hatte ich gedacht, dass Ashley damals besser dran gewesen war. Erst als sie sich das Leben nahm, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, wurde mir klar, wie tief Ashleys Narben gewesen waren. Meine waren körperlich, Narben, die sich ein Mädchen selbst zufügte, indem es die Klinge über seine Haut gleiten ließ, erst, um dem Druck ein Ventil zu geben, und dann, um die wunderschönen Beine zu verunstalten und so den nicht auszuhaltenden Schönheitszirkus zu beenden.

Ashleys Wunden waren unsichtbar, gingen aber durch die Haut. Und im Grunde war sowohl für meine als auch für die Narben meiner Schwester unsere Mutter verantwortlich.

Mein Herz rast, und ich zwinge mich, gleichmäßig zu atmen, damit ich mich wieder beruhige. Wir sind fast da, und falls ich meine Mutter sehe, muss ich die Fassung bewahren. Wenn ich auch nur die kleinste Schwäche zeige, wird sie sich darauf stürzen.

Und, ja, ich habe auch früher einmal die Oberhand gewonnen – ich habe sie zurück nach Texas geschickt, nachdem sie versucht hatte, meine Hochzeitsplanung an sich zu reißen, und dabei meine Wünsche zugunsten ihrer verzerrten Sicht ignorierte, doch in Dallas hat sie auf jeden Fall Heimvorteil.

»937?«, fragt Damien, meint damit die Hausnummer, und ich nicke.

»Das erste Haus auf der linken Seite hinter der Kurve«, sage ich und bin stolz darauf, wie normal meine Stimme klingt. Ich schaffe das. Und mehr als jemals zuvor will ich es schaffen. Reinen Tisch machen. Die Situation klären.

Während ich meinen Gedanken nachhänge, fährt das Auto um die Kurve und meine gute Laune schwindet.

Einige Augenblicke später sehe ich mein Elternhaus. Aber nicht der Cadillac meiner Mutter steht in der Einfahrt, sondern zwei unbekannte Land Rover, ein Mercedes-Cabrio und ein Umzugswagen.

Wo um alles in der Welt ist meine Mutter?

Kapitel 2

Mir bricht der kalte Schweiß aus, als Damien das Auto hinter dem Umzugswagen parkt und dann den Motor abstellt.

Ich drehe mich zu ihm und suche in seinem Gesicht nach den Antworten, die ich brauche, doch natürlich kann er sie mir nicht geben. Und einen kurzen, schrecklichen Augenblick lang werde ich vom Gefühl überwältigt, ich werde aufs Meer hinausgetrieben, weg von allem Warmen und Sicheren, bis ich umhertreibe, kalt und allein, mit nichts, was mich verankern könnte.

Draußen rennt ein kleiner Junge von etwa vier Jahren mit großen Augen über die Wiese zu unserem Auto. Eine Frau, die ungefähr fünf Jahre älter ist als ich, eilt hinter ihm her und ruft, er solle sich von dem Wagen fernhalten.

Ich beobachte den Kleinen, bin von ihm ebenso fasziniert wie er von dem Phantom. Dann hat seine Mutter ihn eingeholt, wirbelt ihn herum und bringt ihn zum Lachen, bevor sie ihn auf den Arm nimmt, er sich eng an sie schmiegt und den Daumen in den Mund steckt.

Ich atme aus und merke, dass ich zuvor die Luft angehalten habe.

»Komm schon«, sagt Damien sanft und will seine Tür öffnen.

»Sie ist doch gar nicht da.«

Er streicht mir eine Locke von der Wange, die Berührung ist ebenso beruhigend wie seine Stimme. »Das Haus steht aber noch.«

Er hat recht. Ich hatte mich so sehr auf meinen Plan versteift, meine Mutter zu sehen, dass ich nicht an die anderen Erinnerungen gedacht hatte, die mit ihr zu tun haben. Erinnerungen aus dem Inneren dieses Hauses. Ich denke an Ashley, die nun so alt wäre wie diese junge Mutter, und plötzlich will ich unbedingt ihr altes Zimmer sehen. »Du hast recht.« Meine Stimme ist erstickt von den Tränen, die ich auf keinen Fall vergießen will. »Meinst du, wir können reingehen?«

»Wir machen es einfach«, sagt er mit derselben festen, überzeugten Stimme, die ich sowohl aus dem Schlafzimmer wie auch aus dem Sitzungssaal kenne. Ich entspanne mich umgehend, denn egal, was heute auch schiefgelaufen ist, bin ich sicher, dass Damien mich schon irgendwie in dieses Haus bekommen wird.

Er steigt aus und geht ums Auto, um mir die Tür zu öffnen. Es ist Frühsommer, und ich werde von texanischer Hitze erschlagen, die sich direkt über die Kühle des klimatisierten Autos legt.

Damien hilft mir aus dem Wagen, und als er die Tür hinter mir schließt, sind die Mutter und der Sohn bei uns angekommen.

»Kann ich Ihnen helfen?« Sie spricht leicht abgehackt und gestelzt wie jemand, der im Nordosten aufgewachsen ist.

»Ich … ich heiße Nikki Fairchild«, stammele ich. Unter diesen Umständen wird sie wohl eher etwas mit meinem Mädchennamen anfangen können. »Ich suche meine Mutter«, füge ich unbeholfen hinzu, als sie einfach dasteht und ihr der Name ganz und gar nichts zu sagen scheint.

»Ihre Mutter?« Sie kräuselt verständnislos die Nase.

»Elizabeth Fairchild«, erklärt Damien. »Ihr gehört – oder besser gesagt gehörte – dieses Haus.«

»Wir haben es gestern erst gekauft.« Der Junge windet sich auf ihrem Arm, und sie lässt ihn runter. Er klammert sich an ihr Bein, als wäre sie der sicherste Ort der Welt.

»Wissen Sie, seit wann das Haus zum Verkauf stand?«, fragt Damien, als sich der kleine Junge zum Phantom schleicht.

Sie legt die Stirn in Falten und betrachtet Damien. »Moment. Ich kenne Sie doch. Sie sind dieser Tennis…«

»Nikki?«

Eine Frauenstimme unterbricht sie, und ich schrecke auf. Sowohl wegen meines Namens als auch, weil mir die Stimme so bekannt vorkommt. Ich schaue zum Haus, und mein Herz fängt an zu rasen. Die Frau auf der Terrasse ist nur eine Silhouette, aber ich erkenne sie sofort. »Mrs. McKee?«

Meine Stimme zittert, doch das ist mir egal. Ich gehe zu ihr, und als ich gerade auf dem Rasen bin, hat sie die Terrasse verlassen und eilt mir entgegen. Ich werfe mich in ihre Arme und lasse mich lange und liebevoll drücken. Ich sauge die Zuneigung und Unterstützung dieser Frau auf, die ich schon mein ganzes Leben lang kenne und bei der ich viele Jahre lang so getan habe, als wäre sie meine richtige Mutter. Ich hatte immer davon geträumt, dass ich früher oder später die Wahrheit herausfinden würde und Ashley und ich bei ihr und ihrer Familie einziehen könnten. Denn wie zum Teufel konnte Elizabeth Fairchild überhaupt die Mutter von jemandem sein?

Als wir uns schließlich voneinander lösen, sind meine Wangen mit Tränen benetzt.

Damien steht wieder neben mir, und ich strecke ihm die Hand entgegen. Er ergreift sie automatisch, dann nickt er Mrs. McKee zu. »Sie müssen Ollies Mutter sein«, sagt er und meint den Nachbarsjungen aus meiner Kindheit, einen meiner engsten Freunde.

»Nenn mich doch bitte Caroline. Und du musst Damien sein.«

»Genau, sie hat recht. Sie sind Damien Stark!«

»Das ist Misty«, sagt Caroline und zeigt auf die aufgeregte junge Mutter. »Sie und ihr Mann sind gerade erst aus New Hampshire hierhergezogen. Ich kenne ihren Vater schon seit Jahren.«

»Freut mich, Sie beide kennenzulernen«, sagt Damien, während Misty nur mit offenem Mund dasteht.

»Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich dich endlich einmal kennenlerne«, sagt Caroline zu Damien. »Und es ist schon viel zu lange her, dass ich dich gesehen habe, junge Frau.« Sie strahlt mich an, und in ihrem Blick liegt die aufrichtige Zuneigung, die ich nie in den Augen meiner Mutter gesehen habe. »Ich wusste gar nicht, dass du in der Stadt bist.«

»Ich habe nicht daran gedacht, dir Bescheid zu sagen«, gestehe ich. »Ich habe noch nicht einmal Ollie von meinem Besuch erzählt. Ich bin wegen einer geschäftlichen Angelegenheit hier. Morgen habe ich ein Meeting, und …« Ich stocke und runzele die Stirn. »Eigentlich bin ich aber gekommen, um meine Mutter zu sehen. Weißt du, wohin sie gezogen ist?«

Caroline schüttelt den Kopf. »Seit Arthur und ich in unsere Eigentumswohnung im University Park gezogen sind, ist der Kontakt abgerissen. Es sind zwar nur wenige Meilen, fühlt sich aber an, als würde der Grand Canyon zwischen uns liegen. Ich habe allerdings gehört, dass sie sich auch verkleinern wollte, und als ich erfahren habe, dass das Haus zum Verkauf steht, habe ich Misty und ihrem Mann davon erzählt. Das war vor ungefähr zwei Monaten, oder?«

Neben ihr nickt Misty. »Wir hatten aber nur mit unserem Immobilienmakler zu tun. Und das Haus war schon leer, als wir es zum ersten Mal angeschaut haben.«

»Mama! Mama!« Der kleine Junge zieht an ihrer Hand: »Auto! Bitte! Will das große Auto sehen!«

»Pscht, Andy.« Mistys Stimme ist so sanft wie ihr Lächeln, aber als sie mich anblickt, sieht sie verwirrt aus. »Ihre Mutter hat Ihnen nicht gesagt, dass sie weggezogen ist?«

»Wahrscheinlich hat sie sich vorübergehend eine Wohnung gesucht, bis die neue fertig ist, und wollte dich nicht mit einer temporären Adresse belästigen.« Carolines spontane Erklärung wirkt ganz ungezwungen, doch ihr angespannter Blick zeugt von Verständnis und Mitgefühl. Die Wahrheit lautet nämlich, dass Caroline mehr über die schwierige Beziehung zwischen meiner Mutter und mir weiß als die meisten anderen Menschen. Ich habe ihr zwar nie etwas gesagt – und sie mir auch nicht –, aber ich bin mir sicher, dass Ollie ihr etwas von meinen Geständnissen weitererzählt hat. Und ich werde Caroline ewig dankbar sein für die Zeiten, in denen sie mich bis abends in ihrem Haus bleiben ließ, unter dem Vorwand, ich würde Hausaufgaben machen, oder wenn sie mir einen Schokoriegel zusteckte und mich schwören ließ, niemandem davon zu erzählen, weil sonst die anderen Kinder im Viertel auch einen haben wollen würden.

Caroline weiß also ganz genau, dass meine Mutter gar nicht daran gedacht hat, mich auf dem Laufenden zu halten. Für Elizabeth Fairchild bin ich ein Mittel zum Zweck, keine Tochter. Wenn sie mich benutzen möchte, wird sie mich kontaktieren. Sonst gilt bei ihr: aus den Augen, aus dem Sinn.

Ich weiß, dass es mir nichts ausmachen sollte. Schließlich will ich diese Frau gar nicht in meinem Leben haben. Und dennoch: Wenn ich mir Mistys zärtliches Gesicht anschaue, als sie dem Jungen einen Kuss auf die Stirn gibt, kann ich das überwältigende Gefühl von Verlust nicht verleugnen, das mich überkommt.

Wie aber kann man etwas verlieren, das man nie gehabt hat?

»Wir können Elizabeth jederzeit anrufen und sie nach ihrer neuen Adresse fragen«, erklärt Damien abweisend, als würden wir uns ständig bei meiner Mutter melden. »Um ehrlich zu sein, sind wir vor allem wegen des Hauses hier. Ich habe Nikkis Elternhaus noch nie gesehen«, fügt er hinzu, und ich bin komischerweise dankbar, dass er diesen Frauen nicht die Wahrheit gesagt hat: dass ich und nicht er hinter diesem Besuch steckt. Dass ich gern das Innere des Hauses, in dem ich aufgewachsen bin, sehen würde, nein: muss. Ein Haus, das nie ein Zuhause war. Und vielleicht, nur vielleicht, kann ich es – nachdem ich ein letztes Mal durchgegangen bin – wirklich hinter mir lassen.

Damien schenkt Misty eins dieser Lächeln, bei denen ich immer weiche Knie bekomme. »Wäre es möglich, dass wir ins Haus gehen, wo wir schon einmal hier sind?« Als sie zögert, zeigt er auf den Phantom. »Wenn wir im Haus sind, kann sich der Kleine gerne den Rolls-Royce anschauen.«

»Oh!« Sie macht große Augen, dann lächelt sie und schaut auf das Kind, das auf dem Gras sitzt und einen Stock in den Boden steckt.

Damien kniet sich zu ihm: »Na, Andy, was meinst du? Möchtest du dir das große Auto einmal von innen ansehen?«

Der Kleine reißt die Augen auf und schaut erst seine Mutter und dann Damien an. Schließlich nickt er zögerlich, er hat wohl Angst, dass er – wenn er zu viel Begeisterung zeigt – von uns ausgelacht wird und wir ihm sagen, wir hätten nur Spaß gemacht.

»Er ist wundervoll«, sage ich und grinse, als Damien wieder neben mir steht. »Und er verlangt einem bestimmt einiges ab.«

Misty lacht. »Sie machen sich kein Bild. Oder vielleicht doch.« Sie schaut uns beide abwechselnd neugierig an. »Haben Sie Kinder?«

»Noch nicht.« Ich setze mein Nikki, die Soziale-Lächeln auf. »Aber wir haben eine Nichte, die etwa in seinem Alter ist, und einen Neffen, der bald zwei wird.«

Caroline stemmt eine Hand in die Hüfte. »Also, du solltest dich mal an die Arbeit machen«, sagt sie. »Ich wäre gern Tante Caroline. Ollie wird mir weiß Gott so bald keine Enkelkinder bescheren.«

»Eines Tages wird es bei uns so weit sein«, sagt Damien und legt mir den Arm um die Hüfte.

»Das hoffe ich doch.« Caroline lächelt uns beide liebevoll an. »Ihr werdet so hübsche Kinder haben.«

»Das kann ich nicht bestreiten«, sagt Damien, zieht mich an sich und drückt mir einen Kuss auf die Schläfe. »Nikki wird eine wunderbare Mutter sein.«

Ich werde ganz steif und verwandele mich von der sozialen in die distanzierte Nikki. Diese Unterhaltung passt mir gerade nicht. Nicht mit einer Fremden. Und auch nicht mit Caroline. Noch nicht einmal mit Damien, und es frustriert mich, dass er so mir nichts, dir nichts in die Rolle des begeisterten Vaters geschlüpft ist. Wir haben immer wieder über dieses Thema gesprochen, und ich dachte, wir wären einer Meinung. Eines Tages würde ich schon gern unser Baby im Arm halten. Aber im Augenblick sind wir beide noch nicht bereit für Kinder. Vieles spricht noch dagegen. Und die Tatsache, dass er nun so ungezwungen über etwas derart Wichtiges spricht, bereitet mir Magengrummeln. Vor allem, weil ich nicht mit ihm über seinen Kommentar sprechen kann, während wir in Dallas auf einer Wiese stehen und ich eh gerade so verdammt verwundbar bin.

Fuck.

Ich löse mich aus seiner Umarmung, und Damien blickt mich an. Ich kann sehen, dass es ihm leidtut, aber ich bin gerade nicht in der richtigen Stimmung. Ich bin sowieso schon völlig aus dem Gleichgewicht, deswegen vergrabe ich bloß die Hände in den Taschen meines Sommerrocks. Einen Moment lang denke ich, er würde noch etwas sagen, doch dann erklärt er Misty, das Auto sei offen.

Während sie sprechen, gehe ich zum Haus, Caroline an meiner Seite. Mit jedem Schritt werden meine Füße schwerer und mein Herzschlag schneller. Es ist albern, ich weiß, dass meine Mutter nicht in dem Haus auf mich lauert, aber ich war jahrelang nicht mehr hier und nun, wo ich es gleich betreten werde, bin ich nervös. Ich will Damien an meiner Seite haben. Ich will seine Hand in meiner halten. Und ich bin wütend, verletzt und genervt, dass diese wenigen Worte für Distanz zwischen uns gesorgt haben. Wütend auf ihn. Und ja, auch wütend auf mich.

Hinter uns höre ich, wie Misty mit Damien redet. »Ich werde ihm die Hände abwischen, bevor er ins Auto steigt. Und schauen Sie sich einfach so lange um, wie Sie wollen. Dort drinnen herrscht aber ein wahnsinniges Chaos, wir haben noch nichts ausgepackt.«

Caroline und ich halten kurz an, und ich sehe, wie Misty Andy hinterhereilt, der so schnell ihn die kurzen Beinchen tragen zum Rolls-Royce rennt. Damien dreht sich um, zögert aber, ehe er zu uns kommt. Ich kann an seinem Gesicht nicht erkennen, was er denkt. Dann richtet er ganz leicht den Kopf auf, und als er seine Brauen hochzieht, sehe ich, was er nicht ausspricht: Es tut mir leid. Ist es wieder gut?

Ich entspanne mich und hole tief Luft, halte kurz inne und reiche ihm dann die Hand. Einen Moment lang leuchtet Erleichterung in seinem Blick auf. Schließlich wirkt er wieder unbekümmert und kommt zu uns, verschränkt seine Hand mit meiner.

Caroline schaut uns beide an und lächelt dann so strahlend, dass ich mich fragen muss, ob sie die Spannung zwischen uns bemerkt hat. Ich werde mich aber nicht danach erkundigen. Stattdessen nähern wir uns dem Haus.

»Wie häufig habe ich dich nach Hause gebracht, als Ollie und du noch klein wart?«, fragt Caroline, als wir die Veranda betreten. »Und wie oft musste ich Ollie nach Hause schleifen, als ihr beide den Tag in eurem Pool verbracht habt?«

»Sehr oft«, entgegne ich und lasse mich von den Erinnerungen ablenken. In Wahrheit ist Ollie nur selten zu mir gekommen. Wenn wir miteinander spielen durften, waren wir beide lieber bei ihm. Nur an brüllend heißen Sommertagen sind wir hier gewesen, um uns am Pool abzukühlen, und auch nur, wenn meine Mutter sich versichert hatte, dass ich von Kopf bis Fuß mit Sonnenmilch eingeschmiert war. Die Schönheitskönigin durfte doch auf keinen Fall einen Sonnenbrand oder Sommersprossen bekommen.

»Geh schon rein, Süße«, sagt Caroline. »Ich warte hier auf euch beide.«

Ich nicke, und als Damien meine Hand in stillschweigender Unterstützung drückt, bemerke ich, wie feucht meine Handflächen geworden sind. Die Tür ist nur angelehnt, und ich stoße sie mit dem freien Arm auf. Ich schlucke, und dann, bevor ich die Nerven verliere, gehe ich über die Schwelle.

Ich zögere, denn ich weiß nicht, was ich erwarte. Geister aus meiner Erinnerung, die von der Decke herabschweben? Das Gesicht meiner Mutter, das mich aus dem Spiegel im Flur anblickt? Ihre Stimme, die mich zum Ausruhen in mein Zimmer schickt, weil es schon fast neun ist und ich vor dem Schönheitswettbewerb am Wochenende meinen Schlaf brauche?

Doch nichts passiert. Einfach nur Wände um mich herum. Nur Fliesen und Hartholz, Farbe und Tapete. Die Anspannung weicht von mir, und als ich Damien in die Augen schaue, verzieht sich sein rechter Mundwinkel zu einem verständnisvollen Lächeln.

»Wo war dein Zimmer?«, fragt er, während wir durch den Hauseingang zum offenen Wohnbereich gehen.

»Hier entlang.« Ich zeige auf den langen Flur, der nach rechts führt. »Meine Mom war im großen Schlafzimmer ganz am anderen Ende des Hauses. Aber Ashley und ich haben beide dort vorne geschlafen.«

»Zeig es mir.«

»Ich denke mal, dass es nicht mehr viel mit meinem Zimmer von damals zu tun hat«, erkläre ich, doch ich habe mich schon in Bewegung gesetzt. Natürlich habe ich recht. Die Wände sind nun eierschalfarben, früher waren sie hellrosa gestrichen. Ich hatte mir hellgrün gewünscht. Irgendwas Witziges, Ausgefallenes und ein wenig Verrücktes. Ein Gegengewicht zu dem so guten und deswegen schon kriecherischen Benehmen und der tadellos sauberen Kleidung, die mir mein ganzes Leben lang aufgedrängt worden waren.

Meine Mutter hatte es mir natürlich verboten, weil kleine Mädchen, die Schönheitswettbewerbe gewinnen, ohne Frage Rosa lieben müssen. Mädchen, die sich an die Regeln halten. Die sich anpassen und keinen Ärger machen.

Mädchen, die keine eigene Meinung haben.

Zumindest ließ das jedes einzelne Wort aus dem Mund meiner Mutter vermuten. Ich weiß es inzwischen besser und kenne einige Frauen, die ich respektiere und die an Schönheitswettbewerben teilgenommen haben. Doch damals hatte ich die Stimme meiner Mutter im Kopf. Und jedes Mal, wenn ich einen Wettbewerb gewonnen hatte, fragte ich mich, was das über mich aussagt. War ich wirklich derart langweilig und hohl in der Birne? War ich wirklich zu nichts anderem zu gebrauchen?

Ich erinnere mich noch daran, wie ich zu Ashley gegangen bin, mich auf dem Kissenhaufen auf dem Bett meiner großen Schwester zusammengerollt und geflüstert habe, dass ich unsere Mutter hasse. Dass ich Rosa hasse. Dass Mutter gemein sei und ich meine Wände so anstreichen möchte, wie es mir gefällt, und dass das nicht fair sei und warum ich nie mal das machen könne, was mir gefällt, und so weiter und so fort.

»Weißt du, was Ashley gemacht hat?«, frage ich Damien, nachdem ich ihm all das erzählt habe. »Am nächsten Tag ist sie mit einem kleinen Topf voll hellgrüner Farbe nach Hause gekommen, den sie im Kunstraum der Highschool stibitzt hatte.« Ich kämpfe gegen die Tränen an, die mit der Erinnerung kommen. »Sie hat mir erklärt, ich bräuchte ein wenig Grün, deswegen haben wir gleich hinter meinem Nachttisch ein winziges grünes Quadrat gemalt, dann haben wir einen Radiergummi genommen und damit unsere Initialen in die Farbe geschrieben. Das müsste hier gewesen sein«, sage ich und führe ihn zum anderen Ende des Zimmers, wo ich auf einen Kistenstapel zeige.

Er bückt sich, räumt einige Kartons beiseite und bedeutet mir, zu ihm zu kommen. Ich gehe zu ihm und hole tief Luft, als ich sehe, was er gefunden hat. Es wurde überstrichen, aber ich kann noch ganz deutlich Spuren eines grünen Quadrats unter dem Eierschalweiß erkennen. Und in der Mitte stehen die Initialen NF und AF, die wegen ihrer Struktur und nicht wegen der Farbe zu erkennen sind.

Ich bekomme weiche Knie und lasse mich auf den Boden plumpsen. Damien legt die Arme um mich, um mich aufzufangen.

»Gott sei Dank bist du hier«, murmele ich mit dem Rücken an seine Brust gelehnt.

»Ich werde nie woanders sein.«

Ich nicke, als ich mich wieder an ihn lehne und Dankbarkeit für seine Wärme und Stärke verspüre. Er ist wirklich das Beste, was mir je im Leben passiert ist.

»Ich will mich nicht erinnern«, gebe ich zu. »Und dennoch reicht es schon, hier zu sein – alles ist wieder da. Gute und schlechte Erinnerungen. Sie brechen wie Wellen über mir zusammen, und ich habe nicht die Kraft, mich dagegen zu wehren.«

»Dann lass es einfach«, sagt er. »Lass los, Baby, lass dich von den Wellen mitreißen. Ich bin dein Haltestrick. Ich werde dich immer wieder nach Hause bringen.«

Ich presse die Lider fest aufeinander und verliere mich im Zauber seiner Worte. In dem Versprechen, dass er mich immer beschützen wird. Dass er mich immer lieben wird.

Ich erschaudere. Nicht, weil es kalt ist oder weil ich Angst habe. Sondern wegen der einfachen Erkenntnis, dass ich diese allumfassende, kompromisslose Liebe von meiner Mutter kennen sollte. Aber ich habe sie mir von meiner Schwester geholt. Von meinen Freunden.

Von Damien.

»Meine Mutter hatte keine Ahnung«, flüstere ich. »Nicht einen blassen Schimmer, wie man als Mutter sein soll.«

Ich lasse den Tränen freien Lauf, als ich mich an den Tag erinnere, an dem ich den Anruf bekam: Ashley ist tot. Die gepresste Stimme meiner Mutter, die mir mitteilte, dass meine Schwester sich das Leben genommen hatte. Und sie klang nicht gepresst, weil sie es bedauerte oder trauerte, nein, weil sie es missbilligte. Als hätte Ashley ihre Erwartungen nicht erfüllt.

Die traurige Ironie an der Sache lag natürlich darin, dass Erwartungsdruck und mangelndes Selbstwertgefühl meine Schwester umgebracht hatten. Ihre felsenfeste Überzeugung, dass sie keine Ahnung hatte, wie man als Ehefrau sein soll. Dass die Trennung von ihrem Mann, der sie wegen einer anderen verlassen hat, der Beweis war, dass sie versagt hatte – genau wie meine Mutter immer gesagt hatte.

Sie hat sich das Leben genommen, weil sie glaubte, sie wäre nichts wert. Aber für mich war Ashley der wertvollste Mensch überhaupt.