Frisör Kleinekorte - C. U. Wiesner - E-Book

Frisör Kleinekorte E-Book

C. U. Wiesner

4,9

Beschreibung

„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“ Mit diesen Worten begrüßte der Frisörmeister Kowalczik gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden, ob das nun ein alter Zausel oder ein junger Spund wie ich damals war. Ende der fünfziger Jahre wohnte ich im Bezirk Prenzlauer Berg in einer Untermieterbude am Arnswalder Platz. Gleich um die Ecke, in der Dimitroff-, heute Danziger Straße, lag des Altberliner Figaros armseliger, aber sauberer kleiner Laden, der mich mit seinen vielfältigen Utensilien an das Bühnenbild eines frühen Gerhart-Hauptmann-Dramas erinnerte. An der Tür hing ein handgeschriebenes Schild: Freitag und Sonnabend kann ich Kinder keine Haare schneiden. Den Frisierstühlen gegenüber prangte halblebensgroß eingerahmtes handkoloriertes Foto. Es zeigte den schnauzbärtigen Ladenbesitzer in der kleidsamen Infanteristenuniform des Ersten Weltkriegs, neben sich, wie einen Hund an der Kette, ein wassergekühltes Schweres Maschinengewehr auf Rädern, darunter ein Schild: Wir Herrenfrisöre kämpfen für den Frieden. Solange Meister Kowalczik seinen Kunden bediente, vom Kittelumbinden bis zum Kragenabbürsten, redete er auf ihn ein. Monologe voller skurriler Lebensweisheiten und komischen Döntjes aus seinen langen Erdentagen. Die weitere Personnage bestand aus seiner Ehefrau, Muttern, die höchstens mal mit einem Töppken Kaffe in Erscheinung trat, aber in den Erzählungen ihres Mannes eine gewisse Rolle spielte. Eigentlich wollten alle Kunden am liebsten nur vom Meister selber bedient werden. Kam man aber zu spät, so musste man mit seinem Jehülfen, Herrn Kafforke, vorlieb nehmen. Der hatte leider nur zwei Themen. Kopfschuppen und Urlaub. Bei letzterem verlief der Dialog etwa so: „Wahns denn dies Jahr schon uff Urlaub?“ – „Ja.“ – „Wo wahnsen?“ – „In Bad Liebenstein.“- „Kenn ick.“ Den ersten Monolog in diesem Buch, Frisör Kleinekorte trauert verlorenen Werten nach, habe ich mir fast wörtlich aus dem Gedächtnis notiert. Der echte Kleinekorte betrieb dereinst in meiner Heimatstadt Brandenburg einen Branntweinausschank. Auch der Name Kafforke ist nicht ganz erfunden. Kafurke hieß ein Gehilfe in dem für damalige Verhältnisse geradezu vornehmen Salon Wallik. Der lag genau gegenüber dem Eulenspiegel Verlag in der Berliner Kronenstraße. Und dort ließen sich sogar hohe Staatsfunktionäre die Haare schneiden, zum Beispiel der Präsident der Akademie für Landwirtschaftswissenschaften Prof. Dr. Stubbe.

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Impressum

C. U. Wiesner

Frisör Kleinekorte

ISBN 978-3-86394-402-5 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1965 im Eulenspiegel Verlag Berlin.

Titelbild: Ernst Franta

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Frisör Kleinekorte trauert verlorenen Werten nach

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, mit Ihre Lockenpracht is aber auch kein Staat mehr zu machen. Ick glaube, wenn Se dis nächste Mal kommen, hamse ne kalte Platte. Und wissense, woran dis bei Ihnen liegt: Sie ham zu ville männliche Hormone. Aber die Haarwuchsmittel sind ja man auch der reinste Tinneff, da machense bloß die schemischen Fabriken mit reich. Ick sage immer, es gibt nur ein reelles Mittel: dreimal am Tag kräftig bürschten - am besten mit ne janz harte Bürschte.

Ja, wenn ick ein Haarwuchsmittel erfinden täte, was würklich hilft, denn wär ick ’n jemachter Mann. Was ick mit dis viele Jeld anfangen würde?

Jott, wissense, ick bin jetzt an die Zweiundsiebzig, stellnse da noch jroße Ansprüche ans Leben? Tja, ick könnt mir beispielsweise alle vierzehn Tage ’n neuen Anzug bauen lassen, aber dis trägt ja unsereiner nicht mehr ab. Und dis Trinken bekam mir früher auch besser. Neulich hab ick mitn alten Kriegskameraden ’n Kleinen jepichelt, nu, dis mögen so Stücker zwölf Spezi und zehn Pils jewesen sind, andern Tag - dotsterbenskrank! Dis is ebent alles nicht mehr dis richtige! Moment mal, ick will bloß dis Messer scharf machen. Wissense, man müsste einfach für dis janze Jeld nackte Meechens bestellen und die denn danzen lassen. Und die janzen Pressefritzen, die könnten bei mir aufkreuzen und fotojrafieren, da wär ick jar nicht kleinlich.

Ach, man sagt dis alles so, aber dis is heutzutage überhaupt nicht mehr drin. Die Menschheit is ja so prüde jeworden. Dis muss so - wartense mal - inne Systemzeit jewesen sind, da kamen doch immer - dis werden Sie jar nicht mehr kennjelernt ham - die Hausierer mit ihre Bauchläden. Oben in den Kasten hattense Schnürsenkel, Sockenhalter und hüginische Artikel, und dadrunter war ’n doppelter Boden. Und dadrin lagen denn lauter Fotografien - ick muss ja sagen, sehr freie Darstellungen. Und die hamse bei uns Frisöre fürn Fumziger abjesetzt. Wir hamse denn weiterverscheuert an die feine Kundschaft: dis Stück ne Mark, und ne Mark, dis war damals noch ’n Stücke Jeld.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken höher. Ach, es jab ja noch ville schönere Sachen, dis kennt die Jugend heute jar nicht mehr. Was mein Neffe Oswald is, der jetz in Charlottenburg ans Jericht arbeiten tut, der hat, als er noch bei uns nebenan inne Blumenstraße wohnte, ’n richtigen Kinoapparat jehabt, so einen mit bewegliche Bilder, und da jab es, ick glaube an Dönhoffplatz, son Laden, wo Se echte französische Sittenfülme ausleihen konnten, für eine Mark fumzig die janze Woche. Wenn denn der Sonnabend ran war, wurde die Bude verdunkelt und ’n Bettlaken anne Wand jepinnt. Die Damen saßen nebenan und tranken ihren Kaffee, und wir Herren begaben uns in unserem Kintopp und machten Spannemann bis nachts um zwölfe.

Von diese Erinnerungen lebt man nu heute.

Scharf nachwaschen, Herr Jeheimrat? Was aus den Apperat und die Fülme jeworden is? Na, dis Haus, wo mein Neffe wohnte, wurde noch vierenvierzig runterjebombt, und da liegt dis nu alles mitten unter die Trümmern.

Tja, wenn man bedenkt, was der Krieg so für Werte vernichtet hat!

Frisör Kleinekorte äußert sich zu Fragen der Weltraumschifffahrt

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Macht nischt, nachts wachsen die Haare langsamer, da sparnse ne Masse Jeld. Fassongschnitt?

Hamse denn heute Nacht den Sputnik jesehn? Der soll ja mal wieder über Berlin rüberjondeln. Ick halt ja nicht ville von den janzen Spuk. Früher - dis muss so bei Hindenburch jewesen sind - hab ick mir ja auch ab und zu den Kopp verrenkt. Nachn Zeppelin, dis lohnte sich wenigstens. Aber die Menschheit wird ja immer verrückter. Immer höher wollnse hinaus. Erst steigense auf dem Himmaleia und belästigen die Schneemenschen - aber nein, dis jenügt nicht: se müssen auch noch partuh bis aufn Mond, und dabei könnse den im Leben nicht erreichen, weil er nämlich nischt weiter is wie ne Luftspiegelung. Was die überhaupt mitten im Himmel zu suchen ham - als ob se es nicht erwarten könn. Mann, da kommen wir doch alle noch beizeiten hin.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken tiefer.

Nu mach ich mir ja bei alles so meine eigenen Jedanken. Ham Sie zum Beispiel schon mal jelesen, deß die mit ihre Raketen auch nur eine Spur vom lieben Jott entdeckt ham? Is ja auch kein Wunder. Ick sage Ihnen, den Mann hamse einfach verjrault. Auf die Dauer kann dis ja nicht jut jehn. Am liebsten wollnse uns ja weismachen, desse eines schönen Tages mit ihre Weltraumdampfer auf die Milchstraße rumsejeln wie bei uns die Weiße Flotte. Aber ich lass mir doch nicht für dumm verkaufen. Höher als circa hundert Kilometer kann man die Dinger ja jar nicht hochballern. Muss ick doch wissen, wo ick anno vierzehn in Frankreich mit meine Kompanie neben eine schwere Mörserbatterie jelegen habe. Sehnse, dis waren damals die modernsten Steilfeuergeschütze, wo wir hatten. Passense auf: Ick bin der Mörser, un die Bürschte hier is dis Jeschoß. Jetzt schieß ick bis anne Decke - Pardong, Ihnen wollt ick nicht treffen, Herr Jeheimrat. Aber hamse jesehn: Ick kann mir noch sone jroße Mühe jeben - dis Ding kommt immer wieder runter, und jenauso isses mit die Raketen.

Rund um die Erde is doch der sojenannte Luftozean - hab ick mal inne »Jrüne Post« gelesen, die war ja damals sehr auf Wissenschaft jeeicht -, und dahinter is jar nischt mehr, da ist die Welt mit Bretter vernagelt, wie ein großer Jelehrter sagt. Und nu kommt also dis Raumschiff, dringt bis anne Oberfläche vor und zieht nu auf den Luftozean hurtig seine Kreise. - Frieda, setz doch mal Kaffeewasser auf, ich bedien bloß noch den ein Herrn. - Dis geht natürlich nur so lange, als wie die Schiffsschraube Widerstand jejen die Schwerkraft findet. Nu hamse doch meistenteils ’n klein Köter als Piloten, was ja an sich ne Affenschande is - unsern Purzel früher is schon immer aufs Kettenkarussell schlecht jeworden. So, nun stellnse sich vor, dis Tier macht ein einzigen Fehler: bums! - schon isses passiert, und da könnse den Hund vorher noch so jut ausjebildet ham. Aber lassense man, der Russe is unberechenbar. Eines Tages schicken die ’n lebendijen Menschen aufn Mond, und denn klappt es, passense auf. Ick? Ob ick mir freiwillig dazu melden würde? Wo denkense denn hin! Komm ick nach drei Lichtjahre wieder auf der Erde - da ist mein Herrensalong PeJeHa, un ick bin Neese!

Frisör Kleinekorte wird es warm ums Herze

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat, was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Ich werde Sie mal die Haare nicht so kurz schneiden, wennse bei den Frost immer ins Freie sein müssen. Heute früh, wie ick die Schallesie hochziehe, war alles voll Raureif. Dis sah ordentlich feierlich sah dis aus, wie mit Puderzucker.

Und Schlächter Meusel hat villeicht geflucht, weil sein oller Wartburg nicht anspringen wollte. Is ja auch kein Wunder: bei die Temperaturen friert der Ostbenzin glattwech ein.

Ick verheize jetz jeden Tag zwei Eimer Kohlen in den Eiserofen, und kalte Beine kriegt man doch beim Stehn. Aber ick tröste mir immer und sage mir, der Winter is eine Naturerscheinung, und der Mensch is nu mal kein Zugvogel, deß er in dem sonnigen Süden abzittern kann. Und son Winter hat ebent auch sein Gutes. Nehmse zum Beispiel das Weihnachtsfest. Da wird einen doch so richtig warm ums Herze rum. Wenn denn draußen so der Schnee glitzert und so.

Übrigens, is Ihnen dis schon aufgefallen? Früher ham wir an Heiligen Abend immer Schnee gehabt. Ick weiß auch nicht, aber seit fümmenvierzig hat sich die Witterung dermaßen umgestellt, als ob uns die Regierung kein richtiges Weihnachtsfest mehr gönnen täte. Sehnse, und dis gehört nu mal zum Deutschen, und dis lasst er sich auch nicht nehmen. So was Stimmungsvollet findense bei kein anderes Volk. Der Franzose oder der Russe is da ville zu nüchtern zu. Der Franzose is so oberflächlich, deß er nicht mal 'n Weihnachtsbaum kennt, und der Russe, jaja, der hat auch seine schwermütigen Lieder, aber die singt er ebent nicht zu Weihnachten.

Machen Sie diesjahr 'n Baum? Ick hab jestern erst meinen jeholt, vonne Schönhauser, aber die waren schon so ausjesucht, deß ick nur noch son ruppigen Besen erwischt hab. Um die paar juten soll es Mord und Dotschlag jejeben ham.

Ick hab ja nu keine kleinen Kinder mehr, aber son Baum jehört einfach zum Fest, schon vonwejen die Erinnerungen. Ick weiß doch, wie ick im ersten Krieg bei die Fümmendreißiger in Frankreich jestanden habe, dis muss so - wartense mal - in Winter fuffzehn muss dis jewesen sind. Da ham wir in unsern Graben jelegen und hatten auch ein kleinen Baum mit richtige Lichter. Und unser Feldwebel, dis war ein Schinder, vor den hamse alle jekuscht, und son junges Bürschchen, den hatte er mal so fertigjemacht, dass sich der Junge ’n Heimatschuss beijebracht hat - aber nu hättense unsern Feldwebel sollen sehn: Wie wir da in Graben »Stülle Nacht« jesungen ham, da sind den Mann die hellen Tränen man immer so runterjelaufen.

Aber so war ebent der deutsche Soldat: außen rau wie’n Bär und innen ’n weichet Jemüt. Und wenn alle so dächten, denn hätten wir bald Frieden auf der Welt, wenigstens den einen Tag im Jahr. Dis fangt nämlich schon inne Verwandtschaft an. Dis ganze Jahr ham wir mit mein Schwager nicht verkehrt, aber gestern sag ick zu meine Frau: Aufn Heiligabend ladste Bertan und Erichen ein und machstse auch ihren bunten Teller. Was meinense, wie feierlich dis immer bei uns wird. Nachmittags jeht meine Frau inne Kirche, da lasstse sich nicht von abbringen, nicht mal von mir, denn ick bin ja der Leidtragende, weil ick mir so lange um den Braten kümmern muss. Vorigtes Jahr hab ich ihn anbrennen lassen, wegen Fernsehen, da hing aber ’n janzen Abend dis Christkind schief.

Na, diesmal wirdse wohl nicht wechkönnen. Ick glaube, die steht die janzen Feiertage nur an Herd. Dis is ja immer die wichtigste Frage, wasse Weihnachten inne Pfanne haben. Dies Jahr wusstense nu nicht: Gibs jenug oder nich? Also ich meins gut und werde vonne Markthalle jestern ne jroße Pute mitbringen. Komme nach Hause, schlagt meine Frau die Hände übern Kopp zusammen und zeigt mir son Untier von Jans, was ihr Schlächter Meuseln seine Frau zurückjehängt hatte. Na jut, sage ick, die kriegen wir auch klein,auf einmal klopps, und draußen steht Frau Ladentin mitn fetten Karnickel und sagt, Sie haben doch im Herbst einen bestellt. Is auch ejal, sagt meine Frau, denn hol ich ebent noch ’n schönes Stück Kassler, und denn ham wir gleich was für Heiligabend; am ersten gibs die Gans, und die Pute muss ebent bis zum dritten Feiertag reichen. Na, macht nischt, dafür brauchste denn keine Kartoffeln kochen, und mit Boonekamp bin ick einjedeckt. Ich ziehe aus alles meine Lehren. Vorigtes Jahr musste meine Frau nämlich den Doktor holen. Nicht etwa, desse denken, Weihnachten besteht bei uns bloß aus lauter Fressalien. Dis beste is nu mal die feierliche Stimmung. Dis fangt ja schon so immer um Niklaustag rum an. Sagt doch meine Frau: Stell mal ruhig ’n Schuh raus, Vater - macht aber bloß ihren Spaß. Ich werde dis für ernst nehmen, und andern Morgen hat die Katze reinjemacht, und dis war noch ’n guter Pico-Schuh von Jesundbrunnen. Na ja, son Vieh kann dis ja nicht wissen. Hunde sind da janz anders. Unser Purzel weiß jenau, wenn Weihnacht is. Denn kriegt er nämlich ne große runde Leberwurscht janz für sich alleine. Dis Tier kiekt einen denn richtig dankbar an, am liebsten würde er »O du fröhliche« mitsingen. Dis sind ebent alte Familienbräuche.

Sehnse die kleine Krippe da drüben mang die Pomadenbüchsen, die stell ich nu schon dreißig Jahre lang immer an ersten Advent ins Schaufenster. Die hab ick mal spottbillig bei Wertheim jekauft. Dis waren ja damals noch andere Preise. Wenn ick heute meine janze pucklige Verwandtschaft beschere, jehn mindestens dreihundert Mark drauf. Aber man soll ja zu son Fest nicht aufs Jeld sehn. Ick für mein Teil bin da meistens sehr spendabel und ärgere mir bloß über den Tinneff, den die anderen mir immer andrehn. Wenn man dis so zusammenrechnet - von die abjetragenen Sachen aus Frankfurt mal abjesehn -, bin ick die Sippe höchstens ’n Fuffzigmarkschein wert.

Na ja, der Ärger verjeht auch, schließlich is ja nur einmal Weihnachten.

Früher waren die Menschen nicht halb so matrijell wie heutzutage, wo sojar die Kinder schon Ansprüche stellen. Und denn wundern sich die Leute, desse nicht mehr so die alte deutsche Weihnachtsstimmung haben. Nehmse mir zum Beispiel. Ick bin in janz kleine Kreise groß jeworden. Vater war in Brandenburg Kutscher bei die Adler-Brauerei, und Muttern musste fürs Millitär waschen. Aber die Herzlichkeit bei uns damals, die könnse heute suchen. Über ne Pudelmütze oder 'n Paar neue Holzpantinen haben wir uns am Heiligabend mehr jefreut als sone Jören heute über ne elektrische Eisenbahn.

Dis eine Jahr werd ich nie vergessen: Vater kommt und kommt nicht, dis Festessen schnurrt inne Röhre ein, Muttern hat jeweint und jesagt, nu müssen wir ebent den Baum alleine anstecken. Und jrade wie die Lichter brennen, jeht die Türe auf. Aber statt dis Christkind kommt der Olle rein, stinkhagelblau, haut den Weihnachtsbaum vom Tisch und schreit, er hat den janzen Schwindel satt. Aber dis war halb so wild. Andern Morgen hat er uns Kinder jenommen und is eigenhändig mit uns inne Kirche marschiert, denn über sein Familienleben hat ihm ebent nischt rüberjegangen. Sehnse, und dis isses, was uns heute so fehlt. Wollnse zur Feier des Tages ’n bißken Pomade rein haben? Jut, denn feucht icks nur an. So, und denn wünsch ick Sie ein recht frohes Weihnachtsfest.

Frisör Kleinekorte wettert gegen die Klatschmäuler

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Wissense, ick sage immer, die Nacht is die jeheimnisvollste Tageszeit. Da passieren die schrecklichsten Dinger. Ick könnte Ihnen villeicht Schoten erzählen, bloß aus unsere Straße. Wenn man abends ausm »Blauen Affen« kommt und geht so mang die Häuser lang ... also nicht, dass ick absichtlich in die Parterrefenster reinkucke, aber was Se da so manchmal zu hören kriegen! Ick sage mir immer, ’n richtiger Frisörmeister muss verschwiegen sind, sonst verjrault er sich die Kundschaft. Jott, es gibt natürlich Kunden, die erzählen einem sonst was, aber darauf darf man ja nischt jeben. Es wird ja so ville jeredet und jeklatscht. Der dicke Kustak aus Nummer siebzehn is in diese Beziehung wie son olles Weib. Fragt er mir doch neulich, ob es sich schon rumjesprochen hat, was bei Zahnarzt Stippekohl jede Woche für dolle Orgeln jefeiert werden. Nu will man ja nicht unhöflich sind. Nee, sag ick also, aber erzählnse mal! Na, janz Jenaues wusste er auch nicht. Bloß, deß Stippekohlen seine Sprechstundenhilfe, diese aufjedonnerte Rothaarije, schon mal morgens um sechse aus Stippekohls Wohnung jekommen is. Und dabei hat Stippekohl schon die zweite Frau, und dis letzte Kind, dis soll auch nicht ... aber ick würde nie darüber reden. Und wie schnell hamse jemand den juten Ruf verdorben. Nehmse zum Beispiel Ihnen. Seit Se letztes Mal hier waren, sind Ihre Haare schon wieder weniger jeworden. Ich weiß schon jar nicht mehr, wie ich se Ihnen legen soll. Als Frisör denk ick mir natürlich mein Teil, aber da kommt auch nicht ein Sterbenswörtchen über meine Lippen. In mein Beruf könnse sich eine ganz wissenschaftliche Züchologie nur aus die Haare von einen Menschen bilden. Denkense bloß mal an Bäcker Stackebrandt. Der lasst sich seit vorigten Winter bei mir die Haare rot färben und obendrein noch ondulieren.

Na schön, der Kunde is König. Aber Stackebrandt jeht nu schon auf die Sechzig zu - und denn macht er sone Zicken, wo die Schulmeechens hinter ihm herlachen. Zu mir sagte er mal - janz im Vertrauen -, er fühlt jetz so was wie ein zweiten Frühling, aber mit wem, sagt er nicht. Nu bin ick ja nicht dusselig. Und dabei is der Mann von die Witwe Lüdicke noch nicht mal ’n Jahr unter der Erde. Und was war dis für ne Seele von Mensch! Die Olle soll ihm ja dotjeprügelt haben, weil er ihren Köter hat verjiften lassen. Und dis war wirklich dis Beste für den armen Harras. Der konnte doch kaum noch kriechen.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken höher. Ick meine, son Tratsch kann janze Existenzen rujenieren. An Schuster Hämmerling werdense sich nicht mehr entsinnen? Den hattense doch damals mitn Hackebeil erschlagen, mit die stumpfe Seite, glaub ick. Und den Mörder hamse nie jefaßt. Nu munkeltense damals alle, dis wär der Klempner Jülicher jewesen. Ick sage Ihnen, dis dauerte nicht lange, da blieb Jülichern die janze Kundschaft wech, und er kriegte lauter anonyme Drohbriefe. Eines Tages hamse ihm rausjetragen, mit die Beine zuerst - da hatte er den Jashahn aufjedreht. Dis war natürlich nicht richtig, trotzdem ich heute noch steif und fest in ihm den Mörder sehe. Wissense, der Mann hatte einfach ’n zu unheimlichen Blick, der konnte keinen jrade ankucken.