Engelstanz - Dunkle Verlockung Teil 3 - Nalini Singh - E-Book

Engelstanz - Dunkle Verlockung Teil 3 E-Book

Nalini Singh

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Beschreibung

Vor 400 Jahren: Jessamy ist ein jahrtausendealter Engel - von allen geliebt und geachtet, doch hat sie noch niemals die Berührung eines Mannes erfahren. Ein missgebildeter Flügel hat sie zurückhaltend gemacht, und daher hat sich Jess der Wissenschaft verschrieben. Doch Galen erkennt die Frau in ihr und weckt eine Leidenschaft, die Jess noch nie zuvor erfahren hat. Als sich Galen allerdings als würdig erweisen soll, um in Raphaels Dienste zu treten, muss er einen vermissten Engel ausfindig machen. Doch dabei gerät Jess‘ Leben in größte Gefahr ... Ca. 175 Buchseiten Die Novelle erschien ebenfalls in der Anthologie "Dunkle Verlockung".

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Seitenzahl: 231

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NALINI SINGH

ENGELSTANZ

Gilde der Jäger

Ins Deutsche übertragen von

Cornelia Röser

1

Vor vierhundert Jahren

Sie hatte den Aufstieg und Fall von Imperien und Königreichen bezeugt, hatte Königinnen kommen und gehen sehen und miterlebt, wie Erzengel im Kampf aufeinandertrafen und die Welt mit Strömen von Blut übergossen. Sie hatte die Geburt des Erzengels Raphael festgehalten, ebenso wie das Verschwinden seiner Mutter Caliane und die Hinrichtung seines Vaters Nadiel.

Jahrhundert um Jahrhundert hatte sie zugesehen, wie ihre Schüler in die Welt hinausflogen, mit Träumen im Herzen und einem zögerlichen Lächeln auf den Lippen. Sie las die Briefe, die sie ihr aus den entlegensten Ländern und Urwäldern schrieben, aus Gebieten mit strömendem Regen, endlosen Wüsten und erbarmungslosen Winden. Und sie feierte die seltenen, freudigen Ereignisse, wenn ihre Schüler selbst Eltern eines kleinen Engels wurden.

All dies erlebte sie von den zerklüfteten Gipfeln und der schimmernden Schönheit der Zufluchtsstätte aus, denn sie war ein erdgebundener Engel, dessen Flügel nie zum Fliegen bestimmt gewesen waren. Das erste Jahrtausend nach ihrer Entstehung war hart gewesen, das zweite herzzerreißend. Jetzt, nachdem mehr als die Hälfte des dritten vorübergezogen war und das Gespenst eines weiteren, verheerenden Krieges als verstohlener Schatten am Horizont lauerte, spürte sie nur noch Resignation.

»Jessamy! Jessamy!«

Sie wandte sich von der Felskante ab, wo sie gestanden und in den kristallklaren blauen Himmel geblickt hatte – einen Himmel, den sie niemals berühren würde. Mit schnellen Schritten lief sie auf dem felsigen Untergrund dem kleinen Mädchen entgegen, dessen Flügel über den Boden schleiften, als es auf sie zueilte. »Vorsichtig, Saraia.« Sie ging in die Knie und fing die kleine, stämmige Gestalt auf, deren Körperbau von dunklen, schokoladenbraunen Flügeln dominiert wurde. Bronzefarbene Fasern durchzogen die Federn und ließen sie im gleißenden Licht der Gebirgssonne glitzern.

In dem Bronzeton spiegelte sich die Farbe von Saraias Haut wieder und auch die ihrer Haare, die ihr zerzaust ins Gesicht fielen. Das glänzende Band, mit dem ihre Mutter sie an diesem Morgen gewiss sorgfältig zusammengebunden hatte, hing ihr lose über die Schulter.

Unbeeindruckt schlang das kleine Mädchen in liebevollem Überschwang die Arme um Jessamys Hals. »Sie müssen mitkommen!« Gerötete Wangen, funkelnde Augen, der Geruch von klebrigen Süßigkeiten und schillernder Aufregung. »Das müssen Sie sehen!«

Seit über zweitausend Jahren war Jessamy nun Lehrerin für junge Engel, und noch immer hatte das Lächeln eines Kindes die Kraft, ihre Sinne in freudiges, strahlendes Licht zu tauchen. Eine schwere Melancholie hatte sich auf ihr Gemüt gelegt, während sie die Engel bei ihren Sturz- und Segelflügen über der zerklüfteten, widerhallenden Schlucht beobachtet hatte. Doch dieses Gefühl schüttelte sie nun ab und drückte Saraia einen Kuss auf ihre weiche, pralle Wange, ehe sie sich aufrichtete und das Kind auf den Arm nahm.

Seidig und warm hingen Saraias Flügel über ihrem Arm, aber Jessamy konnte das Gewicht des Mädchens mit Leichtigkeit tragen. Nur ihr linker Flügel war verdreht und nutzlos, eine fremdartige Hässlichkeit an diesem Ort der Macht und gefährlichen Schönheit. Ansonsten war sie so stark wie alle anderen Engel auch. »Was muss ich mir ansehen, mein Spatz?«

Saraia dirigierte sie zu Raphaels Teil der Zufluchtsstätte und zu dem Bereich, in dem sich die Waffenhalle und der Kampfübungsplatz befanden. Jessamy legte die Stirn in Falten. »Saraia, du weißt, dass du nicht hier sein darfst.« Für einen Babyengel, der seine Flügel und seine Balance noch nicht unter Kontrolle hatte, konnten die Gefahren hier tödlich sein.

»Illium hat gesagt, wir dürften dieses eine Mal bleiben.« Die Erklärung sprudelte nur so aus ihr heraus. »Ich habe gefragt, versprochen.«

Da Jessamy wusste, dass Illium niemals ein Kind in Gefahr bringen würde, ging sie weiter.

Sie bog um die Ecke und steuerte auf die fensterlose hölzerne Halle und den davorliegenden Übungsplatz aus festgestampfter Erde zu. Dort erblickte sie jedoch nicht die markanten Flügel des jungen Engels, die ein überraschend unversehrtes Blau aufwiesen, sondern die dunkelgrauen Flügel eines Fremden. Dieser besaß einen viel muskulöseren Körper und so leuchtend rotes Haar, dass es wie Feuer aussah. In der Hand hielt er ein massives Breitschwert. Mit dem lauten Klirren von Stahl traf sein Schwert auf jenes, das Raphaels Stellvertreter Dmitri in den Händen hielt.

Instinktiv drückte Jessamy Saraia fester an sich.

Dmitri war zwar kein Engel, aber er war mächtig; als Berater war er Raphaels engster Vertrauter und seine tödlichste Waffe. Und mit diesem Vampir ließ sich der große Engel auf einen brutalen Kampf ein. Als er die Flügel zur besseren Balance ausbreitete, erinnerten sie mit ihrer weißen Maserung auf grauem Grund an die eines großen Raubvogels.

Füße und Oberkörper beider Kämpfer waren nackt, und ihre Haut glänzte vor Schweiß. Dmitri trug eine Hose aus fließendem, schwarzem Stoff, während der Aufzug des Engels sie an den Kleidungsstil erinnerte, den die Gefolgsmänner des Erzengels Titus bevorzugten. Der grobe schwarze Stoff bedeckte drei Viertel der Oberschenkel und wurde an der Hüfte von einem breiten, ledernen Messergurt in derselben Farbe gehalten. Erst als er sich bewegte, fiel ihr auf, dass der Stoff schwer war, so als lägen Platten aus geschlagenem Metall unter der ersten Stoffschicht … es war ein Teil einer Kriegerrüstung. Nur die metallene Brustplatte und die Arm- und Beinschützer hatte er weggelassen.

Es war unmöglich, nicht auf diese Beine zu sehen, nicht zu beobachten, wie sich die groben Muskeln unter der leicht gebräunten Haut zusammenzogen und entspannten und die vereinzelten Haare in der Sonne glänzten. Bei seiner nächsten Bewegung glitt ihr Blick zu seinen umwerfend breiten Schultern. Seine urwüchsige Kraft, die er erbittert unter Kontrolle hielt, weckte eine wilde, unerwartete Faszination in ihr.

»Wer ist das?«, fragte sie Illium, als der Engel mit den goldenen Augen ihr Saraia aus den Armen nahm, um das Mädchen zu seinen Freunden auf den Zaun vor ihnen zu setzen. »Und warum legt er sich mit Dmitri an?« Selbst während sie sprach, wandte sie den Blick nicht von diesem Engel ab, der aussah, als wäre er im Hinterzimmer einer heruntergekommenen Vampirkneipe zu Hause.

Illiums Flügel streiften die ihren, als er sich mit den Armen auf dem Zaun abstützte. Es war eine überaus intime Bewegung, doch Jessamy wies ihn nicht zurecht. In dieser Berührung lag kein Hintergedanke, nichts außer einer in der Kindheit verwurzelten Zuneigung: Für ihn würde sie immer die Lehrerin sein, die gedroht hatte, ihn an einem Stuhl festzubinden, wenn er nicht aufhörte herumzuzappeln, anstatt seine Geschichtsbücher zu lesen.

»Galen«, sagte er, »ist einer von Titus’ Männern.«

»Das überrascht mich nicht.« Titus war ein kriegerischer Erzengel, der sich nirgends so sehr zu Hause fühlte wie inmitten des Blutes und dem Wüten einer Schlacht, und auch dieser Galen war wie für den Kampf geschaffen: nichts als geschmeidige Muskeln und rohe Kraft.

Als eindeutigen Beweis für seine Stärke fing er gerade einen Hieb ab und trat im selben Augenblick nach Dmitris Knie. Der Vampir grunzte, fluchte und konnte nur knapp einem Schlag mit der Breitseite von Galens Klinge ausweichen, die ihm mit Sicherheit einen schweren, dunklen Bluterguss eingebracht hätte. Offenbar versuchten sie also nicht ernsthaft, sich gegenseitig umzubringen.

Als Saraia in die Hände klatschte, legte Illium einen Arm um sie, um ihr Halt zu geben, ehe er fortfuhr: »Er möchte in Raphaels Territorium überwechseln.«

Jetzt verstand sie. Raphael war erst vor hundert Jahren Erzengel geworden. Unter diesen Umständen war sein Hof noch im Entstehen begriffen, eine Einheit, die gerade ihre Form annahm. Es gab folglich noch Raum, um starke Engel zu integrieren, die sich an ihren älteren Höfen langweilten oder nicht ausgelastet fühlten. »Hat Raphael keine Bedenken, dass er ein Spion sein könnte?« Die Erzengel, die im Kader der Zehn über die Welt herrschten, gingen bei der Verfolgung ihrer Ziele ohne Skrupel vor.

»Auch wenn Raphael nicht selbst Spione hätte, die sich für Galen verbürgen«, sagte Illium mit seinem ansteckenden Grinsen, bei dem sie beinahe unmöglich hatte ernst bleiben können, wenn sie ihn als Kind zurechtgewiesen hatte, »ist er nicht der Typ, der gut lügen könnte. Ich glaube kaum, dass er die Bedeutung des Wortes ›subtil‹ kennt.«

Ein dröhnender Schlag mit der flachen Klingenseite auf Dmitris Wange, ein Tritt in den Bauch, und plötzlich hatte Galen die Oberhand, die Spitze seines Breitschwerts saß an Dmitris Kehlkopf, während der Vampir schwer atmend auf dem Rücken am Boden lag. »Ergib dich.«

Dmitri blickte Galen ohne zu blinzeln in die Augen, und das gnadenlose Raubtier, das unter der kultivierten Oberfläche des Vampirs lebte, war nun deutlich zu erkennen. Doch als er sprach, war seine Stimme ein behäbiges Schnurren, so träge wie ein Sommernachmittag. »Du hast Glück, dass die Kleinen zugucken.«

Galen zuckte mit keiner Wimper, er war vollkommen konzentriert.

Dmitris Lippen verzogen sich. »Verdammter Barbar. Ich ergebe mich.«

Galen trat einen Schritt zurück und wartete, bis Dmitri auf die Füße gekommen war, ehe er sein Schwert erhob und zum Zeichen des Respekts unter Kriegern höflich den Kopf neigte. Dmitris Entgegnung war unerwartet feierlich und vermittelte Jessamy den Eindruck, dass dieser neue Engel mit dem Körperbau eines Rammbocks und den großen, machtvollen Schwingen irgendeine Art von Test bestanden haben musste.

»Ich glaube, du hast mir die Rippen gebrochen.« Dmitri rieb sich den gefleckten Bluterguss, der sich auf der dunklen Honigfarbe seiner Haut herausbildete.

»Die werden wieder heilen.« Galen hob den Kopf, ließ den Blick über die Zuschauer schweifen … und bei Jessamy verweilen.

Blassgrün und beinahe durchscheinend, ließen diese Augen alle Luft aus ihrem Körper entweichen; mit unerschütterlicher Entschlossenheit blickte Galen sie an. Die Wucht seiner beherrschten Macht war überwältigend, aber was die Knöchel ihrer Finger weiß hervortreten ließ, waren seine Lippen. Als das einzig Weiche in diesem schroffen Gesicht, das nur aus Kanten zu bestehen schien, ließen sie erschreckende, wilde Gedanken auf ihren Geist einstürmen. Erst als Dmitri etwas sagte und Galen sich abwandte, konnte sie wieder atmen. Seine zerzausten, seidig roten Haare bewegten sich im Wind.

Galen sah der großen, beinahe zu dünnen Frau nach, als sie mit zwei der kleinsten Kinder aus dem Publikum an der Hand davonging. Um sie herum rannten weitere Kinder, deren Flügel über den Boden schleiften, wenn sie vergaßen, sie anzuheben. Nie zuvor hatte er einen so zierlichen Engel gesehen. Eine einzige falsche Bewegung mit einer seiner großen Fäuste und er würde sie in hundert Stücke zerbrechen.

Bei diesem Gedanken verdüsterte sich seine Miene und er wandte den Blick von ihrem Rücken ab, der sich von ihm entfernte – einer ihrer Flügel wirkte aus der Entfernung seltsam deformiert. Er folgte Dmitri in die hallende Leere des Waffensaals, wo sie ihre Schwerter reinigten und verstauten. Kurz darauf kam Illium herein, seine Flügel waren so makellos blau, wie Galen es noch nie zuvor gesehen hatte. Der Engel war noch jung, nur hundertfünfzehn im Gegensatz zu Galens zweihundertfünfundsiebzig Jahren, und wirkte wie ein wunderschönes Stück Leichtfertigkeit – der Typ Mann, der sich einzig und allein wegen seines dekorativen Werts an Höfen aufhielt.

»Du schuldest mir den goldenen Dolch, den du aus Nehas Territorium mitgebracht hast.« Illiums Worte waren an Dmitri gerichtet, seine Augen glühten.

Dmitris Brauen senkten sich, als er murmelte: »Du kriegst ihn.« Er hob den Blick und sah Galen an. »Er hat gewettet, du würdest mich besiegen.«

Galen fragte sich, ob der jüngere Engel nur deshalb auf einen Unbekannten gesetzt hatte, weil er Dmitri ärgern wollte, oder ob er über Informationen verfügte, von denen andere nichts wussten. Nein, dachte er beinahe sofort, Illium konnte nicht Raphaels Meisterspion sein – davon abgesehen, wie unwahrscheinlich es war, in seinem Alter bereits das erforderliche Kontaktnetzwerk aufgebaut zu haben, erschien er für eine solche Aufgabe einfach viel zu auffällig.

»Du warst ein guter Gegner«, sagte er zu Dmitri, während er sich einen gedanklichen Vermerk machte, Illium sorgfältiger zu beobachten – Männer wie Dmitri gaben sich nicht mit hübschen, nutzlosen Schmetterlingen ab. »Normalerweise kann ich meine Gegner mit bloßer, roher Gewalt einschüchtern.« Dmitri hingegen hatte sich nicht einschüchtern lassen und darüber hinaus mit erfahrener Anmut gekämpft.

Der Vampir neigte den Kopf und seine dunklen Augen wirkten träge – solange man nicht unter die Oberfläche blickte. »Wahrlich ein Kompliment von einem Waffenmeister, über dessen Verlust Titus mit Sicherheit erzürnt ist.«

Galen schüttelte den Kopf. »Er hat bereits einen Waffenmeister – und Orios hat sich seine Stellung verdient.« Für Galen hatte es dort keinen Platz gegeben, außer als Orios’ Untergebener. Mit dieser Position war er nicht unzufrieden gewesen, als er gerade erwachsen geworden war, hatte er doch gewusst, dass Orios der bessere Kämpfer und die bessere Führungspersönlichkeit war. Aber als Galen älter und erfahrener wurde, hatten sich die Dinge geändert, seine Macht hatte sich erheblich schneller entwickelt als die seiner Altersgenossen. »Orios war froh, als ich ihm von meinem Wunsch berichtete, Titus’ Hof zu verlassen.«

»Die Männer sind allmählich verwirrt, in wem sie ihren Anführer sehen sollen«, hatte der Waffenmeister gesagt, seine beinahe schwarze Haut hatte im Licht der afrikanischen Sonne geglänzt. »Es würde auf meine Kosten gehen, wenn wir gezwungen wären, die Dinge in einem Kampf auszutragen.« Eine große Hand drückte Galens Schulter. »Ich hoffe, dass wir einander nie in einer Schlacht gegenübertreten müssen. Von all meinen Schülern hast du es am weitesten gebracht.«

Nie hatte Orios seinem Schüler Wissen vorenthalten, obwohl dieser seine Position gefährdet hatte. Dafür brachte Galen ihm großen Respekt entgegen, und er hatte dafür gesorgt, dass Orios das wusste. Sie hatten sich im Guten getrennt. »Titus versucht nur, sich in eine gute Position zu bringen, um Zugeständnisse von Raphael zu gewinnen.«

»Wie idiotisch von ihm«, sagte Illium und ließ die Hand über die Schneide der Klinge gleiten, mit der Dmitri gekämpft hatte. »Raphael ist zwar vielleicht das neueste Mitglied im Kader, aber er ist trotzdem ein Erzengel.« Er schnitt sich in die Handfläche, stieß zischend die Luft aus und ballte die Hand zur Faust. »Warum hast du keine Stellung an Charisemnons oder Urams Hof ins Auge gefasst? Beide sind älter und stärker und haben viel mehr Männer unter ihrem Kommando.«

Galen strich sich das schweißfeuchte Haar zurück und dachte daran, dass er es unbedingt schneiden lassen musste – er konnte es sich nicht leisten, dass seine Sicht beeinträchtigt wurde. »Lieber bleibe ich eine zweitrangige Wache an Titus’ Hof, als unter Uram oder Charisemnon zu arbeiten.« Titus mochte zwar gelegentlich grausam sein, schnell zu verärgern und noch schneller mit einer Kriegserklärung bei der Hand, aber er besaß Ehrgefühl.

Wenn seine Soldaten in eine Schlacht marschierten, durften sie keine Frauen vergewaltigen oder Kindern etwas zuleide tun. Wenn ein Mann nur kämpfte, um sein Haus zu verteidigen, musste man ihm Gnade gewähren, denn Titus bewunderte Mut. Jeder Krieger, der die Regeln des Erzengels brach, wurde kurzerhand vorgeführt und gevierteilt, und die Fleischklumpen, die einst sein Körper gewesen waren, wurden für alle sichtbar an den Bäumen aufgehängt.

Raphaels Herrschaftsstil hingegen war ganz anders, sein Zorn war wie eine kalte Klinge, die im Vergleich zu Titus’ manchmal blinder Wut äußerst präzise Schnitte setzte. Aber auch Raphael hatte in den hundert Jahren seiner Zugehörigkeit zum Kader schon bewiesen, dass seine Ehre es nicht gestattete, Schwächere und Hilflose zu knechten.

»Gibt es an diesem Hof einen Platz für mich?«, fragte Galen unverblümt, wie es seine Art war. Er war als Kind zweier Krieger zur Welt gekommen und an einem kriegerischen Hof aufgewachsen. Die Zierden der Zivilisation hatten nicht zu seiner Erziehung gehört, und obwohl er die Wirksamkeit sprachlicher Gewandtheit durchaus kennengelernt hatte, würde diese Fähigkeit ebenso gut zu ihm passen wie ein zierliches Florett in seine Hand.

»Raphael unterhält keinen Hof«, sagte Dmitri. Er zog eine kleine, schimmernde Klinge aus einer Wandhalterung und warf sie ohne Vorwarnung an die hohe Decke der Halle.

Wie von einem Katapult geschossen, flog Illium hinauf, fing das Messer mit einer Hand aus der Luft und warf es in derselben Bewegung nach Dmitri. Der Vampir fing das Messer am Griff auf, kurz bevor es sein Gesicht treffen konnte. Er bleckte die Zähne und schickte ein wildes Grinsen in Illiums Richtung: »Ich sehe nicht ein, warum hübsche Leute sich nur treiben lassen und nichts tun sollten.«

Galen sah Illium mit einer Präzision landen, wie er sie noch bei keinem anderen gesehen hatte; die Flügel des Jungen waren nicht nur schön, sondern besaßen auch die Muskelkraft, die für dieses Manöver nötig war. Nun ging Galen auf, dass der andere Engel absichtlich den Eindruck erweckte, er sei nur eine hübsche, unterhaltsame Dekoration. Niemand würde in ihm gefährliche Absichten vermuten.

Illiums Antwort auf diese offenherzige Begutachtung war eine Verbeugung, so anmutig und kunstvoll, dass sie einem von Lijuans spießigen Höflingen zur Ehre gereicht hätte. Atemberaubend entfalteten sich seine Flügel. »Hätten Sie heute zum Frühstück gern einen Dolch in Ihrer Kehle, mein Herr?« Der Tonfall war rein aristokratisch, mit einer Prise goldäugiger Koketterie.

»Lässt du ihn allein nach draußen?«, fragte er Dmitri, während er bereits die möglichen Vorzüge von Illiums Fähigkeiten abwog.

»Selten.«

2

Erst am nächsten Morgen, in der verschwiegenen Zeit kurz nach Sonnenaufgang, sah er die große, dünne Engelsfrau wieder. Sie ging allein auf dem marmorgepflasterten Weg, der zu den Türen der großen Bibliothek der Zufluchtsstätte führte. Hinter einer Reihe von Säulen, die das Gebäude säumten, verschwand sie immer wieder im Nebel, um dann plötzlich wieder aufzutauchen.

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