Ein feuriger Verehrer - J.D. Robb - E-Book
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Ein feuriger Verehrer E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

Es gibt nicht viel, wovor sich Lieutenant Eve Dallas von der New Yorker Mordkommission wirklich fürchtet. Jetzt aber verfolgt sie ein unbekannter Verehrer mit Briefen – und mit einer Serie entsetzlicher Morde und Bombenanschlägen. Das Spinnennetz des Killers zieht sich immer enger um Eve zusammen und bedroht schließlich das, was Eve am wichtigsten im Leben ist: ihre Stadt, ihre Familie, ihre Karriere. Eve schlägt nach allen Regeln der Kunst zurück und findet bei ihren Ermittlungen immer mehr Hinweise auf die Identität des Psychopathen. Aber ausgerechnet Eves heißeste Spur führt bis vor ihre eigene Haustür, zu dem geheimnisvollen Industriellen Roarke – ihrem eigenen Mann …

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Seitenzahl: 612

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J. D. Robb

Ein feuriger Verehrer

Roman

Aus dem Amerikanischen von Uta Hege

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Loyalty in Death« bei Berkley Books, a division of Penguin Putnam Inc., New York.
bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München Copyright © der Originalausgabe 1999 by Nora Roberts Published by arrangement with Eleanor Wilder Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2005 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, Garbsen. Umschlaggestaltung: www.buerosued.de Umschlagabbildung: Getty Images/OGphoto Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck Redaktion: Petra Zimmermann Lektorat: Maria Dürig ISBN 978-3-641-04044-4V004
www.blanvalet-verlag.de

Buch

 

Erfolg kann auch ein Fluch sein. Das zumindest erkennt Lieutenant Eve Dallas von der Mordkommission in New York. Denn die öffentliche Anerkennung ihrer Fahndungserfolge hat unangenehme Folgen für die Polizistin: Ein unbekannter »Verehrer« verfolgt sie, lockt sie mit Briefen – und mordet wahllos in ihrem Namen. Ganz New York zittert inzwischen vor der zerstörerischen Spur des Bombenlegers. Doch während die New Yorker Polizei noch glaubt, dass es sich um eine Verbrecherorganisation namens »Cassandra« handelt, ahnt Eve, dass hinter den perfekt geplanten Verbrechen, ein einziger Drahtzieher stehen muss. Ein Mann, der nicht nur eine Rechnung offen hat, sondern auch eine Menge einflussreicher und skrupelloser Freunde besitzen muss. Mit Zähigkeit, Härte und ihrem Instinkt als ihre beste Waffe verfolgt Eve jede noch so kleine Spur und entdeckt entsetzt, dass ausgerechnet ihr Mann Roarke in das Ziel der Fahndung gerät. Denn Roarke scheint ein doppeltes Spiel zu spielen …

 

Autorin

 

J. D. Robb ist das Pseudonym der internationalen Bestsellerautorin Nora Roberts. Ihre überaus spannenden Kriminalromane mit der Heldin Eve Dallas wurden von den amerikanischen Lesern bereits mit größter Begeisterung aufgenommen und haben seit der Veröffentlichung von »Rendezvous mit einem Mörder« auch in Deutschland immer mehr Fans gewonnen. Vor rund 20 Jahren begann Nora Roberts zu schreiben und hoffte inständig, überhaupt veröffentlicht zu werden. Heute ist sie eine der meist verkauften Autorinnen der Welt und wird in mehr als 25 Sprachen übersetzt. Weitere Romane von J. D. Robb sind bei Blanvalet bereits in Vorbereitung.

As flies to wanton boys, are we to the gods; They kill us for their sport.Nichts anderes als Fliegen für ungebärd’ge Knaben sind wir für die Götter; Sie bringen uns zum Vergnügen um.

                                                             Shakespeare

Politics, as the word is commonly understood, are nothing but corruptions.Nach allgemeinem Verständnis ist die Politik

Prolog

Kamerad, Wir sind Cassandra.Es hat begonnen.

Alles, wofür wir gearbeitet haben, alles, wofür wir geopfert haben, nimmt von nun an seinen Lauf. Endlich bricht nach allzu langer Finsternis die Morgendämmerung an. Endlich werden die vor über dreißig Jahren formulierten Ziele erreicht. Endlich werden die Versprechen eingelöst. Endlich wird das vergossene Blut der Märtyrer gerächt.

Wir wissen, du bist besorgt. Wir wissen, du bist vorsichtig. Das macht dich zu einem weisen General. Sei versichert, dass wir deinen Rat und deine Warnungen beherzigt haben. Wir brechen die Waffenruhe in diesem gerechten, erbitterten Krieg nicht durch eine Schlacht, die wir verlieren wollen. Wir sind gut gerüstet, unsere Sache ist solide finanziert, und alle Schritte und Optionen wurden genauestens bedacht.

Wir schicken dir diese Nachricht, werter Freund und Kamerad, da wir uns frohen Herzens darauf vorbereiten, unsere Mission weiter voranzutreiben. Es wurde bereits erstes Blut vergossen, worüber wir frohlocken. Das Schicksal hat uns eine Gegnerin geschickt, die du alswürdig erachten wirst. Damit du dir ein Bild von dieser Feindin machen kannst, fügen wir diesem Schreiben ein Dossier über Lieutenant Eve Dallas von der so genannten New Yorker Polizei- und Sicherheitsbehörde bei.

Durch ihre Vernichtung wird unser Sieg noch süßer. Schließlich ist sie ein weiteres Symbol des korrupten und tyrannischen Systems, das wir zerstören werden.

Dein weiser Rat hat uns an diesen Ort gelenkt. Wir haben unter diesen jämmerlichen Schachfiguren einer schwachen Gesellschaft gelebt und unseren Hass auf ihre Stadt und ihr System der Unterdrückung und der Fäulnis hinter lächelnden Masken versteckt. In ihren blinden Augen sind wir eine von ihnen. Wenn wir inmitten dieser unsittlichen Gestalten durch diese verdreckten Straßen laufen, schenkt niemand uns Beachtung. Wir sind unsichtbar, ein Schatten unter Schatten, wie es sich dir und dem, den wir beide liebten, zufolge für gerissene Soldaten der gerechten Sache gehört.

Und wenn wir, eines nach dem anderen, die Symbole dieser übersättigten Gesellschaft zerstört und dadurch unsere Macht und unseren gerechten Plan für das neue Reich deutlich gemacht haben werden, werden sie erzittern. Sie werden uns erkennen und werden sich an ihn erinnern. Das erste Symbol unseres glorreichen Sieges wird ein Denkmal für ihn sein.

Wir sind loyal, und unser Gedächtnis reicht sehr weit zurück.

Morgen wirst du das erste Kampfgeschrei vernehmen.

Sprich von uns zu all den Patrioten, zu allen, die loyal sind.

Wir sind Cassandra.

1

In dieser besonderen Nacht starb unbemerkt ein Bettler unter einer Bank im Greenpeace Park. Einem Geschichtsprofessor wurde wegen der Kreditchips im Wert von zwölf Dollar, die er in der Tasche hatte, einen Meter vor seiner Haustür die Kehle durchgeschnitten. Eine Frau stieß einen letzten erstickten Schrei aus, ehe sie unter den trommelnden Fäusten ihres Liebhabers endgültig in sich zusammensank.

Und, als wäre das nicht genug, streckte der Tod seinen knochigen Finger noch einmal aus und stach ihn heiter einem gewissen J. Clarence Branson, dem fünfzigjährigen Mitinhaber der Branson-Werkzeug-und-Spielwaren-GmbH, mitten zwischen die Augen.

Er war ein wohlhabender Mann gewesen, ledig und erfolgreich, der als Miteigentümer eines großen interplanetarisch tätigen Unternehmens mit gutem Grund vergnügt durchs Leben gegangen war. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder hatte er bereits in der dritten Generation die Welt und ihre Satelliten mit Branson'schem Handwerkszeug und elektronischen Spielsachen versorgt und dank der erzielten Gewinne im großen Stil gelebt.

Und so war er auch gestorben.

J. Clarences Geliebte hatte ihn mit einer seiner eigenen tragbaren Kombi-Schraub- und Bohrmaschinen an die Wand gedübelt, die Tat der Polizei gemeldet und hatte, ein Glas teuren Rotwein in den Händen, bewegungslos im Sessel sitzend abgewartet, bis die Besatzung eines Streifenwagens am Ort des Geschehens eingetroffen war.

Auch während Lieutenant Eve Dallas die Leiche untersuchte, saß sie gelassen in dem hochlehnigen Sessel vor einem künstlichen Kaminfeuer und nippte an ihrem Getränk.

»Er ist mausetot«, informierte sie Eve kühl. Ihr Name war Lisbeth Cooke, und sie war in der PR-Abteilung des Unternehmens ihres verstorbenen Geliebten angestellt. Sie war vierzig Jahre alt, elegant und attraktiv und eindeutig gut in ihrem Job. »Der Branson 8000 ist ein hervorragendes Produkt – das kombinierte Gerät wurde so entworfen, dass es sowohl den Ansprüchen des Profis als auch denen des Hobbyhandwerkers genügt. Es bohrt und versenkt die Schrauben gleichzeitig, ist sehr leistungsstark und äußerst akkurat.«

»Aha.« Eve spähte in das Gesicht des Opfers. Es wirkte gepflegt und attraktiv, wenn auch ein verletzter, traurig überraschter Ausdruck darin eingemeißelt war. Blut tränkte die Brust seines blauen Samthausmantels und bildete eine rot schimmernde Pfütze auf dem Boden. »Auf alle Fälle hat die Maschine ihre Stärke eindeutig bewiesen. Klären Sie Ms Cooke über ihre Rechte auf, Peabody.«

Während ihre Assistentin ihrer Anordnung Folge leistete, sprach Eve den Todeszeitpunkt und die Todesursache auf Band. Trotz des freiwilligen Geständnisses der Täterin wurde die Waffe routinemäßig als Beweisstück einbehalten, die Leiche untersucht und der Tatort vorschriftsmäßig gesichert.

Eve bedeutete den Leuten von der Spurensicherung, dass sie sich an die Arbeit machen könnten, überquerte den dunkelroten Teppich und nahm Lisbeth gegenüber vor dem anheimelnden Feuer Platz. Statt sofort etwas zu fragen, wartete sie auf die Reaktion der modisch gekleideten brünetten Frau, deren gelber Seidenoverall mit beinahe fröhlich leuchtend roten Blutflecken besprenkelt war.

Außer eines höflich fragenden Blickes jedoch sagte sie keinen Ton.

»Tja Wollen Sie mir vielleicht erzählen, wie es dazu kam?«

»Er hat mich betrogen«, erklärte Lisbeth tonlos. »Und dafür habe ich ihn getötet.«

Eve blickte in die grauen Augen ihres Gegenübers und nahm darin Verärgerung, nicht aber Schock oder Gewissensbisse wahr. »Haben Sie gestritten?«

»Wir haben noch kurz miteinander geredet.« Lisbeth hob ihr Weinglas an ihren dunkelrot geschminkten Mund. »Das heißt, vor allem habe ich geredet. J.C. war ein schwacher Mensch.« Sie zuckte mit den Schultern, und die Seide ihres Anzugs raschelte dabei leise. »Das habe ich nicht nur akzeptiert, sondern fand es in gewisser Weise sogar rührend. Aber wir hatten eine Übereinkunft. Ich habe ihm drei Jahre meines Lebens geschenkt.«

Jetzt beugte sie sich mit zornblitzenden Augen vor. »Drei Jahre, in denen ich andere Interessen, andere Arrangements, andere Beziehungen hätte verfolgen können. Aber ich war treu. Er hingegen nicht.«

Sie atmete tief ein, lehnte sich wieder zurück und hätte fast gelächelt. »Und jetzt ist er tot.«

»Ja, so viel ist klar.« Eve hörte grauenhafte Saug-und Klatschgeräusche, mit denen ihre Leute den langen Stahlbohrer von Fleisch und Knochen lösten. »Ms Cooke, haben Sie den Bohrer in der Absicht mitgebracht, ihn als Waffe zu verwenden?«

»Nein, er gehörte J.C. Er hat sich ab und zu als Heimwerker versucht. Anscheinend auch heute«, überlegte sie mit einem beiläufigen Blick in Richtung des Leichnams, der von den Leuten der Spurensicherung wie in einem abstrusen Ballett von der Wand genommen wurde. »Ich sah ihn auf dem Tisch liegen und dachte, tja, das ist geradezu perfekt. Also habe ich ihn in die Hand genommen, eingeschaltet und benutzt.«

Leichter konnte die Frau es ihr nicht mehr machen, dachte Eve und stand wieder auf. »Ms Cooke, meine Beamten werden Sie mit auf die Wache nehmen. Dort reden wir dann weiter.«

Gehorsam trank Lisbeth den Rest ihres Weins, stellte das Glas zur Seite und erklärte: »Ich hole nur schnell meinen Mantel.«

Peabody schüttelte den Kopf, als Lisbeth einen knöchellangen schwarzen Nerzmantel über den blutbespritzten Seidenanzug warf und so nonchalant, als ginge sie nicht ins Gefängnis, sondern auf einen eleganten Ball, zwischen zwei Beamten das Apartment verließ.

»Mann, was es alles gibt. Erst nagelt sie den Typen an die Wand, und danach serviert sie uns den Fall auf dem Silbertablett, indem sie uns von sich aus alles genau erzählt.«

Eve schlüpfte in ihre Lederjacke, steckte ihren Untersuchungsbeutel in die Tasche und befreite ihre Hände mit einem Lösungsmittel von dem Blut und der Versiegelungsflüssigkeit. Die Spurensicherung würde erst noch ihre Arbeit beenden und den Tatort sichern, wenn sie das Haus verließ. »Trotzdem kriegen wir sie nie im Leben wegen Mordes dran. Natürlich war es Mord. Aber ich gehe jede Wette ein, dass sie innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden auf Totschlag oder etwas noch Banaleres plädieren wird.«

»Totschlag?«, fragte Peabody entgeistert, als sie hinter ihrer Vorgesetzten den gefliesten Fahrstuhl betrat. »Also bitte, Dallas. Damit kommt sie nie im Leben durch.«

»Und ob.« Eve blickte in Peabodys dunkle, ernste Augen, studierte ihr von dem adretten Rundschnitt und der Uniformmütze gerahmtes kantiges Gesicht, und es tat ihr beinahe Leid, dass sie ihrer Untergebenen den unverrückbaren Glauben an die Unfehlbarkeit des Rechtssystems zu nehmen gezwungen war. »Wenn bewiesen werden kann, dass der Bohrer tatsächlich dem Opfer selbst gehört hat, hat sie keine Waffe mitgebracht. Weshalb also nicht von einem Tötungsvorsatz ausgegangen werden kann. Jetzt wird sie noch von Stolz und Wut beherrscht, aber spätestens, wenn sie ein paar Stunden in einer Zelle gesessen hat, wird sich ihr Überlebensinstinkt melden, und sie wird nach einem Anwalt rufen, der, da sie clever ist, ebenfalls clever sein wird.«

»Ja, aber sie hatte eindeutig die Absicht, ihn zu töten. Das haben wir auf Band.«

Weshalb es dem Gesetzestext zufolge zweifelsohne Mord gewesen war. Doch so sehr Eve an die Gesetze glaubte, wusste sie, dass ihre Auslegung oft großen Freiraum bot. »Das braucht sie auch nicht zurückzunehmen. Es genügt bereits, wenn sie die Sache ein wenig ausschmückt. Wenn sie zum Beispiel behauptet, sie hätten gestritten, und sie wäre am Boden zerstört gewesen oder schlichtweg erregt. Möglicherweise erklärt sie ja sogar, er hätte sie bedroht und in einem Moment der Leidenschaft – oder der Angst – hätte sie sich den Bohrer vom Tisch geschnappt.«

Eve trat aus dem Fahrstuhl und durchquerte das mit rosafarbenen Marmorsäulen und seidig schimmernden, künstlichen Bäumen kostbar geschmückte, großzügige Foyer. »Vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit«, fuhr sie fort. »Vielleicht sogar Notwehr, obwohl das totaler Schwachsinn ist. Aber Branson war circa einen Meter fünfundachtzig groß und hat locker neunzig Kilo gewogen, während sie selbst knapp einen Meter sechzig misst und kaum mehr als fünfzig Kilo wiegt. Es könnte also funktionieren. Dann ruft sie unter Schock sofort die Polizei. Sie versucht weder davonzulaufen noch die Tat zu leugnen. Sie nimmt die Verantwortung auf sich, was ihr bei den Geschworenen sicher ein paar Punkte einbringt. Das weiß der Staatsanwalt ebenso, weshalb er von vornherein auf Totschlag statt auf Mord plädieren wird.«

»Wie ätzend.«

»Sie wird dafür hinter Gitter kommen«, meinte Eve, als sie hinaus in die Kälte traten, die genauso bitter war wie die betrogene Geliebte, die von ihnen festgenommen worden war. »Sie wird ihren Job verlieren und jede Menge für ihren Anwalt zahlen müssen. Man muss eben nehmen, was man kriegen kann.«

Peabody blickte zu dem vor der Tür stehenden Leichenwagen. »Dabei ist der Fall hier sonnenklar.«

»Es ist oft so, dass gerade die vorgeblich simplen Fälle am kniffeligsten sind.« Mit einem schmalen Lächeln öffnete Eve die Tür ihres Wagens. »Wir werden den Fall abschließen, und sie wird für ihre Tat bezahlen. Manchmal ist das alles, was man erreichen kann.«

»Sie hat ihn nicht mal geliebt.« Als Eve sie fragend ansah, zuckte ihre Assistentin mit den Schultern. »Das war nicht zu übersehen. Sie war einfach sauer, weil er sie betrogen hat.«

»Ja, und deshalb hat sie ihn im wahrsten Sinn des Wortes mit ihrem Hass durchbohrt. Also vergessen Sie am besten nie, wie wichtig Loyalität unter den Menschen ist.« Während sie den Motor ihres Wagens anließ, piepste ihr Autotelefon. »Dallas.«

»Hey, Dallas, hey. Ich bin's, Ratso.«

Eve schaute in das Frettchengesicht mit den blauen Knopfaugen, das auf dem Monitor erschien. »Darauf wäre ich nie gekommen.«

Er reagierte mit dem pfeifenden Geräusch, das bei ihm ein Lachen war. »Ja, sicher. Ja. Hören Sie, Dallas, ich habe was für Sie. Wie wäre es, wenn wir uns treffen würden? Ja? Okay?«

»Ich bin auf dem Weg zur Wache. Ich habe noch zu tun, und außerdem ist meine Schicht in zehn Minuten vorbei, also -«

»Wie gesagt, ich habe was für Sie. Wirklich gute Infos. Die sind eine Menge wert.«

»Ja, das behauptest du regelmäßig. Also, vergeude nicht meine Zeit und sag, worum es geht.«

»Eine wirklich heiße Sache.« Seine blauen Augen rollten wie zwei kleine Murmeln in den Höhlen hin und her. »Ich kann in zehn Minuten im Brew sein.«

»Fünf, Ratso. Und üb am besten unterwegs, in halbwegs zusammenhängenden Sätzen zu reden, wenn du mit mir sprichst.«

Damit brach sie die Übertragung ab, lenkte ihren Wagen auf die Straße und fuhr in Richtung Stadt.

»Ich habe etwas über ihn in Ihren Akten gelesen«, kommentierte ihre Assistentin. »Er ist einer Ihrer Spitzel.«

»Ja, und er hat gerade neunzig Tage im zwangsweisen Entzug verbracht. Die Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses beziehungsweise Exhibitionismus lag bei mir auf dem Tisch. Ratso stellt sich gern zur Schau, wenn er betrunken ist. Aber er ist harmlos«, fügte sie hinzu. »Das meiste, was ich von ihm kriege, ist nichts als heiße Luft. Doch hin und wieder hat er solide Informationen. Das Brew liegt direkt auf unserem Weg, und Cooke kann ruhig ein bisschen warten. Prüfen Sie die Seriennummer der Mordwaffe und gucken Sie, ob sie wirklich Eigentum des Opfers war. Dann finden Sie seine nächsten Angehörigen. Ich werde sie informieren, sobald Cooke in der U-Haft angekommen ist.«

Es war ein klarer, kalter Abend, und aufgrund des Windes, der durch die Straßenschluchten peitschte, waren kaum Fußgänger unterwegs. Nur die Schwebekarrenbetreiber harrten in der Hoffnung, dass eventuell ein paar hungrige Wesen auf der Suche nach Verpflegung der Februarkälte trotzten, zitternd im Gestank und Qualm der gegrillten Sojawürstchen aus.

Der Winter des Jahres 2059 war ungewöhnlich hart gewesen, und die Straßenhändler hatten in den letzten Wochen kaum etwas verdient.

Eve und Peabody verließen die schicke Upper East Side mit ihren sauberen, nicht aufgebrochenen Bürgersteigen und uniformierten Türstehern und fuhren nach Südwesten, wo die Straßen schmaler wurden, wo von allen Seiten Lärm auf einen niederprasselte und wo die Menschen schnellen Schrittes, die Augen vor sich auf dem Boden und die Fäuste um die Brieftaschen geballt, an einem vorüberhasteten.

Entlang der Bordsteine türmten sich die grauen, matschigen Reste des zuletzt gefallenen Schnees, und widerlich gefrorene Flecken auf dem Boden brachten einen, wenn man sich nicht vorsah, unweigerlich zu Fall. Über ihren Köpfen wogten auf einer Werbetafel warme, blaue Wellen gegen einen zuckerweißen Strand. Die üppige, spärlich bekleidete Blondine, die durch das Wasser hüpfte, lud die New Yorker zu ausgelassenen Spielen auf die Inseln ein.

Eve träumte während der Fahrt von ein paar Tagen auf Roarkes privatem Inselparadies. Sonne, Sand und Sex, dachte sie und lenkte ihren Wagen sauer durch den abendlichen Verkehr. Ihr Gatte würde ihr mit Vergnügen sofort alle diese Dinge bieten. Doch sie hatte unaufschiebbare Pflichten, aber lange würde es nicht mehr dauern, und sie schlüge ihm von selber einen solchen Kurz-Urlaub vor. Na ja, womöglich in ein, zwei Wochen. Wenn sie die Papiere, die sich auf ihrem Schreibtisch türmten, durchgegangen, ein paar Mal als Zeugin vor Gericht ausgesagt hätte, und der Lösung einiger noch offener Fälle etwas näher gerückt wäre, überlegte sie.

Und, gestand sie sich, wenn auch widerstrebend, ein, wenn sie kein solches Problem mehr damit hätte, von ihrer Arbeitsstelle fort zu sein.

Ihre Suspendierung und der fast erlittene Verlust ihrer Identität lagen noch nicht lange genug zurück, um sie nicht mehr zu schmerzen. Und da sie beides erst vor kurzem zurückerhalten hatte, war sie noch nicht bereit, die Arbeit Arbeit sein zu lassen für ein kleines bisschen Spaß.

Bis sie einen Parkplatz nahe beim Brew gefunden hatte, hatte Peabody die erwünschten Informationen über ihr Handy abgefragt. »Der Seriennummer zufolge hat die Mordwaffe tatsächlich dem Opfer gehört.«

»Dann stellen wir uns am besten gleich auf Totschlag ein«, meinte Eve, während sie die Straße hinuntertrotteten. »Der Staatsanwalt wird keine Zeit damit vergeuden zu versuchen, einen Vorsatz zu beweisen.«

»Aber Sie denken, dass sie mit der Absicht, ihn zu töten, hingefahren ist.«

»Natürlich.« Eve ging in Richtung eines Schildes, auf dem ein Bierkrug prangte, an dessen Seiten schmutziggrauer Schaum herunterlief.

Das Brew war auf billige Getränke und ranzige Nüsse spezialisiert. Seine Kundschaft bestand aus glücklosen kleinen Betrügern, kleinen Angestellten, aus auf diese Wesen spezialisierten billigen Prostituierten und kleinen Gaunern, für die es hier nichts zu ergaunern gab.

Die Luft im Inneren der Kneipe war verbraucht und stickig, die Gespräche, die die Gäste flüsternd miteinander führten, waren eindeutig nicht für die Ohren von Polizistinnen gedacht. Als Eve den Raum betrat, wandten ihr die Leute im Dämmerlicht der Kneipe kurz die Gesichter zu und eilig wieder ab.

Selbst wenn sie ohne die uniformierte Peabody erschienen wäre, hätte man ihr die Polizistin aufgrund ihrer straffen Körperhaltung und des ruhigen, zielgelenkten Blickes ihrer klaren braunen Augen sofort angesehen.

Höchstens die nicht Eingeweihten hätten in ihr lediglich eine Frau mit kurzem, leicht zerzaustem braunem Haar, einem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht und einem kleinen Grübchen mitten im Kinn gesehen. Die meisten dieser Gäste waren jedoch »Eingeweihte«.

Ratso hatte sein spitzes Gesicht fast ganz in einen großen Bierkrug getaucht, und als sie auf ihn zusteuerte, wurden Stühle zur Seite gerückt und mehr als ein paar Köpfe wie zur Verteidigung schützend zwischen die Schultern gesteckt.

Hier hat jeder irgendetwas auf dem Kerbholz, dachte sie, bleckte die Zähne und erklärte ihrem Informanten mit einem dünnen Lächeln: »Diese Beize wird sich genau wie du niemals ändern.«

Ratso quittierte diesen Satz mit seinem pfeifenden Gelächter, bedachte jedoch gleichzeitig Peabodys tadellose Uniform mit einem nervösen Blick. »Sie hätten keine Verstärkung mitzubringen brauchen. Himmel, Dallas, ich dachte, wir beide wären Freunde.«

»Meine Freunde baden regelmäßig.« Sie bedeutete Peabody mit einem Nicken, sich zu setzen, und nahm selbst entschieden Platz. »Sie gehört zu mir.«

»Ja, ich habe gehört, dass Sie einen Welpen zur Ausbildung bekommen haben.« Als er grinste, entblößte er zwei Reihen ungepflegter Zähne, und Peabody musterte ihn kühl. »Sie ist okay, ja sicher, wenn sie zu Ihnen gehört, ist sie bestimmt okay. Und ich gehöre auch zu Ihnen, richtig, Dallas? Richtig?«

»Was habe ich doch für ein Glück.« Eve hielt die Bedienung, die sich gerade auf sie zubewegen wollte, mit einem unmerklichen Kopfschütteln vom Näherkommen ab. »Also, was hast du für mich, Ratso?«

»Wirklich gute Infos, und ich kann noch mehr bekommen.« Er verzog sein hässliches Gesicht zu einem Grinsen, von dem er bestimmt dachte, dass es gewitzt aussah. »Allerdings bräuchte ich dafür ein bisschen Geld.«

»Ich zahle nie im Voraus, denn schließlich könnte es mir dann passieren, dass du dich erst in ein paar Monaten wieder bei mir blicken lässt.«

Erneut lachte er pfeifend, trank einen Schluck von seinem Bier und betrachtete sie hoffnungsvoll. »Ich würde Sie niemals über den Tisch ziehen, Dallas.«

»Wenn das so ist, fang endlich an zu reden.«

»Okay, okay.« Er beugte seinen mageren Körper über den Rest seines Biers. Die kreisrunde, kahle, glatte Stelle mitten auf seinem Hinterkopf war eindeutig attraktiver als das ihm ins Gesicht hängende, ungewaschene teigfarbene Haar. »Sie kennen doch den Tüftler, richtig? Richtig?«

»Natürlich.« Nicht um sich zu entspannen, sondern um den widerlichen Atemstößen ihres Gegenübers zu entfliehen, lehnte sie sich leicht zurück. »Gibt es den etwa immer noch? Er muss doch mindestens hundertfünfzig sein.«

»Nee, nee, so alt ist er nicht gewesen. Vielleicht Mitte neunzig, aber mopsfidel. Wahnsinn, wie fidel der Tüftler noch gewesen ist.« Ratso nickte so begeistert, dass seine fetttriefenden Strähnen wippten. »Hat immer auf sich Acht gegeben. Hat gesund gegessen, hatte regelmäßig Sex mit einem Mädchen von der Avenue B. Wissen Sie, er meinte, Sex hielte Geist und Körper in Schwung.«

»Wem sagen Sie das«, murmelte Peabody und handelte sich dadurch einen warnenden Blick ihrer Vorgesetzten ein.

»Du sprichst in der Vergangenheit.«

Ratso blinzelte verwirrt. »He?«

»Ist ihm etwas passiert?«

»Ja, aber warten Sie. Alles schön der Reihe nach.« Er tauchte seine dünnen Finger in die flache Schale mit den vergrämt aussehenden Nüssen und kaute mit den Resten seiner Zähne nachdenklich darauf herum. »Ungefähr vor einem Monat habe ich bin ich mit einem Fernseher bei ihm gewesen, an dem er was für mich machen sollte.«

Eve fixierte ihn mit hochgezogenen Brauen und fragte mit milder Stimme: »Um die heiße Ware etwas abzukühlen, oder was?«

Wieder fing er pfeifend an zu lachen und nahm einen Schluck Bier. »Sehen Sie, das Ding war irgendwo runtergefallen, also bin ich damit zum Tüftler, um zu hören, ob er was damit anstellen kann. Ich meine, der Kerl war ein Genie, oder etwa nicht? Es gibt nichts, was er nicht wieder so zum Laufen bringen konnte, als wäre es brandneu.«

»Und außerdem hat er besonderes Geschick, wenn es um das Ändern von Seriennummern geht.«

»Tja, nun.« Ratsos Lächeln war beinahe süß. »Wir kamen ins Gespräch, und der Tüftler weiß, dass ich immer froh bin über irgendwelche Jobs. Also hat er mir erzählt, er hätte gerade einen tollen Auftrag. Eine wirklich große Sache. Meinte, er sollte Zeitzünder und Fernbedienungen und kleine Wanzen und lauter solche Sachen bauen. Sogar ein paar Knaller.«

»Er hat gesagt, er sollte irgendwelche Bomben basteln?«

»Tja, wir beide waren ziemlich gute Kumpel, also hat er mir davon erzählt. Meinte, sie hätten gehört, dass er solche Sachen gemacht hat, als er bei der Armee war. Und sie hätten wirklich gut bezahlt.«

»Wer hat ihn bezahlt?«

»Keine Ahnung. Ich glaube, das hat er selber nicht gewusst. Er meinte, dass zwei Kerle mit einer Liste und mit einem Haufen Kohle zu ihm in die Werkstatt gekommen sind. Wenn er mit der Arbeit fertig wäre, sollte er eine Nummer anrufen, die sie ihm gegeben hatten, und eine Nachricht hinterlassen. Sollte einfach sagen, die Lieferung sei fertig, und dann kämen die beiden Typen wieder, um die Sachen abzuholen und ihm den Rest des Geldes zu bezahlen.«

»Was haben diese Typen seiner Meinung nach mit diesem Zeug gewollt?«

Ratso zuckte mit seinen knochigen Schultern und lugte traurig in seinen leeren Krug. Eve, die die Routine kannte, bedeutete der Kellnerin mit einem Fingerzeig, sie möge ihm noch etwas bringen, und blitzartig hellte sich die Miene ihres Spitzels wieder auf.

»Danke, Dallas. Danke. Wissen Sie, vom Reden kriegt man einen ziemlich trockenen Mund.«

»Dann komm zur Sache, Ratso, während du noch etwas Spucke übrig hast.«

Strahlend sah er die Bedienung an, als diese ihm einen neuen Krug brachte, der mit einer urinfarbenen Flüssigkeit gefüllt war. »Okay, okay. Er meinte, vielleicht hätten diese Typen es auf eine Bank, ein Juweliergeschäft oder sonst was in der Richtung abgesehen. Er hat einen elektronischen Türschlossknacker für sie entwickelt und ging davon aus, dass die Zeitzünder und Fernbedienungen, die sie von ihm haben wollten, für das Auslösen der Bomben gedacht waren. Er dachte, vielleicht bräuchten sie einen kleinen, drahtigen Typen, der sich in der Gegend auskennt, und hat gesagt, dass er ein gutes Wort bei diesen Kerlen für mich einlegen will.«

»Es ist doch immer wieder schön, wenn man gute Freunde hat.«

»Ja, genau. Dann hat er mich ein paar Wochen später angerufen. Aber wissen Sie was? Er war total nervös. Meinte, das Ganze wäre eindeutig ein schmutziges Geschäft. Ein wirklich schmutziges Geschäft. Ich habe kein Wort verstanden. So hatte ich den Tüftler nie zuvor erlebt. Er hatte richtig Angst. Hat was davon gefaselt, er hätte Schiss vor einem zweiten Arlington, er müsste eine Weile untertauchen und hat mich gefragt, ob er erst mal bei mir unterkommen kann, bis er weiß, wie es weitergehen soll. Ich habe gesagt, sicher, hey, sicher, komm einfach zu mir. Aber er ist nie in meiner Wohnung angekommen.«

»Eventuell ist er woanders abgetaucht.«

»Ja, das ist er tatsächlich. Sie haben ihn vor ein paar Tagen aus dem Fluss gefischt. Auf der Seite von New Jersey.«

»Tut mir Leid.«

»Ja.« Ratso starrte grüblerisch in seinen Krug. »Wissen Sie, er war echt okay. Nach allem, was ich gehört habe, haben sie ihm die Zunge rausgeschnitten.« Er schaute Eve aus seinen Schweinsäuglein unglücklich an. »Wer macht so einen Scheiß?«

»Böse Menschen, Ratso. Es war also anscheinend wirklich eine ziemlich schmutzige Sache, in die er da verwickelt war. Aber das ist nicht mein Fall«, fügte sie hinzu. »Ich kann einen Blick in die Akten werfen, aber sonst nichts weiter tun.«

»Sie haben ihn aus dem Verkehr gezogen, weil er wusste, was sie im Schilde führten, richtig? Richtig?«

»Ich würde sagen, ja.«

»Also müssen Sie herausfinden, was diese Kerle vorhaben, richtig? Sie finden es heraus, Dallas. Und dann hindern Sie sie an der Ausführung von ihrem Plan und stecken sie für das, was sie Tüftler angetan haben, in den Kahn. Sie sind bei der Mordkommission, Dallas. Und es ist eindeutig, dass er ermordet worden ist.«

»So einfach ist das nicht. Es ist nicht mein Fall«, wiederholte sie. »Wenn sie ihn in New Jersey aus dem Fluss gezogen haben, ist es nicht mal meine Stadt. Und die Kollegen, die an der Sache dran sind, wären bestimmt nicht glücklich, wenn ich mich in ihre Ermittlungen einmischen würde.«

»Wie viel Mühe, glauben Sie, geben sich die meisten Bullen mit einem Typen wie dem Tüftler?«

Fast hätte sie geseufzt. »Es gibt jede Menge Polizisten, die sich sehr viel Mühe geben würden. Es gibt jede Menge Polizisten, die sich den Arsch aufreißen würden, um seine Mörder zu finden.«

»Sie würden sich noch größere Mühe geben«, erklärte Ratso schlicht und schenkte ihr einen kindlichvertrauensvollen Blick. »Und ich kann Ihnen helfen. Wenn der Tüftler mir davon erzählt hat, hat er vielleicht auch mit jemand anderem gesprochen. Wissen Sie, ihm hat nichts und niemand so leicht Angst gemacht. Immerhin hatte er bei den Innerstädtischen Revolten mitgekämpft. Aber als er mich angerufen hat, hatte er einen Heidenschiss. Und sie hätten ihn garantiert nicht auf diese Art aus dem Verkehr gezogen, wenn es ihnen bloß um eine Bank gegangen wäre oder um irgendeinen Laden.«

»Möglich.« Doch sie wusste, es gab Typen, die einem Touristen den Leib aufschlitzen würden für ein paar teure Turnschuhe und eine Uhr. »Ich werde mir die Sache ansehen. Mehr kann ich nicht versprechen. Wenn du noch was hörst, was mit dem Fall zusammenhängt, gib mir umgehend Bescheid.«

»Ja, okay, na klar.« Er sah sie grinsend an. »Sie werden rausfinden, wer den Tüftler erledigt hat. Die anderen Bullen hatten keine Ahnung von dem Scheiß, in den er verwickelt war, richtig? Richtig? Also sind die Infos, die Sie von mir bekommen haben, ja wohl echt gut.«

»Ja, sie waren ziemlich gut.« Eve erhob sich, zog ein paar Kreditchips aus der Tasche und legte sie vor ihrem Informanten auf den Tisch.

»Soll ich mir die Akte schicken lassen?«, fragte Peabody, als sie beide wieder auf der Straße standen.

»Ja. Aber morgen ist noch früh genug.« Eve steckte die Hände in die Hosentaschen, und sie stapften durch die Kälte zurück zu ihrem Wagen. »Und prüfen Sie, was für Gebäude, Straßen, Bürger, Geschäfte oder Unternehmen es mit dem Namen Arlington gibt. Falls wir etwas finden, können wir es an den ermittelnden Beamten weitergeben.«

»Dieser Tüftler, war er ebenfalls ein Informant?«

»Nein.« Eve schob sich hinter das Steuer. »Er hat uns Bullen gehasst.« Sie runzelte die Stirn und trommelte mit ihren Fingern auf das Lenkrad. »Ratso hat ein Hirn von der Größe einer Sojabohne, aber die Sache mit dem Tüftler ist anscheinend wirklich ernst. Er war tatsächlich alles andere als ängstlich, und vor allem war er gierig. Seine Werkstatt war sieben Tage die Woche geöffnet, und er war dort fast immer allein. Gerüchten zufolgte hatte er seine alte Armee-Waffe und ein Jagdmesser unter dem Tresen liegen, und er hat oft damit angegeben, dass er einen Menschen so schnell und problemlos wie eine Forelle ausnehmen und filetieren kann.«

»Klingt, als wäre er ein rundum netter Mensch gewesen.«

»Er war ein zäher Brocken, ständig schlecht gelaunt und hätte einem Bullen eher ins Gesicht gepinkelt, als ihn auch nur anzusehen. Wenn er aus dieser Sache, in die er offenbar verwickelt war, aussteigen wollte, muss sie mehrere Nummern zu groß für ihn gewesen sein. Der Kerl ist nämlich vor so gut wie nichts jemals zurückgeschreckt.«

»Was ist das?« Peabody legte den Kopf ein wenig schräg und hielt sich eine Hand hinter das Ohr. »Oh, das muss das Sauggeräusch sein, das ich höre, wenn Sie in eine Sache reingezogen werden.«

»Halten Sie die Klappe, Peabody.« Eve lenkte den Wagen energischer als nötig auf die Straße und raste mit quietschenden Reifen los.

Sie kam zu spät zum Abendessen, was sie nicht weiter störte. Die Tatsache jedoch, dass Lisbeth Cooke den Staatsanwalt tatsächlich hatte glauben machen können, dass sie im Affekt gehandelt hatte, weckte ihren Zorn. Wenigstens, dachte Eve, als sie zu Hause ankam, hätte dieses arrogante Weibsbild wegen Totschlags hinter Gitter wandern können.

So aber hatte man Lisbeth nur wenige Stunden, nachdem Eve sie wegen der Tötung ihres Geliebten festgenommen hatte, gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt, sodass sie höchstwahrscheinlich mit dem nächsten Glas erlesenen Rotweins und einem selbstzufriedenen Lächeln gemütlich in ihrer eigenen Wohnung saß.

Summerset, Roarkes Butler, tauchte lautlos neben ihr auf und nahm sie mit einem missbilligenden Schnauben in Empfang. »Sie kommen mal wieder ziemlich spät.«

»Ach ja? Und Sie sind mal wieder ziemlich lästig.« Um ihn zu provozieren, hängte sie ihre Jacke statt an der Garderobe wie üblich über dem Treppenpfosten auf. »Was sich sicher niemals ändern wird. Während ich ja morgen möglicherweise pünktlich bin.«

Sie wirkte weder bleich noch müde, doch hätte er lieber Höllenqualen ausgestanden, als sich einzugestehen, dass er froh darüber war.

»Roarke ist im Fernsehzimmer«, erklärte er mit kalter Stimme, als sie an ihm vorbeimarschierte und die ersten Treppenstufen erklomm, und fügte mit leicht spöttischem Unterton hinzu: »Zweiter Stock, vierte Tür rechts.«

»Das weiß ich selber«, murmelte sie, obwohl das nicht ganz stimmte. Doch hätte sie das Zimmer bestimmt gefunden, obwohl das Haus ein regelrechtes Labyrinth war, in dem es unzählige Räume, regelrechte Schatzkammern und stets neue Überraschungen selbst für sie als Gattin des Eigentümers gab.

Der Mann hatte einfach alles, was sein Herz begehrte, überlegte sie. Und warum auch bitte nicht? Als Kind war er so arm wie eine Kirchenmaus gewesen und hatte sich all den Luxus, über den er jetzt verfügte, eigenhändig verdient.

Doch selbst ein Jahr nach ihrem Einzug hatte sie sich noch nicht wirklich an das riesengroße steinerne Gebäude inmitten dieses ausgedehnten, liebevoll gepflegten Anwesens gewöhnt. Der Reichtum, der es einem möglich machte, hinter einem Schreibtisch aus blank poliertem Tropenholz zu sitzen, durch riesengroße Fenster eine wunderbare Aussicht zu genießen, Kunstwerke aus aller Herren Länder und aus sämtlichen Epochen zu erstehen, oder sich im Alltag an wunderbaren Kleidungsstücken oder erlesenen Mahlzeiten zu erfreuen, war ihr fremd und bliebe es wahrscheinlich bis an ihr Lebensende.

Sie hatte Roarke nicht wegen seines Geldes zum Mann genommen, sondern ihm zum Trotz. Weil sie sowohl seinen dunklen als auch seinen hellen Seiten schlichtweg verfallen war.

Sie betrat den mit breiten, luxuriösen Sofas, gewaltigen Wandbildschirmen und einem komplexen Kontrollzentrum bestückten Raum. Außerdem gab es dort eine herrlich altmodische Bar aus weich schimmerndem Kirschholz, an der man auf lederbezogenen Messinghockern sitzen konnte. Ferner stand da ein mit kostbarem Schnitzwerk reich verzierter Schrank, hinter dessen Türen man zahllose Disketten mit den von ihrem Mann so heiß geliebten alten Fernsehfilmen fand.

Auf dem blank polierten Boden waren hübsch gemusterte, handgewebte Teppiche verteilt, und in dem Kamin aus schwarzem Marmor prasselte ein – natürlich echtes – anheimelndes Feuer und wärmte den fetten, schlafenden Kater, der zusammengerollt auf einem dicken Kissen lag. Mit dem Aroma des Holzes mischte sich der Duft der frischen Blumen, die in einer großen Kupfervase angeordnet waren, und der Wohlgeruch der hohen, schlanken Kerzen, in deren goldenem Licht man den Kaminsims schimmern sah.

Auf einem der Bildschirme fand gerade eine vornehme Schwarz-Weiß-Feier statt.

Doch nicht das ausgelassene Treiben, sondern der Mann, der bequem mit einem Glas Wein auf einem der komfortablen Sofas lag, zog sie in ihren Bann.

Egal, wie romantisch und sinnlich diese alten Filme mit ihren atmosphärischen Schatten und geheimnisvollen Klangfarben waren – sie wurden bei weitem von dem Menschen übertroffen, der sie betrachtete. Die Ausstrahlung, die von ihm ausging, war sogar dreidimensional.

Passend zum Ambiente des Films, den er verfolgte, war er ebenfalls schwarz-weiß gekleidet. Er trug ein am Hals aufgeknöpftes, weiches, weißes Hemd. Seine langen, muskulösen Beine steckten in einer schwarzen Hose, und seine Füße waren nackt. Auch wenn sie den Grund dafür nicht hätte nennen können, bot er einen Anblick, den sie als äußerst verführerisch empfand.

Wie üblich jedoch war es sein Gesicht, das sie am meisten anzog. Dieses männlich-attraktive Gesicht eines gefallenen Engels, mit den sündig leuchtend-blauen Augen, dem lächelnden Dichtermund und dem fast bis auf die Schultern fallenden, seidigen glatten, schwarzen Haar, das eine Verlockung für die Finger und die Fäuste sicher aller Frauen war.

Wie so häufig kam ihr auch in diesem Moment der Gedanke, dass sie ihm beim ersten Blick in sein Gesicht bereits verfallen war. Damals, auf dem Computerbildschirm in ihrem Büro, während der Ermittlungen in einem Mordfall. Als er einer der Verdächtigen gewesen war.

Vor einem Jahr. Erst vor einem Jahr waren sie beide sich zum ersten Mal begegnet. Seither jedoch hatten ihrer beider Leben ein Ausmaß der Veränderung erfahren, das nie mehr rückgängig zu machen war.

Obwohl sie völlig lautlos in den Raum getreten war, wandte er den Kopf, blickte sie lächelnd an, und ihr Herz schlug den köstlichen Salto, von dem sie stets von neuem überrascht und der ihr stets etwas peinlich war.

»Hallo, Lieutenant.« Einladend streckte er eine Hand in ihre Richtung aus, worauf sie den Raum durchquerte und nach seinen schlanken Fingern griff.

»Hi. Was guckst du da?«

»Dark Victory – Opfer einer großen Liebe. Bette Davis. Sie wird blind und stirbt.«

»Klingt nicht gerade lustig.«

»Aber sie stirbt auf eine so unglaublich tapfere Art.« Er zog leicht an ihrer Hand, damit sie sich zu ihm auf das Sofa setzte, und als sich ihr Körper vollkommen natürlich an den seinen schmiegte, lächelte er zufrieden. Erst nach langer Zeit hatte sie genug Vertrauen zu ihm entwickelt, um sich derart zu entspannen. Um ihn und das, was er ihr geben konnte und musste, vorbehaltlos zu akzeptieren.

Meine Polizistin, dachte er, während er versonnen mit ihren Haaren spielte. Meine Polizistin mit ihren dunklen Seiten und ihrer unglaublichen Tapferkeit, die ihn manchmal geradezu erschreckte. Seine Frau, mit ihren zahlreichen Bedürfnissen und Ängsten.

Er verlagerte ein wenig seinen Arm und freute sich, als sie den Kopf an seine Schulter sinken ließ.

Nachdem sie schon so weit gegangen war, kam Eve zu dem Ergebnis, es wäre sicher nicht verkehrt, zöge sie auch noch die Stiefel aus und tränke einen Schluck aus seinem Glas. »Weshalb guckst du diesen Film, wenn du das Ende bereits kennst?«

»Der Weg ist das Ziel. Hast du schon gegessen?«

Sie schüttelte feixend den Kopf und drückte ihm sein Weinglas wieder in die Hand. »Ich hole mir gleich was. Ich wurde noch von einer Sache aufgehalten, die ein paar Minuten vor Schichtende bei uns reinkam. Eine Frau hat einen Typen mit seiner eigenen Bohrmaschine an die Wand geschraubt.«

Beinahe hätte sich Roarke an seinem Wein verschluckt. »Tatsächlich oder im übertragenen Sinne?«

Kichernd nahm sie ihm das Weinglas wieder ab. »Tatsächlich. Mit einem Branson 8000.«

»Aua.«

»Darauf kannst du dich verlassen.«

»Woher weißt du, dass es eine Frau war?«

»Weil sie uns, nachdem sie ihn an der Wand befestigt hatte, persönlich angerufen und dann auf uns gewartet hat. Die beiden waren ein Paar, er hat sie betrogen, und deshalb hat sie sein verräterisches Herz mit einem sechzig Zentimeter langen Stahlbohrer durchbohrt.«

»Tja, das wird ihm eine endgültige Lehre sein.« Der melodiöse irische Akzent, der wie warmer Whiskey aus seiner Kehle strömte, hüllte sie wohlig ein.

»Sie hat sein Herz als Ziel genommen. Ich an ihrer Stelle hätte ihm die Eier angebohrt. Das wäre passender gewesen, findest du nicht auch?«

»Meine liebe Eve, du bist so erschreckend direkt.« Er neigte seinen Kopf, um sie zu küssen, und sofort teilte sie willig ihre Lippen, ballte die Fäuste in seinem dichten, schwarzen Haar und zog ihn eng an sich. Ehe er das Weinglas an die Seite stellen konnte, drückte sie ihn rücklings gegen das Sofa, sodass das Glas zu Boden fiel, und schwang sich rittlings auf seinen straffen Leib.

Er zog eine Braue in die Höhe, machte jedoch gleichzeitig mit blitzenden Augen die Knöpfe ihres Hemdes auf. »Ich nehme an, genau wie im Film wissen wir, wie das endet.«

»Allerdings.« Grinsend beugte sie sich über ihn, nahm seine Unterlippe zwischen ihre Zähne und nagte verführerisch daran herum. »Aber wollen wir doch mal sehen, auf welche Weise wir dieses Mal zu einem Ende kommen.«

2

Nachdem sie das Gespräch mit dem Staatsanwalt beendet hatte, spähte Eve stirnrunzelnd auf das Link. Bei der Anklage gegen Lisbeth Cooke ging es tatsächlich lediglich um Totschlag im Affekt.

Totschlag im Affekt, dachte sie angewidert. Und das für eine Frau, die kühlen Kopfes kaltblütig das Leben eines Mannes beendet hatte, nur weil dieser seinen Schwanz nicht hatte unter Kontrolle halten können.

Dafür bekäme sie höchstens ein Jahr in einem minimal gesicherten Gefängnis, wo sie sich die Nägel lackieren und ihren verdammten Tennisaufschlag perfektionieren könnte, bevor sie ihre Geschichte für eine erkleckliche Summe an die Medien verkaufte und mit dem Geld ein neues Leben auf Martinique – oder sonst wo – begann.

Eve hatte Peabody zwar erklärt, man müsste sich mit dem zufrieden geben, was man erreichen konnte. Doch nicht einmal sie hatte so wenig erwartet.

Sie hatten dem rückgratlosen, kleinen Arschloch von Staatsanwalt empfohlen, er möge den Angehörigen des Opfers selbst erklären, weshalb die Justiz zu überlastet war, um ein Minimum an Sorgfalt bei der Aufklärung des wahren Sachverhalts walten zu lassen. Und weshalb er so versessen auf einen Deal gewesen war, dass er nicht mal abgewartet hatte, bis ihr abschließender Bericht auf seinem Schreibtisch lag, sollte er ihnen ebenfalls übermitteln.

Sie malmte mit den Zähnen, schlug in Erwartung, dass ihr elender Computer wie üblich irgendwelche Mätzchen machte, vorsorglich mit der flachen Hand auf das Gehäuse und rief den Bericht des Pathologen zum Leichnam Branson auf.

Mit seinen einundfünfzig Jahren war er kerngesund gewesen und hatte keine anderen Verletzungsmerkmale als das widerliche, von dem rotierenden Bohrer hinterlassene Loch in Höhe des Brustkorbes gehabt.

Sein Blut hatte weder Spuren von Alkohol noch von irgendwelchen Drogen aufgewiesen, und nichts deutete darauf hin, dass er kurz vor seinem Tod sexuell aktiv gewesen war. Der Mageninhalt ließ auf eine einfache letzte Mahlzeit aus Karottenpasta mit Erbsen in einer leichten Sahnesauce, geröstetem Weißbrot und Kräutertee ungefähr eine Stunde vor Eintreten des Todes schließen.

Ziemlich langweiliges Essen, überlegte sie, dafür, dass er angeblich ein solcher Lebemann gewesen war.

Und wer, fragte sie sich, hatte ihn ihr als Lebemann beschrieben, außer der Frau, von der er getötet worden war? In ihrer verdammten Eile, den Fall zum Abschluss zu bringen, hatten sie ihr nicht einmal die Zeit gelassen, um zu überprüfen, ob das angebliche Motiv für den verdammten Totschlag im Affekt überhaupt echt gewesen war.

Wenn die Sache in den Medien käme – und das käme sie bestimmt –, inspizierten bestimmt jede Menge unzufriedener Frauen die Werkzeugschränke ihrer Männer.

Sie sind sauer auf Ihren Geliebten? Tja, dann zeigen Sie ihm einfach, was der Branson 8000 alles kann – der Branson 8000 wird schließlich nicht umsonst sowohl von den Profis als auch von den Hobbyhandwerkern gewählt. O ja, Lisbeth Cooke könnte eine durchschlagende Werbekampagne für den Bohrer starten. Sicher schossen die Verkaufszahlen rapide in die Höhe.

Beziehungsdramen waren die verwirrendste und die brutalste Form der Unterhaltung. Verglichen mit den grauenhaften Dingen, die sich im Rahmen einer Partnerschaft ereignen konnten, nahm sich selbst das rauste Baseballspiel harmlos wie sonntäglicher Tanztee aus. Trotzdem waren einsame Seelen unablässig weiter auf der Suche nach einem Gefährten, klammerten sich an ihm fest, wachten voller Eifersucht über alles, was er tat, kämpften um ihn und trauerten, wenn es vorbei war, monatelang um den Verlust.

Kein Wunder, dass die Welt von derart vielen Wracks bevölkert wurde, dachte Eve.

Dann fiel ihr Blick auf ihren Ehering und sie zuckte innerlich zusammen. Ihre Beziehung war völlig anders, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie hatte nicht danach gesucht. Die Beziehung hatte sie gefunden, hatte sie total überrascht, und falls Roarke sie je beenden wollte, brächte sie ihn ganz sicher nicht um.

Nur bräuchte er vermutlich, da sie ihm alle Knochen bräche, bis an sein Lebensende ein Stützkorsett.

Schnaubend wandte sie sich ihrem Computer zu und gab frustriert den Bericht in der Sache Branson, den der Staatsanwalt offensichtlich nicht mal wollte, ein.

Erst als Ian McNab, einer der elektronischen Ermittler, bei ihr hereinsah, hob sie abermals den Kopf. Seine langen goldenen Haare waren heute sorgfältig geflochten, und nur ein bunt schillernder Reifen baumelte an seinem Ohr. Vielleicht, um das »konservative« Erscheinungsbild etwas zu mildern, trug er einen dicken, leuchtend grün-blauen Pullover über einer schwarzen Röhrenhose und blau schillernden Boots.

Seine grünen Augen blitzten, als er sie angrinste. »He, Dallas, ich habe sofort das private Link und den Privatkalender Ihres Opfers überprüft. Das Zeug aus seinem Büro kam gerade erst rein, aber ich glaube, Sie wollen wissen, was die Suche bisher ergeben hat.«

»Warum liegt dann Ihr Bericht noch nicht auf meinem Schreibtisch?«, fragte sie trocken.

»Ich dachte, ich bringe ihn persönlich rüber.« Mit einem breiten Lächeln ließ er die Diskette neben Eves Computer fallen und lehnte sich lässig an die Schreibtischkante.

»Peabody geht diese Informationen für mich durch.«

»Aha.« Er zuckte mit den Schultern. »Sie ist also auf ihrem Platz?«

»Sie hat kein Interesse an Ihnen, Freundchen. Das sollten Sie mal begreifen.«

Er begutachtete kritisch seine Nägel. »Wer sagt denn, dass ich an ihr Interesse habe? Trifft sie sich noch mit diesem Monroe?«

»Darüber reden wir beide nicht.«

Er fixierte sie kurz, und sie stimmten eine Sekunde in ihrem vagen Unbehagen über Peabodys fortgesetzter Liaison mit einem, wenn auch durchaus sympathischen und attraktiven, lizensierten Gesellschafter überein.

»Ich bin nur neugierig, das ist alles.«

»Dann fragen Sie sie selbst.« Und erstatten mir anschließend Bericht.

»Das werde ich tun.« Er grinste bereits wieder. »Dadurch bekommt sie die Gelegenheit, mich endlich mal wieder anzuschnauzen. Ich finde es herrlich, wenn sie die Zähne bleckt. Sie hat nämlich ein fantastisches Gebiss.«

Er stand auf und kurvte durch Eves voll gestopftes, winziges Büro. Sie wären beide überrascht gewesen, hätten sie gewusst, dass ihnen in der Minute fast die gleichen Gedanken durch die Köpfe gingen.

McNabs heißes Date mit einer Stewardess war im Verlauf des gestrigen Abends nicht zufriedenstellend gelaufen. Sie hatte ihn gelangweilt, was eigentlich unmöglich war, denn die durchschimmernde Silberbluse, die sie getragen hatte, hatte ihre wunderbaren Brüste äußerst vorteilhaft betont.

Trotzdem hatte er keine besondere Begeisterung für sie entwickeln können, denn ständig waren seine Gedanken zu einer bestimmten kratzbürstigen Polizistin abgeschweift.

Was zum Teufel trug sie unter ihrer sorgfältig gestärkten Uniform?, fragte er sich pausenlos. Diese Überlegung hatte ihn dazu bewogen, den Abend früher als erwartet zu beenden, und dadurch die Stewardess derart verärgert, dass er sicher keine zweite Chance bekäme, sich ihre makellosen Brüste aus der Nähe anzusehen. Falls er – wie es bestimmt bald geschähe – wieder zu Besinnung kam.

Er saß eindeutig viel zu oft abends allein zu Hause vor der Glotze, dachte er.

Und dabei fiel ihm etwas ein.

»He, ich habe gestern Abend Mavis' Video gesehen. Allererste Sahne.«

»Ja, sie ist wirklich super.« Eve dachte an ihre Freundin, die sich zurzeit auf ihrer Werbetour für ihre erste eigene CD in Atlanta die Lunge aus dem Hals sang. Mavis Freestone, dachte Eve mit einem Anflug von Sentimentalität, hatte es seit ihrem bescheidenen Debüt vor den Betrunkenen und anderweitig hoffnungslos Berauschten im Blue Squirrel weit gebracht.

»Die CD verkauft sich echt gut. Roarke denkt, dass sie nächste Woche den Sprung in die Top Twenty schafft.«

McNab klimperte mit ein paar Kreditchips. »Und wir haben es von Anfang an gewusst, nicht wahr?«

Er versuchte Zeit zu schinden, merkte Eve und ließ es geschehen. »Ich glaube, Roarke hat für ihre Rückkehr eine Party oder etwas in der Art geplant.«

»Ach ja? Super.« Endlich drang das Klappern harter Polizistenschuhe auf abgelatschtem Linoleum an sein Ohr. Als Peabody hereinkam, hatte er die Hände in den Hosentaschen und ein völlig unbeteiligtes Gesicht.

»Ich habe gerade -« Stirnrunzelnd brach sie ab. »Was wollen Sie, McNab?«

»Einen mehrfachen Orgasmus, aber den habt ihr hier ja leider nicht im Angebot.«

Ein Lachen wollte aus ihrer Kehle rollen, doch sie schluckte es herunter und erklärte rüde: »Der Lieutenant hat keine Zeit für derart jämmerliche Scherze.«

»Den hier fand ich ziemlich gut«, widersprach Eve und rollte mit den Augen, als Peabody sie giftig ansah. »Hauen Sie ab, McNab, die Spielpause ist vorbei.«

»Ich dachte, es würde Sie vielleicht interessieren«, erklärte er gelassen, »dass die Überprüfung sowohl von Bransons Link als auch von seinem Kalender keine Gespräche mit einer anderen Frau als seiner Mörderin oder irgendwelchen Angestellten seines Büros ergeben hat. Es gibt keinerlei Anzeichen für irgendeine andere Liaison« – er zog das Wort extra, um Peabody zu ärgern, genüsslich in die Länge – »als die mit Lisbeth Cooke – die von ihm häufig als Lissy, meine Liebe, bezeichnet worden ist.«

»Keine Spur von einer anderen Frau?« Eve spitzte nachdenklich die Lippen. »Und wie steht es mit einem anderen Mann?«

»Nein, auch da war nichts zu finden, und nichts deutet darauf hin, dass er bisexuell gewesen ist.«

»Interessant. Prüfen Sie zusätzlich das Link und den Kalender in seinem Büro, McNab. Ich frage mich, ob Lissy, meine Liebe, bezüglich des Motivs womöglich gelogen hat, und falls ja, was der wahre Grund für ihre Tat gewesen ist.«

»Bin schon unterwegs.« Als er den Raum verließ, blieb er unterwegs gerade noch lange genug stehen, um Peabody eine übertriebene Kusshand zuzuwerfen, worauf sie umgehend zeterte: »Er ist und bleibt ein totales Arschloch.«

»Vielleicht geht er Ihnen auf die Nerven -«

»Da gibt es kein Vielleicht.«

»Aber er war clever genug zu erkennen, dass sein Bericht ein neues Licht auf diese Sache wirft.«

Bei dem Gedanken, dass sich dieser Blödmann in einen ihrer Fälle mischte, schnaubte Peabody unwillig. »Aber der Fall Cooke ist abgeschlossen. Die Täterin hat gestanden, wurde verhaftet und unter Anklage gestellt.«

»Wegen Totschlags im Affekt. Wenn es aber kein Verbrechen aus Leidenschaft gewesen ist, kriegen wir eventuell mehr. Es würde sich also durchaus lohnen rauszufinden, ob Branson neben ihr noch eine andere Freundin hatte oder ob sie das nur behauptet hat, um ihre wahren Motive zu verschleiern. Wir fahren nachher in sein Büro und stellen dort den Leuten ein paar Fragen. Bis dahin « Sie zeigte auf die Diskette, die ihre Assistentin noch immer in der Hand hielt.

»Die Ermittlungen leitet ein gewisser Detective Sally«, begann Peabody, während sie Eve den Datenträger gab. »Er wirkte durchaus kooperationsbereit. Vor allem deshalb, weil er bisher nicht das Geringste rausgefunden hat. Die Leiche hat vor ihrer Entdeckung mindestens sechsunddreißig Stunden im Wasser gelegen. Es gibt keine Zeugen. Das Opfer hatte weder Bargeld noch Kreditchips bei sich. Ausweis und Kreditkarten aber steckten in seinen Taschen. Außerdem trug es eine Armbanduhr – eine gut nachgemachte Cartier –, weshalb Sally einen normalen Raubmord ausschließt, vor allem, da die Autopsie ergeben hat, dass dem Toten die Zunge herausgeschnitten worden war.«

»Das ist vielleicht ein Hinweis«, murmelte Eve und schob die Diskette in den dafür vorgesehenen Schlitz ihres Computers.

»Dem Bericht des Pathologen nach wurde die Zunge vor Eintreten des Todes mit einer gezahnten Klinge abgetrennt. Allerdings weisen Abschürfungen und Quetschungen im Nacken sowie das Fehlen von Abwehrverletzungen beim Opfer darauf hin, dass es während der spontanen Operation wahrscheinlich bewusstlos war und, bevor es in den Fluss geworfen wurde, an Händen und Füßen gefesselt worden ist. Vermutliche Todesursache war denn auch Ertrinken.«

Eve trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte und erntete für ihre Frage: »Gibt es irgendeinen Grund, aus dem ich mir die Mühe machen sollte, den Bericht zu lesen?«, ein viel sagendes Grinsen.

»Detective Sally war ziemlich gesprächig, und ich glaube nicht, dass er sich lange wehren würde, wenn Sie den Fall gern hätten. Er hat selbst gesagt, da das Opfer in New York gelebt hat, wäre es ja durchaus möglich, dass es auf dieser Fluss-Seite ermordet worden ist.«

»Ich will den Fall nicht haben, ich gucke mir die Sache nur mal eben an. Haben Sie über Arlington etwas herausgefunden?«

»Alles, was ich darüber in Erfahrung bringen konnte, findet sich auf Seite B Ihrer Diskette.«

»Fein. Ich sehe mir die Infos noch schnell an, und dann fahren wir rüber zu Bransons Büro.«

Sie kniff die Augen zusammen, als ein hoch gewachsener, schlanker Mann in abgewetzten Jeans und einem alten Parka zögernd bei ihr hereinsah. Er war etwa Anfang zwanzig mit einem derart offenen, unschuldigen Blick, dass sie geradezu bildlich vor sich sehen konnte, was für ein leichtes Opfer er für Straßenräuber, Taschendiebe und andere Gauner war.

Er hatte das schmale, knochige Gesicht eines Märtyrers oder Gelehrten und vom Sonnenlicht gebleichte helle Strähnen in seinem zu einem glatten Pferdeschwanz gebundenen braunen Haar.

Schüchtern lächelte er.

»Suchen Sie jemanden?«, fragte Eve freundlich.

Bei ihrer Frage drehte ihre Assistentin den Kopf und juchzte quietschend auf.

»He, Dee«, grüßte der Fremde Peabody so krächzend, als ob er nur sehr selten sprach.

»Zeke! O wow, Zeke!« Sie machte einen Riesensatz, sprang ihm in die langen, einladend ausgebreiteten Arme und schmiegte sich an seine Brust.

Beim Anblick der adretten Peabody, deren sorgfältig polierten harten Polizistenschuhe einen halben Meter über dem Boden baumelten, während sie kichernd das lange Gesicht des Mannes mit Küssen bedeckte, stand Eve, wenn auch ein wenig zögernd, von ihrem Schreibtischsessel auf.

»Was machst du hier?«, fragte Peabody den Unbekannten. »Wann bist du angekommen? Oh, es ist einfach fantastisch, dich zu sehen. Wie lange kannst du bleiben?«

»Dee«, war alles, was er sagte, während er sie noch ein wenig höher hob und auf die Wange küsste.

»Entschuldigung.« Da sie wusste, wie schnell irgendwelche Gerüchte die Runde machen konnten, machte Eve einen Schritt nach vorn. »Officer Peabody, ich schlage Ihnen vor, diese kleine Wiedersehensfeier in Ihrer Freizeit abzuhalten.«

»Oh, tut mir Leid. Lass mich runter, Zeke.« Noch während er sie auf den Boden stellte, schlang sie allerdings sofort einen Arm um seine Taille, damit er ihr ja nicht entwischen konnte. »Lieutenant, das ist Zeke.«

»Das habe ich inzwischen mitbekommen.«

»Mein Bruder.«

»Ach ja?« Auf der Suche nach irgendwelchen Ähnlichkeiten sah sich Eve den jungen Mann etwas genauer an. Doch waren er und seine Schwester grundverschieden. Weder von ihrer Statur noch von ihrem Teint noch von den Gesichtern her hätte man jemals vermutet, dass es eine Verwandtschaft zwischen ihnen beiden gab. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ich wollte ehrlich nicht stören.« Zeke errötete leicht und reichte ihr eine riesengroße Pranke. »Dee hat mir schon jede Menge guter Sachen von Ihnen erzählt, Lieutenant.«

»Das freut mich.« Eves Finger verloren sich in seiner granitharten und zugleich sanften Hand. »Also, welcher ihrer Brüder sind Sie?«

»Zeke ist das Baby«, erklärte Peabody mit einer derart liebevollen Stimme, dass Eve anfing zu grinsen.

»Ein Super-Baby. Wie groß sind Sie? Einen Meter fünfundneunzig?«

»Sechsundneunzig«, antwortete er mit einem hellen Lächeln.

»Er gerät nach unserem Vater. Sie sind beide groß und klapperdürr.« Peabody schlang ihre Arme um den Bruder. »Zeke ist ein echter Künstler. Er baut die allerschönsten Möbel.«

»Also bitte, Dee.« Die Röte seiner Wangen nahm tatsächlich noch zu. »Ich bin ein ganz normaler Schreiner. Ich kann halt mit Werkzeug umgehen, das ist alles.«

»Ein solches Können hat gestern schon jemand unter Beweis gestellt«, murmelte Eve und dachte dabei an ihren jüngsten Fall.

»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du nach New York kommst?«, fragte Peabody aufgeregt.

»Ich wollte dich überraschen, und außerdem war bis vor ein paar Tagen nicht sicher, ob was aus der Reise wird.«

Er strich seiner Schwester so sanft über das Haar, dass Eve bewusst wurde, dass es auch Beziehungen gab, in denen es nicht um Sex, um Herrschaft oder Macht ging. Manchmal ging es tatsächlich ausschließlich um Liebe.

»Ich soll für diese Leute, die meine Arbeit in Arizona gesehen haben, ein paar Schränke bauen.«

»Super. Wie lange wirst du dafür brauchen?«

»Das kann ich dir erst sagen, wenn ich fertig bin.«

»Okay, klar. Selbstverständlich wirst du bei mir wohnen. Ich gebe dir den Schlüssel und beschreibe dir, wie du am besten hinkommst. Am einfachsten ist es mit der U-Bahn.« Sie nagte nachdenklich an ihrer Unterlippe. »Aber lauf nicht einfach durch die Gegend, Zeke. Hier ist es anders als daheim. Hast du dein Geld und deinen Ausweis sorgfältig verstaut? Denn -«

»Peabody.« Eve hob um Aufmerksamkeit heischend die Hand. »Nehmen Sie sich den Rest des Tages frei, und bringen Sie Ihren Bruder hin.«

»Ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen«, begann Zeke, doch Eve fiel ihm ins Wort: »Sie machen uns größere Unannehmlichkeiten, wenn Peabody sich die ganze Zeit Gedanken macht, wie oft Sie auf dem Weg zu ihrer Wohnung überfallen worden sind«, erklärte sie ihm lächelnd. Sie war bereits zu dem Schluss gekommen, dass der junge Mann das klassische Opfer sämtlicher Betrüger und Taschendiebe New York Citys war. »Wir haben im Moment sowieso ein bisschen Leerlauf.«

»Und was ist mit dem Fall Cooke?«

»Ich glaube, damit werde ich alleine fertig«, meinte Eve beruhigend. »Und falls ich Sie brauche, rufe ich Sie an. Aber jetzt verschwinden Sie und zeigen Zeke die Wunder von New York.«

»Danke, Dallas.« Peabody ergriff die Hand des Bruders und nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass er die dunklen Seiten dieser Wunder gar nicht erst zu Gesicht bekam.

»Es hat mich wirklich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Lieutenant.«

»Mich ebenfalls.« Eve sah den beiden hinterher. Zeke beugte sich leicht zu Peabody herunter, die vor Freude, ihn zu sehen, regelrecht überzusprudeln schien.

Familien, dachte Eve. Sie verblüfften sie regelmäßig. Es war schön zu sehen, dass sie manchmal wirklich funktionierten.

»Wir alle haben J.C. geliebt.« Chris Tipple, stellvertretender Geschäftsführer bei Branson, war ein Mann von etwa dreißig Jahren mit Haaren in demselben Rot wie die geschwollenen Ränder seiner Augen. Wieder begann er hemmungslos zu schluchzen, und dicke Tränen rannen über sein rundliches, sympathisches Gesicht. »Wir alle.«

Was möglicherweise genau das Problem gewesen war, überlegte Eve und wartete erneut, bis Chris sich die Wangen mit seinem zerknüllten Taschentuch abgetrocknet hatte. »Tut mir Leid, dass Sie ihn verloren haben.«

»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er nie wieder durch diese Tür kommt.« Unglücklich blickte er auf die geschlossene Tür des großen, freundlichen Büros. »Nie wieder. Wir stehen alle unter Schock. Als B.D. uns heute Morgen von seinem Tod in Kenntnis gesetzt hat, hat keiner von uns ein Wort herausgebracht.«

Seine Stimme brach, und er presste sich das Taschentuch gegen den Mund.

B. Donald Branson war der Bruder und Geschäftspartner des Opfers, wusste Eve und wartete darauf, dass Chris zu Ende sprach.

»Möchten Sie vielleicht ein Glas Wasser oder ein Beruhigungsmittel, Chris?«

»Ich habe bereits eins genommen, es nützt anscheinend nichts. Wir standen einander wirklich nahe.« Erneut tupfte sich Chris die Tränen von den Wangen, weshalb er nicht bemerkte, dass Eve ihn nachdenklich musterte.

»Sie hatten eine persönliche Beziehung zueinander?«

»O ja. Ich bin seit fast acht Jahren bei dem Unternehmen und J.C. war viel mehr als nur mein Boss. Er war er war für mich so etwas wie ein Vater. Entschuldigung.«

Von Emotionen überwältigt vergrub er das Gesicht zwischen den Händen. »Tut mir Leid. J.C. würde nicht wollen, dass ich mich so gehen lasse. Schließlich wird dadurch niemandem geholfen. Aber ich kann einfach – ich glaube, keiner von uns kann begreifen, was da vorgefallen ist. Wir machen eine Woche zu. Und zwar den ganzen Laden. Die Büros, die Fertigung, alles. Der Gedenkgottesdienst « Er rang erstickt nach Luft. »Der Gedenkgottesdienst wurde für morgen angesetzt.«

»Das ist aber ziemlich früh.«

»J.C. hätte nicht gewollt, dass das Ganze in die Länge gezogen wird. Wie konnte sie das tun?« Er ballte das feuchte Taschentuch in seiner Hand zusammen und starrte blind durch Eve hindurch. »Wie konnte sie das tun, Lieutenant? J.C. hat sie angebetet.«

»Sie kennen Lisbeth Cooke?«

»Selbstverständlich.«

Er erhob sich, um im Zimmer auf und ab zu laufen, wofür Eve regelrechte Dankbarkeit empfand. Es war schwer zu ertragen und mit anzusehen, wie ein erwachsener Mann vor Trauer in sich zusammengesunken auf einem Stuhl saß, der aussah wie ein rosa Elefant. Nun, sie selbst hockte auf einem purpurroten Känguru, was sicher auch nicht schmückender war.

Gleich beim Betreten des Büros des verstorbenen J. Clarence Branson hatte sie erkennen können, dass er selbst der größte Fan der von seinem Unternehmen hergestellten Spielwaren gewesen war. Die Regale an den Wänden waren voll gestopft mit allem – von der schlichten ferngesteuerten Raumstation bis hin zu einer Reihe multifunktionaler Minidroiden, bei deren Anblick Eve ein leiser Schauder über den Rücken rann. Es war allzu leicht, sich vorzustellen, wie die kleinen Figuren mit den toten Augen plötzlich zum Leben erwachten und dann ja, an das, was sie dann täten, dachte sie am besten nicht.

»Erzählen Sie mir von ihr, Chris.«

»Lisbeth.« Er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus und rückte geistesabwesend die Sonnenblende an dem breiten Fenster hinter dem Schreibtisch zurecht. »Sie ist eine wunderschöne Frau. Das haben Sie ja bereits selbst festgestellt. Außerdem ist sie intelligent, gut in ihrem Job, ehrgeizig und anspruchsvoll. Doch das hat

J.C. anscheinend nicht gestört. Er hat einmal zu mir gesagt, ohne eine anspruchsvolle Frau würde er sein Leben mit Basteln und Spielen vergeuden.«

»Haben die beiden viel Zeit miteinander verbracht?«

»Zwei, manchmal drei Abende pro Woche. Mittwochs und samstags gingen sie regelmäßig essen und anschließend ins Theater oder zu einem Konzert. Außerdem haben sie gemeinsam offizielle Einladungen wahrgenommen, die an einen von ihnen beiden ergingen, und haben montags zwischen halb eins und zwei miteinander gespeist. Außerdem haben sie jeden August drei Wochen an einem Ort, den Lisbeth ausgesucht hat, Urlaub miteinander gemacht und sind an fünf Wochenenden pro Jahr miteinander verreist.«

»Klingt nach einem ziemlich strengen Zeitplan.«

»Darauf hat Lisbeth bestanden. Sie wollte, dass die Bedingungen ihrer Beziehung und die jeweiligen Pflichten beider Partner exakt geregelt sind. Ich glaube, sie hat einfach begriffen, dass J.C.s Gedanken häufig abschweiften, und sie wollte, dass er sich, wenn sie zusammen waren, ganz auf sie beide konzentriert.«

»Und, schweifte sonst noch etwas von ihm ab?«

»Wie bitte?«

»Hatte J.C. nebenher noch irgendein anderes Verhältnis?«

»Ein anderes Liebesverhältnis? Nein, hundertprozentig nicht.«

»Eventuell ging es bei diesem anderen Verhältnis ausschließlich um Sex?«