Terrierherz - M.S. Kelts - E-Book

Terrierherz E-Book

M.S. Kelts

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Beschreibung

Colin hat seinen Platz im Leben gefunden: Zusammen mit seinen besten Freunden bildet er ein unschlagbares Team bei der Rettung von Hunden und er geht vollständig darin auf, für seine Schützlinge da zu sein. Doch ein besonderer Neuzugang raubt ihm den Verstand… und vielleicht auch das Herz? Unter Lias' Fell verbirgt sich mehr als einfach nur ein Hund und Colins Tierschutzorganisation ist eigentlich nur ein unfreiwilliger, wenn auch glücklicher Zwischenstopp für ihn. Nichtsdestotrotz entwickeln sich zunehmend Gefühle zwischen den beiden Männern, aber Lias hütet ein riskantes Geheimnis, das nicht nur ihre aufkeimende Liebe in Gefahr bringen könnte…

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Deutsche Erstausgabe (ePub) April 2023

© 2023 by M.S. Kelts

Verlagsrechte © 2023 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Eching

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock; AdobeStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: Print Group Sp.z.o.o. Szczecin (Stettin)

Lektorat: Katherina Ushachov

ISBN-13: 978-3-95823-985-2

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

Klappentext:

Colin hat seinen Platz im Leben gefunden: Zusammen mit seinen besten Freunden bildet er ein unschlagbares Team bei der Rettung von Hunden und er geht vollständig darin auf, für seine Schützlinge da zu sein. Doch ein besonderer Neuzugang raubt ihm den Verstand… und vielleicht auch das Herz?

Unter Lias‘ Fell verbirgt sich mehr als einfach nur ein Hund und Colins Tierschutzorganisation ist eigentlich nur ein unfreiwilliger, wenn auch glücklicher Zwischenstopp für ihn. Nichtsdestotrotz entwickeln sich zunehmend Gefühle zwischen den beiden Männern, aber Lias hütet ein riskantes Geheimnis, das nicht nur ihre aufkeimende Liebe in Gefahr bringen könnte…

Widmung

Für Binti, die mir die besten Seiten eines Jack Russells gezeigt hat. Von den anderen reden wir jetzt mal nicht.

Für Pompi, die mir von ihrer Wolke die Geschichte geflüstert hat. Du warst für Lias die perfekte Oma.

Für Tamica. Eine Überlebende.

Und für Iskander, den Goldjungen, der so gar keine Ahnung hat, dass er ein Jackie sein soll.

Kapitel 1

Lias

Verdammter Mist, wie konnte ich nur so unvorsichtig sein? Jetzt bin ich so weit gekommen und dann das. Ich fletsche die Zähne und schnappe nach der Hand des Mannes, der mich vorhin mit festem, aber wenigstens nicht grausamem Griff aus dem Metallkäfig gezogen hat, nur um mich gleich darauf in eine ebenso ausbruchsichere Box zu setzen.

Nicht, dass ihn das in irgendeiner Weise beeindruckt. Im Gegenteil: Er lacht leise und sagt mir, dass ab jetzt alles besser werden wird.

So ein Quark, als ob er eine Ahnung hätte… Aber es hilft nichts. Ich bin nicht in der Lage, mich zu befreien, und breche mir fast die Fangzähne ab bei dem Versuch, das Plastik an der Seite durchzunagen. Als ich damit aufhöre und mich stattdessen auf wütendes Gebell verlege, widmet der Mann mir für kurze Zeit wieder seine Aufmerksamkeit. Ich lausche ihm gebannt, aber es hilft mir nicht wirklich weiter und als ich aufhöre zu bellen, wirft er eine Decke über meinen Käfig und behauptet, das würde mir helfen runterzukommen.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass er recht hat. Das diffuse Licht lullt mich ein und bald schon merke ich, dass ich den Schlaf nicht länger vertreiben kann und die letzte Zeit ihren Tribut fordert. Als er dann noch ein paar Happen Futter zu mir herein schiebt, ist es um mich geschehen und ich rolle mich, nachdem ich die Köstlichkeiten verschlungen habe, zu einer Kugel zusammen und schlafe friedlich ein. Wohl das erste Mal seit vielen Wochen. Ein wenig fühle ich mich wie ein Verräter, aber darüber kann ich mir später immer noch Gedanken machen.

Mein Käfig wird angehoben und dann rutsche ich durch sanftes Schaukeln immer tiefer in den Schlaf.

Kapitel 2

Colin

Meine kleine Auffangstation erwacht langsam zum Leben, als Maria und Peter ihren Dienst beginnen und von aufgeregten und hungrigen Hunden lautstark begrüßt werden.

Mein Tag hingegen beginnt wie jeden Morgen mit einer großen Tasse Kaffee im Büro, um Mails zu checken und andere Dinge zu erledigen, die die Leitung eines Tierheimes so mit sich bringt. Eine mühselige Aufgabe und nicht immer sehr befriedigend, da wir auf Spenden angewiesen sind und eigentlich jeden Cent zweimal umdrehen müssen. Aber wenn ich dann rausgehe und meine Schützlinge sehe, wie sie ein neues, liebevolles Zuhause finden, ist die Welt wieder in Ordnung und ich weiß, wofür ich all das tue.

Mein Handy, das neben mir auf dem Tisch liegt, klingelt und ich strecke mich seufzend. Als ich danach greife, muss ich lächeln und nehme den Anruf grinsend an. »Hi, Paul«, begrüße ich meinen Freund, der jetzt eigentlich auf Streife sein müsste, weil er Polizist ist und heute Dienst hat.

»Grüß dich, Colin. Hast du gerade Zeit?«

Seine Frage sorgt dafür, dass ich die Stirn runzle. Er klingt ungewohnt ernst. »Sitze im Büro und hätte noch drei Mails zu beantworten, aber ja… schieß los. Ist was passiert?«

Paul seufzt leise. »Na ja, ist eigentlich nicht meine Zuständigkeit, aber ein Kollege von der Autobahnpolizei hat mich angerufen, weil er weiß, dass ich so einen Tierfuzzi kenne.«

Ich lache auf und schon gefällt er mir wieder besser. »Wie nett. Lass mich raten. Autobahnpolizei? Wieder ein illegaler Transport?«

»Nicht ganz. Das war ein offizieller Transporter einer Tierschutzorga. Leider hatten sie einen Unfall und können nicht weiter. Das dortige Tierheim hat einen Teil der Hunde übernommen, aber ein paar sind übrig. Kannst du helfen?«

Im Geiste wäge ich meine Möglichkeiten ab und atme tief durch. »Eigentlich sind wir voll, aber… Egal, wo soll ich hinkommen?«

»Das mag ich so an dir.«

Ja, leider mag er nur das an mir, denke ich wehmütig und notiere mir die Adresse. Paul ist wie ich schwul und bildet einen Teil unseres Dreiergespanns, das aus Paul, Henri und mir besteht. Wir drei sind schon seit der Schule förmlich unzertrennlich und dass Paul und ich schwul sind, hat uns noch enger zusammengeschweißt. Henri dagegen ist hetero, aber der beste Kumpel, den man sich wünschen kann. Er hat inzwischen eine eigene Tierarztpraxis und deshalb sind wir drei hinlänglich bekannt, wenn es um Dinge geht, die den Tierschutz betreffen. Pauls Anruf ist deswegen auch nichts Ungewöhnliches und während ich rausgehe und mich Richtung des Unfalls aufmache, gebe ich Maria Bescheid, unsere Quarantänezwinger herzurichten.

Nach etwa 20 Minuten erreiche ich den Rastplatz an der Autobahn, wohin man den beschädigten Lieferwagen geschleppt hat. Paul und besagter Kollege von der Autobahnpolizei erwarten mich bereits. Nach einer kurzen Begrüßung gehen wir zu dem Lieferwagen, auf dem bunte Tierbilder kleben und der seitlich eine deutliche Beschädigung hat.

»Ist den Tieren was passiert?«, will ich wissen und mache mir Sorgen.

»Nein, wurden nur ordentlich durchgeschüttelt, aber es wäre sicher gut, sie Henri zu zeigen, das muss ich dir ja nicht erklären.«

»Nö… ich ruf ihn nachher an. Hat der andere Verein die Hunde schon geholt?«

»Ja«, bestätigt der andere Polizist und nickt in Richtung der Ausfahrt. »Sind gerade weg.« Er wirft Paul einen kurzen Blick zu und beide grinsen, was mich misstrauisch werden lässt.

»Okay. Was bedeutet dieser Blick? Hm?«

»Och«, antwortet Paul und zuckt mit den Schultern. »Sie haben dir ein besonderes Schätzchen übrig gelassen. Komm, du wirst gleich wissen, was ich meine.«

Ich verdrehe die Augen und ahne Schlimmes. »Bitte nicht schon wieder«, murmle ich, folge den beiden aber den Rest des Weges.

Kaum sind wir bei dem Wagen angelangt und Paul öffnet die Hecktür, setzt durchdringendes Gebell ein. Allerdings ist es nicht so schlimm, wie ich zuerst gedacht habe, und ich werfe Paul einen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu, der ihn zum Lachen bringt.

»Na ja, zwei Leuten hat er in die Finger gebissen, als sie versucht haben, seine Box rauszuholen.«

»Die Stimme gehört aber nicht unbedingt einem Rottweiler, oder?«

»Nö.« Paul schiebt die Tür vollends auf und hebt vorsichtig die Decke, die über die Box geworfen wurde, an. Das Gebell wird schriller und bestätigt meinen ersten Eindruck. Da drin sitzt definitiv nichts Großes.

»Lass mich mal«, sage ich zu meinem Freund und nehme ihm den Zipfel des Tuches ab. Vorsichtig hebe ich ihn weiter an und kann endlich einen Blick auf den aufgeregten Bewohner werfen. Mit gefletschten Zähnen und weit aufgerissenen Augen, hektisch, aber durchaus nicht verängstigt, sondern außer sich vor Wut, starrt mich ein hübscher, dreifarbiger Jack Russell Terrier an.

Ich muss mir ein Lachen echt verkneifen, weil ich dieses Getue zur Genüge kenne. Aber andererseits verstehe ich ihn auch. Für die Tiere ist so ein Transport ohnehin schon stressig, dann wissen wir ja nicht, was er vorher erlebt hat, und jetzt noch der Unfall obendrauf. Das stecken die meisten nicht einfach so weg. Aber… jede Hunderasse hat da so ihre Bewältigungsmuster und Terrier… na ja…

»Na, du Hübscher«, spreche ich ihn an, bleibe aber vom Käfig weg und schaue ihm nicht direkt in die Augen, sondern auf den Bereich seiner Schulter. »Ich mach mal das doofe Tuch weg, damit du dich umsehen kannst, solange ich deine Kumpels einlade, ja?«

Das Gebell verstummt, übrig bleibt ein leises Grollen, aber zu meiner Überraschung sehe ich ein leichtes Schwanzwedeln, das nicht der Hektik geschuldet ist, sondern durchaus Freundlichkeit ausstrahlt. Dann setzt sich der kleine Kerl hin und niest einmal heftig.

»Oh, hast du wieder deinen Zauber gewirkt?«, fragt Paul und schielt um die Türecke, nur um weiteres Bellen auszulösen.

»Ich schon, du offensichtlich nicht.« Ich lache leise und wage mich näher an den Käfig. Der Hund beäugt mich genau, macht aber keine Anstalten, nach mir zu schnappen. Ohne ihn weiter zu beachten, nehme ich das Tuch vollends weg und falte es zusammen.

Dann gehe ich mit Paul an die andere Tür und wir laden gemeinsam die zwei weiteren Hunde in meinen Lieferwagen. Anders als der Jackie sind sie sehr freundlich und freuen sich über die Ansprache.

»Der Fahrer meinte, die beiden hätten schon Adoptanten und sollten zusammenbleiben, deshalb hat sie das Tierheim dir überlassen. Sie können in einen Zwinger und sollten auch keine Dauergäste werden.«

»Das ist super. Ich denke auch, der Kurze da drüben wird genug Arbeit machen.« Wir lachen beide, weil nach unseren Worten wieder ein heftiger Nieser aus seiner Richtung erklingt, der eher eine Reaktion als die Folge einer Krankheit darstellt.

Dann setzen wir den Jackie um, indem wir Stangen durch die Stäbe schieben und ihn, ohne ihm zu nahe zu kommen, tragen. Jedoch nimmt er unsere Aktion nun recht gelassen hin und tobt nicht länger. Im Gegenteil. Wo er Paul mit absoluter Ignoranz straft, dreht er sich immer so, dass er mich ganz genau ansehen kann.

Obwohl ich mir immer schon fest vorgenommen habe, keinem meiner Schützlinge zu viel Sympathie entgegenzubringen, weil sie ja eigentlich nur für eine bestimmte Zeit meine Gäste sein sollen, erliege ich dem Charme dieses Tieres schnell. Er strahlt Intelligenz, Stärke und ziemlich viel Witz aus. Eine recht gefährliche Mischung, was auch den weiteren Umgang mit ihm erschwert. Man unterschätzt diese Tiere viel zu oft und das rächt sich schnell.

Dann verabschiedet sich erst der Autobahnpolizist und schließlich Paul.

»Danke für deine prompte Hilfe.«

Ich winke ab. »Du weißt, dass ich da nicht Nein sage.«

»Schon, trotzdem. Wir sehen uns übermorgen, oder?«

»Klar, ich hab schon Bier kalt gestellt«, erwidere ich lachend, als ich einsteige und ihm winke. Freitags treffen wir drei uns meistens irgendwo. Dieses Mal ist Grillen bei mir angesagt und ich freu mich drauf. Vielleicht kann ich vorher mit den drei Neuzugängen zu Henri fahren und ihn dann mitnehmen. Er übernachtet öfters bei mir auf dem Hof, weil er nur eine kleine Wohnung im Dorf hat, was ihn manchmal nervt. Aber da sie über seiner Tierarztpraxis liegt, möchte er das auch nicht ändern.

Ich werfe einen Blick in den Rückspiegel und bemerke erneut den neugierigen Blick des Terriers auf mir. »Du kannst dich entspannen, Kleiner. Wir sind gleich da und dann kannst du dir die Füße vertreten.«

Wieder ein Niesen als Antwort und ich lache leise.

Kapitel 3

Lias

Ein vernünftiger Mensch! Na ja, die anderen waren nicht… übel, aber der, der gefällt mir doch besser. Keine Ahnung warum, aber irgendetwas sagte mir vorhin, dass es besser wäre, nicht mitgenommen zu werden. Also habe ich ihnen das einfach klargemacht. Und was soll ich denn anderes tun, als ihnen das mit meinen Zähnen zu zeigen? Eben.

Dann stand plötzlich der Typ vor meinem Käfig und war so überhaupt nicht von mir beeindruckt. Obwohl, doch, war er, aber auf völlig andere Weise, auch wenn ich es nicht abkann, Kleiner genannt zu werden. Denn eigentlich bin ich das gar nicht. Kann er aber nicht wissen.

Mist.

Vielleicht habe ich später Glück und ich finde etwas in dem Zwinger, in den er mich zwangsläufig stecken wird, womit ich weiter daran arbeiten kann, mir das Ding aus dem Hals zu holen.

Und während ich also wieder in ein anderes Fahrzeug geladen werde und den Mann dabei genau studiere, fällt die Anspannung von mir ab.

Was jetzt nicht so gut ist, aber ich kann mich nicht länger gegen die andauernde Müdigkeit wehren. Wie lange bin ich jetzt schon auf der Flucht? Ich weiß es gar nicht mehr, aber es geht eher gegen Monate als Wochen. Und meine Lage hat sich mit der Gefangenschaft nicht wirklich gebessert. Das Gegenteil ist der Fall, auch wenn ich jetzt das erste Mal Frieden verspüre.

Mit viel Glück ist der Mann ein Tierschützer mit einem weichen Herz, das ich schnell erobern kann, sodass er dann unaufmerksam wird. Diesen Moment gilt es abzuwarten.

Ich gähne herzhaft und kneife die Augen zu. Der Mann summt zu einem Lied aus dem Autoradio und wirft mir hin und wieder einen Blick zu. Ich mag seine dunklen, warmen Augen, da ist keine Berechnung, sondern nur Freundlichkeit.

Hätte ich die Wahl, könnte ich mir durchaus vorstellen, bei ihm zu bleiben…

Nein! Ich schüttle den Kopf. Ich muss endlich dieses Ding in meinem Hals loswerden, damit ich mich nicht solchen bescheuerten Gedanken hingebe.

Aber im Moment kann ich nichts tun. Langsam lege ich mich hin, bette meinen Kopf auf meine Vorderpfoten und schließe prüfend kurz die Augen. Oh, das ist schön. Das langsame Geschaukel des Wagens, die Wärme, das Summen…

Gott, bin ich müde…

Jäh schrecke ich aus dem Schlaf auf, springe auf die Füße und fletsche die Zähne.

»Hey… schon gut, ich wollte dich nicht erschrecken.«

Die Stimme des Mannes erklingt dicht neben mir. Als ich in seine Richtung sehe, liegt eine Hand verführerisch auf meinem Käfig und ich könnte sie durchaus erwischen. Aber ich tue es nicht, sondern schnüffle an seinen Fingern, die er in bewundernswerter Weise liegen lässt, obwohl er deutlich zusammenzuckt. Ja, man sollte Respekt vor mir haben, das hat er gut erkannt.

»Danke, dass du mich nicht beißt«, murmelt er.

Ich niese als Zustimmung und er lacht leise auf.

»Ich hol dich dann gleich, nachdem ich die zwei umgesetzt habe«, teilt er mir mit, als ob ich es verstehen würde. Gut, ich verstehe es natürlich schon, aber wenn er das jedem Hund erzählt, sollte ich an seinem Verstand zweifeln.

Während er die anderen Hunde auslädt, werfe ich einen Blick auf das sich mir bietende Bild und strecke die Nase in die Luft. Eine frische Brise weht und ich erhasche den Duft von Gras, Wald, Wild und anderen Tieren. Ein… friedlicher Duft, einer, den ich lange vermisst habe. Und dennoch kann ich nicht bleiben…

Der Mann kommt wieder und hält eine Stange in der Hand. »Hilfst du mir kurz, Peter?« Ich beobachte einen zweiten Mann, der zu uns kommt. Er ist schlaksig und grinst, als er mich sieht.

»Oh, ist der süß«, haucht er und schlägt sich eine Hand vor den Mund.

Ich verdrehe die Augen und knurre mal vorsichtshalber, damit er nicht auf dumme Gedanken kommt. Verdammt, ICH BIN NICHT SÜSS!

»Ähm, glaub mir, ist er nicht. Hilf mir, ihn reinzutragen.«

Gleich darauf schaukle ich wie in einer Sänfte zwischen den beiden Männern und kann einen uneingeschränkten Blick auf den Hintern meines Retters werfen. Also, das könnte echt schwierig werden: Er ist nett, freundlich, hat eine schöne Stimme, kann offensichtlich mit mir umgehen, und hat einen knackigen Hintern. Blöde Mischung.

Dann bin ich in meinem Zwinger und seufze leise. Ich muss eine weitere Eigenschaft von ihm hinzufügen: ordentlich. Schon auf den ersten Blick wird mir klar, dass ich hier kaum etwas finden dürfte, womit ich die Wunde an meinem Hals vergrößern kann.

Kapitel 4

Colin

Wir stellen die Box in den freien Zwinger und sobald Peter wieder gegangen ist, ziehe ich die Tür so weit zu, dass er nicht sofort entkommen kann, wenn ich die Klappe öffne. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass der kleine Bursche nicht begeistert von seiner Gefangenschaft ist.

Ich würde wirklich zu gern wissen, was er erlebt hat, um so zu werden. Leider werde ich es nie erfahren, wie bei so vielen Hunden, die man ausgesetzt hat oder die aus dem Ausland kommen.

»So, da wären wir.« Ich ziehe die Gittertür bis an die Box, öffne den Schnapper und ziehe schnell meine Finger zurück, weil ich seine kalte Nase daran spüre.

Der Jackie hüpft mit einem Satz ins Freie und schüttelt sich ausgiebig, ehe er mit einem Rundgang beginnt. Immer wieder schielt er dabei in meine Richtung und mustert mich eindringlich. Bei keinem anderen Hund zuvor ist mir dieser Blick so… menschlich und intelligent vorgekommen.

Seltsam. Auch die Untersuchung des Zwingers läuft bei ihm gänzlich anders ab. Er untersucht akribisch die Umzäunung, sieht nach oben, als ob er die Höhe abschätzen würde. Sollte er ein Kletterkünstler sein, wird ihm das aber nichts nützen, da der Außenbereich überdacht ist.

Dann geht er nach drinnen und setzt dort die Suche nach etwas, was nur er kennt, fort. Ich schüttle den Kopf und weiß jetzt schon, dass ich ihn nicht so schnell weggeben werde. Dazu ist er zu aufgeweckt, zu… ich weiß nicht, anders würde vielleicht passen.

»Jetzt komm erst mal zur Ruhe, ich schau dann später noch mal nach dir.« Er quittiert meine Worte mit einem festen Blick, als würde er sie verstehen. Dann stehe ich auf, räume die Boxen wieder in das Lager und gehe ins Büro zurück, um da weiterzumachen, wo ich aufgehört habe.

Etwa eine Stunde später kommt Maria aufgeregt ins Büro geplatzt. »Colin? Du musst schnell kommen. Im Zwinger des Jackies ist alles voller Blut, er muss sich verletzt haben.«

»Was?« Alarmiert springe ich auf die Füße und stecke mir im Gehen das Handy in die Gesäßtasche meiner Jeans. »Wie ist das denn möglich?«, frage ich und gehe mit ihr gemeinsam hinaus.

»Ich weiß es nicht, ehrlich. Peter meinte vorhin, der Hund hätte an einer Stelle des Zaunes immer wieder reingebissen und mit den Pfoten gekratzt.«

»Mann, ich dachte mir schon beim ersten Blick, dass der Kleine Probleme machen wird«, sage ich mehr zu mir selbst und schüttle den Kopf.

Maria nickt lediglich und versucht, mit mir Schritt zu halten. Um mir ein Bild zu machen, gehe ich an den Außenanlagen zu seinem Zwinger und sehe schon von Weitem, dass er tatsächlich blutet und mit seiner Hinterpfote Tropfen auf dem Boden verteilt. Er kratzt sich wie ein Verrückter an der rechten Halsseite und reißt dabei eine bereits vorhandene Wunde weiter auf.

Als er uns herankommen sieht, kreischt er regelrecht und strahlt wieder diese unbändige Wut aus wie in dem Lieferwagen auf der Autobahn. Er weicht vor uns zurück, hört aber nicht auf, die Krallen in die Wunde zu schlagen.

»Gott, du dummer Kerl, was machst du denn da?« Es fällt mir schwer, nicht die Stimme zu erheben, aber angesichts seines Temperaments bringt das nicht viel.

»Das muss doch wehtun. Warum hört er nicht auf?«, fragt Maria neben mir und zieht die Luft ein, als deutlich zu sehen ist, wie er die Haut weiter aufreißt.

»Das ist ein Terrier, die haben wenig Schmerzempfinden, auch wenn Rüden eigentlich öfters nicht so taff sind.« Ich seufze, als er mich direkt anknurrt und die Zähne fletscht. »Du bist anders, das hab ich auch schon gemerkt, Kleiner. Aber es hilft nichts, obwohl ich dir gern mehr Zeit gegeben hätte, muss ich jetzt zu dir rein.«

»Auweia«, murmelt Maria leise neben mir und spricht aus, was ich denke. »Soll ich dir helfen?«

»Nein, lass mal. Ruf den Notruf, falls er mich zerfleischt«, antworte ich lachend, fühle mich aber nicht sonderlich wohl dabei. Aber wenigstens hat der Hund aufgehört zu kratzen und verfolgt meine Worte und Bewegungen mit erhobener Hinterpfote, was irgendwie witzig aussieht.

Gleich darauf stehe ich mit schweren Arbeitshandschuhen, einer Leine und einem Halti bewaffnet vor der Zwingertür und atme tief durch. Auf in den Kampf. Vorsichtig schiebe ich mich hinein und suche den Hund. Auch wenn das hier ernst ist, muss ich trotzdem lachen. Der kleine Kerl steht breitbeinig mit hochgezogenen Lefzen draußen im Auslauf, den Kopf gesenkt und voll angespannt, als würde er sofort auf mich losgehen. Aber es ist nicht lustig, denn aus seiner rechten Halsseite tropft stetig Blut.

»Okay, du. Bringen wir es hinter uns, hm?« Langsam gehe ich in den Auslauf und schließe die Tür hinter mir, um den Fluchtraum zu verringern, auch wenn ich es lieber drinnen gemacht hätte, um die anderen Hunde nicht zu verstören. Aber der Jack Russell ist wie festgewachsen und weicht auch nicht zurück, als ich mich ihm nähere.

Unvermittelt fühle ich mich an den Weißen Hai erinnert und es fehlt nur noch die gruselige Erkennungsmelodie. Ich lache auf, weil das so bescheuert ist und in genau dem Moment bewegt sich der Hund und setzt sich hin. Plötzlich wirkt er verwirrt, als könne er mein Lachen so gar nicht einordnen.

Da er mich bis auf einen Meter an sich ranlässt, gehe ich in die Knie und lege die mitgebrachten Sachen neben mich auf den Boden. »Hör zu, ich will dir nichts tun, aber ich muss dich zum Tierarzt bringen.« Während ich das sage, sehe ich mich im Zwinger um und finde die Stelle, an der er sich verletzt hat. Stirnrunzelnd betrachte ich kurz die durchgebissenen Drähte und wäre es nicht völlig abwegig, würde ich behaupten, er hätte sich die Wunde absichtlich zugeführt.

»Was hast du da bloß angestellt?«, frage ich und erwarte fast eine Antwort. Stattdessen niest er wieder und legt die Stirn auf sehr menschliche Weise in Falten. Wenn ich nicht aufpasse, klaut der kleine Kerl mir nicht nur das Herz, sondern auch das Gehirn. Ich darf nichts in seine, zugegebenermaßen untypischen, Reaktionen hineindichten.

Seufzend strecke ich eine Hand nach ihm aus und hoffe, er geht nicht sofort auf mich los. »Ich tu dir nichts, Kleiner«, murmle ich in meiner besten Hundeberuhigungsstimme, auf die eigentlich immer Verlass ist. Bei ihm führt es lediglich dazu, dass er regelrecht die Augen verdreht und ich mich verarscht fühle.

Langsam robbe ich auf Knien näher und beobachte ihn genau. Seine Lefzen zittern und ich sehe, wie er jeden Muskel anspannt. Aus der Nähe kann ich auch die Verletzung besser erkennen und sehe, dass sie nicht neu sein kann. Verschorftes Blut klebt in seinem Unterfell, was ich längst entdeckt hätte, wäre er nicht so unfreundlich.

Noch ein Stück näher. Inzwischen trennen uns nur gute 30 Zentimeter und er bleibt noch immer sitzen. Ich höre Marie vor dem Zaun schwer atmen und werfe ihr ein Lächeln zu, das ich gar nicht empfinde.

»Prima, so machst du das gut.« Vorsichtig greife ich in meine Tasche, um ein paar wohlriechende Leckerchen zu holen. Obwohl die drei Neuankömmlinge bei ihrer Ankunft gefüttert wurden, kann das nie schaden.

Der Hund verfolgt meine Bewegung aufmerksam und wechselt immer wieder zwischen meinen Augen und meiner Hand hin und her. Dann ziehe ich sie zurück und drehe sie mit der Handfläche nach oben, öffne langsam die Faust und kippe aufschreiend nach hinten, als er mich völlig unerwartet anspringt.

Reflexartig bedecke ich mit dem anderen Arm meine Kehle, kneife kurz die Augen zu und will ihn abwehren, aber ich spüre keinen schmerzhaften Biss. Stattdessen setzt vor dem Käfig zweistimmiges Lachen ein und ich fühle mich noch mehr verarscht als ohnehin schon.

Und der Hund? Er hat mich tatsächlich voll angesprungen, umgeworfen und sich dann mit ganzem Körpergewicht auf meinen Arm gelegt, in dessen Hand die Leckerchen liegen. Jetzt drückt er seine kalte, feuchte Nase auf meine Finger und versucht, an den Schatz zu kommen.

Langsam richte ich mich etwas auf und strecke meinen Zuschauern die Zunge raus, muss aber selbst lachen. Dann sehe ich auf den Jackie hinab und öffne meine Hand. Er inhaliert die Futterstücke geradezu und ich sehe, warum. Aus der Nähe, gut verborgen unter seinem rauen Fell, sieht man die Rippen und Hüftknochen deutlich.

Versuchsweise streichle ich ihn an der Flanke, was ihn zum Erstarren bringt, aber nach einem Blick in meine Richtung leckt er meine Handinnenfläche ab und setzt sich dabei auf meinen Unterarm.

»Du bist ja echt ein Komiker, Kleiner«, sage ich leise und ernte ein Schwanzwedeln dafür. Vorsichtig schiebe ich ihn etwas beiseite und richte mich auf. »Ich hab noch mehr«, flüstere ich leise und greife erneut in meine Tasche. Er bellt aufgeregt und plötzlich kommt Leben in seinen Schwanz und er wedelt wie verrückt. Sollte es wirklich so einfach mit ihm sein? Kaum zu glauben, aber ich bin lange genug Hundemensch, um weiterhin vorsichtig zu sein.

Weitere Leckerchen verschwinden in seinem Maul und ich kann ihm tatsächlich problemlos die Leine umlegen.

»Maria? Bringst du mir bitte das kleine Geschirr?«

Nur Minuten später sitze ich mit einem völlig verwandelten Hund wieder im Auto und fahre zu Henri, dem ich vorher kurz Bescheid gegeben habe. Von dem Jackie wusste er schon, weil Paul natürlich bereits angerufen hat und ihm von meinem Fang erzählen musste. Umso überraschter ist er dann, als ich mit dem Terrier an der lockeren Leine in seine Praxis komme und der Hund den Eindruck macht, als wäre er schon lange Jahre an meiner Seite.

Wehmütig sehe ich zu ihm hinab und beobachte, wie er interessiert die Umgebung scannt und erneut keinerlei Anzeichen von Angst oder Unsicherheit zeigt.

Nach einem kurzen Gespräch mit der Sprechstundenhilfe, die natürlich auch sofort dem Charme des jetzt völlig gelassenen Hundes erliegt, kommt Henri grinsend um die Ecke.

»Ja, hallöchen. So schnell hätte ich jetzt mit dir nicht gerechnet.«

Ich sehe ihm entgegen und muss lachen. Henri ist neben Paul mein bester Freund, aber seine Macke mit Hawaiihemden à la Magnum finde ich nach wie vor befremdlich. Zumindest wird es mit ihm nie langweilig.

»War auch nicht geplant, aber das Kerlchen hier besitzt neben der typischen Selbstüberschätzung auch den Hang zur Selbstzerstörung, wie man sieht.« Ich deute auf den Hund, die unübersehbare Wunde und das viele Blut an seinem Hals. Obwohl der Jackie mir zugestanden hat, das Gröbste wegzuputzen, hat es nicht viel genützt.

»Ah, ich sehe. Dann kommt mal mit, ihr beiden.«

Wir folgen Henri in einen Behandlungsraum und er geht vor dem Hund auf die Knie, wobei er ihm ein Leckerchen anbietet. Vorsichtig lässt er ihn an seiner Hand schnuppern und streichelt ihm dann über den Kopf, was der Hund völlig gleichmütig über sich ergehen lässt.

»Das Kerlchen ist echt 'ne Wundertüte. Vor einer Stunde hättest du dich das sicher nicht getraut, da war er eine wilde Bestie.«

»Dann hast du wohl wieder mal Wunder gewirkt?«, fragt Henri schmunzelnd, aber es liegt keine Häme in seiner Stimme.

»Dann wäre ich inzwischen aber wirklich ein Künstler, was das angeht.« Während ich das sage, blickt mich der Jackie wieder mit einem derart menschlichen Blick an, dass ich eine Gänsehaut bekomme.

»Meinst du, du kannst ihn auf den Tisch heben?«, fragt Henri und streicht erneut über das struppige Fell.

»Denke schon.« Ich schnalze mit der Zunge und locke den Hund zu mir, greife zwischen seine Vorderbeine und um seinen Hintern und hebe ihn probeweise hoch.

Er bleibt völlig passiv, lediglich seine Rute bewegt sich leicht. »Na dann«, flüstere ich leise und hebe ihn auf den blanken OP-Tisch. Unter meiner Hand spüre ich seinen kraftvollen Herzschlag, der seiner äußeren Gelassenheit widerspricht. Ganz so cool, wie er sich gibt, ist das Kerlchen also doch nicht. Aber egal. Hauptsache, er beißt nicht um sich und wir können die Wunde versorgen.

Henri untersucht ihn routiniert und spricht leise mit ihm. Der Jackie bleibt völlig gelassen und nur dank meiner guten Beobachtungsgabe sehe ich ihm die Anspannung an.

Schließlich sieht sich Henri die Wunde am Hals an, nachdem ich dem Hund ein Halti umgelegt habe. Noch immer scheint er kaum Schmerzen zu haben, zumindest merkt man es ihm nicht an.

Plötzlich richtet sich Henri auf und sieht mich mit gerunzelter Stirn an.

»Das ist seltsam. Da scheint was drin zu sein. Für einen Chip ist es eigentlich zu groß…«

»Er hat keinen, das haben wir schon nachgesehen.«

»Hm, ich muss ihn röntgen, um zu sehen, was das sein könnte.«

Seltsamerweise hält der Hund bei Henris Worten fast den Atem an, so als würde er verstehen, was hier vor sich geht.

»Dann machen wir das, oder?«

»Ja«, meint Henri, dreht den Hund herum und tastet dessen Hinterteil ab. Als er an den Hoden angelangt ist, schnauft das Tier kurz und ich muss mir ein Lachen verkneifen. »Noch ein ganzer Kerl… Vielleicht sollten wir ihn gleich kastrieren, wenn wir ihn schon wegen dem Fremdkörper in Narkose legen müssen…«

Ruckartig hüpft der Hund zur Seite und knurrt Henri an. Ich lache auf. »Ich denke, das mit dem Kastrieren lassen wir erst mal.«

Henri betrachtet den Hund ernst. »Vielleicht hat er ja auch Schmerzen…« Er streckt seine Hand aus und greift erneut nach dem Tier, aber das setzt sich einfach auf den Hintern und entzieht sich ihm so.

»Ich glaube nicht. Nenn mich verrückt, aber ich hab das Gefühl, er weiß genau, was du vorhast.«

Jetzt lacht Henri ebenfalls. »War ja auch nur ein Vorschlag. Jetzt röntgen wir erst mal und dann sehen wir weiter.«

Lustigerweise entspannt sich der Jackie sofort, seufzt und lehnt vertrauensvoll seinen Kopf an meinen Bauch. Ich werde überhaupt nicht mehr schlau aus seinem Verhalten. Sachte streichle ich ihn und lächle versonnen. Er stiehlt mir tatsächlich das Herz.

Kapitel 5

Lias

Ich glaube tatsächlich, dieses Mal habe ich richtig Glück und bin an gute Leute geraten. Zwar bin ich wieder in Gefangenschaft, aber wenigstens behandelt man mich gut und die Chancen zu fliehen stehen besser denn je. Jetzt werde ich geröntgt und mit noch mehr Glück entfernt mir der Arzt nachher das Mistding.

Colin steht an dem Tisch und trägt einen Strahlenschutz. Also bleibt er während der Aufnahme bei mir. Ich schließe die Augen und genieße seine warmen Hände, die mich beruhigend streicheln, und seine sanfte Stimme, mit der er mir immer wieder erzählt, dass mir nichts passieren wird.

Ich glaube ihm tatsächlich, und das auf ganz viele Arten. Er ist einer von den Guten, einer, der sich kümmert und nicht wegsieht. Meine Hundeseele hat das sofort erkannt und auch mir ist es sehr wohl bewusst. Dennoch darf ich seinen Beistand und seine liebevolle Art nicht zu sehr an mich ranlassen, da ich wegmuss.

Da draußen wartet eine schwere Aufgabe auf mich und es ist ohnehin schon viel zu viel Zeit vergangen. Aber jetzt sieht die Zukunft besser aus und sobald das Ding aus mir raus ist, kann mich nichts mehr aufhalten.

Die Maschine arbeitet und gleich darauf bin ich wieder im Behandlungszimmer und starre mit den beiden Männern auf das Röntgenbild, auf dem man den länglichen Gegenstand deutlich erkennen kann.

Ich weiß, dass weder der Tierarzt noch Colin wissen werden, um was es sich dabei handelt. Wahrscheinlich werden sie denken, ich hätte mir das Ding irgendwo reingerammt.

»Es sitzt nicht tief, vielleicht können wir es ohne Narkose rausholen«, meint der Arzt und ich wedle begeistert mit dem Schwanz.

Mit dem Schmerz habe ich keine Probleme, den kann ich locker ab, Hauptsache, es kommt raus.

Colin beobachtet mich genau und ich muss meine Begeisterung zügeln, weil er schon die Stirn runzelt. Er kann mich verdammt gut lesen und offensichtlich gleite ich immer wieder in zu menschliches Verhalten ab, was bei ihm ein Fehler sein könnte.

»Ich denke auch, er muss nicht in Vollnarkose.«

»Dann mal los«, stimmt der Tierarzt zu und bereitet alles vor.

Minuten später liege ich auf dem Tisch, genieße wieder Colins Hände und versuche mich zu entspannen. Endlich ist es so weit! Endlich, nach so vielen Wochen, habe ich eine reelle Chance.

Der Arzt setzt die Spritzen fachmännisch und nach kurzer Zeit hält er triumphierend das Stück verfluchten Metalls in der Zange und grinst Colin an. »Das ging leichter als gedacht. Es kann noch nicht lange da drin sein, da es nicht eingewachsen war.«

»Was ist das für ein Ding?«, fragt Colin und betrachtet es näher.

»Keine Ahnung, kein Chip zumindest, da hast du recht. Es kann ihn auch kaum gestört haben, da es nicht in der Nähe des Gelenks war.«

»Vielleicht ist er allergisch gegen das Metall?«, mutmaßt Colin weiter und ich bin fast gewillt zu nicken.

Wobei, Allergie trifft es nicht ganz…

»Egal. Jetzt ist er es los und muss nicht mehr meinen Zaun demolieren, um es selbst rauszuholen. Stimmt's?« Er sieht mich an und ich niese leise als Zustimmung.

Das hätten wir also geschafft. Jetzt muss ich nur noch rausfinden, wie ich aus dem Zwinger komme.

Auf dem Rückweg zum Tierheim zittere ich unbeherrscht. Colin denkt, ich hätte vielleicht doch Schmerzen, aber die sind nicht der Grund. Zwar ziept die Wunde etwas, aber ich habe schon Schlimmeres erlebt und durchgestanden.

Der Grund für mein Zittern ist pure Aufregung und der Drang, dem Ich, das so lange zwanghaft unterdrückt wurde, endlich wieder freien Lauf zu lassen. Aber das muss noch warten, so schwer es mir auch fällt.

Dann bin ich wieder im Zwinger und bedaure fast, dass Colin hinter mir die Tür schließt. Was es auch ist, der Mann berührt etwas in mir und er hat die Macht, mich zu beruhigen, mich… besser fühlen zu lassen, nicht mehr so gehetzt und wütend.

Aber ich darf dem nicht nachgeben, muss ihn hinter mir lassen, noch ehe ich alles gekostet habe, wonach ich mich sehne.

Einige Minuten stehe ich bewegungslos hinter der Tür und starre sie an, als gäbe sie ihn wieder frei und er kehrt zu mir zurück. Tut er aber nicht. Und jetzt heißt es Geduld haben, was mir unglaublich schwerfällt.

Ein letztes Mal schaut die junge Frau bei mir vorbei und ich gehe ans Gitter, um mich von ihr streicheln zu lassen. Ich mag sie, eigentlich alle hier, stelle ich überrascht fest. Hier herrscht Frieden und auch die anderen Hunde wirken gelassen und friedlich.

Wehmut überkommt mich und ich rolle mich in einer Ecke zu einer Kugel zusammen. Obwohl ich es mir sonst strikt verbiete, denke ich jetzt an die Meinen und Tränen quellen aus meinen Augen.

Es darf mir hier einfach nicht gefallen. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen und man verlässt sich auf mich!

Kapitel 6

Colin

Der Jackie hat die kleine OP wirklich gut weggesteckt und macht seiner Rasse alle Ehre. Ein wirklich taffer kleiner Kerl. Maria hat noch ein letztes Mal nach ihm geschaut, ehe sie ging und da machte er einen sehr zufriedenen Eindruck und hat sich sogar von ihr streicheln lassen.

Er sollte mich dennoch nicht so beschäftigen. Als ich das hier anfing, habe ich mir geschworen, keinen meiner Schützlinge zu bevorzugen, und es hat bis dato auch funktioniert. Jetzt jedoch… der kleine Kerl ist weit davon entfernt, einer unter vielen zu sein und eigentlich wünsche ich mir, ihn hier in die Wohnung zu holen, statt ihn draußen im Zwinger zu lassen. Ihn irgendwann zur Adoption freizugeben, ist längst keine Option mehr, das wird mir klar. Darüber werde ich morgen mit Marie und Peter mal reden. Mit viel Glück reden sie mir das wieder aus.

Ich strecke mich und trinke meine Bierflasche aus, dann stehe ich auf und drehe noch eine letzte Runde über den Hof, so wie ich es jeden Abend mache. Die Ruhe tut mir gut, wenn alle Tiere friedlich schlafen und nur hin und wieder einer kurz bellt, weil er mich hört.

Vor dem Zwinger des Jackies bleibe ich länger stehen und lege meine Hände auf das Gitter. Was hast du nur an dir?, frage ich mich und seufze schließlich schwer. Scheinbar hat er mich gehört, weil er den Kopf durch die Klappe streckt und zu mir heraufsieht.

»Hey, du«, flüstere ich und gehe in die Hocke.

Er schüttelt sich kurz und kommt dann langsam zu mir. In kurzem Abstand vor dem Gitter bleibt er stehen und sieht mich an, als überlege er, was er mit mir anstellen soll.

»Was soll ich nur mit dir machen?«, frage ich ihn, als könnte er mir antworten.

Er niest leise, setzt sich hin und wischt sich mit der Vorderpfote über die Schnauze. Dann schüttelt er sich und überbrückt den restlichen Abstand, drückt sich mit der Seite, an der die Wunde ist, an das Gitter und grummelt leise, als ich die Finger hineinstecke, um ihn zu streicheln. Wäre es nicht so spät, würde ich zu ihm reingehen und unsere Freundschaft vertiefen.

»Dann schlaf mal gut, Kleiner. Morgen wechseln wir den Verband und vielleicht nehme ich dich mit auf einen Spaziergang, hmm?« Was rede ich da bloß?

Der Hund winselt leise und wedelt mit dem Schwanz. Schließlich dreht er sich mit dem Kopf zu mir und schleckt mir kurz über die Finger, sein Blick dabei ist wieder… so unheimlich menschlich, dass ich eine Gänsehaut bekomme.

Ich sollte wirklich ins Bett. »Gute Nacht«, flüstere ich leise, stehe auf und gehe zurück in meine Wohnung.

Eigentlich habe ich keine Schlafprobleme, aber diese Nacht ist seltsam. Gegen zwei, also rund drei Stunden nachdem ich ins Bett gegangen bin, wache ich unruhig auf, kann aber nichts hören, was mich geweckt haben könnte. Meine Station liegt recht abgelegen am Rande eines Waldes, deshalb kann es gut sein, dass uns ein Wildtier einen Besuch abstattet, aber selbst die lösen in der Regel keinen Tumult mehr unter meinen Schützlingen aus. Auch jetzt ist es still, fast zu still. Einige Minuten bleibe ich noch liegen, aber nichts ändert sich. Als mir klar wird, dass ich nicht wieder einschlafen kann, stehe ich auf und gehe ins Büro, das direkt an meine Küche grenzt.

Mit einem komischen Gefühl fahre ich meinen Rechner hoch, damit ich die Überwachungskameras überprüfen kann. Nach einer unschönen Beißerei vor zwei Jahren habe ich das System einbauen lassen und obwohl ich es nicht oft brauche, leistet es mir in so Situationen wie heute eine gute Arbeit. Jetzt rauszugehen würde nur für Unruhe sorgen und den Rest der Nacht verderben. Sollte ich aber etwas entdecken, kann ich gezielt handeln.

Während das System hochfährt, mache ich mir einen Espresso und schlüpfe in ein T-Shirt und Jogginghosen.

Als ich wiederkomme, flackert das Bild der Außenkamera etwas und ich erkenne Bewegung am rechten Rand, dort, wo der Parkplatz in eine Wiese übergeht, die an den Wald grenzt. Ein junger Fuchs schnürt durch das niedrige Gras und schnüffelt an den Mülleimern, die ich wohlweislich jeden Abend leeren lasse. Heiseres Bellen erklingt sofort, als er sich dem äußersten Zwinger nähert. Das ist Bella, die ältere Bulldogge, die zwar mosert, aber sicher nicht rauskommt, denn dazu ist sie viel zu faul. Aber ihr Warnruf genügt, um den Fuchs umdrehen zu lassen.

Aber das Tier ist nicht der Grund für meine Unruhe, spüre ich. Per Mausklick ändere ich die Kamera und gehe erst den Außenbereich durch und dann die einzelnen Zwinger. Was es auch ist, die Tiere spüren offensichtlich das Gleiche wie ich, denn anstatt friedlich zu schlafen, sind alle auf den Beinen und starren in Richtung der neuen Hunde.

Meine Nackenhaare stellen sich auf und plötzlich habe ich Angst weiterzusuchen. Was, wenn dem Jack Russell etwas passiert ist?

Zwinger für Zwinger klicke ich weiter, bis ich mit zitternden Fingern schließlich die betreffende Kamera anklicke, die seinen Kennel filmt, und erstarre. Mir fällt beinahe die Espressotasse aus der Hand, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie noch immer festhalte.

Verdammt! Wie kann das passieren? Da steht doch tatsächlich ein junger, schlanker und vor allem nackter Mann in seinem Gehege und versucht, die Außentür zu öffnen. Wie kommt der da rein?

»Na warte.« Mit einem Satz springe ich regelrecht in die Höhe und renne Richtung Tür, bleibe dann aber stehen und atme tief durch. Es bringt gar nichts, wie ein Wilder da rauszustürmen und außerdem frage ich mich, warum der Hund sich nicht blicken lässt.