Engel oder Bengel - Martina Meier - E-Book

Engel oder Bengel E-Book

Martina Meier

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Beschreibung

Eines Tages stand er am Tor und klopfte. Sein Haar war zerzaust und schmutzig, die Klamotten zerrissen und seine Haut war dunkler als die der anderen Menschen. Eine der Wachen machte ihm auf. Man merkte sofort, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Das Erste, was er sagte, war nicht etwa „Guten Tag“ oder „Vielen Dank“, denn als er sprach, verstand ihn keiner. Wenn er den Mund aufmachte, kamen Laute und Wörter heraus, die dort niemand je zuvor gehört hatte ... „Engel oder Bengel“: In diesem tollen Buch stellen wir heitere und besinnliche, spannende und verrückte Geschichten junger AutorInnen aus verschiedenen Ländern dieser Erde vor.

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Engel oder Bengel

Kinder schreiben für Kinder

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet: www.papierfresserchen.de

© 2023 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten.

Taschenbuchauflage erschienen 2018

Cover gestaltet mit Bildern von © Christine Wulf – Adobe Stock lizensiert

ISBN: 978-3-86196-788-0 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-147-3 - E-Book

Herstellung und Lektorat: CAT creativ

*

Inhalt

Die Königin und der Fremde

Saruk & die Windhundbande

Beste Freunde

Engel oder Bengel?

Göttliches Festmahl

Der Bengelengel

Wer ist Engel, wer ist Bengel?

Die Mörder-Hexe

Ein neuer Freund

Frecher Bengel oder lieber Engel?

Feuer und Eis

Leopold, der Engelbengel

Amore

Der kleine Engel und der Traumvogel

Bengel brauchen Engel

Wer bist du?

Ein Streich zu viel

Der erste Schultag

Bengel oder Engel?

Louisa und Anton oder Fridas Unfall

Eine ausgefuchste Freundschaft

(B)Engelsfreundschaft

Vom Bengel zum Engel oder doch lieber andersrum?

Ein fast braves Rudel

Bastian und die Räuber

Calvin und Hobbes in der Odyssee

Die Zwillinge

Feen und Dämonen

Nela ist weg!

Die wilden Wölfe

Die andere Welt

Gustav, der Freche

Das reinste Herz

Der kleine Bösewicht zu Hause

Bengel oder Engel

Die Abenteuer von Max, dem Engel

Ein Bengel wird zum Engel

Der Engel-Bengel und der Krieg gegen die Teufel

Freundschaft für immer

Goldlöckchen oder das Engelbengelchen

Harry und der Schutzengel

Schrecken in der Nacht

Engel oder doch Bengel?

Engel oder Bengel?

Peterchens Engel

Ein aufregender Ausflug und seine Helden

Endlich Frei!!!

Raphael verzweifelt gesucht

Nacht des Grauens

Frostig, fröhliches Engelsfangen

Wo gehört der (B)engel hin?

Der brave Engel und der freche Bengel

Der Engel des Friedens

Wölkchen

Teuflische Freundschaft

Definition Engel und Bengel

Steckt in jedem Bengel auch ein Engel?

Kobold und Fee

*

Unsere jungen Autorinnen und Autoren

leben in folgenden Ländern

Deutschland

Österreich

Schweiz

Türkei

Costa Rica

Vereinigte Arabische Emirate

*

Die Königin und der Fremde

Eines Tages stand er am Tor und klopfte. Sein Haar war zerzaust und schmutzig, die Klamotten zerrissen und seine Haut war dunkler als die der anderen Menschen. Eine der Wachen machte ihm auf. Man merkte sofort, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

Das Erste, was er sagte, war nicht etwa „Guten Tag“ oder „Vielen Dank“, denn als er sprach, verstand ihn keiner. Wenn er den Mund aufmachte, kamen Laute und Wörter heraus, die dort niemand je zuvor gehört hatte.

Man ließ Spezialisten holen und nach einer langen Zeit des Spekulierens und Herumratens konnte man entschlüsseln, was der seltsame Fremde wollte. Er war vor einem Krieg aus seiner Heimat geflohen. Er suchte Arbeit und bat um ein Zimmer, indem er wohnen konnte. Es wurde lange diskutiert, was man mit ihm machen sollte. Es gab viele Meinungsverschiedenheiten unter den Menschen. Die einen meinten, jeder hätte eine Chance verdient. Die anderen wiederum sagten, dass einer wie er in ihrem Land nichts zu suchen hätte.

Schließlich, nach vielen Nächten und Tagen, die verflogen waren, kam der Mann mit der seltsamen Hautfarbe sogar zur Königin, die von ihrem Volk wie ein Engel vergöttert wurde. Diese war wunderschön. Sie hatte blaue Augen, die wie ein Saphir schimmerten, und blondes Haar, das wie Perlen in der Sonne glänzte. Sie war gutmütig, aber legte sehr viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung.

Als sie den verwahrlosten Fremden sah, wollte sie ihn schon nicht mehr anhören, denn sie glaubte ihrem Volk, dass einer seiner Art nur ein Dieb und Verbrecher sein konnte. Also gab sie ihm die schlechtesten Arbeiten, die sie zu vergeben hatte.

Der Mann hatte die Straßen zu kehren, den Müll vor der Stadt zu verbrennen und die öffentlichen Toiletten zu putzen. Er schwieg und machte sich auf den Weg, seine zugeteilte Arbeit auszuführen. Als der Mann das Schloss verlassen hatte, befahl die Königin ihren Wachen, den Mann heimlich zu beschatten, weil sie ihm nicht traute. Von diesem Tag an verdächtigte man bei jedem Verbrechen, das begangen wurde, zunächst den Unbekannten.

Die Jahre verstrichen und die Stadt wuchs. Der Fremde erledigte seine Arbeit, ohne zu meckern, denn er war dankbar für den Schutz und Frieden. Die Wachen und die Königin hatten mittlerweile das Interesse an ihm verloren, da er nicht wie erwartet Unheil über die Menschen brachte. Irgendwann beachtete ihn niemand mehr. Nur wenn er die Straße entlangging, schauten die Leute ihm spöttisch nach und lachten ihn aus. Seine Kleidung war noch immer einfach und sauberer erschien er auch nicht.

Eines Tages wurde die Königin sehr krank. Die Ärzte stellten fest, dass sie an Blutkrebs erkrankt war. Sofort befahl die Königin, dass alle aus ihrem Reich Blut spenden sollten, damit sie geheilt werden konnte. Jeder im Land spendete gerne und hoffte, dass die Königin wieder gesund werden würde. Doch es fand sich niemand, dessen Blut geeignet gewesen wäre. Verzweifelt und dem Tod schon nahe, machte die Königin eines Tages die Tür zu ihrem Schloss auf. Davor stand der Mann, den sie vor einigen Jahren so verspottet hatte. Er sprach inzwischen die Sprache der Menschen, die dort lebten, und bot der Königin an, auch sein Blut zu spenden. Doch die stolze Königin wollte kein Blut von einem so dreckigen Menschen annehmen und schickte ihn fort. Einer der königlichen Ärzte hatte das Gespräch hinter einer Tür belauscht und lief dem Mann hinterher. Er bat ihn, doch eine Blutspende abzugeben, in der Hoffnung, sein Blut könnte geeignet sein. Dieser willigte freudig und ohne zu zögern ein und spendete einen Teil seines Blutes für die Königin.

Die Tage vergingen und der Zustand der Königin verschlechterte sich dramatisch. Es stellte sich heraus, dass ausgerechnet das Blut von dem Mann, das sie ursprünglich nicht hatte annehmen wollen, ihre Rettung sein könnte. Sie willigte mit letzter Kraft ein und nahm das Geschenk an.

Wieder vergingen viele Wochen, in denen das Volk nichts von seiner Königin hörte. Doch dann verkündeten die Ärzte, dass die junge Königin geheilt sei. Es wurde ein Fest gefeiert, wie es noch nie in dem Königreich zuvor gefeiert wurde. Aber die Königin konnte sich nicht an ihrer Gesundheit erfreuen. Ein schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit und sie wollte sich bei dem armen Mann, der ihr das Leben gerettet hatte, entschuldigen und ihn reich beschenken. Als sie an seinem kleinen Haus ankam, um sich zu bedanken, fand sie niemanden vor. Das Feuer im Ofen war erloschen, die Fenster waren abgedunkelt und Spinnweben hatten sich schon über die Möbel gezogen. Die Königin ging schockiert in das modrige Häuschen hinein und fand einen Zettel auf dem Boden vor.

In tiefer Dankbarkeit, entschlüsselte sie.

Meine Lehrerin beendete die Geschichte, schloss schweigend das schwere Buch und schaute uns an.

Paulina, 13 Jahre, aus Ruppichteroth, Deutschland.

*

Saruk & die Windhundbande

Saruk war ein kleiner persischer Windhund, der auf die Saluki-Schule ging. Da er so frech war, schwärzte ihn jeden Morgen seine Klasse an und die Lehrerin wuffte ihn verwirrt und böse an.

Doch heute war es nicht so. In der Saluki-Wuffin-High war alles still. Im Klassenzimmer wurde diskutiert. Über das Wufflandheim.

Die Lehrerin rief: „Saruk, da du so frech und ungezogen bist, darfst du nicht mit, solange du dich nicht hochgearbeitet hast.“

Saruks Freunde Benni und Paolo flüsterten ihm zu: „Saruk, auf der Schule muss man brav sein.“

Die Lehrerin Frau Wuffluki erzählte weiter, dass der große Herr Wuffelmann mitkommen würde. Als sie zu Ende geredet hatte, fragte sie: „Wer will die Hausi vorlegen?“

„Ist ja mal was Neues, Saruk.“ Suri, die kleine, arrogante Klassenbeste warf ihm einen düsteren Blick zu.

Saruk legte die Hausaufgaben vor die Kamera, die alles auf die Tafel übertrug, und begann zu lesen: „Die Verwufferungsform.“

Als er sie gelesen hatte, sagte die Lehrerin: „Bravo!“

Genau in dem Moment läutete die Glocke zur Pause. Suri sagte böse: „So ein böser Hund ruiniert einem alles und ist zu dumm fürs Gymnasium.“ Suris Freundinnen Creamy und Bella lachten affig herum.

Benni und Paolo sagten: „Nach der Pause haben wir Katholischunterricht bei Herrn Wuffelmann.“

Sie gingen zur Pause hinaus, und kaum 50 Sekunden später saßen sie auf der Bank, wo sie immer ihre Brotzeit aßen. Suri saß auf der anderen Bank, auf der Creamy und Bella ihre Nägel lackierten.

Suri schrie: „Ahh, Niwuff, der Prügler!“ Dabei war ihr der Krallenlack egal.

„Doofe Tussi!“, rief Niwuff und lachte wie ein betrunkener Hund.

Suri begann zu kläffen.

Im Katholischunterricht saßen alle auf ihrem Platz bis auf Niwuff, der gerade mit rotem Kopf, völlig verschwitzt und mit Tränen in den Augen aufkreuzte. Er begann zu erzählen: „Zwei wildfremde Hunde haben mich umgestoßen , geschubst und beschimpft und haben gelacht. Sie haben ein Halsband hinterlassen.“

Da es aus Gold war, stöhnte die Klasse: „Wow!“

„Wie sahen sie aus?“, fragte Saruk.

Niwuff zuckte mit den Pfoten.

„Wen willst du beim Ermitteln dabeihaben?“

Niwuff zeigte auf Saruk. Der schrieb alles in ein sogenanntes Protokoll und sammelte jedes einzelne Beweisstück.

„Afghanisches-Windhund-Fell?“

„Bingo!“, antwortete Saruk.

„Wie kann das sein, wir sind die Saluki-Wuffin-High?“

Saruk antwortete: „Vielleicht haben sich welche eingeschmuggelt, also, aus der Hauptstadt von nebenan.“

Niwuff zuckte mit den Pfoten.

Da sahen sie drei Afghanische Windhunde durch den Gang rennen.

„Du von links, ich von rechts!“

Niwuff nickte. Und puff war die Windhundbande geschnappt. Der eine war ein brauner namens Joshi, der andere hieß Domi und der letzte hieß Alex, alle waren braun.

„Was wolltet ihr?“ Niwuff versuchte, streng zu klingen.

„Wir wollten ... ähm ... andere ärgern.“

Saruk und Niwuff fragten im Chor: „Wieso? Seid ihr übergeschnappt?“

Die drei Afghanischen Windhunde nickten verlegen.

Sie führten die Bande zur Direktorin Frau Wuffbold. Die machte sofort eine Durchsage: „Saruk Dowuff und Niwuff Domino haben die Windhundbande geschnappt. Großer Applaus! Sie wollten Grundschüler ärgern und haben andere ausgelacht.“

Suri stürmte hinunter und sagte verlegen: „Sorry, Saruk, dass ich das gesagt habe.“

Sie legte ihm ein Kleeblatt vor die Pfote und die drei riefen: „Alles hat sich zum Guten gewendet!“

Alina, 9 Jahre, aus Erding, Deutschland.

*

Beste Freunde

Hallo, ich bin Leo, lebe in der Dinosaurierwelt und bin zehn Jahre alt. Ich möchte euch eine Geschichte erzählen, die ich vor einem Jahr erlebt habe.

Ich ging eines Tages spazieren. Da sah ich zwei pflanzenfressende Dinosaurier. Sie waren außer Rand und Band. Da ich die Dinosauriersprache kenne, fragte ich, was los sei. Weil sie mich nicht kannten, guckten sie mich verdattert an. Na ja, ich hätte auch komisch geguckt, wenn ich ein Tier wäre und ein Mensch mit mir geredet hätte.

Der eine Dinosaurier fragte: „Wer bist du und warum kannst du unsere Sprache?“

Ich sagte: „Ich bin Leo. Entschuldigung, wenn ich euch beide erschreckt habe. Ich kann die Dinosauriersprache seit meiner Geburt sprechen.“

Der andere Dinosaurier sagte: „Aha, ich heiße Bruno und mein Bruder heißt Julius. Wir waren gerade etwas erschrocken, denn wir haben vor ein paar Minuten das Brüllen eines T-Rex in dieser Höhle dort hinten gehört.“

Ich sagte: „Dann gehe ich da rein und rede mit dem T-Rex.“

Julius und Bruno standen die Münder offen. Dann riefen die Brüder wie aus einem Munde: „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

Ich sagte nichts weiter als: „Doch.“ Und dann ging ich los.

Als ich vor der Höhle ankam, hörte ich das laute Brüllen des T-Rex. Da sah ich, warum er so laut brüllte. Der Eingang zur Höhle war verschüttet. Ich begann, die Steine wegzuräumen.

Als ich endlich fertig war, war es schon tief in der Nacht. Ich guckte in die Höhle hinein und sah einen schlafenden T-Rex. Ich lehnte mich an die Höhlenwand, rutschte auf meinen Po und schlief ein.

Am nächsten Morgen wachte ich dadurch auf, dass die Sonne mir direkt ins Gesicht schien. Erst einmal wusste ich gar nicht, wo ich war. Aber dann sah ich Julius und Bruno, die auch gerade aufwachten. Nun wusste ich wieder, wo ich war, richtete mich auf und ging in die Höhle.

Jetzt blendeten auch den T-Rex die Sonnenstrahlen und er wachte auf. Dann brüllte er mich an. Nun sagte ich ihm, dass ich die Steine weggeräumt habe.

Er fragte: „Wirklich?“

Ich rief: „Natürlich, oder denkst du, ich lüge dich an?“

Der T-Rex fragte genau das Gleiche wie Bruno und Julius, nämlich: „Wer bist du überhaupt und warum kannst du die Dinosprache?“ Ich sagte es ihm und er meinte: „Danke, Leo! Egal, was passiert, ich werde dich retten. Denn ohne dich, Leo, wäre ich hinter diesen Steinen verhungert. Nochmals danke!“

Und von da an waren sie beste Freunde.

Mimi-Jane, 9 Jahre, aus Hannover, Deutschland.

*

Engel oder Bengel?

Ich bin Lin Marschall und war früher nicht sonderlich beliebt in unserer Klasse. Ich hatte keine Freunde, war schlecht in der Schule, galt als uncool und hatte nichts Besonderes an mir, das auf mich aufmerksam gemacht hätte. Ich war in der 9b, worauf ich nicht sonderlich stolz war. Unsere Klasse bestand aus zwei inoffiziellen Gangs, den Engeln, also den Strebern und Schleimern unserer Klasse, und den Bengeln, denjenigen, die sich nicht sonderlich für die Schule interessierten. Jede der Banden bestand aus drei Hauptmitgliedern. Bei den Engeln waren das Natalia, die Anführerin, Olivia und Lean, bei den Bengeln Julien, der gut aussehende Anführer und damit auch der respektloseste Schüler, Mark und Jan.

Ich war uninteressant sowohl für die eine als auch die andere Gang. Diese waren miteinander verfeindet und hassten sich bis auf den Tod. Einmal im Monat feindeten sie sich gegenseitig auf dem Schulhof an und beschimpften sich, um Stärke zu zeigen. Und auch wenn man es vielleicht nicht glaubt, die Engel konnten sowohl arrogant als auch stark und schlagfertig sein. Julien übertrafen sie jedoch nie. Wann diese Duelle ausgetragen wurden, kam auf die Situation an. Die Engel hatten heute auf jeden Fall wieder einen Grund, um Julien auf seine schlechten Schulnoten aufmerksam zu machen. Wir anderen sahen eigentlich immer nur zu und amüsierten uns, doch heute sollte es anders werden. Dafür würde ich sorgen.

Ich wollte dazugehören, seit ich denken konnte, war jedoch immer zu feige gewesen, irgendwas an meiner miserablen Lage zu ändern. Die Klasse galt zwar als harmonischste der ganzen Schule, doch hinter der Fassade war sie grausam zu jedem ihrer Feinde. Und diese Feinde waren alle, die nicht so waren wie die Engel oder eben die Bengel. So einer war ich. Für beide Banden.

Doch heute sah ich eine Chance für mich. Das einzige Hindernis auf meinem Weg zum bedeutenden Mitglied der 9b war der Matheunterricht.

„Lin? Lin! Lin Marschall! Träumst du?“ Wenn man vom Teufel sprach.

„Nö, ich denke“, gab ich zurück, ohne zu wissen, worüber eigentlich.

Frau Anker schien irgendwie Gedanken lesen zu können, denn sie meinte nur: „Im Moment gibt es nichts anderes nachzudenken als darüber, was 3/5 durch 6,7 periodisch ist. So wie ich dich kenne, hast du nicht mal die Frage gehört. Ich frage mich, was du überhaupt in einer Schule tust.“

„Ui, bist wohl selbst bei der Lehrerin unbeliebt“, lästerten die Engel. Wer sonst?

Ich ignorierte sie, sah auf die Uhr, überlegte, wie ich die letzten, endlosen zehn Minuten rumkiegen konnte, und dachte über eine zufriedenstellende Antwort nach. „Ich glaube, wenn ich in Ihrem Unterricht halb einschlafe, haben Sie was falsch gemacht“, schlug ich schließlich vor und signalisierte den anderen damit, dass heute kein normaler Dienstag war. Ich war nämlich sonst nicht so schlagfertig.

Julien sah mich verwundert, aber mit einem frechen Grinsen im Gesicht an, wandte sich an die Runde und rief: „Seht euch die Marschall an! Ist das Uncoolste, was es gibt, tut aber so, als hätte sie von mir gelernt!“ Er drehte sich zu mir. „Damit das klar ist: wenn sich jemand mit dem Lehrer anlegen darf, dann ich. Und zwar aus dem Grund, weil ich es kann. Du nicht. Also, lass es einfach.“

Wenn Blicke töten könnten, wäre ich im Gefängnis und Julien mausetot. Doch natürlich bemerkte nur Frau Anker meinen vernichtenden Blick. „Zum Streiten gibt es Pausen, die man übrigens auch zum Lernen nutzen kann, Lin“, war das Einzige, was sie dazu sagen konnte, bevor sie ohne ein weiteres Wort mit dem Unterricht fortfuhr.

Juliens gemeiner Kommentar hatte mich sehr getroffen und ich ärgerte mich im Nachhinein, dass ich so töricht, so unüberlegt gehandelt hatte. Doch ich hatte gelernt, dass es nichts brachte, sich heulend in eine Ecke zu verkriechen oder sich gar über Geschehenes zu ärgern. Auf die Zeit zu achten, war aber auch keine gute Idee gewesen. Die letzten Minuten, ja, Sekunden vergingen quälend langsam und das Klingeln war für mich wie die Erlösung einer jahrelang anhaltenden Folter.

Fast gleichzeitig stürzten wir aus dem Klassenraum auf den Pausenhof, um den ersten Teil des Spektakels zu sehen. Unter dem Baum am Rande des Hofes, wo immer die Kämpfe ausgetragen wurden, angekommen, stellten sich jeweils die drei wichtigsten Mitglieder jeder Bande feindselig gegenüber auf und warteten auf das Startsignal von Madelein, einem Mitglied der Engel und unserer Klassensprecherin. Sie stand zwischen den Gangs. Madelein wartete, bis Ruhe in die Klasse kam und man nur noch die Stimmen der Fangen spielenden Grundschüler hören konnte.

Dann sagte sie mit erhobener Simme: „Ich rede nicht um den heißen Brei herum. Deshalb bin ich auch eure Klassensprecherin. Also, lasst die Kämpfe beginnen!“

Das war mein Zeichen.

„Stopp!“, rief ich, um auf mich aufmerksam zu machen, drängte mich ohne Rücksicht auf andere durch die Menge und trat anstelle von Madelein in die Mitte, breitete die Arme in Richtung der beiden Banden aus und begann meine Rede, die ich am Abend davor noch geübt hatte. „Sorry, dass ausgerechnet ich eure Prügeleien stören muss, aber ich glaube, es gibt keinen besseren Moment als diesen. Kurz und knapp: Ich will dazugehören. Das will ich schon lange, aber ich hatte nie eine Chance. Warum? Weil ich Angst hatte. Warum? Jetzt denkt mal scharf nach. Euretwegen. Ihr habt es mir nie leicht gemacht, so wie jedem, der versuchte, euch als Freunde zu gewinnen. Irgendwann saß ich mal auf meinem Bett und dachte mir: Du hast keine Chance. Also nutz sie gefälligst! Und genau das tue ich jetzt. Ich will euch hiermit, indem ich mich in eure Sachen einmische, zeigen, dass ich Mut habe, endlich. Ich will, dass es keine Gruppen gibt, denn dann wäre alles so viel leichter, doch das kann ich nicht beeinflussen. Aber ob ich ein Teil von euch bin schon. Ändert euch! Nehmt Leute in eure Gruppe auf, davon könnt auch ihr profitieren. Seht die Menschen. So wie sie sind.“

Ich war fertig. Zwar wunderte es mich, dass mich niemand unterbrochen hatte, aber ich war zu erleichtert, um mir darüber Gedanken zu machen. Ein Fehler.

„So?“ Julien hatte als Erster seine Sprache wiedergefunden. „Mit dem Punkt, dass es unmöglich sei, die Gangs zu zerstören, hattest du recht. Doch du solltest wissen, dass du bestimmte Eigenschaften haben musst. Wenn du dir so lange Gedanken darüber gemacht hast ... zu welcher Gang willst du denn gehören?“ Damit blickte er die Engel kurz böse an und wandte sich dann wieder mit einem triumphierenden Grinsen an mich. Er wusste, dass er wieder mal gewonnen hatte.

Ich wusste nämlich nicht, welche meine Gruppe sein sollte. Ich hatte damit gerechnet, dass ich mit meiner Rede die anderen perplex machen und sich irgendeiner melden und sagen würde: „Komm zu uns! Es tut uns leid.“

Falsch gedacht. Natürlich.

In meinem Rachewahn hatte ich vergessen, mit wem ich es zu tun hatte. Nämlich mit Leuten, die immer gewannen und einem nichts durchgehen ließen. Jetzt hatte ich mich vor allen blamiert und meine Chancen auf einen Neuanfang sanken von null auf minus tausend.

„Äh“, stammelte ich, verzweifelt nach einer Antwort suchend.

„Oh, das ist ja viel!“, höhnte Lean und alle Anhänger der Engel lachten. „Ich würde ja sagen: Komm zu uns. Aber wir würden mehr profitieren, wenn wir dich Julien überlassen.“

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Weglaufen? Nein, die Blöße wollte ich mir nun wirklich nicht geben. Kontern? Wenn mir was eingefallen wäre, eine Superidee. So stand ich aber nur verdattert herum.

Da kam Mark zu mir. „Verzieh dich gefälligst! Jemand wie du hat hier nichts verloren. Damit das klar ist: Du bist dumm, niemand will einen Versager wie dich in der Gruppe haben. Da würden mir selbst die Engel leidtun!“

Das war zu viel. Ich rannte in den Klassenraum, schnappte mir meine Tasche und lief, so schnell ich konnte, nach Hause. Ich konnte nicht mehr in den Unterricht gehen, ja, ich würde meinen Klassenkameraden nie wieder in die Augen sehen können.

„Lin! Warum kommst du schon zurück? Bist du krank?“, fragte meine Mutter, als ich das Haus betrat.

„Ja!“, schrie ich und knallte meine Zimmertür zu. Jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten und heulte wie ein Schlosshund. In Wirklichkeit mochte ich keine der Banden, aber wenn ich dazugehören wollte, musste ich mich entscheiden.

Meine Mutter kam herein. „Lin? Was ist denn passiert?“

„Ich bin krank, okay? Kopfschmerzen. Ich brauche Ruhe!“, schrie ich.

„Nun gut, wenn du meinst. Ich sehe dann später noch mal nach dir“, erwiderte sie und schloss die Tür.

Ich ließ mich auf mein Kissen fallen, dachte nach und ... und zum ersten Mal heute war ich froh. Warum war ich nicht eher darauf gekommen? Warum hatte ich ihnen nicht einfach genau das gesagt? Was interessierte es mich, ob sie mich mochten oder nicht? Ich würde ich selbst bleiben, egal, mit wem ich in einer Klasse war. Ich hatte mich immer gefragt, wie die Engel und die Bengel entstanden waren, doch nun wusste ich es. Julien hatte sich die Leute gesucht, die so waren wie er. Dasselbe hatte auch Natalia getan. Ihre Anhänger waren all die, die sich für sie verändert hatten.

Nicht mit mir! Gleich morgen würde ich ihnen bei Gelegenheit zeigen, was ich wirklich dachte. „Ich hab keine Chance“, dachte ich erneut, doch diesmal voller Entschlossenheit. „Also nutz sie gefälligst.“

Und als ich am nächsten Tag in die Schule kam und Julien mich mit seinem fiesen Grinsen im Gesicht fragte, ob ich mich entschieden hätte, da ich ja nun genug Zeit gehabt hätte, antwortete ich nur lächelnd: „Ja.“

„So? Na, dann mal los! Die arme Opfergruppe“, lachte er.

Doch ich entgegnete nur kühl: „Für niemanden. Ich bin allein besser dran als mit euch. Und all die, die sich für dich und Natalia entschieden haben, haben sich für euch verändert. Ihr lacht mich aus, weil ich anders bin. Ich lache euch aus, weil ihr alle gleich seid.“ Damit ließ ich ihn stehen, und als ich aus dem Augenwinkel seinen verwirrten Gesichtsausdruck sah, wusste ich: „Diesmal hast du gewonnen, Lin.“

Jette, 12 Jahre, aus Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate.

*

Göttliches Festmahl

Ein Engel war eingeladen zu einem Festmahl bei Gott,

zu Vanillepudding und Erdbeerkompott.

Mit polierten Flügeln und gegeltem Haar

macht sich der Engel auf in die Kirche zum heiligen Altar.

Petrus begrüßt ihn mit freundlicher Stimme,

doch als Gott den Raum betritt, hält er inne.

„Servus zusammen, ihr lieben Leute,

alle wollen feiern heute!

Der Grund dafür ist nicht ein Engel,

sondern ein ganz besonderer Bengel.

Er hat Lucki, den kleinen Engel, gerettet,

er war beim Teufel an Eisen gekettet.“

Der Bengel grinst frech alle Gäste an,

damit man seine weißen Zähne sehen kann.

Jetzt gibt es Erdbeerkompott,

der Bengel spuckt es aus ganz flott.

Er verzieht das Gesicht

und sagt: „Was ist das für ein blödes Gericht?“

Die Engel schimpfen, dass das unhöflich sei,

bald gibt es eine wilde Puddingschmeißerei.

Der Pudding klebt wie rohes Ei,

doch keiner findet was dabei.

Jetzt trifft auch Gott die Masse –

er macht mit, das kommt ihm nicht in die heilige Kasse.

Und die Moral von der Geschicht:

Trau deinem Lebensretter nicht!

Denn so kann es sein,

dass der eine oder andere Engel verliert seinen Heiligenschein!

Marina, 10 Jahre, aus Nußdorf am Inn, Deutschland.

*

Der Bengelengel

Hey, ich bin Tay und ungefähr 2534 Jahre alt, aber kann auch sein, dass ich mich verzählt habe. In meiner Freizeit liebe ich es, anderen Streiche zu spielen, aber das ist gar nicht so einfach, wenn dein Vater der Erzengel persönlich ist. Und letzte Woche war der Sekretär meines Vaters das Opfer eines meiner schon überall gefürchteten Streiche. Aber es war einfach zu lustig, als er seinen Kaffee, den ich etwas mit Salz gewürzt habe, wieder ausgespuckt hat.

Allerdings konnte mein Vater über diesen kleinen Scherz wirklich nicht schmunzeln und jetzt bin ich auf dem Weg in ein Internat voller Engelstreber. Das ist die Strafe, die mein Vater sich für mich ausgedacht hat. Ja, fies, oder? Jetzt stehe ich jeden Tag unter Bewachung der ödesten Engel im ganzen Himmel.

Als wir auf den Hof fahren, stehen meine neuen Mitschüler schon Spalier für unser Auto. Man könnte meinen, dass sie sich über ihren neuen Mitschüler – mich – freuen, aber das machen wirklich alle Engel, wenn mein Vater irgendwo ankommt. Engel sind manchmal echt wenig einfallsreich. Wirklich, zur Weihnachtszeit muss ich mir jedes Jahr ein neues Plätzchenrezept ausdenken, aber seit Jahrhunderten stehen sie für meinen Vater Spalier. Und als mein Vater und ich aussteigen, fangen sie auch noch an zu singen. Ich kann nicht verstehen, dass Menschen das Krächzen lieblich nennen, aber man muss sagen, dass mein Vater darauf abfährt. Er fängt jedes Mal an, total dämlich zu grinsen, obwohl die Paparazzi schon so viele peinliche Bilder von ihm veröffentlicht haben.

„Ach, hallo, das muss Tayson sein!“, ruft ein ziemlich dicker Engel, der mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht auf meinen Vater und mich zuwatschelt.

Ja, lacht nicht, aber mein Geburtsname ist wirklich Tayson. Ich finde immer noch, dass der Name eher zu einem Dackel passt, deshalb nenne ich mich Tay.

„Tay reicht“, erwidere ich dem immer noch grinsenden Mann.

„Ah, okay, okay. Hach, einen Künstlernamen hat der Kleine auch schon, herrlich, herrlich“, plappert der Typ vor sich hin.

Ich verdrehe nur die Augen und beäuge meine neuen Mitschüler. Die meisten sehen ziemlich streberhaft aus, aber ein Junge, der rechts ganz am Ende steht, sieht etwas besser aus. Er hat seine schulterlangen Haare nicht gekämmt, sondern einfach nur strubbelig nach hinten geworfen und streckt mir die Zunge raus, als er bemerkt, dass ich ihn angucke. Das kann ich mir natürlich nicht bieten lassen und strecke meine Zunge auch raus. Der Junge gefällt mir!

Plötzlich zieht mein Vater mich weiter und ich bemerke, dass der Grinser schon fast bei der Tür ist. „Reiß dich zusammen, Tayson!“, zischt mein Vater mir ins Ohr und geht dem dicken Mann hinterher.

Ich beeile mich, meinem Vater zu folgen, und so gehen wir im Entenmarsch zu meinem neuen Zimmer. „Du teilst dir dein Zimmer mit Af.“

Schon geht die Tür auf und Af spaziert herein. Und siehe da, es ist der Zungen-Junge vom Hof. Perfekt!

Jetzt kann ich meinen Vater gar nicht schnell genug verabschieden, und als das Auto aus der Einfahrt gefahren ist, renne ich hoch in mein Zimmer und stelle mich Af vor. „Hey, ich bin Tay und du? Also, ich weiß, dass du Af heißt, aber warum bist du in diesem Spießerinternat? Ich habe dem Sekretär meines Vaters Salz in seinen ...“

Af unterbricht meinen kleinen Monolog durch ein Grunzen. Erstaunt gucke ich ihn an und er sagt nur: „Meine Eltern zahlen.“

Okay, ich gebe es zu, ein bisschen mehr hätte ich schon erwartet. Nachdem ich ihm meine halbe Lebensgeschichte erzählt habe, kommt er mir nur mit seinen Eltern?!

Doch ein bisschen später berichtet Af mir, dass er eigentlich auf der Erde eingesetzt werden sollte, doch dann hat er zu lange auf den Regenschalter gedrückt und Hawaii wäre fast überschwemmt worden. Darum ist er jetzt hier. Schlecht für ihn, gut für mich! Ich erkläre ihm, dass wir jetzt Freunde sind und zusammen hier rauskommen werden.

Er guckt mich mit leuchtenden Augen an, doch dann schüttelt er den Kopf. „Glaub mir, die anderen hier verstehen echt keinen Spaß. Ich hab es schon probiert, aber die kennen nicht mal das Wort Ironie.“

Entsetzt gucke ich ihn an und nach einer Weile sage ich: „Wenn du recht hast, dann wird es ein hartes Stück Arbeit, aber zusammen schaffen wir das!“

Als wir zusammen in der Essenshalle auftauchen, gucken die anderen nur kurz auf und wenden sich dann wieder ihren Büchern zu, die neben ihren Tellern liegen. Streber ...

Doch Af und ich haben einen Plan. Wir stellen uns in die Essensschlange, und als Af seinen Teller hat, lässt er ihn herunterfallen und etwas Kartoffelbrei spritzt wie geplant auf mich. Daraufhin nehme ich meinen Salat und schleudere ihn auf meinen neuen Freund. Dieser zielt nun auf ein Mädchen in der Nähe und kurz darauf bewirft sich die ganze Schülerschaft. Und es werden noch viele Streiche folgen ...

Yara, aus Oerlinghausen, Deutschland.

*

Wer ist Engel, wer ist Bengel?

Es gibt die netten, unschuldigen Engel und die frechen, bösen Bengel. Ein jeder glaubt, sie zu kennen, jeder urteilt, denn wir alle haben schon mit ihnen zu tun gehabt, oder? Sie werden von vornherein abgestempelt, entweder gut oder böse, schwarz oder weiß. Was anderes gibt es nicht. Kein Neutral, kein Grau, kein Dazwischen. Ob sie dann aber auch wirklich so sind wie angenommen, interessiert in Wahrheit niemanden. Einmal beurteilt können die Engel und Bengel nichts mehr ändern.

Der erste Eindruck bestimmt alles, wie so oft in unserer heutigen Gesellschaft. Wir alle erlauben uns zu urteilen, bevor wir nachdenken. Darüber, was vielleicht hinter Taten steckt oder was in einem anderen Menschen vorgeht.

Wir alle verurteilen, noch bevor wir bei uns nach Fehlern suchen. Denn man selbst macht ja keine, man selbst darf sich alles erlauben. Jeder will eine faire Chance, doch erteilt sie anderen nicht. Ein Bitte und Danke erwartet man sich, gut behandelt werden will man, ein Recht auf eine Erklärung findet man für sich selbst angebracht. Doch geht es darum, jemand anderem zu helfen, nett zu sein, Mitgefühl zu zeigen oder – um Gottes willen, stellt euch das mal vor – zu vergeben, ist das zu viel verlangt, denn ein jeder weiß, der da, der ist ein Bengel und der da vorn ein Engel.

„Kein Wunder“, denkt sich Frau Maier am Sonntagmorgen, als sie in der Zeitung liest, dass der Nachbarsjunge Ben in Jugendhaft ist. Der hat schließlich immer ihre Milch geklaut und seiner Mutter nur Ärger eingebracht. In der Schule war er nie und überhaupt war er anders als die anderen Kinder.

„So ein Bengel“, denkt sie sich, als sie den Artikel liest. In ein Haus ist er eingebrochen, hat den Besitzern ihr gesamtes Vermögen gestohlen. Zum Glück hat die Polizei ihn erwischt. Wäre er doch ein bisschen mehr wie sein Bruder. Der hat sie jeden Morgen gegrüßt und ihr beim Tragen ihrer Einkaufstaschen geholfen. Ein Engel eben.

Kopfschüttelnd betrachtet die Frau noch mal das Bild des Jungen und flüstert leise: „Du Bengel, ich weiß genau, wie du bist, solche wie dich kenn ich, nicht anders verdient hast duʼs.“

Dass Ben aber eigentlich anders ist und kein Verbrecher, das weiß sie nicht. Dass er die Milch immer für die kleine Katze geklaut hat, die eines Tages bei ihm aufgetaucht war, halb ausgehungert und noch fast ein Baby. Dass seine Mutter das ganze Geld fürs Saufen ausgegeben hat, sodass er nicht selbst für die Katze etwas kaufen konnte und keine andere Lösung fand, als zu stehlen. Dass sein Bruder und dessen Freunde ihn dazu überredet haben, bei dem Einbruch mitzumachen, weil seine Mutter große Schulden bei Leuten hatte, denen er kein zweites Mal das Geld verweigern konnte. Und Frau Maier weiß auch nicht, dass er all dies bereut, dass er so viel lieber das Kind von jemand anderem wäre, jemandem, der ihn nicht schlug und von ihm, seit er sechs Jahre alt war, erwartete, für sich selbst zu sorgen. Sie weiß von all dem nichts, keinen Schimmer hat sie.

„So ein lieber Bursche“, denken die Lehrer sich, wenn sie Julian sehen. Den Jungen mit dem Hemd, welches er stets in die Hose gesteckt hat, und der braunen Cordhose, die perfekt mit seinen Haaren harmoniert. Die braune Pracht kämmt er jeden Tag mit Gel nach hinten und auf den Lippen ist ein unschuldiges Lächeln zu sehen, welches er jedem Erwachsenen zeigt und diese reihenweise damit einwickelt. Den Lehrern trägt er immer die Taschen, den Eltern hilft er bei der Hausarbeit und andere Erwachsene grüßt er freundlich. Ein wahrer Schatz, durch und durch ein Engel, sagen die über 18-Jährigen.

„Dabei haben die keine Ahnung“, denkt sich Marie heimlich, wenn ihre Eltern wieder mal von Julian schwärmen. Keine Ahnung haben sie davon, wie Julian wirklich ist. Fallen auf seine dämliche Masche herein. Sie wissen nicht, wie gemein er ist und dass er ihr immer die Jause wegnimmt. Ihr während des Turnunterrichts die Sachen versteckt, sodass sie in Turnkleidung zur nächsten Stunde muss. Sie auf dem Nachhauseweg immer beleidigt und schlimme Dinge zu ihr sagt. Wenn die wüssten ... Engel, von wegen, wenn dieser Junge etwas ist, dann ein Bengel.

Es gibt die netten, unschuldigen Engel und die frechen, bösen Bengel. Wer kennt sie nicht? WER urteilt nicht?

Jetzt sagt natürlich jeder: „ICH nicht!“

Doch sind wir mal ehrlich, wir alle glauben zu wissen, wer unsere Mitmenschen sind und vor allem WIE sie sind. Wir alle urteilen, heimlich oder offen, doch wir tun es. Versuchen dabei jedoch immer, uns einzureden, dass wir selber gut, vorurteilsfrei, nicht rassistisch und perfekt sind.

Aber das sind wir nicht. Keiner von uns. Und das ist in Ordnung. Solange wir uns dessen bewusst sind und nicht erwarten, besser behandelt zu werden, als wir selbst andere behandeln. Solange man weiß, wer man selbst ist, und am Abend ruhigen Gewissens einschlafen kann mit dem Gedanken, richtig gehandelt zu haben und mit sich selbst im Reinen zu sein. Und solange es wenigstens ein Grau gibt. Ein Neutral. Und nicht nur Engel oder Bengel.

Lieselotte Walch, 13 Jahre, aus Graz, Österreich.

*

Die Mörder-Hexe

Einen Tag nach Ostern saß Hänsel am Mittagstisch und starrte auf den Osterhasen aus leckerer weißer Schokolade. Er mochte nichts essen. Einen Augenblick zuvor hatte er seine Frau tot aufgefunden! Sie war mit Brotkrümeln erstickt worden.

Im selben Moment saß Detektiv Fix in seinem Büro und wollte gerade frühstücken, als ihn ein Telefonat dabei störte. „Fix am Apparat.“

„Die Hexe hat meine Rosi erstickt“, ertönte eine Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Sind Sie sicher, dass es nicht Schneewittchens böse Stiefschwester war?“, hakte er zynisch nach. Fix war es gewohnt, dass seine Auftraggeber immer etwas übertrieben, deswegen machte er sich, ohne weitere Fragen zu stellen, auf den Weg.

Als er ankam, wurde er gleich von Hänsel, dem Ehemann der Ermordeten, bestürmt: „Hier, genau an diesem Ort, wurde meine Frau Rosi ermordet. Sie müssen sofort den Täter finden. Und wenn Sie ihn dann gefunden haben, werde ich ihm die Kehle umdrehen.“

„Keine Angst, Herr Rosenrot, ich werde den Täter finden. Auf mich ist Verlass. Hat sich Ihre Frau, bevor sie ermordet wurde, mit jemandem gestritten?“

„Ja, letztens waren ihre beiden Brüder Max und Moritz hier und haben sich mit ihr um das Erbe ihres Vaters gestritten.“

„Ich danke Ihnen vielmals für Ihren Hinweis. Ich werde die beiden Brüder gleich überprüfen.“

Anschließend nahm Detektiv Fix sich vor, die beiden Brüder zu verhören. Zuerst lud er Moritz in sein Büro ein. „Guten Tag“, begrüßte Fix den Verdächtigen, der ebenfalls eine Begrüßung murmelte und sich dann auf den schwarzen Ledersessel fallen ließ. „Sie wissen bestimmt, wieso ich Sie in mein Büro eingeladen habe?“, fragte Fix.

„Ja, wegen meiner ermordeten Schwester Rosi. Es ist einfach schrecklich. Es macht mich so traurig. Wieso gibt es nur Menschen, die so etwas machen? Aber wieso Sie mich des Mordes an meiner eigenen Schwester verdächtigen, das verstehe ich nicht. Nein, einfach unerklärlich.“

„Hatten Sie denn ein gutes Verhältnis zu Ihrer Schwester?“

„Ja, wir waren ein Herz und eine Seele. Fast jeden Abend aßen wir zusammen Suppe und schauten anschließend immer SpongeBob.“

Fix hielt es nicht für nötig, Moritz noch weitere Fragen zu stellen, und holte deswegen Max zum Verhör in sein Büro. Dieser hatte es angeblich eilig und wollte das Gespräch so kurz wie möglich machen, weil er sich noch mit Verwandten treffen wollte.

„Keine Sorge, es wird nicht lange dauern. Nehmen Sie doch bitte Platz“, beruhigte Fix ihn. „Wie Sie bestimmt mitbekommen haben, wurde Ihre Schwester vor einigen Tagen ermordet. Haben Sie vielleicht ein Motiv für den Mord an Ihrer Schwester?“

Max war empört. „Wieso sollte ich meinem Schwesterherz etwas antun? Ich habe mich mit ihr schon immer viel besser verstanden als mit meinem Bruder.“

„Wenn Sie viel Geld erben würden, was würden sie damit anstellen?“

Max überlegte einen kurzen Moment. „Ich würde mir ein richtig schönes Leben machen, ein neues Auto kaufen und vielleicht sogar ein eigenes Haus. Und natürlich würde ich endlich einmal ins Disneyland gehen. Sie können sich nicht vorstellen, wie gerne ich einmal dorthin möchte. Aber wieso sollte ich mir über so etwas Gedanken machen? Ich weiß nicht, von wem ich etwas erben könnte.“

„Ich danke Ihnen vielmals, dass Sie sich kurz Zeit genommen haben für mich. Ich würde Ihnen gerne noch einen Kaffee anbieten, aber Sie müssen ja etwas erledigen“, entgegnete Fix.

„Ach, für einen Kaffee hat man doch immer Zeit.“

„Das ist schön. Dann kommen Sie bitte mit ins Wohnzimmer.“

Das Wohnzimmer war ziemlich klein, jedoch gemütlich eingerichtet. Man merkte, dass es einem Detektiv gehörte, denn überall lagen Notizen und Stadtpläne herum. Und an der Wand hingen Feldstecher und Lupen.

Als sie das Wohnzimmer betraten, zögerte Max einen kurzen Moment, weil er sah, dass sein Bruder Moritz auch hier saß und gemütlich einen Kaffee schlürfte.

„Was ist denn? Wollen Sie nun doch keinen Kaffee?“, fragte Fix etwas verwirrt.

„Doch. Klar. Ich war nur etwas verwundert, als ich sah, dass Moritz auch hier ist. Aber das ist kein Problem, wir verstehen uns ja gut, oder?“

„Klar“, antwortete Moritz und nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee.

„Das ist prima. Möchten Sie in Ihren Kaffee lieber Zucker oder Milch?“

„Milch. Aber wenn es möglich ist, wäre mir warme Milch lieber. Ich mag es nicht, wenn sie kalt ist.“

„Für meine Gäste erfülle ich doch fast jeden Wunsch“, meinte Fix und überreichte Max eine hellblaue Tasse, die mit Kaffee gefüllt war. Max setzte sich neben Moritz auf das Sofa und Fix machte es sich in seinem alten, gemütlichen Opasessel bequem. „Ach, das ist jetzt ein guter Moment, wenn wir hier schon alle zusammensitzen, um noch ein paar Fragen wegen Ihrer Schwester zu stellen. Möchte vorher noch jemand einen Keks?“

„Sehr nett von Ihnen. Wir müssen jedoch beide etwas auf unsere Figur achten“, sagte Moritz und Max stimmte ihm nickend zu.

„Jedem das seine“, entgegnete Fix und nahm sich einen Keks, den er gleich darauf mampfend aufaß. Danach putzte er sich mit einer Serviette säuberlich den Mund ab und wollte noch einige Fragen stellen, denn er hatte schon einen Verdacht, war sich jedoch noch nicht ganz sicher, wer von den beiden der Mörder gewesen war. Folglich führte er sein Verhör fort. „Am Tatort fanden sich Brotkrümel eines Roggenbrotes. Hat einer von Ihnen beiden am besagten Morgen ein Roggenbrot gegessen?“

„Wir hassen beide Roggenbrot. Wir haben sogar eine Allergie dagegen“, verteidigte sich Max.

„Außerdem ist Brot etwas sehr Ungesundes. Früchte und Gemüse stehen bei mir zuoberst auf der Einkaufsliste“, stellte Moritz klar.

Die Antworten kamen postwendend. Fix notierte sich jedes Detail auf seinem Notizblock, den er immer dabeihatte. In letzter Zeit war er etwas vergesslich, weshalb er alles schriftlich festhalten musste.

„Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Mordes?“, fragte Fix.

„Ich habe kein Alibi. Ich saß zum Zeitpunkt des Mordes, also vor drei Tagen, alleine zu Hause.

Vor dem Fernseher trank ich eine Flasche Wein. Etwas angesäuselt legte ich mich bereits um 18 Uhr schlafen. Zum Zeitpunkt des Mordes um 15 Uhr kann ich also nicht bei meiner Schwester gewesen sein. Sie sehen, ich bin unschuldig.“

„Das werden wir noch sehen“, antwortete Fix. Die Aussage von Max hatte ihn nicht restlos überzeugt. Also wandte er sich Moritz zu.

„Im Gegensatz zu meinem Bruder habe ich ein Alibi. Ich war mit meinem Kollegen vor drei Tagen im Ikea einkaufen. Ich kaufte dort ein Regal, das ich noch am gleichen Abend zusammengebaut habe. Ich kann Ihnen das Regal gerne zeigen.“

„Das müssen Sie nicht“, winkte Fix ab. „Ich weiß genau, dass einer von Ihnen beiden die Tat begangen hat. Einer hat sich im Verlauf des Verhörs verraten. Ich wette, dass es beim Mord um Erbstreitigkeiten gegangen ist.“

Max und Moritz schauten den Detektiv kritisch an. Einer der beiden wusste, dass er als Mörder seiner Schwester entlarvt worden war.

Melike, aus Roggenburg, Schweiz.

*

Ein neuer Freund

An einem kalten Maiabend saß Kato an seinem Fenster und beobachtete die Sterne. Seine Familie war sehr arm und Kato wünschte sich nichts sehnlicher, als hinauf zu den glänzenden Sternen zu gelangen.

Da drang eine feine Melodie an sein Ohr, die zuerst leise, dann immer lauter wurde. Kato war es, als sängen die Sterne selbst. Da tauchte am Horizont ein weiterer funkelnder Punkt auf. Kato spürte, wie die Luft wärmer wurde.

Der Stern war jetzt so groß, dass man ihn klar erkennen konnte – und es war gar kein Stern, sondern eine Kutsche, die so hell leuchtete wie Gold. Sie hatte silberne Räder und auf dem Kutschbock saß eine Gestalt, die noch mehr Wärme und Liebe ausstrahlte als die Kutsche selbst, die von sechs Einhörnern gezogen wurde. Die Gestalt hatte Haare, die bis zum Boden reichten, und es schien, als wären sie aus purem Gold gemacht. Über der Taille des Wesens lag durchsichtiger Samt, der an diesem kalten Abend kaum jemanden wärmen konnte. Am beeindruckendsten jedoch waren die goldenen Flügel, die auf dem Rücken des im Wagen sitzenden Wesens prangten. Kato wusste nun auch, wen er vor sich hatte: einen Engel.

Dieser hielt genau vor seinem Fenster und streckte seine Hand aus. „Ich bin der Engel Miramis. Komm, ich bringe dich in das Land der Sterne und fort von dieser Nacht.“

Kato nahm seine Hand und die Berührung von Miramis floss wie Gold in seinen Körper. Er stieg in die Kutsche, die daraufhin ohne ein Geräusch am Nachthimmel davonschwebte.

Nach einer Weile wurde die Nacht heller und der Junge sah sich vor einem verschlungenen Tor stehen. Miramis hob die Hand und sie traten in das Land hinter dem Tor. Neben einem Wasserfall aus Zuckerguss spielten lauter Engel. Sie tobten durch die Landschaft aus sanftem Grün und sammelten sich nach und nach auf einer Insel inmitten eines Blütenmeeres. Miramis nahm Kato bei der Hand und sie flogen zur Insel. Dort standen sie, von Engeln umringt, und Miramis erhob die Stimme: „Brüder und Schwestern, ich bringe euch den Jungen, dem wir helfen werden.“

Er nickte Kato zu, der sich gerade hinstellte und sagte: „Ich ... ich glaube, hier hat man mich erwartet. Darum bin ich mitgekommen.“ Er sah unsicher zu Miramis hoch, den es jedoch nicht störte, dass Kato keine Ahnung von alledem hatte.

Zwei Engel brachten ein Einhorn, auf das sich Miramis und Kato setzten. Sie flogen zurück durch das Tor und alle Engel begleiteten sie. Bald kam Katos Haus in Sicht, die Gärten und Beete der Nachbarn und die großen Eichen vor Katos Fenster. Miramis und die Engel flogen ins Haus, an die Betten der Eltern, und hauchten silbernen Engelsstaub auf sie hinab. Auf ihren sonst so ernsten und verschlossenen Gesichtern breitete sich ein Lächeln aus und ihre Haare glänzten golden.

Langsam lösten sich die Engel auf, bis nur noch Miramis vor Kato stand. Er lächelte. „Auch wenn wir jetzt gehen müssen, hoffe ich, dass wir uns bald wiedersehen.“ Er machte eine Faust, und als sich seine Hand wieder öffnete, lag darin eine goldene Engelslocke.

Kato streckte seine Hand aus und berührte sie. „Sie ist wunderschön“, hauchte er und sah auf. Doch Miramis war verschwunden und er stand alleine da, die Engelslocke in der Hand und ein Lächeln im Gesicht.

Er legte sich schlafen und träumte von Engeln und Engelslocken, von Kutschen, die von Einhörnern gezogen wurden, von dem Land der Lichtstrahlen und von Miramis. Der lächelte ihm zu, auf seine ganz besondere Weise, und war gleich darauf verschwunden.

Adrienne, 9 Jahre, aus Liebenfels, Österreich.

*

Frecher Bengel oder lieber Engel?

Blonde Löckchen,

Augen blau,

schneeweiße Söckchen

und sein Stimmlein nicht rau.

Lieber Engel oder frecher Bengel?

Die Klingel

seiner Nachbarsleutʼ

drückt dieser Schlingel,

selbst wenn er ihren Ärger scheut.

Frecher Bengel oder lieber Engel?

Ein liebes Kind,

sein Lächeln fein,

wie Kinder, die brav sind,

so kann er auch sein.

Lieber Engel oder frecher Bengel?

Er nascht die Leckereien

von Großmutter

und in die nicht fertigen Schleckereien

mischt er das Hühnerfutter.

Frecher Bengel oder lieber Engel?

Viktoria, 11 Jahre, aus München, Deutschland.

*

Feuer und Eis

Es gab einmal eine Welt, die aus purem Hass, Missgunst und Verzweiflung am Leben erhalten wurde. In diesem fernen Tal lebten Kreaturen, die unsere Vorstellungskraft weit überschreiten.

Diese Welt fernab unserer Fantasie war in zwei Teile gespalten. Auf der einen Seite existierten Lebewesen, die aus purer Schönheit und Licht bestanden. Ihr Herz war aus Gold, genauso wie ihre mächtigen Schwingen des Himmels. Sobald man diesen Wesen in die Augen sah, konnte man meinen, die Wellen des unendlichen Ozeans gegen die Brandungen schlagen zu sehen. In unserem Universum würde man sie vermutlich Engel nennen. Die Boten Gottes.

Doch es gab, wie auch im realem Leben, die Schattenseiten dieser unbekannten Welt. Auf der anderen Seite des Planeten verbargen sich ungeahnte Mächte. Die Engel nannten sie die Schande der Natur. Hinter ihrer Brust verbarg sich ein Herz, das von Narben gekennzeichnet war. Ihre Augen waren von Tränen gebrandmarkt und durch ihren Körper fraß sich die pure Verzweiflung. Die Kälte hatte über diese armen Seelen gesiegt. Gefühle hatten diese Kinder der Nacht schon lange nicht mehr. Aber wenn doch, dann bloß Hass, Aggression und Trauer.

Kinder, Frauen und Männer hatten sie auf dem Gewissen. In unserer Welt würden diese Sünder wohl Dämonen genannt werden. Doch auch diese Geschöpfe hatten einst ein Leben wie du und ich. Die Hölle war die Strafe für ihre Sünden.

Ein schlechtes Verhältnis zwischen Engel und Dämonen war nicht ungewöhnlich bis zu jenem Tag, an dem sich alles wendete.

Sophie, aus Kindberg, Österreich.

*

Leopold, der Engelbengel

Vor einiger Zeit, da lebte ein Junge im Alter von sechs Jahren. Sein Name war Leopold und er war das artigste Kind, das man sich nur vorstellen kann. „Mein kleiner Engel!“, seufzte seine Mutter des Öfteren und wuschelte ihm durch seine braunen, nicht zu bändigenden Locken. Und sie hatte ganz recht: Stets benahm er sich artig in der Öffentlichkeit, brachte den Müll hinaus und aß sogar fleißig Gemüse, ohne sich ein einziges Mal zu beschweren.

Doch dann kam er in die Grundschule. Und damit nahm diese Geschichte ihren Lauf ...

Am Montag, den 10. August 2009, betrat Leopold zum ersten Mal in seinem Leben eine Schule. Dort wurde er mit vielen anderen Kindern seines Alters in eine Klasse gesteckt, die Klasse 1a. Schon bald fühlte Leopold sich dort wie zu Hause, doch er merkte schnell, dass einige Kinder (insbesondere die Jungs) ganz anders waren als er: Sie verbreiteten Lügen, beschimpften ihre Lehrerin (Frau Kompass) und taten, als wären sie die Allercoolsten.

Der kleine Leopold beschloss, so wie diese Kinder zu werden, um dazuzugehören, denn er wusste nicht, dass diese Kinder einen schlechten Umgang für ihn darstellten.

Nun kam das, was kommen musste: Leopold fing an, frech zu werden, log, dass sich die Balken bogen, spuckte und verprügelte andere Kinder. Strafen kümmerten ihn nicht, da er unbedingt so wie der Rest der frechen Bande sein wollte.

Jedes Mal wenn seine Mutter ihn sah, fing sie an zu weinen und rief: „Was ist nur geworden aus meinem Engel? Nun ist er geworden zu einem Bengel!“

Der Opa hörte davon, dass sein Enkel so unartig war, und beschloss, etwas dagegen zu unternehmen.

Am nächsten Wochenende klingelte es an Leopolds Haustür. Leopolds Mutter öffnete. Niemand war zu sehen. Verwirrt schloss sie wieder die Tür. Auf einmal hörte sie ein Rumpeln und Scheppern aus der Küche. Neugierig ging sie dorthin und sah, wie Leopold mit entsetzter Miene beobachtete, wie ihr eigener Vater mit seinen schlammigen Gartenstiefeln durchs Küchenfenster ins Haus kletterte.

„Was soll das?“, schrie sie entsetzt. „Du machst ja alles schmutzig!“

„Das war auch meine Absicht, Töchterchen“, grinste Opa und wandte sich Leopold zu. „Du, Leopold, ich habe gehört, dass ein gewaltiger Tiger aus dem Zoo ausgebrochen ist. Außerdem wollte ich dir unbedingt erzählen, dass ich mich morgen mit meinem Nachbarn Heinz treffe und ihm mal eine ordentliche Backpfeife verpasse – er hat mir nämlich noch immer nicht meine Bratpfanne zurückgegeben, die ich ihm vorgestern geborgt habe. Willst du mitkommen, Leopold?“

„Hör auf zu lügen!“, rief Leopold entrüstet. „Und verletzen darfst du auch niemanden, sonst kommst du ins Gefängnis!“

Am Nachmittag sah Leopold, wie sein Großvater seine Mutter beleidigte. Erbost ging er auf ihn zu. „Bist du völlig verrückt geworden?“, brüllte er seinen Opa an.

„Ich halte dir nur einen Spiegel vor“, erwiderte dieser ganz ruhig.

Da musste Leopold lachen und weinen zugleich. Er lachte so lange, bis er einen Schluckauf bekam. Danach entschuldigte er sich bei seiner Mutter.

Diese sagte: „Schon gut. Du musst auch gar nicht immer der liebste Junge der Welt sein. Du kannst ja ab jetzt ein Engelbengel sein.“

Das war Leopold dann auch. Und er benahm sich besser, als so manch einer von euch es tut.

Felicia, 11 Jahre, aus Norden, Deutschland.

*

Amore

Ich hörte, wie die schweren Tropfen an mein Dachfenster trommelten und gleichzeitig der Wind an meinen Fensterläden rüttelte. Meine Finger verließen die warme Bettdecke und tasteten nach dem weichen Fellknäuel, das sich neben mir zusammengerollt hatte. Als Sammy meine Finger an seinem pechschwarzen Fell bemerkte, ertönte ein zufriedenes Schnurren aus seiner Schnauze und er streckte seine Hinterpfoten gegen meinen Bauch.

Ich hatte ein schreckliches Kribbeln in der Kehle, das es mir unmöglich machte einzuschlafen. Sobald ich nur an den morgigen Tag dachte, wurde das Kribbeln schlagartig stärker und verteilte sich in meinem ganzen Körper. Ich versuchte, den dicken Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken, doch er war einfach zu groß. Meine Blicke suchten nach meinem Wecker, der mich in weniger als fünf Stunden weckte, doch dies würde wohl nach dieser Nacht überflüssig sein.

Meine Gedanken waren wild und ungeordnet und ich versuchte, einen kühlen Kopf zu bekommen, doch mir war so unglaublich heiß. Ich schlug meine Decke beiseite und setzte mich auf. Sammy miaute protestierend und befreite sich aus dem Deckenberg, der gerade bei meiner Bewegung über ihm zusammengebrochen war.

Ich reckte mich nach oben und öffnete das Dachfenster, das sich direkt in der Dachschräge über meinem Bett befand. Sofort blies mir der Wind durch die Haare und peitschte dicke Regentropfen gegen mein Gesicht. Ich atmete die kühle und feuchte Luft tief ein. Als ich wieder ausatmete, war es mir, als würde ich den ganzen Stress und die ganze Angst aus meinem Körper verbannen.

Das Wetter erinnerte mich an den Tag, an dem Sammy uns zugelaufen war. Er stand damals mitten in der Nacht vor unserer Balkontür und weckte uns alle mit seinem jämmerlichen Geschrei.

Draußen stürmte und regnete es ungefähr so wie jetzt. Wir vermuteten, dass er damals bei uns Schutz vor dem Unwetter gesucht hatte.

Als wir ihn reinließen, gefiel es ihm so gut bei uns, dass er nicht mehr gehen wollte.

„Wir waren für ihn damals so eine Art Schutzengel in der Not“, flüsterte ich verträumt. Doch als ich an das Wort Engel dachte, kam sofort die ganze Angst wieder zurück, die ich davor verspürt hatte.

Seufzend schloss ich mein Fenster wieder, bevor der Regen meine ganze Decke durchnässte, und setzte mich zurück auf mein Bett. Warum nur hatte ich mich für dieses bescheuerte Schulmusical angemeldet? Es raubte mir den ganzen Schlaf!

Jedes Jahr fand am letzten Freitag vor den Weihnachtsferien ein aufwendiges Weihnachtsmusical in unserer Schule statt. Dieses Jahr hieß es Engel gegen Bengel. Der Bengel stand für den Teufel, weil sich Engel gegen Bengel poetischer anhörte als Engel gegen Teufel. In dem Musical sollte es um einen Engel gehen, der nach Betlehem wollte, um bei der Geburt von Jesus zuzuschauen. Er wurde während seiner Reise aber immer wieder vom Bengel gestört, der die Geburt von Jesus verhindern wollte, weil er eifersüchtig war, dass ein ungeborenes Kind mehr Aufmerksamkeit bekam als er selbst. Am Ende erreichte der Engel aber doch noch den Stall, bevor Maria Jesus zur Welt brachte. Der Bengel tauchte wutentbrannt auf und wollte das Jesuskind vor lauter Zorn umbringen. Der Engel verhinderte das in letzter Sekunde und entzog dem Bengel das Böse mit einem Kuss, wodurch dieser gut wurde.

Als ich das Drehbuch gelesen hatte, war ich überhaupt nicht begeistert von dem Stück und fand es sogar ein bisschen kitschig, aber als ich von meiner besten Freundin Vivien erfuhr, dass sich Dennis als Bengel bewerben wollte, war ich sofort Feuer und Flamme, mich als Engel zur Verfügung zu stellen. Ich kannte Dennis aus meinem Spanischkurs, weil er vor mir saß und einfach toll war. Er war superfreundlich, hübsch und charmant. Ich hatte mich zwar noch nie getraut, ihn anzusprechen, allerdings hatte ich mitgekriegt, wie er mit anderen redete, und das reichte schon, um ihn sympathisch zu finden.

Die Rolle als Engel war die Chance, Dennis zu küssen und ihm so meine Gefühle für ihn zu gestehen. Ich war mir ganz sicher, dass er der Bengel werden würde. Seine schwarzen Haare passten perfekt und er konnte bestimmt supergut singen, da war ich mir sicher. Ich stellte mir vor, wie wir beide am Ende der Aufführung auf der Bühne standen und ich zum Kuss ansetzte. Am Anfang wehrte er sich noch, doch während ich das ganze Böse aus ihm raussaugte, wurde seine Miene immer entspannter. Er umfasste meine Taille, und während wir unseren Filmkuss hinlegten, klatschte das ganze Publikum und es regnete Rosen über uns, bevor sich der rote Vorhang langsam schloss.

Als ich diese Szene immer und immer wieder in meinem Kopf ablaufen ließ, begannen meine Wangen zu glühen und ich ließ mich langsam auf mein Kissen hinabsinken. Ich musste unbedingt der Engel werden!

Morgen würde am Schwarzen Brett das Ergebnis stehen, welcher Schüler welche Figur verkörpern sollte. Ich hatte schon seit Tagen große Angst vor diesem Moment. Doch ich musste zuversichtlich sein. Frau Dageder, die bei meinem Casting in der Jury saß, hatte zu mir gesagt, als ich die letzten Strophen des Engelliedes vorgesungen hatte, dass ich eine sehr schöne und warme Stimme hätte. Das war sicherlich schon die Zusage für die Rolle als Engel, ganz bestimmt!

Frau Dageder war nicht nur dafür bekannt, dass sie nach jedem zweiten Satz, den sie sprach, mit dem Zeige- und Mittelfinger ihre Brille wieder auf ihrer Nase nach oben schob, nein, sie hatte auch große Kenntnisse, was das Singen und Musizieren anging, also musste es stimmen, dass ich eine wunderschöne Stimme hatte. Ich war mir sicher, dass ich bereits die Zusage für die Rolle als Engel hatte.

„Vorsicht! Hallo? Kann ich bitte durch? He! Ich will auch was sehen!“, rief ich und versuchte, mich durch die Menge an Menschen hindurchzudrängen, die genauso gespannt auf ihre Rolle waren wie ich.

Vivien zog mich an der Schulter zu sich. „Warte doch kurz, bis sich die Menschenmasse aufgelöst hat, dann kannst du immer noch gucken, ob du der Engel geworden bist. Vielleicht hast du ja aber auch eine andere Rolle bekommen“, sagte sie zu mir.

Ich sah sie verärgert an. „Nein, ich werde auf jeden Fall der Engel!“

Vivien zuckte mit den Schultern. „Es wär aber auch möglich, dass jemand besser als du für den Engel geeignet war.“

Ich war zu gereizt, um diese Aussage auf mir sitzen zu lassen. Wütend riss ich den Mund auf und wollte Vivien vorwerfen, dass sie nur eifersüchtig sei, weil ich Dennis küssen durfte, doch ich wurde von lautem Jubeln daran gehindert. „Ja! Ich bin der Engel geworden, wie super ist das denn?!“, ertönte es aus der Menschenmenge.

Ich schnappte nach Luft und schaute Vivien schockiert in die Augen. Sie verzog ihr Gesicht und machte den Beim-nächsten-Mal-klappt-es-bestimmt-Blick, doch ich sah das nicht so positiv wie sie.

„Das kann nicht sein!“, rief ich und schaute Vivien vorwurfsvoll an, als wäre ich schockiert, dass sie so etwas glauben könnte.

Ich stürmte in die Menschenmasse hinein und schubste die Leute, die vor dem Schwarzen Brett standen, beiseite. Hastig suchte ich nach dem Engel und seinem Schauspieler. Tatsächlich! Anstatt wie erhofft Melina Kurz stand dort Tatjana Werling.

Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Tatjana Werling, die dumme Ziege, hatte mal wieder alles bekommen, was sie wollte. Egal, was sie tat, sie gewann immer. Sie war so ein Snob und dachte, dass sie alles könnte und alles wäre. Selbst wenn ich nur an dieses arrogante Lächeln von dieser falschen Schlange dachte, hätte ich kotzen können.

Wutentbrannt und blind vor Tränen stürmte ich in die Arme von Vivien. Sie strich mir über meine glatten dunkelbraunen Haare. „Was bist du denn geworden?“, fragte sie.

„Weiß ich nicht, ist mir auch egal. Komm, wir gehen!“, schluchzte ich und zog sie am Ärmel in den Flur.

Plötzlich spürte ich, wie sich sanft eine Hand auf meine Schulter legte. Ich fuhr herum und verschluckte mich fast an meiner eigenen Spucke, als ich sah, dass Dennis vor mir stand. Er lächelte.

„Melina, stimmt’s?“, fragte er. Ich sah unsicher zu Vivien hinüber und nickte vorsichtig. „Ah, das dachte ich mir bereits. Hast du schon auf das Schwarze Brett geschaut?“ Er zwinkerte.

Ich nickte. „Ja, ich bin leider nicht der Engel geworden“, sagte ich traurig.

„He, das macht doch nichts“, beschwichtigte er. „Ich bin leider auch nicht der Bengel geworden, die Stimme meines Kumpels Kevin war wohl doch besser als meine.“ Er schmunzelte.

Ich schaute erschrocken auf. „Ach, echt? Aber was bist du dann?“

„Ich bin Josef, aus dem Grund komm ich auch zu dir, schließlich wirst du Maria verkörpern, und wenn ich schon spielen soll, dass ich eine Ehefrau hab, dann will ich sie auch besser kennenlernen.“ Er zwinkerte mir wieder zu und mein Herz machte einen Freudensprung.

Ich sah Vivien vergnügt an. Da war wohl der Engel der Liebe im Spiel gewesen: Amor.

Annika, 15 Jahre, aus Gärtringen, Deutschland.

*

Der kleine Engel und der Traumvogel

Der Tag war gekommen. Heute musste der kleine Engel die Prüfung bestehen, damit er einer von den großen wurde. Aber ob er das wirklich wollte? Er war nämlich nicht nur ein kleiner Engel, sondern auch ein frecher Engel. Er war sozusagen ein Engelbengel. Das meinten jedenfalls die großen Engel.

Von der ganzen Himmelsinsel, wo der kleine Bengel wohnte, versammelten sich die kleinen Engel vor den großen. Diese bereiteten immer eine Prüfung vor.

Es war früh am Morgen, als der kleine Engel zu dem Ort flog, wo sich heute alle versammelten. Denn es wurde immer gegen Mittag die Prüfung verkündet. Dann hatten alle Teilnehmer bis Sonnenuntergang Zeit, die Aufgabe zu erledigen. Wenn man es schaffte, hatte man auch bestanden und war einer von den großen Engeln.

Als der kleine Bengel ankam, war es schon sehr voll. Es waren viele kleine, aber auch jede Menge große Engel da. Alle unterhielten sich und waren ganz aufgeregt. Dann wurde es langsam still.

Ein großer Engel trat vor und sagte: „Hallo, kleine und große Engel. Ihr, die kleinen, seid heute gekommen, um die große Prüfung zu bestehen. Glaubt mir, ihr werdet es alle schaffen. Dieses Jahr ist es eure Aufgabe, eine bunte und glitzernde Feder von einem Traumvogel zu bringen. Aber die Regel lautet, ihr dürft nicht gemein zu dem Vogel sein, sondern er soll sie euch von selbst geben. Ihr habt bis Sonnenuntergang Zeit. Ihr könnt jetzt aufbrechen!“

Es brach Gemurmel aus. „Wie soll das funktionieren?“