Tennessee - Joe Juhnke - E-Book

Tennessee E-Book

Joe Juhnke

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Die großen Western Classic Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Dieser Traditionstitel ist bis heute die "Heimat" erfolgreicher Westernautoren wie G.F. Barner, H.C. Nagel, U.H. Wilken, R.S. Stone und viele mehr. »Sie spielen falsch, Mister.« Fast freundlich klingen diese Worte von den Lippen des jungen Burschen, der, im Kreise von vier Männern hockend, den Abend im »Fortuna« der Spielbank von Nulo, verbringt. Sie wirken mehr als eine freundliche Rüge und haben trotzdem eine erschreckende Wirkung. Jäh endet jedes Gespräch im Raum, der vor Sekunden noch mit Lachen und scherzenden Worten erfüllt war und nun in Lautlosigkeit versinkt. Ein Dutzend Augenpaare richten sich zugleich auf den Sprecher, der in lässiger Tonart eine hier ganz unerhörte Anschuldigung vorbrachte. Und in all diesen Augen liegt bedauerndes Mitleid. Ohne Zweifel, der junge Bursche hat eine ganze Menge Dollars verloren, aber dass er sich nun so weit hinreißen lässt und einen der Mitspieler des Falschspiels bezichtigt, ist eine ganz unverschämte Dreistigkeit. Der Mann aber, den diese ungeheure Anschuldigung trifft, lehnt sich leicht in seinem Stuhl zurück. Ein undefinierbares Lächeln spielt um den fraulich weichen Mund. Es gräbt zwei tiefe Falten in die Mundwinkel und lässt sie in dem schmalen Kinn auslaufen. Seine dunklen mandelförmigen Augen blitzen leicht, und die Augenbrauen heben sich zu zwei scharfen Strichen. Seine Armbeugen ruhen auf der Stuhllehne, und zwischen den Fingern hält er verdeckt fünf Karten. »Ich denke, junger Freund«, wirft der Spieler gelassen in die eingetretene Stille hinein, »ein Mensch, der nicht verlieren kann, soll das Spielen lassen. Zweihundert Dollar setzte ich. Haltet Ihr? Es ist Euer letztes Spiel, gleich, ob Ihr gewinnt oder verliert, Ihr werdet euch entschuldigen und dann gehen!« Es war eine Drohung, und die Männer, die »Baccarat« kennen, wissen, dass dieser berüchtigte Spieler und Revolvermann nie mehr als einmal eine Drohung ausspricht.

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Die großen Western Classic – 72 –

Tennessee

… auf einem Höllentrail

Joe Juhnke

»Sie spielen falsch, Mister.«

Fast freundlich klingen diese Worte von den Lippen des jungen Burschen, der, im Kreise von vier Männern hockend, den Abend im »Fortuna« der Spielbank von Nulo, verbringt. Sie wirken mehr als eine freundliche Rüge und haben trotzdem eine erschreckende Wirkung.

Jäh endet jedes Gespräch im Raum, der vor Sekunden noch mit Lachen und scherzenden Worten erfüllt war und nun in Lautlosigkeit versinkt.

Ein Dutzend Augenpaare richten sich zugleich auf den Sprecher, der in lässiger Tonart eine hier ganz unerhörte Anschuldigung vorbrachte. Und in all diesen Augen liegt bedauerndes Mitleid. Ohne Zweifel, der junge Bursche hat eine ganze Menge Dollars verloren, aber dass er sich nun so weit hinreißen lässt und einen der Mitspieler des Falschspiels bezichtigt, ist eine ganz unverschämte Dreistigkeit.

Der Mann aber, den diese ungeheure Anschuldigung trifft, lehnt sich leicht in seinem Stuhl zurück. Ein undefinierbares Lächeln spielt um den fraulich weichen Mund. Es gräbt zwei tiefe Falten in die Mundwinkel und lässt sie in dem schmalen Kinn auslaufen. Seine dunklen mandelförmigen Augen blitzen leicht, und die Augenbrauen heben sich zu zwei scharfen Strichen.

Seine Armbeugen ruhen auf der Stuhllehne, und zwischen den Fingern hält er verdeckt fünf Karten.

»Ich denke, junger Freund«, wirft der Spieler gelassen in die eingetretene Stille hinein, »ein Mensch, der nicht verlieren kann, soll das Spielen lassen. Zweihundert Dollar setzte ich. Haltet Ihr? Es ist Euer letztes Spiel, gleich, ob Ihr gewinnt oder verliert, Ihr werdet euch entschuldigen und dann gehen!«

Es war eine Drohung, und die Männer, die »Baccarat« kennen, wissen, dass dieser berüchtigte Spieler und Revolvermann nie mehr als einmal eine Drohung ausspricht.

Auf den blonden Burschen macht es jedoch anscheinend keinen sonderlichen Eindruck. »Zieht die Karte aus der Ärmelöffnung«, sagt er, und seine Lider fallen leicht herab.

Es ist ein selten dummes Gesicht, das »Baccarat« anstarrt, voll gähnender Leere.

Irgendwo im Raum nimmt einer einen tiefen Atemzug. Es klingt wie ein Stöhnen, wie ein gequältes Hochziehen der Luft.

»Baccarats« Arme fallen mit einer plumpen Bewegung auf den Tisch. Seine Finger öffnen sich. Fünf Karten fallen auf den Tisch.

Fünfmal Kreuz, Flasch in Kreuz!

Es wirkt wie ein kleiner Friedhof.

Die Hände des Spielers gleiten zur Tischkante. Da öffnet der Fremde wieder seine Augen. Kalt und drohend liegen die rehbraunen Lichter des Mannes zwischen den geöffneten Lidern. Unpersönlich und gefühllos treffen sie den Mann auf der anderen Tischseite.

»Ich würde die Hände lieber auf dem Tisch lassen, Mister …!« Wie Frosthauch wehen die Worte durch die zur Stille erstarrte Kneipe in Nulo. »Wenigstens so lange, bis die anderen Gents davon überzeugt sind, dass ich die Wahrheit spreche. Zieht den linken Ärmel hoch und seid vernünftig, denn ehe Eure Hände am Eisen liegen, haben die meinen Euren Bauch mit Blei gefüllt. Kalkuliere, das Gewicht würde Euch glatt vom Stuhl reißen. Tut also, was ich Euch sage. Im Übrigen möchte ich Euch nicht als Falschspieler entlarven, sondern lediglich das Geld der Gents und auch das meine, welches Ihr auf solch unehrenhafte Weise gewonnen habt, zurückhaben.«

In »Baccarats« Augen liegt ein tückischer Glanz. Seine Lippen haben sich leicht geöffnet und in den Winkeln herabgezogen. Er macht ganz den Eindruck eines bösen Wolfes. Trotzdem zögert er und lässt friedlich die Hände auf der Tischkante liegen. Er hat den Burschen wohl falsch eingeschätzt und völlig übersehen, dass dessen Hände seit einer Weile unter der Tischkante liegen. Als er nun leicht den Kopf zur Seite legt, gewahrt er einen dunklen Lauf, der sich schräg unter dem Tisch in die Horizontale gestreckt hat. Zornig und trotzdem beherrscht, richtet sich der Spieler auf. Kalter Hass liegt in seinen Augen, als er den Berg Dollars in die Mitte des Tisches schiebt.

»Da, nehmt’s Euch«, sagt er mit gedämpfter Stimme und wendet sich einfach um.

»Mister …«

»Baccarat« bleibt stehen. Er ist eine große, schlanke Erscheinung. Breit in den Schultern, schmal in den Hüften. Selbst der weite, weichgegerbte Hirschlederrock kann diese Merkmale nicht verbergen. Unter dem Saum ragen zwei klobige Coltknäufe aus tiefhängenden Halftern. »Baccarat« trägt sie ganz auf Gunnerart. Die Halfter sitzen stramm an den Schenkeln, und die schmal auslaufenden Enden werden von dünnen Riemen gehalten, damit die Taschen den Schützen beim schnellen Zug nicht hindern und sich verkanten.

»Noch was, Blonder?«, fragt er über den Rücken und zeigt dem jungen Mann das Profil seines Gesichtes. Ein recht markantes, an sich sogar hübsches Profil. Es ist eingerahmt von dunklen glänzenden Locken, und nur an den Schläfen zeigen sich graue Schatten, die anzeigen, dass »Baccarat« doch wohl älter ist, als es den Anschein hat.

»Vergesst nicht den Stetson, Mister. Er ist noch neu und hat mindestens dreißig Dollar gekostet. Dann wollte ich ja auch nur unseren Verlust zurück. Den eigenen Einsatz könnt Ihr behalten. Denke, wir haben uns falsch verstanden. Weder die Gents noch ich sind Freibeuter. Uns genügt unser Eigentum. Habe ich recht, Gents?«

Ein breites Lächeln liegt in des Sprechers Gesicht, freundlich, zuvorkommend. Fast keck, wenn man die an der Spitze stark himmelwärts gewölbte, von Sommersprossen übersäte Nase mit in Betracht zieht.

Und während er seine Mitspieler fragend anschaut, zieht er eines der mächtigen, langläufigen Eisen unter dem Tisch hervor, schieb es unter den Rand des Stetsons und hält ihn seinem Besitzer entgegen.

Mit einer hastigen Bewegung greift der Spieler nach seinem Hut. Er dreht ihn einen Augenblick unschlüssig in den Händen. »Sauft euch für meinen Einsatz die Bäuche voll. Werd’s mir bei Gelegenheit von dir wiederholen, Bursche. Mit Zins und Zinseszinsen.«

Der Fremde wiegt bedächtig den Kopf.

»Trag’ nie viel Geld in den Taschen«, erwidert er lächelnd, »es sei denn, ich müsste gerade mal eine dicke Stange am Spieltisch gewonnen haben. Aber das ist äußerst selten. Meistens gehöre ich zu den Verlierern, obwohl man mir seltsamerweise nachsagt, ich sei ein Glückspilz.«

»Meine Zinsen sehen ganz anders aus«, zischt Baccarat, boshaft, ehe er sich endgültig abwendet, »wenn ich sie einfordere, wird dir der lange vorsintflutliche Knüppel nicht viel helfen.«

»Que sabe, Mister«, noch immer liegt das spitzbübische Lächeln in dem sommersprossigen Gesicht, »wer weiß, Mister«, sagt er noch einmal und dreht den unverschämt langen Colt in der schlanken Faust, »man sagt zwar: neu ist getreu, ich aber behaupte, an einem eingerittenen Gaul hat man größere Freude als an einem wilden Mustang.«

Leichter Spott klingt aus seiner Stimme, und er folgt »Baccarat« bis auf die Straße.

»Entschuldigt, Freunde«, wendet der Blonde sich an seine Tischnachbarn, »wir nehmen, was uns gehört, dann setzen wir die Runde fort. Den Rest hat unser edler Gönner ja der Allgemeinheit vermacht. Ich denke, es reicht für etliche Drinks.«

Der Mann scheint den unerfreulichen Vorgang schon wieder vergessen zu haben. Er stapelt einige Häufchen Dollars vor sich auf, zählt noch einmal genau nach und nickt dann zufrieden. »Das ist mein Einsatz, Freunde, bis auf den letzten Cent. Übrigens, mein Name ist Chick Mohawa.«

Auch die anderen, es sind einige Rancher aus der Nachbarschaft, haben ihren Anteil aus dem Geldhaufen herausgebuddelt.

»Ich heiße Cradock«, der linke Nachbar Chicks verbeugt sich leicht, »das hier sind meine Freunde Franzen und Borgout. Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, aber …«

»Aber?« Mohawa folgt dem Blick des Sprechers, der auf dem Colt in seiner Faust ruht. Er lächelt verstehend. »Ach so, er stört euch.« Und mit einer schnellen Bewegung verschwindet er an der Hüfte.

»Das ist es nicht, Mister Mohawa!« Unschlüssig nagt Cradock an der Unterlippe. »Es ist so, hm – Devils …!«, poltert er dann los. »Ihr habt Euch soeben einen argen Feind geschaffen!«

»Ich weiß, Mister Cradock«, erwidert Chick ruhig und schiebt das Kartenblatt zusammen, »und da ich weiß, dass er jetzt mein Feind ist, ist die Sache halb so schlimm. Eine Gefahr, die man rechtzeitig erkannt hat, ist keine mehr.«

»Kennt Ihr denn den Spieler?«

»Wer kennt nicht ›Baccarat‹, Freunde?« Ein glucksendes Lachen kommt über die geöffneten Lippen des Blonden. »Wenn ihr den Mississippi aufwärts reitet, findet ihr zwischen New Orleans und Memphis alle hundert Meilen ein Denkmal von Baccarat. Es steht gewöhnlich auf dem Friedhof, und drunter liegt dann ein Mann, der ›Baccarats‹ Anblick schlecht verdauen konnte.«

»Dann kanntet Ihr ihn also?«, staunt Borgout. »Und trotzdem habt Ihr es auf einen Streit ankommen lassen.«

»Streit?« Der junge Mann lacht leise. »Ich trage ihm nichts nach. Konnt’s nur im Moment nicht verdauen, dass er mich so unverschämt übers Ohr hauen wollte, so, als habe er ein Greenhorn vor sich. Im Übrigen suche ich niemals Streit. Soll ich nun die Karten austeilen?«

Franzen und Borgout nicken zustimmend. Cradock betrachtet prüfend den Fremden. »Irgendwie kommt mir jetzt Euer Gesicht bekannt vor, Mister Mohawa. Ihr spracht da eben vom Mississippi. Kommt Ihr vielleicht von dort?«

»Ich komme aus den Alleghanie Mountains. Meine Wiege stand also in Tennessee«, erwidert Chick bereitwillig. »Ich eröffne mit fünf Dollar.«

»Hm, also aus Tennessee«, murmelt Cradock und scheint noch immer nicht recht befriedigt. Er wackelt unschlüssig mit dem Kopf, mustert mit einem letzten schnellen Seitenblick den Fremden und nimmt dann schnell seine Karten auf.

Das Spiel ist farblos, denn der Einsatz ist ja auch nicht allzu hoch. Trotzdem aber gewinnt Mohawa innerhalb weniger Stunden einige hundert Dollars. Es geht schon fast auf Mitternacht zu, als Cradock gähnend den Vorschlag macht, die Revanche auf einen anderen Tag zu verlegen.

»Ihr bleibt doch sicher bis nach dem Rodeo in der Stadt, Mister Mohawa?«, fragt er abschließend. »Vermute, Ihr wollt Euch an den Kampfspielen beteiligen?«

»Erraten, Sir.« Lächelnd streicht der Blonde seinen Gewinn ein und schiebt ihn mit einer umständlichen Geste in den breiten Gurt, der, auf der nackten Haut liegend, als Geldtasche gearbeitet ist. »Hörte in Sierra Bianca, dass hier ein großes Rodeo anläuft und dass viele bekannte Größen sich im friedlichen Zweikampf messen werden. Das reizte mich schon immer.«

»Na, dann werden wir uns ja noch sehen. Bourgot, Franzen und ich gehören nämlich zum Preisgericht.« Cradock richtet sich auf. Wieder liegt in seinem Gesicht ein grübelnder Zug. Verabschiedend reicht er dem jungen Mann die Hand. »Also, bis auf einen anderen Tag!«

Auch Franzen und Bourgot erheben sich. Gemeinsam verlassen die Rancher die Schenke. Einige ihrer Boys schließen sich an. Auch Mohawa scheint genug Kneipenluft geatmet zu haben. Nachdem er die Zeche beglichen hat, tritt auch er aus der Schenke in die Nacht hinaus.

Es ist nicht seine Art, in einer Schenke zu übernachten. Er schläft am liebsten unter freiem Himmelszelt. Und heute erscheint es ihm besonders hübsch draußen, denn ein milder Wind weht die Straße hinunter, glitzernd stehen leuchtende Sterne im Tiefblau des Zenits, und der Mond wirft sein gelbes Licht auf die Dächer der Stadt.

Laut gähnend tritt er auf die vorgebaute Veranda. Hinter ihm schlägt klappernd die Pendeltür.

Die Straße herauf trabt gemächlich ein Reiter.

*

»Leg dich aufs Maul, Freund!« Unvermutet kommt diese Aufforderung aus dem dunklen Schatten, der unter dem Verandadach liegt. Gleichzeitig reißen ihn zwei kräftige Arme auf die rauen Dielen.

Keinen Augenblick zu früh, denn der Reiter auf der Straße hat überraschend die Zügel seines Gaules zurückgerissen. In seiner Faust schillert nur kurz der blaue Lauf eines Fünfundvierzigers, und dann spuckt eine Ladung Blei in das nächtlich stille Nulo.

Hart und dröhnend peitschen die Detonationen auf, laut klatschend fahren einige Geschosse in die Fassade der Schenke, zersplitternd klirren Holz und Glas.

Und schon prescht der Reiter die Straße hinauf.

Geduckt liegt Mohawa im Schatten des Daches. Dicht neben sich hört er den schnellen, abgehackten Atem seines unbekannten Retters. Er will sich aufrichten, um dem flüchtigen Schützen zu folgen, aber da spürt er zu seiner Überraschung den kalten Lauf eines Eisens in den Nieren.

»Moment noch, Amico«, flüstert der Unbekannte, »an deiner Leiche hatte ich wenig Interesse, aber der Gurt, den du da unter dem Hemd trägst, der hat es mir angetan. Los, schnalle ihn ab! Aber keine Dummheiten, Freund. Ich habe zwar was gegen jegliche Art von Knallereien, scheue mich aber nicht, solch eine Bleispritze auch mal losgehen zu lassen. Sei also dankbar, dass ich dir den Hals gerettet habe, und mache keine Schwierigkeiten.« Dabei kommt ein leises Lachen von seinen Lippen.

»Tennessee« fühlt einen faden Geschmack auf der Zunge. Es ist ihm, als habe ihm der Kneipier drinnen eine fein etikettierte Flasche gezeigt und ihm dann darin einen schlechten Schnaps verkauft.

Da tritt man also nichtsahnend in die herrliche Nacht hinaus, und jemand, den er gar nicht kennt, noch nicht einmal sieht, rettet ihn aus einer verdammt unangenehmen Situation. Und dann zeigt es sich, dass dieser Unbekannte nicht mal ein wahrer Menschenfreund war, sondern aus höchst eigennützigen Gründen handelte.

Ein ganz gewöhnlicher, gemeingefährlicher Strauchdieb, der kein Jota besser ist als jener Bursche, der eben noch seine Kanonen spucken ließ, um ihn umzulegen. Komisch, wie da der Gedanke schmeckt, bei solch einem Kerl in der Schuld zu stehen.

»Betest du, Freund«, kommt es heiser aus dem Dunkel, und Tennessee spürt förmlich den Fuselgeruch, der ihm ins Gesicht schlägt, »betest du, oder nimmst du Abschied von den harten Dollars?«

»Wo liegt denn da ein Unterschied?«, fragt Chick bissig zurück und nestelt umständlich die Schnalle des Geldgurtes los.

»Nun, ein Gebet ist doch gewissermaßen ein Abschluss«, kommt es ohne Zögern zurück. »Ich kannte welche, die beteten, obwohl sie genau wussten, dass sie im nächsten Augenblick in die Hölle fahren mussten. Sie taten es, weil sie sich nicht von dem dreckigen Geld trennen konnten. Hätten sie’s nur getan, zounds, sie erfreuten sich heute noch ihrer besten Gesundheit. Ich hoffe, du verachtest auch das Geld.«

Ein kaltes Stück Eisen schiebt sich tiefer in Tennessees Nieren, und er weiß, dass dies die große Mündung eines Fünfundvierziger Laufes ist. Gleichzeitig fühlt er eine tastende Hand, die ihm den Gurt aus den Händen reißt.

»Mächtig schwer«, lacht der Unbekannte in seinem Rücken, und er scheint sich dabei aufzurichten. Er muss den Gurt prüfend in der Hand wiegen, denn die Dollarstücke klimpern hart aufeinander. »Ich hoffe, es bricht dir nicht das Herz, wo ich dir doch nur eine solch’ schwere Last abgenommen habe. Und nicht nur eine Last, sondern auch eine Sorge. Weißt du, solch ein Volksfest, wie es in den nächsten Tagen hier stattfindet, lockt ’ne ganze Menge übler Buschklepper an.«

»Und du rechnest dich also nicht dazu?«, fragt Tennessee und bewegt leicht den Körper. Sofort verstärkt sich wieder der Druck in seinem Rücken.

»Zu diesem Gesindel?«, die Antwort klingt wie ein Ausruf höchster Empörung. »Mann, mit diesem Pack stelle ich mich doch nicht auf eine Stufe. Nun stehe aber langsam auf, Freund, und dann kannst du die Straße herunterspazieren, aber immer dort, wo’s Mondlicht liegt. Ich mag nämlich die verdammte Finsternis nicht. Sie lockt … Na, du weißt schon was ich meine.«

Der Kerl hat wenigstens einen gewissen Humor, denkt Chick Tennessee mit einem Anflug von Galgenhumor.

Eine Faust packt ihn am hinteren Rockaufschlag und stellt ihn auf die Beine. Automatisch registrieren Chicks Gedanken diese Bewegung. Dieser komische Straßenräuber muss groß und kräftig sein, ein wahrer Muskelprotz.

»Nun kannst du gehen, Freund«, lacht die Stimme hinter ihm, und der Lauf der Faustkanone führt ihn bis zur Grenze, wo helles Mondlicht die schwarzen Schatten aufreißt. »Lass dir nur Zeit bei dem Trip und fange nicht an zu laufen. Mein Eisen könnte es falsch verstehen. Ein Blei im Hosenboden macht sich unangenehm beim Reiten. Ich hoffe, du zweifelst nicht an meiner Schießkunst.«

Tennessee vergisst die Antwort. Schritt für Schritt nimmt er die Treppe und tritt auf die helle Straße.

»Stranger«, hört er noch einmal die Stimme des Buschkleppers aus dem Dunkel kommen, »ich will nicht undankbar sein. Für den Haufen Dollars, die du mir schenktest, gebe ich dir einen guten Tipp. ›Baccarat‹ war’s, der dir die Weste aufsengen wollte. Hüte dich vor ihm. Schätze, er wird’s bestimmt noch mal versuchen. Und dann, gosh, du hast nicht immer einen so guten Schutzengel neben dir stehen.«

»Stimmt, aber einen klauenden Schutzengel meinst du wohl«, brummt Tennessee über den Rücken zurück, »das hört sich bedeutend besser an.«

»Mir gefällt zum Beispiel das Geld aus anderer Leute Taschen. Und da ich es als Anerkennung für geleistete Dienste nehme, sage ich mir, es ist auch nicht gestohlen. Oder ist dir dein Leben weniger wert als die paar lumpigen Dollars? Ich möchte es bezweifeln. Nun gehe aber«, drängt der andere, »hundert Schritte, dann kannst du wieder zurückkommen.«

Wortlos wandert nun Tennessee los. Und während er so Fuß vor Fuß setzt, prägt er sich immer wieder den Klang der Stimme ein. Ich werde dich schon finden, Freundchen, denkt Tennessee, und seine Augen blitzen entschlossen, und wenn ich dich erst habe, geht’s dir verdammt schlecht.

Chick Tennessee hat in seinem Leben genug Erfahrungen gesammelt und ist selbst routiniert genug, um zu wissen, dass der andere die hundert Schritte nicht abwarten wird, sondern schon früher verschwindet und sich in Sicherheit bringt. So bleibt er also selbst schon nach ungefähr achtzig Yard stehen und wendet sich um.

Drüben auf der linken Straßenseite steht die erleuchtete Kneipe. Über die halbhohe Pendeltür starren ein halbes Dutzend neugieriger Gesichter in der Nacht. Es sind die Gäste der Kneipe, die durch die Knallerei aufmerksam wurden und sich nun, nachdem die Gefahr vorüber zu sein scheint, langsam an die Tür herangewagt haben.

Chick Tennessee wendet sich langsam um und wandert zurück, denn vor dem Eingang steht ja noch sein Pferd, das er auf keinen Fall zurückgelassen hätte.

Jetzt erkennen ihn auch die Leute im Lokal, als sie ihn so unbeschadet vor der Veranda stehen sehen, und einige trauen sich sogar nach draußen.

»Was war das eben für eine Knallerei?«, fragt einer von ihnen und äugt misstrauisch die Straße hinunter. »Wir dachten schon, es wäre Euch etwas passiert.«

»Ja, das dachten wir«, meldet sich nun auch der Keeper, »dieser Baccarat vergisst so schnell nichts.«

»Mag sein, Keeper«, lacht Chick belustigt und klettert in den Sattel, »aber er schießt verdammt schlecht.«

»Wo ist er jetzt?«

»Fragt meinen Schutzengel, der weiß alles.« Lachend reißt er den Gaul herum und sprengt die Straße hinauf.

Hinter ihm her starren ein paar verdutzte, stupide Gesichter, die sich auf seine merkwürdigen Worte keinen rechten Reim machen können.

*

Nulo gleicht einer belagerten Stadt. In den Straßen herrscht reges Leben und Treiben. Drunten am Fluss, in der Nähe des Kampfplatzes, stehen Dutzende von Zelten und Chucks (Planwagen). Wo sie auf der Rinderwiese keinen Platz gefunden haben, hat man das Lager zwischen den Eingrenzungen und dem hohen Gatter aufgeschlagen.

Rodeo, das Fest der Cowboys. Rodeo, das Fest der Entspannung.

Rodeo, das friedliche, faire Wettspiel des Raureiters, fern jeglicher Arbeit und Entbehrung, das harte Messen der besten Coltschützen, der besten Büchsenschützen und der besten Reiter des Nulo-Countys. Manch einer von ihnen hat Hunderte von Meilen zurückgelegt, um hier seine Kunst zu beweisen und im fairen Kampf eine begehrte Trophäe zu gewinnen.

Der erste Tag beginnt mit den Vorentscheidungen. Zigdutzendweise treten die rauen Burschen an, um ihren Ruf als Schütze, ihre Fähigkeiten beim Einreiten wilder Bronchos unter Beweis zu stellen. Sie werden in Gruppen zu je sechs Mann eingeteilt, und nur der jeweilige Erste hat die Chance, in die zweite Runde einzutreten. Die Übrigen aber haben Zeit und müssen ihre Enttäuschung in den Schenken der Stadt oder in dem großen Tanzzelt auf dem Ehrenfeld in den dort angebotenen scharfen Sachen ersäufen. Und wer nüchtern über die Runde kommt, kann dann am nächsten Tag den Wettstreit der Glücklicheren oder Besseren verfolgen.

Den ganzen Vormittag schon reiten Cowboys wilde Stiere und ungezähmte Gäule ein. Man stachelt Tier und Mensch zu höchsten Leistungen an, und mancher Ruf der Begeisterung übertönt das dumpfe Rauschen des alten Rio Grande.

Am Nachmittag folgt die Entscheidung zwischen den Coltschützen. Von dieser Entscheidung verspricht man sich eine ganze Menge.