Drei Könige unter dem Stern - Mira Lindorm - kostenlos E-Book

Drei Könige unter dem Stern E-Book

Mira Lindorm

0,0

Beschreibung

Wir alle kennen die Heiligen Drei Könige. Doch was wissen wir wirklich über sie? Dieses Büchlein erzählt Ihnen - von der Reporterin, die drei Könige interviewen sollte - von einem ungewöhnlichen Treffen unter einer Brücke - von dem Bericht eines römischen Besu-chers bei Herodes - von drei reisemüden Königen in einer kalten Nacht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 42

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Drei Könige unter dem Stern

Vier Weihnachtsgeschichten

Anthologie

Hrsg. Charlotte Erpenbeck

Alle Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen nicht beabsichtigt.

 ©Hrsg. Charlotte Erpenbeck 2024   

Machandel Verlag Charlotte Erpenbeck
Neustadtstr.7, 49740 Haselünne

Coverdesign: Elena Münscher

Alle Bilder von vimasi/depositphotos.com

ISBN 978-3-95959-457-8

Interview mit drei Königen

Mira Lindorm

Meine Zeitung hat mich losgeschickt, ich soll die drei weitgereisten Herren interviewen. Wie Könige sehen sie ja nicht gerade aus. Eher etwas abgerissen. Aber nach einer monatelangen Reise auf Kamelen ist das wohl auch nicht anders zu erwarten.

Wenn ich raten sollte, woher die Herren stammen, würde ich sagen, irgendwo aus dem Schwarzmeergebiet oder einer benachbarten Gegend. Der älteste von ihnen, Melchior, sieht irgendwie großväterlich aus mit seinem langen, weißen Rauschebart. Der jüngste, Caspar, wirkt dagegen noch fast wie ein Kind, bartlose, weiche Züge in einem freundlichen Gesicht. Der andere nennt sich Balthasar. Wenn der mir nachts irgendwo alleine begegnete, ich glaube, ich würde mich ziemlich unwohl fühlen. Stechende schwarze Augen über einem ebenso schwarzen, lockigen Bart, und die gestrickte Kappe trägt er tief ins Gesicht gezogen.

Aber meine Chefin erwartet ein Interview. Ich zücke Stift und Schreibblock. Ein Aufnahmegerät wäre mir lieber, aber die Herren logieren in einer Gegend, die vorerst weder künstliches Licht noch Elektrizität kennt.

„Sind Sie wirklich Könige?“, platze ich heraus.

Alle drei lachen, am lautesten Melchior. Sein weißer Bart wackelt dabei wie ein Lämmerschwanz. „Kind, wer hat dir denn das erzählt?“

Ich zucke mit den Achseln. „Das sagen die Leute hier so.“

Er wird wieder ernst. „Wir sind keine Könige. Nur Sternkundige.“

Ach ja, der Stern. Das verdammte Ding, das nun schon so lange unter den Wissenschaftlern für Unruhe und Streitereien sorgt. „Und deshalb sind Sie einem Stern gefolgt?“

„Na ja, natürlich nicht als Selbstzweck“, mischt sich Caspar ein. Er lächelt dabei, und ich fühle dieses Lächeln förmlich wie einen Sonnenstrahl. „Der Stern, dem wir gefolgt sind, wird uns zu einem König führen.“

Also ist doch ein König in dieser Geschichte? 

„Welchem?“

„Dem König der ganzen Welt.“

Ich schnaube belustigt. „Das dürfte Herodes aber gar nicht gefallen.“

Caspar guckt erstaunt. „Wieso nicht? Der hat uns doch überaus freundlich aufgenommen und bewirtet! Hat uns sogar seine Hilfe zugesagt!“

„Ich hab‘s gewusst, dass mit dem was nicht stimmt“, brummt Balthasar, und seine Hand fährt zum Krummdolch in seinem Gürtel. 

Oh-oh! Schnell das Thema wechseln! „Von wo kommen Sie überhaupt?“

Dieses Mal antwortet Caspar zuerst. „Ich komme aus Persien. Mein verehrungswürdiger Kollege“ – bei diesen Worten verbeugt er sich vor dem alten Melchior – „stammt aus dem Süden Judäas.“

Mein Blick wandert etwas unsicher zu dem Schwarzbärtigen.

„Ich stamme aus Syrien“, erklärt er knapp und abweisend. „Neugierige Frau! Sind alle Frauen in diesem Land so neugierig?“

„Ich bin als Reporterin hier“, verteidige ich mich. „Ich mache nur, was man mir aufgetragen hat.“ Ich wende mich rasch wieder an Melchior. Der scheint mir noch der vertrauenswürdigste von den Dreien zu sein. „Wie kommt es, dass drei Männer aus so unterschiedlichen Ländern gemeinsam eine Suche beginnen?“

Er lächelt wieder dieses gütige Großvaterlächeln. „Uns verbindet die Wissenschaft. Und das, was uns die Sterne sagen.“

„Und was sagen Ihnen die Sterne?“

Jetzt ist es Balthasar, der antwortet: „Die Sterne haben uns gesagt, dass etwas Großes bevorsteht, etwas Wichtiges. Das etwas Neues beginnt. Etwas, das allen Menschen zugutekommen soll. Die Sterne künden von einer neuen Zeit. Und der neue Stern, der große, dem wir gefolgt sind, er ist ein Zeichen für dieses Neue. So wie dieser Stern neu geboren wurde am Himmel und einen Schweif hat, der sich zur Erde senkt, so wird hier auf der Erde ein Menschenkind geboren werden, dessen Wurzeln im Himmel sind, und ein neues Zeitalter einleiten. Wir sind gekommen, dieses Kind zu finden und ihm zu huldigen.“ Seine Stimme ist immer lauter und immer fröhlicher geworden, während er redet, sein Gesicht öffnet sich, und plötzlich sieht er richtig sympathisch aus, überhaupt nicht mehr unheimlich. Er lächelt sogar, und ich lächele zurück.

„Das Problem ist nur“, fährt jetzt Melchior fort, „dass die Menschen vermutlich noch nicht reif genug sind für ein neues Zeitalter. Schönheit, Güte und Liebe – du meine Güte, darauf haben schon Generationen vor uns gehofft. Und immer vergeblich.“ Er hebt seine dürre Rechte. Auf dem Handrücken treten die Adern dick unter den dunklen Altersflecken hervor. „Natürlich hoffen wir weiter. Und natürlich haben die Sterne recht, und es wird dieses Kind geben. Nur, ob die Menschen es zulassen werden, dass es uns wirklich eine andere Zeit bringen kann ...“ Seine Stimme verebbt, und ich sehe, dass ihm eine einzelne Träne die Wange hinabrinnt.

Keiner der drei sagt mehr etwas, und ich habe nicht den Mut, weiter zu fragen. Behutsam stecke ich Stift und Block in den Beutel zurück, stehe leise auf und verabschiede mich mit einer Verbeugung.

Der junge Caspar geleitet mich zur Tür hinaus. 

Draußen schaut er in den Nachthimmel. Der große Schweifstern ist nicht zu übersehen. „Wir werden ihn finden“, sagt er. Dann sieht er mich an. „Du könntest mit uns kommen, weißt du?“

Und er lächelt.