Zorn eines Geächteten - U.H. Wilken - E-Book

Zorn eines Geächteten E-Book

U. H. Wilken

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Beschreibung

Der Autor steht für einen unverwechselbaren Schreibstil. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. Er scheut sich nicht detailliert zu berichten, wenn das Blut fließt und die Fehde um Recht und Gesetz eskaliert. Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Keine Chance für Cimarron-Kid! Brüllend rissen sie ihn vom Pferd, stießen ihn in den Staub und schlugen ihn zusammen. Halb bewußtlos lag er vor ihren Stiefeln. Eng drängten sich bärtige, verwilderte Männer um ihn – Männer wie Totschläger. Rundum sah er Fratzen, Augen, Zähne und Fäuste. Sie wollten ihn zerbrechen. Und jemand schrie: »Wir kennen uns doch. Bist du nicht Cimarron-Kid?« »Nein!« Kid bäumte sich aus dem Staub auf. »Haut ab, ihr verdammten Schweine!« Einer trat zu. Röchelnd sackte er zusammen. Die andern rückten noch enger heran und bildeten einen undurchdringbaren Ring um ihn. Niemand kam raus, niemand hinein. »Wie du willst, Kid.« Die Stimme klang endgültig. »Du trägst zwar die Narben des Krieges und hast dich verändert, aber du bist es. Jungs, macht ihn fertig!« Kid schrie auf.

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Die großen Western – 344 –

Zorn eines Geächteten

Unveröffentlichter Roman

U.H. Wilken

Keine Chance für Cimarron-Kid!

Brüllend rissen sie ihn vom Pferd, stießen ihn in den Staub und schlugen ihn zusammen.

Halb bewußtlos lag er vor ihren Stiefeln.

Eng drängten sich bärtige, verwilderte Männer um ihn – Männer wie Totschläger.

Rundum sah er Fratzen, Augen, Zähne und Fäuste.

Sie wollten ihn zerbrechen.

Und jemand schrie: »Wir kennen uns doch. Bist du nicht Cimarron-Kid?«

»Nein!« Kid bäumte sich aus dem Staub auf. »Haut ab, ihr verdammten Schweine!«

Einer trat zu. Röchelnd sackte er zusammen. Die andern rückten noch enger heran und bildeten einen undurchdringbaren Ring um ihn.

Niemand kam raus, niemand hinein.

»Wie du willst, Kid.« Die Stimme klang endgültig. »Du trägst zwar die Narben des Krieges und hast dich verändert, aber du bist es. Jungs, macht ihn fertig!«

Kid schrie auf. »Nein!«

Sie überstimmten ihn. Aus den Visagen schrie der Haß. Sie fielen über ihn her wie ein Rudel hungriger Wölfe über ein Stück Fleisch.

Es war die Hölle für Kid.

Sie wollten ihm den Mannesmut nehmen und ihm den letzten Rest von Willen zerbrechen – da peitschte ein Gewehrschuß über den heißen, sandigen Hinterhof.

»Laßt die Hände von den Eisen!« rief eine helle Stimme. »Sonst spicke ich euch mit Schrot!«

In ohnmächtiger Wut ließen die Totschläger von Kid ab.

Durch die Lücken zwischen den Beinen und Stiefeln seiner Peiniger blickend, erkannte Kid einen jungen Mann, der noch nicht einmal erwachsen war und in den Händen eine Flinte mit abgesägtem Lauf hielt. Zwischen den zusammengepreßten Beinen ragte der Lauf eines Spencergewehres hervor – und dieses Gewehr gehörte Cimarron-Kid!

»Was ist denn das für einer?« hörte Kid einen seiner Peiniger lauernd sagen. »Kennt ihr den Burschen?«

»Nein«, stieß ein anderer hervor, »den Burschen hab’ ich noch nie gesehen.«

Mühsam hob Kid den schmerzenden Kopf an und blickte wieder auf den jungen Mann, der auch für ihn ein Fremder war. Kid konnte ihn nur verschwommen sehen, als wäre zwischen ihnen eine dicke Glaswand. Der Bursche war in Leder gekleidet wie ein Westmann der Rocky Mountains. Aber die Erfahrung eines Tappers hatte er sicherlich nicht, denn er war eigentlich noch ein blutjunger Bengel – doch Mut hatte er, davon sogar eine ganze Menge.

Schwer fiel Kid mit dem Kopf zurück und hörte einen der Schläger böse knurren: »Das ist ja noch ein Boy! Für uns ein Kinderspiel, ihn umzulegen. He, Jungs, euch kann er nicht sehen – holt schon mal die Kanonen raus! Wenn wir zur Seite springen, schießt ihr!«

Die Männer bewegten sich kaum merklich. Langsam näherten sich krallenförmig geöffnete Hände den Kolben schwerer Colts…

Sie wollten den Jungen wirklich über den Jordan schicken.

Er hatte sie dazu herausgefordert, aber vielleicht war ihm das gar nicht klar zu Bewußtsein gekommen.

Und er konnte nicht sehen, wie die Halunken nach den Schießeisen tasteten, weil ihre Komplicen sie deckten.

Das Leben des jungen Burschen, der sich so mutig für Cimarron-Kid einsetzte, obwohl beide einander nicht kannten, war nur mehr eine Handvoll Dreck wert.

Kid lag flach am Boden. Die Männer, die versucht hatten, ihn totzuschlagen, standen gebeugt um ihn herum.

Und der Junge am Rande des Hinterhofes stand außerhalb der Deckung, die ihm der abgestellte Conestoga-Planwagen geradezu anbot. Die anderen Wagen waren unerreichbar für ihn, zu groß war der Frachtwagenhof.

Kid wollte nicht, daß der Junge draufging.

»Schieß!« brüllte er, bevor die heimtückischen Halunken die Colts auf den Boy richten konnten.

Da drückte der junge Mann instinktiv ab. Die Flinte krachte und jagte eine Ladung Rehposten hinaus.

Wie eine sturmgepeitschte Regenbö schlug die ausgestreute Ladung zwischen die Männer, zerfetzte Hemden, ließ die Kerle brüllend auseinanderspringen – und diese Sekunden nutzte der junge Mann, um mit der Schrotflinte und Cimarron-Kids Spencer in die Deckung des Conestoga zu kommen.

Fieberhaft schnell lud er die Flinte nach. Blei schlug in die Wagenwand und durchlöcherte die Plane.

Drei, vier Männer stürmten auf den Wagen zu und schossen.

Der Junge kauerte hinter einem der großen Wagenräder und feuerte durch die Speichenlücke die nächste Schrotladung ab.

Zuckend bäumten sich die Halunken auf und torkelten wie erblindend auseinander, ließen sich fallen und lagen flach.

Cimarron-Kid sah seine Chance, als einer der Halunken, die es in seiner Nähe erwischt hatte, an ihm vorbeikam. Der Kerl hielt sich das Gesicht.

Obwohl Kid alle Knochen schmerzten, ihm vielleicht einige Rippen gebrochen waren, und er aus Mund und Nase blutete, kam er hoch und warf sich gegen den Mann, stieß ihn um und riß dessen Colts an sich. Schon schlug er dem hochfahrenden Kerl den Kolben über den Schädel, nutzte den erschlaffenden Körper als Deckung und feuerte eiskalt auf die Männer, die ihn so grausam geschlagen und getreten hatten und nun nach dem Leben des jungen Retters trachteten.

Jeder Schuß saß.

Kampfunfähig geschossen, brachen die Halunken zusammen, schrien und krochen weg.

Sie alle hatten Cimarron-Kid unterschätzt. Er war durch die Feuertaufe des Bürgerkrieges gegangen und hatte Eisen und Stahl spüren müssen. Und er war Scharfschütze gewesen…

Kein Wunder also, daß seine Schüsse traumhaft sicher trafen. Er tötete nicht, aber er machte diese Peiniger für alle Zeit fix und fertig. Und als die Colts leergeschossen waren, mühte er sich hoch, taumelte ein paar Schritte, knickte mehrmals in den Knien ein und warf sich neben einen Kerl, der davonzukriechen versuchte. Ein Hieb mit dem Colt, und der Bursche lag flach. Kid packte dessen Colt und wälzte sich auf den Bauch, suchte nach Gegnern und jagte einem herankommenden Kerl das Blei entgegen. Der Angreifer flog hin, umfaßte mit beiden Händen das Bein und schrie nach den Komplicen, doch keiner kam ihm zu Hilfe. Da stieß er sich mit dem gesunden Bein Stück für Stück über den Hof davon.

Kid senkte den rauchenden Colt und ließ die Faust in den Staub sinken.

Suchend blickte er zum Conestoga hinüber. Sein Retter war verschwunden. Hinter den Häusern stahlen sich einige Leute hervor und spähten auf den Frachtwagenhof.

Sie beobachteten, wie der langbeinige Mann über den Hof humpelte und gegen seinen Falben fiel, wie er sich am Sattelhorn festhielt und dann mit der Linken langsam den am Kinnriemen baumelnden Stetson auf den blutigen Kopf schob.

Und sie fragten sich, ob er nun Cimarron-Kid war oder ob die Kerle ihn verwechselt hatten.

Wenn er wirklich Cimarron-Kid war, dann hatte er auch in Zukunft nichts zu lachen.

Denn im Tal am Cimarron wartete auf ihn ein mächtiger Mann, der wohl immer gehofft hatte, daß er nie wieder aus dem Bürgerkrieg zurückkäme.

Alle fürchteten diesen Mann.

Und darum schwiegen sie.

Und schweigend sahen sie zu, wie sich der fremde Mann in den Sattel zog und langsam anritt, wie er seinen Falben über den Hof lenkte und kurz neben dem Conestoga-Planwagen verhielt.

Seine Stimme klang brüchig herüber, doch die Leute konnten seine Frage nicht verstehen.

Er bekam keine Antwort. Sein Retter hatte die Spencer zurückgelassen. Er nahm das Gewehr, das am Wagenrad lehnte, an sich und ritt aus der Stadt.

Sie sahen ihn ins Tal hinunterreiten.

Er hatte alles verloren, nur sich selber nicht.

Vielleicht hatte er tausendmal während des Krieges an diesen Tag gedacht – an den Tag seiner Heimkehr an den Cimarron-Fluß.

Nein, er hatte nicht mehr Cimarron-Kid sein wollen – dieser wild um sich schlagende und beißende Kid von einst.

Aber er war Cimarron-Kid.

Er hatte geglaubt, der Hölle entronnen zu sein.

Dies hier war die zweite Hölle.

*

Heißer Sommerwind wehte über den Cimarron River und fing sich raunend in den Verstrebungen des endlos erscheinenden Geländers der Holzbrücke über dem Fluß.

Wie ein riesiger Klotz lag das Ranchhaus am Nordufer auf der auslaufenden Brückenkonstruktion – eine Bastion aus Holz und Felsgestein.

Hufe schlugen über die Brücke; dumpf pochte es vom Südufer herüber. Reiter näherten sich dem Ranchhaus auf dem Nordufer. Blutend und besiegt hockten sie zusammengesunken und notdürftig verbunden auf den Pferden. Beiderseits der langen Brücke gleißten die Wasser des Cimarron in der Sonne.

Drüben am Nordufer öffneten Männer ein Gatter. Dahinter dehnte sich Weideland aus, das bis an die Hügel von Kansas heranreichte.

Oben auf der Veranda des Ranchhauses erschien ein Mann. Weit ragte die mit Pfosten abgestützte Veranda über das Brückengatter hinweg, und als die Reiter vor dem geöffneten Gatte hielten, mußten sie die Köpfe in den Nacken legen, um zu diesem Mann emporsehen zu können.

»Warum seid ihr hier?« rief er nach unten. »Was ist los mit euch?«

Sie drucksten herum, bis schließlich der Anführer des kleinen Rudels den Mut zur Antwort fand.

Der Mann oben an der Verandabrüstung hörte reglos zu, und als der Reiter schwieg, sagte er mit schneidender Stimme: »Wenn ihr noch einmal versagt, holt euch der Teufel!«

»Boß, es kann Cimarron-Kid sein, aber niemand weiß das mit Sicherheit. Wenn er das wirklich ist, dann hat er sich stark verändert. Wir haben wirklich alles versucht, um die Wahrheit aus ihm herauszuprügeln – ja, und wir hätten ihn auch totgeschlagen. Dann wäre eben alles ein Irrtum gewesen. Wir konnten nicht wissen, daß er noch jemanden bei sich hatte. Tut mir leid, Boß, aber wir wollen die Sache zu Ende bringen.«

»Nein! Ich habe bessere Männer dafür. Die werde ich auf diesen Kerl ansetzen, der Cimarron-Kid sein kann. Verschwindet von der Ranch, reitet zum Camp und bewacht die Rinder!«

Sie gehorchten, ritten unter ihm hindurch und überquerten den heißen, sandigen Hof.

Wie geistesabwesend blickte der Mann von der Brückenveranda aus über den Fluß und ins Tal.

Wie Schnee glänzte sein Haar in der Sonne. Das verlieh ihm den Anschein von Weisheit. Doch Haß war in ihm.

Hinter ihm knarrte die Tür. Aus dem Saloonraum im Obergeschoß des Ranchhauses trat eine junge, schöne Frau hervor. Langsam näherte sie sich dem Mann. »Schlechte Nachrichten, Forrester?« fragte sie, noch unbeschwert lächelnd, und blieb neben ihm an der Brüstung stehen.

»Ja«, sagte Carlington, »besonders für dich. Cimarron-Kid soll wieder im Land sein.«

Augenblicklich erlosch ihr Lächeln. Unruhig flackerte es in den blauen Augen auf, und ihre Stimme war nur mehr ein Hauch: »Kid? Das kann nicht sein! Er hat von Anfang an gegen den Norden gekämpft, und der Norden hat gesiegt. Kid kann es nicht sein. Nein, ausgeschlossen – Kid ist tot, gefallen.«

»Vielleicht werden wir uns noch wundern, wie munter er ist, Grace.«

Sie ließ sich in den Arm nehmen und schmiegte sich an ihn.

»Forrester, wenn es Kid ist, dann mußt du dafür sorgen, daß er nicht in meine Nähe kommt!«

»Ich weiß, was dich bewegt, Grace. Mach dir keine unnützen Gedanken.« Forrester Carlington zeigte über den Cimarron River hinweg. »Irgendwo dort drüben am anderen Ufer ist dieser Mann, der vielleicht gar nicht einmal Cimarron-Kid ist. Aber ich werde nach ihm suchen lassen, und wir finden ihn, darauf kannst du dich verlassen. Wenn es Kid ist, ist er schon so gut wie tot.«

Die junge, schöne Frau seufzte auf, als wäre ihr ein Stein vom Herzen gefallen. Sie schmiegte sich an den Mann Carlington, der alle Macht im Tal hatte. Viele Reiter saßen für ihn im Sattel. Dennoch hatte er Grund, Cimarron-Kid zu fürchten.

»Kid ist ein paar Jahre weggewesen, Grace. Was tut ein Mann, der zurückgekommen ist, als erstes? Er sucht die altvertrauten Plätze auf und schwelgt in Erinnerungen.«

»Ja«, flüsterte sie, während der Wind mit ihren blonden Haaren spielte, »so wird es sein, Forrester. Und er wird auch nach den alten Freunden suchen und ihren Spuren folgen.«

»Eine Spur führt zu dir, Grace…«

»Dann wirf den Staub der Vergangenheit drauf, Forrester! Oder laß diese Spur im Cimarron untergehen!«

Carlington merkte ihr an, daß sie nichts mehr von der Vergangenheit wissen wollte.

Das war wieder ein Sieg für ihn.

»Wenn es wirklich Cimarron-Kid ist, Grace, und wenn wir ihn gestellt haben – willst du ihn dann sehen und mit ihm sprechen?«

»Nein!«

»Willst du einen toten Cimarron-Kid sehen, Grace?«

Da löste sie sich aus seiner Umarmung und wandte sich ab, ging langsam über die brückenähnliche Veranda und antwortete ruhig: »Für mich gibt es Cimarron-Kid nicht mehr – schon lange nicht mehr. Für mich ist er längst tot.«

Carlington nickte und folgte ihr in den Salon des Hauses.

Unten wachten Posten am bereits wieder geschlossenen Gatter. Niemand konnte unbemerkt über die Brücke ans Nordufer gelangen. Für Carlingtons Feinde führte diese Brücke ins Jenseits. Jeder Reiter konnte bequem und sicher von der Brücke aus beschossen werden. Stürzte er schwerverwundet ins Wasser, erledigte der Cimarron-Fluß den Rest.

Bald schon schlugen wieder Hufe über die Bohlen der Brücke und erzeugten ein dumpfes Dröhnen.

Carlington schickte erneut Männer aus, die Cimarron-Kid suchen und töten sollten.

Vor drei Tagen war ein fremder Mann zum erstenmal im Land gesehen worden, der Cimarron-Kid sein könnte oder ihm zum Verwechseln ähnelte. Seitdem ließ Carlington überall am Cimarron-Fluß, im Tal und in der Stadt nach ihm suchen.

Seit drei Tagen war Kid am Cimarron. Die Leute schwiegen auf all seine Fragen. Furcht herrschte am Fluß.

*

Scharf und warnend schrie ein Vogel im Abendnebel über den Fluß. Aufgescheucht stiegen Vögel aus den dunklen Baumkronen empor.

Irgendwo am Rande des dichten Unterholzes trottete ein Pferd durch die grauen Schwaden der Dämmerung.

Cimarron-Kid war unterwegs.

Er wußte, daß man den Cimarron-Kid von damals töten wollte.

Darum war er so wachsam wie im Krieg und gönnte sich noch keine Stunde Schlaf. Wenn sie ihn abknallten, hatte er genug Zeit zum Schlafen – drei Fuß tief unter der Erde.

Vor ihm im Dunst war Licht.

Trübe sickerte der unruhige Schein von Talglichtern durch das allmählich lichter werdende Unterholz. Schemenhaft verschwommen schälten sich die Umrisse einer größeren Hütte aus dem Nebel hervor.

Kid verhielt, und nahezu reglos stand der Falbe unter ihm.

»Die alte Pilar«, murmelte er undeutlich und spürte den Schmerz in den aufgeschlagenen Lippen, »sie lebt noch. Das sind ihre Talglichter. Sie kann sich noch immer nicht an eine Petroleumlampe gewöhnen. Das alte Weib will nichts Neues im Haus haben…«

Er blieb wachsam und mißtrauisch.

Vielleicht war es nur noch ihr Geist, der dort hauste – aber hatte sie nicht damals gesagt, daß sie als Wahrsagerin unsterblich wäre? Ihr Pakt mit den Dämonen der Hölle gäbe ihr ewiges Leben, und wenn sie einen Menschen mit ihrem Fluch verdammen würde, käme er elendig um.

Kid wollte an so was nicht glauben, aber so ganz geheuer war Pilar ihm doch nicht.

Es gab aber einen Grund, sie aufzusuchen, und Kid konnte ihr vertrauen. Der Grund war, daß Pilar gemieden wurde, als hätte sie die Pest…

Kid hatte sie schon damals als ein sehr merkwürdiges Mädchen empfunden. Als Pilar noch eine junge Wahrsagerin gewesen war, hatte man doch tatsächlich versucht, sie dorthin zu jagen, wohin sonst niemand wollte: zu ihrem Freund, dem Teufel. Das war in Nauvoo gewesen, dem Ausgangspunkt des Trecks der Mormonen nach Westen. Und nach vielen Irrwegen hatte es sie nach hier verschlagen.

Seitdem lebte sie mit ihren schwarzen Schleiern, Glaskugeln und ausgestopften Eulen in dieser Hütte oberhalb des Cimarron-Flusses.

Langsam ritt Kid durch die dahinziehenden Nebelschwaden.

Der Falbe blieb ruhig – ein gutes Zeichen dafür, daß niemand auf Kid lauerte.

Er besaß den Falben noch nicht lange. Das Pferd stammte aus einem Troß des Südens, der nach verlorener Schlacht auf dem Rückmarsch nach Texas gewesen war. Bei Ausbruch des Krieges hatte er eins von seinen sieben eigenen Pferden geritten.

Keins von den sieben Pferden war ihm geblieben.

Je näher er der Hütte kam, um so klarer wurden die Konturen und der überdachte Eingang der Hütte. Jetzt konnte er auch den alten Stall erkennen, der unter der ständigen Einwirkung der feuchten Nebel moderte. Sogar die verwilderten Blumen im verwahrlosten kleinen Garten konnte er sehen und die mit dem Stiel in den Boden gerammte rostige Sense.

Vor der Hütte saß er ab und spürte jeden Knochen im Leib. Wie geschwollen und blutunterlaufen sein Gesicht war, konnte er nur ahnen. Noch immer spürte er die Fußtritte und Faustschläge, die Hiebe mit den Colts und mit den Knüppeln.

Noch lange wollte er den Schmerz spüren – das wünschte er sich. Denn diese Schmerzen sollten ihn in den Kampf treiben.

Er ahnte ja nicht, was alles in seiner Abwesenheit geschehen war.

Mit der Spencer in der Rechten verharrte er gebeugt vor der geschlossenen Tür. Da hörte er eine krächzende Stimme, die aus dem nebligen Garten tönte.

»Nimm die Vorderpfoten hoch, sonst schieße ich dir den Kopf weg, Langer! Glaubst du Narr, ich hätte nicht die Vögel aufflattern gehört?«

Er grinste verzerrt.

»Ach, Pilar, altes Mädchen! Gut, dich zu hören. Komm her und spiel nicht die alte Hexe! Ich bin’s, Kid. Yeah, du hast richtig gehört: Cimarron-Kid.«

»Verdammt!« Zweige knackten im Garten, Blätter raschelten, dann kam die Halbmexikanerin Pilar, ganz in Schwarz, aus dem Nebel hervor und senkte die Hawken-Rifle, hielt die Vorderlader-Büchse aber noch mit beiden Händen vor dem Leib. Wie argwöhnisch umkreiste sie erst einmal Kid, dann lachte sie wild auf und rief: »Zum Satan! Du bist es ja wirklich! Wollte mein Freund dich noch nicht?« Sie trat dicht vor ihn hin und blickte zu ihm auf, betrachtete sein zerschlagenes Gesicht und krächzte: »Du bist meinem Teufel wohl vor den Huf geraten, wie? Oder hat jemand versucht, dich auszustopfen wie eine meiner niedlichen Eulen? Was stehst du hier so herum, he? Geh in die Hütte und nimm dein Pferd mit. Platz ist genug da.«

Sie hatte recht, es war reichlich Platz in der Hütte. Das konnte man von außen gar nicht vermuten. Im einzigen großen Raum herrschte heillose Unordnung, und doch lag alles an seinem alten Platz, so wie er es schon vor Jahren gesehen hatte. Nur in der dunklen Ecke ganz hinten lag ein verhüllter Gegenstand, der etwa so lang wie ein Mensch war. Kid achtete nicht sonderlich darauf, zog den Falben an die Wand neben der Tür und lockerte die Gurte und das Zaumzeug.

»Ich habe ein paar Fische aus dem Cimarron«, verriet Pilar, »und die schmecken teuflisch gut – sogar roh kannst du sie essen, Kid.«

In diesem Moment hörte Kid irgendwen in der dunklen Ecke laut und satt rülpsen. Unwillkürlich langte er zum Colt. »Laß das«, sagte Pilar. »Das ist Sam.«

»Sam? Du hast einen Neger hier, Pilar? Ich kann jedenfalls nichts erkennen; da ist alles schwarz.«

»Quatsch doch nicht, Kid!« Pilar brachte ihr faltiges Gesicht und die strähnigen pechschwarzen Haare in den Schein der Talglichter. »Ein Neger kommt mir nicht ins Haus. Der wäre mir nicht sauber genug, sage ich dir. Ich brauche einen ordnungsliebenden Menschen, und das ist Sam. Ich weiß zwar nicht, von welchem Stamm er ist, aber er sieht wie ein Indianer aus.«

Laute Schnarchtöne setzten ein.

»Er hat zuviel Fisch gefressen«, sagte Pilar entschuldigend.

Kid nahm ein Talglicht, ging damit in die Ecke und ließ den Schein auf den schnarchenden Indianer fallen.

»Der Kerl schläft ja gar nicht, Pilar. Der hat beide Augen offen.«