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Eine schlagfertige Komikerin. Eine ehemalige Polizistin mit gebrochenem Herzen. Eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft. Stand-up-Komikerin Stephanie Renshaw hofft auf den großen Durchbruch in Los Angeles. Zum Glück findet sie auch eine Wohnung ganz in der Nähe der großen Comedyclubs, doch die perfekte Bleibe hat einen Haken: um die Miete bezahlen zu können, braucht sie eine Mitbewohnerin. Bei der Arbeit lernt sie Türsteherin Rae kennen, die früher Polizistin war, dann aber im Dienst verwundet wurde. Seither versteckt sie ihr verletzliches Herz hinter einer rauen Schale. Anfangs stellt das Zusammenleben beide auf eine harte Probe, doch dann entwickelt sich eine zögerliche Freundschaft. Langsam schafft es Steph, die Schutzmauern zu durchbrechen, die Rae um sich herum errichtet hat. Aber Steph war noch nie in einer festen Beziehung und Rae ist womöglich noch nicht so weit, wieder glücklich zu sein. Werden die beiden den Mut haben, sich ihren wachsenden Gefühlen füreinander zu stellen? Ein berührender lesbischer Liebesroman mit Happy End.
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Seitenzahl: 602
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Inhaltsverzeichnis
Von Jae außerdem lieferbar
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
Über Jae
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Von Jae außerdem lieferbar
Bachelorette Nummer zwölf
Kuscheln im Erbe inbegriffen
Eine Mitbewohnerin zum Verlieben
Tintenträume
Ein Happy End kommt selten allein (1 & 2)
Alles nur gespielt
Aus dem Gleichgewicht
Hängematte für zwei
Herzklopfen und Granatäpfel
Cabernet & Liebe
Die Gestaltwandler-Serie:
Vollmond über Manhattan
Die Hollywood-Serie:
Liebe à la Hollywood
Im Scheinwerferlicht
Affäre bis Drehschluss
Die Portland-Serie:
Auf schmalem Grat
Rosen für die Staatsanwältin
Die Serie mit Biss:
Zum Anbeißen
Coitus Interruptus Dentalis
Fair-Oaks-Serie:
Perfect Rhythm – Herzen im Einklang
Beziehung ausgeschlossen
Oregon-Serie:
Westwärts ins Glück (Bd. 1 & 2)
Angekommen im Glück
Verborgene Wahrheiten (Bd. 1 & 2)
Unverhofft verliebt:
Vorsicht, Sternschnuppe
Falsche Nummer, richtige Frau
Alles eine Frage der Chemie
Kapitel 1
Der Abend würde kein gutes Ende nehmen. Steph wusste es in dem Moment, als Marissa, die Komikerin, die vor ihr an der Reihe war, das Mikrofon aus dem Ständer zog und es sich dabei versehentlich auf die Nase schlug.
Der Rest ihrer Nummer lief auch nicht besser.
Da die Kneipe keine Garderobe hatte, in der die Künstler auf ihren Auftritt warten konnten, saß Steph an der Bar und musste den Untergang ihrer Kollegin aus nächster Nähe miterleben.
Marissa hielt das Mikro mit beiden Händen umklammert, so als wollte sie ein Gedicht aufsagen. »Hat in letzter Zeit jemand eine Saftkur gemacht?«
Steph stöhnte leise. Eine Saftkur? Ausgerechnet dieses Material hatte sie für eine ländliche Gegend in Idaho gewählt?
Die Leute im Publikum sahen Marissa an, als hätte sie gefragt, ob jemand einen Dinosaurier als Haustier halte.
Marissa schien es nicht zu bemerken und machte weiter im Text. »All meine Freundinnen schwören darauf. Sie sagen, man bekommt davon eine reinere Haut und einen flachen Bauch. Aber bei mir hat es lediglich einen Kater am nächsten Morgen bewirkt. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass Piña colada nicht als Saft zählt?«
Die Pointe brachte ihr ein mitleidiges Lächeln von einer Frau in der ersten Reihe ein. Zwei Männer weiter hinten im Raum standen auf und kehrten an die Billardtische zurück. Der Geräuschpegel in der Bar stieg, als die Leute ihre Unterhaltungen fortsetzten.
Trotz des tiefen Ausschnitts konnte nicht einmal Marissas hautenges Oberteil ihr die Aufmerksamkeit des Publikums sichern. Schweiß glänzte auf ihrer Stirn und sie fing an, schneller zu sprechen, wodurch sie alles nur noch schlimmer machte.
Na toll. Steph war nicht begeistert, nach ihr auf die Bühne zu müssen. Erst hatte sie sich gefreut, als sie erfahren hatte, dass sie mit einer Kollegin zusammenarbeiten würde. Stand-up-Comedy war immer noch ein von Männern dominiertes Geschäft. Oft war Steph die einzige Frau und die einzige nicht heterosexuelle Person auf der Bühne. Aber nachdem Marissa derart versagt hatte, würde Steph sich noch mehr anstrengen müssen, um zu beweisen, dass Frauen sehr wohl lustig sein konnten. Ihre männlichen Kollegen kannten dieses Problem nicht. Niemand beurteilte sie danach, ob der Kerl vor ihnen gescheitert war. Das war einfach nicht fair und machte Steph noch entschlossener, es allen zu zeigen.
»Kann ich dir noch einen Drink bringen … oder sonst irgendetwas?«, fragte die Barkeeperin.
Steph drehte sich zu ihr um und musterte die hübsche Rothaarige. Bildete sie sich das nur ein oder hatte in ihrer Stimme ein koketter Unterton mitgeschwungen?
»Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen«, fügte die Barkeeperin mit einem Augenzwinkern hinzu.
Ja, sie flirtete definitiv. In der Tat konnte Steph einen Drink gut gebrauchen, um Marissas Auftritt zu überstehen, und das Flirten war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Am Anfang ihrer Comedykarriere hätte sie das Getränk und jedes andere Angebot der Rothaarigen sofort angenommen, aber die vergangenen zehn Jahre hatten sie viel gelehrt. Mittlerweile mied sie Alkohol vor ihren Auftritten und sie hatte auf die harte Tour gelernt, sich nie mit den Mitarbeitern in den Clubs und Bars einzulassen, in denen sie auftrat.
Schade eigentlich. Die Rothaarige war richtig süß. Steph lächelte ihr dankbar zu. »Danke. Aber ich bleibe lieber nüchtern. Je nachdem, wie das hier weitergeht«, sie deutete in Richtung Bühne, »muss ich nach meinem Auftritt vielleicht schnell die Biege machen.«
»Das bezweifle ich. Ich kann mich noch vom letzten Jahr an dich erinnern. Du bist gut.« Die Barkeeperin blickte zu Marissa. »Was man von ihr nicht gerade sagen kann.«
Beide schwiegen und hörten Marissa eine Weile zu.
»… und dann stieß er meinen Selfiestick beiseite und sagte …« Marissa machte nervös einen Schritt auf die Bühnenkante zu, trat dabei auf das Kabel und zog es aus dem Mikro. Ihre Stimme wurde mitten in der Pointe abgeschnitten. Vielleicht war das letzten Endes doch ein Segen, denn das Kleinstadtpublikum konnte mit Marissas Großstadthumor nichts anfangen.
Komm schon. Schau dir die Gesichter der Leute an!
Marissa schaffte es irgendwie, das Mikrofon wieder anzuschließen, und kämpfte sich durch den Rest ihrer Nummer.
Steph wusste nicht, wer erleichterter war, als der Auftritt schließlich endete: Marissa oder die Zuschauer. Mit einem gemurmelten »Dieser Witz läuft normalerweise besser« floh sie von der Bühne.
Der Barbesitzer nahm das Mikrofon und starrte ihr nach, als würde er bereuen, eine Frau für seine Comedyshow angeheuert zu haben. »Danke. Das war, ähm, interessant. Einen Riesenapplaus für Marissa Jones, bitte!«
Das Publikum klatschte ohne echte Begeisterung.
»Seid ihr bereit für den Star unseres heutigen Abends?«, fragte der Barbesitzer und täuschte einen vergnügten Tonfall vor. »Herzlich Willkommen, Tiffany Renshaw!«
Steph stöhnte. Er hatte es geschafft, sie im zweiten Jahr in Folge mit dem falschen Namen anzukündigen.
Aber sie war eine professionelle Komikerin, also lächelte sie, als sie die Bühne betrat. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass er sie aus der Fassung brachte. Sie schüttelte ihm die Hand und nahm ihm das Mikrofon ab. »Vielen Dank, aber eigentlich heiße ich Stephanie Renshaw.« Sie wandte sich dem Publikum zu und bedachte die Zuschauer mit einem verschwörerischen Grinsen. »Jemand sollte ihm mal sagen, dass ein Mann sich um Kopf und Kragen reden kann, wenn er im falschen Moment den falschen Namen sagt.«
»Ach, das weiß er bereits, Schätzchen«, rief die Ehefrau des Barbesitzers aus der letzten Reihe.
Das brachte ihr den ersten richtigen Lacher des Abends ein.
Grinsend begann Steph ihr Programm und vergaß alles andere – ihre Frustration über Marissa, das heruntergekommene Hotel, in dem sie übernachtet hatte, und die tausenddreihundert Kilometer zurück nach Los Angeles, die vor ihr lagen. So erging es ihr immer. Die Bühne war der einzige Ort, an dem sie sich zu Hause fühlte. Als reisende Komikerin das ganze Jahr unterwegs zu sein, machte schon seit einer Weile keinen Spaß mehr, aber dieses Gefühl hielt sie dennoch bei der Stange.
Ehe sie sichs versah, war die Stunde vorüber und sie setzte zu ihrem letzten Witz an. »Weil Halloween ist, möchte ich noch kurz über etwas richtig Furchteinflößendes sprechen: das Liebesleben der meisten Komiker. Ist euch je aufgefallen, dass die meisten von uns entweder single oder geschieden sind? Anscheinend sind Sarkasmus und ständige Abwesenheit keine begehrenswerten Eigenschaften für einen Partner. Wer hätte das gedacht?« Sie fasste sich an die Brust und tat überrascht. »Außerdem musste ich feststellen, dass Fertignudeln nicht als romantisches Abendessen gelten und dass die meisten Leute es nicht attraktiv finden, wenn ich bei der ersten Verabredung Notizen für Witze mache, während sie mir ihre Lebensgeschichte erzählen.«
Das Publikum lachte.
»Ich bin also single. Ja, ich weiß, das schockt euch jetzt.« Spielerisch warf sie ihre zerzausten Haare über die Schulter zurück.
Vom Publikum kam ein vorgetäuscht mitleidiges »Oooh.«
»Keine Sorge. Das ist durchaus so gewollt. Nicht von mir, nur von meinen potenziellen Partnern, aber immerhin.« Das stimmte nicht, aber es brachte ihr immer einen Lacher ein, deshalb hatte sie den Witz im Programm behalten.
»Ich würde dich nehmen, Kleine«, rief einer der Männer, die von den Billardtischen zurückgekommen waren.
»Tut mir leid. Das wäre all meinen anderen Verehrern gegenüber nicht fair«, antwortete Steph, ohne zu zögern. »Nun ja, jedenfalls denken meine Eltern, ich hätte ein schlechtes Urteilsvermögen, was meine Partnerwahl angeht. Entweder das oder aber ein schlechtes Sehvermögen. Ich hatte mal einen richtig muskulösen Freund. Er trug sogar ständig eine dieser Gewichtsmanschetten um das Fußgelenk und ich dachte: Ist ja toll, der macht etwas für seine Fitness.« Sie schlüpfte in seine Rolle und hüpfte auf einem Bein über die Bühne, um den Zuschauern zu zeigen, wo das Gewicht gewesen war. Dann setzte sie eine Kunstpause, bevor sie zur Pointe kam. »Es hat sich dann als elektronische Fußfessel herausgestellt. Er hatte vergessen zu erwähnen, dass er auf Bewährung draußen war.«
Das Publikum brüllte vor Lachen und ein Kerl mit einem Cowboyhut knallte seinen Bierkrug auf die Theke, während er sich wiehernd vornüberbeugte.
Das Gelächter schwappte wie eine Welle über Steph hinweg und sie ließ sich wie eine Weltklassesurferin davon tragen. Das Adrenalin schoss durch ihre Adern und sie konnte nicht anders, als mitzulachen. Nichts konnte das Gefühl übertreffen, einen Saal voller fremder Menschen zum Lachen zu bringen.
Als sie dem Publikum dankte und die Bühne verließ, begegnete sie dem Blick der süßen Barkeeperin.
Okay, womöglich war Sex noch besser. Schade, dass sie sich eisern an die Regel hielt, die Finger nicht nur von Leuten mit Fußfesseln, sondern auch von Mitarbeitern ihrer Veranstalter zu lassen.
~ ~ ~
Das Hochgefühl der Bühne ließ langsam nach, als Steph über den Parkplatz der Bar zu ihrem Mini Cabrio ging.
»Stephanie? Warte!« Die Stimme einer Frau ließ sie innehalten.
Steph grinste breit. Scheinbar wollte die süße Barkeeperin sie nicht ohne eine Verabschiedung gehen lassen.
Doch als sie sich umdrehte, war es nicht die Rothaarige, die ihr gefolgt war, sondern Marissa. »Fährst du ins Hotel zurück?«
»Nein, nach einem Auftritt bin ich immer hellwach, deshalb kann ich die Zeit genauso gut dazu nutzen, schon mal ein paar hundert Kilometer in Richtung L.A. zu fahren. Wenn ich müde werde, nehme ich mir einfach unterwegs irgendwo ein Zimmer.«
»Kann ich mitfahren?«, fragte Marissa. »Ich bin mit dem Greyhoundbus hergekommen, weil meine Gage nicht einmal die Benzinkosten abdeckt.«
Greyhound? Das war echte Hingabe an ihren Beruf. »Klar. Steig ein. Mein Auto ist nicht groß, aber es riecht sicher besser als der Bus.«
»Danke.« Marissa quetschte ihren Rucksack in den Kofferraum neben Stephs Reisetasche.
Sie stiegen ins Cabrio und fuhren die ersten Kilometer, ohne etwas zu sagen. Doch Steph spürte, was auf sie zukam, und deshalb war sie nicht überrascht, als Marissa im Flüsterton fragte: »Das war richtig schlecht, oder?«
Steph hatte nicht vor zu lügen, aber sie wollte ihre Kollegin auch nicht entmutigen. »Jeder vergeigt mal einen Auftritt. Das gehört dazu.«
»Ja, aber ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. In L.A. spiele ich dasselbe Material ständig und es funktioniert jedes Mal.«
»Du kannst nicht überall dieselben Witze bringen. Die Leute aus einer Kleinstadt in Idaho können mit Saftkuren, Piña coladas und dem Stoßverkehr in L.A. einfach nichts anfangen.«
»Hm. Da könntest du recht haben.« Marissa zog ihr Handy aus der Tasche und fing an, sich Notizen zu machen. »Hast du sonst noch irgendwelche Ratschläge?«
Steph warf ihr aus dem Augenwinkel einen Blick zu. Wann war aus ihrer Unterhaltung eine kostenlose Beratung geworden? Aber sie hatte jede Menge Zeit, also konnte sie genauso gut auch einer Kollegin helfen. Sie deutete auf Marissas tief ausgeschnittenes Oberteil. »Ich würde mal einen Blick in deinen Kleiderschrank werfen, wenn ich du wäre. Versteh mich nicht falsch. Ich bin die Letzte, die sich darüber beschwert, wenn eine Frau ein hautenges Top trägt.« Steph lachte. »Aber wenn du willst, dass man dich ernst nimmt, dann solltest du die Leute mit deiner Comedy beeindrucken, nicht mit deinem Dekolleté.«
Marissa errötete und zupfte am Ausschnitt ihres Oberteils herum. »Heißt das, du bist lesbisch? Dann waren all die Witze über deinen schlechten Geschmack, was Männer angeht, komplett erfunden?«
»Nein, das stimmt alles.« Steph grinste. »Ich bin bisexuell, was in meinem Fall bedeutet, dass ich einen schlechten Geschmack habe, was Männer und Frauen angeht.«
Ein Kichern kam vom Beifahrersitz. »Mensch, du bist lustig. Wenn du mich nach so einem Abend zum Lachen bringen kannst, bist du richtig gut.«
»Wenn du lange genug durchs Land tourst, wirst du auch irgendwann richtig gut.« Oder du läufst mit eingezogenem Schwanz nach Hause zurück, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber bei ihr war das anders, oder? Sie kehrte aus einem völlig anderen Grund nach L.A. zurück.
Marissa seufzte. »Du hast recht. Mit den Fünf-Minuten-Auftritten, die ich in L.A. ergattern kann, komme ich einfach nicht voran. Ich brauche mehr Zeit auf der Bühne und die bekomme ich nur, wenn ich auf Tour gehe. Aber ich bin gerade mal seit drei Wochen unterwegs und hasse es jetzt schon. Ich dachte, jede Woche in einer neuen Stadt zu sein, wäre ein tolles Abenteuer, aber …«
»Wem sagst du das? Außer einer Woche im Sommer war ich das ganze Jahr unterwegs, habe aus dem Koffer gelebt und mich von ungesundem Zeug ernährt.«
»Aber jetzt hast du vor, in L.A. zu bleiben?«, fragte Marissa.
»Ja. Seien wir mal ehrlich. Niemand ist je in einer kleinen Bar im südlichen Idaho entdeckt worden. Den großen Durchbruch schaffe ich nur in der Stadt des Sonnenscheins und des Smogs. Das habe ich jedenfalls vor, vorausgesetzt, ich finde irgendwie eine Wohnung, ohne dafür ein paar Organe verkaufen zu müssen.«
»Falls du einen Platz zum Übernachten brauchst, ich habe eine Schlafcouch«, sagte Marissa.
Das war eines der Dinge, die Steph am Komikerdasein so gefielen. Obwohl alle um die wenigen Auftrittsmöglichkeiten konkurrierten, gab es einen unausgesprochenen Ehrenkodex unter Comedians. Wenn ein Kollege für ein paar Tage eine Bleibe brauchte, stellte man ungefragt eine zur Verfügung.
»Danke, aber zum Glück lebt meine Schwester in L.A. Ich kann ihr Gästezimmer haben, so lange ich möchte.«
»Ach, das wird sicher nett.«
»Mehr oder weniger. Meine Schwester hat einen Ordnungs- und Putzfimmel. Das ist also ungefähr so, als würde man noch zu Hause wohnen.« Zum Glück war Claire etwas entspannter geworden, seit sie mit Lana zusammen war. Das war einer von vielen Gründen, warum Steph ihre zukünftige Schwägerin so sehr mochte.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Marissa. »Meine Schwester ist genauso. Oh, Moment! Sie und ihr Freund ziehen von L.A. nach New York und sind auf der Suche nach einem Nachmieter für ihre Dreizimmerwohnung. Ich glaube, sie haben noch keine Annonce geschaltet. Soll ich sie mal anrufen?«
»Kommt drauf an, wie hoch die Miete ist. Wie ich eben schon gesagt habe, ich hänge ziemlich an meinen Nieren.«
»Die Miete ist eigentlich ganz vernünftig, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Wohnung an der Ecke Melrose und Sweetzer liegt«, sagte Marissa.
Wäre Steph ein Hund gewesen, hätte sie jetzt die Ohren gespitzt. Eine halbwegs erschwingliche Wohnung so nah an zwei der großen Comedyclubs zu finden, war ungefähr so wahrscheinlich, als träfe man mitten auf der Autobahn auf ein Zebra. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. »Was genau heißt ›eigentlich ganz vernünftig‹?«
»Um die zweitausendzweihundert Dollar im Monat.«
An den meisten anderen Orten des Landes war das Wucher, aber für eine solch zentrale Lage in L.A. konnte man die Miete fast schon günstig nennen. Trotzdem konnte sie sich diese Summe von ihrer mickerigen Gage als Komikerin nicht leisten. Aber vielleicht war es machbar, wenn sie ihre Freundin Penny dazu brachte, sie wieder als Hundeausführerin einzustellen, und sich außerdem ein paarmal pro Woche als Uber-Fahrerin verdingte. »Weißt du was? Ruf deine Schwester an. Wenn ich einen Mitbewohner finde, der pünktlich die Hälfte der Miete bezahlt, könnte es klappen.«
Marissa schlug sich auf die Stirn. »Mist. Tut mir leid. Vergiss, dass ich die Wohnung je erwähnt habe.«
»Was? Warum denn?«
»Der Hausbesitzer vermietet nicht an Singles«, sagte Marissa. »Irgendwas muss wohl einmal passiert sein, aber ich habe nie erfahren, was. Ich weiß nur, dass er keine Alleinstehenden und keine WGs will.«
Steph runzelte die Stirn. »Hört sich nach Diskriminierung an.«
»Nur, wenn du es vor Gericht beweisen kannst. Echt schade. Es ist ein tolles Viertel. Schön ruhig, aber trotzdem ganz in der Nähe vom Improv und der Fun Zone. Außerdem unterliegt die Wohnung der Mietpreisbindung und es gehören sogar zwei Parkplätze und eine Waschmaschine dazu. Wenn ich nicht vorhätte, den Großteil des Jahres von einer Bühne zur nächsten zu tingeln, würde ich selbst einziehen.«
»Mist.« Steph schlug mit der Faust aufs Lenkrad. »Für so eine Wohnung würde ich, wenn’s sein müsste, sogar heiraten.«
»Tut mir leid«, sagte Marissa.
Beide schwiegen eine Weile. Nur das Radio und das monotone Geräusch der Reifen auf der Fahrbahn unterbrachen die Stille. Die Worte, die sie eben gesagt hatte, hallten Steph noch durch den Kopf. Für so eine Wohnung würde ich sogar heiraten. So weit würde sie natürlich nicht gehen, dafür genoss sie ihre Freiheit als Junggesellin zu sehr. Aber das brauchte der Vermieter ja nicht zu wissen. Was wäre, wenn sie es mit demselben Trick versuchte, den ihre Schwester letztes Jahr abgezogen hatte? Claires Verlobte hatte mit ihr Schluss gemacht. Um die Veröffentlichung ihres Beziehungsratgebers nicht zu gefährden, hatte Claire kurzerhand eine arbeitslose Schauspielerin engagiert, um die Rolle ihrer zukünftigen Braut zu spielen.
Vielleicht könnte Steph etwas Ähnliches tun? In einer Stadt wie Los Angeles sollte es nicht schwer sein, jemanden zu finden, der genauso verzweifelt nach einer bezahlbaren Wohnung suchte und bereit war, vor dem Vermieter ihre bessere Hälfte zu spielen.
Die Idee war genial. Zumindest solange ihr nicht dasselbe passierte wie Claire, die sich in ihre angebliche Partnerin verliebt hatte.
Doch das dürfte ihr nicht weiter schwerfallen, denn von Liebe hielt sie nicht viel. Ihr Mitbewohner und sie würden sich nur die Wohnung teilen, nicht das Bett. Sobald der Mietvertrag unterschrieben war, konnten beide sich wieder den Freuden des Singledaseins hingeben.
Jetzt musste sie nur noch jemanden finden, der bereit war, bei ihrem tollkühnen Plan mitzumachen. Sie grinste, als sie sich die Internetanzeige vorstellte: Suche Mitbewohner oder Mitbewohnerin für Dreizimmerwohnung. Zentral gelegen, mit Parkplatz, Waschmaschine und vorgetäuschter Beziehung.
Als sie die Staatsgrenze nach Nevada überquerten, vertrieb sich Steph noch immer die Zeit damit, sich amüsiert vorzustellen, welche Sorte Mensch wohl auf eine solche Anzeige antworten würde. Sie konnte es kaum erwarten, die- oder denjenigen kennenzulernen.
Kapitel 2
Rae blinzelte in die Dunkelheit vor dem Comedyclub und bemühte sich, die Leute in der Warteschlange im Auge zu behalten. Das grelle Licht der blinkenden Neonreklame störte sie. Schon jetzt graute ihr vor der Heimfahrt nach der Spätvorstellung. Leider war die Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln in L.A. genauso bescheiden wie ihre Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen, sodass ihr keine andere Wahl blieb, als sich selbst hinters Steuer zu setzen.
Wenn sie doch nur endlich eine Wohnung in der Nähe des Clubs fände.
Das wird nicht passieren. Hör auf zu jammern und konzentriere dich auf deine Arbeit.
»Hey, Neue!«
Die Stimme, die unvermittelt hinter ihr erklang, trieb ihren Puls in die Höhe, doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, und drehte langsam den Kopf.
Brandon Zimmerman, einer ihrer Kollegen, tauchte in ihrem Gesichtsfeld auf. Er hatte an der Tür direkt neben ihr Stellung bezogen.
Scheiße. Sie konnte es sich nicht leisten, solche Dinge zu übersehen und während der Arbeit Schwäche zu zeigen.
Brandon verschränkte seine muskulösen Arme vor der Brust und bedachte Rae mit einem Grinsen. »Soll ich die Tür übernehmen, während du die Damentoilette im Auge behältst? Letzten Monat hat ein Mädchen zu viel getrunken und ist da drin umgekippt.«
Dachte er tatsächlich, dass Rae als die einzige Frau im Team nur dazu gut war, die Damentoilette zu überprüfen?
Rae sah ihm in die Augen, obwohl sie mit ihren eins achtundsiebzig nicht ganz an seine beeindruckende Größe heranreichte. Sie fixierte ihn mit einem Blick, der selbst den abgebrühtesten Kriminellen Angst und Schrecken eingejagt hatte. »Lass uns eines klarstellen: Ich wurde für den gleichen Job wie du eingestellt. Wenn du denkst, ich bin nur hier, um kotzende Mädchen aus der Toilette zu holen, hast du –«
Laute Stimmen aus dem Club unterbrachen sie.
Die Frühvorstellung würde erst in zehn Minuten enden, es konnte sich also nicht um Zuschauer handeln, die sich vordrängelten, um als Erste ein Selfie mit den Komikern zu machen.
»Du kannst mich nicht rauswerfen, Arschloch«, schrie ein Mann in der Lobby. Seine Stimme klang verwaschen, als hätte er zu viel getrunken. »Ich hab ’ne Eintrittskarte. Ich hab bezahlt, Mann.«
»Alle anderen Zuschauer aber auch, und die wollen die Comedians hören, nicht Ihr Geschwätz«, antwortete Carlos, einer der Türsteher. »Ich habe Ihnen dreimal gesagt, Sie sollen endlich die Klappe halten.«
»Das ist der Kerl, der sich vorhin darüber beschwert hat, dass er mindestens zwei Getränke bestellen muss«, sagte Brandon zu Rae.
Sie schnaubte. Der Typ war total betrunken. Ganz sicher hatte er mehr als zwei Drinks intus. Er hatte nur nach einem Grund gesucht, um Ärger zu machen. »Weißt du was? Ich hab meine Meinung geändert. Du kannst die Tür übernehmen. Ich kümmere mich um ihn.«
»Bist du sicher?« Eine Sorgenfalte grub sich zwischen Brandons Augenbrauen ein.
»Natürlich.« Nach zwei relativ ereignislosen Wochen im neuen Job war das endlich ihre Chance, sich und ihren Kollegen zu beweisen, dass sie mit schwierigen Gästen umgehen konnte. Ohne auf weitere Einwände von Brandon zu warten, betrat sie an ihm vorbei den Club und hielt auf Carlos zu.
Dieser hatte den Gast am Arm gepackt, um ihn nach draußen zu befördern.
Himmel, der Typ war ein Hüne. Er überragte sogar Carlos, der selbst nicht gerade klein und schmächtig war. Wenn sie nicht aufpassten, konnte die Situation schnell eskalieren.
Rae hob die Hand, um sie auf das Holster ihrer Beretta zu legen, doch ihre Finger griffen ins Leere. Sie ballte eine Faust. Selbst nach acht Monaten vermisste sie das vertraute Gewicht ihrer Dienstwaffe und das, wofür sie stand.
Hör mit dem Selbstmitleid auf. Das hier ist jetzt dein Job.
Als sie die Lobby durchquerte, versuchte sie, sich einzureden, dass sie solche Situationen schon tausendmal ohne Waffe gemeistert hatte. Irgendwie war es ihr immer gelungen, selbst den aggressivsten Gegner nur mit ihren Worten zum Aufgeben zu bewegen. Mit einer Ausnahme.
Denk nicht daran. Du schaffst das.
Ruhig ging sie auf die beiden Männer zu und achtete dabei darauf, nicht zwischen sie zu geraten oder dem Kerl zu nahe zu kommen. Sein Gesicht war rot angelaufen und er wirkte, als würde er gleich zuschlagen.
Schweiß lief ihren Rücken hinab und durchtränkte das schwarze Hemd unter ihrem Jackett, doch sie wusste, dass ihre Miene undurchdringlich war. Auf ihr Pokerface konnte sie sich verlassen. »Was ist hier los, Sir?«
»Dieser verfickte Arsch will mich rauswerfen!« Der Mann versuchte, sich aus Carlos’ Griff zu befreien, und stieß ihn dabei gegen eine Säule, an der ein Plakat mit den Komikern des Abends hing.
Carlos hielt ihn hartnäckig fest.
Rae wusste, dass gleich die Fäuste fliegen würden. »Lass ihn los, Carlos.«
Ihr Kollege starrte sie an, als wären ihr Hörner gewachsen.
Mann, hatte ihm denn niemand beigebracht, wie man eine gefährliche Situation deeskalieren konnte? Sie musste nachher unbedingt mit ihm reden.
»Ich würde gern mit ihm sprechen und seine Sicht der Dinge hören«, sagte Rae.
Der Betrunkene richtete sich auf, schwankte dabei aber und warf Carlos einen triumphierenden Blick zu.
»Lass ihn los, Carlos«, sagte Rae, diesmal mit mehr Nachdruck.
»Wenn das schiefgeht, bist du schuld.« Carlos ließ endlich los.
Der Mann taumelte und wäre fast gestürzt.
Rasch griff Rae nach seinem Ellbogen, verfehlte ihn aber. Sie knirschte mit den Zähnen. Beim zweiten Versuch gelang es ihr, seinen Arm zu fassen. »Hier drin wird es gleich ziemlich laut, wenn die Vorstellung endet. Lassen Sie uns draußen reden.«
Der betrunkene Kerl warf Carlos noch einen letzten Blick zu, dann folgte er ihr wie ein gut erzogener Schoßhund.
Da draußen schon die Gäste für die nächste Vorstellung Schlange standen, führte sie ihn zur Hintertür. Draußen regte er sich über das Zwei-Getränke-Minimum und die überteuerten Hähnchenflügel auf.
Sie hörte geduldig zu, doch als er anfing, sich über die Parkgebühren zu beschweren, hob sie die Hand. »Tut mir leid, dass Sie so schlechte Erfahrungen mit unserem Club gemacht haben. Vermutlich ist es das Beste, wenn Sie nicht wiederkommen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schlüpfte sie zurück in den Club, schloss die Tür zwischen ihnen und verriegelte sie. Bis ihm klar wurde, dass sie nicht die Absicht hatte, ihn wieder hereinzulassen, war sie schon am anderen Ende der Lobby.
Carlos stieß einen Pfiff aus. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir es schaffen, ihn vor die Tür zu setzen, ohne dass die eine oder andere Nase gebrochen wird. Darunter meine. Wo hast du den Trick gelernt?«
»LAPD.«
»Verdammt, du bist ein Bulle?«
»War ich.«
»Wow.« Carlos sah sie an, als wäre sie eine Superheldin nur ohne roten Umhang. »Ich habe auch versucht, in die Akademie aufgenommen zu werden, aber es hat nicht geklappt. Warum bist du nicht mehr bei der Polizei?«
Rae ignorierte seine Frage und ging zurück zur Vordertür.
Das Adrenalin, das durch ihre Adern floss, ließ langsam nach und ihre Hände, die während der Auseinandersetzung ganz ruhig gewesen waren, begannen zu zittern. Sie schob sie in die Taschen ihrer schwarzen Anzughose, um sie vor Brandon zu verstecken.
Als der Besitzer des Clubs ihnen bedeutete, die Gäste für die Spätvorstellung hereinzulassen, hatten ihre Nerven sich beruhigt. »Du kümmerst dich um diese Schlange.« Sie zeigte auf die Leute, die ihre Karten online vorbestellt hatten. »Ich übernehme die da.« Sie deutete zu den Gästen, die hofften, Karten an der Kasse zu bekommen.
Brandons Mundwinkel zuckten, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er amüsiert grinsen oder das Gesicht verziehen sollte. »Hast du immer so einen Befehlston drauf?«
Seine Bemerkung erinnerte sie daran, was ihr Partner, Mike, immer gesagt hatte, wenn sie darauf bestand, selbst zu fahren. Einen Moment lang lächelte sie fast. »Ja. Gewöhn dich besser daran.« Sie trat vor, um den Ausweis des ersten Gastes zu kontrollieren und stichprobenartig nach Alkohol, Drogen oder Waffen zu suchen.
Während der vergangenen zwei Wochen war sie bei den Türkontrollen sehr effizient geworden und so dauerte es nicht lange, bis sie ihren Teil der Menge in den Club geschleust hatte. Nur ein Springmesser und zwei Flachmänner mussten draußen bleiben.
Gerade als sie ihren Kollegen helfen wollte, den Gästen ihre Plätze zuzuweisen, lief eine weitere Kundin auf sie zu. Die Frau war Ende zwanzig und versuchte, sich mit einem »Hallo« und einem charmanten Grinsen an Rae vorbeizuschieben.
Doch davon ließ Rae sich nicht beeindrucken. Sie versperrte ihr mit ihren breiten Schultern den Weg. »Ich möchte Ihren Ausweis sehen und die Eintrittskarte kostet zwanzig Dollar, Ma’am.«
»Ich bin nicht hier, um mir die Vorstellung anzusehen«, sagte die Frau. »Ich bin selbst Komikerin.«
Rae sah hinüber zu dem Plakat, dann zu der schlanken Frau vor ihr. Blondes Haar fiel ihr in ungebändigten Wellen auf die Schultern und ein Zick-Zack-Scheitel verlieh ihr ein zerzaustes Aussehen, so als wäre sie eben erst aus dem Bett gekrochen. Ihr Gesicht war zugegebenermaßen hübsch, doch es befand sich nicht auf dem Poster. »Sie sind keine der Künstlerinnen, die heute auftreten.«
»Nicht heute Abend, aber einer meiner Freunde spielt nachher. Ich wollte nur kurz Hallo sagen.« Die Blondine reckte sich zu ihren vollen eins siebzig, um über Raes Schulter hinweg auf eines der Fotos auf dem Plakat zu deuten. »Gabriel Benavidez.«
Der Name stand tatsächlich da. Vermutlich hatte die Blondine ihn abgelesen. Auf so einen uralten Trick würde Rae nicht hereinfallen. »Ausweis und Eintrittsgeld, bitte.«
»Ach, kommen Sie schon. Comedians werden immer umsonst reingelassen.« Ein schelmisches Grinsen schlich sich auf das Gesicht der Blondine. »Soll ich Ihnen einen Witz erzählen, damit Sie mir glauben, dass ich Komikerin bin?«
Rae verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war nicht in der Stimmung, stundenlang mit dieser Unruhestifterin herumzudiskutieren. Wenn sie glaubte, sie könne sich ohne Bezahlung in den Club mogeln, nur weil sie niedlich aussah, hatte sie sich geschnitten. »Nein danke. Ich bin sicher, Sie sind umwerfend komisch«, sagte sie ohne den Anflug eines Lächelns. »Aber ich bin Türsteherin, keine Talentsucherin.«
»Ist da drüben alles in Ordnung?«, rief Brandon.
Rae knirschte mit den Zähnen. Sie verabscheute es, dass er glaubte, ihr zu Hilfe kommen zu müssen. »Alles bestens.«
Eine unerwartete Berührung an ihrer linken Schulter ließ sie zusammenzucken. Sie wirbelte herum und erhaschte einen Blick auf Brandon, der nur wenige Zentimeter hinter ihr Stellung bezogen hatte.
Beruhig dich, befahl Rae ihrem kampfbereiten Körper und zwang sich, ihre Fäuste zu öffnen. »Verdammt noch mal, Zimmerman. Zieh Leine. Ich hab dir doch gesagt, dass alles in Ordnung ist.«
»Ähm, Leute, können wir uns bitte alle entspannen?«, fragte die Blondine. »Ich wollte nur Gabe Hallo sagen.«
»Bist du das, Steph?« Brandon reckte den Hals, sodass er um Rae herumspähen konnte.
Die Blondine lächelte ihn an. »Wie ich leibe und lebe. Hast mich wohl vermisst, was?«
Brandon grinste. »Ja. Vermutlich nicht so sehr wie der Chef es vermisst hat, dass du jede Woche bei ihm im Büro auftauchst und ihn um einen Kurzauftritt anbettelst.«
»Hey, ich bettle nicht.« Die Blondine zwinkerte ihm zu. »Außer es ist eine heiße Person mit talentierten Fingern involviert.«
Brandon lachte sich schlapp, griff um Rae herum und zog die Blondine an ihr vorbei. »Lass sie rein, Rae. Sie ist Komikerin und total harmlos.«
Rae starrte ihnen finster nach. Es gefiel ihr gar nicht, dass Brandon sich in ihre Arbeit einmischte. Von wegen harmlos. Sie würde die Blondine auf jeden Fall im Auge behalten.
~ ~ ~
Steph ging an den gerahmten Porträtfotos berühmter Komiker vorbei, die schon hier aufgetreten waren. Ein paar waren hinzugekommen, seit sie das letzte Mal hier gewesen war, und sie nahm sich fest vor, dass eines Tages ihr Bild an der Wand des Clubs hängen würde.
Brandon ging langsamer. »Du kennst dich hier immer noch aus, oder? Ich möchte nach Carlos sehen, bevor die Vorstellung beginnt. Er ist neu und weiß noch nicht so richtig, wie die Dinge hier laufen.«
»Klar, mach nur. Danke, dass du mich an Frau Dobermann vorbeigeschleust hast.« Sie deutete zum Eingang. Schon erstaunlich, wie viel sich innerhalb weniger Monate verändert hatte. Als Steph im Juni für eine Woche hier aufgetreten war, hatte der Club noch keine weiblichen Sicherheitskräfte gehabt. Normalerweise fand Steph Frauen in von Männern dominierten Berufen richtig gut und sie musste zugeben, dass Frau Dobermann mit ihren breiten Schultern und der schlanken Taille ausgesprochen heiß in Anzug und Krawatte aussah. Trotzdem war sie sich nicht sicher, ob die Neue tatsächlich eine gute Ergänzung für das Sicherheitspersonal war. Steph verabscheute Menschen, die ihr kleines bisschen Macht missbrauchten, und genau das hatte die Türsteherin ihrer Meinung nach getan.
Brandon grinste. »Kein Problem. Sie ist auch noch neu und will sich vermutlich beweisen. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ›Hunde, die bellen, beißen nicht‹ auf sie zutrifft, aber da bin ich mir nicht so sicher. Sie ist ein harter Brocken.« Es klang wie ein Kompliment. »Ich muss weiter. Bis später.«
Als er davonging, schlenderte Steph an der Bar vorbei, schlüpfte hinter einen Vorhang und marschierte dann einen schmalen Gang hinab.
In der Künstlergarderobe war alles beim Alten geblieben. Zwei Komiker lümmelten auf den abgenutzten Sofas und versuchten, sich gegenseitig mit Geschichten darüber zu übertrumpfen, wie sie auf der Bühne baden gegangen waren. Ein weiterer Comedian saß in der Ecke und murmelte seinen Text vor sich hin. Ein vierter Kollege starrte hinauf zu den gerahmten Covern von Comedyalben, als hätte er noch nie etwas Faszinierenderes gesehen.
Stand er unter Drogen? Steph schüttelte den Kopf. Zwar hatte sie früher ab und zu Gras geraucht, aber während einer Vorstellung high zu sein, war keine gute Idee.
Die Kühlschranktür wurde zugeschlagen und Gabe tauchte auf. In einer Hand hielt er ein Bier, in der anderen einen Zettel, auf dem er sich vermutlich die Reihenfolge der Witze in seiner Nummer notiert hatte. Als er Steph sah, legte er beides beiseite, durchquerte den Raum und zog sie in eine Umarmung. »Steph! Du bist wieder da!«
Der vertraute Duft seines Rasierwassers stieg ihr in die Nase und sie glaubte sogar, einen Hauch von Butter, Zimt und Zucker wahrzunehmen, der von den selbst gemachten Churros seiner Mutter stammte.
Nach einer Weile ließ er los und trat zurück, um sie zu mustern. »Wow, du siehst beschissen aus.«
Steph lachte. »Mann, bist du charmant. Das muss wohl der Grund sein, warum ich mit dir Schluss gemacht habe.«
»Schluss gemacht?« Er stieß sie mit dem Ellbogen an, aber sein Ton war belustigt, ohne jede Spur von Bitterkeit. »Nennt man das jetzt so, wenn man sich am nächsten Morgen davonschleicht, ohne eine Nachricht zu hinterlassen?«
»Ach, komm schon. Als ob du mich mit nach Hause nehmen und deiner Mutter vorstellen wolltest.«
»Meine Mutter kennt dich schon.«
Steph winkte ab. »Du weißt, was ich meine.«
»Ja, ja, ja. Aber im Ernst, du siehst beschissen aus. Hast du dir in Iowa das Schlafen abgewöhnt?«
»Idaho«, sagte Steph. »Ich bin nach dem letzten Auftritt nicht geblieben, sondern hab mich sofort auf den Rückweg gemacht. Nach einem Drittel der Strecke konnte ich nicht mehr und hab mir ein Hotelzimmer genommen.«
»Wie lange bleibst du diesmal?«, fragte Gabe.
»Für immer. Meine Uhr tickt. Ticktack, ticktack.«
Gabes Unterkiefer klappte herab. »Du willst ein Baby? Im Ernst?«
»Himmel, nein!« Steph lachte. »Kannst du dir mich als Mutter vorstellen? Ich würde das arme Kind wahrscheinlich innerhalb einer Woche umbringen. Spätestens wenn ich es das erste Mal mit etwas füttere, was ich gekocht habe.«
»Was soll dann das Ticktack?«
»Ich habe nicht von meiner biologischen Uhr gesprochen«, antwortete Steph. »Ich spreche von meiner professionellen Uhr. Als ich damals mit Stand-up-Comedy angefangen habe und mir jeder gesagt hat, dass man davon nicht leben kann, gab ich mir zehn Jahre Zeit, um allen das Gegenteil zu beweisen. Ich habe mir vorgenommen, bis zu meinem dreißigsten Geburtstag meinen großen Durchbruch zu schaffen.«
Gabe zählte die Monate bis zu ihrem Geburtstag im März an seinen Fingern ab und stieß dann einen leisen Pfiff aus. »Das sind nur noch vier Monate. Bloß kein Druck. Ich schätze, das heißt, du willst hier in L.A. sofort wieder durchstarten und morgen mit mir zu ein paar Open-Mic-Auftritten gehen?«
»Sehr gern. Aber zuerst muss ich einen Mitbewohner finden, der vorgibt, die Liebe meines Lebens zu sein«, sagte Steph grinsend.
Gabe starrte sie an. »Wie bitte?«
»Ist eine lange Geschichte. Ich erzähle dir die Einzelheiten später. Die Kurzversion ist, dass ich eine Chance auf eine Wohnung gleich um die Ecke habe, sie mir aber ohne Mitbewohner nicht leisten kann.«
Gabe seufzte. »Irgendwas läuft hier falsch, oder? Ohne unsere beiden Mitbewohner könnten Yolanda und ich uns unsere Bude auch nicht leisten.«
»Ich will die Wohnung unbedingt. Dann könnte ich zwei oder drei Auftritte in verschiedenen Clubs am selben Abend spielen, ohne stundenlang im Stau zu stecken.«
Gabe warf ihr einen sehnsuchtsvollen Blick zu. »Mann, das klingt toll. Ich würde ja selbst bei dir einziehen, aber das würde Yolanda vermutlich nicht gefallen.«
So viel stand fest. Seine Freundschaft mit Steph gefiel Gabes Lebensgefährtin nicht, obwohl Stephs One-Night-Stand mit ihm schon lange vor Yolandas Zeit passiert war.
»Tja, ich schätze, dann muss ich wohl mein Glück im Internet versuchen.« Sie rümpfte die Nase. Das letzte Mal, als sie online nach einem Mitbewohner gesucht hatte, war einer der Bewerber mit einem ganzen Zoo voller Haustiere aufgetaucht, während ein anderer ihre Annonce wohl mit den Sexanzeigen verwechselt hatte.
»Moment mal«, sagte Gabe. »Ich glaube, Rae sucht nach einer Bleibe in der Nähe des Clubs.«
»Ray?«, wiederholte Steph.
»Ja, einer der Neulinge beim Sicherheitspersonal.« Er deutete zum Eingang.
»Hm, gute Idee. Der Club überprüft alle Bewerber, bevor sie eingestellt werden. So wüsste ich zumindest, dass ich nicht mit einem Massenmörder zusammenziehe.«
»Zumindest nicht mit einem Massenmörder, der geschnappt und verurteilt wurde«, scherzte Gabe.
»Stimmt. Wenn er clever genug ist, um einer Verhaftung zu entgehen, hat er sein Leben hoffentlich so weit im Griff, dass er auch seinen Teil der Miete pünktlich bezahlt. Wo finde ich diesen Ray?«, fragte Steph. »Arbeitet er heute?«
»Ja, aber genau genommen ist Rae kein –«
Einer der Assistenten des Clubbesitzers warf einen Blick in die Garderobe. »Benavidez, Sie sind dran.«
Von draußen drang die Stimme des Moderators herüber, der Gabe ankündigte.
Gabe schnappte sich seinen Spickzettel und hielt auf den kurzen Gang zu, der von der Garderobe zur Bühne führte. Dann blieb er stehen und sah zu Steph zurück. »Rae ist –«
»Schon okay. Ich finde ihn sicher.« Steph machte eine scheuchende Handbewegung. »Geh da raus und zeig allen, was du drauf hast.«
Gabe grinste. »Mach ich. Ruf mich morgen mal an. Aber nicht vor Mittag.«
Dann war er weg. Applaus erklang aus dem Saal, als die Zuschauer ihm einen herzlichen Empfang bereiteten.
Steph wünschte, sie stände an seiner Stelle auf der Bühne und brächte die Menge in einem der größten Comedyclubs der Stadt zum Lachen. Nun ja, sie würde dieses Ziel irgendwann erreichen, aber zuerst musste sie sich um die Wohnung kümmern. Es war an der Zeit, mit Ray zu reden.
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Als Steph die Garderobe verließ, war nur noch Brandon in der Lobby.
»Hey, Brandon, kannst du mir sagen, wo dein neuer Kollege ist?« Dann fiel ihr ein, dass der Club mehrere neue Türsteher eingestellt hatte. »Ich meine Ray.«
»Irgendwo draußen«, sagte Brandon. »Ein paar Mädels von einem Junggesellinnenabschied haben zu viel getrunken und brauchen ein Taxi.«
Steph hasste Junggesellen- und Junggesellinnenabschiede. Die Gäste waren oft schon zu Beginn der Vorstellung betrunken und erwarteten, dass sich alles nur um sie drehte. Ihnen ging es nicht um gute Comedy.
Wenn Ray mit einer solchen Gruppe zurechtkam, würde er vielleicht auch vor einer Scheinbeziehung nicht zurückschrecken.
»Danke. Dann bis nächste Woche.« Sie winkte Brandon zu und stieß die Glastür auf.
Frau Dobermann stand an der Bordsteinkante und sah einem Taxi nach, das eben davonfuhr, doch von Ray gab es weit und breit keine Spur.
Dann sah Steph genauer hin. Im orangefarbenen Licht einer Neonreklame konnte sie eine wuchtige Gestalt erkennen, die sich an das Gebäude lehnte. Der schwarze Anzug verschmolz beinahe mit der fast vollständigen Dunkelheit, aber die glimmende Spitze einer Zigarette verriet seine Position.
Igitt. Ray raucht. Steph konnte damit umgehen, solange er nur in seinem eigenen Zimmer rauchte. Aber Zungenküsse, um ihrem Vermieter eine Beziehung vorzugaukeln, kamen definitiv nicht infrage.
Sie ging zu ihm hinüber und räusperte sich.
»Mist.« Er warf seine Zigarette weg und wedelte verzweifelt mit der Hand, um den Rauch zu verteilen, wie ein Jugendlicher, der von seinen Eltern beim Kiffen erwischt worden war. Dann atmete er auf und ließ sich gegen die Hauswand sinken. »Mann, ich dachte, du wärst der Chef. Er mag es nicht, wenn wir auf dem Clubgelände rauchen.«
»Nein, ich bin’s nur. Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Hast du nicht. Aber ich bin neu hier und will nicht gleich im ersten Monat Schwierigkeiten bekommen.« Er fuhr sich mit der Hand über seine raspelkurzen Haare. Von irgendwoher förderte er eine Packung Zigaretten zutage und hielt sie ihr hin. »Willst du eine?«
»Nein danke«, sagte Steph. »Ich bin hier, weil mein Freund Gabe sagt, du suchst nach einer Wohnung in der Nähe des Clubs. Ich weiß von einer Dreizimmerwohnung, die wir uns teilen könnten. Hast du Interesse?«
Er erstarrte mit dem Feuerzeug auf halbem Weg zur Zigarette, die zwischen seinen Lippen klemmte. »Ähm …«
»Sie ist ganz in der Nähe«, fügte Steph hinzu. Warum sah er sie an, als hätte sie ihm ihre Dienste als Auftragskillerin angeboten?
»Ich glaube, das wäre keine gute Idee«, murmelte er um die unangezündete Zigarette herum. »Ich habe eine Freundin und sie hätte sicher etwas dagegen, wenn ich mit einer anderen Frau zusammenziehe.«
»Oh.« Steph kicherte, um ihre Verlegenheit zu überspielen. »Tut mir leid, Ray. Das hat Gabe nicht erwähnt.«
Wieder starrte er sie an. Sein Mund stand offen, sodass er Gefahr lief, auch seine zweite Zigarette zu verlieren. »Wie es aussieht, hat Gabe auch vergessen, etwas anderes zu erwähnen.«
»Was denn?«
Endlich nahm er die Zigarette aus dem Mund. »Mein Name ist Carlos.«
Was zum Teufel war hier los? Steph blinzelte zu ihm auf. »Wer ist dann Ray?«
»Das bin ich«, kam eine tiefe, aber eindeutig weibliche Stimme aus der Dunkelheit hinter Steph.
Sie wirbelte herum.
Frau Dobermann stand mit verschränkten Armen vor ihr. Die Neonreklame warf flackernde Lichter auf ihr markantes Gesicht, dessen Ausdruck Steph warnte, ihr bloß nicht blöd zu kommen.
»D-Du? Aber ich dachte …« Steph sah zwischen Frau Dobermann und ihrem Kollegen hin und her. »Du bist Ray?«
»Sieht ganz so aus.« Frau Dobermann pochte auf das Namensschild, das am Revers ihrer Anzugjacke befestigt war.
Vorhin hatte Steph es nicht beachtet. Jetzt kniff sie die Augen zusammen, um es im schwachen Licht der Leuchtreklame lesen zu können.
Rae, stand dort geschrieben. Mit e, nicht mit y.
Schöne Scheiße.
Frau Dobermann … oder vielmehr Rae musterte sie mit undurchdringlicher Miene. »Hast du ein Problem damit?«
Steph hob abwehrend beide Hände. »Oh, nein, nein. Es ist nur …« Sie würde Gabe umbringen, sobald sie ihn in die Finger bekam. Langsam und qualvoll.
»Ich gehe mal nachsehen, ob Brandon Hilfe dabei braucht, nach Zwischenrufern Ausschau zu halten.« Carlos schob sich an ihnen vorbei und eilte davon.
Rae rührte sich nicht. Sie fixierte Steph noch immer mit ihrem kühlen Blick. Im Halbdunkel vor dem Club konnte Steph ihre Augenfarbe nicht erkennen, aber etwas an ihren Augen kam ihr seltsam vor, nur konnte sie nicht sagen, was es war. Vielleicht täuschte der Eindruck auch.
»Du hast nach mir gesucht«, sagte Rae. »Und du hast mich gefunden. Was willst du?«
Meine Güte, die nahm kein Blatt vor den Mund! Steph zögerte. Sollte sie ihren Plan trotzdem durchziehen? Sie holte tief Luft. Ja, warum nicht? Zwar hatten sie einander auf dem falschen Fuß erwischt und würden vermutlich nie gemeinsam auf der Couch sitzen und Netflix schauen, aber das hieß nicht, dass sie keine WG gründen konnten. In Beverly Grove, wo die Wohnung lag, hatte es in den letzten Jahren häufig Einbrüche gegeben. Wenn sie ihrem Vermieter Rae als Sicherheitsexpertin anpriesen, hatten sie bessere Chancen, die Wohnung zu bekommen.
Aber diesmal würde sie es anders angehen, um sich nicht ein zweites Mal so wie bei Carlos zu blamieren. »Hast du eine Freundin?«
»Wie bitte?« Es klang wie ein Knurren.
»Oder einen Freund?«, fügte Steph schnell hinzu. Mit ihren markanten Gesichtszügen, der Statur einer Schwimmerin und ihren kurzen, schwarzen Haaren sah Rae aus wie eine Lesbe, aber Steph wollte keinem Vorurteil zum Opfer fallen. Immerhin gab es auch viele tough aussehende Heterofrauen oder Rae könnte bi- oder pansexuell sein.
»Wenn das dein Versuch ist, mir einen Witz zu erzählen, dann bist du komplett gescheitert.« Rae machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zur Tür, ohne Zweifel mit der Absicht, sie hinter sich zu schließen und Steph draußen stehen zu lassen.
»Warte!« Steph lief ihr nach und griff nach Raes Arm, um sie aufzuhalten.
Rae erstarrte. Die Muskeln ihres Unterarms schienen sich unter Stephs Fingern in einen Betonblock zu verwandeln. Langsam drehte Rae den Kopf und sah auf Stephs Hand herab. Ihr Blick hatte die Intensität eines Laserstrahls.
Steph zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. »Hör zu, ich weiß, dass ich das falsch angegangen bin, aber bitte lass mich ausreden.«
Raes Haltung veränderte sich nicht, aber sie nickte Steph kurz zu, um anzudeuten, dass sie gewillt war, zuzuhören.
»Mein Freund Gabe sagt, du bist auf der Suche nach einer Wohnung in der Nähe des Clubs.«
Rae drehte sich um.
Ha! Jetzt hab ich dich! Steph verkniff sich ein triumphierendes Grinsen. Sie musste vorsichtig sein, um Raes Interesse nicht zu verlieren. »Ich hab von einer tollen Dreizimmerwohnung ganz in der Nähe gehört. Die Vormieter ziehen gerade aus und suchen nach jemandem, der den Mietvertrag übernimmt.«
»Wo ist der Haken?«, fragte Rae.
Unter Raes prüfendem Blick fiel es Steph schwer, nicht nervös mit den Füßen zu scharren. »Nun ja, die Miete beträgt mehr als zweitausend Dollar im Monat, deshalb suche ich einen Mitbewohner.«
»Mitbewohner.« Rae neigte den Kopf. »Du meinst, du und ich sollen zusammenziehen?«
Steph schürzte die Lippen. Die Art, wie Rae das gesagt hatte, so als wäre es ein ihr völlig unbekanntes Konzept, war beinahe süß. »Ja, das ist normalerweise das, was man unter einem Mitbewohner versteht.«
Rae zog die Augenbrauen zusammen. »Wenn ich zustimme, muss ich dann damit rechnen, dass du immer so eine Klugscheißerin bist?«
»Um ehrlich zu sein, ja. Meine Familie sagt, ich habe keinen Ausschalter.« Steph bedachte sie mit ihrem charmantesten Lächeln, aber Raes Gesichtsausdruck blieb unbewegt. »Also? Hast du Interesse?«
»Wie weit entfernt vom Club ist denn die Wohnung?«
»Man kann bequem zu Fuß gehen.«
Raes grimmige Miene erhellte sich. Sie rieb sich ihr ausgeprägtes Kinn. »Und ich hätte ein eigenes Zimmer?«
»Ja, natürlich«, sagte Steph. »Aber offiziell wäre es das Gästezimmer oder ein Büro.«
»Wie bitte?«
Mist. Sie hätte Rae fast gehabt, doch jetzt sah Rae sie wieder mit dieser misstrauischen Miene an. »Der Vermieter ist scheinbar ein ziemliches Arschloch. Ich meine, ich kenne ihn nicht, aber er besteht darauf, nur an Paare zu vermieten. Deshalb dachte ich mir, dass du und ich …«
»Vergiss es«, sagte Rae.
»Na, herzlichen Dank. Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du dem Ego einer Frau nicht gerade schmeichelst?« Steph streckte die Hand aus, um ihr einen Klaps zu geben, zog sie dann aber rasch wieder zurück. Spielerisch warf sie sich in die Brust. »Nur damit du es weißt, es gibt mindestens ein Dutzend Leute im ganzen Land verteilt, die liebend gern mein Partner oder meine Partnerin wären.«
Rae hob die Augenbrauen. »Wenn du so heiß begehrt bist, warum fragst du dann keinen dieser unzähligen Leute, ob sie mit dir zusammenziehen?«
»Weil ich nicht der Beziehungstyp bin und keinen falschen Eindruck vermitteln will«, sagte Steph. »Du und ich würden nur vor dem Vermieter so tun, als wären wir ein verliebtes Paar. Sobald der Mietvertrag unterschrieben ist, kannst du mich wieder finster anblicken.«
Rae starrte hinaus in die Dunkelheit in Richtung der flackernden Leuchtreklamen auf der Melrose Avenue.
Steph wartete und machte sich auf eine Absage gefasst.
Nach einer Weile, die ihr wie eine Stunde vorkam, aber vermutlich nur Sekunden dauerte, wandte Rae ihre Aufmerksamkeit wieder Steph zu. »Na schön.«
»Na schön?« Steph hüpfte auf und ab. »Du machst es also?«
»Nur wenn mir die Wohnung gefällt und du darauf verzichtest, mich zu umarmen.«
Steph erstarrte, denn sie war gerade drauf und dran gewesen, genau das zu tun. »Keine Umarmungen. Verstanden. Ähm, na ja, aber vielleicht muss ich dich umarmen oder deine Hand halten, wenn wir uns mit dem Vermieter treffen. Wir wollen doch vermeiden, dass er denkt, wir wären kurz vor der Trennung, oder?«
Rae seufzte. »Stimmt.«
»Super. Schön, dass du das genauso siehst.« Steph strahlte sie an. »Willst du mir deinen Namen und deine Handynummer geben?«
Rae sah sie nur an.
»Himmel, ich versuche nicht, dich anzumachen. Ich brauche deine Nummer, damit ich dich anrufen kann, wenn ich ein Treffen mit dem Vermieter vereinbart habe. Außerdem geben wir kein glaubwürdiges Paar ab, wenn wir einander mit ›hey, du da‹ ansprechen.«
»Deine Familie hat recht. Du hast keinen Ausschalter«, grummelte Rae. Sie nahm das Handy, das Steph ihr hinhielt, und fügte ihren Namen und ihre Nummer zu den Kontakten hinzu. Dann schickte sie sich eine SMS, sodass sie Stephs Handynummer hatte.
Steph nahm ihr Handy entgegen und blickte auf das Display. »Freut mich, dich kennenzulernen, Rae Coleman. Ich bin Stephanie Renshaw.« Sie hielt ihr die Hand hin, aber Rae nickte ihr lediglich zu. »Wow. Schätze, wir machen das wirklich.«
»Sieht wohl so aus.«
»Na dann.« Steph beschloss, lieber zu gehen, bevor Rae es sich anders überlegen konnte. »Ich rufe dich an, sobald ich etwas mit dem Vermieter vereinbart habe.«
Rae nickte erneut.
Als Steph auf ihr Auto zuging, spürte sie, wie Raes Blick ihr folgte.
»Stephanie«, rief Rae.
Sie drehte sich um und grinste. »Sag bitte Steph. Wenn du mich Stephanie nennst, denke ich, dass ich in Schwierigkeiten stecke.«
»Irgendwie habe ich das Gefühl, das kommt öfter vor«, sagte Rae.
»Ach, bist du jetzt auch Komikerin?«, fragte Steph.
Rae schnaubte. »Nein danke. Ich wollte nur deine Frage von vorhin beantworten.«
»Welche Fra –?« Dann fiel es Steph wieder ein. »Ach, die Frage, ob du eine Freundin oder einen Freund hast?«
»Ja«, sagte Rae. »Ich habe keine.«
»Falsch gedacht. Du hast jetzt eine Freundin, Schatz.« Steph warf ihr eine Kusshand zu und schlenderte davon.
Kapitel 3
Was zum Teufel hatte sie sich da eingebrockt? Selbst Stunden später konnte Rae immer noch nicht fassen, dass sie Stephs bizarrem Plan zugestimmt hatte. Ihr Leben war schon kompliziert genug. Warum hatte sie nicht einfach Nein gesagt?
Der Gedanke daran, mit jemandem zusammenzuwohnen, insbesondere mit jemandem, der nicht unterschiedlicher hätte sein können, bereitete ihr Unbehagen. Sie war daran gewöhnt, allein zu leben und alles auf ihre Weise zu handhaben. Außerdem würde sie so tun müssen, als wäre sie in Steph verliebt und glücklich mit ihr.
Glücklich. Verliebt. Sie hatte vergessen, wie sich beides anfühlte. Warum um alles in der Welt hatte sie geglaubt, dass sie eine glücklich Verliebte mimen konnte?
Seufzend stieg sie in ihren SUV.
Gerade als sie den Schlüssel im Zündschloss drehte, zerbarsten die ersten Regentropfen auf der Windschutzscheibe.
Na toll. Rae schickte einen anklagenden Blick zum Nachthimmel. Von wegen ›It never rains in Southern California‹.
Früher hatte sie sich über die leichten Regenschauer gefreut, die es im Winter manchmal in L.A. gab, aber bei Regen war es noch schwieriger, im Dunkeln zu fahren.
Schweiß stand ihr auf der Stirn, als sie langsam zurücksetzte. Sie hasste es, dass eine so einfache Aufgabe wie das Ausparken ihr immer noch solche Schwierigkeiten bereitete. Den Großteil der vergangenen acht Monate hatte sie damit verbracht, sich an ihre veränderte Situation zu gewöhnen. Sie hatte erst nach einem neuen Job gesucht, als sie nicht mehr ständig gegen Türrahmen gelaufen war oder beim Eingießen Getränke verschüttet hatte. Nur ihre Tiefenwahrnehmung war unverändert schlecht, besonders nachts, wenn es keine Schatten gab, anhand derer sie die Entfernung von Objekten einschätzen konnte. Ihr Gehirn rief ihr zu, sie sei im Begriff, gegen die Stoßstange eines anderen Autos zu prallen, doch die Einparkhilfe-Kamera verriet, dass der Wagen weiter weg war, als es schien.
Schließlich schaffte sie es, den Subaru auf die Straße zu lenken. Sie versuchte, die blendenden Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos zu ignorieren, als sie zu ihrer kleinen Wohnung in Silver Lake fuhr.
Genau das war der Grund, warum sie Stephs tollkühnem Plan zugestimmt hatte.
Wenn sie die Wohnung tatsächlich bekamen, würde sie nachts nicht mehr fahren müssen. Sie könnte zu Fuß zur Arbeit und zurück gehen. Das wäre all die Unannehmlichkeiten wert, die dieses Arrangement mit sich brachte.
Aber Rae wollte sich nicht zu viel versprechen. Möglicherweise würde sich die Wohnung als überteuerte Müllhalde mit einem undichten Dach, einer kaputten Klimaanlage und unzähligen Drogendealern in der Nachbarschaft erweisen. Bei ihrem Glück würde sich Steph als nervtötende Mitbewohnerin herausstellen. Wie normal konnte eine Frau schon sein, die einen solchen Plan ausheckte?
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Am Sonntagmorgen eilte Steph auf das Café zu, in dem sie sich mit Rae treffen sollte. »Tut mir leid, ich kann nicht lange reden«, sagte sie ins Handy. »Ich bin mit meiner Freundin verabredet.«
Einige Sekunden lang drang nur das Bellen eines Hundes durch das Handy. »Mit deiner Freundin?« Penny schrie fast. »Was ist in Idaho passiert? Drogen? Gehirnwäsche? Irgendeine seltsame Sekte?«
Steph lachte. »Okay, ich gebe es zu. Es ist nur vorgetäuscht.«
»Vorgetäuscht?«, wiederholte Penny. »Also weißt du, Steph, so viel wollte ich eigentlich nicht über das Sexualleben meiner besten Freundin wissen. Nicht, dass ich nicht ohnehin schon jede Einzelheit wüsste, denn du bist alles andere als schüchtern, wenn es darum geht, über deine Abenteuer zu reden.«
Steph warf spielerisch ihr Haar zurück. »Du bist doch bloß eifersüchtig.«
»Pah! Du weißt genau, dass ich Hunde den Frauen vorziehe.« Penny hielt inne. »Äh, das klang jetzt irgendwie pervers. Du weißt schon, was ich meine. Ein Hund wird dir nie das Herz brechen oder dich mit seinem PMS wahnsinnig machen.«
»Genau das sag ich doch auch immer. Ein Hund ist mir auch lieber als eine Beziehung.« Ein einziges Mal in ihrem Leben hätte Steph gern eine feste Beziehung gehabt, doch es hatte damit geendet, dass sie vielen Menschen, an denen ihr etwas lag, wehgetan hatte.
»Apropos Hunde …« Steph hatte das Blue Bottle Café jetzt erreicht und blieb vor der Tür stehen, um das Gespräch zu beenden. »Glaubst du, deine Kunden würden sich über einen gut aussehenden, freundlichen und bescheidenen Hundeausführer freuen?«
»Ganz bestimmt. Aber ich dachte, Gabe ist allergisch gegen Hunde.«
Steph konnte das breite Grinsen auf Pennys braungebranntem Gesicht förmlich vor sich sehen. »Ha, ha, ha. Du weißt genau, dass ich von mir gesprochen habe. Kann ich meine alten Kunden zurückhaben? Bitte, bitte.«
Penny antwortete nicht sofort. »Du hast mich ziemlich hängen lassen, als du im Januar spontan beschlossen hast, auf Tour zu gehen. Das ist den anderen Hundeausführern und vor allem den Hunden gegenüber nicht fair. Sie können nicht verstehen, warum du eines Morgens einfach nicht auftauchst.«
Steph sah zu Boden und versuchte, sich nicht vorzustellen, wie sich der arme Moose wohl gefühlt haben musste, als ihn eine andere Hundeausführerin abgeholt hatte. »Es tut mir leid. Ich verspreche, dass ich dieses Mal länger bleibe. Wer weiß? Wenn ich in vier Monaten noch nicht im Fernsehen war oder in den großen Clubs auftrete, könnte ich sogar Vollzeit für dich arbeiten. Wenn du mich als Angestellte haben willst.«
»Das würde mich freuen.« Sanfter fügte Penny hinzu: »Aber noch mehr würde ich mich freuen, wenn die Comedybranche endlich merken würde, wie lustig du bist, und all deine Träume in Erfüllung gehen.«
Diesmal fiel Steph kein Witz ein, mit dem sie überspielen konnte, wie gerührt sie war. »Wieso noch mal hast du keine Freundin?«
»Sag mir du lieber, warum du plötzlich eine hast«, gab Penny zurück. »Im Ernst, was hat es damit auf sich?«
»Ich schaue mir gleich eine Wohnung an. Mit den Vormietern bin ich mir schon einig geworden, aber der Vermieter will die Wohnung nur einem Paar überlassen, deshalb habe ich mir eine angebliche Freundin angelacht.«
Ein Paar mit einem Kinderwagen starrte sie im Vorbeigehen an.
Penny atmete lautstark aus. »Manchmal kommen dir Ideen.«
»Hey, die Idee stammt nicht von mir. Erinnerst du dich noch daran, was Claire herausgerutscht ist, als du sie an ihrem letzten Geburtstag betrunken gemacht hast?«
»Zum tausendsten Mal, ich habe sie nicht betrunken gemacht. Sie hatte höchstens einen kleinen Schwips und ich habe ihr lediglich eine Flasche Rotwein geschenkt, weil ich keine Ahnung hatte, was ich ihr sonst mitbringen sollte. Woher hätte ich wissen sollen, dass sie kaum etwas verträgt?«
»Wie dem auch sei«, sagte Steph. »Zumindest weißt du jetzt, dass meine Schwester dieselbe Idee hatte.«
»Ja. Sie wird ihre vorgetäuschte Freundin nächstes Jahr sogar heiraten«, sagte Penny.
Steph lachte. »Ich gebe zu, damit geht sie ein bisschen zu weit. Aber keine Sorge. Das wird mir nicht passieren, ganz egal, wie heiß meine angebliche Partnerin auch sein mag.«
»Ist sie denn heiß?«, fragte Penny.
Steph dachte kurz darüber nach. Ihr erstes Zusammentreffen war so feindselig gewesen, dass sie nicht darauf geachtet hatte, wie Rae aussah. Na schön, zumindest nicht länger als ein paar Sekunden. Natürlich war ihr Raes durchtrainierter Körper nicht entgangen. Jetzt spähte sie durch das Schaufenster des Cafés.
Es überraschte sie nicht, dass Rae bereits auf sie wartete. Sie saß mit dem Rücken zur Wand. Statt des schwarzen Hemds und der Krawatte von gestern Abend trug sie nun zur schwarzen Jeans ein weißes Hemd, das sich über ihren breiten Schultern spannte. Sie wirkte relaxter als auf der Arbeit, aber ihr Blick war wachsam und ständig in Bewegung.
Bei Tageslicht konnte Steph jetzt auch Einzelheiten erkennen, die ihr gestern Abend entgangen waren. Rae war einige Jahre älter, als sie angenommen hatte, vermutlich Mitte dreißig. Ihre Haare waren auch nicht schwarz, sondern dunkelbraun. Die Farbe erinnerte Steph an Kaffeebohnen. Ihre Kurzhaarfrisur betonte ihre hohen Wangenknochen und ihren markanten Kiefer. Durch den finsteren Ausdruck, den sie ständig zur Schau trug, wirkte sie zu einschüchternd, um sie hübsch zu nennen, aber sie war auf jeden Fall beeindruckend. Nur ihre vollen Lippen und ein paar widerspenstige Haarsträhnen, die ihr auf die Stirn fielen, verliehen ihr einen Hauch von Verletzlichkeit.
Als spürte sie Stephs Blick, drehte Rae den Kopf und sah sie an. Sie lächelte oder winkte nicht. Sie blickte Steph nur mit dieser seltsamen Intensität an, die sie erschaudern ließ.
»Steph?«, fragte Penny. »Bist du noch da? Ist sie nun heiß oder nicht?«
»Ja, ich schätze schon. Zumindest, wenn man auf große Brünette mit finsterer Miene steht. Und das tue ich absolut nicht. Zumindest nicht auf die finstere Miene.« Steph wechselte das Handy ans andere Ohr und öffnete mit der rechten Hand die Tür. »Ich muss Schluss machen. Kann ich dich bei meinem Vermieter als Arbeitgeberin angeben?«
»Ja, klar. Ruf mich später an und wir erstellen einen Terminplan für dich.«
»Mach ich. Ach, Penny? Meinst du, ich könnte Moose zurückhaben oder ihn zumindest kurz sehen? Ich habe ihn echt vermisst.«
Penny seufzte in den Hörer. »Du hast Glück. Ich führe ihn im Moment selbst aus, weil seine Ausführerin gekündigt hat. Wenn du ihn zurückhaben willst, gehört er ab morgen wieder dir.«
»Danke.«
Als sie das Gespräch beendeten, zwang sich Steph, ihr breites Grinsen zu zügeln, und betrat das Café. Einen Moment blieb sie stehen und sah sich um.
Der helle Raum wirkte einladend mit seinen weiß gestrichenen Backsteinmauern und seinem minimalistischen Dekor. Sie ging hinüber zu dem kleinen, runden Tisch, den Rae ausgewählt hatte, und setzte sich ihr gegenüber. »Hallo. Danke, dass du gekommen bist.«
Rae nickte und rückte ihren Stuhl ein wenig zur Seite, als wollte sie die Tür im Auge behalten.
Steph grinste sie an. »Wartest du auf jemanden?«
»Nein«, sagte Rae ohne weitere Erklärung.
Steph sah zur Theke, wo eine Espressomaschine ein sanftes Zischen von sich gab. Ihr fiel ein, dass sie noch keinen Kaffee gehabt hatte. »Ich hole mir einen Latte. Kann ich dir etwas mitbringen?«
»Kaffee.«
Steph wartete, aber erneut fügte Rae nichts hinzu. Na toll. Scheinbar musste sie sich auf eine Mitbewohnerin gefasst machen, der sie jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen musste. »Willst du Milch und Zucker?«
»Nein. Nur schwarzen Kaffee.« Rae hielt ihr einen Fünf-Dollar-Schein hin und fügte zögernd hinzu: »Bitte.«
Steph schüttelte sich bei dem Gedanken an schwarzen, ungesüßten Kaffee. Zumindest würde Rae nicht die letzte Milch verbrauchen und die leere Tüte dann im Kühlschrank lassen, so wie einer ihrer früheren Mitbewohner.
Wenig später kam Steph mit einem Latte und einem schwarzen Kaffee für Rae zum Tisch zurück. »Möchtest du die Hälfte?« Sie hielt ihr den Schokoladenkeks hin, den sie sich geleistet hatte.
»Nein danke.«
»Gut. Dann bleibt mehr für mich. Die sind wirklich lecker.« Steph nahm einen großen Bissen und musterte Rae, während sie kaute.
Rae hielt ihrem Blick stand. Ein paar kreisrunde Narben auf ihrer Stirn wirkten, als hätte sie irgendwann die Pocken gehabt. Das Braun ihrer Augen war eine Spur heller als das ihrer Haare, und das linke Auge schien sich weniger zu bewegen als das rechte. Rae stellte ihre Tasse ab und richtete sich auf, als wäre ihr Stephs prüfender Blick unangenehm. »Was ist?«
»Nichts.« Steph wollte sie nicht noch mehr in die Defensive treiben, indem sie ihr Schielen erwähnte. »Kann ich es nicht einfach nur genießen, die Frau, die ich liebe, bewundernd anzuschauen?« Sie klimperte mit den Wimpern.
Von Rae kam keine Reaktion, nicht einmal ein Zucken ihrer Mundwinkel. Sie hielt ihre Tasse mit beiden Händen umfasst, während sie Steph über den Tisch hinweg beobachtete. Ihre Hände waren ziemlich groß für eine Frau, sodass die Tasse wie aus einem Puppenhaus wirkte. »Warum wolltest du, dass wir uns um zehn treffen, obwohl wir mit dem Vermieter erst um elf verabredet sind?«
»Nun ja …« Steph wedelte mit der Hand und verteilte dabei Kekskrümel auf dem gesamten Tisch. »Ich dachte, wir könnten einander etwas näher kennenlernen.«
Rae sah sie misstrauisch an. »Sag nicht, du gehörst zu der Sorte Mitbewohner, die wie eine Klette an mir klebt und unbedingt gemeinsam einkaufen und essen will.«
»Keine Sorge. Das wäre mir viel zu häuslich. Ich meine einfach nur, wir sollten einander ein bisschen kennenlernen, damit wir nachher dem Vermieter überzeugend vermitteln können, ein Paar zu sein.«
»In Ordnung.« Raes steife Körperhaltung zeigte jedoch, wie unangenehm die Situation ihr war. »Was willst du wissen?«
