Silvershade Academy: Sammelband der romantischen Fantasy-Dilogie »Silvershade Academy« - Annie Laine - E-Book
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Silvershade Academy: Sammelband der romantischen Fantasy-Dilogie »Silvershade Academy« E-Book

Annie Laine

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Beschreibung

NIEDRIGER AKTIONSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT! Niemals hätte es Eve für möglich gehalten, dass es magische Wesen gibt. Und dass ausgerechnet sie auf ein Internat geschickt werden würde, in dem es davon nur so wimmelt. Aber Eve ist kein gewöhnliches Mädchen und muss bald feststellen, dass die Silvershade Academy sie dringend braucht. Als Nachfahrin eines Ahnengeschlechts von Sehern besitzt sie eine besondere Gabe und hält damit die Zukunft der Academy in ihren Händen. Aber eine ganze magische Welt vor dem Untergang zu bewahren ist nicht nur für einen Neuling wie sie alles andere als leicht. Vor allem wenn man dabei auf die Hilfe eines attraktiven Dämons angewiesen ist, bei dem nie ganz klar ist, auf wessen Seite er eigentlich steht und für wen sein Herz schlägt … »Das ist die wichtigste Regel der Schule: Lass dich nie auf einen Dämon ein.« Eine mutige Seherin und ein gefährlich attraktiver Dämon, der sich für das Gute entscheiden muss, um die Welt der Magischen zu retten. Eine Geschichte voller Spannung, Magie und Herzklopfen! //Dies ist die Gesamtausgabe der magisch-romantischen Buchreihe »Silvershade Academy«. Sie enthält alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte: -- Silvershade Academy 1: Verborgenes Schicksal  -- Silvershade Academy 2: Brennende Zukunft// Diese Buchreihe ist abgeschlossen. 

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2021 Text © Annie Laine, 2020, 2021 Lektorat: Yvonne Lübben Coverbild: freepik.com / © wirestock / © sugiartoss_ / © jenteva / shutterstock.com / © Yuliia Popova / © Ironika / © Eduard Muzhevskyi / © letovsegda Covergestaltung der Einzelbände: Emily Bähr Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60686-7www.carlsen.de

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Annie Laine

Silvershade Academy 1: Verborgenes Schicksal

**Wenn du die Macht hast, die Zukunft zu verändern …**Nacht für Nacht quälen die 17-jährige Eve seltsam verstörende Albträume voller Rauch, Feuer und Zerstörung. Doch es kommt noch schlimmer: Kaum kriegt ihre Tante Wind davon, schickt sie Eve an die mysteriöse Silvershade Academy. Und obwohl Eve am liebsten ganz weit weg wäre, muss sie schon bald feststellen, dass sie sich auf einem Internat für magische Wesen befindet und es dort gar nicht so schlecht ist. Als Nachfahrin eines Ahnengeschlechts von Sehern besitzt auch sie die Gabe des Sehens und hält damit die Zukunft in ihren Händen. Diese ist jedoch nicht so leicht zu beherrschen, wenn eine dunkle Macht droht, die Ordnung der gesamten magischen Welt zu zerstören. Nur der düstere Bad Boy und Dämon Alistair scheint ihr jetzt noch helfen zu können …

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Vita

Danksagung

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© Studioline Photography

Annie Laine wurde im schönen Osthessen geboren. Nach dem Realschulabschluss führt sie ihr Leben zunächst in ganz verschiedene Richtungen. Sie schließt eine Ausbildung ab und arbeitet ein halbes Jahr auf der Kanareninsel Teneriffa, findet aber nicht ihre Passion darin. Das zieht sie schließlich zurück zu den Büchern. Während sie tagsüber Buchhandel/Verlagswirtschaft studiert, verbringt sie ihre Nächte mit dem Schreiben eigener Texte und betreibt einen Bücherblog.

Für Isabell, meine Lebensretterin!

Was täte ich nur ohne dich?

Ganz viel Liebe. <3

PROLOG

Feuer.

Überall ist Feuer.

Es frisst sich durch das Parkett, brennt die Tapete und Vorhänge nieder und macht auch vor den Möbelstücken nicht Halt. Die Umgebung flimmert. Ich verliere den Fokus, kann nicht mehr klar denken. Hektisch suche ich nach einer Fluchtmöglichkeit und mein Blick gleitet zum Fenster. Durch den Rauch, der sich unablässig im Raum verteilt, langsam meine Lunge füllt und meine Augen tränen lässt, sind die Scheiben beschlagen. Ich könnte springen, mich in Sicherheit bringen.

Ohne zu zögern, durchquere ich den Raum und schiebe das Fenster auf. Unmengen an Rauch strömen an mir vorbei nach draußen. Das Knistern des Feuers dröhnt in meinen Ohren wie Tausende winzige und doch verheerende Explosionen.

Ein einziger Blick nach unten genügt und ich schlucke. Bei dem Sprung würde ich mir alle Knochen brechen.

Verdammt, doch keine gute Idee.

Aber was für eine andere Möglichkeit bleibt mir? Dort, wo vorher eine massive Tür war, züngeln riesige orange-rote Flammen in die Höhe und treiben mich in die Enge. Ein Gedanke schießt durch meinen Kopf, nimmt mich vollkommen ein.

Ich werde hier drinnen sterben.

»Eve!« Eine verzerrte, jedoch vertraut klingende Stimme dringt wie durch Watte zu mir hindurch. Erleichterung durchflutet mich für einen Sekundenbruchteil, doch sie ist zu weit weg. Zu weit, um mich aus diesem Inferno zu befreien.

Ich werde hier drinnen sterben!

Tränen der Verzweiflung lösen sich aus meinen Augenwinkeln und trocknen durch die Hitze noch auf dem Weg zu meinem Kinn. Mein Bewegungsspielraum wird immer kleiner. Die Hände verkrampfe ich um den Fenstersims.

»Hier bin ich!«, rufe ich zurück, so laut ich kann. »Schnell! Das Feu–« Ein Hustenanfall erschüttert mich. Ich versuche nach Luft zu schnappen, aber es ist kaum noch etwas davon übrig. Der Rauch brennt in meiner Kehle, vernebelt meinen Verstand, macht es mir unmöglich zu atmen. Ich sinke auf die Knie, stütze mich mit den Armen am Boden ab, allerdings werden auch sie immer schwächer. Mit jeder Sekunde drifte ich weiter ab, kann meine tränenden Augen kaum noch offen halten.

Die Feuerzungen kommen näher. Meine Angst und Panik weichen Resignation. Es gibt keine Rettung. In wenigen Augenblicken ist es vorbei.

Als die Flammen mich erreichen, bereite ich mich auf den ersten todbringenden Stich vor …

Ein schriller Schrei löst sich aus meiner Kehle, als ich aus dem Schlaf aufschrecke und nur eine Sekunde später kerzengerade in meinem Bett sitze. Noch immer glüht meine Haut, als wäre sie wirklich der sengenden Hitze ausgesetzt gewesen, und mein Herz klopft hektisch.

Automatisch führe ich eine Hand an meine Brust, um meinen Herzschlag zu spüren. Ich lebe. Ich lebe. Ich lebe. Immer wieder sage ich mir selbst diese beiden Worte, um mich daran zu erinnern, dass nichts davon tatsächlich geschehen ist.

Ich lebe.

Das Feuer hat mich nicht getötet.

Es gibt keinen Brand.

Ich bin in Sicherheit, denn es war nichts weiter als ein Albtraum.

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr gewöhnen sich meine müden Augen an die Dunkelheit um mich herum. Durch die schweren Vorhänge dringt stellenweise kühles Mondlicht in den Raum und ein milder Luftzug, der durch das offene Fenster hineingekommen ist, streicht über meine mit Gänsehaut überzogenen Arme.

Noch immer läuft mir Schweiß über die Stirn, ich spüre die unfassbare Hitze und die Todesangst bleibt allgegenwärtig. Um die Gedanken zu vertreiben, schüttele ich den Kopf. Langsam beruhigt sich meine Atmung, aber erst als ich nicht mehr am ganzen Leib zittere, stehe ich auf und tapse durch mein Zimmer.

Mit nackten Füßen schleiche ich durch den Flur der winzigen Wohnung in Ashburn, in die meine Tante und ich vor etwa drei Monaten gezogen sind. In der Küche brennt Licht. Nancy kann offenbar auch nicht schlafen.

Lautlos schiebe ich die Tür auf und betrete den Raum. Meine Tante sitzt am Tisch, neben sich eine Tasse dampfenden Tee, vor sich ein Buch. Als sie mich bemerkt, dreht sie sich um und schenkt mir ein Lächeln.

»Wieder ein Albtraum?«, fragt sie. Am liebsten würde ich es abstreiten, aber das wäre eine Lüge und wir beide wissen es. Immerhin ist es nicht der erste Albtraum dieser Art, der mich überfällt und mit klopfendem Herzen aus dem Schlaf aufschrecken lässt, bevor das Feuer mich verschlingt.

»Wie jede Nacht.« Seufzend lasse ich mich ihr gegenüber an unserem Küchentisch nieder. »Wird das jemals wieder aufhören?« Diese Albträume, die ständige Angst und immer wieder mitten in der Nacht aufzuschrecken … wie soll ich so weitermachen? Allein der Gedanke, für den Rest meines Lebens davon geplagt zu sein, lässt mich schlucken.

Tante Nancy betrachtet mich mitleidig, ihre blauen Augen glitzern verdächtig. »Wahrscheinlich nicht, Liebes«, bestätigt sie daraufhin meine Befürchtung.

Seit Wochen werde ich davon geplagt und es wirkt, als gäbe es kein Entrinnen vor den Flammen.

»Soll ich dir eine heiße Milch machen?«

Wieder nicke ich und hänge meinen Gedanken nach, bis sie mir eine dampfende Tasse vor die Nase schiebt und ein liebevolles Lächeln schenkt. Dankbar erwidere ich ihren Blick, als mir der vertraute Duft von warmer Milch in die Nase steigt. Er erinnert mich an meine Kindheit, damals, als ich diese Sorgen noch nicht hatte.

»Eigentlich hatte ich gehofft es länger hinauszögern zu können, aber es wird Zeit. Liebes, wir müssen über etwas sehr Wichtiges sprechen.«

»Jetzt?«, erwidere ich verwirrt und runzle die Stirn. Mein Blick gleitet zu der Uhr an unserer Mikrowelle. »Um vier in der Früh?«

»Ich habe schon viel zu lange gewartet, Eve, weil ich dich nicht schon wieder aus dein…«

Sie braucht gar nicht weiterzureden, denn ich weiß bereits, was sie mir sagen will. Es geht immer so los und endet unweigerlich mit gepackten Koffern, einer leeren Wohnung und einem Abschied. »Wohin ziehen wir dieses Mal?«

Von meinem Einwurf überrascht stockt meine Tante, ehe sie versucht mit einem entschuldigenden Lächeln die Wogen zu glätten. Erfolglos. »Nicht wir, Liebes. Du.«

»Was meinst du damit?«

Sie zögert kurz und senkt den Blick, als würde sie sich nicht trauen mich anzusehen.

Unruhe macht sich in mir breit. »Tante Nancy, wo schickst du mich hin?«, verlange ich zu wissen. Obwohl ich mich bemühe meine Stimme ruhig und neutral zu halten, kann ich nicht verhindern, dass sie zum Ende des Satzes hin höher wird. Wieder brennen mir Tränen in den Augen, doch ich verbiete mir sie an die Oberfläche treten zu lassen. Drei Monate. Drei viel zu kurze Monate durfte ich hier verbringen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis uns oder mir der nächste Umzug bevorsteht.

Endlich schaut sie auf. »Sagt dir die Silvershade Academy etwas?«

KAPITEL 1

Ich hasse erste Schultage.

Man sollte meinen, so oft wie ich solche bereits hinter mich gebracht habe, wäre ich abgehärtet, aber das Getuschel und die Gerüchte, die hinter meinem Rücken verbreitet und weitergetratscht werden, lassen mich noch immer nicht kalt. Der Gedanke, wieder einmal die Neue zu sein, fühlt sich furchtbar an.

Nervös zupfe ich am Saum des grauen, karierten Rocks, der zu meiner neuen Schuluniform gehört, und versuche mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Vergebens. In meinem Leben musste ich noch nie eine Schuluniform tragen und allein der Anblick heute Morgen im Spiegel fühlte sich seltsam und ungewohnt an. Als wäre ich nicht mehr ich und ich hasse es. Nicht dass ich vorher einen besonders ausdrucksstarken Kleidungsstil gehabt hätte, aber diesem Fummel fehlt jegliche Persönlichkeit. Auch die Silberfäden, die sich durch den ansonsten mausgrauen Stoff von Rock und Blazer ziehen, können meine Meinung daran nicht ändern.

»Kopf hoch, Eve. Es wird dir hier gefallen«, beschwichtigt mich Tante Nancy zum hundertsten Mal. Wieder einmal funktioniert es nicht. Resigniert verdrehe ich die Augen.

Zwei Tage.

Zwei verdammte Tage, nachdem sie mir eröffnet hat, wo sie mich hinschickt, ist bereits alles für meinen Wechsel auf das Internat erledigt. Nach Jahren ständiger Umzüge ist sie ein Profi darin, die Formulare der Schulen auszufüllen, doch ich hätte nicht gedacht, dass sie bloß 48 Stunden benötigt, um mich von der Stone Bridge High abzumelden, an der Silvershade Academy einzuschreiben, mir die Uniform zu besorgen und mich mit gepackten Koffern bis zu den Toren des Internats zu bringen. Hätte sie sich nicht noch einen Tag länger Zeit lassen können? Einen einzigen? Wieso ausgerechnet heute?

»Nur weil es dir hier gefallen hätte, muss das auf mich noch lange nicht zutreffen«, erwidere ich kühl und richte den Blick auf den Boden. Meine Füße stecken in einfachen schwarzen Lackschuhen, die ebenfalls zur Uniform gehören. Nicht mal meine Sneakers darf ich tragen, geschweige denn Jeans. Nur am Wochenende ist es gestattet, normale Kleidung zu tragen. Den Rest der Schulordnung und die Regeln für das Leben im Internat werde ich heute erfahren. Allein, denn dann wird meine Tante schon lange wieder auf dem Weg nach Hause sein. Nur dass es nicht mehr mein Zuhause ist.

Wie kann sie mir das bloß antun? Nach so vielen Jahren mich einfach abschieben?

»Deine Mom hat hier ihren Abschluss gemacht …« Sie schiebt eine Strähne ihrer brünetten Haare, die ihr durch eine Windböe ins Gesicht geweht wurden, hinters Ohr.

Ich verziehe keine Miene, versuche nicht einmal Freude zu heucheln, wo keine ist. »… und sie wollte das Gleiche für mich, das weiß ich. Du wirst nicht müde, es zu erwähnen. Aber … Mom ist seit Jahren tot und sie hätte nicht gewollt, dass du mich schon wieder aus meinem Leben reißt.«

Wir waren doch gerade erst in Ashburn angekommen und es war, als hätten wir einen Ort gefunden, an dem wir bleiben können. Keine ständigen, viel zu überstürzten Umzüge mehr. Endlich hätte ich Freundschaften schließen können, ohne nach ein paar Monaten wieder zu verschwinden. Nur Wunschdenken. Die Kleinstadt liegt zwar kaum fünfzehn Minuten entfernt, doch den Schülern des Internats ist es nicht gestattet, das Gelände zu verlassen. So schön und riesig das herrschaftliche Anwesen, in dem die Schule untergebracht ist, auch sein mag, trotz allem ist es für mich nicht mehr als ein Gefängnis. Ein verdammter goldener Käfig, in den meine Tante mich einschließt und den Schlüssel wegwirft, bis ich in zwei Jahren meinen Abschluss mache.

»Es wäre ihr Wunsch gewesen«, widerspricht Nancy daraufhin und legt mir versöhnlich eine Hand auf die Schulter. Eilig schüttele ich sie ab, denn davon will ich nichts hören. »Sie hat es hier geliebt und du wirst es auch.«

Skeptisch hebe ich eine Braue. »Ach ja?«

Aufmunternd knufft sie mich in die Schulter. Dieses Mal erlaube ich es. Die Berührung wirkt tröstlich und lässt mich für einen kurzen Augenblick glauben, wir hätten beide keine Wahl. Aber das stimmt nicht. Sie hatte eine, doch anstatt mich zu fragen, was ich will, hat sie über meinen Kopf hinweg entschieden. Noch immer bin ich deshalb wütend auf sie, allerdings weiß ich, wann ich verloren habe.

»Eines Tages wirst du mir dafür danken.«

»Ich danke dir erst, wenn du mir eröffnest, dass das alles nur ein Scherz ist. Dann fahren wir zurück nach Ashburn und während ich in der Schule bin, bereitest du alles für eine nicht mehr so überraschende Überraschungsparty vor.«

Nie ist ein erster Schultag auf meinen Geburtstag gefallen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis auch das passiert. Jetzt kriege ich statt einer Feier zu meinem Siebzehnten … das hier. Obendrauf gab es als Geschenk von meiner Tante einen neuen Schulrucksack mit jeder Menge Schreibwaren. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, als ich es geöffnet habe, dachte sie wirklich, ich würde mich darüber freuen, aber für mich war es nicht mehr als ein schlechter Scherz.

»Du weißt, das geht nicht.«

»Es geht schon. Du willst nur nicht.«

»Wir holen deine Feier in den Ferien nach«, verspricht sie mir, doch wir beide wissen, dass es nicht dazu kommen wird.

»Verzichte.«

Unterdessen puste ich mir eine verirrte Ponyfranse aus der Stirn und lasse meinen Blick die mannshohe Mauer entlangwandern, die nur erahnen lässt, welch prachtvolles Gebäude dahinterliegt. Sogleich fällt mir der silberne Nebel ins Auge, der sich ganz sachte auf das Gestein und die Dächer der einzelnen Gebäude legt. Gänsehaut zieht sich über meine Arme, während ich die wabernden Schwaden beobachte. Sie haben etwas … Außergewöhnliches, etwas, das nicht von dieser Welt stammt. Ich kann es kaum in Worte fassen. Mit aller Kraft widerstehe ich dem Drang, mich ihm zu nähern und zu berühren.

Niemand weiß, woher er kommt, doch in der kurzen Zeit, die ich an der Stone Bridge High verbracht habe, habe ich die ein oder andere Legende aufgeschnappt. Der Wald, in dem meine neue Schule liegt, muss für sie das Paradies auf Erden darstellen.

Eine wissenschaftliche Erklärung für den Nebel, nach dem die Silvershade Academy benannt worden ist, gibt es laut meinen Internetrecherchen nicht. Dafür einige Berichte, dass das Gelände verlassen sein soll. Vor zwei Wochen hätte ich das geglaubt, aber jetzt weiß ich es besser. Der Schulbetrieb läuft nach wie vor und Besucher sind bis auf wenige Ausnahmen im Jahr nicht gestattet, damit die Schüler sich voll und ganz aufs Lernen konzentrieren können.

»Wir sollten langsam reingehen«, reißt mich meine Tante aus den Gedanken und knufft mich kurz in die Schulter, bevor sie sich in Bewegung setzt.

Notgedrungen folge ich ihr.

***

Seit einer halben Stunde sitze ich bereits auf der antik anmutenden Bank auf dem Gang und warte darauf, dass der Schuldirektor mich empfängt. Nancy musste sich leider nach einer kurzen Begrüßung mit der stellvertretenden Direktorin verabschieden und hat mich allein zurückgelassen. Es gab keinen tränenreichen Abschied, kein »Ich besuche dich, so oft ich kann«, nicht mal ein »Melde dich, wenn du Zeit hast«. Sie hat mich nur kurz an sich gedrückt, mir eine gute Zeit gewünscht und ist gegangen.

Es war … enttäuschend.

Nachdem sie mich seit frühester Kindheit großgezogen hat, als wäre ich ihre eigene Tochter, hatte ich durchaus etwas mehr erwartet. Trotz der Ernüchterung, weil ich ihr augenscheinlich doch nicht so wichtig bin, habe ich die Fassung bewahrt und beschlossen es nicht an mich heranzulassen. Als ob sie meine Hand halten müsste. Das Prozedere kenne ich in- und auswendig, aber inzwischen hatte ich genügend Zeit, das prunkvolle Gebäude von innen zu begutachten. Etwas Gesellschaft wäre schön. Mit jeder verstreichenden Minute werde ich hibbeliger, rutsche auf meinem Platz hin und her und zupfe weiter an meinem Rock. Schon immer bin ich der Typ Mädchen gewesen, der Jeans bevorzugt, meinetwegen auch Shorts, aber etwas mit Hosenbeinen. Sonst habe ich immer das Gefühl, dass nur eine Windbö ausreicht, damit ich eine hollywoodreife Marilyn-Monroe-Imitation zum Besten gebe.

Zum Glück haben sich so früh noch nicht viele andere Schüler in diesen Flügel der Akademie verirrt. Nur einen Jungen, den ich auf etwa vierzehn Jahre schätze, habe ich gesehen. Ob das auch auf Gegenseitigkeit beruht, weiß ich nicht, denn er war ziemlich schnell unterwegs und darüber hinaus damit beschäftigt, seine Krawatte richtig zu binden.

»Hallo.« Eine unbekannte, aber samtweiche Stimme zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie kommt mir bekannt vor, doch ich kann mich nicht erinnern woher. Ich sehe auf und obwohl der Gang eben noch verlassen war, steht nur wenige Schritte von mir entfernt ein junger Mann.

Sein Haar ist kohlrabenschwarz und lässig mit Haargel nach hinten gestylt. Auf den ersten Blick wirken seine Iriden braun, aber wenn man genauer hinschaut – oder liegt es nur an dem Licht? – leuchten sie in einem feurigen Rot. Als würde eine winzige Flamme hinter seinen Augen tanzen. Er trägt eine dunkle Jeans und eine schwarze Lederjacke über einem ebenso schwarzen Shirt. Alles an ihm ist dunkel, geradezu düster. Seine Gegenwart löst eine Gänsehaut auf meinen Armen aus, als wäre er ein Raubtier und ich die Beute, auf die er ein Auge geworfen hat. Trotzdem komme ich nicht umher ihn attraktiv zu finden.

»Hey?«, erwidere ich distanziert.

»Du bist die Neue?«

Hat sich meine Anwesenheit bereits herumgesprochen? Hat der Junge von vorhin mich verraten? Ist es nur noch eine Frage von Minuten, ehe der Rest der Schülerschaft hier aufschlägt, um mich zu begaffen?

Spöttisch ziehe ich die Brauen hoch. »Was hat mich verraten?«

Als Antwort erhalte ich ein melodisches Lachen, bei dem ein angenehmer Schauer über meinen Rücken fließt. Seine Augen funkeln amüsiert, seine Mundwinkel zucken. »Niemand verbringt den Morgen freiwillig vor Mrs Harris’ Büro.«

»Ich wäre auch lieber woanders«, murmle ich.

»Das kann ich nachfühlen. Gibt bedeutend schönere Orte als die Akademie, aber wir können nicht ändern, dass wir hier sind, also machen wir das Beste draus.«

Automatisch ziehe ich die Brauen hoch und betrachte ihn skeptisch. »Und du hast nichts Besseres zu tun, als den Morgen vor dem Büro der stellvertretenden Schulleiterin zu verbringen?«

Belustigung spiegelt sich in seinen Zügen und lässt seine Augen erneut für einen kurzen Moment aufflammen. Faszinierend, aber auch ein bisschen unheimlich. »Der Punkt geht an dich …« Auf einmal stockt er und runzelt die Stirn. Nachdenklich legt er einen Finger an sein Kinn. »Wie heißt du eigentlich?«

»Du willst meinen Namen wissen?«

»Keine Ahnung, wie es dir geht, aber ich weiß gern, mit wem ich das Vergnügen habe. Oder soll ich dich einfach ›die Neue‹ nennen?«

O Gott, alles, nur das nicht. Wenn ich diesen Spitznamen einmal verpasst kriege, werde ich ihn nicht mehr los, bis ich diese vermaledeite Schule wieder verlassen darf. Deshalb – und nur deshalb – gebe ich nach. »Du kannst mich Eve nennen.«

»Eve?« Ein selbstzufriedenes Grinsen zeichnet sich auf seinen vollen Lippen ab. »Der Name passt zu dir.«

»Ist ein Spitzname«, erwidere ich reserviert. Im Gegensatz zu ihm bin ich kein Fan von Small Talk, aber auch mir brennt eine Frage auf der Zunge: Wieso muss ich so einen Fummel tragen und er nicht? Das ist nicht fair! Trotzdem spreche ich sie nicht aus, sondern beginne mit etwas Unverfänglicherem. »Und? Verrätst du mir auch deinen Namen?«

Mit einem kaum hörbaren Knarren öffnet sich endlich die schwere Tür aus dunklem Holz, die mit unzähligen filigranen Schnitzereien versehen ist. Eine hochgewachsene Frau, die ich auf Mitte vierzig schätze, tritt zu uns auf den Gang. Sie ist schlank, hat eine makellos gerade Haltung und trägt einen grauen Rock und eine weiße Bluse. Die schlichte Brille auf ihrer Nase ist an einer Kette befestigt und die erdbeerblonden Haare hat sie sich zu einem Dutt gedreht, einzig das kleine Lächeln, als sie mich ansieht, strahlt Sympathie aus.

Doch statt an mich wendet sie sich an meine unfreiwillige Bekanntschaft und schürzt die Lippen. »Wo befindet sich Ihre Uniform, Mr Hail?«

Also doch ein Schüler.

»Selbstverständlich sauber und gebügelt in meinem Kleiderschrank, Mrs Harris«, erwidert dieser mit einem nonchalanten Grinsen und mehr Selbstsicherheit, als für ihn gut ist.

Mrs Harris entweicht ein müdes Seufzen, ehe sie den Kopf schüttelt. Offenbar ist sie das von ihm gewohnt. »Sie täten gut daran, sich an die Schulordnung zu halten. Es würde Ihr Leben hier sehr viel leichter gestalten.«

»Haben Sie etwa die Nase voll von mir?« Seinem amüsierten Schnauben folgt ein strenger Blick der Frau.

»Kommen Sie«, weist sie ihn an, tritt zur Seite und deutet auf das Innere des Büros.

Bevor der Kerl an ihr vorbei in den Raum geht, dreht er sich noch einmal zu mir um und wirft mir ein freches Grinsen zu. »Verschieben wir den Small Talk auf ein anderes Mal, denn leider werde ich erwartet«, verabschiedet er sich von mir, ehe er sich zu Mrs Harris umdreht und an ihr vorbei das Büro betritt.

Die stellvertretende Direktorin schüttelt erneut den Kopf, schenkt mir jedoch ein kurzes, entschuldigendes Lächeln, ehe sie sich umdreht und die Tür hinter sich schließt.

Wieder bin ich allein. Seufzend lehne ich mich gegen die dunkle Holzvertäfelung und schließe die Augen. Die Stille ist kaum auszuhalten und meine Gedanken schweifen zurück zu diesem Kerl. Zu seiner lockeren Selbstsicherheit und dieser merkwürdigen Faszination, die er in mir auslöst. Irgendwas hat er an sich …

Es dauert eine ganze Weile, bis erneut das Knarren ertönt und mir symbolisiert, dass ich nun an der Reihe bin. Als ich aufschaue, schiebt sich meine neue Bekanntschaft aus dem Raum und steuert den Weg nach draußen an, während Mrs Harris sich an mich wendet.

»Kommen Sie herein, Ms Carter«, bittet sie mich in einem freundlichen Tonfall und macht dabei eine einladende Armbewegung.

»Danke, Mrs Harris.« Auch wenn ich nach den letzten 23 Schulwechseln an die Prozedur gewöhnt sein sollte, macht die Aufregung sich weiterhin in mir breit. Meine nackten Knie zittern, obwohl ich noch sitze, und meine Handflächen sind feucht. Nachdem ich aufgestanden bin und meinen Rucksack geschultert habe, folge ich ihr ins Büro.

Durch ein Fenster, vor dem einige Topfpflanzen stehen, fällt warmes Sonnenlicht auf mich und kitzelt mich an der Nase. Mrs Harris nimmt an ihrem Massivholzschreibtisch in der Mitte des Raums Platz und bedeutet mir mich ihr gegenüber zu setzen.

Auch hier wirkt alles altertümlich. Der dunkle Parkettboden, der bei jedem zweiten Schritt knarrt, die helle, gemusterte Tapete, sogar der schlichte und dennoch antike Leuchter an der Decke – als hätte man die Inneneinrichtung im 19. Jahrhundert besorgt. Nur der moderne Computer wirkt seltsam fehl am Platz.

Zögerlich lasse ich mich auf den Stuhl fallen und langsam entspanne ich mich. Dabei rede ich mir ein, dass meine Tante recht hat und ich es hier lieben werde. Einen Ausweg aus dieser Misere gibt es für mich ohnehin nicht.

»Normalerweise übernimmt selbstverständlich Direktor Nolan die Begrüßung unserer neuen Schüler. Allerdings ist dieser heute aus privaten Gründen verhindert. Er wird später auf Sie zukommen. Ist das in Ordnung für Sie?«

»Das ist es.« Ehrlich gesagt wäre es mir lieber, nicht auf den Mann zu treffen, der meiner Tante vor ein paar Tagen eröffnet hat, dass überraschend ein Platz an seiner Akademie für mich frei geworden sei. Letztendlich werde ich die Begegnung nicht verhindern können, aber wenn sie früher oder später stattfinden muss, dann lieber später.

»Gut. Hatten Sie denn eine angenehme Anreise, Ms Carter?«, fragt Mrs Harris und es klingt ein wenig, als würde sie bloß Konversation betreiben, obwohl es sie überhaupt nicht interessiert.

»Vorher habe ich mit meiner Tante in Ashburn gewohnt, also hatte ich es nicht weit«, antworte ich.

»Das freut mich zu hören. Ihr Gepäck wurde von unserem Hausmeister schon in Ihr Zimmer gebracht. Sie können sich nach dem Unterricht einrichten.«

Der Hausmeister ist ein unsympathischer Kerl, der vorhin – kurz nachdem Nancy gegangen ist – kommentarlos meinen Koffer und die Reisetasche eingesammelt und weggeschafft hat. Auf mein »Hey, was tun Sie da?« hat er mich bloß finster angestarrt und auf sein Namensschild gedeutet, das ihn als Hausmeister auswies.

»Wunderbar«, erwidere ich und zwinge mich zu einem Lächeln. Sicherlich kann Mrs Harris ein ernst gemeintes von einem Fake-Lächeln unterscheiden, aber sie lässt sich mein Unbehagen nicht anmerken. Stattdessen fährt sie ungerührt fort.

»Die meisten neuen Schüler beunruhigt der Gedanke, im Internat zu leben, aber seien Sie unbesorgt. Es wird Ihnen hier gefallen.«

»Dessen bin ich mir noch nicht ganz sicher.«

»Sie werden es sehen, Ms Carter.« Für einen kurzen Augenblick glaube ich ihr. Vielleicht wird doch nicht alles so schlimm, wie ich es mir ausgemalt habe. Wer kann schon von sich behaupten in einem antiken Anwesen zu leben?

Der Moment hält nicht lange an, höchstens eine Sekunde, bis er wieder vergeht und ich mich daran erinnere, dass ich am liebsten irgendwo anders wäre, solange es nicht hier ist.

Derweil legt die Frau einen Zettel auf meine Seite des Tisches. Eine Tabelle, die sich erst auf den zweiten Blick als Stundenplan entpuppt. »Da wir noch nichts über Ihre Schwerpunkte wissen, war ich so frei Ihren Stundenplan sehr allgemein zusammenzustellen. Sobald wir mehr über Sie erfahren haben, wird er noch einmal angepasst.«

Dabei deutet sie noch einmal auf den Zettel vor mir. Den werde ich mir nach dem Gespräch genauer ansehen. Viel wird er sich in den Grundzügen nicht von den Fächern jeder anderen Highschool unterscheiden.

»Verstanden?«

Sie erwartet meine Zustimmung, das sehe ich ihr an, aber von den Informationen bin ich so überrumpelt, dass ich einen Moment benötige, um alles zu verdauen. Als ich so weit bin, runzle ich die Stirn.

»Ähm … schon, aber … was für Schwerpunkte gibt es? Kann ich aus ihnen wählen?« An meinen bisherigen Schulen konnte ich vorher entscheiden, welche Wahlkurse ich besuchen möchte. Von künstlerischem Unterricht über medienbezogene Kurse bis hin zu kreativem Schreiben habe ich alles bereits ausprobiert. Hier jedoch habe ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung, was angeboten wird.

Mrs Harris’ Mundwinkel zucken kurz. »Eine Einteilung der Schwerpunkte übernimmt die Schulleitung. Ich bin sicher, Direktor Nolan wird Ihnen alles erklären, wenn er zurück ist.«

Kann sie das nicht übernehmen, wenn ihr Vorgesetzter nicht zugegen ist? »Wann wäre das? Und was mache ich in der Zwischenzeit?«, frage ich und verschränke abschätzend die Arme vor der Brust. Meine Gesprächspartnerin ignoriert die Geste und wendet sich ihrem Tischkalender zu.

»Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Er wird morgen zurückerwartet und meldet sich bei Ihnen. In der Zwischenzeit haben Sie bis auf den Sportunterricht keine Nachmittagskurse. Nutzen Sie die Zeit, um sich einzuleben. In Ordnung?«

Seltsam finde ich dieses Vorgehen trotzdem, aber was bleibt mir anderes übrig, als es zu akzeptieren? Langsam nicke ich.

»Gut. Die erste Stunde beginnt um acht. Seien Sie bitte pünktlich. Frühstück gibt es davor von sieben Uhr bis viertel vor acht. Mittagspause ist von zwölf bis eins und zu Abend gibt es von sechs bis sieben. Nachtruhe gilt ab zweiundzwanzig Uhr.«

Während sie die Daten herunterrattert und ich nicht hinterherkomme, legt sie einen zweiten Zettel, der ebendiese noch einmal auflistet, auf den ersten. Augenblicklich bin ich erleichtert. »Danke.«

Danach erhalte ich eine Einführung in die Schulordnung. Auch die unterscheidet sich nicht besonders von den bisherigen Schulen, etwas anderes hätte mich auch gewundert.

»Wenn Sie noch Fragen haben, wenden Sie sich an mich oder jemandem aus dem Lehrkörper. Aber ich bin sicher, Ihre Mitschüler werden Ihnen auch gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen.«

Als ich endlich aus dem Büro komme, haben die Gänge sich gefüllt. Es herrscht ein reges Treiben, überall sieht man weiße Hemden und Blusen, graue Blazer und Röcke und schwarze Hosen. Ziemlich trostlos. Schüler laufen gemütlich zu ihren Klassen, unterhalten sich dabei und auch wenn ich das alles schon so oft erlebt habe, fühle ich mich auf einmal unfassbar klein und ängstlich.

Tief atme ich durch.

Du kannst das, Eve. Es ist einfach nur die 24. Highschool in zehn Jahren. Nichts Besonderes. Das schaffst du!

Vielleicht werde ich das, aber die Schulen vorher waren auch keine Internate.

Nach dem Unterricht kann ich nicht einfach verschwinden und meiner Netflix-Sucht frönen, sondern werde von nun an hier leben. Auf der Haben-Seite steht, dass ich bis zu meinem Abschluss in zwei Jahren hierbleiben werde und nicht umziehen muss. Ob ich wirklich glücklich mit dem Gedanken bin, weiß ich nicht.

Danke, Nancy!

Nachdem ich all meinen Mut zusammengekratzt habe, werfe ich einen Blick auf meinen Stundenplan. Mathe steht für die erste Stunde an und laut meinem Plan befinde ich mich bereits im richtigen Gebäude, nur eine Etage zu tief.

Ich reihe mich in den Schülerstrom ein und steuere die Treppe an, über die ich vorhin hierhergekommen bin. Obwohl ich es ganz eindeutig nicht bin, fühle ich mich ziemlich allein. Die anderen Schüler um mich herum kümmern sich zur Abwechslung um ihren eigenen Kram und nehmen nicht einmal Notiz von mir. Oder sie besitzen den Anstand, die Gerüchte nicht auszutauschen, während ich in der Nähe bin.

Der Gang mündet in eine breite Treppe, deren dunkles Parkett in der Mitte von einem roten Teppich bedeckt wird. Durch ein deckenhohes Fenster am oberen Ende der Stufen wird die gesamte Umgebung in ein herrlich warmes Licht getaucht, das sich im gewaltigen Kronleuchter an der Decke bricht.

Das Schauspiel hat beinahe etwas Magisches, aber als ich kurz stehen bleibe, um es zu bewundern und auf die noch recht kurze Liste der positiven Aspekte der Silvershade Academy zu setzen, rempelt mich jemand an.

Ich taumle einen Schritt nach vorne und kämpfe um mein Gleichgewicht, während mir die Zettel, die ich von Mrs Harris bekommen habe, aus der Hand fallen und sich im Flur verteilen. Na ja, zumindest bin ich nicht auf dem Hintern gelandet.

»Hat dir keiner gesagt, dass man nicht einfach mitten im Gang stehen bleibt, wenn jemand hinter einem ist?«, fährt mich eine glockenhelle, aber trotzdem wütende Stimme an. Als ich meine Balance wiedergefunden habe, drehe ich mich nach ihr um und sehe in die grünen Augen eines Mädchens, das ich auf mein Alter schätze.

Sie hat ihr langes weißblondes Haar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, der ihr über die Brust bis fast zur Hüfte fällt. Außerdem ist sie gertenschlank und groß, sogar ein wenig größer als ich. Durch ihre endlos wirkenden Beine bedeckt ihr Rock bloß den halben Oberschenkel und in ihren schwarzen Pumps mit mörderisch hohem Absatz, die sicher nicht regelkonform sind, wirkt sie noch ein paar Zentimeter größer.

»Äh … sorry?« Es ist erst zehn vor acht, sie hat noch mehr als genug Zeit, um zu ihrer Klasse zu gelangen, und muss nicht hetzen. Außerdem bin ich sicher, dass sie eben noch nicht hinter mir war. Das Klacken ihrer Absätze hätte ich gehört. »Du hättest mir aber auch nicht so sehr auf die Pelle rücken müssen. Entschuldige, dass ich neu bin und mich noch zurechtfinden muss.«

Empört verzieht sie die Miene. Offenbar hat sie nicht mit Gegenwehr gerechnet. Von einer Sekunde auf die nächste schwenkt ihre Stimmung um und ein heimtückisches Grinsen schleicht sich auf ihre Lippen. Sie tritt einen Schritt vor mich und ich widerstehe dem Drang, vor ihr zurückzuweichen. Keine Schwäche zeigen. Wenn ich mich jetzt von ihr einschüchtern lasse, wäre das mein sozialer Ruin. »Glaub mir, Neue, du willst dich nicht mit mir anlegen!«

»Und wenn doch?«, erwidere ich scharf und stemme die Hände in die Taille. »Du willst nicht wissen, mit wie vielen Zicken ich in meinem Leben schon zu tun hatte. Sie sind alle gleich und kommen nicht damit klar, wenn sich ihnen jemand entgegenstellt. Such dir ein anderes Opfer!«

Etwas in ihrem Blick verändert sich. Es ist Wut, die in ihren Augen aufblitzt, doch auch davon lasse ich mich nicht beeindrucken. Schließlich reckt sie das Kinn in die Höhe, wirft ihren Pferdeschwanz über die Schulter und zieht an mir vorbei. Ihr folgt eine etwas kleinere Brünette. Da sie beide die Treppe nach oben gehen, schicke ich ein Stoßgebet gen Himmel, dass sie nicht in meinem Kurs sind.

Dann gehe ich in die Hocke, um meine Unterlagen aufzusammeln, bevor noch jemand auf sie tritt. Die Essenszeiten und die Schulordnung habe ich schnell zusammen, aber wo ist mein Stundenplan? Schwerfällig rappele ich mich wieder auf und sehe mich um. Vielleicht ist er nur ein wenig weiter getragen worden.

»Suchst du das hier?« Wieder drehe ich mich um, doch dieses Mal ist es eine sanfte männliche Stimme, die auf sich aufmerksam macht. Sie gehört zu einem Jungen in meinem Alter mit dunkelblondem Haar und einem niedlichen Lächeln. Er ist nicht übermäßig muskulös, eher schlaksig, die Brille auf der Nase verleiht ihm etwas Intellektuelles. In der Hand hält er meine fehlende Seite und kommt auf mich zu.

»Ja, genau. Danke.«

»Gern und mach dir nichts draus. Marissa ist zu allen so«, erklärt er mir. Marissa ist dann sicher die Blondine von gerade.

»Das beruhigt mich. Glaube ich.« Als ich meinen Stundenplan wieder an mich nehme, schenke ich ihm ein Lächeln. »Mein Name ist Eve. Heute ist mein erster Tag.«

»River. Es freut mich sehr, Eve.« Er streckt mir seinen Arm entgegen und ich schüttle ihm die Hand, während wir uns gegenseitig ein Lächeln zuwerfen. Bisher hatte ich eine strikte Keine-Freundschaften-Politik, denn je näher man seinen Mitschülern kommt, desto mehr schmerzt der Abschied, aber da ich hierbleibe … könnte ich durchaus ein paar Freunde haben, oder? Vielleicht sollte ich nicht unbedingt versuchen mich mit dem Kerl von vorhin anzufreunden. Oder mit Marissa. Aber River? Ja, das klingt nach einer guten Idee. Ich glaube, dass wir gute Freunde werden könnten.

»Wo musst du hin?«, fragt dieser daraufhin und ich nenne ihm bereitwillig Kurs und Raum. Sogleich hebt River die Mundwinkel. »Da muss ich auch hin. Komm mit, ich zeige dir den Weg.«

Dankbarkeit durchflutet mich. »Hört sich wunderbar an.«

KAPITEL 2

Trotz des antiken Gemäuers, der ungewohnten Uniform und des altertümlichen Flairs, der jedem Zentimeter der Akademie innewohnt, stelle ich fest, dass der Unterricht sich kaum von dem normaler Highschools unterscheidet.

Mr Sanchez, unser Mathelehrer, ist ein etwas untersetzter Mann Mitte fünfzig mit einer Leidenschaft für Algebra, die kaum jemand in diesem Raum mit ihm teilt.

Während Marissa, die selbstverständlich auch in diesem Kurs sitzt, sich zwei Plätze von mir entfernt die Nägel im strahlendsten Pink, das ich je gesehen habe, lackiert und ihre beste Freundin zwischen uns fleißig mitschreibt, wandert mein Blick immer wieder zwischen unserem Lehrer und dem Fenster neben mir.

Mit jedem Schwenk kommen auf der Tafel mehr Zahlen und Buchstaben dazu und würden nur für Kopfschmerzen sorgen, würde ich mich länger als notwendig mit ihnen befassen. Mathe war noch nie mein Lieblingsfach.

Draußen hingegen habe ich eine wunderbare Aussicht auf einen hochgewachsenen Kirschbaum. Die Jahreszeit, in der er in voller Blüte steht, ist zwar bereits vorbei, aber dafür leuchten mir jede Menge reife Kirschen entgegen. Moment … Reife Kirschen im September? Auch dafür ist es zu spät. Im Herbst müssten sie überreif und nicht mehr so schön sein, wenn mich nicht alles täuscht. Aber ich sehe sie eindeutig. Vielleicht sollte ich nachher welche pflücken und mich davon überzeugen, ob meine Augen mir Streiche spielen.

»Marissa, können Sie uns die Lösung nennen?«

Obwohl ich nicht aufgerufen wurde, werde ich hellhörig und fahre zu ihr herum. Das Mädchen, dem ich in Gedanken bereits Pompons in die Hand gedrückt und zur typischen Highschool-Cheerleaderin erklärt habe, sieht auf, hält noch immer den Nagellackpinsel in der Hand und wirft einen flüchtigen Blick nach vorn.

»Drei«, lautet ihre Antwort.

Ich bin kein Mathe-Ass, bezeichne Algebra gerne als meine Nemesis, aber selbst ich weiß, dass sie meilenweit daneben liegt. Am liebsten würde ich behaupten, ich bewundere ihre totale Selbstsicherheit bei kompletter Ahnungslosigkeit, doch es würde ihr nicht schaden zuzuhören.

»Das ist leider nicht korrekt, Marissa. Vielleicht sollten Sie sich auf den Unterricht konzentrieren und die Nagelpflege auf heute Nachmittag verlegen.« Mr Sanchez schüttelt enttäuscht den Kopf, was Marissas Schmollmund zur Folge hat. Zumindest kurz, bevor sich ein heimtückisches Grinsen auf ihre Lippen schleicht.

»Vielleicht haben Sie sich verrechnet, Mr Sanchez«, widerspricht diese sogleich. »Ich bin mir sicher, ich habe die richtige Lösung.«

Die verführerische Note ihrer Stimme geht wie ein Ruck durch meinen Körper und lässt mich erzittern, bevor sich etwas Federleichtes in meinem Kopf einnistet und über meinen Verstand legt. Eben war ich noch überzeugt davon, dass ihre Rechnung nicht korrekt sein kann, aber was, wenn eigentlich ich diejenige bin, die falschliegt? Was, wenn wir uns alle irren und Marissa ein verkanntes Genie ist? Als ich die Aufgabe fixiere, sieht ihr Ergebnis auf einmal sehr viel richtiger aus als vorher. Ja, es macht durchaus Sinn …

Ein Klatschen ertönt und reißt mich aus … was auch immer das gerade war. Irritiert schüttle ich den Kopf, um meine Gedanken von dem zuckerwatteartigen Etwas zu befreien.

»Netter Versuch, aber man kann Logik nicht austricksen, Marissa. Selbst Ihre Gabe hat Grenzen.«

Was meint Mr Sanchez damit? Meine neuen Mitschüler scheinen genauso verwirrt wie ich, aber im Gegensatz zu mir kriegen sie sich schneller wieder ein.

»Verdammt.«

»Sie wissen, was jetzt kommt, oder?«

»Selbstverständlich melde ich mich im Direktorat«, erklärt sie und dreht vorsichtig ihren Nagellack zu, um keine Macke in ihre frisch lackierten Nägel zu machen. Danach lässt sie ihn langsam in ihre schwarze Handtasche gleiten. Dafür lässt sie sich alle Zeit der Welt, bevor sie auch ihre Federmappe dazupackt. Sie wirkt kein bisschen aufgeregt oder überrascht, dass sie bei was auch immer erwischt wurde.

Bevor sie aus dem Raum verschwindet, nimmt sie den rosaroten Wisch an sich, den Mr Sanchez ihr hinhält, grinst ihn kokett an und wünscht ihm einen schönen, algebrareichen Tag.

Der Mann wartet, bis sie die Tür hinter sich verschlossen hat, und wendet sich dann wieder uns zu. Ein Seufzen entweicht ihm. »Wer weiß die richtige Lösung?«

River meldet sich als Einziger. Er sitzt in der ersten Reihe mittig und immer, wenn ich nach vorn geschaut habe, hat er fleißig mitgeschrieben und dabei simultan auf seinem Taschenrechner herumgetippt.

Unser Lehrer seufzt erneut und reibt sich die Schläfen. Mr Sanchez wirkt zugleich müde und genervt, aber wer kann es ihm nach dem verdenken, das Marissa abgezogen hat?

»Kennt auch jemand außer River das Ergebnis?«, fragt er und fixiert ebendiesen Jungen dabei mit einem strengen Blick, bis er den Arm herunternimmt.

Daraufhin folgt Schweigen. Ein zierliches Mädchen mit brünetten Locken vergräbt ihren Kopf hinter ihrem Mathebuch, ein desinteressiert dreinblickender Typ starrt aus dem Fenster und ein paar Mädels tauschen unauffällig Zettel aus.

Ich starre auf meinen Collegeblock und runzle die Stirn, als würde ich gerade über der Aufgabe brüten, damit ich nicht drangenommen werde. Zwar habe ich wirklich versucht sie zu lösen, doch erfahrungsgemäß befinde ich mich ebenfalls meilenweit entfernt von der richtigen Antwort.

»Genevieve! Bitte erleuchten Sie uns!«

Verdammt.

»Äh …«

»Nur keine falsche Scheu. Was haben Sie ausgerechnet?«

Eilig werfe ich einen Blick auf meinen Rechenweg und murmle meine Antwort, ohne irgendjemanden anzusehen. Fast schon erwarte ich das enttäuschte Seufzen des Lehrers, weil ich genauso falschliege wie Marissa – aber zumindest habe ich es versucht! –, doch das bleibt glücklicherweise aus.

»Sehr richtig. Vielen Dank, Genevieve.«

»Wirklich?« Die Frage kann ich mir nicht verkneifen. Ebenso wenig den Unglauben, der in meiner Stimme mitschwingt. Vielleicht hat der Nachhilfeunterricht in Ashburn doch etwas gebracht.

Mr Sanchez wirft mir ein erfreutes Lächeln zu und nickt. »Ich bin sicher, Sie werden eine Bereicherung für meinen Kurs sein.«

Sogleich beschleicht mich der Verdacht, dass er ab sofort immer die richtige Antwort von mir erwarten wird, und das gefällt mir ganz und gar nicht.

***

Als ich in der Mittagspause den Speisesaal betrete, sehne ich River herbei. In den ersten beiden Unterrichtsstunden hat er mir zur Seite gestanden und mir für den Naturwissenschaftsunterricht sogar seine Unterlagen geliehen, damit ich den Stoff aufholen kann. Leider trennten sich dort unsere Wege, denn während ich zu Englisch musste, hatte er Sport. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen, dafür war im Englischkurs dann auch wieder Marissa zugegen.

Jetzt stehe ich neben der Tür des Speisesaals und blicke auf die viel zu große Ansammlung von Schülern, die an langen Holztafeln sitzen, essen und sich unterhalten. Jeder scheint jeden zu kennen und ich entdecke sogar einige der Mädels aus dem Mathekurs, die nicht einmal ein einfaches »Guten Morgen« für mich übrig hatten, als ich an Rivers Seite in den Raum gekommen bin und sie begrüßt habe.

An vergangenen ersten Schultagen hatte ich mir einen leeren Tisch in der Mensa oder ein verlassenes Fleckchen auf dem Schulhof gesucht, um in Ruhe zu essen. Hier ist das nicht möglich. Letztendlich werde ich mich auf einen freien Platz inmitten von Schülern setzen müssen, die ich nicht kenne. Allein unter Fremden. Ohne Privatsphäre oder Platz für meine eigenen Gedanken. Ich schlucke. Wundervolle Aussichten.

Zumindest ist das Ambiente schön. Der Saal besitzt eine hohe Decke und an den beiden Wänden zu meiner Linken und Rechten ziehen sich elegante Rundbogenfenster von einer Ecke zur anderen. Tageslicht strömt hinein und wird in den vier Kronleuchtern gebrochen, die im gesamten Raum verteilt hängen. Die restlichen Wände sind mit dunklem Holz vertäfelt und alles wirkt sehr herrschaftlich und stilvoll. Der köstliche Duft von gebratenem Fleisch, verschiedenen Beilagen und Salat mit Kräuterdressing lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, aber das muss noch warten.

Zu groß ist meine Faszination von den neuen Eindrücken. Von meiner Position blicke ich direkt auf die gegenüberliegende Seite. Wandteppiche, sieben an der Zahl, in verschiedenen Farben reihen sich dort nebeneinander. Jeder von ihnen ist mit einem Symbol in Gold oder Silber bestickt. Verschlungene Linien bilden Wellen auf blauem Grund, rote Flammen, silbrige Wirbel und ein Baum vor einem grünen Hintergrund. Es sind die Elemente. Die verbleibenden Zeichen auf Hellgelb, Violett und Braun kann ich nicht zuordnen.

Ohne Zweifel sind sie wunderschön, doch was bedeuten sie? Wieso hängen sie hier? Mein Blick bleibt bei dem violetten Teppich hängen. Das Symbol ist das komplizierteste von allen und doch das, was mich am meisten für sich beansprucht. Zu gerne wüsste ich, wofür es steht.

Jemand rempelt mich von der Seite an und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Ich ignoriere seinen dummen Kommentar und beschließe mich nicht länger zu drücken. So selbstbewusst wie möglich reihe mich in die Schlange vor der Essensausgabe ein. Mein Magen knurrt in freudiger Erwartung und Hitze steigt mir in die Wangen, als sich mein Vordermann deshalb kurz nach mir umdreht. Eilig sehe ich weg, bis er das Interesse verliert und sich wieder seinem Kram zuwendet.

Als ich an der Reihe bin, reicht mir eine Mitarbeiterin der Schule mit blondem Dutt, Haarnetz und weißer Schürze über einem farbenfrohen Kleid einen bereits zurechtgemachten Teller über die Anrichte.

»Ein neues Gesicht? Wie schön. Guten Appetit!«, wünscht die Frau mir und grinst mich so herzlich an, dass ich gar nicht anders kann, als sie zu mögen. Zumindest ist das Essen hier gut und die Angestellten nett. Vielleicht ist doch nicht alles schlecht an dem Internat.

»Danke schön.«

»Nicht dafür. Lass es dir schmecken!« Dann wendet sie sich der Schülerin hinter mir zu und in mir kommt erneut die Frage auf, wo ich mich hinsetze. Ich scanne den Raum ab und hoffe River irgendwo zu entdecken. Dem ist leider nicht so, aber nachdem ich den Blick über die Menge habe schweifen lassen, bleibt er an einer Schwarzhaarigen hängen, die sympathisch aussieht und sich mit einer deutlich jüngeren Schülerin unterhält.

Wenn ich mir einen freien Platz an ihrem Tisch suche und mich mein erster Eindruck von ihr nicht täuscht, müsste ich die Mittagspause zumindest nicht allein verbringen. Wenn aber doch, wäre das ziemlich peinlich.

Während ich meine Möglichkeiten abwäge, wendet sie sich auf einmal von ihrer Gesprächspartnerin ab und dreht ihren Kopf in meine Richtung. Ihre Mundwinkel zucken, dann hebt sie eine Hand und winkt mich zu ihrem Tisch.

Verwirrt lege ich den Kopf schief. Sie kann nicht mich meinen. Wir kennen uns gar nicht. Aber sie hört nicht auf. Ist die Einladung doch an mich gerichtet? Unsicher schiebe ich eine Hand unter mein Tablett, um es zu balancieren, und nutze die andere, um auf mich zu zeigen. Das Mädchen nickt.

Okay, also doch.

Nachdem ich einmal tief durchgeatmet und mein Tablett wieder sicher in beide Hände genommen habe, setze ich mich in Bewegung. Dabei gebe ich mein Bestes, niemandem mein Mittagessen auf das Hemd oder die Bluse zu kippen. Zum Glück geschieht kein Missgeschick auf meinem Weg und als ich die Schwarzhaarige erreiche, klopft sie mit breitem Grinsen auf den Lippen auf den Platz neben sich.

»Dich habe ich gesucht«, verkündet sie zufrieden, als ich mein Tablett abstelle und Platz nehme. »Das war einfach.«

»Heute ist mein erster Tag. Wir kennen uns eigentlich noch gar nicht«, erkläre ich verlegen und schiebe eine Haarsträhne hinters Ohr.

Unbeeindruckt hebt das Mädchen eine Braue. »Gerade weil du neu bist, habe ich dich erkannt. Ich bin übrigens Serena und das ist …«

»Kathleen«, stellt die Schülerin sich vor, mit der Serena sich unterhalten hat, bevor sie mich entdeckt hat. Schüchtern senkt sie den Blick. Naturrote Ponyfransen fallen ihr ins Gesicht, sodass ich ihre grünen Augen kaum erkennen kann. Die Sommersprossen, die sich über ihre Nase und Wangen sprenkeln, komplettieren ihr Aussehen. Sie sieht hübsch aus, auf eine kindliche, freche Art und Weise.

»Äh … hi. Woran habt ihr so schnell bemerkt, dass ich neu bin?«, will ich wissen und hebe die Mundwinkel zu einem nervösen Schmunzeln.

»Die Schüler der Silvershade besuchen die Akademie ab der sechsten Klasse. Es geschieht nur selten, dass jemand erst in der zehnten zu uns stößt. Das fällt auf und macht die Runde«, erklärt Kathleen beiläufig. Trotz ihres belehrenden Tonfalls lässt ihr offener, freundlicher Blick sie sympathisch wirken.

Serena nickt bestätigend und schiebt sich einen Löffel Kartoffelbrei in den Mund. »So ist es. Es würde mich nicht wundern, wenn du heute Abend im Wohnheim das Gesprächsthema Nummer eins bist.«

»Na super.« Das wird ja immer besser.

»Ach, keine Sorge. Du hast eine großartige Mitbewohnerin, die auf dich aufpassen wird: mich. Schön dich kennenzulernen, Eve.«

»Woher kennst du …«

»… deinen Namen?« Geräuschvoll schluckt sie herunter. »River hat ihn mir verraten. Warum hat der dich eigentlich vor mir kennengelernt?«

»Wir sind uns heute Morgen auf dem Gang über den Weg gelaufen«, erzähle ich ihr.

»Verdammt. Vielleicht hätte ich doch aufstehen sollen, als er an meine Tür gehämmert hat.« Ein weiterer Löffel folgt. Erst jetzt bemerke ich die seltsame Kombination auf ihrem Teller. Kein Fleisch, dafür ist er über und über mit Kartoffelbrei und Salat bedeckt.

Serena zuckt mit den Schultern, als ihr mein fragender Blick auffällt. »Ich bin Vegetarierin«, erklärt sie mir. »Aber Erbsensuppe ist nicht ganz mein Geschmack.« Besagte Suppe ist, wie ich bei der Essensausgabe gesehen habe, das heutige vegetarische Gericht. Bei dem widerlichen Anblick, der sich mir auf den Tellern anderer Schüler geboten hat, verstehe ich, wieso sie sich dagegen entschieden hat.

»Hey, wer ist denn die Neue?«

Der einzige freie Stuhl neben mir wird zurückgeschoben und umgedreht, ehe sich ein junger Mann, Marke Schulsportler, darauffallen lässt. Sein brünettes Haar ist lässig gestylt und obwohl er wie alle eine Uniform trägt, unterscheidet sie sich in Details von den anderen. Eine Krawatte fehlt, dafür ist der oberste Knopf des Hemdes offen und der Kragen sowohl beim Hemd als auch beim Blazer aufgestellt.

»Wer hat dich an unseren Tisch eingeladen, Keith?« Serena wirft ihm einen verächtlichen Blick zu. Das kann ich nachfühlen. Typen wie ihn habe ich in meinem Leben schon viele kennengelernt. Sie gehen meistens mit dem Cheer-Captain und fühlen sich über allen anderen Schülern erhaben.

»Was denn? Darf ich nicht einfach so vorbeischauen und die neue Schülerin unter die Lupe nehmen?«

Mir entweicht ein Schnauben, ehe ich ihn abschätzig mustere. Er sieht gut aus, das muss ich ihm lassen. Durchtrainiert, mit markantem Kinn und stahlgrauen Augen. Nur die coole Lässigkeit, die er ausstrahlt, und sein übergroßes Ego sind mir ein bisschen too much.

»Kein Interesse«, lasse ich ihn wissen und hebe meine Gabel, als hätte ich keine Furcht, sie gegen ihn einzusetzen. Zwar bezweifle ich, dass ich damit eine Chance gegen ein Muskelpaket wie ihn hätte, aber meist ist es das Selbstbewusstsein, das Kerle wie ihn in die Flucht schlägt.

»Wow. Eine Wildkatze. Sexy.«

Demonstrativ rücke ich von ihm weg. »Hör zu. Es ist mein erster Tag. Ich habe absolut keine Lust auf einen Flirt oder was auch immer das hier werden soll«, erkläre ich ihm ruhig, aber distanziert. »Außerdem habe ich mich gerade unterhalten, also bitte lass uns in Ruhe, sonst …«

»Sonst was? Willst du mir etwa drohen, Kätzchen?« Keith dreht den Kopf in meine Richtung und beugt sich vor. Seine grauen Iriden funkeln raubtierhaft, ein gefährliches Glitzern, das mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagt.

»Nein, aber ich. Willst du das riskieren?«, wirft Kathleen, die ihre Schüchternheit auf einmal abgeworfen hat, ein und schießt ihm einen unmissverständlichen Blick zu. Woah, was ist mit dem süßen Mädchen von gerade passiert?

Im gleichen Moment wie ich hält Keith inne und verengt die Augen zu Schlitzen. »Das wagst du nicht, kleine Hexe«, zischt er ihr entgegen, doch die Angesprochene zuckt nicht einmal mit den Wimpern.

»Bist du dir da sicher?«, fragt sie. Dabei hebt sie einen Mundwinkel zu einem frechen Lächeln und zu meiner Überraschung macht der Schrank von einem Kerl tatsächlich einen Abgang. Er steht auf, murmelt einen leisen Fluch in Kathleens Richtung, den sie mit einem Funkeln erwidert, und wirft mir einen kurzen, aber vielsagenden Blick zu.

»Wir sehen uns, Kätzchen.«

Noch ein paar Sekunden lang starrt die Jüngste von uns ihm hinterher und ich bin schwer beeindruckt. Dafür dass das Mädchen nicht älter aussieht als dreizehn, hat sie soeben einen muskelbepackten Vollidioten in die Flucht geschlagen. Nicht schlecht.

»So ein Arsch. Aber was soll man von Marissas Freund schon erwarten?« Serena tätschelt mir aufmunternd die Schulter und seufzt.

»Ich merke schon, ein absolutes Traumpaar.«

»Zwei absolute Klischees auf zwei Beinen«, ergänzt meine neue Mitbewohnerin kopfschüttelnd. »Warte, bis du sie kennenlernst. Sie wird ziemlich sicher gemein zu dir sein, weil sie gemein zu allen ist, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen, aber leider ist sie die beste Cheerleaderin, die die Akademie zu bieten hat.«

»Oh, mit ihr habe ich heute Morgen schon Bekanntschaft gemacht. Sie ist in meinem Mathekurs.«

»Dann hast du sie also schon in Aktion erlebt?«, fragt Kathleen und zuckt kurz mit den Mundwinkeln. Es ist kein Grinsen, eher der Anflug davon.

»Leider ja. Sie wurde zum Direktor geschickt, weil sie versucht hat unseren Lehrer von ihrer Antwort zu überzeugen.«

Serena seufzt. »Jeden Tag dasselbe mit ihr. Sie zieht unseren Ruf echt in den Dreck. Aber lass uns über erfreulichere Themen reden.« Sie schüttelt die Entrüstung über Marissa ab und beugt sich im nächsten Augenblick zu mir rüber. Ihre Augen blitzen erwartungsvoll auf, während sie mich mustert. »Außerdem bin ich neugierig, also jetzt mal ehrlich: Was bist du?«

Die Frage verwirrt mich kurz. »Inwiefern?«

Als Antwort deutet sie auf das Schulwappen auf meinem Blazer. Es zeigt eine Silhouette des Hauptgebäudes der Akademie, umgeben von dem namensgebenden Nebel. Der Hintergrund jedoch ist nicht silbern, sondern weiß. Es wirkt … leer, als fehle dort etwas. Im Gegensatz dazu ist der Hintergrund bei Serenas Wappen blau und bei Kathleen hellgelb. Verwirrt runzle ich die Stirn. Vorher ist mir gar nicht aufgefallen, dass die Schüler verschiedene Farben tragen. Warum? Wofür stehen sie? Und was bedeutet es für mich, dass meins farblos ist?

»Meine Tante hat die Uniform besorgt«, erkläre ich und schenke ihr ein vorsichtiges Lächeln. »Die hat sie mir so gegeben. Ich hatte nicht einmal Ahnung, dass es andere Farben für das Wappen gibt.«

»Aber … du musst doch wissen, was du bist?« Mit riesigen, ungläubig dreinblickenden Augen schaut die Rothaarige mich an.

»Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen. Aktuell weiß ich nur, wie hungrig ich bin.«

Serenas Kichern hallt fast durch den ganzen Raum. »Du bist lustig, Eve. Wir werden gute Freundinnen.«

KAPITEL 3

»Und dann hat diese blöde Kuh mir allen Ernstes den letzten Schokoladenpudding weggeschnappt!« Serena beendet ihre Erzählung mit einem empörten Schnauben und fuchtelt dabei mit einer Gabel in der Luft herum.

Es geht nicht um Marissa, aber auf der Beliebtheitsskala können sie und Ashley nicht weit voneinander entfernt liegen.

Kathleen schiebt sich einen Löffel des Joghurts in den Mund, den sie sich als Nachtisch besorgt hat. »Soll ich für eine unangenehme Überraschung sorgen oder eher für einen neuen Schokoladenpudding?«, fragt sie, nachdem sie ihn heruntergeschluckt hat.

»Keine Ahnung. Beides?«, überlegt Serena.

Da ich nicht genau weiß, worüber die beiden sprechen, und auch am ersten Tag nicht direkt in irgendwelche Rache- oder Essensdiebstahlpläne einbezogen werden möchte, lasse ich den Blick erneut durch den Raum schweifen. Inzwischen hat der Speisesaal sich geleert. Wer fertig mit Essen ist, verbringt den Rest der Pause auf seinem Zimmer oder an der frischen Luft. Die verbleibenden Schüler sitzen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhalten sich.

Als ich einen bekannten schwarzen Haarschopf entdecke, bleibe ich unwillkürlich an ihm hängen. Der Kerl von heute Morgen sitzt allein am linken Ende der vordersten Tafel. Im Gegensatz zu vorhin trägt er nun die Schuluniform und isst in aller Seelenruhe sein Mittagessen. Nach einer Weile sieht er auf und sein Blick trifft auf meinen. Seine Mundwinkel zucken kurz, aber der Moment endet genauso schnell, wie er begonnen hat.

»Eve, alles okay?« Serena legt mir eine Hand auf die Schulter und knufft sie kurz. Auf der Stelle fahre ich zu ihr herum.

»Ähm … klar, aber … du kennst hier doch jeden, oder?«, frage ich leicht verlegen.

Meine Mitbewohnerin runzelt angesichts meiner überraschenden Frage die Stirn. »Jeder kennt hier jeden.«

»Okay. Wer ist das?« Unauffällig deute ich auf den Typ, der inzwischen mit seinem Tablett aufgestanden ist und auf die Geschirrrückgabestation zugeht.

Scharf zieht Serena die Luft ein. »Warum willst du das wissen?«

»Neugier«, antworte ich. »Wir sind uns heute Morgen kurz begegnet …«

»O nein. Mir ist klar, worauf das hinausläuft. Dir auch, Kathy?«

Die Rothaarige nickt. »Auf nichts Gutes.«

Offenbar legen die beiden es darauf an, mich zu verwirren. »Ich kenne nicht einmal seinen Namen, was soll da schon …?«

»Alistair ist eine ganz schlechte Idee, Eve«, unterbricht Serena mich und sieht mich voller Ernst an. »Er ist gefährlich und spielt in einer ganz anderen Liga als beispielsweise Keith. Du solltest dich von ihm fernhalten.«

Heute Morgen wirkte er auf mich nicht sonderlich gefährlich. Eher wie der typische Highschool-Bad-Boy, den es überall gibt. Auch wenn diese Kerle normalerweise auch ohne Kontaktlinsen schon unnahbar genug aussehen.

»Ach ja?«

»Ja! Das ist die wichtigste Regel der Schule. Lass dich nie auf einen Dämon ein!«

Dämon? Vielleicht eine Gang wie die Southside Serpents aus Riverdale? Nachdenklich fahre ich mir durchs Haar. Heute Morgen hat er mit Lederjacke und dunklen Klamotten ausgesehen, als würde er zu einer gehören.

»Okay, okay, schon verstanden.« Damit lasse ich das Thema fallen. »Was habt ihr eigentlich nach der Pause?«

»Englisch«, antwortet Kathleen. »Aber ich bin sowieso ein Jahr unter euch, also werden wir wohl kaum einen gemeinsamen Kurs haben.«

»Es sei denn, du überspringst noch einen Jahrgang«, wendet Serena ein.

»Wohl kaum. Dafür müsste das Schulgesetz geändert werden. Ich habe mich schon damit arrangiert, weiterhin den gleichen Unterricht besuchen zu müssen wie diese … Kinder.« Sie seufzt. Offenbar ist Kathleen eine Art Genie. Wenn sie nur ein Jahr unter uns ist, hat sie bereits einige Klassen übersprungen.

»Da wäre ich mir nicht so sicher. Immerhin ist deine Mutter ein hohes Tier an der Schule.«

Ach ja? Interessiert horche ich auf, was dem Mädchen nicht entgeht. Sie wirft Serena einen resignierten Blick zu und wendet sich dann an mich. »Meine Mom ist die stellvertretende Direktorin, aber das ist leider nicht so toll, wie es sich anhört.«

Mitleidig verziehe ich das Gesicht. Mit Mrs Harris möchte ich nicht verwandt sein. »Das klingt echt nicht schön«, pflichte ich ihr bei und rümpfe die Nase, was ihre Miene wiederum aufhellt.

»Danke. Du verstehst mich!«

»Denk an das Positive«, rät Serena ihr daraufhin. »Dir wird niemand je blöd kommen. Und wenn es sich tröstet: Ich würde Englisch jederzeit Sport vorziehen. Ms Vican wird uns so fertigmachen.«

Mir gefällt Serenas Tonfall nicht, denn Sportunterricht steht auch als Nächstes auf meinem Plan und ich möchte nicht wissen, wie Ms Vican uns fertigmachen wird.

***

»Komm schon, keine Müdigkeit vorschützen!«

»Wenn ich später auch allein den Weg finden soll, musst du mich schon schauen lassen, wo ich hier bin«, erwidere ich. Bis der Unterricht weitergeht, haben wir noch eine halbe Stunde und soweit ich weiß, ist die Turnhalle nicht weit entfernt. Kein Grund zur Eile.

Das Wohnheim, in das Serena mich nach dem Mittagessen gebracht hat, ist direkt an das Schulgebäude angeschlossen. Eine gewaltige Doppelflügeltür, die auf den ersten Blick zu schwer aussieht, um sie aus eigener Kraft zu öffnen, führt in einen weitläufigen Eingangsbereich. Dieser mündet wiederum in einer Treppe, die fast die ganze Breite des Foyers einnimmt. Auf beiden Seiten gehen auf der oberen und unteren Etage Gänge ab, wo die Zimmer der Schüler liegen, und wenn man geradeaus geht, gelangt man zu den Gemeinschaftsräumen, wie Serena mir erklärt hat.

Wir sind nach oben und dann nach rechts gegangen und laufen nun durch einen Flur, von dem links und rechts unzählige Zimmer abgehen. Die sandfarbene Tapete mit einer schwachen, verschnörkelten Musterung wird immer wieder durch mit Schnitzereien verzierte Holztüren unterbrochen, dabei sieht jede genauso aus wie die davor.

Irgendwann habe ich aufgehört sie zu zählen, aber wenn die anderen vier Gänge, die ich gesehen habe, auch so lang sind und in dem Raum zwei Schüler leben, gibt mir das eine grobe Vorstellung von der Größe der Schülerschaft.

»Unser Zimmer ist ganz hinten. Das ist leicht zu merken«, ruft Serena mir zu und kommt vor der Tür zum Stehen. Langsam schließe ich zu ihr auf.

»Wieso ist der Gang eigentlich so unnatürlich lang? Von außen kam mir das Gebäude nicht so breit vor.« Tatsächlich lässt der Grundriss des Wohnheims von draußen eher vermuten, dass es noch eine weitere Etage nach oben führt, anstatt alle Bewohner des Hauses auf zwei Stockwerken unterzubringen. So oder so, mit der Architektur stimmt etwas gewaltig nicht.

Serena kichert. »Durch Magie natürlich, Dummchen. Aber jetzt komm. Ich will dir endlich unser Reich zeigen!« Als hätte sie gerade nicht versucht meine Verwirrung mit Magie zu rechtfertigen, dreht sie sich schwungvoll um und öffnet unsere Tür. Einen Schlüssel braucht sie dafür nicht. Gut, denn ich habe heute Morgen keinen erhalten.

»Tadaaa!«, verkündet sie und bedeutet mir mit einer Handbewegung einzutreten. Langsam setze ich mich in Bewegung und riskiere einen ersten Blick in mein neues Zuhause.

Keine Ahnung, was ich erwartet habe. Vielleicht ein kleines Kämmerlein mit zwei Betten, zwei Schreibtischen und einem Kleiderschrank, den ich mir mit meiner Mitbewohnerin teilen muss. Alles sehr minimalistisch gehalten, platzsparend und unpersönlich.

Meine Vorstellung trifft die Realität nicht einmal annähernd. Es gibt eine klare Grenze und beide Seiten sind vom Mobiliar gleich. Ein Himmelbett aus dunklem Holz ragt jeweils von der seitlichen Wand in den Raum hinein, lässt aber genug Platz, dass man zwischen ihnen hindurchgehen kann. Mein Bett ist kahl, mit weißer Bettwäsche bezogen und besitzt keinen Vorhang, während Serenas in Dunkelblau mit unzähligen silbernen und goldenen Punkten den Nachthimmel imitiert.

Die Schreibtische sind aus dem gleichen Holz. Nebeneinander nehmen sie die uns gegenüberliegende Wand ein und durch die Fensterfront darüber hat man beim Lernen einen fantastischen Ausblick auf den Campus. Auch hier ist mein Platz leer. Auf dem meiner Mitbewohnerin türmen sich Schulunterlagen und Bücher, der Stuhl hingegen wird von Klamotten eingenommen.

»Wow«, hauche ich überwältigt, als mein Blick darüber hinaus zu dem Kronleuchter gleitet, der von der Decke hängt und den Raum in den Abendstunden sicherlich in wunderschönes Licht tauchen wird. Selbst wenn mir nur eine Hälfte gehört, hatte ich noch nie so viel Platz oder eine so hochwertige Einrichtung.