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Das Zusammenleben mit ihrer Stiefmutter ist für Heidrun eine einzige Qual. Ihr Vater ist verstorben, der Bruder studiert in einer fernen Stadt. Und so steht ihr niemand zur Seite. Für ihre Stiefmutter ist sie nichts weiter als ein billiges Dienstmädchen, das ständig nach ihrer Pfeife tanzen muss. Sogar einen Gatten wählt Frau Gertrud für ihre Stieftochter aus und drängt sie zur Verlobung. Der untersetzte Mann ist doppelt so alt wie sie, grob und wenig anziehend. Dennoch schickt Heidrun sich in ihr Los. Als ihr Verlobter sie jedoch mit unziemlichen Forderungen bedrängt, steigt grenzenlose Abscheu in ihr auf, und sie ergreift die Flucht. In aller Eile packt Heidrun ihre Koffer, schleicht sich aus ihrem Elternhaus und reist einer unbestimmten Zukunft entgegen ...
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Seitenzahl: 112
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Nie wieder einsam und allein
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Sie legte ihr Schicksal in seine Hand
Das Zusammenleben mit ihrer Stiefmutter ist für Heidrun eine einzige Qual. Ihr Vater ist verstorben, der Bruder studiert in einer fernen Stadt. Und so steht ihr niemand zur Seite. Für ihre Stiefmutter ist sie nichts weiter als ein billiges Dienstmädchen, das ständig nach ihrer Pfeife tanzen muss. Sogar einen Gatten wählt Frau Gertrud für ihre Stieftochter aus und drängt sie zur Verlobung.
Der untersetzte Mann ist doppelt so alt wie sie, grob und wenig anziehend. Dennoch schickt Heidrun sich in ihr Los. Als ihr Verlobter sie jedoch mit unziemlichen Forderungen bedrängt, steigt grenzenlose Abscheu in ihr auf, und sie ergreift die Flucht. In aller Eile packt Heidrun ihre Koffer, schleicht sich aus ihrem Elternhaus und reist einer unbestimmten Zukunft entgegen ...
»Anstatt mir dankbar zu sein ...«
Heidrun senkte den Kopf und presste die Lippen fest aufeinander. Diesen schrecklichen Satz hörte sie ständig. Sie hätte sich an ihn längst gewöhnen müssen, aber er tat ihr nach wie vor jedes Mal weh.
»Gewiss, Mutter«, sagte sie leise.
Im Laufe der vielen Jahre hatte sie sich auch noch nicht daran gewöhnt, in der zweiten Frau ihres kürzlich verstorbenen Vaters ihre zweite Mutter zu sehen. Sie unterdrückte einen Seufzer und verließ den Raum.
Zuweilen meinte Heidrun, das Leben nicht mehr ertragen zu können. Ihre Stiefmutter kommandierte sie den ganzen Tag herum und machte ihr das Leben zur Hölle. Ein Dienstmädchen würde sich diese Behandlung sicher nicht gefallen lassen und bekam zudem seinen Lohn.
Sie dagegen musste ausharren und schweigen und hatte Glück, wenn sich Frau Gertrud an das Taschengeld erinnerte, das sie ihr einst zugesagt hatte.
»Im Grunde genommen brauchst du ja kein Geld«, hatte sie schon mehrfach gesagt. »Du hast Essen, Trinken, dein Zimmer, rundum alles, was du benötigst. Ich verwöhne dich eigentlich viel zu sehr.«
Heidrun war kein Mensch, der gegen Frau Gertruds Schikanen protestieren konnte. Dazu hatte sie das Leben wahrscheinlich schon zu sehr gebeutelt.
Gut, die zweite Frau ihres Vaters hatte einst viel für die Familie getan. Ohne ihr Geld wäre damals, während einer schweren Krise, die »Firma Schirmer« Bankrott gegangen. Wer weiß, wie ihr korrekter Vater auf diese Schmach und den Verlust des Erbes seines Vaters reagiert hätte.
Manchmal fragte Heidrun sich allerdings, ob er und sie nicht einen zu hohen Preis zahlen mussten. Er hatte nie geklagt, aber Heidrun konnte sich jetzt, da sie erwachsen war, nicht vorstellen, dass der gütige, feinsinnige Vater je mit seiner zweiten Frau glücklich gewesen war.
Es war müßig, darüber nachzudenken. Seit dem Tode des Vaters wusste Heidrun jedenfalls, dass ihre Stiefmutter damals das Geld nicht uneigennützig in die Firma gesteckt hatte. Ihr gehörte nämlich alles, selbst das Haus, in dem sie wohnten.
Das hatte sie ihr und ihrem Bruder sehr wohl in aller Deutlichkeit klargemacht.
»Im Grunde genommen spielt es ja keine Rolle«, hatte sie dann allerdings hinzugefügt. »Ich bin ja eure Mutter, und eine Mutter sorgt immer für ihre Kinder. Wenn Uwe sein Studium absolviert hat, tritt er in die Firma ein und leitet sie.«
Uwe war Heidruns Bruder, und er studierte Betriebswirtschaft. Er war nie daheim und ahnte nicht, was seine Schwester erdulden musste. Heidrun hütete sich auch, ihm davon zu berichten und ihm das Herz schwer zu machen. Er konnte ihr ohnehin nicht helfen.
Ihre Stiefmutter mochte sie nicht, hatte sie vom ersten Tage an nicht leiden können. Das hatte Heidrun damals schon als Kind gespürt, wenngleich Frau Gertrud ihre Gefühle zu Lebzeiten ihres Vaters sehr versteckt hatte. Nun konnte sie ihnen freien Lauf lassen.
Sie spielte nicht nur auf ewige Dankbarkeit an, sie drohte Heidrun auch damit, ihre Hand von Uwe zu ziehen, der dann mittellos dastehen würde. Wie sollte er sein Studium beenden? Außerdem war ihr Bruder noch immer fest davon überzeugt, nach Beendigung des Studiums die Firma zu übernehmen.
Auch da würde Frau Gertrud eine andere Regelung treffen, wenn Heidrun nicht weiterhin nach ihrer Pfeife tanzte. Darum duckte sie sich, ließ alle ungerechten Anschuldigungen über sich ergehen und spielte für Frau Gertrud das Dienstmädchen.
Jetzt stieg sie schnell die Treppe hinauf, um das Wolltuch zu holen, das eigentlich bereitliegen sollte, wenn sich Frau Gertrud in den Sessel am Fenster setzte und die Zeitung las.
Sie beeilte sich, damit Frau Gertrud nicht wieder einen Grund hatte, sie zu schelten. Doch die Rechnung ging nicht auf.
»Wo hast du nur so lange gesteckt?«, klagte die Stiefmutter. »Meine Knie sind eiskalt! Aber dir macht es freilich nichts aus, wenn sich mein Rheuma noch verstärkt. Du hast die Schmerzen ja nicht.«
»Ich musste das Tuch erst suchen. Du hattest es in deinem Ankleidezimmer liegen«, wagte Heidrun sich zu verteidigen. Das kam nicht gut an.
»Ihr jungen Leute seid schlampig und habt laufend Widerworte«, fuhr Frau Gertrud sie an. »Das hätten wir uns zu meiner Zeit nicht erlaubt. Da kannten wir den Älteren gegenüber noch ein respektvolles Benehmen.«
Heidrun schwieg. Was hätte sie darauf auch erwidern sollen?
Sie breitete also das Wollplaid über die rheumageplagten Knie von Frau Gertrud. Die rang sich endlich mit Mühe und Not ein »Danke« ab.
»So, nun benötige ich dich nicht mehr«, erklärte sie dann. »Du kannst jetzt einkaufen gehen.«
»Ja, Mutter«, sagte Heidrun.
»Hole beim Bäcker Brot und bestelle Frau Wieters, wenn sie Wert darauf legt, dass wir weiterhin ihre Kunden bleiben, wünschen wir erstklassig bedient zu werden. Das letzte Brot war zu hell und nicht genug ausgebacken. Ich will mir zu meinem Rheuma nicht noch eine Magengeschichte holen!«
»Gewiss, Mutter«, murmelte Heidrun.
Frau Gertrud gab ihr daraufhin abgezähltes Geld mit und sah auf die Uhr.
»Trödele nicht wieder so!«
Heidrun presste die Lippen fest zusammen, schwieg und ging hinaus. Als sie endlich die Tür hinter sich schließen konnte, atmete sie befreit auf.
♥♥♥
Schnell erledigte Heidrun die Einkäufe.
Anschließend lief ihr auf der Straße eine ehemalige Schulkameradin über den Weg.
»Heidrun«, sagte sie erfreut und reichte ihr die Hand.
Sie begrüßten sich herzlich. Heidrun freute sich ebenfalls über die Begegnung.
»Dich sieht man ja überhaupt nicht mehr«, sagte Carola Bader. Dabei schweifte ihr Blick bewundernd über Heidrun. »Du bist noch schöner geworden«, fügte sie mit einem gewissen Neid hinzu. Schon in der Schule hatte man Heidrun häufig scherzhaft »Schneewittchen« genannt.
Sie hatte nämlich wie Seide glänzendes schwarzes Haar, ungewöhnlich helle Haut und stets rote Wangen. Ihre großen strahlend blauen Augen bildeten einen faszinierenden Farbkontrast.
Heidrun errötete. Sie hatte es nicht gern, wenn man auf ihr Aussehen anspielte. Sie fand sich keinesfalls besonders schön.
»Ich habe viel zu tun. Meine Mutter leidet um diese Jahreszeit sehr unter rheumatischen Beschwerden.«
»Ihr habt doch ein Dienstmädchen und eine Stundenfrau, da bleibt für dich eigentlich nur noch wenig Arbeit«, stellte Carola klar.
Es war Heidrun peinlich, Fremden zu erklären, dass sie seit dem Tod ihres Vaters das Dienstmädchen war.
»Unser Mädchen ist vor Kurzem gegangen. Meine Mutter hat noch kein neues gefunden.« Sie schwindelte, um nicht gestehen zu müssen, dass sich ihre Stiefmutter bisher noch gar nicht um eine neue Kraft bemüht hatte.
»Ach, so ist das!« Carola nickte verständnisvoll. »Hoffentlich findet sie bald eins. Du, ich habe mir überlegt, demnächst einmal ein Klassentreffen zu arrangieren. Es wäre schon, wenn wir uns alle mal wiedersehen. Du kommst doch auch, nicht wahr?«
Heidrun nickte zwar, aber sie war durchaus nicht sicher, ob Frau Gertrud sie gehen ließe. Irgendetwas fiel ihr nämlich immer ein, um sie am Fortgehen zu hindern.
Carola betrachtete Heidrun nachdenklich.
»Seltsam, dass du als Einzige von uns allen keinen Beruf ergriffen hast, dabei hattest du doch das beste Abschlusszeugnis«, sagte sie dann. »Mit deinen Traumnoten hättest du sogar jedes Studium ergreifen können.«
Wie sehr Heidrun sich nach dem Abitur gewünscht hatte, Ärztin zu werden, gestand sie Carola nicht. Damals war ihr Vater bereits krank gewesen, und ihre Stiefmutter hatte die Geschicke der Familie bestimmt.
Und sie hatte sich gegen Heidruns Wunsch gestellt.
»Du bist ein Mädchen, und Mädchen heiraten ohnehin bald. Warum sollen wir für dich Geld zum Fenster hinauswerfen«, hatte sie argumentiert.
Widerstrebend hatte Heidrun sich gebeugt. Ihren Vater mochte sie mit ihrer Angelegenheit nicht belästigen, um ihn nicht unnötig aufzuregen.
Heidrun zuckte mit den Schultern.
»Sicher, hätte ich vielleicht ...«, sagte sie und tat so, als hätte es an ihr gelegen, die Gelegenheit verpasst zu haben.
Carola sah auf die Uhr.
»Ich schwatze hier, dabei habe ich eigentlich keine Zeit. Du weißt ja, dass ich im Augenblick noch lerne. Mein Chef hat mich zur Bank geschickt und wundert sich sicher, wo ich bleibe. Tschüs also!«
Sie eilte schnell weiter, Heidrun sah ihr nach. Carola war in der Schule kein Ass gewesen, und sie war auch nicht unbedingt eine Schönheit. Aber sie hatte es schon immer verstanden, das Leben zu meistern, konnte großartig organisieren und war in der Klassengemeinschaft beliebt gewesen.
Für Heidrun wurde es an diesem Vormittag zeitlich noch sehr eng. Sie musste sich abhetzen, um das Essen pünktlich auf den Tisch zu bringen, die nötigen Hausarbeiten zu erledigen und zwischendurch die nörgelige Frau Gertrud zu bedienen.
♥♥♥
Am Nachmittag ließ sich die Stiefmutter von Heidrun zum Arzt fahren. Eigentlich war sie damals strikt dagegen gewesen, dass das Mädchen den Führerschein machte. Sie hatte dabei natürlich an die Unkosten gedacht. Nun war sie froh, dass Heidrun sie fahren konnte. So sparte sie das Geld für ein Taxi. Allein ließ sie Heidrun allerdings nie ans Steuer.
Sie erlaubte ihr gnädig, sie auszufahren, suchte das Ziel aus und kommandierte auch während des Fahrens herum.
»Ich habe ja als Privatpatientin gottlob Vortritt und brauche nicht zu warten«, sagte Frau Gertrud, als ihr Heidrun beim Aussteigen half. »Du kannst im Wagen auf mich warten.«
»Ja«, sagte Heidrun gehorsam. Vorher brachte sie Frau Gertrud allerdings in die Praxis.
Sie simuliert, dachte Heidrun, als sich ihre Stiefmutter schwer auf sie stützte und sichtlich Mühe hatte, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Zu Hause konnte sie sehr wohl ganz normal gehen. Wahrscheinlich rechnete sie aber damit, dass vielleicht der Arzt oder eine seiner Helferinnen einmal einen Blick aus dem Fenster warfen und sie kommen sahen.
Neulich erst hatte Dr. Heineke Frau Gudrun klipp und klar erklärt, dass er seine regelmäßigen Besuche bei ihr einstelle, da sie sehr wohl in der Lage sei, zu ihm zu kommen. Seine Zeit sei so knapp, dass er leider zu diesem Schritt gezwungen sei.
Darüber war Frau Gertrud sehr ungehalten gewesen. Wahrscheinlich hätte sie daraufhin den Arzt gewechselt, wenn sie nicht so viel von Dr. Heinekes Fähigkeiten als Mediziner gehalten hätte. Außerdem war zu befürchten, dass auch ein neuer Arzt keine Hausbesuche bei ihr machen würde. Und so spielte Frau Gertrud nun jedes Mal, wenn sie den Doktor in ihrer Nähe wusste, die schwer kranke Frau. Heidrun kannte das Theater schon.
Also brachte sie ihre Stiefmutter in die Praxis und verschwand dann wieder. Heute Nachmittag zeigte sich das Wetter wahrlich nicht von seiner besten Seite.
Es regnete, und ein heftiger Wind trieb den Regen vor sich her und riss das letzte Laub von den Bäumen.
Heidrun fror und setzte sich wieder ins Auto. Aber da der Motor nicht lief, war es auch im Wagen recht kalt.
Alle paar Minuten schaute Heidrun auf die Uhr. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Wenn sie einen Schirm mitgenommen hätte, dann hätte sie jetzt trotz des schlechten Wetters ein paar Schritte gehen können.
Es wurde sehr schnell dunkel. Schließlich kehrte Heidrun in die Arztpraxis zurück und wartete dort.
Endlich kam Frau Gertrud aus dem Sprechzimmer. Heidrun sah auf den ersten Blick, wie aufgebracht ihre Stiefmutter war. Sie vergaß sogar das Humpeln.
»Solch eine Unverschämtheit! Ich habe doch tatsächlich über eine halbe Stunde warten müssen«, schimpfte sie. »Dabei war ich bestellt.«
Auf der Fahrt nach Hause beruhigte sie sich allmählich wieder.
»Ach, das habe ich ja ganz vergessen, dir zu sagen«, sagte sie, als sie sich in der geräumigen Diele die Mäntel auszogen. »Morgen kommen meine Kränzchenschwestern. Du müsstest heute also noch backen. Ich habe an eine Mokkatorte und an eine Obsttorte gedacht. Nein, warte ... Frau Regierungsrat Konsel isst eigentlich auch gern frischen Hefekuchen.«
»Gewiss, Mutter«, erwiderte Heidrun artig und dachte an die viele Arbeit, die nun noch vor ihr lag.
»Wir müssen sofort besprechen, ob auch alle Zutaten vorhanden sind.«
Nein, sie waren es nicht. Also lief Heidrun noch kurz vor Ladenschluss los, um alles zu besorgen. Rasch eilte sie wieder nach Hause, richtete das Abendbrot und backte dann bis in den späten Abend hinein.
Heidrun wusste, dass ihre Stiefmutter vor ihren Kränzchenschwestern immer so tat, als backe und koche sie.
Natürlich war der nächste Vormittag auch wieder mit Arbeit vollgepackt. Gottlob kam Frau Schmidt, die langjährige Stundenfrau.
Frau Schmidt hatte Heidrun bereits als kleines Mädchen gekannt.
»Leicht hat es die Heidrun bei ihrer Stiefmutter wahrlich nicht«, erzählte sie häufig zu Hause.
»Schikaniert dich die Gnädige etwa auch so herum?«, grollte dann ihr Mann.
»Die wird sich hüten. Die ist ja froh, dass sie mich hat, und sie weiß, dass ich jederzeit kündigen kann. Aber die Kleine vermag das nicht.«
»Warum denn nicht?«
»Wohin soll sie denn gehen, das arme Hascherl? Verwandte haben sie und ihr Bruder nicht. Uwe ist selbst froh, dass er als Student mit dem Geld seiner Stiefmutter durchkommt. Einen Beruf wie andere junge Mädchen hat Heidrun nicht. Nein, sie hat es nicht gut«, schloss sie ihren Bericht.
♥♥♥
