Endlich eine Heimat … - Toni Waidacher - E-Book

Endlich eine Heimat … E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Ich würd' sagen, wir überlegen uns jetzt gemeinsam, wo unser diesjähriger Ministrantenausflug hingehen soll. Einverstanden? Jeder von euch macht einen Vorschlag, und am Schluss wird abgestimmt.« Pfarrer Trenker schaute erwartungsvoll auf die Ministranten und Ministrantinnen, die um den Tisch auf der Terrasse des Pfarrhauses saßen und gierig Sophie Tapperts selbstgemachtes Himbeereis löffelten. »Also, ich würd' am liebsten wieder auf die Kandereralm gehen wie letztes Jahr«, schlug Bertl, der Sohn des Gantner-Bauern vor. »Da oben war es einfach super.« Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann verpasste Hansi Hofmeister, der neben Bertl saß, seinem Tischnachbarn einen Rippenstoß. »Ich sag ja net, dass es auf der Kandereralm net schön gewesen wäre«, räumte er ein. »Aber zweimal hintereinander das Gleiche machen, will höchstens so eine Trantüte wie du, Bertl. Ich hab' dazu keine Lust. Und die anderen bestimmt auch net. Wenn schon eine Bergtour, dann lieber zur Streusachhütte.« Es erhob sich teils zustimmendes, teils ablehnendes Gemurmel, das Sebastian schließlich mit einer Handbewegung dämpfte. »So gern ich mit euch in den Bergen wandern würd'«, meinte er, »aber weil wir auch an den Tobi denken müssen, der frisch aus dem Krankenhaus kommt, müssen wir bei unserem diesjährigen Ausflug wohl darauf verzichten. Sein Kreuzbandriss ist zwar erfolgreich operiert worden, aber in den nächsten paar Wochen darf der Tobias sein Knie bestimmt noch net so stark belasten.« »Ach so. Daran haben wir gar net gedacht«

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Seitenzahl: 124

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Der Bergpfarrer – 241 –Endlich eine Heimat …

Der Traum einer Zirkusprinzessin

Toni Waidacher

»Ich würd’ sagen, wir überlegen uns jetzt gemeinsam, wo unser diesjähriger Ministrantenausflug hingehen soll. Einverstanden? Jeder von euch macht einen Vorschlag, und am Schluss wird abgestimmt.«

Pfarrer Trenker schaute erwartungsvoll auf die Ministranten und Ministrantinnen, die um den Tisch auf der Terrasse des Pfarrhauses saßen und gierig Sophie Tapperts selbstgemachtes Himbeereis löffelten.

»Also, ich würd’ am liebsten wieder auf die Kandereralm gehen wie letztes Jahr«, schlug Bertl, der Sohn des Gantner-Bauern vor. »Da oben war es einfach super.« Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann verpasste Hansi Hofmeister, der neben Bertl saß, seinem Tischnachbarn einen Rippenstoß. »Ich sag ja net, dass es auf der Kandereralm net schön gewesen wäre«, räumte er ein. »Aber zweimal hintereinander das Gleiche machen, will höchstens so eine Trantüte wie du, Bertl. Ich hab’ dazu keine Lust. Und die anderen bestimmt auch net. Wenn schon eine Bergtour, dann lieber zur Streusachhütte.«

Es erhob sich teils zustimmendes, teils ablehnendes Gemurmel, das Sebastian schließlich mit einer Handbewegung dämpfte.

»So gern ich mit euch in den Bergen wandern würd’«, meinte er, »aber weil wir auch an den Tobi denken müssen, der frisch aus dem Krankenhaus kommt, müssen wir bei unserem diesjährigen Ausflug wohl darauf verzichten. Sein Kreuzbandriss ist zwar erfolgreich operiert worden, aber in den nächsten paar Wochen darf der Tobias sein Knie bestimmt noch net so stark belasten.«

»Ach so. Daran haben wir gar net gedacht«, gab Monika Hirlmeier zu. »Was haltet ihr von einem Tag am Achsteinsee?«, schlug sie vor. »Ich bin mir sicher, dass der Tobias schwimmen darf. Mein Papa ist nämlich vor zwei Jahren auch am Knie operiert worden, und da hat

er …«

»Bloß net!«, unterbrach Peter, dessen Mutter am See einen Andenkenladen betrieb, Monika. »Am Achsteinsee bin ich jeden Tag. Jahraus, jahrein. Dazu brauch’ ich keinen Ministrantenausflug.«

»Das stimmt. Aber wenn wir vielleicht nach Garmisch fahren würden?«, versuchte ein anderer Ministrant zu schlichten. »Wir könnten die Skiflugschanze besichtigen und das Eisstadion.«

»Und das mitten im Sommer! Du bist doch net ganz gescheit«, murrte Peter.

Sebastian Trenker schaute auffordernd in die Runde. Angela Ilgner, die Jüngste, fasste sich ein Herz, als er ihr zulächelte.

»Ich hätt auch eine Idee, was wir unternehmen könnten. Wir könnten zum Beispiel nach Graunau fahren. Das ist auch net so weit.«

»Graunau? Aber da gibt’s doch gar nix zu sehen. Meinst net, dass das eine ziemlich langweilige Angelegenheit wird, Angela?«, winkte Peter ab.

Angela Ilgner schüttelte energisch den Kopf.

»Langweilig wird es uns in Graunau ganz bestimmt net«, behauptete sie. »Dort hält nämlich grad ein Zirkus. Mein Bruder, der Matthias, ist schon ein paar Mal hinübergefahren und hat sich die Vorstellung angeschaut. Er hat gemeint, sie sei wirklich ganz große Klasse. Und das will etwas heißen, weil der Matthias net leicht irgendetwas lobt. Es wird net nur einfach ein Nachmittags- oder Abendprogramm abgespult wie in den meisten Zirkussen. Man kann auch selber ein bissel mitmachen. Das find ich echt Spitze.«

Sebastians Interesse war geweckt. Aber auch die anderen am Tisch waren aufmerksam geworden.

»Wie heißt denn der Zirkus überhaupt?«, wollte Peter nun wissen.

»Zirkus Rotondo heißt er«, antwortete Angela. »Wahrscheinlich Italiener. So hört es sich jedenfalls an. Mein Bruder hat gesagt, der Zirkusdirektor sieht danach aus. Und seine Tochter hat lange pechschwarze Locken, ein Gesicht wie eine italienische Schauspielerin und tiefdunkle Augen.«

»Kurz und gut: ein echtes Rasseweib«, fasste Hansi Hofmeister altklug zusammen, was ihm einen amüsierten Blick Pfarrer Trenkers eintrug.

»Was heißt denn eigentlich ›ein bissel mitmachen‹?«, wollte Monika Hirlmeier wissen. »Weil wir doch Rücksicht auf den Tobias nehmen müssen.«

»Das ist bestimmt kein Problem«, erklärte Angela. »Denn was man ausprobieren will, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Da ist auch für den Brandner-Tobias etwas dabei. Auf einem Kamel zu reiten zum Beispiel ist überhaupt net schwierig. Das kann jedes Kind. Sogar meine Freundin Anja hat es ausprobiert und eine Menge Spaß dabei gehabt. Und die ist unsportlich wie ein Elefant.«

Unter den Ministranten wurde Gekicher laut.

»Gibt es eigentlich auch Elefanten bei diesem Zirkus Rotondo?«, versuchte Monika Hirlmeier dem Heiterkeitsausbruch der Buben die Spitze zu nehmen.

Angela, die rot geworden war, nickte eifrig.

»Freilich. Und dressierte Pudel. Und ein Dromedar«, wusste sie zu berichten. »Und selbstverständlich jede Menge Pferde. Maria Rotondo, die Tochter des Zirkusdirektors, macht nämlich unter anderem eine Pferdenummer, bei der sie voltigiert.«

Angela erinnerte sich noch ganz genau, wie ihr Bruder Matthias vor ein paar Tagen beim Frühstück von den Reitkünsten der schönen Maria geschwärmt hatte. So lange, bis der Ilgner-Bauer immer missmutiger geworden war und Matthias schließlich mit einem verächtlichen Blick an die Arbeit geschickt hatte, damit ihm endlich die dummen Gedanken vergingen.

»Und Löwen?«, kam es nach einer Weile von Bertl Gantner. »Raubtiernummern finde ich nämlich toll. Und so einem Dompteur würde ich wahnsinnig gern einmal assistieren.«

Angela lachte.

»Löwen haben sie schon«, gab sie zurück. »Aber net solche, wie du meinst, Bertl. Die Löwen vom Zirkus Rotondo sind net gefährlich. Weil sie gar keine richtigen Löwen sind. Sondern bloß Menschen, die in Löwenkostümen stecken. Ihr Dompteur ist ein Clown mit einem Zylinder, einer riesigen roten Knollennase und viel zu großen Schuhen. Den treiben sie fast in den Wahnsinn, weil sie nix kapieren und alles falsch machen.«

Wieder erhob sich allgemeine Heiterkeit.

»Da hast du ja gerade noch einmal Glück gehabt, Bertl«, versetzte Peter hämisch. »Jetzt brauchst du deine großspurige Ankündigung, den Löwendompteur zu geben, wenigstens net wahr machen. Andernfalls wär es dir schlecht ergangen. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass du schon noch rechtzeitig einen Rückzieher gemacht hättest, du Feigling.«

»Erst Trantüte, dann Feigling. Jetzt reicht’s mir aber, du Blödmann, und zwar gründlich! Ich werd dir gleich zeigen, was ich bin und was net«, protestierte Bertl. Seine kleinen Hände ballten sich zu Fäusten.

»Schluss jetzt«, sagte der Bergpfarrer energisch. »So wie es ausschaut, können wir jetzt abstimmen. Jeder von euch hat einen Vorschlag gemacht. Wer also dafür ist, dass wir zum Zirkus Rotondo nach Graunau fahren, soll die Hand heben.«

Vier Finger schnellten so gleichzeitig hoch, als hätte jemand einen unhörbaren Startschuss gegeben.

Nur Peter Bammler zögerte noch einen Moment. Aber als er die einhellige Zustimmung der anderen sah, schloss er sich, wenn auch mit einiger Verzögerung, an.

»Gut. Damit wäre also einstimmig beschlossen, dass wir nach Graunau fahren«, erklärte Pfarrer Trenker. »Als Termin schlage ich den nächsten Mittwoch vor. Das ist der letzte Schultag vor den großen Ferien. Da habt ihr ein bissel früher frei. Und im Urlaub ist auch noch keiner von euch.«

»Und wenn der Zirkus bis dahin schon weitergezogen ist?«, wandte Peter Bammler ein, doch Angela verneinte sofort.

»Das ist er ganz bestimmt net«, versicherte sie. »Mein Bruder hat gefragt. Der Zirkus bleibt noch gute vierzehn Tage dort.«

»Wunderbar. Dann wäre also alles geklärt«, resümierte Pfarrer Trenker zufrieden. »Bleibt lediglich die Frage offen, wer ein zweites Himbeereis möchte. Frau Tappert hat, soviel ich weiß, noch jede Menge davon auf Vorrat.«

Diesmal waren es fünf Finger, die sofort in die Höhe flogen.

Wobei Pfarrer Trenker hätte schwören können, dass der Peter diesmal sogar einen leichten Vorsprung gehabt hatte.

*

Die Nachmittagsvorstellung des Zirkus Rotondo war unter großem Beifall des vorwiegend jungen Publikums zu Ende gegangen.

Als glanzvollen Abschluss der Vorstellung, hatte Maria Rotondo alle ihre prächtigen Pferde in die Manege stürmen lassen, und mit ihren Darbietungen großen Applaus geerntet. Selbst Sebastian Trenker war begeistert von dem Können und dem Mut der jungen Reiterin.

Wieder und wieder verneigte sich Maria Rotondo. Mit der einen Hand hielt sie ein tänzelndes Pferd am Zügel, mit der anderen löste sie bei der fünften oder sechsten Verbeugung anmutig den Knoten, zu dem sie ihre Haare während des Ritts im Nacken zusammengefasst hatte. Wie ein Mantel fielen ihr ihre langen Locken bis zu den Hüften und streiften bei jedem weiteren tiefen Knicks mit den Spitzen den Sand der Manege. Schließlich dämpfte Maria mit einer winkenden Bewegung ihrer schlanken langfingerigen Hände den Applaus und machte deutlich, dass sie etwas sagen wollte.

»Liebe Kinder und Jugendliche, ich danke euch vielmals für die Aufmerksamkeit und das Interesse, das ihr unseren Darbietungen entgegengebracht habt«, sagte sie mit weicher melodischer Stimme. »Wir vom Zirkus Rotondo freuen uns alle sehr, dass es euch so gut gefallen hat. Wenn ihr Lust habt, uns, unsere Tiere und unsere Arbeit näher kennen zu lernen, seid ihr gerne dazu eingeladen. Ihr könnt zum Beispiel unsere Tiere aus nächster Nähe anschauen und selbst ein paar Kunststückchen ausprobieren. Und natürlich könnt ihr euch auch ein bisschen hinter den Kulissen umsehen und euch informieren, wie wir wohnen und leben. Besonders herzlich eingeladen sind die Ministrantinnen und Ministranten aus St. Johann, die zusammen mit ihrem Pfarrer ihren diesjährigen Ausflug zu uns nach Graunau gemacht haben.«

Maria Rotondo schickte ein strahlendes Lächeln in die Richtung, in der Pfarrer Trenker und die Buben und Madln aus St. Johann saßen. Dann verneigte sie sich noch einmal besonders tief, wobei diesmal, auf ein leises Kommando hin, auch ihr Apfelschimmel in die Knie ging und seinen schmalen Kopf mit der langen dunklen Mähne bis auf den Boden senkte.

Sebastian Trenker beobachtete die junge Frau und ihr Pferd genau. Maria Rotondo sah in der Tat südländisch aus, aber ihr Deutsch war frei von jedem Akzent. Unwillkürlich fragte er sich, ob das ganz einfach an ihrer Sprachbegabung lag oder ob der Name Rotondo vielleicht nichts weiter als ein Künstlername war.

Weit kam er in seinen Überlegungen allerdings nicht, weil nämlich seine Ministrantinnen und Ministranten plötzlich aufsprangen, und in fieberhafter Eile wurden Jacken und Taschen zusammengerafft. Dann ging es unter Gejohle, Gedränge und Gerangel so rasch zum Zirkuszelt hinaus, dass Pfarrer Trenker ihnen kopfschüttelnd hinterherschaute.

Bald hatte auch der Bergpfarrer den freien Platz vor dem Zelt erreicht. Die Sonne stand schon ziemlich tief und tauchte die hellen Planen des Zirkuszelts, die Wohnwagen und das bunte Gewimmel davor und daneben in das warme rötliche Licht des Spätnachmittags. Stimmengewirr, in das sich ein vielfaches Wiehern, Bellen, Trompeten und Grunzen mischte, lag in der Luft. Es roch nach Fett aus der Pommes-Bude, nach Kaffee und nach dem Stallgeruch der Tiere.

Sebastian Trenker trat zu den sich um Maria Rotondo scharenden Ministranten und Ministrantinnen.

»Ich möchte das Zaubern ausprobieren«, vernahm er als Erstes die Stimme Peter Bammlers. »Damit ich den Trick mit der zersägten Jungfrau an der Vevi ausprobieren kann, die in der Schule neben mir sitzt.«

»Und ich will mir anschauen, wie man die Trapeznummer einstudiert«, erklärte im selben Atemzug Monika Hirlmeier. »Und testen, wie es ist, wenn man sich von der Kuppel ins Netz fallen lässt. Ich hab’ nämlich schon einmal ins Sprungtuch der St. Johanner Feuerwehr hüpfen dürfen. Und das hab’ ich echt supertoll gefunden.«

»Ich möchte so reiten lernen wie Sie, Frau Rotondo«, meldete sich als Nächste Angela Ilgner zu Wort. »Wir haben nämlich auf unserem Hof Pferde, mit denen ich üben kann. Wenn Sie mir, solange Sie noch da sind, Reitstunden geben könnten, würde ich dafür jeden Tag Ihre Pferde bürsten und striegeln.«

»Darf man auch das Jonglieren versuchen? Ich meine, ohne dass man die Teller, die man dabei kaputtmacht, bezahlen muss?«, wollte Bertl Gantner wissen.

Er brachte nicht einmal die Geduld auf, Maria Rotondos Antwort an Angela abzuwarten, sondern sprudelte mit seiner Frage so voreilig heraus, als hätte er Angst, nicht mehr zum Zug zu kommen.

Sebastian Trenker versuchte, Maria Rotondo beizuspringen, indem er seine Messdiener zu etwas mehr Zurückhaltung ermahnte, aber Maria winkte ab. »Wir freuen uns über euer Interesse, Kinder. Und jeder wird auf seine Kosten kommen«, versprach sie. »Allerdings soll euer Herr Pfarrer auch nicht leer ausgehen. Und da ich nicht annehme, dass ihm an einem Ritt auf einem Elefanten oder an ähnlichen Aktivitäten sonderlich viel gelegen ist …« Sie wandte sich fragend an Sebastian Trenker, der mit einem Schmunzeln den Kopf schüttelte.

Maria Rotondo strich ihre wilden, ungebändigten Locken hinter die Schultern zurück.

»Vielleicht darf ich Ihnen in unserem Wohnwagen eine Tasse Kaffee und ein Stück selbstgebackenen Apfelkuchen anbieten, Herr Pfarrer«, schlug sie vor und strahlte den Geistlichen dabei mit ihren fast schwarzen Augen an. »Während ich zusammen mit meinem Bruder und unseren Artisten den Buben und Madln alles zeige, könnten Sie sich, wenn Sie Lust haben, ein wenig mit meinem Vater unterhalten, der unser kleines Zirkusunternehmen leitet.«

Sebastian lächelte und nickte begeistert.

»Ja, das würde ich gerne«, erwiderte er und fügte schmunzelnd hinzu: »Die ›Buben und Madln‹ haben sich soeben ganz oberbayerisch angehört. Beinahe so, als ob Ihre Heimat gar net im weit entfernten Italien läge, Frau Rotondo, sondern direkt hier vor der Haustür.«

In Maria Rotondos dunklen Augen blitzte es belustigt auf.

»Womit Sie keineswegs Unrecht haben, Herr Pfarrer. Aber das werden Sie ohnehin gleich alles von meinem Vater erfahren«, raunte sie Sebastian so leise zu, dass die Umstehenden es nicht hören konnten.

Wenig später saß Sebastian Trenker mit Giorgio Rotondo, dem Seniorchef des Zirkusunternehmens, am gedeckten Kaffeetisch im Wohnzimmer des Rotondo’schen Wohnmobils und ließ sich Kaffee und Kuchen schmecken. Dabei sah er sich immer wieder unauffällig um und musste sich zu seiner Verblüffung eingestehen, dass Zirkusleute sehr viel komfortabler lebten, als er es sich vorgestellt hatte. Einbaumöbel in rustikaler Eiche, hübsche Vorhänge an den Fenstern, eine mit blauen Enzianblüten bestickte weiße Tischdecke und dazu passendes, ebenfalls mit Enzianblüten bemaltes Porzellan ließen Wohnlichkeit und Behaglichkeit aufkommen.

Die Einrichtung der Rotondos hätte genauso gut zu einem der Häuser oder Höfe von St. Johann gehören können.

Die zahlreichen gerahmten Fotos an den Wänden zeigten jedoch, durch wie viele fremde Landstriche das gemütliche Wohnzimmer auf seinen vier Rädern schon gerollt war.

»Die Bilder da drüben sind in Südfrankreich, genauer gesagt in Aix-en-Provence, aufgenommen«, begann Giorgio Rotondo, als er Sebastian Trenkers aufmerksame Blicke bemerkte, zu erzählen. »Die da hinten stammen aus der Steiermark, durch die wir im vergangenen Frühjahr getourt sind. Sogar Erinnerungsfotos von Ungarn und Tschechien sind dabei.«

Sebastian zeigte sich beeindruckt. »Sicher ein abwechslungsreiches und aufregendes Leben«, meinte er anerkennend.

Giorgio Rotondo zuckte die Schultern.

»Wie man’s nimmt«, gab er zurück. »Die meisten Menschen würden die ständigen Orts- und Umgebungswechsel wohl eher als Belastung empfinden, aber mich hat es schon in frühester Jugend hinaus in die Welt gezogen.«

Pfarrer Trenker nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.

»Ihre Tochter Maria hat mir bereits angedeutet, dass Sie aus Bayern stammen, Herr Rotondo«, sagte er.

Giorgio Rotondo lachte.

»Ich komme aus Etterschlag bei München«, gestand er freimütig. »Wo ich allerdings net als Giorgio Rotondo, sondern als Georg Rundel auf die Welt gekommen bin. Als bodenständiger, gut katholischer Bauernsohn, der als Zweitgeborener zwar net den Hof geerbt hätte, aber doch in der Heimat hätte bleiben und ein anständiger Handwerker hätte werden können. Aber das wäre wohl nix für mich gewesen. Ich war einfach net geschaffen für ein sesshaftes Leben. Also hab’ ich mich einem Zirkus angeschlossen, der in meinem Heimatort gastiert hat, und bin auf und davon.«

Pfarrer Trenker entfuhr unwillkürlich ein Pfiff.