Drei Fälle für Konrad Clasen: 3 Thriller - W. A. Hary - E-Book

Drei Fälle für Konrad Clasen: 3 Thriller E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: (399) Mord und Sabotage (W.A.Hary) Der eiskalte Tod (W.A.Hary) Ein Killer kommt selten Allein (W.A.Hary) Die russische Tokarew war bildschön, aber in der verkehrten Hand, nämlich in der eines Mörders. Ihre Mündung deutete genau auf Konrad Clasens Bauchnabel. Eine Stelle, die ihm gar nicht passte. Der Mörder grinste anzüglich. In seinen Augen schien es zu blitzen, wie sonst nur bei schlechtem Wetter. Auch Konrad Clasen grinste. Es war der reinste Galgenhumor. Der Vergleich mit dem Wetter gefiel ihm so gut. Vor allem deshalb, weil die dunkel drohenden Wolken scheinbar direkt über seinem Haupt schwebten. Die Waffe schwenkte ganz langsam nach oben. Das Ziel kroch auf Konrads Herzgegend zu. Herrschaftszeiten, der Typ steht zu weit entfernt, um ihn anzuspringen, und ich bin zu nahe, um rechtzeitig Deckung finden zu können. Mit anderen Worten: Mein Leben ist keinen Pfifferling mehr wert. Der Typ grinste stärker. Dann krümmte sich sein Zeigefinger um den Abzug. Konrad Clasen schwitzte Blut und Wasser. Seine Augen brannten. Sein Blick fraß sich an diesem Zeigefinger fest, der ihm den Tod bringen wollte. Druckpunkt war erreicht. Der Zeigefinger kannte keine Gnade. Er krümmte sich weiter.

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W.A.Hary

Drei Fälle für Konrad Clasen: 3 Thriller

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Inhaltsverzeichnis

Drei Fälle für Konrad Clasen: 3 Thriller

Copyright

Mord und Sabotage

Der eiskalte Tod

Ein Killer kommt selten allein

Drei Fälle für Konrad Clasen: 3 Thriller

W. A. Hary

Dieser Band enthält folgende Romane:

Mord und Sabotage (W.A.Hary)

Der eiskalte Tod (W.A.Hary)

Ein Killer kommt selten Allein (W.A.Hary)

Die russische Tokarew war bildschön, aber in der verkehrten Hand, nämlich in der eines Mörders. Ihre Mündung deutete genau auf Konrad Clasens Bauchnabel. Eine Stelle, die ihm gar nicht passte.

Der Mörder grinste anzüglich. In seinen Augen schien es zu blitzen, wie sonst nur bei schlechtem Wetter.

Auch Konrad Clasen grinste. Es war der reinste Galgenhumor. Der Vergleich mit dem Wetter gefiel ihm so gut. Vor allem deshalb, weil die dunkel drohenden Wolken scheinbar direkt über seinem Haupt schwebten.

Die Waffe schwenkte ganz langsam nach oben. Das Ziel kroch auf Konrads Herzgegend zu.

Herrschaftszeiten, der Typ steht zu weit entfernt, um ihn anzuspringen, und ich bin zu nahe, um rechtzeitig Deckung finden zu können. Mit anderen Worten: Mein Leben ist keinen Pfifferling mehr wert.

Der Typ grinste stärker. Dann krümmte sich sein Zeigefinger um den Abzug.

Konrad Clasen schwitzte Blut und Wasser. Seine Augen brannten. Sein Blick fraß sich an diesem Zeigefinger fest, der ihm den Tod bringen wollte.

Druckpunkt war erreicht. Der Zeigefinger kannte keine Gnade. Er krümmte sich weiter.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Mord und Sabotage

W. A. Hary

„Alarm im Atomkraftwerk: Der Super-G.A.U. droht!“

Die neue Generation von Atomkraftwerken soll alle anderen ersetzen. Endlich ist diese Art garantiert sauber und völlig ungefährlich. Bis zur Sabotage und dem eingeleiteten Super-G.A.U., den größtmöglichen Ernstfall. Und was hat der Mord an der Ehefrau des technischen Leiters damit zu tun?

Vielleicht kann einer das Allerschlimmste noch verhindern: Agent KC9? Falls man ihn rechtzeitig findet…

Mord!

Dieter Kreuch erstarrte vor Entsetzen. Halb hatte er schon den Mantel ausgezogen, als sein Blick auf die Regungslose gefallen war.

Jemand hatte seine Frau ermordet!

Sie lag auf dem Rücken, und ihre gebrochenen Augen starrten wie anklagend in seine Richtung. Ihr Hals zeigte Würgemale. Ihre Finger hatten sich in den Teppichboden direkt hinter dem Eingang zum Wohnzimmer verkrallt.

„Nein!“, murmelte Dieter Kreuch mit brüchiger Stimme.

Er schaffte es endlich, den Blick von der Leiche zu lösen. Das Wohnzimmer zeigte Spuren eines Kampfes. Die Stehlampe war umgeworfen, zwei Sessel umgekippt und über den Boden hatte sich eine alkoholische Flüssigkeit ergossen. Das Glas, in dem sich die Flüssigkeit befunden hatte, bestand nur noch aus Scherben.

Der Mantel rutschte von seinen Schultern und fiel achtlos auf die Keramikfliesen im Flur.

In diesem Augenblick schrillte das Telefon.

Dieter Kreuchs Blick wurde gehetzt. Er jumpte über den Leichnam hinweg und rannte zum Telefon. Gerade wollte er den Hörer von der Gabel reißen, als seine Hand mitten in der Bewegung stoppte.

Wer war das überhaupt? Polizei, ein Freund oder...?

Das Schrillen verstummte. Gleichzeitig sprach die Türglocke an.

Dieter Kreuch taumelte bis zur Mitte des Wohnzimmers und ballte die Hände zu Fäusten.

Mein Gott, man wird mir nicht glauben. Jeder weiß, dass meine Ehe nicht mehr funktioniert. Und ich muss an meine Karriere als technischer Leiter des Atomkraftwerks denken.

Seine Gedanken wirbelten im Kreise.

Ich komme soeben aus Frankfurt, von einer wichtigen Besprechung. Unterwegs fuhr ich wie der Teufel, weil ich rechtzeitig meinen Dienst im Kraftwerk antreten muss. Dabei gewann ich genügend Zeit, hier noch vorbeizufahren, um ein paar Akten abzuholen.

Ich werde auf die Akten verzichten und schleunigst verschwinden. Dann wird kein Verdacht aufkommen.

Wann ist Karin eigentlich gestorben? Sieht aus, als wäre es eben erst geschehen.

Der Mantel!

Noch immer läutete es an der Tür Sturm. Dieter Kreuch rannte in die Diele, nahm den Mantel auf und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

Die Wohnung lag im ersten Stockwerk. Die Balkontür stand weit offen. Der Wind wehte herein und bauschte die Gardinen.

Dieter Kreuch durfte keine Sekunde verlieren. Vom Balkon aus warf er einen Blick nach unten auf den trockenen Rasen.

Er war nicht besonders sportlich, aber den Sprung konnte er gewiss überstehen, ohne sich sämtliche Knochen dabei zu brechen.

Dieter Kreuch überlegte nicht mehr länger, ließ Leichnam und nervenzerreißendes Klingeln der Türglocke zurück und flankte über das Geländer.

Mit dem Mantel in der Hand landete er unten.

Es war schlimmer als erwartet. Der Aufprall warf Kreuch um.

Er rappelte sich verzweifelt wieder auf. Gottlob, er hatte sich nicht verletzt.

Mit keuchendem Atem sicherte er nach allen Seiten.

Schritte, die auf die Hausecke zukamen. Jeden Augenblick konnte der Unbekannte auftauchen und Dieter Kreuch sehen. Er würde sich wundern, wieso der Ehemann von Karin Kreuch diesen ungewöhnlichen Weg benutzte, um die gemeinsame Wohnung zu verlassen.

Dieter Kreuch hetzte zur Buschreihe. Der Unbekannte näherte sich von der Vorderseite. War es der Mann, der die ganze Zeit über geklingelt hatte?

Da war er!

Kreuch sah nur einen Schatten, mehr nicht. Schon befand er sich zwischen den Büschen in Deckung. Weiterlaufen, nur nicht umsehen, zu den Garagen und zum Auto, das dort geparkt stand. Und dann nichts wie weg!

Es hämmerte in Kreuchs Schläfen.

Die haben Karin ermordet. Aber wer und warum?

Um mich hereinzulegen?

Irgendein verschmähter Liebhaber?

Karin war reich an Verehrern gewesen, und jetzt ist sie tot, und man wird mir alles in die Schuhe schieben. Ein Skandal, der nicht nur mir, sondern dem ganzen Projekt schadet. Deshalb darf der Verdacht gegen mich schon gar nicht aufkommen.

Hatte ihn der Unbekannte doch noch gesehen?

Dieter Kreuch erreichte seinen Wagen und warf sich hinter das Steuer. Vor seinen Augen tanzten farbige Ringe, und tausend Nadeln stachen in seine Lunge.

In fliegender Hast startete er den Motor und bog mit kreischenden Pneus aus. Erster Gang, Gas! Der schwere Mercedes machte einen Satz nach vorn und jagte auf die Straße.

Dieter Kreuch fuhr wie von Furien gehetzt.

Hinter sich wusste er das Grauen, und er hatte das Gefühl, dass es direkt in seinem Nacken hockte.

*

Konrad Clasen ahnte von diesen Vorgängen nichts. Er wohnte in Saarbrücken, einige hundert Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt. Missmutig und viel zu spät stand er auf - wie meistens. Auf die Uhr wagte er schon gar nicht mehr zu blicken.

Er dachte an einen der Sprüche seines Freundes Peter Bell. In einem solchen Zusammenhang hätte er gewiss zitiert:

„Morgenstund hat Gold im Mund - doch Silber im Ohr zieht den Mittag vor.“

Konrad Clasen schnalzte mit der Zunge und schwankte ins Bad. Erst als er den Wasserstrahl der Dusche von heiß auf Wechseltemperatur stellte, erwachten seine Lebensgeister.

Konrad Clasen war noch nie ein Frühaufsteher gewesen. Ein Mann, normalerweise voller Energie, Temperament und Tatendrang - außer am frühen Morgen.

Als er das Bad verließ, ging es ihm besser. Routiniert und ohne Hast bereitete er sich das späte Frühstück. Doch kaum saß er am Tisch, klingelte das Telefon. Gerade hatte er sich den ersten Bissen zwischen die Zähne schieben wollen.

Das mochte Konrad Clasen ganz und gar nicht. Er überlegte, ob er abnehmen sollte. Aber dann fiel ihm ein, dass er zurzeit ohne Job war und er die Hoffnung nicht hatte aufgeben wollen.

Seufzend erhob er sich. Vielleicht eine Chance? Ein Jammer, würde er sie schießen lassen.

Er nahm den Hörer von der Gabel und meldete sich.

„Sind Sie allein, Herr Clasen?“

Konrad runzelte die Stirn.

„Natürlich, aber was soll diese Frage?“

„Sie sind Konrad Clasen, zurzeit ohne Beschäftigung, nachdem Sie die mit Ihrem Freund Peter Bell gemeinsam unterhaltene Detektei wieder aufgegeben haben, und ich bin Dr. Steinbach und wünsche Sie zu sprechen. Wie gefällt Ihnen das?“

Das war ihm noch nie passiert.

„Überhaupt nicht!“, antwortete er wahrheitsgemäß.

„Warten Sie's ab, Herr Clasen. Wir werden uns noch unter vier Augen unterhalten. Das wird Sie interessieren. Möglicherweise habe ich die Lösung all ihrer Probleme parat? Stellen Sie sich vor, es wäre Weihnachten und...“

„Dann sind Sie wohl der Weihnachtsmann, nicht wahr? Genauso hört es sich an.“

Dr. Steinbach lachte amüsiert.

„Das ist Clasen wie er leibt und lebt. So und nicht anders habe ich Sie mir vorgestellt. Hm, ich weiß, dass es Ihnen momentan nicht besonders gut geht. Das Leben ist teuer - vor allem, wenn man kein Geld verdient.“

„Sie haben vollkommen recht, Doktor, und deshalb halten Sie mich nicht länger auf. Es ist zwar nett, dass Sie mich ein wenig unterhalten wollen, aber ich habe einen Fernseher und habe Radio. Das Angebot gefällt mir besser.“

Konrad Clasen wollte schon wieder auflegen, aber Dr. Steinbach rief erschrocken:

„Moment, Herr Clasen, ich habe einen Job für Sie.“

„Und wer wird mein Chef? Sie etwa? Nein, danke!“

„Kommen Sie erst zu mir und hören Sie sich alles an. Allein für das Vorstellungsgespräch bekommen Sie fünftausend bar auf die Hand.“

„Auch wenn Sie das Angebot erhöhen, Doktor, ich bin weder lebensmüde, noch will ich oben auf dem Lerchesflur landen. Gesiebte Luft war noch nie mein Fall.“

„Und wenn ich Ihnen verspreche, dass wir nicht gegen die Gesetze verstoßen?“

„Wann soll ich kommen?“

„Sofort, Herr Clasen.“

„Wäre nett, wenn Sie mir den Weg beschreiben würden.“

„Sie werden in diesem Augenblick abgeholt, Herr Clasen. Bis nachher!“

Es knackte in der Leitung.

Konrad betrachtete den Hörer in seiner Hand wie einen bösen Feind.

Komischer Kauz!, dachte er ärgerlich. Scheint sich gut über mich informiert zu haben. Was will der Bursche wirklich von mir?

Er ging ein paar Schritte auf und ab.

Dr. Steinbach? Nie gehört.

Die Türglocke sprach an. Konrad Clasen blieb stehen und schielte nach seinem verspäteten Frühstück. Der Magen knurrte zwar, aber das half wenig. Besser, wenn er den Abholer nicht zu lange warten ließ.

Ein Job also. Mehr als mysteriös. Normalerweise wäre Konrad Clasen niemals der Einladung gefolgt, aber er war von Natur aus sehr neugierig. Deshalb ging er zur Tür. Unterwegs nahm er die Jacke vom Haken. Im Treppenhaus erst zog er die Jacke an.

Der Fahrstuhl brachte ihn nach unten.

Mal sehen, dachte er.

*

„Was machst du denn für ein Gesicht?“, empfing der Sicherheitsingenieur des Atomkraftwerks Lüneburger Heide seinen Freund Dieter Kreuch.

Kreuch zwang sich zu einem verkrampften Lächeln. Eine Antwort verkniff er sich.

„War Frankfurt ein Reinfall?“

Er schüttelte den Kopf.

„Das nicht gerade. Ganz im Gegenteil. Die Atomkonferenz war ein voller Erfolg, aber auch sehr anstrengend. Ich wollte gestern abend schon kommen, war aber so kaputt, dass ich es auf heute verschob. Ich musste fahren wie der Teufel, um rechtzeitig zum Dienst zu erscheinen.“

Ein Blick auf die Uhr. Es waren noch genau zehn Minuten Zeit.

Gerhard Zeißler, der Sicherheitsingenieur, nahm ihn am Arm und zog ihn mit sich in den Kontrollraum.

„Komm, bereiten wir die Ablösung vor. Die Übergabe nimmt immer ihre Zeit in Anspruch, und die anderen werden froh sein, wenn sie gehen können.“

Sie traten ein und grüßten. Es begann die von Schicht zu Schicht immer gleiche Routinearbeit.

Später saßen sie auf ihren Plätzen und waren allein. Ein Gespräch kam nicht zustande, denn dafür hatten sie keine Gelegenheit.

Eine Stunde später murmelte der Sicherheitsingenieur Zeißler erschrocken:

„Phase eins!“

Dieter Kreuch versuchte immer wieder, das Bild seiner toten Frau loszubekommen. Deshalb hörte er nicht sofort darauf.

Gerhard Zeißler brüllte:

„Phase eins: Alarm!“

Dieter Kreuch schreckte zusammen.

„Was?“

Er sah Zeißler entgeistert an. Da blinkte auch schon die rote Warnlampe. Alles in ihm wehrte sich dagegen. Aufkeimende Panik wurde von dem Zwang unterdrückt, sofort Maßnahmen zu ergreifen. Oft genug hatten sie den Ernstfall geprobt.

Dies hier war keine Probe. Dies hier war grausame Wirklichkeit.

Kreuch hieb mit der geballten Hand auf den knallroten Hebel. Er musste dreimal schlucken, ehe er hervor würgen konnte:

„Alarm!“

Es wurde zu einem gellenden Schrei: „Alarm!“ und „Phase eins!“

Gerhard Zeißler beherrschte sich wieder. Nach außen hin gab er sich so, als würde ihn die ganze Sache gar nichts mehr angehen.

Während Kreuch, sein direkter Vorgesetzter in der Schaltzentrale des Atomkraftwerks, die Hauptkontrollen überwachte, war Zeißler für den Sicherheitsteil verantwortlich. Deshalb hatte er die Gefahr auch als erster entdeckt.

Zeißler nahm ein paar Schaltungen vor. Der Negativprozess im Reaktor machte erschreckende Fortschritte. Das Gebäude erbebte wie ein fieberkranker Riese.

Sie waren zu zweit in der Zentrale, aber dreißig weitere Mitarbeiter ihrer Schicht waren auf die Hauptkontrollpunkte verteilt oder befanden sich auf Erkundungsgang.

Bisher war die Stille nur gestört worden durch das allgegenwärtige Summen der Anlagen. Doch jetzt wimmerten die Sirenen. Sie erhoben sich gleich Stimmen von Furien, geißelten die Nerven der Belegschaft.

Die Freischicht flog aus den Betten. Sie hörte den Alarmruf von Dieter Kreuch und wusste, was es zu bedeuten hatte: Der neuartige Reaktor der Serie B entglitt der Prozesssteuerung. Tödliche Gefahr für alle.

Jeder begab sich augenblicklich auf seinen Platz - egal, wo er sich im Moment aufhielt.

Die Tür zur Zentrale flog auf: Eine Frau im schlecht sitzenden Morgenmantel, ein Mann im Pyjama und der zweite Mann, zwar ordentlich gekleidet, doch mit einem Bierglas in der Hand. Den Inhalt hatte er unterwegs verloren. Offenbar war ihm gar nicht bewusst, dass er das Glas noch mitführte.

Er sprang neben Gerhard Zeißler, um ihn zu entlasten.

Zeißlers Blick saugte sich an einem Messinstrument fest. Die Nadel tanzte, zeigte erhöhte Strahlenintensität an.

Der Sicherheitsingenieur nahm immer wieder Korrekturen vor. Jede Schaltung bewirkte komplizierte Vorgänge im Reaktor. Die Entladung der tödlichen Strahlen sollte eingedämmt werden.

Der Computer der Sicherheitsanlage unterstützte seine Tätigkeiten.

„Verdammt noch einmal“, schimpfte sein Nebenmann.

Zeißler hatte keine Zeit, darauf zu achten. Er musste weitermachen, um die Werte zu drosseln, ehe es auch außerhalb der Bleikammern gefährlich wurde.

Die harte Strahlung würde jedes Leben vernichten. Keiner von ihnen würde es überstehen.

Zeißler schnappte nach Luft wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Seine Bemühungen blieben erfolglos. Deshalb griff er zum äußersten Mittel: Er verstärkte den energetischen Schutz. Damit verringerte er die Abgabeleistung des Kraftwerks.

Prompt meldete die Elektrozentrale Beschwerden an. Ein paar der negativen Werte wurden an sie übermittelt, aber sie hatten offenbar noch immer nicht begriffen, dass es hier um Leben und Tod ging.

Zum ersten Male ging in Deutschland ein Atomkraftwerk hoch! Das hieß, wenn Zeißler, Kreuch und die anderen keinen Erfolg haben sollten.

Die Elektrozentrale befand sich weit genug entfernt. Die saßen nicht so auf dem Pulverfass wie die Mitarbeiter des Kraftwerks.

Kein Mensch achtete auf die Proteste der Zentrale. Strom war nicht mehr so wichtig. Auch wenn vielerorts die Kochplatten kalt blieben und die Beleuchtung nur noch flackerte.

Die Elektrozentrale begriff endlich, was hier vorging. Doch sie konnten nicht eingreifen, sondern mussten darauf hoffen, dass die Techniker und Ingenieure erfolgreich blieben.

Ja, Gerhard Zeißler hatte mit seiner Maßnahme bescheidenen Erfolg. Er beließ es dabei, weil ihm nichts anderes übrig blieb.

Ein Blick zum Hauptbildschirm. In jeder Abteilung des Kraftwerks herrschte hektische Betriebsamkeit.

Der GAU stand immer noch kurz bevor.

In den äußeren Abmessungen war das Kraftwerk wesentlich kleiner als herkömmliche. Trotzdem war es mehrfach so leistungsfähig. Die Kraft der Atome wurde direkt in elektrische Energie umgewandelt, ohne Umweg über Dampfkessel und Generatoren. Deshalb gab es auch keine hässlichen Kühltürme mehr. Außerdem wurde das spaltbare Material so ausgenutzt, dass es praktisch keine gefährlichen Rückstände mehr gab: Also Schluss mit dem Atommüll!

Dennoch galt die Anlage als so sicher, dass sie auch den ärgsten Atomkraftgegner überzeugte.

Und jetzt das!

Der große Schirm zeigte die Plutoniumstäbe. Sie steckten im Wandler.

Kühlleitungen, die man nicht völlig wegfallen lassen konnte, bildeten auf dem Röntgenbild helle Schatten, kaum die Bildqualität beeinträchtigend.

Restwärme wurde entzogen und zum Heizen der Institutsräume verwendet.

Gerhard Zeißler wusste praktisch auf Anhieb, dass auf dem Bild etwas nicht stimmte. Und doch musste er überlegen.

Was war anders als sonst?

Dampf! Ja, die Plutoniumstäbe dampften kaum merklich!

Gerhard Zeißler grinste verstört. Das war doch völlig unmöglich. Das gab es doch überhaupt nicht. Es sah gerade so aus, als würden sich die Stäbe langsam auflösen wie schmelzende Eiszapfen.

Und dann? Eine Flüssigkeit entstand, die alles vernichtete.

Druckanzeige. Zeißlers Augen weiteten sich. Der Druck stieg auf irrsinnige Werte. Noch hielten zwar die Schutzwandungen, aber wie lange? Dann würde sich das Kraftwerk in eine Atombombe verwandeln. Von der Lüneburger Heide blieb nicht mehr viel übrig.

Zischend entwich die angestaute Luft aus Zeißlers Lunge.

Blitzschnell überlegte er. Dann hatte er eine Lösung: Ganz offensichtlich stieg die Hitze im Wandler, und deshalb musste die Leistung des Kühlsystems schleunigst erhöht werden. Nur so konnte er den Prozess eindämmen.

Zeißler überließ es dem Computer.

Sichtkontakt mit Kreuch. Dieter Kreuch nickte ihm zu. In seinem Gesicht war Verzweiflung zu lesen.

Der technische Leiter des Instituts dachte jetzt nicht mehr an den Tod von seiner Frau. Hier ging es um wesentlich mehr.

Gerhard Zeißler, der Sicherheitsingenieur, betrachtete die Instrumente.

Gottlob, der Druck fiel ab.

Doch damit war die eigentliche Ursache der Überhitzung natürlich nicht beseitigt.

Abermals blickte Zeißler zum Hauptschirm.

„Die Stäbe!“, brüllte er durch das Sirenengeheul.

Dieter Kreuch entgegnete in der gleichen Lautstärke:

„Sie erhöhen aus unerklärlichen Gründen die Energieabgabe. Das widerspricht jeglicher wissenschaftlicher Erkenntnis. Es ist völlig unmöglich.“

Jetzt wurden die Plutoniumstäbe langsam aus dem Wandler gezogen, um den Prozess ganz zu unterbinden.

Die Wirkung war eher negativ. Der Wandler setzte die vorhandene Strahlung um und isolierte dadurch die Stäbe. Wenn man die Stäbe herauszog, wurden sie nur noch von den Bleiwaben isoliert.

Und das Blei reagierte ziemlich unerwünscht auf die Hitze.

Zeißler wehrte sich gegen den schlimmen Gedanken, obwohl es nicht mehr zu leugnen war, dass die Kühlsysteme völlig unzureichend waren, um die Hitze ausreichend abzubauen, denn in diesem Augenblick erhöhte sie sich sprunghaft.

Das Blei begann sich zu verflüssigen. Die schützenden Waben lösten sich auf. Dann würde die Strahlung ungehindert frei werden.

Der Reaktorkern verwandelte sich in eine hochgradige Bombe, die jeden Augenblick detonieren konnte.

Die tüchtigen Ingenieure und Techniker hatten das Schlimmste nicht verhindern können.

*

Etwa zur gleichen Zeit verließ Konrad Clasen das Apartmenthaus in der Halbergstraße. Neben dem Eingang prangte die Zahl 66.

Ein Fremder vertrat ihm den Weg.

Konrad Clasen stockte im Schritt und betrachtete den Mann von Kopf bis Fuß.

Der Fremde lächelte und deutete eine Verbeugung an.

„Schindler ist mein Name, Dr. Ludwig Schindler.“

Clasen zuckte die Achseln.

„Mich kennen Sie wohl schon oder irre ich mich? Wo finden wir denn diesen Steinbach?“

Schindler erschrak und blickte sich nach allen Seiten um.

„Ich bitte Sie, Herr Clasen, doch nicht so laut!“

Clasen verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Dr. Schindler war ein hochgewachsener, hagerer Typ mit intelligenten Augen. Der Anzug schlotterte ein wenig um die dünnen Glieder. Wie ein Gangster sah er nicht aus.

„Warum diese Geheimnistuerei?“

„Das werden Sie bald begreifen, Herr Clasen. Wenn Sie mir bitte folgen wollten?“

Er führte Konrad Clasen zu einem altersschwachen Peugeot und klemmte sich hinter das Steuer.

„Hat auch schon bessere Tage gesehen“, meldete Clasen Bedenken an.

„Wie bitte?“

„Sind Sie sicher, Dr. Schindler, dass ich mit dem Sitz nicht auf der Straße lande?“

Schindler lachte.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie so ängstlich sind.“

„Mal was vom kalkulierbaren Risiko gehört? Wenn nötig kämpfe ich gegen einen Tiger - aber nicht mit einer Dessertgabel oder gar einem Strohhalm in der Hand. Was Ihren Schrottkoffer betrifft...“

„Also bitte, keine Beleidigungen. Vielleicht nehmen Sie meinem Auto damit den letzten Mut und es fährt keinen Schritt mehr.“

Konrad Clasen öffnete den Wagenschlag und pflanzte sich auf den Rücksitz.

„Sie beginnen mir zu gefallen, Doktor. Dieser Steiner allerdings wird mir sehr auf die Nerven gehen.“

Schindler grinste.

„Vielleicht gewöhnen Sie sich mit der Zeit daran?“

„Niemals“, behauptete Clasen. „Wer gibt sich denn freiwillig mit einem Wahnsinnigen ab? Ich erwäge, ob ich wieder aussteigen soll.“

„Bloß nicht“, rief Schindler erschrocken. „Was denken Sie, was Steinbach mit mir macht? Er wird mir natürlich die Schuld in die Schuhe schieben. Wenn ihm etwas gegen den Willen geht, versteht er keinen Spaß.“

„Auf diesen Kauz bin ich wirklich gespannt, aber ich hätte Polizeischutz anfordern sollen.“

Schindler startete den Motor. Der Peugeot schüttelte sich unwillig. Dann röhrte und klopfte er.

„Der kann Sie nicht leiden, Herr Clasen, weil Sie ihn beleidigt haben“, beschwerte sich der Doktor,

Den ersten Gang legt er mit zwei Händen ein. Das war ein ganz gehöriges Stück Arbeit.

„Warum nehmen Sie zu diesem Zweck keinen Vorschlaghammer?“, erkundigte sich Clasen.

Schindler schwieg verbissen.

Sie bogen am Evangelischen Krankenhaus ab und stellten sich an die rote Ampel.

„Die versprochene Bezahlung wird sich wohl als Windei erweisen, wie?“, nahm Konrad Clasen wieder den Faden auf.

„Wie kommen Sie darauf?“

„Na, wenn sich die Mitarbeiter von Dr. Steinbach keine richtigen Autos leisten können...“

„Falls Sie es noch nicht bemerkt haben, Herr Clasen, was Autos betrifft, bin ich ein Individualist. Dieser Wagen hier ist schon fünfundvierzig Jahre alt.“

„Nicht mehr? Ich rechnete ehrlich gesagt mit neunzig. Sagen Sie, ist es eigentlich noch weit? Ich frage, weil ich wissen muss, ob wir die Strecke zur Not auch zu Fuß schaffen könnten.“

Es wurde Grün. Schindler fuhr an und bog nach rechts ab, in Richtung City.

„Wie ich die Sache sehe, Herr Clasen, ist die Fahrt mit meinem Auto für Sie das kleinste Abenteuer. Ganz andere Dinge kommen noch auf Sie zu.“

„Aha, noch ein Geheimnis drauf. Wer wird mich eigentlich mal aufklären? Oder dauert die Rätselstunde noch an?“

„Dr. Steinbach wird Ihnen das Wesentliche beibringen, KC9.“

„Wie sagten Sie?“

„Merken Sie sich das vorab, Herr Clasen. KC9 wird künftig Ihre Codebezeichnung sein. Alles läuft streng geheim. Außenstehende dürfen niemals etwas davon erfahren. Ist das klar?“

„Moment mal, Sie reden gerade so, als wäre ich in euren Verein schon aufgenommen. Und wenn ich mich weigere?“

„Das werden Sie nicht, Herr Clasen - jetzt nicht mehr.“

„Was macht Sie so sicher? Bei einem Nein drücken Sie wohl auf ein Knöpfchen und Ihr Auto fliegt auseinander. Ich muss Sie belehren, Doktor, denn das brauchen Sie gar nicht. Ein lautes Räuspern genügt bereits.“

„Herr Clasen, wir haben ein detailliertes Charakterprogramm, was Sie betrifft. Schwierig war es nur, Ihr Interesse zu wecken. Als Sie in dieses Auto hier einstiegen, klappte die Falle zu – die psychologische Falle.“

„Wusste doch gleich, dass ich etwas klappen gehört habe. Ich dachte nur, es wäre die Tür gewesen, weil sie nicht mehr richtig hält.“

„Wir fahren zum Rastpfuhl, Herr Clasen.“

„Fahren nennen Sie das?“

Konrad Clasen ärgerte sich maßlos. Indem er Schindler provozierte, kompensierte er seinen Ärger einigermaßen.

Aber Schindler blieb ganz ruhig.

„Sie werden in wenigen Minuten die Steinbach-Stiftung kennenlernen, KC9. Die Stiftung wird Ihr künftiger Brötchengeber sein. Wir haben sogar einen Trumpf in der Hand, falls Sie doch noch ablehnen sollten.“

Konrad Clasen beugte sich vor.

„Passen Sie mal gut auf, Doktor, jetzt haben wir genug gescherzt. Gelinde gesagt: Mir langt's. Sie sind anmaßend und genauso verrückt wie Ihr Chef. Fahren Sie weiter und halten Sie den Mund. Es sei denn, Sie haben etwas Konstruktives zu sagen. Wenn ich von Steinbach nicht mehr zu hören bekomme als von Ihnen, dann werde ich dieser sauberen und strenggeheimen Stiftung schneller den Rücken gekehrt haben als Sie denken. Und Sie werden mich keineswegs aufhalten.“

Schindler schluckte mehrmals.

„Das war deutlich, Herr Clasen. Dr. Steinbach hat nicht zu viel versprochen. Man sollte sich nicht mit Ihnen anlegen. Äh, Herr Clasen, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich bei Ihnen wirklich diesen Eindruck erweckt habe. Sie sind die wichtigste Person der ganzen Stiftung.“

„Danke für die Blumen.“

„Verdammt, Clasen, so begreifen Sie doch endlich. Die Steinbach-Stiftung ist ein wissenschaftliches Forschungszentrum. Es befindet sich mitten in Saarbrücken - und kein Mensch ahnt etwas davon. Wir haben umwälzende Entdeckungen gemacht, die sich allerdings nicht für die Serienproduktion eignen. In den richtigen Händen sind es unglaubliche Waffen. Sie, Herr Clasen, sind unser James Bond. Wir sind nur die Rückendeckung oder bestenfalls die Nachhut, denn wir sind allesamt Wissenschaftler und keine Kämpfer.“

Konrad Clasen lehnte sich zurück und runzelte die Stirn.

„Und warum wendet ihr euch nicht an eine staatliche Stelle wie Geheimdienst und dergleichen?“

Schindler schüttelte entschieden den Kopf.

„Weil wir selber bestimmen wollen, was mit unseren Sachen geschieht. Wir dienen keinem Staat und auch keiner bestimmten Nation, sondern wir dienen dem Menschen schlechthin. Und Sie sollen heute in unser Team als aktiver Partner aufgenommen werden. Sie sind KC9, unsere ausführende Hand, wählend wir das Gehirn bilden.“

„Wenn Sie sich nur nicht irren, Doktor, denn ich, Konrad Clasen, habe mein Leben lang bewiesen, dass ich einen eigenen Kopf mit einem eigenen Gehirn habe.“

Schindler lächelte wieder.

„Das spricht Ihnen niemand ab, KC9. Ohne Ihre besonderen Fähigkeiten, sowohl körperlich als auch geistig, wären Sie als Mitarbeiter niemals in Betracht gekommen. Ich freue mich schon darauf, Ihnen Dr. Steinbach vorstellen zu können. Er kennt Sie zwar besser als Sie sich selbst, hat Sie aber noch nie zuvor persönlich zu Gesicht bekommen.“

Den Rest der Fahrt verbrachte Konrad Clasen vorerst mit brütendem Schweigen.

Sie durchquerten die Innenstadt von Saarbrücken und erreichten den Ludwigsberg. Aus dem Kreisverkehr bogen sie ab in Richtung Rastpfuhl.

Jetzt habe ich zwar eine Menge Vorschussinformationen erhalten, dachte er erbittert, aber dadurch ist die Sache nicht weniger geheimnisvoll und mysteriös geworden. Sind diese Wissenschaftler echt oder handelt es sich nur um Scharlatane? Vielleicht eine Gruppe von entsprungenen Irren, die sich mit dem armen Konrad Clasen einen makabren Scherz erlauben?

Er betrachtete Schindler.

Nein, das mochte er nicht glauben. So fantastisch die Sache auch klang: Es schien etwas dran zu sein.

„Den Rest werde ich also an Ort und Stelle erfahren?“

„So ist es, KC9.“

„Wie sind Sie nur auf eine solche Bezeichnung gekommen? Man glaubt fast, es geht um ein Agentenspiel in der Art: Hasch mich, ich bin der Spion.“

Konrad Clasen verschränkte die Arme vor der breiten Brust und grinste dreist.

Dr. Schindler beobachtete ihn durch den Rückspiegel. Das Grinsen schien ihm überhaupt nicht zu gefallen.

*

Der Mann war einer der Mitarbeiter des Atomkraftwerks Lüneburger Heide. Das bewies die Schutzkleidung mit dem Atommodell auf der Brust.

Unbemerkt zog er sich von der Hektik zurück, die sich allmählich in Panik steigerte.

Erst als er sich völlig unbeobachtet fühlte, zog er einen kleinen Gegenstand aus der Tasche. Er war nicht größer als eine Streichholzschachtel. Die Handschuhe behinderten den Mann etwas, als er die dünne Teleskopantenne auszog. Er richtete die Antenne gegen die Betonwand und drückte dreimal auf einen Knopf. Das Signal durchdrang die dicken Wände und gelangte nach draußen. Dort wurde es empfangen.

Fünf Männer und Frauen. Ihre Gesichter waren ernst. Einer saß am Funkgerät, hatte einen Kopfhörer über die Ohren gestülpt. Als er die drei Piepstöne hörte, riss er den Kopfhörer herunter.

„Das Signal!“, sagte er unheilschwanger. „Also hat es geklappt. Wird Zeit, dass wir von hier verschwinden, ehe man uns noch entdeckt. Wir haben unseren Part erfüllt.“

„Gib erst die Nachricht weiter!“, befahl eine der Frauen.

Namen wurden keine genannt. Die Gruppe nannte sich hochtrabend DIE ATOMFAUST und tat ganz so, als würden sie sich ständig vor Lauschern fürchten.

Der Funker gehorchte. Er manipulierte an seinem Gerät herum und drückte ein Stakkato von Signalen in den Sender. Dann packte er eilig alles zusammen.

Kaum war er fertig, als eine weitere Person zur Gruppe trat. Die anderen schreckten unwillkürlich zusammen. Aber dann erkannten sie den Neuankömmling.

Die Frau führte offensichtlich das Kommando.

„Du solltest doch auf Warteposition bleiben!“, zischte sie ärgerlich.

Der Neuankömmling zuckte die Achseln.

„Bei euch gab es eine Verzögerung. Der Zeitplan stimmt nicht mehr. Deshalb kam ich nachsehen.“

„Dummes Zeug. Der Zeitplan war von vornherein ungenau. Wir wussten nicht, wann es unserem Mann gelingt, den Meiler zu überlasten. Aber was ist mit dir?“

„Die Falle ist zugeschnappt.“ Der Neuankömmling grinste zufrieden. „Dieter Kreuch tappte nichtsahnend hinein. Er weiß noch gar nicht, welches Spiel wir ausgerechnet mit ihm vorhaben. Jede Tat verlangt einen Prügelknaben. Unserer heißt Dieter Kreuch.“

„Still!“, schnauzte ihn die Frau an. „Du redest zu viel.“

Der Mann verstummte erschrocken.

Alle waren nervös. Das war auch kein Wunder.

„Nur keine Hektik“, versuchte einer einen Einwand. „Noch besteht für uns keine akute Lebensgefahr. Der Saboteur ist kein Todeskandidat. Er weiß, was zu tun ist. So lange er sich nicht zurückzieht, brauchen wir uns nicht zu ängstigen.“

Beladen mit der Ausrüstung liefen sie zu ihrem Jeep, der hinter einer Bodenwelle stand. Man hatte das Gelände rings um das Kraftwerk gut angelegt, um etwas für Auge und Natur zu tun. Die Gruppe war froh darum. Es gab genügend Deckungsmöglichkeiten.

Mit dem Jeep fuhren sie davon. Erst in einigem Abstand stoppten sie wieder.

„Bau das Funkgerät wieder auf!“ befahl die Anführerin.

Der Funker beeilte sich.

Das Gerät nahm eine Impulsfolge auf.

„Es klappt tatsächlich wie am Schnürchen. Die Idioten begreifen gar nicht, wie einfach alles ist. Sie versuchen verzweifelt, die Katastrophe aufzuhalten, aber jeden Augenblick muss der Alarm in die zweite Phase treten. Dabei werden alle Mitarbeiter des Kraftwerks schleunigst evakuiert und die Sicherheitssysteme hochgeschaltet. Die Computersteuerung übernimmt dann allein alle weiteren Maßnahmen, den GAU doch noch aufzuhalten.“ Er lachte heiser. „Die ATOMFAUST hat zugeschlagen!“

Auch die anderen wurden wieder zuversichtlicher und verloren nach und nach ihre Nervosität.

Mit Feldstechern beobachteten sie das Reaktorgebäude. Von außen sah alles noch friedlich aus.

In diesem Augenblick begann das Beben. Das Gebäude erzitterte in den Grundfesten. Es grollte und donnerte.

Die Beobachter duckten sich unwillkürlich. Hatten sie sich doch verschätzt? War der Abstand zum Kraftwerk etwa nicht groß genug? Wenn es jetzt detonierte, waren sie des Todes...

*

In einer Hinsicht irrten die Terroristen: Ausgerechnet Dieter Kreuch erwog als erster die Möglichkeit, dass Sabotage im Spiel war. Obwohl er noch keine Ahnung hatte, was der Saboteur eigentlich getan hatte, um eine so verhängnisvolle Wirkung zu erzielen.

Er war sicher, es herausfinden zu können. Dagegen verblasste alles andere - selbst das Sicherheitsbedürfnis.

Der Ruf von Gerhard Zeißler scholl herüber:

„Phase zwei!“

„Nein!“, brüllte Dieter Kreuch zurück. Wenn sie jetzt alles im Stich ließen, würde sich das Rätsel niemals lösen lassen. Davon war er überzeugt.

Außerdem würde der Saboteur mit ihnen gemeinsam und völlig unerkannt fliehen.

Wenn man erst einmal wusste, wie er vorgegangen war, kam man ihm vielleicht auf die Schliche.

Dieter Kreuch wiederholte: „Nein!“

Es nutzte nichts, denn Gerhard Zeißler war der Sicherheitsingenieur. Zwar war Dieter Kreuch als technischer Leiter ihm gegenüber weisungsbefugt, aber nicht im Falle einer Gefahr. Und Gerhard Zeißlers Aufforderung zur zweiten Alarmphase geschah keineswegs willkürlich. Das wusste jeder, der sich im Kraftwerk befand. Er tat nur, was getan werden musste. Eine andere Möglichkeit hatten sie nicht mehr.

Die Männer und Frauen wandten sich von den Kontrollen ab und stürmten zum Ausgang der Zentrale.

Der Boden zitterte stärker. Jede Sekunde war jetzt kostbar, sonst waren sie verloren.

Die Angestellten des Kraftwerks waren ausgesuchte und geschulte Leute. Sie nahmen die Flucht besonnen und nicht etwas kopflos vor. Trotz ihrer Todesangst verfielen sie nicht in Panik.

Nur zwei Menschen blieben in der Zentrale zurück: Zeißler und Kreuch.

Gerhard Zeißler achtete gar nicht auf seinen Vorgesetzten. Er nahm letzte Schaltungen vor. Die Sicherheitssysteme mussten jetzt alles übernehmen.

Gerade war er fertig und wollte ebenfalls zum Ausgang, als er Kreuch sah, der verbissen weiterarbeitete.

Das wurde ihm erst jetzt klar.

„Dieter, komm, es gibt nichts mehr zu tun!“

„Sabotage!“, schrie ihn Kreuch an. „Ich werde dem Hund auf die Schliche kommen.“

Zeißler rannte zu ihm hin, nahm ihn am Arm und wollte ihn von seinem Platz wegreißen.

Dieter Kreuch wehrte sich. Er war voller Hass. Nicht nur, weil hier der absolute Ernstfall eingetreten war und die hochfliegenden Pläne vieler Wissenschaftler und Politiker zunichte machte, die an der friedlichen und sauberen und gleichzeitig ungefährlichen Nutzung der Atomkraft arbeiteten. Er sah wieder mal das Bild seiner ermordeten Ehefrau vor seinen geistigen Augen.

Hatte er eigentlich etwas zu verlieren?

Wenn er es schaffte, den Saboteur zu entlarven, war er der große Held, und niemand würde glauben können, er sei ein Mörder. Falls er es nicht schaffte und sein Leben ließ, dann war es auch egal. Dann hatte er halt verspielt. Verloren war er ohnedies.

Davon war zumindest Dieter Kreuch überzeugt, und als er es nicht schaffte, sich aus dem eisernen Griff von Zeißler zu winden, schlug er zu.

Zeißler war ihm körperlich überlegen. Er sah den Schlag kommen und blockte ihn rechtzeitig ab.

„Sei vernünftig, Dieter!“, brüllte er durch das entstandene Chaos.

Der Boden schwankte wie ein Schiff bei starkem Wellengang.

Zeißler wagte gar nicht mehr, auf die Kontrollanzeigen zu sehen. Er wusste auch so, dass sie irrsinnige Werte angaben - Werte, die den Tod bedeuteten.

Schon spielte er mit dem Gedanken, Kreuch sich selbst zu überlassen und sein eigenes Heil in der Flucht zu suchen. Gewiss waren alle anderen schon draußen.

Aber das konnte er nicht tun. Er und Dieter waren mehr als nur Kollegen. Sie waren zu Freunden zusammengewachsen.

„Komm endlich zu dir, Dieter! Es hat wirklich keinen Zweck, wenn du zum Märtyrer wirst. Falls es sich um Sabotage handelt, dürfen wir nicht sterben. Die Systeme sind vorbereitet, und die Schaltungen lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Flieh mit mir. Nur so gibt es eine Chance, den Fall zu klären. Du bist der absolute Experte, was diesen Reaktor betrifft!“

Der Widerstand erlahmte tatsächlich. Die Worte Zeißlers verfehlten ihre Wirkung nicht.

Zeißler zog den technischen Leiter hinter sich her. Die beiden hetzten den Gang entlang bis zum Lift.

Die Tür stand offen. Sie sprangen in die Kabine, die ihnen die anderen Mitarbeiter heraufgeschickt hatten.

Der Lift schloss sich.

Gerade setzte sich die Kabine in Bewegung, um nach unten zu sinken, als das Gebäude ein gewaltiger Schlag traf. Die Erde grollte, als würde die Hölle tausend Teufel loslassen. Das Seil, an dem die Kabine hing, peitschte. Zeißler und Kreuch verloren den Halt und prallten gegen die Kabinenwand.

Kreuch rutschten die Füße weg. Er landete am Boden.

Sie mussten befürchten, dass das Seil der Beanspruchung nicht widerstand und riss.

Die Kabine hatte sich verkantet. Viel zu langsam sank sie und produzierte dabei ein ohrenbetäubendes Kreischen.

Also hatte der Schacht etwas abbekommen.

Na, dachte Zeißler in einem Anflug von Galgenhumor, dann können wir wenigstens nicht mehr abstürzen. Aber hoffentlich bleiben wir in der richtigen Etage stecken?

Er blickte auf Kreuch. Dumpf brütete der technische Leiter vor sich hin.

„Es ist alles vorbei!“, murmelte er. Tränen rollten über seine Wangen. „Ich habe versagt - auf der ganzen Linie versagt. Ich bin ein Mörder, ein...“ Er brach ab.

Kreuch schien sich gar nicht mehr zu erinnern, dass er nicht mehr allein war.

Zeißler wandte den Blick von ihm. Er glaubte, bereits die Hitze zu spüren. Tatsächlich, es war wärmer geworden. Und wie war es mit der Strahlung?

Wurde sie bereits frei?

Herrgott, Dieter hat recht. Es ist alles verloren. Der Computer wird die einzige Konsequenz ergreifen, die noch bleibt: Phase drei. Es bedeutet Totalverlust der gesamten Kraftwerkseinheit mit allem, was sich darin befindet. Gewissermaßen begeht der Computer bei Phase drei Selbstmord.

Auf sie beide konnte er dabei keine Rücksicht mehr nehmen.

Erdgeschoß!

Endlich! Die Kabinentür surrte auseinander. Also war noch Energie in den Versorgungssystemen und die dritte Phase noch nicht eingeleitet.

Die Empfangshalle war leer. Sämtliche Angestellte befanden sich außerhalb.

Die beiden Wissenschaftler rannten quer durch die Halle und erreichten den Ausgang.

Zeißler warf einen letzten Blick zurück.

Als er das Gebäude zum ersten Male betreten hatte, war sein Herz voller Freude und Hoffnung gewesen. Er hatte geglaubt, eine Lebensstellung gefunden zu haben, und noch mehr als das: Entscheidendes für das Wohl der Menschheit leisten zu können.

Und jetzt war alles zunichte gemacht und das Projekt dem Untergang geweiht.

Kreuch schien ähnliche Gedanken zu hegen. Er schrie wie ein Wahnsinniger und wollte wieder in die Halle zurück.

Der zweite Stoß ging durch das Gebäude, viel stärker noch als der erste.

Das Licht fiel aus.

Phase drei!

Es gelang Zeißler nicht mehr länger, Kreuch aufzuhalten. Kreuch rannte los.

„Nicht!“, brüllte Zeißler hinterher.

Schon spürte er ein Kribbeln auf der Haut. Funken knisterten über die Wände der großen Empfangshalle.

Mit wenigen Sprüngen holte Zeißler den durchdrehenden technischen Leiter wieder ein.

Aber Kreuch riss sich abermals los.

Jetzt konnte Zeißler keine Rücksicht mehr nehmen - im eigenen Interesse Kreuchs, der ihm vielleicht später dafür dankbar sein würde. Er stellte Kreuch ein Bein. Dieter Kreuch fiel der Länge nach hin. Zeißler beugte sich über ihn und riss ihn wieder hoch.

Das Kribbeln wurde unangenehmer. Der gesamte Gebäudekomplex wurde von einem roten Schimmer überzogen. Die beiden Menschen befanden sich im Einflussbereich.

Die eigenartige Strahlung ließ ihre Herzen schneller schlagen.

Zeißler fürchtete sich vor dem bevorstehenden Kreislaufkollaps. Seine Nerven machten nicht mehr mit.

Aber das war das kleinere Problem.

Er bugsierte Kreuch vor sich her.

Bisher hatte er stets geglaubt, sein direkter Vorgesetzter und Freund sei durch und durch kühl und sachlich. Aber die Vorgänge hatten aus Kreuch ein wimmerndes und schreiendes Nervenbündel gemacht.

Endlich waren sie außerhalb des Strahleneinflusses.

Schlagartig wurde alles wieder für sie normal. Das Kribbeln war weg. Zeißler spürte neue Kräfte in sich erwachen.

Kreuch stolperte. Beinahe fiel er hin, aber Zeißler stützte ihn hilfsbereit.

Doch es war nur ein Trick von Kreuch gewesen. Er schoss seine Faust ab und zielte dabei genau auf Zeißlers Kinnspitze.

Auch diesmal bewies der Sicherheitsingenieur ausgezeichnete Reflexe. Er wich rechtzeitig aus und schlug zurück.

Seine Faust traf unbarmherzig ins Ziel.

Kreuch verdrehte die Augen. Ein dünner Blutfaden löste sich aus seinem Mundwinkel.

Zeißler legte ihn sich kurzerhand quer über die Schultern und lief weiter.

Ein Wagen wartete mit laufendem Motor. Der Fahrer sprang heraus.

„Na endlich. Ich dachte, Sie würden es nicht mehr schaffen und wollte schon abhauen. He, was ist denn mit Dieter Kreuch?“

„Ist völlig durchgedreht. War ein gehöriges Stück Arbeit, den von einem Selbstmord abzuhalten“, keuchte Zeißler.

Der Fahrer half ihm, den Bewusstlosen in den Wagen zu hieven.

„Selbstmord, eh? Beeilung, Beeilung, ich denke über diese Sache ganz anders. Ich will nicht mehr hier sein, wenn die dritte Phase zum Höhepunkt kommt. Das ist zwar alles mathematisch durchgerechnet worden und es gab eine ganze Menge praktischer Erprobungen, aber den Ernstfall dürfen wir selbst erleben. Nein, danke!“

Schon brausten sie davon.

Zeißler konnte keinen Blick von seinem geliebten Atommeiler wenden. Jetzt sah er aus wie ein rotes Glutauge. Dahinter schimmerten die Betonwände, und sie wurden mehr und mehr erschüttert.

Die ersten Risse zeigten sich. Das Material hielt der ungeheuren Belastung nicht mehr stand.

Gerhard Zeißler wusste, dass im Innern der roten Glut ungeheure Energien frei wurden, unvorstellbar für einen Menschen. Allein die radioaktive Strahlung hätte ausgereicht, den gesamten Landstrich nachhaltig und tödlich zu verseuchen - vielleicht von Hamburg bis Frankfurt.

Nur dieses aggressiv wirkende Rot verhinderte es. Das war die eigentliche Phase drei: Ein neuartiges Kraftfeld. Der Reaktor gab keinerlei Gebrauchsenergie mehr ab, aber der energetische Schutz verhinderte den Strahlenaustritt. Die nunmehr unkontrolliert ablaufenden atomaren Prozesse würden auf den Bereich innerhalb des Kraftfeldes beschränkt bleiben.

Eine wahrhaft geniale Schutzeinrichtung, obwohl sie den totalen Verlust des Kraftwerks bedeutete. Denn selbst nach der Vernichtung des Feldschirmprojektors und auch des steuernden Computers würde das Energiefeld nicht wieder abgebaut werden können. Im Gegenteil: Es wurde von den unkontrollierten Prozessen selbst gespeist, die damit indirekt für den Schutz der Umwelt sorgten.

Der geniale Kreislauf würde sich allmählich totlaufen. Niemand wusste allerdings, was übrigbleiben würde. In spätestens einem Jahr bekam der Energieschirm keinen Nachschub mehr und fiel in sich zusammen. Das war das Ende der atomaren Reaktionen.

Wahrscheinlich blieb vom gesamten Kraftwerk nur noch ein Krater. Hauptsache, dass die Umwelt in keiner Weise belastet wurde.

Selbst den Stromausfall würde man verkraften können, denn das Netz wurde einfach aus anderen Quellen gespeist.

Zu Buche schlug lediglich der Milliardenverlust und das Ende einer großartigen Idee.

Gerhard Zeißler sank in den Sitz zurück.

„Die Menschheit hat einen unvorstellbaren Rückschlag erhalten. Die Energiekrise, die wir endgültig besiegen wollten, wird jetzt erst recht zum Höhepunkt kommen.“

Der Fahrer hatte wenig Interesse an Zeißlers Philosophie. Er dachte noch immer an sein nacktes Leben und warf einen misstrauischen Blick in den Rückspiegel.

„Aha, es scheint tatsächlich zu funktionieren. Ehrlich gesagt, ich habe mit einer echten Atomexplosion gerechnet. Wäre naheliegender erschienen. Aber anscheinend wird tatsächlich keine Strahlung mehr frei, und es entsteht keine unmittelbare Gefahr für Leib und Seele. Da frage ich mich, wieso wir so rasen? Vielleicht brechen wir uns dabei das Genick? Wäre doch schade, oder?“

Er schielte über die Schulter zurück und betrachtete kurz Dieter Kreuch.

„Der tut mir leid. Es wird gesagt, er hätte nur für seine Arbeit gelebt. Dabei wäre seine Ehe schiefgegangen. Jetzt sieht man die Bestätigung. Hoffentlich zerbricht er nicht daran!“

Zeißler runzelte die Stirn. Auch er betrachtete Dieter Kreuch. Und da hatte er den ersten Verdacht. Gewiss, Dieter Kreuch hatte mit Leib und Seele an dem Projekt gehangen, aber für sein Durchdrehen musste es noch andere Motive geben.

Welche?

Dieter Kreuch hatte als erster von Sabotage gesprochen. Und hatte er sich nicht schon vor Schichtbeginn eigenartig benommen?

Nein, der Grund war nicht in den Verhandlungsstrapazen auf der Konferenz zu finden.

Ein seltsamer Zufall. Dieter Kreuch taucht auf, gibt sich ganz anders als sonst - der Unfall passiert. Und dann spricht ausgerechnet Dieter Kreuch von Sabotage und dreht durch. Er hat sich im Lift sogar als Mörder bezeichnet!

Gerhard Zeißler stöhnte bei diesem Gedanken auf.

Nein, das durfte nicht sein. Dieter war sein Freund, und er hatte absolutes Vertrauen in ihn. Jeder kam als Saboteur in Frage - falls es sich wirklich um Sabotage handelte - außer Dieter Kreuch. Der Fahrer hatte recht. Dieter Kreuch hatte für das Projekt gelebt und sich total dafür geopfert, bis zur Selbstaufgabe.

„Lassen wir ihn besser in Ruhe, bis er wieder zu sich kommt“, knurrte der Fahrer, der nicht ahnte, was in Gerhard Zeißler vorging. „Nehme an, dass die anderen alle zum Ort geflüchtet sind. Unterwegs wird ihnen einfallen, dass dies der falsche Weg ist. Die Dorfbewohner werden nicht sehr freundlich sein. Ihnen war trotz aller Beteuerungen von Seiten der Politiker und Wissenschaftler das Kraftwerk Lüneburger Heide immer ein Dorn im Auge. Und jetzt sehen sie die Bestätigung für ihre schlimmsten Befürchtungen. Außerdem werden sie keineswegs an die Unfehlbarkeit des Energiefeldes glauben.“

Vom Kraftwerk sah man nur noch einen roten Schein. Der Himmel war bewölkt und wurde rot angestrahlt. Zeißler wertete es als äußerst schlechtes Omen. Er wusste, dass der Fall noch lange nicht abgeschlossen war. Im Gegenteil: Eigentlich begann er erst.

„Ich kann es einfach nicht fassen.“

Der Fahrer brummte darauf nur etwas Unverständliches und konzentrierte sich auf die Straße.

Er hatte es zwar als einen Fehler empfunden, zum Dorf zu fahren, aber auch ihnen würde nichts anderes übrigbleiben.

Schließlich mussten sie sich für die Katastrophenkommission zur Verfügung halten.

Du hast es gut, dachte Zeißler und spürte die pochende Angst in seiner Brust, denn du bist einfacher Arbeiter und brauchst keinerlei Rechenschaft über das abzulegen, was passiert ist. Ich dagegen war für die Sicherheit verantwortlich.

*

Das Ziel war erreicht. Konrad Clasen sah ein großes, befriedetes Grundstück, parkähnlich angelegt. Inmitten erhob sich eine Villa im Stil der vorletzten Jahrhundertwende.

Das Tor stand offen. Ludwig Schindler bog ein und ließ seinen knatternden und fauchenden Peugeot bis zum Hof rollen.

Bei der Villa rührte sich nichts, als würde sie völlig leer stehen.

Sieht aus wie ein kleines Schloss, konstatierte Konrad Clasen im stillen.

Er wartete, bis Dr. Ludwig Schindler ausgestiegen war. Misstrauisch blickte er sich um. Keine Menschenseele. Die Stiftung wurde nicht einmal bewacht. Oder irrte er sich? Ahnte wirklich keiner außerhalb der Umfriedung, was sich hier abspielte?

Konrad Clasen hatte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend und spürte den unbändigen Wunsch, die Beine in die Hand zu nehmen und der Sache ein für alle Male den Rücken zu kehren.

Er blieb, stieg aus und folgte Schindler zum Eingang.

Es ist ein Fehler!, hämmerte es in seinem Innern. Dein Leben wird in den nächsten Minuten eine schlimme Wende erfahren. Alles, was du bisher erlebt und getan hast, war dagegen das reinste Kinderspiel.

Schindler öffnete und trat beiseite, um Konrad Clasen hineinzulassen.

Konrad Clasen schaffte es sogar, ein Grinsen aufzusetzen. Schindler hingegen blieb todernst. Er sagte auch kein einziges Wort mehr.

Die Eingangshalle hinter dem Windfang war relativ klein. Ihre Einrichtung interessierte Konrad Clasen überhaupt nicht, denn er hatte jemanden entdeckt, der ihm wesentlich interessanter erschien: In der Eingangshalle stand ein älterer Mann, die Arme in die Seite gestemmt, ein unbestimmbares Lächeln auf den Lippen. In seinen Augen irrlichterte es.

Konrad Clasen schwor Stein und Bein, dass dies niemand anderes als Dr. Steinbach sein konnte.

Sein Grinsen verstärkte sich.

„Guten Morgen, Dr. Steinbach!“

Der Doktor verzog schmerzlich das Gesicht:

„Bitte, Herr Clasen, Ihre Lebensgewohnheiten in Ehre, aber ich bin ein Frühaufsteher. Könnten wir uns darauf einigen, dass wir bereits frühen Nachmittag haben?“

Clasen deutete eine knappe Verbeugung an.

„Das, verehrter Doktor, ist eine meiner leichtesten Übungen.“

Hinter ihm fiel krachend die Tür ins Schloss.

Ein Räuspern.

Steinbach winkte.

„Dr. Schindler, ich möchte mit Herrn Clasen allein sprechen.“

Schindler respektierte den Wunsch widerspruchslos und zog sich durch eine Seitentür zurück.

Steinbach machte eine umfassende Geste:

„Dies hier ist die nach mir benannte Steinbach-Stiftung, ein getarntes Unternehmen, an dem hochgradige Wissenschaftler beteiligt sind.“

„Und wer finanziert es?“

Jetzt riskierte Konrad Clasen doch noch einen Rundblick. Es gab eine Sitzgruppe mit Rauchertisch, mehrere Gemälde an den Wänden, eine wurmstichige, aber sehr ehrwürdig aussehende Glasvitrine, mehrere Türen, die in unbekannte Räume führten, und eine Treppe nach oben. Die Möbel waren alle sehr alt und wirkten kostbar im Sinne des antiquarischen Wertes.

Konrads Blick blieb wieder an Steinbach hängen. Der Doktor bequemte sich zu einer Antwort. Dazu nahm er zuerst tief Luft.

„Kapitalisten sind ein eigenartiges Volk, Herr Clasen. Der Kampf um Reichtum, Einfluss und Macht wird gnadenlos geführt - so gnadenlos, dass manchen auf dem Höhepunkt seiner Karriere das Gewissen plagt. Der eine bekommt Magengeschwüre, der andere gar die sogenannte Managerkrankheit - was immer man darunter verstehen mag - und der dritte steckt sein Geld in eine Stiftung, die dem Guten dienen soll. Effekt: Er kann wieder ruhig schlafen und kämpft unbelastet von einem schlechten Gewissen weiter. Was ich damit sagen will, Herr Clasen: Unsere Stiftung wird von Geldern des Großkapitals finanziert. Wer letztlich dahintersteckt, ist für Sie uninteressant. Sie haben es lediglich mit mir und bestenfalls mit meinen engsten Vertrauten zu tun.“

„Sie reden wie dieser Schindler. Glauben Sie wirklich, dass ich nicht ablehne?“

Steinbach suchte den Boden ab, als hätte er dort etwas verloren.

„Wir haben einen kleinen Trumpf gegen Sie, Herr Clasen.“

Er hob den Blick. Seine Augen waren kalt wie Gletscherseen.

„Darauf bin ich besonders gespannt.“

Clasen hielt unwillkürlich den Atem an.

„Falls Sie ablehnen, wäre das sehr bedauerlich, denn ich habe Ihnen schon eine ganze Menge erzählt. Wir würden hier unsere Zelte abbrechen müssen. Außerdem wären Sie natürlich erledigt.“

„Mord?“

Steinbach erschrak.

„Wo denken Sie hin, Herr Clasen? Sie haben es hier nicht mit Kriminellen zu tun. Ganz im Gegenteil.“

„Aha, Sie lassen also gewisse Machtinstrumente spielen und setzen mir so lange zu, bis ich mir von selbst eine Kugel durch den Kopf schieße. Feine Methoden haben Sie ja hier. Das muss Ihnen der Neid lassen.“

„Herr Clasen, das Gespräch hat eine Richtung eingeschlagen, die ich sehr bedauere. Merken Sie nicht, dass ich auf Sie setze? Es ist nicht so, dass ich Sie zu etwas zwingen wollte, sondern Sie sind der Mann, den wir hier noch brauchen. Sie sind gewissermaßen das Tüpfelchen auf dem berühmten I.“

„Das hörte ich schon mal“, entgegnete Clasen misstrauisch.

„Umso besser, Herr Clasen. Äh, hätten Sie etwas dagegen, wenn wir uns setzten? Ich habe mir erlaubt, rechtzeitig für Getränke zu sorgen.“

Dr. Steinbach trat zur Seite. Erst jetzt wurde Konrad Clasen bewusst, dass auf dem Tisch zwei Gläser standen. Steinbach hatte sie mit dem Körper verdeckt.

Clasen zögerte nicht lange. Die beiden ungleichen Männer setzten sich gegenüber.

Steinbach hob sein Glas und prostete seinem Gast zu.

„Auf künftige Zusammenarbeit.“

Konrad Clasen erwiderte den Toast nicht, sondern schnupperte an dem Getränk: Whisky-Cola. Zurzeit war das sein Favorit. Zwar war er alles andere als ein Säufer, aber er vertrat die Auffassung, dass Alkohol in Maßen die Lebensqualität steigerte und ansonsten höchstens die Leber traurig machte, weil sie dadurch mehr arbeiten musste.

Konrad nippte. Der Whisky war seine Marke, und die Mischung stimmte haargenau.

Prompt verzog er das Gesicht.

„Es gefällt mir nicht, dass Sie so gut über mich Bescheid wissen.“

Dr. Steinbach ging nicht darauf ein.

„Ich will Ihnen näher erläutern, was Sie für uns so interessant macht, obwohl Dr. Schindler vielleicht schon Andeutungen gemacht hat. Wir sind einer Reihe von Phänomenen auf der Spur. Allen voran: Gravitationserscheinungen. Genauer: Meinem Team gelang es, einen sogenannten Gravitationsverzerrer und -wandler zu bauen. Merken Sie sich den Namen besser nicht. Für Sie dürfte die praktische Anwendung interessanter sein. Insgesamt muss ich sagen, dass es sich um Dinge handelt, die für eine Serienproduktion aus diversen Gründen nicht in Frage kommen, doch in den Händen Einzelner beträchtliche Möglichkeiten eröffnen. Dass wir beim Ausschöpfen genannter Möglichkeiten ausgerechnet auf Sie zurückgreifen wollen, liegt in Ihrer Person begründet. Sie sind nicht nur ein fähiger Ingenieur, durchtrainierter Sportler und ein Sprachgenie, sondern auch so eine Art zorniger junger Mann.“

Dr. Steinbach beugte sich vor.