Die Brandung vor Cape Cod - Patricia Matthews - E-Book
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Die Brandung vor Cape Cod E-Book

Patricia Matthews

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Beschreibung

Im Sturmwind leidenschaftlicher Gefühle: Der dramatische Liebesroman »Die Brandung vor Cape Cod« von Patricia Matthews jetzt als eBook bei dotbooks. Die raue Ostküste in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Solange Marianna denken kann, gab es für sie nie etwas anderes als den Sturm und den Tod – die Strandräuber, bei denen sie leben muss, locken Schiffe auf Sandbänke und plündern sie aus. Als nach einem dieser Raubzüge der verletzte Phillip Courtright ans Ufer gespült wird, kann Marianna ihn nicht seinem Schicksal überlassen. Sie pflegt den attraktiven Anwalt gesund – und bringt sich damit selbst in größte Gefahr. Im letzten Moment können die beiden fliehen … aber gibt es für Marianna eine Zukunft im noblen Boston? Als sie Adam Street kennenlernt, den Kapitän eines Walfangschiffes, ist sie hin- und hergerissen zwischen Festland und Meer, zwischen Kultiviertheit und raubeinigem Charme, zwischen dem, was Sicherheit bedeuten könnte und dem, was ihr Herz sich wünscht … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde historische Liebesroman »Die Brandung vor Cape Cod« von Patricia Matthews. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 463

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Über dieses Buch:

Die raue Ostküste in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Solange Marianna denken kann, gab es für sie nie etwas anderes als den Sturm und den Tod – die Strandräuber, bei denen sie leben muss, locken Schiffe auf Sandbänke und plündern sie aus. Als nach einem dieser Raubzüge der verletzte Phillip Courtright ans Ufer gespült wird, kann Marianna ihn nicht seinem Schicksal überlassen. Sie pflegt den attraktiven Anwalt gesund – und bringt sich damit selbst in größte Gefahr. Im letzten Moment können die beiden fliehen … aber gibt es für Marianna eine Zukunft im noblen Boston? Als sie Adam Street kennenlernt, den Kapitän eines Walfangschiffes, ist sie hin- und hergerissen zwischen Festland und Meer, zwischen Kultiviertheit und raubeinigem Charme, zwischen dem, was Sicherheit bedeuten könnte und dem, was ihr Herz sich wünscht …

Über die Autorin:

Patricia Matthews (1927–2006) wurde in San Francisco geboren, studierte in Los Angeles und lebte später viele Jahre in Prescott, Arizona. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe begann sie, sich intensiv dem Schreiben zu widmen – so lernte sie nicht nur ihren zweiten Ehemann, den Schriftsteller Clayton Matthews kennen, sondern legte auch den Grundstein zu einer internationalen Karriere. Patricia Matthews, die unter zahlreichen Pseudonymen veröffentlichte, schrieb zwischen 1959 und 2004 über 50 Bücher, vom Liebesroman bis zum Krimi. Für ihr Werk wurde sie mit dem »Reviewers Choice Award« und dem »Affaire de Coeur Silver Pen Readers Award« ausgezeichnet.

Bei dotbooks erschienen Patricia Matthews Romane »Wenn die Magnolien blühen«, »Der Wind in den Zypressen«, »Der Traum des wilden, weiten Landes«, »Der Stern von Mexiko«, »Das Lied der Mandelblüten«, »Der Himmel über Alaska«, »Der Duft von Hibiskusblüten«, »Die Jasmininsel«, »Wo die Anemonen blühen« und die »Virginia Love«-Saga mit den Einzelbänden »Der Traum von Malvern Hall« und »Das Vermächtnis von Malvern Hall«.

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eBook-Neuausgabe August 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1981 unter dem Originaltitel »Tides Of Love« bei Pyewacket Corporation, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1983 unter dem Titel »Der Liebe verschlungene Pfade« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2020 Robert Thixton

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1983 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Pinder Lane & Garon-Brooke Associates, Kontakt: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Alvov, kesipun, Danita Delimont, Pecherytsya Oleksandr

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-607-1

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Patricia Matthews

Die Brandung vor Cape Cod

Roman

Aus dem Amerikanischen von Daisy Remus

dotbooks.

Teil I

1840

Die Sandbänke und Boston

Kapitel 1

Der Wind versprühte peitschend die salzige Gischt, und Marianna Harper drehte dem Windstoß den Rücken zu, wobei sie ihr Kinn in den großen Kragen des Herrenmantels vergrub, den sie anhatte. Ihre Hände, die sie tief in die Manteltaschen gegraben hatte, waren bereits gefühllos geworden, und ihre Füße schmerzten trotz Gummistiefeln vor Kälte und Nässe.

Der Sturm tobte schon seit dem späten Nachmittag; er türmte die Wellen zu riesigen, gezackten Brechern auf, die sich gegen die Sandbänke warfen, als wollten sie sie zerstören. Der Wind wehte mit einer Geschwindigkeit von mindestens sechzig Knoten und heulte furchterregend über den Strand.

In der Hütte war es schon ungemütlich genug gewesen – durch das lecke Dach tropfte kaltes Wasser, der Wind drang durch jede Ritze und ging einem eisig kalt durch Mark und Bein – aber hier, vor der dunklen, tobenden Masse des Wassers, war es schier unerträglich, und nur Mariannas Angst vor Ezekial Throag und den anderen ließ sie auf ihrem Posten ausharren.

Von der tosenden See her konnte sie den Klang einer wild läutenden Schiffsglocke hören. Es hörte sich an wie ein schrecklicher Hilfeschrei.

Einen Moment lang verspürte Marianna heftiges Mitleid mit den armen Seelen auf dem Schiff, das jetzt gleich den Sandbänken zum Opfer fallen würde.

Für gewöhnlich bemühte sie sich, nicht an so etwas zu denken, weil es nur verwirrte und unglücklich machte; aber manchmal, wenn sie so wie jetzt wartete und ihren Gedanken freien Lauf lassen konnte, konnte sie nicht umhin, an die armen Menschen dort draußen zu denken, die jetzt ertrinken mußten, oder – sollte das Meer sie verschonen – von Ezekial Throag und den anderen erschlagen werden würden. Schließlich waren das Menschen genau wie sie, und sie mußte einfach daran denken, wie ihnen wohl zumute war, wenn ihr Schiff unter ihnen zerbrach. Marianna wußte, was Ezekial Throag und die anderen zu solchen Gedanken sagen würden. Sie würden sie für verrückt halten und sie verspotten und quälen. Aber trotzdem wurde ihr oft bewußt, daß das, was sie taten, großes Unrecht war.

Sie fragte sich auch oft, wie Ezekial Throag es schaffte, die Ankunft eines Schiffes immer rechtzeitig zu erahnen – er irrte sich so gut wie nie. Es war beängstigend – es schien fast, als besäße er einen furchterregenden, geheimnisvollen sechsten Sinn, der ihm alle Schiffe ankündigte, die in der Nähe der Sandbänke vorbeikamen.

Marianna lugte hinter dem Felsen vor, hinter dem sie vor dem schneidenden Wind Schutz gesucht hatte. Etwa fünfzig Meter südlich konnte sie am Strand das gelbe Leuchten der riesigen Öllampe sehen, die im Wind flackerte.

Von diesem Licht würden die Schiffe Abstand halten, weil sie es für das warnende Feuer eines Leuchtturmes hielten. Dadurch liefen sie unweigerlich auf die gefährlichen Sandbänke auf, der untere Teil des Schiffes zerbarst, und Passagiere und Ladung wurden in das eisige Wasser geschleudert.

Das war dann der Augenblick, in dem Marianna und die anderen sich an die Arbeit machten. Sie alle – Männer, Frauen und Kinder – wateten dann in die Brandung und zogen alles an Land, wofür sie zerstört und getötet hatten. So sorgten sie für ihren Lebensunterhalt. Sie waren Strandräuber.

Plötzlich klang die Schiffsglocke verblüffend nah; ihr Läuten wurde von einer Windbö herangetragen. Und dann glaubte Marianna trotz des Heulens des Sturmes den letzten Todesschrei des Schiffes zu hören – das laute, ächzende Geräusch zerberstenden Metalls und splitternden Holzes.

Auf Throags donnerndes Kommando hin flammten entlang des Ufers große Feuer auf. Das war das Signal. Jetzt mußte sie sich an die Arbeit machen.

Sie konzentrierte sich darauf, nur an die vor ihr liegende Arbeit zu denken, nahm die Hände aus den immerhin etwas wärmeren Taschen und stapfte zum Ufer, wo sie die Dunkelheit nach treibenden Kisten, Truhen oder anderen Dingen absuchte.

Das Wasser war eisig, und sie wagte sich nicht zu nahe heran, weil sie Angst davor hatte, selbst ins Meer gespült zu werden. Dort! Auf der weißen Schaumkrone eines Brechers kam ein Fäßchen angetrieben.

Geschickt fischte Marianna es mit ihrem Haken heraus, packte es und schleppte es so weit auf den Strand, daß die Wellen es nicht mehr erreichen konnten. Über den Strand verteilt konnte sie verschwommen die anderen Strandräuber erkennen, die ihrer Arbeit nachgingen. Marianna ließ das Fäßchen am Strand zurück und seufzte leise. Wenn alles vorbei war und sie alles eingesammelt hatten, würden sie zu ihren Hütten zurückkehren, und sie wußte schon, was sie dann erwartete.

Nach einem Plünderzug war Jude Throag immer lüstern wie ein Bock. So müde und durchnäßt sie auch war, er würde sie haben wollen. Er nahm sie ohnehin fast jede Nacht, aber nach einem erfolgreichen Fischzug – der ihn auf rätselhafte Weise zu erregen schien – war er immer unersättlich, nahm sie drei- oder viermal und setzte ihrem Körper so lange zu, bis sie glaubte, es nicht länger ertragen zu können.

Manchmal wünschte Marianna, sie wäre nie erwachsen geworden. Als Kind war alles viel leichter gewesen. Damals mußte sie nur ihre Arbeit tun und den Mund halten, um ihren Frieden zu haben. Aber jetzt, jetzt war alles anders. Letztes Jahr war sie vierzehn geworden, und ihr Körper hatte sich verändert. Ihr Busen war gewachsen, sie hatte an bisher glatten und bloßen Stellen Haare bekommen, und ihre Hüften hatten sich gerundet.

Da hatten die Männer plötzlich Notiz von ihr genommen. Ihr Benehmen ihr gegenüber hatte sich verändert; sie verscheuchten sie nicht mehr wie ein Kind, sondern machten häßliche, vulgäre Scherze und kniffen sie, wenn sie sich zeigte. Wie sie die Kneiferei haßte!

Und dann war sie fünfzehn geworden, und Jude – Ezekial Throags Sohn und Stellvertreter – hatte sie sich als Frau ausgesucht. Mariannas Mutter hatte ihrer Tochter an ihrem fünfzehnten Geburtstag ohne Umschweife erklärt, daß sie Judes Frau werden sollte. Der Gedanke hatte sie zugleich erschreckt und abgestoßen. Jude war alt, mindestens dreißig, und ein großer, pöbelnder Prahlhans. Außerdem hatte er schon eine Frau, den Rotschopf Jenny, die mehrere Jahre mit ihm gelebt hatte.

Aber ihre Mutter hatte auf ihre Einwände nur den Kopf geschüttelt. »Jenny soll gehen«, beharrte sie. »Das hat mir Jude selbst gesagt. Er will dich, Mädchen. Du solltest dich freuen. Er ist der Sohn des Anführers. Er ist stark, und wenn Ezekial abtritt, wird Jude seinen Platz einnehmen. Dann wirst du die Frau des Anführers sein.«

Dabei hatte sich der Mund ihrer Mutter zu einem widerlichen Lächeln verzogen, und Marianna hatte gewußt, daß ihr keine Wahl bleiben würde.

So hatte man sie also Jude Throag überlassen, der sie im Schlafzimmer ihrer Mutter lieblos und brutal entjungfert hatte, während die anderen im Nebenzimmer getrunken und gelacht hatten. Es hatte weh getan, und Marianna hatte es nicht gemocht. Sie verstand nicht, warum die rothaarige Jenny geweint und sie haßerfüllt angesehen hatte. Jenny hätte doch eigentlich froh sein müssen, daß sie ihren Frieden hatte und jemand anderer ihren Platz einnahm. Später hatte Marianna versucht, mit Jenny zu reden, aber Jenny hatte den Abdruck ihrer Hand auf Mariannas Gesicht hinterlassen und war davonmarschiert. Eine der anderen Frauen, die alte Mary, hatte Marianna schließlich erklärt, daß Jenny eifersüchtig und traurig darüber sei, ihren Mann an eine andere verloren zu haben. Marianna hatte es damals nicht verstanden, und sie verstand es bis heute nicht. Natürlich hatte sie über Sex Bescheid gewußt – so wie sie lebten, bekam man so etwas unweigerlich mit –, aber irgendwie hatte sie dieses Wissen nie berührt. Sie hatte nie damit gerechnet, daß sie selbst irgendwann damit konfrontiert werden würde. Und es war so schrecklich! Sie war so klein, fast noch wie ein Kind, und Jude war so riesig, besonders der Körperteil, den sie mittlerweile als seine Waffe betrachtete; denn so benutzte er ihn – wie einen Rammbock. Sie war immer wund, und alles tat ihr weh.

Jetzt fischte sie mit ihrem Haken eine kleine Kiste aus dem Wasser, die die Wellen gerade an den Strand gespült hatte. Dabei dachte sie an die Strafe, die ihrem zarten Körper in dieser wilden Nacht noch bevorstand.

Der Wind hatte sich gelegt und stürmte nur noch gelegentlich auf die Hütte ein, und der Regen hatte fast aufgehört.

Im Hauptzimmer von Throags Hütte brannte ein knisterndes Feuer, das die Knochen derer wärmte, die sich darum versammelt hatten. Die Luft im Zimmer war schlecht, aber Marianna war so daran gewöhnt, daß sie es kaum noch bemerkte. Wie die anderen trank sie ihren Schluck Rum; dabei betete sie insgeheim, Jude möge soviel trinken, daß er außerstande sein würde, sich ihr zu nähern. Die anderen Strandräuber lachten, sangen derbe Lieder oder erzählten sich Geschichten.

Marianna verhielt sich so ruhig wie möglich, in der Hoffnung, man würde sie in Ruhe lassen. Sie war todmüde und trotz des Feuers noch ganz verfroren.

Sie zwängte sich zwischen die übelriechenden Leiber der alten Mary und ihrer eigenen Mutter und machte sich so klein wie möglich, in der Hoffnung, daß Jude sie vielleicht übersah.

Der Rum hatte Jude laut werden lassen, und er unterhielt sich lebhaft mit seinem Vater. Wie ähnlich sie sich sehen, dachte Marianna. Obgleich sie Vater und Sohn waren, schienen sie altersmäßig nicht weit auseinander zu sein. Ezekial war, wie sein Sohn, ein riesiger Kerl mit gewaltigem Brustkorb und muskulösen Armen. Sein pechschwarzes Haar zeigte noch keine Spur von Grau, obgleich er über fünfzig sein mußte.

Marianna haßte und fürchtete Ezekial Throag. Er bestimmte mit harter und ehrfurchtgebietender Hand über die kleine Bande von Strandräubern, suchte die für sich und seinen Sohn besten Beutestücke heraus und schüchterte die anderen mit seiner Kraft und Brutalität ein.

Die Männer sagten, er sei ein guter Organisator, und es ginge ihnen ohne ihn lange nicht so gut.

Ezekial Throag war klug; er erdachte sich ständig neue Methoden, um die Schiffe in die Untiefen zu locken und sich die Beute von den Wracks zu holen. Und so fügten sich die Männer seinem Kommando, auch wenn sie unter sich oft murrten. Unter seiner Führung ging es ihnen besser als den meisten Strandräubern, und so nahmen sie ein gewisses Maß an rauhem Ton hin.

Der Rum und das Feuer hatten Marianna fast einnicken lassen, als sie plötzlich am Arm gepackt wurde. Bevor sie richtig wach wurde, stand sie schon und fand sich in einer harten Umarmung wieder. Sie öffnete die Augen und sah, daß Jude sie mit glasigem, lüsternem Blick ansah. Sie schloß die Augen und seufzte. Jude lachte und hob sie hoch.

»Na, dann gute Nacht, Jungs. Ich würd’ ja gerne noch bei euch bleiben, aber ihr wißt ja, wie das ist, wenn ein Mann eine neue Frau hat«, meinte er derb. »Bei einer neuen Frau wird der Appetit immer größer!«

Marianna hörte das rauhe Lachen und die anstößigen Bemerkungen, während Jude sie in den Armen drehte. Sie öffnete die Augen einen Spalt, aber als sie sah, daß Jenny sie anfunkelte, wandte sie den Kopf, nur um sich mit Ezekial Throags Blick konfrontiert zu sehen. Er sah sie mit seinen merkwürdigen, grauen Augen an, und hinter seinem dichten schwarzen Bart lag ein Lächeln.

Marianna erzitterte. Er sah sie an, wie Jude es immer tat, und diese Erkenntnis erschreckte sie. In ihrer Bande nahmen sich die Starken, was sie wollten, und Ezekial Throag war der Stärkste von allen. Aber Jude war sein Sohn, und wenn er eine schwache Seite hatte, so war das sein Sohn. Er würde seinem Sohn doch sicher nicht die Frau wegnehmen!

Aber Marianna konnte den Gedanken an Ezekials Lächeln nicht verdrängen, und sie war daher ungewöhnlich still, als Jude mit ihr in das kleine Zimmer marschierte, in dem ihr Strohlager war. Er ließ sie ohne große Vorreden auf das zerwühlte Bett plumpsen, ließ sich neben sie fallen und zog sie an sich. Marianna spürte, wie sie unwillkürlich vor seiner Berührung zurückwich, als seine plumpen Finger an ihrem Kleid herumfummelten und den Stoff von der Brust zogen.

Es war kalt im Zimmer, und Marianna bekam eine Gänsehaut. Sie blieb resigniert und widerstandslos liegen, als er ihren Rock hochschob und dann seine Hose öffnete, um sein riesiges Glied zu entblößen.

Sie schloß die Augen, um es nicht ansehen zu müssen. Es war häßlich und fügte ihr nur Schmerzen zu. Offensichtlich bereitete Männern dieser Akt große Freude – aber sie konnte nicht verstehen, warum es auch einige Frauen zu genießen schienen. Zum Beispiel Jenny. Marianna hatte erwartet, daß sie sich darüber freuen würde, Jude Throags groben Umarmungen entronnen zu sein; aber nein, Jenny hatte sich sofort in ein ebenso widerliches Verhältnis mit Ben Thomas gestürzt, einem breitschultrigen, übellaunigen Kerl, so als könne sie es kaum erwarten, wieder einen Mann zu haben. Marianna war das unverständlich.

Jude schnaufte, während er wieder und wieder mit seinem geschwollenen Glied in Mariannas geschundenen Leib stieß. Sie unterdrückte ein Aufstöhnen und ballte die Fäuste, als seine Bewegungen schneller wurden und er auf ihr herumzuckte wie ein großer gestrandeter Wal, während er ununterbrochen vor sich hin murmelte und stöhnte. Glücklicherweise war er schnell fertig und kam laut zum Höhepunkt, während er sie fast unter sich erdrückte. Kaum hatte er aufgehört, sich zu bewegen, da war schon ein Schnarchen von ihm zu hören, ein Geräusch, das Marianna gerne hörte, denn es bedeutete, daß sich diese Nacht die Qual nicht wiederholen würde.

Dankbar wand sie sich unter ihm hervor – so entspannt war er tonnenschwer – und rutschte zentimeterweise an die Kante der Strohmatte, wo sie schließlich in tiefen Schlaf sank. Der Schlaf war ihre einzige Zuflucht.

Am Morgen wurde Marianna von fahlem Licht geweckt, das durch die kleinen Fenster drang, und sie wußte, daß dem Sturm dichter Nebel gefolgt war.

Neben ihr schnarchte Jude mit offenem Mund. Er stank nach Sperma, Rum und Schweiß.

Sie rümpfte angeekelt die Nase, warf die Decke zurück und stand auf. Die Luft war beißend kalt und feucht, und sie zitterte heftig, während sie sich schnell anzog und dann den schweren Mantel vom Haken nahm. Sie trug noch die dicken Strümpfe vom Vorabend und schlüpfte damit in ihre Gummistiefel.

An der Wand hing ein zersprungenes Stück Spiegel, und als sie nach dem Türriegel griff, erhaschte sie einen Blick von sich – der wilden Lockenmähne und der gebräunten Haut. Ihre Mutter hatte einmal zu Marianna gesagt, sie sei hübsch, aber das einzige, was sie an sich mochte, waren ihre Augen. »Zigeuneraugen«, hatte Ezekial einmal gesagt; er hatte es als Beleidigung gemeint, aber ihr gefielen sie. Aber war sie hübsch? Eigentlich war es ja egal. Die Frauen der Strandräuber büßten ihr Aussehen schnell ein. Für das Leben auf den Sandbänken war Kraft nötiger als Schönheit. Man mußte stark sein, um zu überleben.

Marianna wandte sich vom Spiegel ab und schlüpfte in den Vorraum. Dort wurde sie von vielstimmigem Schnarchen begrüßt. Die meisten Leute, die an dem Gelage vom Vorabend teilgenommen hatten, lagen noch genau da, wo der Schlaf sie übermannt hatte. Marianna wandte den Blick ab und verließ die Hütte. Draußen holte sie erst einmal tief Luft.

Ihr Magen knurrte, und sie erinnerte sich an die Kiste, die sie am Abend zuvor beiseite geschafft hatte. Sie hoffte, daß darin Lebensmittel waren, Kekse vielleicht.

Ezekial Throag warnte seine Leute immer ausdrücklich davor, irgendwelche Beute für sich selbst zu behalten; in Wirklichkeit taten das aber alle, wenn sich die Gelegenheit bot.

Die kleine Kiste, die Marianna im Sand vergraben hatte, enthielt süße Kekse, die offenbar für den Kapitänstisch bestimmt gewesen waren. Im Schutz des dichten Nebels schlang sie die ungewohnte Leckerei hinunter, bis sie übersatt und durstig war. Sie vergrub die Kiste wieder und kehrte zur Hütte zurück, wo sie etwas Wasser trank. Die müden Zecher schliefen noch. Gut! So würde sie die erste sein, die den Strand nach Sachen absuchen konnte, die über Nacht angetrieben waren. Aufgeregt eilte Marianna in Richtung Strand, den man durch den Nebel noch immer nicht deutlich erkennen konnte. Der Nebel war dort zwar etwas lichter, aber ihr wurde klar, daß sie nur schwer etwas würde sehen können – es sei denn, sie fiel direkt darüber. Sie wanderte den Strand entlang und entdeckte bald noch eine zweite kleine Kiste, dann eine große, die sie allein nicht fortschaffen konnte und einen wunderschönen Flakon aus Amethyst, der wie durch ein Wunder nicht zerbrochen war. Sie hatte noch nie etwas so Schönes gesehen und nie damit gerechnet, etwas so Wunderbares für sich zu haben. Sie vergewisserte sich, daß man sie nicht beobachtete und ließ dann den Flakon in die Innentasche ihres Mantels gleiten; dann stapfte sie weiter durch den Nebel am Strand entlang. Plötzlich stolperte sie über etwas Weiches, das im Sand lag. Sie fluchte leise, während sie um ihr Gleichgewicht rang; dann sah sie nach unten. Zu ihren Füßen lag eine große, dunkle Gestalt voller Tang.

Marianna bückte sich etwas tiefer und schrie leise auf. Es war ein Mann; sie konnte unter dem Seegras sein bleiches Gesicht erkennen. Er war nicht viel älter als sie, und er war schön wie eine Frau.

Schockiert sah Marianna auf ihn hinunter, und es überkam sie eine unerwartete Trauer. Er war so jung und so schön! War er im Sturm ertrunken, oder hatte ihn Ezekial Throag oder einer seiner Männer erschlagen? Im Grunde war es einerlei, aber Marianna hoffte, er sei ertrunken.

Auf jeden Fall war es ein Jammer, daß er tot war, sie hätte zu gern die Farbe seiner Augen gesehen …

Plötzlich bewegte sich der junge Mann. Er hob leicht den Kopf, und seine Lider flatterten.

Marianna spürte, wie ihr Herz vor Angst und Aufregung wild zu hämmern begann. Sie verspürte eine Vielzahl an Gefühlen, die schwer zu trennen waren: Freude darüber, daß der schöne junge Mann nicht tot war, und Kummer darüber, daß er noch lebte. Es würde Throag gar nicht gefallen, daß es einen Überlebenden gegeben hatte, und er würde diesen Mißstand bei der ersten Gelegenheit beheben.

Zuerst wollte Marianna davonlaufen, zögerte dann aber. Plötzlich röchelte der junge Mann, und sie handelte instinktiv.

Sie ließ sich auf die Knie in den Sand fallen. Dann strich sie ihm das Seegras aus dem Gesicht, schob ihm den Arm unter die Schultern und stützte ihn. Seine Lider flatterten erneut, und er öffnete die Augen. Er starrte sie verständnislos an und öffnete dann die Lippen, als wolle er etwas sagen.

Allmählich wurde sein Blick klarer, während sie auf ihn einredete wie auf ein Kind, das Trost und Zuwendung brauchte. »Ganz ruhig. Es ist ja alles gut. Du bist am Leben. Es wird alles wieder werden. Ganz ruhig.«

Er schluckte und zuckte vor Schmerz zusammen. »Wo bin ich?« krächzte er mit trockener Stimme.

Marianna sah sich schnell um, um sich zu vergewissern, daß sie nicht von den anderen entdeckt worden waren. Dann flüsterte sie: »Dein Schiff ist untergegangen. Du bist bei den Sandbänken an Land gespült worden.«

Er starrte sie verwirrt an. »Den Sandbänken?«

»Schhh, ja. Vor der Küste von Carolina. Bei den Inseln.«

Der Mann schloß die Augen und verzog schmerzvoll das Gesicht. Marianna strich ihm besorgt das feuchte Haar aus der Stirn. Sie fühlte sich zart und kalt an, und sie schüttelte düster den Kopf. Er hatte seine ganze Körperwärme verloren, und die Kälte konnte für ihn das Ende sein, besonders, wenn er noch lange im Nassen liegenblieb.

Aber wohin sollte sie mit ihm? Das Vernünftigste wäre natürlich gewesen, Jude oder seinem Vater Bescheid zu sagen. Ihr schauderte bei dem Gedanken, denn sie wußte genau, was sie mit ihm tun würden – sie würden sein schönes Gesicht zu Brei schlagen und ihn zurück ins Meer werfen. Das durfte sie nicht zulassen. Aber wohin sollte sie ihn bringen? Sie mußte ihn verstecken, aber auf den kahlen Sandbänken fehlte es an Verstecken. Außerdem kannte hier jeder jeden. Es gab keine Fremden. Das Problem schien unlösbar. Und dann fiel ihr plötzlich die Hütte vom alten Jack ein. Der alte Jack war die Woche zuvor gestorben, aber seine abseits gelegene Hütte war noch da, und sie stand leer, denn keiner von den anderen wollte so weit entfernt von der Bande leben.

Dorthin würde sie ihn bringen, es ihm so bequem wie möglich machen und dann abwarten. Marianna wußte, daß sie ein großes Risiko einging. Für Jude oder seinen Vater empfand sie keinerlei Liebe; dieser junge Mann aber erweckte in ihr ein Gefühl, für das sie keinen Namen kannte.

»Kannst du dich bewegen?« fragte sie. »Glaubst du, du kannst gehen?«

Die Augenlider des Mannes öffneten sich flatternd, und er schluckte. »Ich weiß nicht«, meinte er schwach. »Ich werde es versuchen.« Die ganze Zeit über starrte er sie auf ganz merkwürdige Art und Weise an, bis es Marianna unbehaglich zumute wurde.

»Komm schon«, sagte sie schärf. »Versuch es.«

Er lächelte schwach, aber dieses Lächeln verlieh seinem Gesicht soviel unerwarteten Charme, daß es ihr den Atem raubte. »Du bist wunderschön!« meinte er in sprachlosem Erstaunen. »So wunderschön. Wie eine Meerkönigin!«

Marianna merkte, wie sie feuerrot wurde. »Komm jetzt«, meinte sie erneut. »Für solche Reden ist jetzt keine Zeit. Wir müssen von hier weg, wenn du am Leben bleiben willst.«

Er blickte verwirrt drein. »Warum? Wie meinst du das?«

»Es ist keine Zeit für Erklärungen. Glaub mir einfach und tu, was ich dir sage.«

Er nickte und richtete mühsam den Oberkörper auf.

»So ist es gut«, sagte Marianna und packte ihn unter den Armen. »Und jetzt hoch, auf die Beine.«

Das war etwas schwieriger, aber nach einiger Zeit stand der junge Mann und stützte sich auf Marianna. Langsam gingen sie los. Der Nebel hatte sich nicht gelichtet, aber Marianna war sicher, aus Richtung der Hütten geschäftiges Treiben zu hören. Die anderen waren jetzt auf und würden bald an den Strand kommen, um nach Überresten des Wracks zu suchen.

Der Weg schien unendlich lang, und der junge Mann wurde bei jedem Schritt schwerer. Aber trotz ihrer kleinen Gestalt war Marianna stark und zäh. Sie schaffte es, den viel größeren und schwereren Mann zu der grauen, vom Wind zerfurchten Hütte zu bringen, wo er sich auf das graue Strohlager legte, das dem alten Jack gehört hatte.

Es gab keine Decken oder Kissen – die paar Habseligkeiten des alten Jack hatten sich die Strandräuber geholt – deshalb zog sie ihren schweren Männermantel aus, legte ihn dem Fremden über und deckte ihn zu.

Er war sehr blaß, und seine dünnen, blauen Augenlider wirkten fast durchsichtig. »Alles in Ordnung?«

»Ich – ich weiß nicht«, brachte er zähneklappernd hervor. »Mir ist so kalt, so furchtbar kalt.« Er zitterte. »Meine nassen Sachen …« Natürlich, dachte sie. Die mußte sie ihm ausziehen. Warum hatte sie daran nicht früher gedacht?

Sie nahm den Mantel fort und zog ihm die nassen Sachen aus, die an seinem schlanken Körper klebten. Es war gute Kleidung, das sah sie – eine Samtweste, ein edles Leinenhemd. Vorsichtig zog sie ihm ein Kleidungsstück nach dem anderen aus; es war ihr ein wenig peinlich, auch wenn ihr der Anblick eines männlichen Körpers nicht neu war. Die Strandräuber waren nicht eben prüde, und sie lebten ziemlich eng zusammen. Marianna wußte schon, wie ein Mann aussah, lange bevor Jude sie nahm; aber jetzt verhielt sich das irgendwie anders. Vielleicht war es, weil dieser junge Mann so fremd war, so anders als die Männer, die sie kannte.

Seine Schultern waren breit und wohlgeformt, aber seine Brust war unbehaart wie die eines Mädchens. Sie strich vorsichtig mit der Hand über die Haut; sie war so weich – und so kalt, daß man kaum glauben konnte, daß noch Leben darunter steckte. Schnell bedeckte sie seinen Oberkörper mit dem Mantel und machte sich daran, ihm die Hosen auszuziehen. Mit wachsender Neugier öffnete Marianna den Bund und zog daran. Er war so anders als andere Männer – ob er wohl auch dort unten anders aussah? Oder war dieser Teil seines Körpers genauso häßlich wie bei Jude?

Unter der Hose kam eine Leinenunterhose zum Vorschein, ein Kleidungsstück, das sie in Erstaunen versetzte. Ein lederner Geldbeutel fiel klirrend zu Boden. Der Verschluß sprang auf, und Marianna sah Goldstücke glitzern. Wenn Jude oder sein Vater das gesehen hätten! Hastig schloß sie die Börse und steckte sie wieder in die Hose. Dann wanderte die Unterhose zu dem Stoß Kleider auf der Erde, und sein Unterleib lag weiß und nackt vor ihr. Sie wußte, daß sie ihn hätte zudecken müssen, aber sie zögerte, fasziniert vom Anblick seiner muskulösen Hüften, seiner gutgeformten Beine und der kräftigen Waden. Auch diesem Körperteil mangelte es an Behaarung, abgesehen von dem goldenen Vlies lockigen Haares, das seine Männlichkeit umgab, die sich in der Kälte zusammengezogen hatte. Es sah harmlos aus, nicht wie das dunkle Ungeheuer, das Judes Glied selbst im Schlaf war.

Beruhigt zog Marianna den Mantel über ihn. Er warf den Kopf herum. »So kalt«, murmelte er. »So kalt. Hilf mir!« Er riß die Augen auf und starrte sie an. »Ich werde sterben, nicht?«

Er stellte die Frage ganz ruhig, aber Marianna spürte einen ungewohnten Knoten im Hals. Ihr wurde klar, daß der Mantel nicht ausreichte. Er konnte zwar die Körperwärme erhalten, aber in diesem Körper war ja keine Wärme mehr. Was sollte sie nur tun?

Und dann hatte sie die Lösung. Sie mußte ihm ihre eigene Wärme geben. Schnell ließ sie sich neben ihm auf dem Lager nieder, schmiegte sich dicht an ihn und deckte den Mantel über sie beide. Er suchte ihre Wärme, und sie legte ihre Arme um ihn und hielt ihn ganz fest; dabei war ihr ganz seltsam zumute und sie fror. Ganz allmählich aber durchflutete Wärme ihren Körper, und wie eine Meereswoge strömte sie aus ihrem Körper heraus zu dem seinen. Nach und nach erwärmte sich sein Körper, und sein Atem wurde langsamer, bis er schließlich einschlief.

Marianna lag lange Zeit neben ihm. Sie verspürte eine Empfindung, die ihr vollkommen neu war – das Gefühl von Zärtlichkeit.

Kapitel 2

Marianna erwachte abrupt und wußte einen Augenblick gar nicht, wo sie war. In ihrem Kopf verhallte gerade das Echo des Rufes, der sie aufgeweckt hatte.

Die anderen waren jetzt auf. Sie konnte in der Ferne ihre Stimmen hören, wenn sie sich etwas zuriefen. Sie mußten am Strand gute Sachen gefunden haben.

Sie bewegte sich vorsichtig von der schlafenden Gestalt des jungen Mannes fort und wunderte sich dabei, daß er nicht unangenehm roch. Er schien so frisch und sauber zu sein wie das Meer.

Jetzt war ihm warm, und er lag in tiefem, gesundem Schlaf. Sie hoffte, daß es so bleiben würde, bis sie mit einer richtigen Decke, Essen und frischem Wasser zurückkam. Es würde mühsam sein, ihn am Leben zu erhalten, aber Marianna bereute ihren Entschluß nicht. Er war der schönste Mensch, der ihr je begegnet war, und obgleich sie ihre eigenen Gefühle für ihn nicht recht verstand, war ihr klar, daß er ihr einfach durch sein Dasein Freude gemacht hatte, und daß sie ihn nicht verlieren wollte.

Als sie von dem Strohlager glitt, rief er leise etwas und schlug die Augen auf.

»Geh nicht«, sagte er mit weicher, verschlafener Stimme. »Bitte, laß mich nicht allein.«

»Pssst«, flüsterte sie. »Ich muß für dich eine Decke holen, etwas zum Anziehen und zum Essen.«

Er runzelte die Stirn. »Ich habe etwas zum Anziehen.«

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Deine eigenen Sachen kannst du nicht anziehen. Damit würden sie dich gleich als Fremden erkennen.«

»Sie?« fragte er verwirrt.

»Die anderen. Ezekial Throag und sein Sohn Jude.«

»Ich verstehe nicht.«

»Das ist verdammt einfach«, meinte sie seufzend. »Die anderen, die Männer, würden dich umbringen, wenn sie wüßten, daß du hier bist, daß du von dem Schiff kommst.«

Er runzelte die Stirn. »Einen Mann umbringen, der nur die Sünde begangen hat, noch am Leben zu sein? Was für Männer sind das, die so ruchlos und unbarmherzig sind?«

»Zum Teufel noch mal, du bist wirklich einfältig!« Wieder schüttelte sie den Kopf. »Du verstehst anscheinend immer noch nicht. Wir sind Strandräuber. Throag und die anderen sind schuld an dem Schiffsunglück. Sie haben dein Schiff in die Untiefen gelockt, wie sie es mit vielen anderen auch getan haben. Für gewöhnlich töten sie jeden, den das Meer nicht umgebracht hat. Verstehst du jetzt?«

Sein Gesicht war weiß geworden. »Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, also muß ich dir glauben. Trotzdem ist es unglaublich!«

»Nun, du tust besser daran, es zu glauben! Ich habe mir nicht soviel Mühe gegeben, nur damit sie dich totschlagen und wieder ins Meer werfen!«

Das Gesicht des jungen Mannes wurde noch etwas bleicher, und er ließ sich zurück auf die Matratze sinken. Marianna konnte nicht anders, sie hatte Mitleid mit ihm. Aber dazu war keine Zeit. Sie mußte zurück ins Dorf, bevor Jude nach ihr suchte. »Jetzt hör zu«, meinte sie streng. »Du mußt tun, was ich dir sage. Du mußt hier bleiben und ganz ruhig sein; geh nicht nach draußen, man könnte dich sehen. Wenn du vor der Hütte jemanden hörst, versteck dich in dem Schrank da. Ich komme zurück, sobald ich kann, aber es kann etwas dauern. Sie dürfen keinen Verdacht schöpfen. Verstehst du?«

Er nickte schwach; in seinen Augen lag ein ungewöhnlicher Glanz. Marianna war seltsam verlegen, und sie lehnte sich nach vorne, um ihm den Mantel bis unters Kinn zu ziehen. »So. Jetzt tu’, was ich dir gesagt habe, und ruh’ dich aus. Und bevor du dich versiehst, bin ich schon wieder zurück.«

Er lächelte wieder und schloß die Augen, während sie auf Zehenspitzen aus der Hütte tappste. Tief in sich verspürte sie ein Gefühl der Wärme, das sie sich nicht erklären konnte.

Die Hütte, in der Marianna und Jude lebten, war leer, und soweit Marianna es sehen konnte, war auch in den anderen Hütten niemand. Vom Strand her drangen Stimmen, Rufe und Schreie, und Marianna wußte, daß die anderen damit beschäftigt waren, ihre Beute an Land zu ziehen. Marianna atmete erleichtert auf. Das würde ihr genug Zeit lassen, die Sachen zusammenzusuchen, die sie dem jungen Mann bringen mußte; aber sie mußte sich auch bald am Strand zeigen, damit Jude sie nicht suchen kam.

Sie bündelte eilig zwei Decken zusammen, etwas Brot und Käse, einen Krug frisches Wasser und eine Flasche Wein. Dann sah sie sich nach Kleidungsstücken um, die ihrem jungen Mann passen würden. Sie betrachtete ihn inzwischen als ihren jungen Mann, denn schließlich war er ihr Anteil an der Beute.

Judes Sachen kamen nicht in Frage, sie waren viel zu groß. Sie überlegte, wer von den Männern wohl dem jungen Mann in der Figur ähnelte, und schließlich fiel ihr Luther Martin ein, der Sohn von Nan Martin. Aber wie sollte sie an seine Sachen kommen?

Draußen versteckte Marianna das Bündel und machte sich auf den Weg zur Hütte der Martins.

Zu ihrer Bestürzung stellte sie dort fest, daß Nan Martin zu Hause war. Auf Mariannas Frage hin erklärte Nan, sie fühle sich nicht wohl und sei deshalb zu Hause geblieben. »Außerdem«, fügte sie hinzu, »bin ich auch nicht mehr die Jüngste, und die anderen schubsen mich weg und reißen sich meinen Anteil unter den Nagel. Da kann ich genausogut zu Hause bleiben und meinen armen Schädel auskurieren.«

Marianna zwang sich zu einem mitleidigen Lächeln. »Da hast du wahrscheinlich recht«, sagte sie, während sie sich verstohlen in der Hütte umsah. In der Nähe des Feuers sah sie auf dem Boden eine Hose, und auf einer Bank neben der Tür lag ein Pullover herum. »Aber es ist wirklich jammerschade, daß so nichts aus der großen Kiste für dich abfällt, die die anderen gerade aufbrechen.«

Nan blickte auf; in ihrem sonst stumpfen Blick lag plötzlich ein Glanz. »Was da wohl drin ist?«

Marianna lächelte. »Angeblich leckere Sachen. Schinken und so.«

Die Frau griff sich einen schmutzigen Schal, der über der Tischkante hing. »Na, vielleicht mache ich einen kleinen Spaziergang zum Strand. Schinken wäre mal eine schöne Abwechslung.«

Jetzt hatte sie es so eilig, an den Strand zu kommen, bevor die mysteriöse Kiste geöffnet wurde, daß sie Mariannas Anwesenheit kaum noch zu bemerken schien.

Lächelnd sah Marianna ihr nach; dann griff sie sich schnell die Hose und den Pullover. Neben dem Kamin entdeckte sie noch ein paar Stiefel, die sie ebenfalls an sich nahm. Vollbeladen kehrte sie nervös zur Hütte zurück und verstaute die Sachen dort, wo sie auch das andere Bündel versteckt hatte.

Sie war gerade damit fertig und dabei, zurück in die Hütte zu gehen, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie war so nervös, daß sie zusammenzuckte und aufschrie, woraufhin Jude Throag verärgert knurrte. »Wo hast du gesteckt?« verlangte er verärgert zu wissen. »Ich hab’ dich überall am Strand gesucht. Schau her!« Er hielt eine Flasche Wein und ein Stück Salzfleisch hoch. »Das war bestimmt für den Kapitän gedacht. Heute abend können wir’s uns schmecken lassen.«

Marianna war erleichtert und lachte innerlich über den glücklichen Zufall, der ihre Notlüge hatte wahr werden lassen. Jude schien nicht den geringsten Verdacht zu hegen.

»Ich bin zurückgekommen, um einen Schluck zu trinken«, meinte sie unschuldsvoll. »Beute an Land holen, macht ganz schön Durst.« Sie wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn.

Er grinste und zeigte dabei seine Zahnlücke. »Na, eigentlich paßt es mir ganz gut, daß ich dich hier finde. Wir könnten uns doch ein bißchen hinlegen, findest du nicht?«

Mariannas Lächeln gefror. Sie kannte den Blick in seinen Augen nur zu gut, aber angesichts der Situation blieb ihr nichts anderes übrig, als zu lächeln. »Du willst dich also ein bißchen mit mir im Stroh wälzen?«

Er lachte und klemmte sich den Wein und das Fleisch unter den Arm, um sie mit dem zweiten Arm an sich zu ziehen. »Ganz richtig, Mädchen. Die anderen werden gar nicht merken, daß wir uns ein bißchen Zeit nehmen, um unseren Hunger zu stillen, he?«

Marianna ergab sich ihrem Schicksal und bereitete ihren Körper auf das vor, was ihn erwartete. Nachdem sie den jungen Mann vom Schiff kennengelernt und seinen schönen, sauberen Körper berührt hatte, kam ihr Judes übelriechende, behaarte Gestalt abstoßender vor als je zuvor.

Aber sie ließ sich in die Hütte und ins Schlafzimmer bringen. Sie konnte nur hoffen, daß der junge Mann die Mühen wert war, die sie seinetwegen auf sich nahm.

In einem wenigstens behielt Jude recht. Er brauchte wirklich nur ›ein bißchen Zeit‹ um sich zu befriedigen, und als er fertig war, trank er fast die ganze Flasche Wein, versetzte ihr einen Schlag aufs Hinterteil und ging zum Strand, während sie zurückblieb, um sich, wie sie es ausdrückte, ›frischzumachen‹.

Während sie die Spuren von Judes Lust von ihrem Körper beseitigte, konnte sie nicht umhin, festzustellen, daß sie selbst auch nicht so sauber war, wie es hätte sein sollen. Sauberkeit zählte nicht zu den Tugenden der Strandräuber.

Sie verglich sich mit dem jungen Mann. An seinem Körper hatte sie kein einziges schmutziges Fleckchen entdecken können. Er hatte zwar einige Zeit im Wasser verbracht, aber sie wußte aus Erfahrung, daß Seewasser allein den Schmutz nicht entfernen konnte, der die Haut der meisten Strandräuber dunkel aussehen ließ. Was würde der junge Mann nur von ihr denken, wenn er ihren Körper sehen würde, so wie sie seinen gesehen hatte! Wahrscheinlich würde er sich angeekelt abwenden, dachte sie bei sich und verzog das Gesicht.

An einer Wand der Hütte stand ein zersprungener Pfeilerspiegel, ein Überbleibsel von einem Schiffswrack. Der Spiegel war gelb und fleckig, und Marianna warf selten einen Blick hinein; aber das Glas war sauber genug, um sie in voller Größe zu zeigen.

Es war kein ermutigender Anblick: Ein Gewirr dunklen Haares, ein braunes Gesicht mit spitzem Kinn, große, dunkle Augen und ein formloses Durcheinander von Lumpen, das ihre Kleidung darstellte. Marianna wußte, daß sie eigentlich keine Zeit zu verlieren hatte, aber trotzdem zog sie sich aus, um ihren Körper zu betrachten, auch wenn sie Angst vor dem hatte, was sie erwartete. Das rauchige Glas zeigte eine kleine, weibliche Gestalt, rund und kurvenreich. Die Füße waren klein und wohlgeformt, die Beine gerade, die Hüften plump und rund, und die Taille schmal, so daß die Brüste darüber noch größer aussahen, als sie waren. Marianna war alles andere als zufrieden mit ihrem Anblick. Sie war zu klein. Ihre Beine waren zu kurz. Ihr Gesicht war nicht fraulich genug. Sie wollte aber schön sein – für ihren jungen Mann. Er war selbst so schön.

Sie sah hinunter auf ihre Brüste und berührte sie. Sie empfand sie meistens als lästig, und doch waren sie der Grund dafür, daß Jude sie begehrte und die anderen Männer sie mit feurigem Blick ansahen. Sie fragte sich, ob sie dem jungen Mann ebenfalls gefallen würden.

Sie streckte einen ihrer schlanken Arme aus und betrachtete prüfend ihre Haut. Schmutz. Definitiv Schmutz, der sich tief in ihre Haut gefressen hatte. Sie hob den Arm höher und schnupperte vorsichtig an ihrer Achselhöhle. Sie rümpfte die Nase und wandte den Kopf ab. Ja, auch sie roch, vielleicht nicht ganz so schlimm wie Jude, aber sie stank, wie die anderen auch.

Marianna wandte sich von dem Spiegel ab und durchwühlte einen Schrank nach einer Emailleschüssel, ohne darüber nachzudenken, wieviel wertvolle Zeit sie verschwendete.

Noch immer nackt, eilte sie in das größere Zimmer und holte einen Krug Wasser, den sie in die Schüssel goß. Es dauerte etwas länger bis sie einen sauberen Waschlappen gefunden hatte, aber schließlich entdeckte sie in einer Ecke des Schlafraums ein Stück graues Tuch und schließlich Seife – ein gelbes, stark riechendes Stück, das wachsig in ihrer Hand lag.

Zitternd begann sie sich damit abzuschrubben, vom Gesicht angefangen, über Ohren, Hals, Oberkörper und Beine. Die Seife brannte, ihr Duft stieg ihr beißend in die Nase, und die Kälte verursachte ihr eine Gänsehaut, aber sie machte verbissen weiter, bis sie von oben bis unten eingeseift war. Dann ging sie in den anderen Raum, um sich die Seife abzuwaschen.

Als sie schließlich fertig war, betrachtete sie sich erneut im Spiegel. Dabei hatte sie das seltsame Gefühl, daß sie sich nicht nur den Schmutz vom Körper gewaschen hatte, sondern viel, viel mehr.

Sie betrachtete den Haufen Kleider, den sie abgelegt hatte und schüttelte den Kopf. Der Gedanke, die schmutzigen Kleider über ihre saubere Haut zu ziehen, war ihr unerträglich.

Sie durchwühlte den Kleiderschrank, bis sie schließlich einen Rock und ein Wams fand, die nicht so schmutzig waren wie die anderen Sachen, und ein Paar einigermaßen saubere Wollstrümpfe. Das mußte reichen.

Sie zog die Sachen schnell an und bearbeitete dann ihren Lokkenkopf mit einem fast zahnlosen Kamm, bis ihr Schopf etwas ordentlicher aussah.

Sehr zufrieden mit sich selbst, öffnete sie die Tür der Hütte und trat hinaus auf den Holzblock, der als Vortreppe diente. Sie konzentrierte sich so auf ihre Füße, daß sie die große Gestalt vor sich gar nicht wahrnahm, bis sie plötzlich aufblickte und direkt in Ezekial Throags Gesicht sah.

Augenblicklich waren ihre gute Laune und ihr Selbstvertrauen dahin. Ein Blick in Ezekial Throags kalte, grüne Augen war fast zuviel für sie. Es gab nicht viel, was ihr wirklich Angst machte: Jude – auch wenn sie normalerweise mit ihm fertig wurde –; Wasser – sie hatte schreckliche Angst vor dem Ertrinken, und Ezekial Throag. Der ältere Throag, so schien es Marianna, hatte Ähnlichkeit mit einem Gewässer – er war unberechenbar, unkontrollierbar – eine Naturgewalt, auf die ein normaler Sterblicher keinen Einfluß hatte.

Marianna spürte, wie sie sich in ihr Schneckenhaus zurückzog. »Guten Tag, Master Throag. Ich gehe gerade zurück zum Strand.« Sie senkte die Augen und starrte auf die Spitzen ihrer Gummistiefel. Sie spürte, wie sich seine Gegenwart drohend wie eine dunkle Sturmwolke über ihr erhob.

»Sieh mich an, Mädchen«, befahl er mit tiefer Stimme.

Marianna gehorchte nur zögernd. Ezekial Throag betrachtete sich die Frau seines Sohnes mit furchteinflößendem Blick. Er wüßte sehr gut, welche Wirkung seine bloße Anwesenheit hatte, und er genoß das Gefühl der Macht, das ihm dadurch vermittelt wurde, und die Angst, die er damit erzeugen konnte.

In diesem Augenblick bereitete es ihm besonderes Vergnügen, weil die Frau, oder vielmehr das Mädchen, selbst in den unförmigen Kleidern ein hübsches Ding war, und das ohne die künstlichen Hilfsmittel, die besser gestellten Frauen zugänglich waren. Hätte es sich nicht um die Frau seines Sohnes gehandelt, hätte er sie sich ohne Zögern genommen; aber sein Sohn war nun einmal sein Sohn, und er war der einzige Mensch, der ihm etwas bedeutete.

Throag ließ seinen nachdenklichen Blick auf Marianna ruhen und freute sich darüber, daß sie errötete. Wie leicht es war, sie einzuschüchtern, zu beeinflussen! Dieses Gefühl der Unsicherheit war es, das Throag in seinen Untergebenen immer zu erwecken versuchte. So lebten sie immer in Angst vor ihm, und solange sie Angst hatten, gehorchten sie ihm bedingungslos.

»Beeil dich besser«, sagte er schließlich kalt. »Die See wird langsam rauh, und ich will, daß die restliche Beute eingeholt ist, bevor es unmöglich wird.«

»Ja, Master Throag«, sagte Marianna mit gesenktem Kopf. »Ich gehe sofort.«

Das Mädchen eilte in Richtung Strand davon, und Throag starrte ihr hinterher, sein kaltes Lächeln noch auf den Lippen. Ja, es war wirklich eine verdammte Schande, daß Jude das Mädchen vor ihm entdeckt hatte. Aber es gab noch wichtigere Dinge im Leben. Das Wrack der letzten Nacht hatte reiche Beute gebracht, ganz abgesehen von anderen Dingen. Die Brüder in Northampton würden zufrieden sein. Ja, er machte seine Arbeit gut. Sehr gut.

Marianna konnte erst spät nachts zu der Hütte zurückkehren, in der sie den jungen Mann versteckt hatte. Krank vor Ungeduld hatte sie sich dazu gezwungen, zusammen mit den anderen am Strand ihre Arbeit zu tun und mit ihnen zu den Hütten zurückzukehren. Sie tat es aus Angst, denn sie hatte den ganzen Nachmittag lang Throags mißtrauischen Blick in ihrem Rücken gespürt. Ob er etwas ahnte? Aber wie könnte er? Allerdings war Ezekial Throag kein gewöhnlicher Mensch, er schien alles zu wissen! Es war fast, als hätte er ein zweites Paar Augen, das Tag und Nacht offen stand.

Es gehörte zu ihren Pflichten, für Jude und seinen Vater zu kochen. Sie kochte etwas von dem Pökelfleisch und backte Brot, das sie mit ausgezeichneter Marmelade bestrichen, die sie am Nachmittag erst aus dem Wrack geborgen hatten; Marianna, die eigentlich Süßes liebte, schmeckte heute nichts. Sie dachte an den jungen Mann und daran, wie leer sein Magen sein mußte und wie trocken seine Kehle. Sie mußte zu ihm, sonst würde er sterben.

Wie gewöhnlich zogen Jude und Marianna sich früh zurück, und wie gewöhnlich nahm Jude sie vor dem Schlafengehen.

Marianna ließ es über sich ergehen; sie hatte das Gefühl, Judes Berührungen und Intimitäten beschmutzten ihren jetzt so sauberen Körper. Als es vorbei war, blieb sie ruhig liegen, bis er zu schnarchen begann.

Jude hatte einen tiefen Schlaf, und wenn er erst einmal schlief, wachte er höchstens auf, wenn die Signalglocke geläutet wurde. Selbst dann mußte man ihn wachrütteln; Marianna konnte also relativ sicher sein, daß er ihr Verschwinden nicht bemerken würde. Draußen hatte sich dichter Nebel über die Dunkelheit gelegt, aber Marianna hatte keine Schwierigkeiten, den Weg zur Hütte des alten Jack zu finden. Zögernd näherte sie sich dem Eingang. Ob er wohl gestorben war, so geschwächt wie er war, ohne Wasser und Nahrung? War ihre ganze Mühe vergebens gewesen?

Zitternd schob sie den Riegel zur Seite und lugte in die Dunkelheit. »Junger Herr?« Sie lauschte mit angehaltenem Atem auf eine Antwort.

»Bist du es – meine Lebensretterin? Ich weiß nicht einmal deinen Namen …«

Marianna atmete erleichtert auf. Seine Stimme klang schwach, aber er lebte.

Marianna tastete sich den Weg bis zu seinem Lager und ließ sich auf die Knie fallen. Ihre Hand ertastete seinen Kopf. »Ich habe dir Essen, etwas zu trinken und ein paar trockene Kleider mitgebracht.«

»Hast du eine Kerze dabei?«

Sie schüttelte den Kopf, aber dann wurde ihr klar, daß er sie ja gar nicht sehen konnte. »Nein, das habe ich mich nicht getraut. Ein Licht könnte man vom Dorf aus sehen. Hier –« sie öffnete ihr Bündel und reichte ihm ein Stück Brot mit Pökelfleisch – »iß das. Du mußt ja am Verhungern sein.«

Sie spürte, wie seine Hände gierig nach dem Essen griffen. »Ja, aber bitte gib mir zuerst etwas Wasser, sonst kann ich nicht schlucken.«

Sie reichte ihm den Wasserkrug. »Ich habe auch Wein mitgebracht und ein bißchen Marmelade.«

»Du bist wundervoll«, sagte er zwischen zwei Schlucken Wasser. »Du hast wirklich an alles gedacht.«

Bei diesen für sie ungewohnten Lobesreden wurde ihr ganz warm. Sie fütterte ihn vorsichtig, reichte ihm stückchenweise Fleisch und Brot und gab ihm von dem Wein. Als er fertig war, wickelte Marianna die Reste in ein Stück Stoff ein und legte das Bündel oben auf den Kleiderschrank. »Da kriegen es die Ratten nicht so leicht«, meinte sie praktisch denkend.

Er seufzte. »Ah, jetzt geht es mir schon besser. Du mußt mit unbedingt deinen Namen sagen – ›meine Retterin‹ klingt so komisch.«

Marianna lächelte in die Dunkelheit und ließ sich neben ihm auf dem Strohlager nieder. »Mein Name ist Marianna. Marianna Harper.« Ihr Lächeln wurde noch breiter, auch wenn er es nicht sehen konnte. »Weißt du, wie ich dich heimlich genannt habe?«

»Nein«, sagte er, ein Lachen in der Stimme.

»Mein Strandgut«, sagte sie.

Er lachte leise. »Nun, genau das bin ich eigentlich auch, nur ein Stück Strandgut, das das Meer angespült hat. Mein richtiger Name allerdings lautet Phillip, Phillip Courtwright.« Bei diesen Worten wurde seine Stimme ernst, und Marianna fragte sich, ob er wohl an die anderen dachte, die mit dem Wrack des Schiffes untergegangen waren.

»Was machen wir jetzt?« fragte er, noch immer ernst. »Du kannst mich ja schließlich nicht für immer hier verstecken. Wir müssen uns einen Plan ausdenken, wie ich von hier wegkomme. Ich habe Wichtiges zu erledigen.«

Marianna spürte, wie ihr kalt ums Herz wurde. Sie hatte nur für den Augenblick gelebt und gar nicht daran gedacht, daß er sie wieder verlassen würde. Sie antwortete gereizt: »Ich habe bis jetzt noch keine Zeit gehabt, Fluchtpläne für dich auszuhecken. Ich habe genug damit zu tun gehabt, dich am Leben zu halten. Das war ein ganz schönes Stück Arbeit. Jetzt bin ich todmüde, und dabei muß ich noch bis ins Dorf zurücklaufen.«

»Oh«, meinte er zerknirscht. »Es tut mir furchtbar leid, Marianna. Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich wollte nicht undankbar sein. Mein Gott, wenn du mich nicht gefunden und versorgt hättest …!«

Sie sträubte sich nicht, als er sie an sich zog; die Zärtlichkeit in seiner Stimme und die Freundlichkeit seiner Worte entwaffneten sie, wie es keine Drohung vermocht hätte. Es war so schön, nachzugeben, sich an seine nackte, warme Brust ziehen zu lassen, seine Finger im Haar zu spüren, seine sanften, liebevollen Lippen auf den ihren zu fühlen.

Marianna konnte nicht mehr denken. Es war, als hätte sie die Vernunft in ihrem Gehirn ausgeschaltet. Sie half ihm dabei, ihr die Kleider abzustreifen, Stück für Stück, bis sie so nackt war wie er. Seine Berührungen waren eine Offenbarung für sie, denn sie hatte bisher von Männern nur Grobheiten und Brutalität erfahren. Sie hatte bis dahin nicht gewußt, daß ihre Haut einer Berührung soviel Vergnügen abgewinnen konnte. Seine Finger liebkosten ihre Brustwarzen, versetzten ihre Nerven in Spannung und sandten Wellen unbeschreiblichen Vergnügens und Verlangens durch ihren Körper. Er behandelte sie wie einen wertvollen Schatz, nicht wie einen Gebrauchsgegenstand, den man hinterher wegwarf. Ihr Geist und ihr Körper genossen das Gefühl seiner Nähe, und ihr Körper wand sich seinen Berührungen entgegen.

»Marianna?« Seine Stimme bebte, und sie zitterte, als sie das Flehen darin hörte. So hatte noch nie jemand zu ihr gesprochen. »Marianna, darf ich dich lieben? Bitte sag ja. In mir brennt alles. Ich vergehe danach, in dir zu sein.«

Sie lachte leise. »Da fragst du aber früh um Erlaubnis. Du bist ja schon fast dabei.«

Sein Atem klang angestrengt und begierig in ihrem Ohr. »Dann darf ich also?«

»Ja, Phillip, ja!« antwortete sie atemlos; sie konnte es kaum erwarten, herauszufinden, ob das Übrige ebenso neuartig für sie sein würde wie das Vorspiel.

Er brauchte sie sehr, das konnte sie dem Zittern seines Körpers und der Erektion seines Gliedes entnehmen; aber trotzdem blieb er sanft und zärtlich, als er in sie eindrang, als hätte er Angst, ihr weh zu tun. Marianna staunte über seine Beherrschtheit und verspürte plötzlich ihrerseits Verlangen nach Vereinigung, nach Berührung und Bewegung.

Und dann war er in ihr, und Marianna hatte nie etwas Schöneres erlebt. Zum erstenmal empfand sie Vergnügen, ein so intensives Vergnügen, daß sie sich fragte, warum sie es nie zuvor verspürt hatte. Das ist also das, worüber die anderen soviel reden, dachte Marianna im stillen, deshalb haben die Frauen es gerne, wenn ihre Männer mit ihnen ins Bett gehen. Zum erstenmal war sie glücklich darüber, eine Frau zu sein.

Und dann wurden all ihre Gedanken von einer Woge des Glücksgefühls fortgeschwemmt, die sie vor Lust aufstöhnen und schreien ließ.

Als Marianna einige Zeit später erwachte, spürte sie, daß sie tief geschlafen haben mußte. Ihr Körper war wunderbar entspannt und träge, und sie war zum erstenmal in ihrem Leben richtig glücklich.

Sie konnte Phillips Körper neben sich fühlen und seinen regelmäßigen Atem hören.

So war das also zwischen Mann und Frau! Aber spürten alle dieses Gefühl? Hatte die rothaarige Jenny das bei Jude verspürt? War sie deshalb so eifersüchtig und zornig darüber, ihn zu verlieren? Und wenn es stimmte, warum hatte dann sie, Marianna, bei Jude nichts dergleichen empfunden? Warum hatte sie nur Unbehagen und Abscheu verspürt?

Plötzlich fiel ihr ein, was Phillip gesagt hatte: »Ich muß weg von hier.« Sie konnte ihn nicht fortlassen – nicht, nach dem, was gerade zwischen ihnen passiert war. Sie mußte ihn in ihrer Nähe behalten. Heiße Tränen brannten ihr in den Augen. Sie wußte, daß das unmöglich war. Es würde sie beide in Lebensgefahr bringen. Sie konnte den anderen vielleicht ein paar Tage lang etwas vormachen, aber länger nicht. Irgend jemand würde irgendwann Verdacht schöpfen.

Sie fragte sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis die Sonne aufging. Das beste war sicher, wieder in ihre eigene Hütte zurückzukehren; sie mußte dort sein, bevor Jude aufwachte.

Vorsichtig wollte sie von dem Strohlager gleiten, aber Phillip wachte auf und schlang seinen Arm um ihre Taille. »Nein! Geh nicht, Marianna! Schöne, süße Marianna! Geh noch nicht!«

»Ich muß«, flüsterte sie. »Wenn Jude merkt, daß ich nicht da bin, ist es aus mit dir, und mit mir erst recht. Du bleibst hier, versteckst dich, und ich werde morgen versuchen, dir wieder Wasser und Essen zu bringen.«

»Danke, liebste Marianna«, sagte er, zog sie an sich und küßte sanft ihre Lippen. »Das Wasser und das Essen habe ich sehr nötig gehabt, aber dich, Marianna, habe ich viel mehr gebraucht! Weißt du eigentlich, wie wunderbar du bist?«

Marianna spürte, wie sie errötete. Sie wußte gar nicht, wie sie auf so ungewohnte Komplimente reagieren sollte.

»Marianna, mein edler Schutzengel!«

Er zog sie noch dichter zu sich drehte sie herum, und bevor sie noch recht wußte, wie ihr geschah, wurde sie schon wieder von den wunderbaren Zärtlichkeiten, der Umklammerung und dem herrlichen Gefühl des Eindringens fortgerissen, das sie beide zu einem wunderbaren Höhepunkt trug.

Als Marianna schließlich aufstand, wollten sie ihre Beine kaum tragen, und sie fühlte sich schwach und verwundbar. Sie ging wie im Traum zurück ins Dorf, und ihre Seligkeit erleichterte es ihr sogar, neben Judes ungeschlachte, übelriechende Gestalt auf das Strohlager zu gleiten.

Die nächsten zwei Tage verlebte Marianna in einer Traumwelt; sie verrichtete ihre Arbeit mechanisch und ohne geistige Anstrengung, denn mit ihren Gedanken war sie immer bei Phillip und den Stunden, die sie heimlich miteinander verbrachten. Sie nahm ihre Umgebung so wenig wahr, daß sie überhaupt nicht merkte, daß Ezekial Throag sie argwöhnisch beäugte und Jude finster vor sich hinmurmelte, wenn sie seinen Annäherungsversuchen im Bett auswich.

Es wurde ihr immer unangenehmer, mit ihm zu schlafen. Selbst als sie es noch nicht anders gekannt hatte, waren ihr seine Zudringlichkeiten zuwider gewesen; jetzt aber, da sie die Liebe mit Phillip erlebt hatte, waren sie ihr fast unerträglich.

Aber sie war so tief in ihre Traumwelt versunken, daß sie Judes wachsende Unzufriedenheit gar nicht wahrnahm. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was Phillip für Dinge zu ihr gesagt hatte, und wie sie es anstellen könnte, ihn hier bei sich, auf den Sandbänken, zu behalten und ihn doch vor den anderen zu verstecken.