Frisör Kleinekortes Salongespräche - C. U. Wiesner - E-Book

Frisör Kleinekortes Salongespräche E-Book

C. U. Wiesner

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Beschreibung

„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“ Mit diesen Worten begrüßte der Frisörmeister Kowalczik gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden, ob das nun ein alter Zausel oder ein junger Spund wie ich damals war. Ende der fünfziger Jahre wohnte ich im Bezirk Prenzlauer Berg in einer Untermieterbude am Arnswalder Platz. Gleich um die Ecke, in der Dimitroff-, heute Danziger Straße, lag des Altberliner Figaros armseliger, aber sauberer kleiner Laden, der mich mit seinen vielfältigen Utensilien an das Bühnenbild eines frühen Gerhart-Hauptmann-Dramas erinnerte. An der Tür hing ein handgeschriebenes Schild: Freitag und Sonnabend kann ich Kinder keine Haare schneiden. Den Frisierstühlen gegenüber prangte halblebensgroß eingerahmtes handkoloriertes Foto. Es zeigte den schnauzbärtigen Ladenbesitzer in der kleidsamen Infanteristenuniform des Ersten Weltkriegs, neben sich, wie einen Hund an der Kette, ein wassergekühltes Schweres Maschinengewehr auf Rädern, darunter ein Schild: Wir Herrenfrisöre kämpfen für den Frieden. Solange Meister Kowalczik seinen Kunden bediente, vom Kittelumbinden bis zum Kragenabbürsten, redete er auf ihn ein. Monologe voller skurriler Lebensweisheiten und komischen Döntjes aus seinen langen Erdentagen. Die weitere Personnage bestand aus seiner Ehefrau, Muttern, die höchstens mal mit einem Töppken Kaffe in Erscheinung trat, aber in den Erzählungen ihres Mannes eine gewisse Rolle spielte. Eigentlich wollten alle Kunden am liebsten nur vom Meister selber bedient werden. Kam man aber zu spät, so musste man mit seinem Jehülfen, Herrn Kafforke, vorlieb nehmen. Der hatte leider nur zwei Themen. Kopfschuppen und Urlaub. Bei letzterem verlief der Dialog etwa so: „Wahns denn dies Jahr schon uff Urlaub?“ – „Ja.“ – „Wo wahnsen?“ – „In Bad Liebenstein.“- „Kenn ick.“ Die Variante dazu: „Nein.“ – „Wo fahnsen hin?“ – „Nach Rübeland..“ –„Kenn ick nich.“ Den ersten Monolog in diesem Buch, Frisör Kleinekorte trauert verlorenen Werten nach, habe ich mir fast wörtlich aus dem Gedächtnis notiert und ihn später im Eulenspiegel veröffentlicht. Aus gutem Grund verpasste ich Meister Kowalczik einen neuen Namen. Der echte Kleinekorte betrieb dereinst in meiner Heimatstadt Brandenburg einen Branntweinausschank. Auch der Name Kafforke ist nicht ganz erfunden. Kafurke hieß ein Gehilfe in dem für damalige Verhältnisse geradezu vornehmen Salon Wallik. Der lag genau gegenüber dem Eulenspiegel Verlag in der Berliner Kronenstraße.

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Impressum

C. U. Wiesner

Frisör Kleinekortes Salongespräche

ISBN 978-3-96521-071-4 (E-Book)

Die Druckausgaben erschienen zwischen 1965 und 1981 im Eulenspiegel Verlag Berli:

„Frisör Kleinekorte“ 1965, „Kleinekorte seift wieder ein“ 1971, „Herrensalon W. Kleinekorte“ 1976, „Frisör Kleinekorte in Venedig und anderswo“ 1981.

Die Druckausgabe „Frisör Kleinekorte – Salongespräche aus drei Jahrzehnrten“ erschien erstmals 1994 in Eulenspiegel – Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH, Berlin.

Titelbild: Ernst Franta

© 2020 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Frisör Kleinekorte

Frisör Kleinekorte trauert verlorenen Werten nach

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, mit Ihre Lockenpracht is aber auch kein Staat mehr zu machen. Ick glaube, wenn Se dis nächste Mal kommen, hamse ne kalte Platte. Und wissense, woran dis bei Ihnen liegt: Sie ham zu ville männliche Hormone. Aber die Haarwuchsmittel sind ja man auch der reinste Tinneff, da machense bloß die schemischen Fabriken mit reich. Ick sage immer, es gibt nur ein reelles Mittel: dreimal am Tag kräftig bürschten - am besten mit ne janz harte Bürschte.

Ja, wenn ick ein Haarwuchsmittel erfinden täte, was würklich hilft, denn wär ick ’n jemachter Mann. Was ick mit dis viele Jeld anfangen würde?

Jott, wissense, ick bin jetzt an die Zweiundsiebzig, stellnse da noch jroße Ansprüche ans Leben? Tja, ick könnt mir beispielsweise alle vierzehn Tage ’n neuen Anzug bauen lassen, aber dis trägt ja unsereiner nicht mehr ab. Und dis Trinken bekam mir früher auch besser. Neulich hab ick mitn alten Kriegskameraden ’n Kleinen jepichelt, nu, dis mögen so Stücker zwölf Spezi und zehn Pils jewesen sind, andern Tag - dotsterbenskrank! Dis is ebent alles nicht mehr dis richtige! Moment mal, ick will bloß dis Messer scharf machen. Wissense, man müsste einfach für dis janze Jeld nackte Meechens bestellen und die denn danzen lassen. Und die janzen Pressefritzen, die könnten bei mir aufkreuzen und fotojrafieren, da wär ick jar nicht kleinlich.

Ach, man sagt dis alles so, aber dis is heutzutage überhaupt nicht mehr drin. Die Menschheit is ja so prüde jeworden. Dis muss so - wartense mal - inne Systemzeit jewesen sind, da kamen doch immer - dis werden Sie jar nicht mehr kennjelernt ham - die Hausierer mit ihre Bauchläden. Oben in den Kasten hattense Schnürsenkel, Sockenhalter und hüginische Artikel, und dadrunter war ’n doppelter Boden. Und dadrin lagen denn lauter Fotografien - ick muss ja sagen, sehr freie Darstellungen. Und die hamse bei uns Frisöre fürn Fumziger abjesetzt. Wir hamse denn weiterverscheuert an die feine Kundschaft: dis Stück ne Mark, und ne Mark, dis war damals noch ’n Stücke Jeld.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken höher. Ach, es jab ja noch ville schönere Sachen, dis kennt die Jugend heute jar nicht mehr. Was mein Neffe Oswald is, der jetz in Charlottenburg ans Jericht arbeiten tut, der hat, als er noch bei uns nebenan inne Blumenstraße wohnte, ’n richtigen Kinoapparat jehabt, so einen mit bewegliche Bilder, und da jab es, ick glaube an Dönhoffplatz, son Laden, wo Se echte französische Sittenfülme ausleihen konnten, für eine Mark fumzig die janze Woche. Wenn denn der Sonnabend ran war, wurde die Bude verdunkelt und ’n Bettlaken anne Wand jepinnt. Die Damen saßen nebenan und tranken ihren Kaffee, und wir Herren begaben uns in unserem Kintopp und machten Spannemann bis nachts um zwölfe.

Von diese Erinnerungen lebt man nu heute.

Scharf nachwaschen, Herr Jeheimrat? Was aus den Apperat und die Fülme jeworden is? Na, dis Haus, wo mein Neffe wohnte, wurde noch vierenvierzig runterjebombt, und da liegt dis nu alles mitten unter die Trümmern.

Tja, wenn man bedenkt, was der Krieg so für Werte vernichtet hat!

Frisör Kleinekorte äußert sich zu Fragen der Weltraumschifffahrt

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Macht nischt, nachts wachsen die Haare langsamer, da sparnse ne Masse Jeld. Fassongschnitt?

Hamse denn heute Nacht den Sputnik jesehn? Der soll ja mal wieder über Berlin rüberjondeln. Ick halt ja nicht ville von den janzen Spuk. Früher - dis muss so bei Hindenburch jewesen sind - hab ick mir ja auch ab und zu den Kopp verrenkt. Nachn Zeppelin, dis lohnte sich wenigstens. Aber die Menschheit wird ja immer verrückter. Immer höher wollnse hinaus. Erst steigense auf dem Himmaleia und belästigen die Schneemenschen - aber nein, dis jenügt nicht: se müssen auch noch partuh bis aufn Mond, und dabei könnse den im Leben nicht erreichen, weil er nämlich nischt weiter is wie ne Luftspiegelung. Was die überhaupt mitten im Himmel zu suchen ham - als ob se es nicht erwarten könn. Mann, da kommen wir doch alle noch beizeiten hin.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken tiefer.

Nu mach ich mir ja bei alles so meine eigenen Jedanken. Ham Sie zum Beispiel schon mal jelesen, deß die mit ihre Raketen auch nur eine Spur vom lieben Jott entdeckt ham? Is ja auch kein Wunder. Ick sage Ihnen, den Mann hamse einfach verjrault. Auf die Dauer kann dis ja nicht jut jehn. Am liebsten wollnse uns ja weismachen, desse eines schönen Tages mit ihre Weltraumdampfer auf die Milchstraße rumsejeln wie bei uns die Weiße Flotte. Aber ich lass mir doch nicht für dumm verkaufen. Höher als circa hundert Kilometer kann man die Dinger ja jar nicht hochballern. Muss ick doch wissen, wo ick anno vierzehn in Frankreich mit meine Kompanie neben eine schwere Mörserbatterie jelegen habe. Sehnse, dis waren damals die modernsten Steilfeuergeschütze, wo wir hatten. Passense auf: Ick bin der Mörser, un die Bürschte hier is dis Jeschoß. Jetzt schieß ick bis anne Decke - Pardong, Ihnen wollt ick nicht treffen, Herr Jeheimrat. Aber hamse jesehn: Ick kann mir noch sone jroße Mühe jeben - dis Ding kommt immer wieder runter, und jenauso isses mit die Raketen.

Rund um die Erde is doch der sojenannte Luftozean - hab ick mal inne »Jrüne Post« gelesen, die war ja damals sehr auf Wissenschaft jeeicht -, und dahinter is jar nischt mehr, da ist die Welt mit Bretter vernagelt, wie ein großer Jelehrter sagt. Und nu kommt also dis Raumschiff, dringt bis anne Oberfläche vor und zieht nu auf den Luftozean hurtig seine Kreise. - Frieda, setz doch mal Kaffeewasser auf, ich bedien bloß noch den ein Herrn. - Dis geht natürlich nur so lange, als wie die Schiffsschraube Widerstand jejen die Schwerkraft findet. Nu hamse doch meistenteils ’n klein Köter als Piloten, was ja an sich ne Affenschande is - unsern Purzel früher is schon immer aufs Kettenkarussell schlecht jeworden. So, nun stellnse sich vor, dis Tier macht ein einzigen Fehler: bums! - schon isses passiert, und da könnse den Hund vorher noch so jut ausjebildet ham. Aber lassense man, der Russe is unberechenbar. Eines Tages schicken die ’n lebendijen Menschen aufn Mond, und denn klappt es, passense auf. Ick? Ob ick mir freiwillig dazu melden würde? Wo denkense denn hin! Komm ick nach drei Lichtjahre wieder auf der Erde - da ist mein Herrensalong PeJeHa, un ick bin Neese!

Frisör Kleinekorte wird es warm ums Herze

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat, was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Ich werde Sie mal die Haare nicht so kurz schneiden, wennse bei den Frost immer ins Freie sein müssen. Heute früh, wie ick die Schallesie hochziehe, war alles voll Raureif. Dis sah ordentlich feierlich sah dis aus, wie mit Puderzucker.

Und Schlächter Meusel hat villeicht geflucht, weil sein oller Wartburg nicht anspringen wollte. Is ja auch kein Wunder: bei die Temperaturen friert der Ostbenzin glattwech ein.

Ick verheize jetz jeden Tag zwei Eimer Kohlen in den Eiserofen, und kalte Beine kriegt man doch beim Stehn. Aber ick tröste mir immer und sage mir, der Winter is eine Naturerscheinung, und der Mensch is nu mal kein Zugvogel, deß er in dem sonnigen Süden abzittern kann. Und son Winter hat ebent auch sein Gutes. Nehmse zum Beispiel das Weihnachtsfest. Da wird einen doch so richtig warm ums Herze rum. Wenn denn draußen so der Schnee glitzert und so.

Übrigens, is Ihnen dis schon aufgefallen? Früher ham wir an Heiligen Abend immer Schnee gehabt. Ick weiß auch nicht, aber seit fümmenvierzig hat sich die Witterung dermaßen umgestellt, als ob uns die Regierung kein richtiges Weihnachtsfest mehr gönnen täte. Sehnse, und dis gehört nu mal zum Deutschen, und dis lasst er sich auch nicht nehmen. So was Stimmungsvollet findense bei kein anderes Volk. Der Franzose oder der Russe is da ville zu nüchtern zu. Der Franzose is so oberflächlich, deß er nicht mal 'n Weihnachtsbaum kennt, und der Russe, jaja, der hat auch seine schwermütigen Lieder, aber die singt er ebent nicht zu Weihnachten.

Machen Sie diesjahr 'n Baum? Ick hab jestern erst meinen jeholt, vonne Schönhauser, aber die waren schon so ausjesucht, deß ick nur noch son ruppigen Besen erwischt hab. Um die paar juten soll es Mord und Dotschlag jejeben ham.

Ick hab ja nu keine kleinen Kinder mehr, aber son Baum jehört einfach zum Fest, schon vonwejen die Erinnerungen. Ick weiß doch, wie ick im ersten Krieg bei die Fümmendreißiger in Frankreich jestanden habe, dis muss so - wartense mal - in Winter fuffzehn muss dis jewesen sind. Da ham wir in unsern Graben jelegen und hatten auch ein kleinen Baum mit richtige Lichter. Und unser Feldwebel, dis war ein Schinder, vor den hamse alle jekuscht, und son junges Bürschchen, den hatte er mal so fertigjemacht, dass sich der Junge ’n Heimatschuss beijebracht hat - aber nu hättense unsern Feldwebel sollen sehn: Wie wir da in Graben »Stülle Nacht« jesungen ham, da sind den Mann die hellen Tränen man immer so runterjelaufen.

Aber so war ebent der deutsche Soldat: außen rau wie’n Bär und innen ’n weichet Jemüt. Und wenn alle so dächten, denn hätten wir bald Frieden auf der Welt, wenigstens den einen Tag im Jahr. Dis fangt nämlich schon inne Verwandtschaft an. Dis ganze Jahr ham wir mit mein Schwager nicht verkehrt, aber gestern sag ick zu meine Frau: Aufn Heiligabend ladste Bertan und Erichen ein und machstse auch ihren bunten Teller. Was meinense, wie feierlich dis immer bei uns wird. Nachmittags jeht meine Frau inne Kirche, da lasstse sich nicht von abbringen, nicht mal von mir, denn ick bin ja der Leidtragende, weil ick mir so lange um den Braten kümmern muss. Vorigtes Jahr hab ich ihn anbrennen lassen, wegen Fernsehen, da hing aber ’n janzen Abend dis Christkind schief.

Na, diesmal wirdse wohl nicht wechkönnen. Ick glaube, die steht die janzen Feiertage nur an Herd. Dis is ja immer die wichtigste Frage, wasse Weihnachten inne Pfanne haben. Dies Jahr wusstense nu nicht: Gibs jenug oder nich? Also ich meins gut und werde vonne Markthalle jestern ne jroße Pute mitbringen. Komme nach Hause, schlagt meine Frau die Hände übern Kopp zusammen und zeigt mir son Untier von Jans, was ihr Schlächter Meuseln seine Frau zurückjehängt hatte. Na jut, sage ick, die kriegen wir auch klein,auf einmal klopps, und draußen steht Frau Ladentin mitn fetten Karnickel und sagt, Sie haben doch im Herbst einen bestellt. Is auch ejal, sagt meine Frau, denn hol ich ebent noch ’n schönes Stück Kassler, und denn ham wir gleich was für Heiligabend; am ersten gibs die Gans, und die Pute muss ebent bis zum dritten Feiertag reichen. Na, macht nischt, dafür brauchste denn keine Kartoffeln kochen, und mit Boonekamp bin ick einjedeckt. Ich ziehe aus alles meine Lehren. Vorigtes Jahr musste meine Frau nämlich den Doktor holen. Nicht etwa, desse denken, Weihnachten besteht bei uns bloß aus lauter Fressalien. Dis beste is nu mal die feierliche Stimmung. Dis fangt ja schon so immer um Niklaustag rum an. Sagt doch meine Frau: Stell mal ruhig ’n Schuh raus, Vater - macht aber bloß ihren Spaß. Ich werde dis für ernst nehmen, und andern Morgen hat die Katze reinjemacht, und dis war noch ’n guter Pico-Schuh von Jesundbrunnen. Na ja, son Vieh kann dis ja nicht wissen. Hunde sind da janz anders. Unser Purzel weiß jenau, wenn Weihnacht is. Denn kriegt er nämlich ne große runde Leberwurscht janz für sich alleine. Dis Tier kiekt einen denn richtig dankbar an, am liebsten würde er »O du fröhliche« mitsingen. Dis sind ebent alte Familienbräuche.

Sehnse die kleine Krippe da drüben mang die Pomadenbüchsen, die stell ich nu schon dreißig Jahre lang immer an ersten Advent ins Schaufenster. Die hab ick mal spottbillig bei Wertheim jekauft. Dis waren ja damals noch andere Preise. Wenn ick heute meine janze pucklige Verwandtschaft beschere, jehn mindestens dreihundert Mark drauf. Aber man soll ja zu son Fest nicht aufs Jeld sehn. Ick für mein Teil bin da meistens sehr spendabel und ärgere mir bloß über den Tinneff, den die anderen mir immer andrehn. Wenn man dis so zusammenrechnet - von die abjetragenen Sachen aus Frankfurt mal abjesehn -, bin ick die Sippe höchstens ’n Fuffzigmarkschein wert.

Na ja, der Ärger verjeht auch, schließlich is ja nur einmal Weihnachten.

Früher waren die Menschen nicht halb so matrijell wie heutzutage, wo sojar die Kinder schon Ansprüche stellen. Und denn wundern sich die Leute, desse nicht mehr so die alte deutsche Weihnachtsstimmung haben. Nehmse mir zum Beispiel. Ick bin in janz kleine Kreise groß jeworden. Vater war in Brandenburg Kutscher bei die Adler-Brauerei, und Muttern musste fürs Millitär waschen. Aber die Herzlichkeit bei uns damals, die könnse heute suchen. Über ne Pudelmütze oder 'n Paar neue Holzpantinen haben wir uns am Heiligabend mehr jefreut als sone Jören heute über ne elektrische Eisenbahn.

Dis eine Jahr werd ich nie vergessen: Vater kommt und kommt nicht, dis Festessen schnurrt inne Röhre ein, Muttern hat jeweint und jesagt, nu müssen wir ebent den Baum alleine anstecken. Und jrade wie die Lichter brennen, jeht die Türe auf. Aber statt dis Christkind kommt der Olle rein, stinkhagelblau, haut den Weihnachtsbaum vom Tisch und schreit, er hat den janzen Schwindel satt. Aber dis war halb so wild. Andern Morgen hat er uns Kinder jenommen und is eigenhändig mit uns inne Kirche marschiert, denn über sein Familienleben hat ihm ebent nischt rüberjegangen. Sehnse, und dis isses, was uns heute so fehlt. Wollnse zur Feier des Tages ’n bißken Pomade rein haben? Jut, denn feucht icks nur an. So, und denn wünsch ick Sie ein recht frohes Weihnachtsfest.

Frisör Kleinekorte wettert gegen die Klatschmäuler

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Wissense, ick sage immer, die Nacht is die jeheimnisvollste Tageszeit. Da passieren die schrecklichsten Dinger. Ick könnte Ihnen villeicht Schoten erzählen, bloß aus unsere Straße. Wenn man abends ausm »Blauen Affen« kommt und geht so mang die Häuser lang ... also nicht, dass ick absichtlich in die Parterrefenster reinkucke, aber was Se da so manchmal zu hören kriegen! Ick sage mir immer, ’n richtiger Frisörmeister muss verschwiegen sind, sonst verjrault er sich die Kundschaft. Jott, es gibt natürlich Kunden, die erzählen einem sonst was, aber darauf darf man ja nischt jeben. Es wird ja so ville jeredet und jeklatscht. Der dicke Kustak aus Nummer siebzehn is in diese Beziehung wie son olles Weib. Fragt er mir doch neulich, ob es sich schon rumjesprochen hat, was bei Zahnarzt Stippekohl jede Woche für dolle Orgeln jefeiert werden. Nu will man ja nicht unhöflich sind. Nee, sag ick also, aber erzählnse mal! Na, janz Jenaues wusste er auch nicht. Bloß, deß Stippekohlen seine Sprechstundenhilfe, diese aufjedonnerte Rothaarije, schon mal morgens um sechse aus Stippekohls Wohnung jekommen is. Und dabei hat Stippekohl schon die zweite Frau, und dis letzte Kind, dis soll auch nicht ... aber ick würde nie darüber reden. Und wie schnell hamse jemand den juten Ruf verdorben. Nehmse zum Beispiel Ihnen. Seit Se letztes Mal hier waren, sind Ihre Haare schon wieder weniger jeworden. Ich weiß schon jar nicht mehr, wie ich se Ihnen legen soll. Als Frisör denk ick mir natürlich mein Teil, aber da kommt auch nicht ein Sterbenswörtchen über meine Lippen. In mein Beruf könnse sich eine ganz wissenschaftliche Züchologie nur aus die Haare von einen Menschen bilden. Denkense bloß mal an Bäcker Stackebrandt. Der lasst sich seit vorigten Winter bei mir die Haare rot färben und obendrein noch ondulieren.

Na schön, der Kunde is König. Aber Stackebrandt jeht nu schon auf die Sechzig zu - und denn macht er sone Zicken, wo die Schulmeechens hinter ihm herlachen. Zu mir sagte er mal - janz im Vertrauen -, er fühlt jetz so was wie ein zweiten Frühling, aber mit wem, sagt er nicht. Nu bin ick ja nicht dusselig. Und dabei is der Mann von die Witwe Lüdicke noch nicht mal ’n Jahr unter der Erde. Und was war dis für ne Seele von Mensch! Die Olle soll ihm ja dotjeprügelt haben, weil er ihren Köter hat verjiften lassen. Und dis war wirklich dis Beste für den armen Harras. Der konnte doch kaum noch kriechen.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken höher. Ick meine, son Tratsch kann janze Existenzen rujenieren. An Schuster Hämmerling werdense sich nicht mehr entsinnen? Den hattense doch damals mitn Hackebeil erschlagen, mit die stumpfe Seite, glaub ick. Und den Mörder hamse nie jefaßt. Nu munkeltense damals alle, dis wär der Klempner Jülicher jewesen. Ick sage Ihnen, dis dauerte nicht lange, da blieb Jülichern die janze Kundschaft wech, und er kriegte lauter anonyme Drohbriefe. Eines Tages hamse ihm rausjetragen, mit die Beine zuerst - da hatte er den Jashahn aufjedreht. Dis war natürlich nicht richtig, trotzdem ich heute noch steif und fest in ihm den Mörder sehe. Wissense, der Mann hatte einfach ’n zu unheimlichen Blick, der konnte keinen jrade ankucken.

Und ick bin nu mal ’n Mensch, der sich so über alles seine Jedanken macht. Nur bereden lass ick mir nicht. Da kann ick denn tücksch wie ’n Affe werden. Dis war - wartense mal - dis muss so Ende der zwanziger Jahre muss dis jewesen sind, da hatte ick mal ne richtiggehende Affehre und wurde beinah zu ein leidjeprüftes Opfer von sone ollen Tratschweiber. Da hatte nämlich die damalige Hauswirtin, dis olle Aas, inne janze Straße verbreitet, ick hätte da son kleines Täterätä - wie der Franzose spricht - mit unsere Untermieterin. Immer wenn Muttern zu Hause nach Pietzkau fuhr, würde ich mir mit die ... also Sie verstehn mir schon. Nu bin ick ja noch zu retten, sagte ick damals, und werd mir doch nischt anfangen mit sone ... Jott, ick finde jar keine Ausdrücke ... also mit so eine vons Warrittee. Aber wie dis so is, bald fragte mir die Kundschaft aus, ob ick auch wirklich in künstlerische Kreise verkehre. Ick war ja tatsächlich mal ein doller Pussierstengel, aber ick und diese Schickse? Ick also hin beim Rechtsanwalt, und denn musste die Hauswirtsche öffentlich widerrufen. Sehnse, und da war ich auch wieder der Jeplättete. Nächste Woche stand im Jeneralanzeiger: Hiermit nehme ich die Verleumdung gegen Herrn Frisörmeister W. Kleinekorte zurück und erkläre öffentlich, dass er kein Verhältnis mit seiner Untermieterin Fräulein Schmidt-Birelli habe. - Da hättense mal die Kundschaft erst sehn sollen. Die ollen Lebejreise ham mir so lange auf der Schippe jenommen, bis ick ... ick mach bloß mal die Tür zu, dis weiß Muttern nämlich bis heute noch nicht.

Jott, jetzt muss ick Sie noch mal einseifen, die olle Seife, die’s bei uns jibt, trocknet einem immer ein beim Erzählen. Sehnse, damals waren ebent noch strenge Sitten. Und heute? Mir hat neulich - Namen nenn ick nicht - einer erzählt, desse nächstens bei uns von Staats wegen die freie Liebe wieder einführen. Ick sage: Aber, Herr Doktor Stippekohl, dis liegt unsere Fungzionäre jar nicht, die lassen doch in diese Beziehung höchstens in jewisse Romane oder ins Fernsehn den Deibel danzen. Doch, sagt er, er hat es aus höchste Kreise, aber ick soll es für mich behalten. Nu kuck ich jede Woche inne »für dich«, ob schon was drinsteht. Man weiß ja nicht, obs stimmt. Aber wenn ... denn steh ick da als oller Knacker. Und wat bin ick denn? Ein Zaunjast an Amors jroßen Paradiesjarten. Na, is auch ejal. Sehnse mal da draußen, die kleine, pummlige Schwarze. Die soll ja - also ick kann mir dis jar nicht vorstellen - die soll nämlich - wissense, so was Unnatürliches jabs zu unsere Zeiten noch jar nicht - wie jesagt, die soll - obs stimmt, weißt man ja nicht jenau - erzählt wird jedenfalls, desse gleichzeitig mit ihren Mann - Sie können ja nun denken, ick habe ne perverse Fantasie - also gleichzeitig mit ihren Mann soll die die Prüfung als Elektrikerinschenjör gemacht haben. Sone Frau kann ja nicht mehr normal sind. Aber dis geht ja unsereinen nischt an, und darum red ick auch jar nicht darüber. So, ick muss Ihnen noch den Kragen abbürschten. Was ick Ihnen hier erzählt habe, bleibt natürlich unter uns, sonst heißt es noch, Frisör Kleinekorte is auch so einer. Und wenn ick eins aufn Dod nicht ausstehen kann, denn isses Klatsch und Tratsch. Hamse schon jehört, deß die Tarife fürs Frisörhandwerk erhöht werden sollen? Nee, ick auch nicht. Na, Spaß muss sind.

Frisör Kleinekorte war in Pietzkau

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat, was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Wird höchste Zeit, deß ick auf Ihren Kopp die Frühjahrsfurche ziehe. Nur ’n kleiner Scherz von mir, damit Se nicht denken, ick lese keine Zeitung. Da könnse nämlich jeden Tag was vonne Landwirtschaft drin lesen, und wenn Se jute Augen ham, werdense noch Meisterbauer. Is natürlich auch bloß Spaß, denn vons Studieren lernse bestimmt nicht, wie man ein Kuhstall ausmistet.

Wenn ick mir so in Jedanken zurückerinnere, denn kann ick nur immer mitn Kopp schütteln, was die heute aus dis Landleben jemacht ham. Dagejen issen Frisör doch viel was Solideres. Für unsereinen hat sich doch in die letzten fumzig Jahre nischt jeändert. Wer ’n dreckigen Kopp hat, lasst ihn sich ebent waschen, und wen der Bart sprießt, kriegt ihn bei uns balbiert. Und was hamse aufs Land? ’n neues Leben und alles wissenschaftlich. Mir könnses ja erzählen, wo ick bloß ’n einzigen Vater jehabt hab.

Bin nämlich neulich in Pietzkau jewesen, bei den Sohn von ein Kriechskameraden, wo wir nach fümmenvierzig immer raus hamstern jingen. Den sein Bengel is nu auch schon wieder jroß und studiert auf Zücholojie. Und da kommse die Sache schon näher: Die Leute hamse einfach ’n Floh im Ohr jesetzt. Anstatt von den Herrn Züchologen jeh ick womöglich noch Kartoffeln buddeln. Aber bei mir nicht, Sie! Ick sage immer, die sollen man die rausholen, die se reinjelegt ham, die wissen am besten, wo se liegen.

Ach jut, desse mir auf dis Thema Kartoffeln bringen. Was mir betrifft, ick habe jenug einjebunkert, aber nehmse zum Beispiel Doktor Petersen. Wie soll denn der Mann ne ruhige Hand bei’s Zähneziehen ham, wenn ihn seine Frau zweimal inne Woche Reis kochen muss? Son sentementaler Intiljenzler is doch bloß ’n halber Mensch, wennse ihn auf einen Schlage seine gewohnte Nahrung entziehn. Oder füttern Sie etwa Ihren Kanalljenvogel mit saure Jurken, wenns mal jrade kein Vogelfutter jibt? Sehnse, und jenauso isses mit uns: Der Deutsche brauch nu mal seine Kartoffeln, sonst lasst er nischt mit sich anfangen.

Aber ich wollt Ihnen ja aus Pietzkau erzähln. Also dis Dorf kennse nicht mehr wieder: Kino, Kinderjarten, die Jören mitn Bus zur Schule, alle vierzehn Tage dis Fischauto, HO, Konsum - und alles maschinell.

Ick sage zu mein Bekannten, wenn ihr nu schon kein richtiges Landleben mehr habt, denn zieht doch gleich inne Stadt, denn reißen wir euch zuliebe den Asphalt auf und pflanzen Lupinen aufn Alex. Wissense, früher hamse den Bauern schon von weiten erkannt, aber heutzutage ... Also Sie werdens nicht für möglich halten, treff ick doch in Pietzkau inne Kneipe ’n Melker, und der hat mein jrauen Anzug an! Jenau disselbe Muster. Und was mein Bekannter is, der hat ne Dreiundfumzigerröhre und ick als Berliner nur ne Dreiundvierziger! Und damit jeht ebent die janze schöne Romantik, wie Se se aus Janghofern seine Bauernromane kannten, glattwech zum Deibel.

Die ElPeJe is ja nischt mehr heilig, bei die Indier wenigstens noch die Kühe, aber in Pietzkau melkense die armen Tiere sojar auf elektrisch. Jar nicht auszudenken, wo dis noch hinführen soll. Aber eins muss ick ja mein Bekannten lassen: jesundstoßen tut er sich. An die inwidielle Wirtschaft verdient er nämlich mehr wie inne Jenossenschaft. Nu steckt er natürlich auch mehr Zeit rein. Und ich werd Ihnen was sagen: Wennse mir doch mal breitschlagen für die PeJeHa, mach icks jenauso; meine Trinkjeldkundschaft schneid ick weiter inwidiell, auch wenn wir dreist ’n Anbauplan ... ach nee, ick komme doch heute nicht vonne Landwirtschaft los, nur weil ick so ville Zeitung lese.

Anbauplan und Futterplan is sowieso Quatsch, oder wollen Sie den lieben Jott vorschreiben, wenns regnen soll? Meine Karnickel inne Laube sind auch ohne Plan immer noch fett jeworden, und ’n Plan macht meine Frau höchstens, wenn dis Tier schon abjezogen is: sonnabends Kopp und Bauchlappen, sonntags die Keulen und montags den Rest ins Gemüse. Und mit mein Jarten isses jenauso. Vielleicht lass ick mir vorschreiben, wo ick die Petersilie reinbringe und wie viel Erdbeeren ick mir leisten dürf. Soweit kommts noch! Aber dis soll ja auch nicht meine Sorje sein, wenn die sich ihr stilles Landleben mit aller Jewalt verbubanzen wollen.

Ick bin ebent nu mal son Mensch, der sich um alles so seine Jedanken macht. Manchmal stell ick mir vor wie dis so in fumzig Jahren auf die Dörfer aussieht. Passense auf, denn hat jedes Kaff seine eigene U-Bahn, und damit erntense die Kohlrüben von unten. Und Kühe jibs jar nicht mehr, weil die Leute denn lauter Trockenmilch fressen. Aber mit eins tröst ick mir, und dis stimmt mir direkt heiter. Wenns denn soweit is, denn tut sich der Bauer und der Städter jar nicht mehr unterscheiden, und in den Moment wissen die Zeitungsfritzen nicht mehr, wasse über der Landwirtschaft schreiben sollen, ja, und denn - Sie werden noch mal an meine Worte denken - müssense endlich mal über was anderes schreiben. Und denn schreibense nämlich die nächsten zehn Jahre jeden Tag übers Frisörhandwerk. Oder glauben Sie etwa, deß ick mir bis dahin verändert habe?

Frisör Kleinekorte sieht das mit seinen Augen

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, dis muss sind, sonst kommt der Staat nicht auf seine Steuern. Aber wennse son anständigen Zug jemacht ham, denn nehmse man hinterher ne Kopfmassage; dis helft am besten gejen den Brummschädel. Wissense, wie se ebent so reinkamen und ausjesehn ham wie Braunbier und Spucke, da hab ick mir schon beinah mein Teil jedacht. Es heißt ja: die Leute müssen jetz ville mehr arbeiten als wie sonst. Mit ruhige Kugel schieben is nischt mehr. Robert Köppen vons Elektrowerk hat mir wollen erzähln, desse dis janz von alleine machen und desses uns denn besser jeht und pipapo. Ick hab bloß immer jenickt. Als Frisör streit ick mir nicht mit die Kundschaft. Aber janz unter uns: Jeglaubt hab ich den nicht dis Schwarze untern Nagel.

Die janze Chose is nischt weiter wie ne neue Schampanje. Oder traun Sie den Arbeiter zu, desser von selber mehr wurackt? Robert Köppen meint ja, dis hat was mit ein neues Bewusstsein und den Friedenskampf zu tun oder wie die Fremdwörter alle heißen. Na, dis kennse ja alles. Also, was mir betrifft, ick hab mein Frieden, und mein Reden is immer: Hauptsache, es jibt kein Krieg; denn kann von mir aus alles so bleiben. Sehnse, der Arbeiter stellt heute ville zu hohe Ansprüche. Früher kam der Pudding in Keller oder aufn Balkong heute musses partuh ’n Kühlschrank sind. Stellnse sich mal die Kälte in Berlin vor, wenn sich nun jeder son Ding anschaffen wollte! Aber wartense mal, deß ick Sie nischt Falsches erzähle: Der Arbeiter soll ja heute jar nicht mehr verdienen, bloß mehr tun und inne selbe Zeit. Und dabei hat es inne Systemzeit immer jeheißen, Akkord is Mord. Und was sagt Robert Köppen? Bei uns macht sich sowieso keiner dot. Na, ick wüsste ja was Besseres: inne selbe Zeit für dieselbe Arbeit mehr Jeld; aber da wollnse auch nicht ran. Und dis nennt sich nun Arbeiterstaat. Da sollnse man lieber mit die mehr so künstlerische Berufe anfangen. Nehmse zum Beispiel dis Ballett in Friedrichstadtpalast. Wenn die inne selbe Zeit fürs selbe Jeld noch ’n bißken mehr zeigen täten, denn könntense sojar Matrijal einsparn, und ick würde mir gleich ’n Abonnemang leisten.

Manche Künstler sind ja da schon einigermaßen auf Draht. Ladentins Jüngster hat mir doch neulich janz schön verladen. Schleppt der Bengel mir abends mit in ein Konzert. Operettenmüllodien verspricht er mir, und was muss ick mir anhören? Jatzmusik! Für ein Deutschen is dis ja zuerst ziemlich unjewohnt, dieser Radau wie die Neger in Urwald. Und als die jungen Leute dann auch noch Scharlsten und Jüterbog jedanzt ham, bin ich lieber jegangen. Aber wennse nu mal mitn Sinfonieorschester vergleichen, denn hamse auf ein Blick die ganze neue Schampanje mit mehr arbeiten und so. Du musst noch ville mehr auf der Pauke hauen, hab ich zu Ladentins Ältesten jesagt. Nee, der is nicht Fungsjonär; der kommt nächstens ins Sinfonieorschester anne Schießbude, wie die Jugend von heute dis Schlagzeug nennt. Und er sollte sich mal ’n Beispiel nehmen an die fleißigen Jatzmusiker. An ein Abend fuffzehn Nummern mit fünf Mann, und die Stücker siebzig von son Orschester kriegen mit Ach und Krach dreie inne selbe Zeit fertig!

Ick will damit nur sagen, irgendwo hat Robert Köppen nämlich recht. Ick komm die Brüder jetz mit ihre eigene Waffen. Passense auf! Jeden zweiten Dienstag erscheint Werkdirektor - na, ick will den Namen jar nicht nennen - Dingsda und lasst sich bei mir die Haare schneiden. Nu is Dienstagvormittag immer Flaute im Laden. Herr Kafforke bedient alleine. Jetz will aber Direktor Matzke nur von mir bedient werden, weil Herr Kafforke ihn einmal verschnippelt hat und ich ihn immer sein Dutzend Haare so fein als Sardellenbrötchen lege. Wenn ich nu Direktor Matzke bediene, steht aber Herr Kafforke als stille Reserve rum. Is doch logisch, wat? Sehnse, und seit vorigte Woche machen wir die neue Schampanje mit. Da hab ich nämlich Direktor Matzke klarjemacht, deß sein Schofför unjenutzt draußen in den Wolja sitzt. Und wenn Herr Kafforke den in dieselbe Zeit noch mitbedient, denn brauch der Mann nicht noch mal extra inne Dienstzeit zum Frisör. Auf die Art wird die Arbeitskraft besser ausjenutzt, in mein Betrieb und in Direktor Matzke seinen auch. Na ja, man muss sich ebent anpassen. Wer weiß, was noch kommt. Womöglich kriegen wir eines Tages sojar den richtigjehenden Kommunismus hierher, wie inne Sowjetunion. Robert Köppen sagt ja, da solls in zwanzig Jahren alles ohne Jeld jeben. Na, denn aber ohne mir! Ick rasier doch die Kunden nicht für umsonst!

Frisör Kleinekorte hört den Frühling rauschen

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Wissense, was mir betrifft, ick kann in sone Mainacht manchmal kein einzigen Schlaf finden, trotzdem ick nu schon so oller Zausel bin. Denn liegt man wach und stimuliert so vor sich hin und fragt sich, ob man seinerzeit auch tief genug in das jüldene Füllhorn der Jugend reingelangt hat, wie der Dichter spricht. Wenn ick mir so dagejen die heutige Scheneration betrachte - was haben denn die von ihr junges Leben? Rabottern, nischt wie Rabottern und hinterher nischt wie Danzen, Kintopp, Schemiezirkus ins Klubhaus, pullitische Technik und Studien, und wo bleibt die Büldung?

Da warn wir noch janz andere Kerle. Wenn wir unsere zehn Stunden runterjeschnippelt hatten, denn hieß es: Probieren jeht über Studieren, und jrün is der Lebensbaum in Schlächter Meusel sein Schaufenster. Und dis erinnert mir noch heute an die Zicken, die Ejon Meusel und ick als junge Spunde jedreht ham. Mit Ejon hab ick ja zusammen jedient. Eigentlich wollten wir immer beis Jardedükohr jehn, Ejon als Kesselpauker - dis hatte er so im Jriff von sein Hackebeil her. Aber denn hamse uns doch nicht genommen, weil wir so kleine Forzkruken warn, und darum kamen wir denn bei die fümmendreißiger Stoppelhopser. Jott, ich will damit nischt gejen meine Miletärzeit jesagt ham. Damals is man mehr rumjekommen wie heute.

Wir lagen die ganze Zeit hinter die Westfront, und ick war Bursche bei ein jewissen Hauptmann von Heideschnarz. Dis war eine Seele von Mensch. Sobald der einen jeschnasselt hatt - der Mann trank nur Schampus -, sang er die schönen Lieder von Herbert Löns und dis Meechen Rosemarie, die sieben Jahre lang nach ihm geschrien hat. Dazu rollten ihm die hellen Tränen die Backen runter, und wenn er sich abjewischt hatte, sagte er: »Ja, Kleinekorte, der Weltkriech is ein Klein-Paris und büldet seine Leute!«

Jott, und der is auf so tragische Art und Weise ums Leben jekommen: durch ein deutsches Seitenjewehr. Schält sich ein französischen Appel-Pommdeterr, wie der Franzmann sagt - und kriegt eine bildschöne Blutverjiftung. Sehnse, wahllos tritt der Heldentod den Menschen an.

Und dis jeht mir so alles in eine Mainacht durch den Kopp, wenn aufm Hinterhof die mickrige Linde rauscht, die undichte Dachrinne droppt und Frau Hinze mit ihren Ollen meckert, weil dis arme Schwein mondsüchtig is. Manchmal halt ichs jar nicht mehr aus in sone Mainacht und jeh auf den Balkong nachkieken, wie die Kresse wächst. Ach, es is doch was Feines, wenn im Frühling so die ersten Säfte sprießen und dis alte Herz sozusagen wie ne Lenzpumpe schlägt! Übrigens würde ick Ihnen heute Birkenwasser empfehlen. Neulich hab ick mal inne Innung an eine Jesellenprüfung teiljenommen. Stellnse sich vor, es jibt doch jetz sogar Meechen, die sich in unseren Beruf auf Herren schmeißen. Und diesmal war sone Kleine dabei - wartense mal, ick mach bloß die Tür zu, Muttern is nämlich nur manchmal schwerhörig. Also icke und fuffzig Jahre jünger, da wäre ick Ihnen glatt zu einem rasenden Uhland jeworden und hätte mir selber jewendet wie einen alten Anzug.

Jott, was war ick für ein Springinsfeld, dis sehnse mir ollen Ehekrüppel jar nicht mehr an. Aber es jab eine Zeit, da war ick wie Joethe und brauchte eben so ab und zu meinen Jux prima Nacktes. Und denn hab ick sojar konnten dichten. Bloß da hamse die Jugend noch nicht so verwöhnt wie heute. Sonst wär ick damals vielleicht im Winterjarten als Lürikabend aufjetreten. Manches von heute erinnert mir direkt an meine eigenen Musenküsse. Nehmse beispielsweise folgende Verse - über die Ohren muss ick Ihnen noch ausrasieren -:

Im Frühling, wenn die Stare pfeifen, tu ich froh mein Jackett abstreifen und wandre mit Bravour hinaus in die grüne Natur.

O holdes Fräulein Schmidt, warum sind Sie nicht mit? Alleine ist es ein Dilemma! Drum komm mit mir nach Werder, Emma!

Ach ja, wissense, Werder is dis einzige, woran ick mir im Frühling noch klammere. Ich sage nur: Baumblüte! Vorigte Woche war ick auch dies Jahr wieder draußen und wandelte auf die Spuren von meine eigene Jugend. Ick wurde ja damals zu eine richtigjehende Sturm-und-Drang-Tonne, wenn ick die schneeweiße Pracht auch nur vom Dampfer aus erblickte. Werder hat ja nu Tradition. Wird schon in dis Lied von den Prinzen Eujen erwähnt: Zelte, Posten, Werderrufer und so. Und was hat der Staat dazumal noch für seine Leute jesorgt: Vonne Bismarckshöhe runter hamse die Jäste jetragen und direktemang aufm Bahnhof in die Jüterwagen. Die waren mit Stroh ausjelegt, und wennse denn aufm Potsdamer Bahnhof wieder zu sich kamen, brauchtense bloß noch Ihren Anzug abwischen, rein ins Taxi, und schon warnse wieder zu Hause. Dis war ebent noch wirklich Sorge um den Menschen.

Mit dis besagte Frollein Schmidt hab ick damals beinah eine echte Amure erlebt. Weil uns in Werder zu ville Flaschenscherben rumlagen, ham wir Ejon Meuseln abjehangen und sind mit den Dampfer Friedrich der Jroße nach Ferch rüberjemacht. Wie wir, die Emma und ick, uns noch mit den Ober rumstreiten, ob es vier Flaschen Erdbeerwein waren oder fünfe, da sehn wir grade noch die Rauchfahne von Friedrich den Jroßen. Sangzussi, sag ick zu Emma, auf deutsch: Mach dir man nischt draus, Motteken! In ein janz kleinen Jasthof sind wir denn jelandet. Heute is so was nur möglich, wennse vom Fülm sind. Sonst heißt es doch fürn jewöhnlichen Sterblichen: Janz ohne Ausweis jeht die Chose nicht. Ach, und ein Klavierspieler hat so empfindlich dis Frühlingsrauschen von Binding jespielt. Ick hätte bloß nach dem ollen Obstwein nicht mehr so ville Konjack durften trinken. Und seit die Emma in diese Nacht auf so rätselhafte Art verschwunden is, kann ich keine Klavierspieler mehr leiden. Sehnse, dis waren ebent noch starke Jefühle. Und was is heute in Werder? Heute wird nur noch jesoffen!

Frisör Kleinekorte als Theaterkritiker

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Was mir betrifft - ick hatte jestern welche. Nee, nee, nicht, was Sie denken, ick bin ja schließlich ’n oller Mann. Nein, ich war bei Willem Tell. Muss Ihnen ja ein Begriff sein, sind doch auch ’n jebüldeter Mensch, wat? Nu jeh ick ja nur alle Jubeljahr ins Theater, und seit ick Fernsehen habe, nicht mal mehr inne Operette. Was machense aber, wenn Ihre Röhre im Eimer is wie meine, und die ham jrade keine neue? Denn suchense sich Ablenkung.

Also Ladentins Jüngster wird mir erzählen, desse den Tell ins Deutsche Theater spielen, und er kann uns Karten besorgen, weil er doch mang die Statisten mit rummimt. Jut, sag ick, eh ick mir schlagen lasse, und jrade dis Stück hat ja noch ’n bißken wat für sich. Erstens isses von Schillern, und der war sowieso ville deutscher wie sein Freund Joethe, und zweitens erinnert mir der Tell immer so an meine Jugend. Da ham wir ihn mal inne Schule jelesen, aber richtig mit jeteilte Rollen. Und ick kriegte die Hauptrolle, nämlich den Jeßler. Und trotzdem ick son ruppiger Lorbass war, war dis totenstill inne Klasse, wie ick mit mein’ Stimmbruch loskrähte: »Ick bin ein ville zu milder Herrscher!« In den Augenblick knallt was anne Backe, und ick kann nur noch rufen: »Dis war Schmidts Jeschoß!« Der, wo den Tell spielte, hat nämlich Schmidt jeheißen und mir mit’s Katapult ’n Kupferpfennig aufjebrannt. Dafür hat ihn denn Lehrer Buchholz mächtig verpolkt. Heute isser schon lange unter die Erde. Und sehnse, nu werdense verstehen, warum ick jerne wieder mal in den Tell jejangen bin. Aber glaubense, dafür könnt ick mir ohrfeigen. Ick werd Ihnen auch sagen, warum. Sie können doch hier hinkommen, wo Se wollen - die verhunzen ebent alles, sojar Schillern.

Jrade dieses berühmte Trauerspiel hab ick mündestens zweimal in mein Leben jesehn, einmal mit den jroßen Matkowsky vorn Weltkrieg und denn noch mal - wartense mal, dis muss so nach dreißig gewesen sein, da hatte ein Herr Fehling dis arrangschiert, und dis war nu wirklich ein Erlebnis jewesen. Aber heutzutage? Wissense, dis fangt doch schon mit die Kostüme an. Ick schmeiß mir extra in mein juten Anzug, Vorkriechsware, sag ick Ihnen - meine Frau hat ihn sojar auf den Balkong jehangen zum Auslüften. Ick sah aus wie Jraf Rotz auf Urlaub, jebiegelt und jeschniegelt! Hätt ick natürlich nie anjezogen, wenn ick jewußt hätte, in was für armselige Klamotten die meisten auf die Bühne rumlaufen. Also man stach ja direkt ab jejen die Leute. Als ob die Schweizer nu wirklich so arme Deibel wären!

Nehmse zum Beispiel die Uhrenindustrie und den Schweizer Käse. Könnse mir doch nicht erzählen, deß sich son reiches Volk keine bessern Sachen leisten kann! Und die Dekoration hättense erst sehn solln! Jut, desse Matrijal sparen wollten, leuchtet mir ja zur Not noch ein, aber deß die komischen bunten Dreiecke dahinten Berge sein sollten, hab ick mir erst mühsam mussten zusammenreimen. Nicht mal die Welt der Berge ist ihnen mehr heilig. Und was is der Schweizer ohne seine Alpen, denkense bloß an Luis Trenkern!

Ick hab zu Hause ein echtes Öljemälde vons Matterhorn. Wennse sich dis ne Weile betrachten, denn atmense sozusagen reine Höhenluft. Aber hier könntense höchstens kleine Kinder mit bange machen. Und überhaupt der janze Anfang. Stellnse sich vor, man sitzt und wartet, dass der Hirtenknabe dis schöne Lied singt: »Mit den Feil, den Bogen ...« Ja, Pustekuchen! Erst ville später singt es der kleine Sohn von dem Tell. Aber denn wollnse schon jar nicht mehr hören, weil Se sich so drüber jeärgert ham. Damals bei Fehling war wenigstens noch was los, da kamense mitn richtigen Kahn anjefahren und ham Ihnen ein Unwetter hinjelegt ... also ick hab damals hinterher ’n Taxi genommen, weil ick dachte, ick kriege draußen auch noch was ab. Und was meinense, wie damals die Leute jeweint haben, wie der Melchior seinen alten, blinden Vater über die Szenerie jezottelt hat. Und hier is der jar nicht erst aufjetreten. Na, wer weiß, wem den seine Nase nicht passt!

Und jetz hörnse zu, jetz kommt dis Schönste, nämlich der berühmte Schuss auf den Appel. Da wolltense dis Publikum ablenken und ham links auf die Bühne ordentlich Radau jemacht, damit man nicht nach rechts kieken sollte. Könnse ja nu bei Kleinekorten nicht mit landen, ick bin ja in solche Sachen ein Fuchs. Und darum hab ick auch als einzigster jesehn, deß der Appel aus Pappmaschee war, wojejen se sich früher noch ’n echten Boskop leisten konnten. Und so wars mit dis janze Stück, nischt mehr von unsern juten alten Willem Tell mit sein friedliches Landvolk. Nein, lauter jereizte Leute, wo die janze Zeit nischt anders im Kopp hatten, als wie se ne richtigjehende Revolutzjohn jejen Jeßlern anzetteln konnten. Und dabei war dis son netter junger Mensch - wissense, der in die Liebe und der Kopilot den Kopiloten jespielt hat, jar nicht son finsterer Bösewicht wie damals. Un den knallnse ab und sind noch froh darüber.

Der einzige Lichtblick war der Studinger. Der hat mir noch son bißken an früher erinnert. Na ja, kurz und jrün, Sie finden einfach keine Worte. Könnte Ihnen ja noch ville mehr erzählen. Manche Schauspieler hatten nicht mal ne anständige Perücke, trotzdem wir unsern janzen Haarkehricht für sone Zwecke abliefern müssen. Na, am besten, Sie kieken sich dis mal selber an - aber wartense mal, Sie werden jar keine Karten kriegen. Ick hab nämlich vorhin inne Zeitung jelesen, deß dis Stück schon für die nächsten Monate ausverkauft ist.

Frisör Kleinekorte kann, wenn er will

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, da kriegense ja nächstens sogar Extrazulage, aber nur jede dritte Nachtschicht, hat inne Zeitung jestanden. Woher ich dis weiß? Glaubense etwa, ich les keine Zeitung? Ick muss mir doch verorientieren. Dis mach ich morgens gleich nachs Frühstück. Da leg ich dis »Neue Deutschland« im Laden aus, und bei die Gelejenheit flieje ick immer mal so rüber. Jott, nicht desse denken, ick hätte was mit die Partei; ick würde erst eintreten, wenn se ne Extrapartei für die selbstständigen Frisöre aufmachen täten, aber unser Obermeister sagt ja, dis lohnt den Aufwand für die paar Männeken nicht mehr.

Sie können sich schon immer da drüben hinsetzen, Herr Kafforke kommt heute später. Auf die Leute is auch kein Verlass mehr. Stellense sich vor, vorjestern war der Mann auf ne Versammlung vonne Natzjonale Front. Andern Tag will er mit mir anfangen zu diskutieren. Hättense mir mal sehen sollen! So ville wie der wusst ick auch vonne Pulletik. Woher? Na, aus die Zeitung. Nicht, deß ick alles für bare Münze nehme, aber man muss ja wegen der Kunden. Der eine will es so und der andre so, und was meinen Sie, wie ick kann, wenn ick will!

Robert Köppen ist doch ’n janz Fortschrittlicher, noch von früher, wissense. Wennse alle so wären wie der, hätt ick jar nischt gejen den Staat, und der hat mir schon aus Spaß jefragt, ob ich nicht Abjeordneter werden will. Über den Mann staun ick immer. Der rackert sich noch dot auf seine vielen Posten, und alles für Jotteslohn. Trotzdem is der janz menschlich jeblieben und fragte neulich sogar nach meinen Sohn - nicht der, wo jetz Schemiker in Halle is, nee, der andere, der stiftenjegangen is. Ich sage, dem jehts jut, weil er doch Heizungsinschenjör in die Villa von einem Frankfurter Textilfritzen is. Nu hätt ich ihm natürlich den Brief von unsern Gustav zeigen können, aber man hat ja auch sein Stolz. Nur zu Ihnen bemerkt: Meine Frau und ick hat dis helle Wasser in die Augen jestanden, wie wir dis jelesen haben. Der Junge hat mächtiges Heimweh, und wegen die paar Mark Steuerschulden auf sein Klempnerladen hätt er damals nicht brauchten abhaun.Jetz schreibt er immer, wärste man auch rüberjekommen, Vater, denn wären wir hier nicht so alleine. Aber sagense selber, ick bin hier mit mein Geschäft alt jeworden, da verzicht ick lieber auf Italien und fahr ins Handwerkererholungsheim.

Dies Jahr war ick in Sperlingerode, aber ick habe die Nase pleng. Wir beiden ollen Leute kamen uns da vor wie bei Jraf Rotz auf Hochzeit. Also dis Heim is pikobello, könnse nischt gejen sagen. Auch die Verpflegung - mir passt keine Hose mehr; aber diese illustrierte Jesellschaft! Wennse hinten aufm Parkplatz kieken, dachtense, sie sind aufm Kudamm.

Klempner Dassel is Ihnen doch auch ’n Begriff? Kurz vorm Dreizehnten hat er hier auf denselben Stuhl jesessen. Eh se mir inne PeJeHa kriejen, hat er rumjeweint, dreh ick ’n Jashahn auf. Heute is er da son Stücke Obermimer, und den Jashahn bedient er nur noch mitn' Fuß - ach nee, beim Wolja heißt es wohl Jaspedale. Nach fümmenvierzig hat der mit nischt anjefangen. Mit schwarzjebrannten Fusel ist er über Land jejangen. Und wo der dis Matrijal für seine ersten Melkeimer herhat, da käm er jetz noch ins Kittchen für. Und heute? Wissense, den hats bloß noch leid jetan, deß er seine jroße Motorjacht nicht in die Sperlingeroder Berge hat konnten mitnehmen.

Hat er mir ins Heim jroßkotzig zum Konjack anne Bar einjeladen. - Jott, die Leute stinken einfach vor Jeld, und denn wollt seine Jattin mit mir fürn Jroschen fillesofieren. Wenn sie ihr Einkommen in West hätten, sagt doch diese aufjedonnerte Pudelzicke zu mir! Sie, die hab ick aber Feuerwerk jejeben. Du Hinterteil, hab ick jesagt - ich war natürlich noch ville ordinärer -, euch PeJeHa-Fritzen jeht doch hier jar nischt ab, an eure Stelle würde ick die janze Regierung jeden Abend ins Nachtjebet inschließen. Wissense, was die Olle mir antwortet? Ihr fehlt die Freiheit. Fehlen tutse dir nicht, aber dir pieptse, hab ick jesagt. Mischt sich noch der Knilch, also ick meine jetz Dasseln selber, ins Jespräch. Er kann ja zur Wahl, meint er, leider nur die Natzjonale Front wählen und nischt anderes. Sindse sprachlos, wa? Nu hab ick den erst mal aufjeklärt. Wartense mal, ick muss ’n bißken leiser sprechen, sonst denkt Muttern, ick bin pullitisch auch schon abjefärbt. Also der Dumme, hab ick jesagt, is der kleine private Handwerksmeister, auf den seine Knochen jeht es euch bei der PeJeHa doch nur jut. Die PeJeHa jeht es jut, und den Arbeiter hat der Staat jekauft. Is doch logisch. Wenns den Arbeiter besser jeht wie früher, is er für den Staat, und jenau dis will der Staat.

Bei die Kinder fangt es heute doch schon an. Von mein Ältesten, den Schemiker, die Jören waren dies Jahr dreimal auf Urlaub. Einmal vonne Schule ins Jebürge, einmal mitn Betrieb anne Ostsee und einmal mit de Familie nach Bulgarien. Da kann ich mir doch bloß an Kopp fassen. Son heutiges Kind weiß ja jar nicht mehr, wo es zu Hause is, weil ihm dabei nämlich die sojenannte Nestwärme abjeht.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken höher. Ich sag dis ja auch bloß zu Ihnen. Wenn ich mit solche Leute wie Klempner Dasseln rede, sprech ick in so ein Fall wie Robert Köppen bloß von Errungenschaften, denn kennse mir jar nicht wieder. Sone Protzköppe müsste man einfach verbieten, aufn Staat zu schümpen. Sollen sich doch mal umkieken, wenn se mit ihren Wolja die Gejend verpesten. Überall wachst dis Neue. Moderne Maschinen auf die Äcker - ja, dis Ding ziept ’n bißken, is ja auch schon zwanzig Jahre alt, mir schenkt keiner ne neue Haarschneidemaschine -, luftige Wohnungen und Kinderjärten mitten aufs Land, Erdöl aus die Kuhkoppel, und in Cottbus machense nächstens zwölfmal so viel Strom, wie alle Frisöre von Leipzig, von die übrige Industrie nicht zu reden, verbrauchen können.

Woher ick dis alles weiß? Na, ick sagte doch, ick les ja notjedrungen jeden Tag die Zeitung. Aber ehrlich jesagt, der Sozialismus hat ebent auch seine Schattenseiten. Wie meine Frau diese Woche noch ne Flasche Kaffeesahne vom Konsum' haben wollte, sagt der Konsum, sie hat doch jestern schon eine weg. Und da mussten wir unsern Besuch Kaffe mit blanke Kuhmilch vorsetzen. Und dis lass ick den Staat dies Jahr empfindlich fühlen, und deshalb jeh ick statt um sieben erst um halb achte zum Wahllokal, denn irjendwo hat son Selbstständiger auch noch sein Stolz. Aber erzählnse dies um Jottes willen nicht mein Sohn, den Schemiker, wenn der mal hier is. Sonst sagt der, Vater wird langsam alt.

Frisör Kleinekorte berichtet über ein Kunsterlebnis

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Ick sage immer, der Mensch muss arbeiten, aber er brauch auch seine Freude. Was hamse denn am Ende von Ihr bißken Leben jehabt? Nee, der Mensch lebt nicht von Brot alleine, er muss auch mal an was Höheres denken. Nehmse mir zum Beispiel. Gestern war ich ins Konzert statt zum Frühschoppen, in ein richtiggehendes Sinfoniekonzert mit Mattinee, und dazu bin ick jekommen wie die Jungfrau zum Kind.

Dis war nämlich so: Ladentins Ältester von nebenan, wo meine Frau Patentante von is, der is jetz fertig mit sein Musikerstudium und jab sein Debüt als Sinfoniker. Jott, ick seh den kleinen Bengel immer noch vor mir, wie ihn der Olle ans Klavier ranjeprügelt hat; na, und nu wussten Landentins jar nicht, wohin mit die Freikarten, also ham sich meine Frau und ich erbarmt und sind mit Ladentins losjezittert.

Wissense, man kommt sich ja als kleiner Handwerker ’n bißken poplich vor, wenn man die janzen dicken Autos da bekiekt vor die Komische Oper, aber wir ham ja früher auch mal bessere Zeiten gesehn und gewaltige Kunsterlebnisse jehabt: die großen Sterne am Warritee, Fritzi Massary und so - wird Ihnen ja kein Begriff mehr sein - oder Max Hansen, der zweihundertmal den schönen Sijismund im „Weißen Rössel“ gesungen hat, oder die Tillerjörls mit die Rewüen im Wintergarten; damals war ebent noch was los in Berlin! Heutzutage kann man ja nur mitn Kopp schütteln, was die fürn neumodischen Geschmack inne Musik ham.

Zuerst spieltense ne Uwatüre, aber da gibs nu auch sone und solche. Ich weiß nicht, obse die von Dichter und Bauer kennen, wo drin vorkommt: Du hast mein Weib verführt. Da konnte man sich doch wenigstens was bei denken. Aber versuchense dis heute mal. Hier die Uwatüre war von ... wartense mal - von Beethoven war die. Die soll er geschrieben ham für ein Theaterstück, und sehnse, wenn man nu dis Theaterstück nicht dazu sieht, denn is dis jenauso, als wenn beim Fernseher dis Bild wechbleibt, und die quasseln weiter; da gehnse ebent nicht richtig mit. Vielleicht liegt dis auch daran, deß der Beethoven total blind war und die ganze Musik sozusagen ausm Gedächtnis gemacht haben soll; nu machense dis erst mal nach! Und nachher hamse ja noch ganz schön losjeschmettert, wissense, dis klang wie deutsche Eichen und so.

Inne Pause ham wir uns mächtig jeärgert, weil se nicht mal Bockwurscht ans Büffeh hatten, und die belegten Brötchen waren man auch schon von vorgestern. Nach die Pause, wie wir wieder rein sind, wurde es nu janz und jar verrückt. Da machtense ein Konzert für ein Geijenviertelosen. Also der kommt auf die Bühne, und der Kapellmeister hat ihn gleich begrüßt, der muss ja den Mann irgendwie gekannt haben. Aber denn jings los, ich sage Ihnen, ’n Tollhaus is jar nischt dagejen, der Viertelose hat bloß immer rauf und runter jefiedelt, und die Kapelle hat jespielt, was se wollte, der Kapellmeister kam jar nicht mehr mit. Ich konnte mir bloß noch an Kopp fassen. Ich will mal sagen, Musik soll einen an die Seele gehn, aber die jing mir an die Nerven; denkense, ich hab mir eine Müllodie merken können? Die müssen heute ebent alles verhunzen, sogar die Musik, und alles für unsere Steuergroschen! Meine Frau meinte, man jut, deß wir die Karten nicht selber bezahlen brauchten.

Die nächste Nummer war ja wieder ganz nett. Da kamen noch ’n paar Musiker auf die Bühne, und Ladentins Ältester war diesmal auch mit von die Partie. Jetz spieltense was aus der neuen Welt, aber ick müsste lügen, wenn ick noch wüsste, was. Jedenfalls wars von ein Polen, ein jewissen Worschak. Nu ham wir ja bloß noch auf Ladentins Ältesten jespitzt, aber der hat klein und bescheiden neben den Kesselpauker jesessen und nicht Muck jesagt mit seine beiden Schlagbecken inne Hand. Dis is da genau wie beim Frisörlehrling, den lassense ins erste Jahr auch nicht gleich anne Dauerwelle ran, da könnte ja dis größte Mallör passieren. Aber ick kann mir vorstellen, wenn der Junge sich jut entwickelt, denn kann er nächstens Jahr vielleicht schon son Schello bedienen.

Na, wir dachten schon, es kommt jar nischt mehr, der Kesselpauker hat man auch sehr müde rumjegrummelt - auf einmal, was soll ich Ihnen sagen, duckt sich Ladentins Ältester ... Ich kenn doch sein Jesichte, wenn der als Bengel was im Schilde jeführt hat. Ich stoße sofort Muttern an, und Mutter stößt Frau Ladentin an, da springt der Junge auch schon von seinen Stuhl, und - pschsch! - knallt er mit aller Jewalt die Becken zusammen und zeigtse auch noch hoch, damit jeder sehen sollte, deß ers gewesen is. Nu setzense sich mal in son Menschen rein: er weiß, seine Eltern sind da und Onkel Kleinekorte, dis hätten Sie jenau nicht anders jemacht. Frau Ladentin sind die hellen Tränen jekommen. »Unser Junge!« konntese bloß noch sagen.

Ich hab mir ja trotzdem mein Teil jedacht: Dafür hamse ihm nu studieren lassen, wo er doch viel lieber Schiffskoch werden wollte. Aber wissense, es war ebent doch ein großes Erlebnis, vor allem, wenn se nu den Künstler als Mensch kennen, und die Sinfonie war auch ganz anständig. Wenn man sich so überlegt, hab ich hinterher zu Muttern gesagt, deß dis nu ein Pole war und sone gute Musik erfunden hat ...

Frisör Kleinekorte in Weimar

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Apropoß Jeheimrat - zu die Kundschaft sage ich dis ja bloß immer aus Spaß. Wissense, der Mensch freut sich doch, und wie leicht kann man dem Menschen ne Freude machen, sagt sich sojar die Regierung.

Bei den ollen Joethe war dis ja ähnlich. Der wär nämlich ein würklicher Jeheimrat und noch dazu ein großherzoglicher, davon hab ick mir jetz selber konnten überzeugen.

Sie werdens nicht glauben, aber vorigte Woche Sonntag hab ich persönlich auf die Spuren der Klassik geweilt. Mehr so rein zufällig. Fritze Ladentin, was mein Nachbar is, die ham ’n Betriebsausflug jemacht. Nu konnte aber seine Frau nicht, und da hat Fritze jesagt, denn soll ick man mit nach Weimar.

Na, für Büldung war ja Kleinekorte schon immer zu haben. Und dis piekfeine Hotel Elephant, wo wir drin gewohnt ham - hahaha, immer standesgemäß. Ladentin hat villeicht Augen jemacht, so was hat doch der früher nie kennenjerlernt. Jedenfalls hab ick da dreimal im janzen jebadet. Richtig jekacheltes Bad, und alles im Preis mit drin!

Nu war im Pojramm eine Führung durch Weimar vorjesehen. Ick sage zu Ladentin: Da jehn wir nicht mit. Sone Rumhammelei liegt mir nicht. Wir machen uns lieber selbstständig, denn sehn wir mehr. Also Ladentin hatte ja bisher kaum was von Joethen jelesen. Nicht, deß er ’n Pachulke wäre, nee, aber ebent doch ’n sehr einfacher Mensch und ohne Beziehung zu höhere Dinge. Ganz im Gejensatz zu mir. Ick hab ja immerhin eine zehnbändige Joetheausjabe im Schrank. Die hab ick vor Stücker dreißig Jahren in ein Preisausschreiben jewonnen. Da sollte man ein Reklamevers für Oppels Haarnähröl machen, und da hab ick folgendermaßen jedichtet:

Gehn dir einst die Haare aus, und hast du nur noch Stoppeln, mach dir einfach gar nichts draus, nimm das Haarnähröl von Oppeln!

Natürlich hätte Joethe dis besser hinjekriegt. Aber der befasste sich ja mit so was weniger, weil er immerfort in höhere Religionen schwebte. Weiß ick alles aus den Roman von Elsa von Wüstenfels: »Und leise rauscht die Ilm«, eine Art Selbstbiografie von den berühmten Olympiker. Hat mir jute Dienste jeleistet auf unsern Rundjang auf eigene Faust.

Die jeben sich da von Staats wejen jroße Mühe um die beiden Museums, wo er und Schiller bei Lebzeiten drin jewohnt ham. Aber auf die janzen Erklärungen könnse nicht viel jeben, dis steht ebent bei die Wüstenfels ville jenauer drin. Nehmse zum Beispiel dis Joethehaus am Frauenplan. Die Wüstenfels schreibt immer von die schöne braune Fassade. Und der Professor da sagt, die hamse abjekloppt und janz hell jestrichen, weil se bei Joethen auch schon so jewesen is. Also es jibt doch nischt, was die heute nicht umkrempeln. Ick frage den Mann, wo denn die uralte Buche is, unter die Joethe noch eigenhändig jesessen hat. Sagt er, die hamse umjehaun, weil Joethe schon dot war, wie der Baum jeflanzt wurde, und dis sei alles nur eine Lejende. Na, der Professor muss es wissen, der hat ja damals schon jelebt!

Sonst isses da sehr feierlich. Die ham alles so jelassen wie bei Lebzeiten, und wie ick da so in seine Räumlichkeiten stand, wurde mir janz anders. Ick musste direkt an die jroße Joethefeier damals im Handwerkerverein denken, wie unser Obermeister am Schluss von seine Rede ausjerufen hat: »Denn er war unserer!«

Der Mann, ick meine jetz wieder Joethen, war ja ein richtiges Universalschenie. Müssense sich mal vorstellen: Minister, Bergbau-, Theaterdirektor - und obendrein hat er noch jedichtet: den Erlkönig und die Jungfrau von Orleangs, um nur dis Wichtigste zu nennen. Und jesammelt hat der einfach alles: Bilder und Kunst und Steine und Holzstücke und dote Vögel, also jeden Dreck, und der konnte nischt wegschmeißen. Die janzen Schubfächer sind noch voll, und da hat der Staat nu auch wieder sein Jutes von, indem er dafür Eintritt nehmen kann. Der Professor sagt zwar, der Staat schustert Millionen zu, um dis alles zu pflegen. Aber dis könnse mir nicht weismachen. So teuer sind die paar Reinemachefrauen bestimmt nicht.

Nu interessieren mir ja weniger die Museums als vielmehr Joethe als Mensch. Ich stell also den schlauen Professor eine Fangfrage. Sagense mal, hat denn der jroße Meister nu was mit die Frau von Stein jehabt oder nicht? Sagt der: »Sie hat ihm geistig beflügelt.« Nu steht aber in dem Buch von der Wüstenfels, er hat ihr immer so kleine Briefe jeschrieben. Jetzt soll er uns mal son Brief zeigen. Sagt er: »Wenn Sie Spezialstudien treiben wollen, müssen Sie ins Joethe-Schiller-Arschiv jehn.« Jut, sag ick, komm, Fritze! Ladentin war aber schon ziemlich sauer und sagt, ick soll nicht immer so dusselig quatschen, und ick werde ihm den janzen Joethe schon vermiesen. Nu hör mal, sag ick, wenn der große Olympiker sojar den Kaiser Napoleong sümpatisch war, denn wirst du oller Boofke hier anfangen zu meckern, wat? Jut, wir also hochjetigert zu dis Arschiv. Da war ein Herr Doktor Reuter, ein sehr jebüldeter Mensch, bloß deß er dis Buch von der Wüstenfels nicht kannte. Und der hat gesagt, weil ick selber ein Original bin, will er mir mal ausnahmsweise ein paar Originalstücke zeigen. Nu nehmse man heute noch ne Haarwäsche, damit ick ihnen zu Ende erzählen kann.

In dis Arschiv is alles von Marmor, weil der nicht brennt, falls es da mal brennt. Und da hamse alles, was Joethe, Schiller und noch ne Menge anderer Dichter mit der Hand jeschrieben haben, sorgfältig aufbewahrt. Aber die Briefe an die Frau von Stein waren janz anders, als ick mir dis vorjestellt habe. Holder Engel und son Schmus. Na, die dollsten hat uns der Doktor bestimmt nicht gezeigt. Aber ick lass mir schlagen, wenn die nischt mittenander hatten. Schon wo sie so dicht zusammen wohnten. Joethe hatte doch ne massive Jartenlaube im Park, und da hat er auch Jemüse jezüchtet und die Frau von Stein welches von abjegeben. Vormittags hat er ihr denn Spargel und Salat jeschickt, und abends is er heimlich selber rumjekommen.

In dis Arschiv könnse auch lesen, was Joethe so alle Tage für sein Haushalt ausjegeben hat. Nu denkense villeicht, son jroßer Olympiker hat nur von Jötterspeise jelebt, haha, aber nein: Fadennudeln, Weißkohl, Frikassee, jenau wie unsereiner. Und Kartoffeln müssen damals auch schon knapp jewesen sein. In einem Monat nur ein paar Pfündeken Kartoffeln, trotzdem der sich bei sein Einkommen sicher mehr leisten konnte. Der Doktor Reuter sagt, dis Arschiv wäre dis wertvollste inne Welt, Stücker siebenhunderttausend Handschriften. Ab und zu kaufense im Ausland immer noch einzelne Briefe, und dieses kostet Dausende. Trotzdem se von das Zeug schon so ville haben! Aber für uns Frisöre mal ne Ladung Julius Wolffs Schuppenpomade ausm Westen einführen, da heißt es denn, Devisen sind knapp. Dabei hatte Joethe ein Herz für den Handwerker. Mit ein Berliner Maurermeister, ein jewissen Zelter, hat er sich sojar geduzt, damit der ihm immer Teltower Rübchen schickte.

Wie wir nu vons Arschiv wieder runter sind, ham wir uns erst mal inne Lagerbierhalle verzogen und ne Molle jezischt. Sagt Fritze Ladentin, jetz wolln wir noch ins Schillerhaus mit rankieken. Jeh man alleine, sag ick, dis is mir zu ville Klassik auf einmal, holst mir nachher hier wieder ab. Und denn hab ick da so jesessen und vor mir hin stimuliert. Und immer noch ne Molle und noch ’n Korn, denn was der Mensch braucht, muss er haben. Fritze Ladentin sagt, wie er wieder' jekommen is, bin ick voll wie dausend Mann jewesen, und er hat sich richtig mit mir scheniert vor seine Kollegen. Aber seit ick Joethe jründlich studiert habe, weiß ick, der hat auch jerne einen jefiffen. In dis Jedicht an sein Schwager Kronos wünscht er sich nämlich, deß ihn der Wirt schon gleich anne Kneipentüre empfange. Also, sie müssen sich ebent mal so richtig mit die Klassik befassen, denn sehnse alles in ein jünstigeres Licht.

Frisör Kleinekorte badet in den Wellen der Kultur

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, dis sieht man doch an Ihren bleichen Tang. Sehn ja ums Jesicht rum aus wie die Weiße Frau ihr Nachthemde. Kiekense mir mal dagejen an! Die Kunden sagen immer, ich hätte was von einen braunjebrannten römischen Adelonis an mir. Jannimed mit Kamm und Schere sozusagen. Ich war nämlich inne Sommerfrische. Dis erste Mal seit fümmenvierzich auf Usedom. Jott, wissense, wir sind ja früher jedes Jahr nach Ahlbeck jefahren. Dis war doch dis Seebad kommilfoo für den Berliner. Wernse ja selber wissen, wennse dis »Weiße Rössel« ins Metropol jesehn ham. Aber heutzutage lassense ja keine Frisöre mehr rin nach Ahlbeck. Ich musste froh sein, deß mir mein ehemaliger Jehülfe, der jetz beis Reisebüro is, zwei Plätze für Ückeritz besorgt hat. Wer hat denn damals von Ückeritz gesprochen! Heute wimmelts da vor lauter Arbeiter, ick meine, es jibt da auch anständige Leute drunter, aber eins nehm ick sie übel: Wie ick mal wieder meine kleine Molle inne Bahnhofskneipe zischen war und 'n bißken angeschickert ins Quartier trabte - Jott, im Urlaub will man sich ja mal was antun -, sagt son junger Flaps zu sein Meechen: »Kiek mal, der Olle is noch vonne Glatzkoppbande übriggeblieben.« Nicht, desse nu denken, ick hätte mir da als Anderthalbstarker aufjeführt, nein, ich habe auch die Natur jenossen und manchen Sonnenunterjang mang die alten Buchen belauscht. Wie ick da so stand, und dis Meer rauschte so herrlich, hab ick mir immer jeärgert, desses kein Räucheraal jab.

Aber mein bestes Erlebnis war eine richtiggehende Kulturveranstaltung vonne Jastspieldirektion am fuffzehnten Juni. Die ollen Kotletten werd ick man 'n bißken abkratzen, wat? Also ich brauch bloß dran zu denken, denn könnt ick stantepede nach Ückeritz zurückpilgern. Desses so was Pösievolles in unsere porfane Zeit noch jibt!

Dis Unternehmen hieß »Berliner Schlagerkabarett«, und der Herr Direktor erinnerte mir mächtig an den Damensalongbesitzer Schönling, weil der aufs Innungsvergnüjen auch immer so in Fahrt kam, wenn er seine Kakteels jekippt hatte. Bloß der konnte auch wie’n Hahn krähn und die Leute Eier aus die Nase ziehn, im Gejensatz zu dem Herrn Direktor hier, der dafür das Projramm jeschrieben und obendrein verinscheniert hatte und selber noch die meisten Faxen machte. Mir nahm der Mann ja gleich für sich ein, indem er sagte, er bringt kein Holzhammer mit, wie dis so bei uns üblich is,- sondern lasst nackte Tatsachen sprechen. Vor allem die Damens sprachen mir unjemein mit ihren wackelnden Hintern an. Die eine spielte ne Nutte und wedelte mächtig ihren Rock hoch und sang dazu: »Sehn Sie, das ist ein Geschäft, / das bringt noch was ein. / Ein jeder aber kann das nicht, / das muss verstanden sein.«