Eisprinz - M.S. Kelts - E-Book

Eisprinz E-Book

M.S. Kelts

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Beschreibung

Nach einem schweren Unfall will Iver eigentlich nur eine Weile aus seinem stressigen Alltag aussteigen und in einer Hütte in den Highlands die Natur genießen. Aber eine örtliche Legende lässt ihn nicht los: Ein alter Fischer erzählt ihm die Geschichte des Eisprinzen, der erwacht, wenn der Frost sich über das Land legt – und kurz darauf steht eine gespenstische Gestalt vor Ivers Fenster. Der rätselhafte Murdo scheint zunächst nicht erfreut von der Anwesenheit des Fremden zu sein, hält sich aber trotzdem ständig in Ivers Nähe auf. Je mehr Zeit vergeht, desto näher kommen sich die beiden Männer, bis Murdo Iver schließlich sein größtes Geheimnis enthüllt. Kann Iver den Fluch lösen, der auf Murdo lastet, und ihnen beiden eine gemeinsame Zukunft ermöglichen?

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Seitenzahl: 312

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Oktober 2022

© 2022 by M.S. Kelts

Verlagsrechte © 2022 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Eching

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock; AdobeStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: Print Group Sp.z.o.o. Szczecin (Stettin)

Lektorat: Katherina Ushachov

ISBN-13: 978-3-95823-967-8

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

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Klappentext:

Nach einem schweren Unfall will Iver eigentlich nur eine Weile aus seinem stressigen Alltag aussteigen und in einer Hütte in den Highlands die Natur genießen. Aber eine örtliche Legende lässt ihn nicht los: Ein alter Fischer erzählt ihm die Geschichte des Eisprinzen, der erwacht, wenn der Frost sich über das Land legt – und kurz darauf steht eine gespenstische Gestalt vor Ivers Fenster. Der rätselhafte Murdo scheint zunächst nicht erfreut von der Anwesenheit des Fremden zu sein, hält sich aber trotzdem ständig in Ivers Nähe auf. Je mehr Zeit vergeht, desto näher kommen sich die beiden Männer, bis Murdo Iver schließlich sein größtes Geheimnis enthüllt. Kann Iver den Fluch lösen, der auf Murdo lastet, und ihnen beiden eine gemeinsame Zukunft ermöglichen?

Kapitel 1

Iver

Das Schiff, das mich von Mallaig nach Inverie bringt, ist fast am Ziel. Die See ist heute gnädig ruhig und die Wolkendecke reißt hin und wieder auf, taucht die nahe Küste in ein goldenes Licht und nimmt ihr die Rauheit.

Ich kann immer noch nicht glauben, dass meine dreimonatige Auszeit nach der ganzen Zeit der Vorbereitung und immensen Arbeit heute beginnt. Einmal Aussteigen für Anfänger hat mein Geschäftspartner Ian es noch gestern Abend genannt.

So ganz stimmt das nicht, immerhin werde ich nicht den Rest meines Lebens auf einer einsamen Insel oder dergleichen verbringen. Nur für eine begrenzte Zeit abseits der Zivilisation, was viele wahrscheinlich in wärmeren Gefilden und Luxusappartements planen würden. Aber das ist so gar nicht mein Ding. Ich mag es gern kühl, frisch und meinetwegen auch verregnet. Und dafür ist das Gebiet hier einfach perfekt. Das und die völlige Abgeschiedenheit meines neuen Domizils.

Als Kind und später als Jugendlicher war ich mit meinem Vater oft hier und schon damals hat mich die Liebe zu Knoydart gepackt. Und damit zu der Einsamkeit, der tiefen Stille und der Ursprünglichkeit, die dieser Ort verspricht. Die letzte Wildnis Schottlands. Absolut passend und ich weiß nicht, vielleicht beschloss mein Unterbewusstsein damals schon, dass ich irgendwann hier heimisch werde.

Na ja, heimisch ist übertrieben, aber immerhin durfte ich ein Stückchen Land und das alte, verfallene Haus darauf kaufen, in dem ich die nächsten Monate leben werde.

Das geht normalerweise nicht so einfach und war mit einer Bedingung verbunden. Knoydart ist ein geschütztes Gebiet und wird von einer Foundation verwaltet. Meine Abstammung hat mir zweifelsfrei sehr geholfen, meine Familie stammt hier aus der Gegend, auch wenn sie vor Jahrhunderten abgewandert sind. Aber hier gehen solche Informationen nicht verloren, das Andenken an unsere Vorfahren ist uns Schotten nun mal heilig.

Die Auflagen, um den Kauf zu tätigen, waren unter anderem der Wiederaufbau des verfallenen Hauses nach historischen Vorlagen, auch wenn ich moderne Elemente eingefügt habe. Außerdem gibt es einen Wandertrail, der von Kinloch Hourn nach Inverie führt. Er verläuft am nördlichen Ufer des Loch an Dubh-Lochain, an dessen gegenüberliegendem Ufer sich mein Haus befindet. Auf dem Trail befinden sich einige Schutzhütten, die versorgt und instandgehalten werden müssen, womit wir bei den weiteren Bedingungen des Grundstückskaufs angelangt wären.

Nun, da ich eine Baufirma betreibe und auch sonst handwerklich ein Profi bin, war es kein Problem, das zu übernehmen, auch wenn ich dabei Hilfe brauchte. Zum einen war es mein Gesundheitszustand, der es mir vor ein paar Wochen noch nicht möglich gemacht hätte, all die Vorbereitungen allein zu treffen, zum anderen der Aufbau des Hauses an sich, da die Außenwände stabilisiert und ein komplett neues Dach auf das Haus und den angrenzenden Stall gebaut werden musste. Von der kompletten Inneneinrichtung ganz zu schweigen. Denn auch wenn ich weder Strom, Satellitenempfang oder Handynetz habe, möchte ich nicht auf alle Annehmlichkeiten verzichten. Und aus dem Grund habe ich ein paar meiner Arbeiter über den Sommer abgestellt, um das zu übernehmen. So habe ich jetzt fließendes Wasser, dank eines Brunnens, einen Generator mit den dazugehörigen Leitungen ins Haus und einen nagelneuen Kaminofen sowie eine Antenne auf dem Stall für das Funkgerät.

Aber jetzt sind die Arbeiter weg, den Rest schaffe ich locker allein. Zeit dazu habe ich ja mehr als genug. Mein Plan, in Absprache mit meinen Ärzten und Therapeuten, ist es, die anfallende Arbeit sozusagen als Training zu nutzen. So kann ich jeden Tag meine Muskeln stärken und aufbauen, tue es aber nicht an lästigen Geräten, sondern indem ich Holz hacke, die Wände verschale und die neu eingebauten, großen Glasflächen von außen mit hölzernen Läden versehe. Und wenn ich keine Lust habe oder mein Rücken zwickt, kann ich einfach die Gegend erkunden oder wandern gehen.

Ich hoffe inständig, dass mein Körper gut auf die Auszeit anspricht. Zeit wäre es langsam, irgendwann will ich wieder auf den Bau und nicht im Büro versauern… Wir haben jetzt August und der blöde Unfall ist ein gutes Jahr her. Ein Jahr voller Schmerzen, Therapien und zwei Operationen. Ich bin auf einer Baustelle gestolpert und gestürzt. Im Grunde nichts Dramatisches, nur der Fall war dann extrem unglücklich.

Weiß der Geier, wie ich es geschafft habe, so perfekt mit dem Rücken auf einen Balken zu knallen, dass ich mir zwei Wirbelbrüche zugezogen habe. Für fast eine Woche war ich gelähmt und die Angst, nie wieder laufen zu können, beherrscht auch heute noch meine Erinnerungen an die erste Zeit. Die Angst, ein Krüppel zu sein, nutzlos und auf fremde Hilfe angewiesen, ebenso wie die unsäglichen Schmerzen, die mir mehr als deutlich machten, dass es sich nicht um einen Albtraum handelte.

Was sich in dieser Woche in meinem Kopf für Dramen abspielten, kann ich kaum beschreiben. Ich habe mich verflucht für meine Schusseligkeit, und die Ärzte, weil sie mir keine genaue Diagnose geben konnten – oder wollten. Jede Schwester, die mein Zimmer betrat, weil sie mich so mitleidig ansahen und behandelten. Von wildfremden Menschen gewaschen und versorgt zu werden, ist so demütigend, ich kann es gar nicht beschreiben, und war wirklich nicht dazu geeignet, meine Laune zu bessern.

Ian rückte mir mehr als einmal den Kopf zurecht und schaffte es, dass ich mich besser benahm und mich bei den Leidtragenden entschuldigte. Zum Glück war aber recht schnell klar, dass mein Rückenmark nur geprellt und nicht durchtrennt war. Die Erleichterung über das Ergebnis der unzähligen Untersuchungen ist mir ebenso gut im Gedächtnis geblieben wie alles andere. Ein Geschenk! Ja, so sehe ich es heute noch. Ein Wink mit einem imaginären Zaunpfahl.

Nach und nach kam das Gefühl zurück, aber das war erst der Anfang einer Odyssee durch Kliniken und Arztpraxen. Ich kam an einer schwierigen Operation an der Wirbelsäule nicht vorbei, danach lag ich wochenlang bewegungslos im Bett. Das an sich war schon eine Strafe, weil ich es erstens bis dato gewohnt war, körperlich zu arbeiten und zweitens in meiner Freizeit viel Sport zu treiben. Plötzlich beides nicht mehr zu können und auch nicht zu wissen, ob es jemals wieder möglich sein würde, war grauenvoll.

Eine schwierige Zeit, mit so einem Umbruch rechnet doch niemand, ich am allerwenigsten. Ich hatte verdammt viel Muße, um über mein Leben nachzudenken. Zum Glück muss ich für niemanden sorgen, es gibt keinen Partner und meine Eltern leben schon lange nicht mehr. Den lang ersehnten Hund gibt es auch nicht, da ich ja ständig arbeitete. Ja… ich stellte fest, dass ich im Grunde alles und doch nichts hatte. Meine Firma ist erfolgreich und läuft prima. Mein Geschäftspartner Ian und ich sind ein prima Team und gute Freunde. Er hat mir so unglaublich viel in dieser Zeit vom Hals gehalten und alles gemanagt. Er war für mich da und hat sich um mich gekümmert.

Ich seufze und betrachte die grüne Landmasse vor uns. Ian… ein weiterer Grund für mein selbst gewähltes Eremitendasein. Es ist einfach Bullshit, sich nach so langer Zeit in den Mann zu verknallen, den man seit der Schulzeit in- und auswendig kennt. Noch dazu, wo er verheiratet und absolut hetero ist. Für ihn war meine Homosexualität, von der er übrigens schon seit der Schulzeit weiß, nie ein Thema. Wir waren dicke Freunde und wenn er mir von seinen Schwärmereien erzählte, hörte ich ihm ebenso zu wie umgekehrt.

Ich war dabei, als er Kate, seine Frau, kennenlernte, ich habe als Erster den wunderschönen Verlobungsring gesehen und stand als sein Trauzeuge neben ihm vor dem Altar. Ich habe mit ihm gebangt, ob sie seinen Antrag annimmt, mit ihm getrunken, wenn sie Zoff hatten und geheult, als er seine kleine Tochter das erste Mal im Arm hielt. Kate ist eine robuste, schöne Frau, kein Modepüppchen, sondern eine, die im Sommer auch mal eine Portion Eis auf eine Baustelle karrt und dann noch gekühltes Bier im Kofferraum hat. Sie ist klasse. Punkt. Passt perfekt zu ihm und hat mich gleich mit unter ihre Fittiche genommen. Die beiden sind meine Familie, das kann ich wirklich mit Fug und Recht sagen.

Und dann das. Die beiden haben es wirklich nach diesem nervenaufreibenden Jahr verdient, mal eine Auszeit von mir zu haben. Weder Ian noch Kate würde mir zustimmen, aber trotzdem ist es so. Ohne sie hätte ich es schlicht nicht geschafft. Er war bei mir, als ich vor Schmerz geschrien und später aus Wut und Verzweiflung Rotz und Wasser geheult habe, weil ich Angst vor dem Leben im Rollstuhl hatte. Er war da, als ich am liebsten vor Freude getanzt hätte, als Gefühl in meine Beine zurückkehrte, und genauso bei meinen ersten, wackeligen Gehversuchen in der Rehaklinik.

Er war immer da, Kate auch, wie gesagt Familie eben. Und genau deshalb muss ich mir diese blödsinnigen Gefühle aus dem Hirn kloppen. Wahrscheinlich werden sie sich bald wieder legen und das ist auch gut so, weil sie nicht zwischen uns stehen dürfen.

Ich befürchte fast, Ian ahnt etwas. Warum? Weil er mich häufig so mitleidig betrachtet. Mitleidig auf eine nette Art, voller Sorge und Verständnis, nicht herablassend oder gar mit Ekel, weil ich auf Männer stehe. Aber es gefällt mir nicht. Er ist mein bester Freund und ich will, dass es auch so bleibt.

Zugegeben… ich hätte auch gern, was er hat. Einen Partner, einen Ort, an den ich gehöre, an den ich abends vom Bau nach Hause gehe und mit Wärme und Licht empfangen werde. Das mag spießig sein, aber ich habe die Zeit der Abenteuer und Ficks in Toiletten und dunklen Hinterzimmern in irgendwelchen Clubs lange hinter mir.

Ich bin jetzt Mitte 30 und bereit, sesshaft zu werden. Aber wie das Leben nun mal so spielt: Es gibt einfach niemanden, mit dem ich das tun könnte. Und hier draußen werde ich ganz sicher niemanden finden, der zu mir passt. Aber vielleicht klappt ja in absehbarer Zeit wenigstens die Sache mit dem Hund… Ich muss unwillkürlich grinsen, ich befürchte, dass mein Unfall und die damit verbundenen Veränderungen eine verfrühte Midlife-Crisis ausgelöst haben. Tatsächlich hatte ich verdammt viel Zeit, um nachzudenken. Über mein Leben, meine Zukunft, Wünsche und Träume.

Wie so oft verliert man Wünsche und Träume ja mal gern vor lauter Alltag aus den Augen. Kaum versieht man sich's, ist wieder ein Jahr vorbei und nichts hat sich geändert. Nun… mein Jahr bestand, wie bereits erwähnt, aus Therapie und dem langsamen Zurückhangeln ins Leben. Jetzt ist es Zeit zu leben, neu anzufangen, alte Wege zu verlassen und neue zu betreten.

Ja, ich will mir drei Monate den Wind der Highlands um die Ohren blasen lassen, an meinem Häuschen basteln und den Alltag hinter mir lassen.

Der Hafen kommt in Sicht. Ich hätte Durst auf ein selbst gebrautes Ale, aber mein Weg bis an mein endgültiges Ziel dauert noch, deshalb muss ich es auf ein andermal verschieben.

Willkommen, Knoydart! Willkommen, Leben pur.

Kapitel 2

Iver

Das Boot legt an und ich halte mich im Hintergrund. Klar habe ich noch eine Strecke vor mir, gute viereinhalb Kilometer querfeldein, aber ich lasse den anderen Reisenden gern den Vortritt. Es sind ausschließlich Touristen, die für ein paar Stunden die Gegend erkunden und später zurückfahren.

Viel gibt es hier allerdings nicht wirklich zu sehen. Vor allem nicht, wenn man kein ausgesprochener Wander- oder Naturfreak ist. Inverie ist winzig, wirklich. Es besteht aus ein paar Häusern, einer Schule, einem Postamt, dem Pub und der Kirche. Rund 150 Menschen leben hier, also alles recht überschaubar.

Ehe ich losfahre, melde ich mich noch im Postamt an und nehme die bestellten Lebensmittel mit. Mein Gefährt, ein geländegängiges Quad mit leistungsstarkem Motor samt Anhänger, steht ebenfalls dort.

Straßen gibt es hier keine, die Gegend ist im Grunde überhaupt nicht erschlossen. Aber da ich öfter auf die Post muss und auch das Pub besuchen will, habe ich mich für diesen fahrbaren Untersatz entschieden. So kann und konnte ich auch die letzten Male alle wichtigen Dinge für das einsame Leben da draußen bereits in das Haus bringen.

Diesmal besteht mein Gepäck hauptsächlich aus Kleidung, Lebensmitteln, Benzin für das Quad, den Generator und die restlichen persönlichen Dinge.

Gestern wurde ich mit einer kleinen Feier im Büro verabschiedet und dabei hat mir Kate noch eine Extraportion ihrer tollen Bananenmuffins eingepackt. Ich bin also für die nächsten Tage zumindest mit Süßem versorgt.

Ich gebe zu, das Einzige, was mir fehlen wird – deshalb muss ich hin und wieder in den Pub –, wird Fleisch sein. Aus Ermangelung eines Kühlschrankes muss ich improvisieren. Zwar habe ich das Jagdrecht, aber keinerlei Erfahrung mit Waffen und mit dem Töten schon gar nicht. Nun… Schießübungen kann ich da draußen schon machen, aber was ich mit einem ganzen Rothirsch anfangen soll – gesetzt den Fall, ich treffe überhaupt –, weiß ich wirklich nicht. Außerdem müsste ich ihn ja irgendwie kühlen und das ist ein weiteres Problem.

Endlich kann ich das Boot ebenfalls verlassen. Die Sonne blendet mich unvermittelt, weil die Wolkendecke für ein paar Sekunden aufreißt. Ein gutes Omen, würde ich mal sagen. Ich strecke mich, als ich festen Boden betrete und atme tief durch. Das würzige Aroma tut mir gut und ich kann es kaum erwarten, endlich draußen beim Haus zu sein.

Die erste Nacht allein, in völliger Abgeschiedenheit und Stille, mit nichts um mich herum als dem Sternenhimmel und Wildnis.

Herrlich.

Mein Rücken macht heute auch sehr gut mit. Ich finde es zwar bescheuert und etwas peinlich, aber dieses Stützkorsett, was mir der Arzt sehr eindringlich zu tragen empfohlen hat, leistet mir erstaunlich gute Hilfe.

Zufrieden lächelnd mache ich mich auf den kurzen Weg zur Post. Der Wind zerzaust mein längeres, dunkelbraunes Haar, das ich schon seit Monaten nicht mehr schneide. Ich finde es einfach praktischer, es zusammenbinden zu können, als alle paar Wochen an mir selbst rumzuschnippeln und dadurch wie der letzte Penner auszusehen.

Und außerdem steht es mir, wie mir Kate grinsend verraten hat. Sie meinte, durch die lange Mähne wirke ich tatsächlich wie ein Schotte auf den Covern dieser Liebesromane, fehle nur noch der Kilt. Okay, ich besitze keinen, was in Anbetracht meines Aufenthaltsortes auch nicht wirklich hilfreich wäre.

Der Rest jedoch schmeichelt mir. Ich bin ziemlich groß und gleichzeitig muskulös, was natürlich von der Arbeit herrührt. Zwar habe ich im letzten Jahr ziemlich abgebaut, aber das wird schon wieder. Ein paar Wochen Holzhacken und lange Spaziergänge werden ihr Übriges dazu tun.

Ach… ich freue mich so sehr. Später werde ich das erste Mal den Kamin einweihen und mit einer heißen Tasse Tee den Ausblick auf Loch an Dubh-Lochain, was übersetzt das kleine schwarze Loch heißt, genießen. Für morgen habe ich mir eine kurze Wanderung um den See vorgenommen. Einfach laufen, die karge Schönheit genießen und zu mir kommen.

Der Weg ins Postamt ist kurz und gleich darauf stehe ich im Laden, wo mich die freundliche ältere Dame bereits strahlend begrüßt.

Innerhalb ein paar Minuten ist alles erledigt und ich trage mein restliches Gepäck zu meinem Gefährt. Gleich darauf sind die Kanister verzurrt, die Taschen abgedeckt und alles rutschsicher untergebracht. Als ich den Rucksack aufsetze und den Bauchriemen schließe, sehe ich aus den Augenwinkeln an der vorderen Hausecke eine Bewegung.

Ich drehe mich um und blicke in die Richtung. An der Ecke lehnt ein älterer Mann, den ich nur vom Sehen her kenne. Jedes Mal, wenn ich mit meiner Mannschaft samt Baumaterial hier ankam, saß er am Kai und hat unser Treiben mit Argusaugen verfolgt. Mehr als ein Kopfnicken und eventuell noch ein kurzes Winken mit der qualmenden Pfeife war nie drin. Jetzt sieht es allerdings so aus, als warte er darauf, mit mir zu sprechen.

Ein kurzer Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich noch genügend Zeit habe. Da ich, wie gesagt, keinen Strom habe und der Generator noch nicht angeschlossen ist, möchte ich zumindest bei Einbruch der Dämmerung im Haus sein, um wenigstens die Petroleumlampen zu füllen.

Ich lege also meinen Helm zu den anderen Sachen in den Anhänger und gehe die wenigen Meter bis an die Straße. Hinter dem gebeugten Mann blickt man auf die See und ich genieße die Aussicht und die tiefe Bläue, jetzt, da für kurze Zeit die Sonne scheint.

Als ich bei ihm ankomme, stößt er sich von der Wand ab und stützt sich auf den hölzernen Gehstock. Der Mann ist ziemlich alt, wie alt jedoch, lässt sich schwer schätzen. Sein Gesicht ist von Wind und Wetter und dem nicht immer ganz einfachen Leben hier draußen geprägt. Seine Augen hingegen sind hellwach und er mustert mich jetzt ungeniert.

»Latha math«, begrüße ich ihn und sofort erscheint ein Lächeln auf seiner Miene.

»Latha math«, erwidert er nun wieder ernst.

»Kann ich etwas für Sie tun?«

Er schüttelt vorsichtig den Kopf, als täte ihm die Bewegung weh. »Chan eil. Nein… Du bist der Junge, der das McIlymount-Anwesen gekauft hat?«

Witzig. Als Junge hat mich wirklich schon ewig keiner mehr betitelt. »Aye. Ich bin Iver Chattan. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Ich strecke ihm die Hand hin und er ergreift sie ohne Scheu. Sein Griff ist überraschend fest und als die Geste bloße Höflichkeit überschreitet, wundere ich mich, warum er mich nicht freigibt. Stattdessen zieht er mich einen Schritt näher zu sich und mustert mich genau.

»Mein Name ist Seumas McNall. Wie lange wirst du da draußen bleiben?«

»Das steht noch nicht fest. Erst mal für drei Monate, dann sehe ich weiter.«

»Gut.« Er gibt mich frei und weicht einen Schritt zurück, wobei er bedenklich schwankt. »Sieh zu, dass du vor dem Winter zurück nach Hause fährst.«

Meine Augenbrauen rutschen nach oben. Jetzt erst wird mir bewusst, dass ich das kleine Häuschen im Herzen schon als mein Zuhause empfinde. »Warum? Wenn es kein harter Winter wird und…«

Er unterbricht mich mit einer unwirschen Handbewegung. »Das ist nichts für dich, Junge. Glaub mir. Hüte es den Sommer über, einverstanden. Aber im Winter herrscht dort oben ein anderer und ich bin mir nicht sicher, ob er es gutheißt, dass du in seinem Heim haust.«

Okay. Das ist mir jetzt zu hoch. Das Anwesen stand gut 200 Jahre leer und war eine Ruine, als ich es erworben habe. Wenn mich nicht alles täuscht, kommt jetzt so eine typische Schottengruselstory auf den Tisch.

»Aye. Du meinst also, der Geist des alten McIlymount geht dort oben um?«

Seumas verzieht das Gesicht. »Mach dich nicht über mich lustig, Bürschchen.«

»Bei allem Respekt, das tue ich nicht. Erklär mir, was du meinst.«

Er schnaubt abfällig und winkt mich hinter sich her. Ich folge ihm langsam, weil es mich doch neugierig macht, was die Leute hier für Legenden und Geschichten haben. Gleich darauf sitzt er wieder auf seinem Stammplatz auf der Kaimauer und ich neben ihm.

»Also?«, drängle ich, weil ich wirklich langsam losmüsste.

»Er ist der älteste Sohn des Herrn von Loch an Dubh Lochain. Er verschwand, kurz bevor seine Familie das Land aufgab. Es waren harte Jahre, man vermutete, er sei auf der Jagd umgekommen, aber es waren nur Gerüchte. Dann kam er zurück. Seine Aufgabe ist es seither, über die Gegend zu wachen.«

Okay, dann wäre der gute Mann entweder unsterblich, ein Vampir oder entstammt einer mir unbekannten, verdammt langlebigen Spezies. »Hmm… Du sagst, ich soll vor dem Winter verschwinden. Was hat es damit auf sich?«

Seumas sieht mich an. »Aye. Im Sommer schläft er, aber im Winter kann man ihn sehen und hören. Niemand geht da rauf, wenn Schnee liegt. Flath da deigh. Halte dich von der Gegend fern, vor allem von dem Waldstück am Fuße des Meall Buidhe.« Er verstummt, holt seine Pfeife aus der Tasche und macht sich seelenruhig daran, sie zu stopfen.

»Flath da deigh? Der Eisprinz?«

»Aye.«

»Aber… ich muss in den Wald, weil der zum Besitz gehört und ich dort mein Holz holen muss.«

Seumas nickt und pafft die erste, aromatische Wolke Pfeifenrauch. »Aye.« Er sieht mich an, forscht in meinem Gesicht nach etwas, was nur er weiß. »Vielleicht findest du ja sein Grab. Es heißt, die Sithiche hätten ihm wenigstens einen Grabstein geschenkt, da sie ihm schon das Leben genommen haben.«

Okay. Das sind mir eindeutig genug Märchen für heute. »Wenn es den gäbe, wäre er doch längst gefunden worden, oder?«

Wieder misst er mich mit einem seltsamen Blick. »Ist das so? Sie hüten und verteidigen das, was ihnen gehört. Vielleicht warten die Sithiche auch nur auf den Richtigen.« Mit einem eigenartigen Lächeln wendet er sich ab und blickt auf die See hinaus.

Es ist schlicht bescheuert. Dieser kurze Satz, hingeworfen, wahrscheinlich nur, um mich zu ängstigen oder um mir irgendwelche Touristenmärchen zu präsentieren, macht mich neugierig. Und wenn ich eines weiß: Sobald ich das erste Mal Holz holen werde, sehe ich mich dort um. Ich seufze und sehe ebenfalls auf das Meer hinaus. Gegenüber liegt Skye, inzwischen hängen die Wolken wieder so tief, dass man das Ufer nur schemenhaft erkennen kann. Es wird langsam Zeit aufzubrechen.

»Seumas… das ist sicher eine dieser Geschichten, die ihr den Touristen erzählt, oder?«, frage ich zaghaft, weil ich dieses neugierige Kribbeln in mir drin eigentlich im Keim ersticken will. Es wäre wirklich kontraproduktiv, wenn ich mich auf die Suche nach einem uralten Grab mache, anstatt das Häuschen und den Stall auf den Winter vorzubereiten.

Der alte Mann sieht mich an, mustert mich abermals sorgfältig. Er murrt leise, während seine Augenbrauen nach oben wandern. »Meinst du, Junge? Warte, bis es nachts gefriert und seine Zeit anbricht, dann kannst du mir ja sagen, ob ich dir Sgeul erzähle.«

Wider Willen muss ich grinsen, weil er wohl bewusst das gälische Wort für Märchen verwendet. »Da das spätestens in einem Monat durchaus sein kann, werde ich es wohl herausfinden.«

Seumas nickt und wendet sich wieder dem ruhigen Meer zu unseren Füßen zu. Es hat inzwischen die Farbe von Blau zu Grauschwarz gewechselt. »Du solltest fahren… es wird bald ungemütlich.«

Nicht wirklich eine Überraschung hier draußen, aber er hat recht. Da der Generator noch nicht läuft und somit auch der Boiler ebenfalls noch außer Betrieb ist, gibt es keine heiße Dusche.

»Ja, sollte ich.« Ich verharre für weitere Sekunden. Der herbe, wohlduftende Pfeifenrauch vermischt sich mit der salzgeschwängerten Luft der See. Doch dann fasse ich mir ein Herz und stehe auf. »Beannachd leat. Es freut mich, dich kennengelernt zu haben, Seumas McNall.«

Er grinst mich an. Dort, wo die Pfeife schräg in seinem Mund hängt, prangt eine ansehnliche Zahnlücke. »Mar sin leat. Ich bin hier, Junge, wenn du Fragen hast.«

Verdammt. Genau das war der falsche Satz. Jetzt hat er sprichwörtlich Benzin ins Feuer gegossen.

»Vielleicht komme ich darauf zurück«, erwidere ich ehrlich und steige über die niedrige Kaimauer auf die schmale Dorfstraße zurück. Nach zwei Schritten halte ich allerdings wieder an, weil er mich abermals anspricht.

»Iver ist ein guter, starker Name. Du trägst Licht und Wärme in dir, genau das, was Flath da deigh brauchen wird.« Dann dreht er sich zurück, pafft eine duftende Wolke hinaus und lässt mich völlig verdattert stehen.

Ich vermute, dass die meisten Leute diesen alten Mann gehörig unterschätzen. Er ist schlau und sehr belesen. Mein Name ist tatsächlich eine Mischung aus dem Namen des Gottes Freyr und Krieger.

Gibt es Zufälle? Nein, eigentlich nicht.

Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper, als ich endlich die Kraft finde und zu meinem Quad eile.

Eisprinz… was verbirgt sich für ein Geheimnis hinter dieser Geschichte?

Kapitel 3

Iver

Ich verlasse Inverie und biege, nachdem ich die Dorfstraße verlassen habe, die gleichzeitig mit den Häusern einfach aufhört, ins Hinterland ab.

Ein kurzes Stück geht es über die flachen Hügel, bis ich an den schmalen Fluss komme, der das Meer mit dem Loch verbindet.

Normalerweise sollte man sich hier ohne Kompass nicht bewegen, aber unsere regelmäßigen Fahrten zwischen dem Haus und Inverie haben Spuren hinterlassen, denen ich nun folge. Die schmale Fahrtrinne wirkt wie ein Fremdkörper in der ansonsten unberührten Landschaft, aber nach dem Winter wird sie nicht mehr zu sehen sein.

Ich genieße die Leere um mich herum, sie vermittelt mir Freiheit und das Fehlen von Zivilisation und somit Zwängen und Einschränkungen. Wobei mich das laute Motorengeräusch extrem stört und wie ein Fremdkörper wirkt. Morgen wird auch das wegfallen, wenn ich zu Fuß unterwegs sein werde.

Die Zeit vergeht langsam, als folge sie hier anderen Uhren. Nach etwa 20 Minuten muss ich eine Zwangspause einlegen, um den Regenumhang anzuziehen. Zwar ist mein Aufzug relativ regenresistent, aber gegen den unvermittelt niedergehenden Platzregen hat er keine Chance. Ich sehe zurück Richtung Meer. Ja, die Wolkenbank, die vorhin Skye verschluckt hat, war eindeutig schneller als ich auf meinem Quad.

Ohne Anhänger und Gepäck wäre ich wohl schon da, aber so kann ich schlecht über die Wiesen rasen. Egal. Die Hälfte der Strecke habe ich in etwa geschafft, den Rest werde ich schon noch hinter mich bringen.

Nach weiteren 15 Minuten, das Loch liegt vor mir hinter dem nächsten Hügelkamm, komme ich an die Furt, an der ich den Inverie River überqueren muss, damit ich auf die richtige Seeseite gelange. Zum Glück ist das Wort Fluss etwas übertrieben für das Gewässer, sonst hätte ich spätestens bei kräftigen Regenfällen oder Schnee ein echtes Problem. Ich rumple durch das flache Bachbett und überprüfe auf der anderen Seite, ob alles noch an Ort und Stelle ist. Ja, ich habe es gut genug verzurrt.

Weiter geht es den flachen Hügel hinauf. Ich weiche einer matschigen Stelle, an der letztes Mal dank einer nassen Woche eines der Quads tiefe Rinnen im Boden hinterlassen hat, aus. Kurz darauf stehe ich auf dem letzten Hügelkamm vor meinem Ziel und halte an.

Dieser Anblick! Mein Herz poltert los, als ob mich da unten in dem unscheinbaren, grauen Steinhaus ein Geliebter erwarten würde.

Seltsamer Gedanke…

Es muss an der herben Schönheit der Natur liegen, die auch der dichte Regen und die tief hängenden Wolken, die den Meall Buidhe rechts von mir und den Luinne Bheinn vor mir fast vollständig einhüllen, nicht stören können. Beide Berge sind etwas über 900 Meter hoch, aber selbst das schützt ihre Gipfel nicht davor, in der Wolkendecke zu verschwinden.

Mein Blick huscht erneut zum Meall Buidhe, an dessen Fuß mein Wald liegt und in dem das Grab des Eisprinzen versteckt sein soll. Natürlich kann ich nichts Genaues erkennen, dazu ist er viel zu weit weg. Lediglich das Dunkelgrün der Bäume und die helleren Flecken des Grases, das den Großteil des Hanges und der umgebenden Gegend überzieht. Trotzdem… meine Neugierde zieht mich dorthin und ich weiß, ich werde spätestens übermorgen in den Wald fahren.

Erneut läuft eine Gänsehaut über meinen Rücken, aber das kann auch durchaus an der einsetzenden Kälte liegen. Wobei ich das Gefühl von Schicksal nicht so ganz loswerde. Ich schüttle den Kopf, um die seltsamen Gedanken loszuwerden. Es wird tatsächlich Zeit, dass ich ankomme, heize und meine Sachen verstaue.

Ein letztes Mal lasse ich meinen Blick über das Tal und das Loch schweifen. Mein neues Zuhause, mein Ruhepol und der Platz, an dem ich hoffentlich wieder völlig gesund werde.

Es ist jetzt Anfang August, die Glockenheide fängt an zu blühen und überzieht die Hänge am linken Ufer des Lochs mit lilafarbenen Flecken.

Mein Blick schweift nach rechts, zu den zwei steingrauen Häuschen. Sie stehen etwa 100 Meter vom Ufer entfernt auf einer leichten Erhöhung, sodass sie selbst bei Hochwasser nicht überschwemmt werden. Trotz der menschenleeren Weite ringsherum wirkt der Ort heimelig, wie ein sicherer Hafen. Die umliegenden Hügel schützen ihn vor den Stürmen und so ist er den Elementen nicht völlig schutzlos ausgeliefert.

Ein sicherer, wohl überdachter Platz für den kleinen Hof. Wie war es wohl früher, wenn die Bewohner von der Jagd heimkamen und Rauch aus dem Schornstein quoll? Empfanden sie das gleiche Gefühl von Heimat und Willkommen, welches ich gerade auch verspüre? Ich weiß, es ist nicht mein Zuhause, noch nicht, aber dennoch bemerke ich eine tiefe Bindung zu diesem Ort und dem Haus. Vielleicht auch mit seiner Geschichte, ich weiß es nicht.

Flath da deigh, der Eisprinz…

Schon seltsam, wie schnell meine Gedanken wieder auf ihn zurückkommen. Was verbirgt sich wirklich hinter diesem Märchen? Einfach nur eine typisch schottische Schauergeschichte, oder hat sie, wie so viele dieser Sagen, einen halb wahren Hintergrund? Vielleicht ist ja tatsächlich ein Abkömmling der Familie verschwunden, wurde in den wilden Highlands ermordet oder verunglückte schlicht und ergreifend. Und nach seinem Ableben spannen sich die wildesten Spekulationen um ihn und er bekam sein Grab sozusagen in einer Legende.

Das wäre zumindest ein plausibler Grund, aber… ich weiß nicht. Irgendwas sagt mir, dass da mehr dahintersteckt, Seumas' Hinweis auf das Grab nicht einfach nur ein schmückendes Beiwerk ist.

Es kribbelt in meinem Nacken, als beobachte mich jemand. Ich sehe mich um, inspiziere die umliegenden Hänge und links, auf dem Plateau des Hügels, den Wanderweg. Aber nirgends sehe ich eine Menschenseele. Ich bin völlig allein.

Ein Windstoß erfasst die Plane auf dem Anhänger und lässt sie knattern. Ich erschrecke kurz und muss unwillkürlich grinsen. Vielen Dank, Seumas, du hast es tatsächlich geschafft, mir mit der Erzählung ein komisches Gefühl zu vermitteln.

Unvermittelt setzt ein neuer Regenguss ein und hilft mir, die seltsamen Gedanken zu verscheuchen. Behutsam setze ich den Weg in das weitläufige Tal fort und stehe gleich darauf zwischen dem Haupthaus und dem danebenliegenden Stall.

In den letzten zwei Wochen, in denen ich daheim meine Dinge geregelt habe, wurden die Dächer der beiden Gebäude gedeckt. Zwar war ursprünglich eine moderne Lösung geplant, aber ich habe mich dagegen entschieden. Auch wenn Ziegel praktisch und weniger wetteranfällig gewesen wären, wollte ich es authentisch. So ist die Unterkonstruktion zwar aus Dachpappe und somit wasserdicht, aber darauf wurde die landestypische Abdeckung aus Heidekraut angebracht. Die Pflanzen sind extrem robust und isolieren gleichzeitig das Dach und verhindern, dass die Wärme zu schnell nach oben abgegeben wird. Und ich muss sagen, die Arbeiter haben das toll hinbekommen.

Etwas steifbeinig steige ich ab, strecke vorsichtig meinen Rücken und öffne das seitliche Schiebetor des Stalles. Er ist nicht riesig, aber groß genug, um gute zehn Ster Holz unterzubringen, den Generator, das Quad samt Anhänger und jede Menge Werkzeug und andere, nicht im Haus benötigte Dinge. Obwohl das Gebäude, wie auch das Wohnhaus, nicht sonderlich hoch ist, haben wir hier über die Hälfte eine Zwischendecke eingezogen, um weiteren Stauraum zu erhalten. Genau darunter parke ich jetzt das Quad, nachdem ich den Anhänger gelöst habe und schiebe diesen anschließend einfach mitten in den Raum.

Wie es aussieht, habe ich richtig Glück gehabt, denn inzwischen gießt es wie aus Kübeln. Ich trete an das Tor und sehe hinaus. Viel kann ich nicht mehr erkennen, der Regenschleier wirkt wie Nebel, der mich samt dem Anwesen aus Raum und Zeit löst. Man könnte sich einsam fühlen, aber da ist nichts dergleichen in mir, sondern lediglich ein tiefer, erholsamer Frieden.

Es war die richtige Entscheidung, das hier zu tun. Das wird mir jetzt, während ich dem stetigen Rauschen des Regens lausche und mit aller Zeit der Welt zusehe, wie die Tropfen sich am Heidekraut auf dem gegenüberliegenden Dach sammeln und zu Boden fallen, noch einmal deutlich klar.

Kapitel 4

Iver

Obwohl ich liebend gern aus den klammen Klamotten steigen und mir eine Tasse Tee machen würde, nutze ich den Regenguss letztlich doch dazu, die Sachen vom Anhänger soweit möglich zu verstauen.

Ich betanke den Generator komplett, schließe die Kabel zum Haupthaus an und starte ihn entgegen meinem Plan. Er springt sofort an, was ein gewisser Trost ist. Das laute Geräusch stört mich, aber da mir neben Tee und warmen Klamotten auch nach einer heißen Dusche ist, lasse ich ihn laufen. Wenn das Feuer drüben brennt und ich trocken bin, werde ich ihn wieder ausschalten.

Für den täglichen Gebrauch an Spül-, Wasch- und Kochwasser haben wir eine Solarzelle auf dem Dach angebracht, aber das reicht lediglich für einen kleinen Vorrat an Warmwasser.

Mein Blick huscht wieder nach draußen. Es scheint, als hätte sich die Wolke so langsam ausgeregnet, denn die Sicht wird wieder besser und ich kann bereits das Wasser des Lochs sehen.

Hmm… Ich betrachte die Vorderseite des gegenüberliegenden Häuschens. Authentisch hin oder her, ich wollte, dass das Dach an der Front ein wenig über die Fassade herausragt, um die Fenster und die geplante Terrasse zu schützen sowie den Bereich vor der Eingangstür. Wie ich jetzt aber feststelle, reicht der Meter wohl nicht aus. Gut… ein weiteres Projekt. In Gedanken mache ich mir bereits einen Plan und werde wohl gleich bei der ersten Fahrt in den Wald die passenden Stämme für eine Pergola aussuchen.

Ich sehe mich um und bin zufrieden mit dem, was ich bis jetzt geschafft habe. Alle Kanister befinden sich an Ort und Stelle, die letzten mitgebrachten Werkzeuge sind verstaut, der Anhänger an seinem Platz und die Sachen für das Haus stehen aufgereiht neben dem Tor.

Und als hätte der Wettergott ein Einsehen mit mir, hört der Regen schlagartig auf. Am liebsten würde ich die Maschine wieder ausschalten, weil ich die Stille hören will, aber das wäre Blödsinn. Dafür wird in nächster Zeit wirklich noch genug Muße sein. Jetzt erst mal rüber und die erste Nacht vorbereiten.

Ich klemme mir ein paar Sachen für drüben unter den Arm und überquere den kleinen Hof. Mit der freien Hand öffne ich das schwere Schloss und drücke die Tür auf.

Ich weiß nicht, was ich erwarte, aber die Atmosphäre des Gebäudes ist irgendwie besonders. Aus der Ruine, von der nur noch drei Außenwände standen und die kaum an ein Wohnhaus erinnerte, ist ein solides, kleines Haus geworden, das unbändige Kraft und Wärme ausstrahlt.

Na ja, Wärme in Verbindung mit Stärke und Schutz gegen die Elemente, denn im Inneren ist es in Wahrheit saukalt. Die Steine der Wände geben die gespeicherte Kälte ab und es wird wohl eine Zeit dauern, bis sich das ändert. Ich husche noch ein letztes Mal in die Scheune, um die übrigen Sachen zu holen, schließe das Tor und gehe dann zurück zum Haus.

Wie es aussieht, ist der Regen noch nicht ganz fertig, also wird es Zeit reinzugehen. Direkt hinter der Eingangstür befindet sich ein gefliester Bereich, damit man nicht sämtlichen Dreck in den kleinen Wohnraum trägt.

Der Grundriss des Häuschens ist rechteckig, ohne Schnörkel. Der Eingang ist rechts an der Längsseite und zeigt ebenso wie die geplante Terrasse und die große Fensterfront nach Süden, Richtung Loch. An der schmalen Seite, an der ich mich jetzt befinde, ist eine Trennwand eingezogen, hinter der sich der Schlafbereich befindet, der nach vorn hin jedoch offen in den restlichen Raum ist. Gegenüber, an der anderen schmalen Seite, ist die kleine Einbauküche und hinter einer weiteren Trennwand der Sanitärbereich, der nur aus Dusche und Toilette besteht. Waschen und rasieren kann ich mich genauso gut in der Küche.

Die ursprünglichen Fenster waren winzig und spendeten kaum Licht, weshalb ich mich für den Stilbruch mit Glastüren entschieden habe. Die noch vorhandenen Öffnungen an den schmalen Seiten haben wir ausgenutzt und moderne Fenster eingebaut.

Die Einrichtung ist recht einfach, aber funktional. Ein breites Bett auf einem Podest, damit ich darunter Stauraum habe. Eine Couch, die aus einer Matratze auf einem Holzgestell besteht, ein kleiner Tisch samt einem Stuhl und ein paar einfache Regale an der Wand. Der kleine Holzofen steht an der gegenüberliegenden Längswand recht zentral. Dort war früher auch der Kamin, darum haben wir das so beibehalten.

Ich schlüpfe aus den schweren Arbeitsschuhen, nachdem ich die warmen Filzpantoffeln aus meinem Rucksack gekramt habe. Die Socken sind noch trocken, deshalb lasse ich sie vorerst an. Die Jacke und die übrige Regenkleidung hänge ich neben der Eingangstür an den Garderobenhaken auf. Es ist wirklich ordentlich frisch hier drinnen, darum widme ich mich erst mal dem Kamin.

Nach wenigen Minuten brennt ein nettes Feuerchen und ich reibe meine Hände vor der Scheibe des Ofens. Da der Raum so klein ist, dürfte es nicht lange dauern, bis es mollig warm wird.