Drei Kerben am Lauf - Joe Juhnke - E-Book

Drei Kerben am Lauf E-Book

Joe Juhnke

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Beschreibung

Die neuen großen Western Die neuen großen Western sind von unverwechselbarer Action und Spannung. Sie handeln von den großen Gestalten, die für Freiheit und Gerechtigkeit kämpften, von legendären Revolverhelden, die nicht bereit waren, sich dem Bösen zu beugen – und die den Outlaw vernichteten, der Dörfer und ganze Gegenden tyrannisierte. Diese Westernhelden sind hart, unbezwingbar und in den Waffenarsenalen jener Pionierzeit ganz zu Hause. Was erst heute mit voller Schärfe entdeckt wurde: Diese charismatischen Gunmen haben die Wehrlosen und Schwachen beispielhaft beschützt! Er war eine stolze Erscheinung, über welche die Strahlen des hellen Sonnenlichts glitten. Groß, breitschultrig, aufrecht und selbstbewußt. Selbst der schäbige Rock, der zerrissen seinen Brustkorb umschloß, verwischte nicht das Bild eines stolzen Mannes. Dieser Rock, mochte er noch so schäbig aussehen, war kein Makel oder ein Zeichen von Schlampigkeit. Ihn hatte er vier lange Jahre durch die Hölle des Bürgerkrieges getragen, wie ein Jahr als Gefangener der Blauröcke in den Quintinischen Sümpfen. Nun war er aus dem Norden zurückgekehrt, älter, härter, an Erfahrung reicher. Ein Bruderkrieg lag hinter ihm, hatte das Land verwüstet, die Menschen gedemütigt. In dieser hoffnungslosen Zeit war er gekommen, um mitzuhelfen, dieses Land wieder aufzubauen. Er würde, wie so viele Verlierer des Krieges, wieder von vorn beginnen, mit seinem Vater und seiner Mutter. Er wollte ihren Glauben stärken und ihnen beweisen, daß ein neuer Anfang möglich war. Sein Antlitz war schmal und hart geworden, doch seine Augen sprühten den Optimismus eines jungen Mannes, der die Kraft hatte, Berge zu versetzen. Dem selbst ein verlorener Krieg und die Hölle der Gefangenschaft nichts anhaben konnten, der selbst im tiefsten Dreck und Elend seinen Glauben bewahrt hatte. Mit zwanzig Jahren war er als junger, unerfahrener Bursche ausgezogen. Er war vielen Männern begegnet, die Helden waren oder Feiglinge, die dennoch ihr Leben riskierten, wenn das eigene in Gefahr war. Ein schwaches Lächeln umspielte den Mund des einsamen Mannes, der hoch auf der Kuppe eines grünen Hügels am Pecos River stand und auf die kleine Town hinunterblickte, die hinter der Flußbiegung sichtbar geworden war. Heute, fast auf den Tag, waren es fünf Jahre her, daß er von hier fortzog. Bill Graham schüttelte gedankenverloren den Kopf, während er sich auf den Rücken seines Schecken zog. Kein einziges Mal in den langen Jahren war er zu Hause gewesen. Trotzdem wußte er, daß sich in seiner Heimat viel verändert hatte. Er sah es, als er die Wichita Mountains durchquert hatte.

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Die neuen großen Western – 6 –

Drei Kerben am Lauf

Joe Juhnke

Er war eine stolze Erscheinung, über welche die Strahlen des hellen Sonnenlichts glitten. Groß, breitschultrig, aufrecht und selbstbewußt. Selbst der schäbige Rock, der zerrissen seinen Brustkorb umschloß, verwischte nicht das Bild eines stolzen Mannes. Dieser Rock, mochte er noch so schäbig aussehen, war kein Makel oder ein Zeichen von Schlampigkeit. Ihn hatte er vier lange Jahre durch die Hölle des Bürgerkrieges getragen, wie ein Jahr als Gefangener der Blauröcke in den Quintinischen Sümpfen.

Nun war er aus dem Norden zurückgekehrt, älter, härter, an Erfahrung reicher.

Ein Bruderkrieg lag hinter ihm, hatte das Land verwüstet, die Menschen gedemütigt.

In dieser hoffnungslosen Zeit war er gekommen, um mitzuhelfen, dieses Land wieder aufzubauen. Er würde, wie so viele Verlierer des Krieges, wieder von vorn beginnen, mit seinem Vater und seiner Mutter. Er wollte ihren Glauben stärken und ihnen beweisen, daß ein neuer Anfang möglich war.

Sein Antlitz war schmal und hart geworden, doch seine Augen sprühten den Optimismus eines jungen Mannes, der die Kraft hatte, Berge zu versetzen. Dem selbst ein verlorener Krieg und die Hölle der Gefangenschaft nichts anhaben konnten, der selbst im tiefsten Dreck und Elend seinen Glauben bewahrt hatte.

Mit zwanzig Jahren war er als junger, unerfahrener Bursche ausgezogen. Er war vielen Männern begegnet, die Helden waren oder Feiglinge, die dennoch ihr Leben riskierten, wenn das eigene in Gefahr war.

Ein schwaches Lächeln umspielte den Mund des einsamen Mannes, der hoch auf der Kuppe eines grünen Hügels am Pecos River stand und auf die kleine Town hinunterblickte, die hinter der Flußbiegung sichtbar geworden war.

Heute, fast auf den Tag, waren es fünf Jahre her, daß er von hier fortzog. Er wußte es genau, denn er hatte Geburtstag gehabt, der gleichzeitig sein Abschied für lange Zeit werden sollte…

Bill Graham schüttelte gedankenverloren den Kopf, während er sich auf den Rücken seines Schecken zog. Kein einziges Mal in den langen Jahren war er zu Hause gewesen. Trotzdem wußte er, daß sich in seiner Heimat viel verändert hatte. Er sah es, als er die Wichita Mountains durchquert hatte. Die grünenden und blühenden Weiden waren leer. Zerfallen die Hütten. Kreuze und Gräber lagen an seinem Weg. Das Erbe eines gerade beendeten Krieges, die Wunden einer wilden Zeit.

Bill hatte sich damit abgefunden, daß es zu Hause genauso trostlos aussah. Aber er war gesund, hatte zwei Fäuste, die arbeiten konnten, und einen unbeugsamen Willen, die Zukunft neu und besser zu gestalten.

Die Narben, die der Krieg in seinen Körper geschlagen hatten, störten ihn ebensowenig wie die Unzen Blei, die er noch unter der Haut trug.

Ein Souvenir des Krieges, pflegte er spottend zu sagen, wenn er darauf angesprochen wurde, Erinnerung an eine böse, nutzlose Zeit.

»Na los, Schecke.« Bills sonore Stimme schreckte den Gaul aus seiner Ruhe, und als er ihn mit den großen Sporenrädern kitzelte, setzte er sich gemächlich in Trab.

Nach einer Weile verschwanden Fluß und Ort hinter einer Erhebung, um schließlich wieder vor ihm aufzutauchen.

»Der Pecos ist wenigstens der gleiche geblieben, Schecke«, meinte er im Selbstgespräch, und ein säuerliches Lächeln umspielte seinen Mund, als das Wasser unter den Hufen des Gescheckten aufspritzte, »dreckig und braun, wie die Schlammlöcher in der Hölle von Gettysburg in Pennsylvania. Könntest du hier bleiben, Schecke?«

Er trieb das Pferd die Uferböschung hoch und zügelte es vor einem windschiefen, verwitterten Schild an einer morschen Kiefer, das ihm anzeigte, daß keine Meile entfernt McCamey lag.

»Go on, Schecke, wir wollen uns das Nest ansehen, Jack Flenner, der Sternträger, wird große Augen machen, wenn Bill Graham zurückkehrt.«

Während der Schecke in leichten Trab verfiel, da er anscheinend einen nahen Stall witterte, führte Bill sein Selbstgespräch fort. Er hatte sich im Krieg angewöhnt, Selbstgespräche zu führen.

Er tat es, weil es nicht nur Bedürfnis, sondern auch Notwendigkeit geworden war, denn wenn der Tod den blutigen Acker des Schlachtfeldes umpflügte und man alleine in einem Dreckloch saß, dann schimpfte man über den lieben Gott, der all dieses Übel zuließ, auf den verdammten Bruderkrieg, der ein blutiges Handwerk geworden war. Man sprach dann mit sich selbst und verlor die Angst, weil man sich wenigstens selbst vertrauen konnte. Well, man entdeckte plötzlich, daß im Grunde jeder Feigling ein Held sein konnte.

Bill Graham hatte es hinter sich gebracht. Vor ihm lag die Zukunft, ein neues Leben. Weshalb also an das Vergangene denken, wenn’s im »Dry Blue« den besten Whisky von Texas gab…

*

Seine Hände lagen lässig auf dem kurzen Sattelhorn, und seine Beine hingen fast bis zur Erde hinunter. Ein nachdenklicher Zug hatte sich in Bills Gesicht gegraben. Seine Blicke wanderten mißbilligend über die beiden Häuserfronten, die ihm noch schäbiger und noch verkommener als vor fünf Jahren erschienen.

Ein kleiner, kläffender Straßenköter flitzte dem Schecken zwischen die Beine hindurch, bellte bösartig, als Bill nach ihm trat, und verschwand jaulend, mit eingezogener Rute in einer Seitengasse zwischen zwei Hütten.

Bill Graham störte nicht der Dreck und Unrat, der am Wegrand lag. Es waren die neuen Gesichter, die seine Wege kreuzten, und ihm wie stark verwässerter Whisky schmeckten. Yankeevisagen, Blauröcke. Sie grinsten ihn an, als wollten sie sich über ihn lustig machen.

Er lenkte den Schecken über die ausgewaschene Fahrbahn zum nahen Marshaloffice.

Jack Flenners Office war, im Gegensatz zu den schäbigen Lehmhütten des Nestes, aus massiven Natursteinen gebaut. Es erschien ihm fremd, zumindest neu, denn er kannte Flenners altes Office, in dem der Gefangene ein und aus gehen konnte, wie er wollte. Dieses hier hatte massive, eisenvergitterte Fenster und eine mit Eisenblech beschlagene, solide Eingangstür.

Diese Art Beschläge kannte er aus den verfluchten Yankeegefängnissen, die die Sieger aus der guten Überzeugung geschaffen hatten, daß ein Mann aus Texas, Alabama oder Tennessee nur schwer zu halten war. Das breite Schild über dem Eingang war alt, man hatte den Stern nur neu gestrichen.

Ebenso alt war die knorrige Eiche, deren ausladende Äste einen breiten Schatten auf das Dach des Gebäudes warfen.

Bill Graham glitt vor dem Treppenaufgang aus dem Sattel und legte die Zügelbänder über den Hitchrack, strich dem Schecken über das staubige Fell und stieg die wenigen Stufen der Treppe hoch.

»Hay, Jack, du altes Saufbein, du einäugiger Uhu, steh auf und begrüße einen alten Freund!« rief Graham übermütig und stieß mit einem Fußtritt die halb angelehnte Tür auf. »Streck deine mageren Stelzen hoch und begrüße einen Freund, so wie es sich gehört! Eh…« Seine Schritte verharrten. Verblüfft blickte Graham auf den Fettwanst, der, die Fäuste auf die Schreibtischplatte gestemmt, ihn neugierig musterte.

»Suchst du hier etwas Besonderes, Stranger?« fragte der Mann mit heller, quiekender Stimme, ehe er sich in den breiten Sessel zurückfallen ließ.

Graham hatte die Überraschung überwunden. Er grinste. »Was ich suche? Sheriff Jack Flenner natürlich. Den Mann, auf dessem Stuhl du dich breitmachst.«

Der Dicke hing wie ein Mehlsack im Sessel. Seine Schweinsäuglein, in fetten Polstern liegend, betrachteten noch immer den Eindringling.

Er stieß einige Grunzlaute aus und nickte grinsend. »Du scheinst verdammt fremd in dieser Gegend zu sein, Mann«, meinte er und zog aus der geöffneten Schublade einen Stern, den er sich an die Brust heftete. »Wenn es hier einen Marschal gibt, dann bin ich das. Klar?«

»Fremd?« Unmutig hob Bill die Brauen. »Fremd bist du in McCamey. Ich würde den letzten Knopf meines Rocks fressen, wenn du nicht aus diesem verdammten Norden kommst.«

»Du hast es erraten, Stranger.« Der Dicke grinste und stützte die Hände auf den Schreibtisch. »Ich komme von dort, woher du anscheinend kommst. Hat es dir wenigstens in unseren Gefängnissen gefallen?«

»Wahrscheinlich weniger, als es dir hier gefällt. Sonst hätte ich mir bei den Yankees wahrscheinlich auch solch einen Wanst angefressen.«

Das war eine bissige Antwort, an der der Dicke eine Weile kaute, ehe er erwiderte: »Mein Name ist John Vorester. Ich bin Inspektor der Vereinigten Staaten. Während der Besetzung dieses Landes bekleidete ich den Rang eines Marshals.«

»Was ist aus Jack Flenner geworden?« fragte Bill, zum erstenmal lag ein lauernder Unterton in seiner Stimme. »Ich nehme nicht an, daß ihr ihn in Rente geschickt habt, Feht. Eher wäre es möglich, daß ihr einen Strick um seinen Hals gespannt und ihn an der Richteiche hochgezogen habt.«

»Sag nicht wieder Feth zu mir!« rief Vorester brassig, als Graham noch einmal den Mund öffnen wollte. »Sag Marshal zu mir. Oder Inspektor oder einfach Vorester. Aber nie wieder Feth. Sonst stecke ich dich gleich in den Knast. Nenne mir also deinen Namen, und erklär mir, was du in McCamey suchst!«

»Ich heiße Bill Graham«, erwiderte Bill gelassen. »Mein Erzeuger hat eine Ranch am Elkhorn-River. Zufrieden?«

»Graham?«

Der Dicke nickte überrascht. »Graham heißt du also. Und im Elkhorn-River bist du zu Hause.«

»Was gefällt dir nicht daran?«

»Es interessiert mich nicht, daß du zum Elkhorn reitest. Aber ehe du die Stadt verläßt, schau im ›Try Blue‹ rein. Du findest dort Jack Flenner. Wenn dein Freund nicht gerade betrunken unter einem Tisch liegt, erzählt er dir sicher eine nette Geschichte. Zeige mir deine Entlassungspapiere, ich drücke dir einen Stempel drauf.«

»Wofür nun wieder diesen Blödsinn?«

»Hast du einen Stempel von mir in deinen Papieren, bist du auch hier registriert, Graham. Wir wissen dann, wo wir dich holen können, wenn du Ärger machen solltest. Ich habe das Gefühl, daß wir beide uns noch öfter begegnen werden.«

»Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen«, meinte Bill und zog seine Entlassungspapiere aus der Brusttasche seines Hemdes.

Wenige Minuten später verließ er das Office.

Ein unangenehmer Kerl, dachte Graham, als er die Stufen hinunter zu seinem Pferd schritt, unsympathisch, wie alle Yankees, die ihm begegnet waren.

Seltsamerweise hatte auch John Vorester ähnliche Gedanken, nur in umgekehrter Form.

*

Unschlüssig drehte Bill Graham den Stetson in seinen Händen und blickte suchend über die Pendeltür in den verräucherten Saloon.

An der Theke lümmelten ein paar junge Soldaten, die Brett Lows eifrig bediente, weil der Yankeedollar den Südstaatendollar entwertet hatte. Jack Flenner entdeckte er an einem der Fenstertische.

Er saß brütend da, hielt sein leeres Glas umfaßt, als suchte er darin noch einen Tropfen Whisky. Er bemerkte nicht einmal, daß sich neben ihm ein Gast niederließ, der ihn eingehend musterte.

Er war älter geworden, stellte Graham fest, und noch dürrer, als er ihn in Erinnerung hatte. Und er hatte getrunken.

Bill gab Flenner einen Rippenstoß, um sich bemerkbar zu machen.

Der Mann wandte träge den Kopf. Mit stoischem Gleichmut fixierte er seinen Nachbarn, bis ein Zug des Erkennens in seine Augen trat.

»Bill Graham?« fragte er heiser, weil er sich nicht sicher war. Als Bill nickte, huschte ein müdes Lächeln über Jack Flenners faltiges Gesicht. »Bill Graham… Ich kann’s nicht glauben. Ich dachte, du bist längst tot.«

Graham lachte. »Sehe ich aus wie eine Leiche? Beim Teufel, du freust dich nicht mal auf unser Wiedersehen.«

»Natürlich tue ich das, Bill. Ich bin nur überrascht.«

»Dann zeige es mir«, sagte Graham. »Ich war im Office und wollte dich besuchen. Aber da saß eine fettgefressene Wanze auf deinem Stuhl.«

»Sag das nicht zu laut, Bill«, flüsterte Flenner erschrocken. Seine Hand lag warnend auf Grahams Schulter. »Vorester ist ein verdammter Menschenfresser.«

»Ich habe ihn kennengelernt und ihm gesagt, was ich denke. Warum haben sie dir den Stuhl vor die Tür gesetzt? Du warst eine Ewigkeit Marshal in McCamey. Du bist ein Stück dieser verdammten Stadt. Weshalb also trägst du nicht den Stern wie früher?«

Flenners eingefallene Wangen zuckten unter Grahams eindringlichen Fragen. Er senkte den Kopf, als ihre Blicke sich begegneten. »Mir gefiel der Posten nicht mehr, Bill«, antwortete er rauh, und Bill Graham spürte deutlich die Lüge in seinen Worten.

Fast zwanzig Jahre hatte Jack Flenner den Stern an seiner Jacke getragen, und immer wieder hatte er betont, wie stolz er auf seinen Job war, den er liebte und erst aufgeben wollte, wenn ihn ein heimtückisch abgeschossenes Stück Blei niedermähte oder er am Krückstock laufen mußte. Er war inzwischen vierzig Jahre alt, wirkte aber wie ein Greis. Vor fünf Jahren hatten seine Schläfen nur graue Schatten. Heute war sein Haar schlohweiß, sein Gesicht voller Falten.

»Sie haben dich abgeschossen, Jack. Liege ich richtig?« bohrte Bill Graham. »Weil du keiner aus dem Norden bist. Stimmt’s?«

»Lassen wir das, Bill.« Flenner winkte müde ab. »Ich mag nicht darüber reden.«

»Okay, Bill.« Graham richtete sich auf. »Wenn du nicht reden willst, behalte es für dich. Wenn du dein Herz dennoch irgendwann erleichtern willst, du findest mich auf unser Ranch.«

Brüsk wandte er sich ab und stampfte durch die Tischreihen zum Ausgang. Draußen schwang er sich auf seinen Schecken und gab ihm die Sporen. Bill war wütend auf Jack Flenner, der ihn wie einen Fremden behandelte, keinen Willen mehr hatte und ein gebrochener Mann zu sein schien.

*

Niedergeschmettert von der Tücke und Grausamkeit des Schicksals, saß Bill Graham auf einem ausgeglühten Stein des Fundaments der niedergebrannten Hütte.

Tief traf ihn der Anblick des zerstörten Anwesens, auf das er vor Stunden noch all seine Hoffnung gesetzt hatte.

Wie in Trance streifte sein Blick die beiden windschiefen Kreuze unter dem ausladenden Dach der Eiche.

All seine Hoffnungen auf eine bessere Zeit, die ihn Schmach und Schande der Gefangenschaft erdulden ließ, hatte dieser Anblick hier hinweggespült. Er hatte ein Tief erreicht, in dem sein alter Freund Flenner wohl steckte und zum Säufer machte.

Bills Gedanken spielten gedankenverloren mit der ausgeglühten Asche, die ein Windzug von seinen Fingern wehte, als gönnte das Schicksal ihm nicht diesen kleinen Rest seiner Heimat.

Da war er mit dem festen Willen gekommen, seine Eltern beim Aufbau der Ranch zu unterstützen, einen neuen Anfang zu suchen. Und nun dies. Nichts war ihm geblieben. Die Weiden leer, Haus und Stallungen niedergebrannt, die Eltern tot.

Stöhnend richtete er sich auf und ging auf die Eiche zu. Er kniete vor den Gräbern nieder, richtete die Kreuze und schloß die Augen im stillen Gebet.

Ein dumpfer Laut drang über seine schmalen Lippen, der den Schmerz erkennen ließ, der in seinem Innern tobte.

Wäre er doch in Tennessee verreckt. Verreckt wie die anderen, die zu stolz waren, sich den Siegern zu beugen. Ihm wäre dieser Augenblick erspart geblieben.

»Murdet – ermordet am 5. April 1865«, las er schließlich auf den verwaschenen Kreuzen. Also ermordet am selben Tag, als das Morden des großen Krieges ein Ende genommen hatte. Vielleicht zur selben Stunde, als General Lee in Appomatox Court House die Waffen streckte, ging es Bill durch den Sinn.

Ein bitterer Geschmack legte sich auf seine Zunge.

Er, der in fünf Kriegsjahren ein harter Mann geworden war, barg sein Gesicht zwischen den Händen und weinte.

So hörte er nicht den Reiter, der zögernd seinen Pinto herantrieb und neben ihm aus dem Sattel glitt. Leer und ausgebrannt, wie das Anwesen, war auch sein Inneres.

»Bill!«

Es dauerte eine Weile, ehe Graham den Blick hob. Durch den Schleier der Tränen gewahrte er eine hagere, hochgewachsene Gestalt, die gegen die Sonne stand.

Jack Flenner.

»Du hast es also gewußt«, sagte Graham verbittert. »Du hast es gewußt und mir verschwiegen.«

Jack Flenner zuckte mit den Schultern und ließ sich an seiner Seite nieder.

»Ich dachte, du würdest besser allein damit fertig, Bill. Aber nun glaube ich, es war ein Fehler, dich unvorbereitet ins Elkhorntal reiten zu lassen.«

Bill Graham wischte die Tränen aus den Augenwinkeln. Sein Blick verlor sich in der Weite des Landes.

»Wer war es?« fragte er mit grimmiger Stimme. »Nenne mir einen Namen!«

»Niemand im Tal kennt den oder die Mörder, Bill«, erwiderte Flenner. »Keiner hat sie gesehen. Als ich deine Leute fand, lagen sie hier unter dem Hügel. Einer der Rustler, der noch nicht ganz verroht schien, hatte sie wohl begraben.« Er schwieg eine Weile, stopfte seine Pfeife und steckte sie in Brand. Nach einigen Zügen fuhr er fort: »Ich habe nach Spuren gesucht, Bill, aber nichts gefunden. Ich weiß nur eins: Entweder waren es Yankeesoldaten oder Raubgesindel, das mit den Soldaten in unser Land einfiel. Freiwillige Miliz nannten sie sich, aber es waren nur Banditen und sonstiges übles Gesindel.«

»Du warst doch damals noch Marshal, Jack«, sagte Graham. »Hattest du denn niemanden in Verdacht?«

»Pah.«

Flenner spie wütend ins Gras. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie es hier vor einem Jahr aussah. Auf einen von uns kamen zehn Soldaten und ebenso viele Freibeuter. Sie trieben die Herden am hellichten Tag von den Weiden, und wir Texaner durften sie nicht einmal Viehdiebe nennen, denn sie trugen Beschlagnahme-Bescheide in den Taschen. Ausgestellt und unterschrieben von der Union. Du kannst es mir glauben, Bill, als der Mord an den Grahams bekannt wurde, gab es mächtigen Aufruhr im Tal. Ich bemühte mich mit aller Kraft, dieses Verbrechen aufzuklären Aber die Regierungsbeauftragten schnitten mir die Nägel. Mein Eifer wurde den Gentlemen zuwider, denn augenscheinlich befürchteten irgendwelche hohen Herren einen Skandal. Man konfrontierte mich mit der simplen Erklärung, ich sei unfähig, in diesem County für Ruhe und Ordnung zu sorgen.«