Frisör Kleinekorte seift wieder ein - C. U. Wiesner - E-Book

Frisör Kleinekorte seift wieder ein E-Book

C. U. Wiesner

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Beschreibung

„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“ Mit diesen Worten begrüßt ein bekannter Berliner Frisör gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden. Nachdem mir Kleinekortes Vorbild, Meister Kowalczik, seinerzeit einen fast druckreifen ersten Monolog geliefert hatte, versuchte ich, ihn über ein vorgegebenes Thema schwadronieren zu lassen. Das ging gründlich schief. Mitte April 1961 redete ganz Berlin über Juri Gagarin und seine spektakuläre Erdumrundung Ich steuerte den Frisörsalon an und wollte gerne den Meister zu einem witzigen Kommentar provozieren. Der Alte aber stand vor seiner Ladentür und schimpfte wie ein Rohrspatz, dass es die ganze Straße hören konnte. „Hamse schon jehört, wat die sich da ohm wieder ausjedacht ham? Nu wollnse die kleinen Tauben allesamt verjiften, und dis, wo doch durch den Kriech so ville von die heimatlos jeworden sind. Is dis nich ’n Stück ausm Dollhaus? Da steckt bestimmt wieder die verdammte Partei dahinter. Da sollnse doch lieber ihre Parteijenossen verjiften, findense nich ooch?“ Da ich schon damals nicht das Zeug zum Widerstandskämpfer hatte, machte ich wortlos auf der Stelle kehrt und verschob den nächsten Haarschnitt um mindestens eine Woche. Da der Alte partout nicht domestizierbar war, erfand ich von nun an Kleinekortes Monologe höchstselber, natürlich mit Kowalcziks Eingangsformel. In den siebziger Jahren lief im DDR-Fernsehen immer sonnabends eine Magazinsendung, die der Eulenspiegel mitgestaltete. Einmal sollte ich darin einen Kleinekorte-Monolog sprechen. Ich schlug vor, den Beitrag im Salon des alten Meisters Kowalczik zu drehen. Viele Jahre hatte ich den Laden nicht mehr. betreten. Die Jalousien waren heruntergelassen. Also ging ich über den Hof und klingelte an der Wohnungstür. Ein verhutzeltes Mütterchen, in dem ich mit Mühe die alte Frau Kowalczik erkannte, öffnete mir. Nachdem ich mein Anliegen vorgetragen hatte. brachte sie schluchzend hervor: „Da kommse zu spät. Vorigte Woche ham wir unsen Vadder mussten bejraben. Vorher hamse ihm noch mitm Schlachanfall int Krankenhaus jesteckt. Und da hab ick ihm beinah jeden Tach durften besuchen. Wie ick dis letzte Mal bei ihm war, hat er jesagt: Muttern, et jeht aufwärts. Kick mal, ick kann die Hand schon wieder bewegen. Morgen bringste mir kein Pudding, aber dafür ne Schere mit, damit ick schon ’n bissken üben kann. - Aber nächsten Tach war er schon einjeschlafen.“

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Impressum

C. U. Wiesner

Frisör Kleinekorte seift wieder ein

ISBN 978-3-86394-409-4 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1971 im Eulenspiegel Verlag Berlin.

Titelbild: Ernst Franta

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Frisör Kleinekorte ist unentbehrlich

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, nu werd ick Ihnen erst mal ’n Schluck einjießen auf den Schreck, sonst haltense mir doch noch fürn Jeist. Nee, dis is wirklich kein Birkenhaarwasser. Ick hab den Spezi bloß umjefüllt, Muttern brauch ja nicht alles merken. Ja, Herr Jeheimrat, dis hätte sich mancher nicht träumen lassen, deß ick noch mal quietschfidel in mein Herrensalong zurückkehre. Sindse doch mal ehrlich, Sie ham bestimmt auch schon in Ihre Bekanntschaft rumerzählt, Meister Kleinekorte fährt nächstens in der Grube. Aber von wegen! Nicht vor den nächsten Schlaganfall, und außerdem hab ick ne eiserne Instituzjon, wie sich der Herr Scheffarzt auszudrücken beliebte, und vor allem ein sehr jutes Herze. Is ja auch kein Wunder, wo ick nicht mal ne Fliege ’n Bein ausruppen könnte.

Nee, dis jing schneller, als wie ick selber dachte. Kuckense doch selber: Jetzt kann ick beis Schnippeln die Finger schon wieder so flott bewegen wie’n Klavierviertelose, wenn er vierhändig einen draufmacht. Da soll mal einer sagen, ick hätte neulich noch ins Komma jelegen. So nennt dis nämlich der Medeziner, wenn son Jreis wie icke mit dem Tode ringt. Aber in diese Beziehung war ick jut, sag ick Ihnen, darauf muss ick selber noch einen nehmen, prost! Dis hätte mir jar nicht jewundert, wenn die niedlichen kleinen Krankenschwestern janz laut Beifall jeklatscht hätten, wie Opa Kleinekorte den ollen Klapperheinrich zu juter Letzt noch auf beide Knochenschultern jeschmissen hat. Bloß, die mussten ja leise sein, weil se mir doch schon in der Sterbekammer reinjefahren hatten.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken tiefer! Wenn Se zufällig auch schon mal jestorben sind, denn wissense natürlich, desses dabei ville unprosaischer zujeht. Sie fühlen sich mächtig schlapp, ham nicht mal mehr Appetit aufn Schnäpperken und kriegen immerzu Spritzen. Später, wie ick wieder im Kommen war, wollt mir doch die Stationsärztin ’n Bären aufbinden und meinte, ick hätte richtigjehendes Morphium jekriegt. Dabei weiß ick janz jenau, deß dis ein jefährliches Rauschjift is, und wegen son ollen Knacker wie mir lasst sich doch ein renommiertes. Krankenhaus nicht mit irgendwelche Schmugglerbanden ein. Die wusste ebent nicht, deß man durch die Fernsehkrimis auch in diesen heiklem Punkte schon ziemlich jebüldet is.

Aber immerhin, man träumt in seine vorletzten Stunden reichlich verkorkstes Zeuch. Dabei hatt ick mir, wie ick noch Laie in solche Fragen war, immer ausjemalen, deß dis janze Leben noch mal wie son mehrteiliger Adlershofer an sein innerstes Auge vorbeizieht. Nischt is! Anne Seiten ’n bißken kürzer? Dichtebei, aufe Bettkante, hat er schon jesessen und ... dis schüttelt mir jetz noch so, deß wir beide gleich noch ’n kleinen Kurzen nehmen müssen. Prost! Dis erzähl ick ja nicht jeden, aber wissense, der Tod hat mehrere Jesichter. Teilweise sah er aus wie der verdammte Fähnrich, wo mir in ersten Kriech völlig sinnlos in dem Stahljewitter jescheucht hat, Lungensteckschuss und so, denn wieder eher wie Ortsjruppenleiter Stieselack mitm Stahlhelm im Luftschutzkeller und zum Schluss wie mein oller Lehrmeister, wo mir als Junge mal halb dusselig jedroschen hat. Und immer hat er mir janz freundlich aufjefordert, ick soll doch endlich mitkommen und abhauen von diese sündige Erde und alles son Quark. Aber da hättense mir mal hören sollen, wie ick mit den diskutiert habe, beinah so schön wie’n Fungsjonär vonne Natzjonale Front. Sagense doch selber: icke und abhauen, jrade wo es jetzt so spannend bei uns wird und man noch nicht mal jenau absehn kann, was der Staatsrat so alles mit unsern schönen alten Alex anstellt. Und mein Enkelsohn fangt nächstens ein richtigjehendes Studium an, und meine Enkeltochter wird Stuardesse in Schönefeld. Dis will man doch alles noch ordentlich feiern. Wo man die janzen schwerwiegenden Äras und Epochen einigermaßen heil an Leib und Seele überstanden hat, da kratzt man doch nicht einfach ab. Hier werd ick mal noch mal mitte Maschine rüberjehn. Wie ick ihm nu janz laut anschreie: Ick bin ein Preuße und desertiere niemals! - da verschwimmt er auf einmal vor mir, und aufe Bettkante sitzt Muttern, hält meine Hand janz feste und sprecht auf ihrer resoluten Weise: Komm man zu dir, Willem, et wird schon wieder werden! Sehnse, und von den Tag an beschloss ick, jesund zu werden. Müssense sich mal merken, falls se auch in sone Situatzjon kommen!

Nu gab es natürlich noch andre Jründe für meinen Beschluss. Herr Kafforke! Jehnse doch mal nachn Konsum und helfense Muttern die Tasche tragen! So, jetz isser raus. Wissense, mein Jehülfe is nämlich ein schlümmer Karrijarist. Immer, wenn er sein Rappel kriegt, droht er, deß er wech will zur PeJeHa Wellenreiter. Aber wie ick nu vor dem Tor des Todes stand und er den Laden alleine schmeißen musste, da hat er Muttern fortwährend inne Ohren jelegen. Sie soll sich man keine Sorgen machen, er wird nachs Bejräbnis den Salong janz in meinem Sinne weiterführen. Hat der Mensch Töne! Pleite jemacht hätte der schon nachn halbes Jahr. Nicht, weil er keine Haare schneiden kann, wie vielmehr, weil er nicht mitte Kunden umjehn kann und bloß immer von Koppschuppen, Urlaub oder Weiber redet. So was wird nie ein richtigjehendes Orijinal mehr so wie icke, denn ihm fehlt ebent meine universale Büldung wie auch der Sinn für dis Höhere und Schöne. So was hat man entweder ins Blut, aber man kann es nicht erlernen. Verstehnse mir recht? Und nu sagense selber: Sollt ick mein Lebenswerk in solche unjereimte Hände fallen lassen?

Jott, die waren ja alle so nett zu mir. Die Hausbewohner und meine Kinder und die Stammkunden, alle sind se an mein Krankenlager jerennt, sojar wie ick schon wieder jesund und bloß noch auf Rekonvalenzia war. Der janze Streit, wo wir uns mal jelegentlich einen ausjestoßen ham, war verjessen. Fleischer Meusel sagte nicht mal mehr du oller Kommeniste zu mir. Aber besonders hervorjetan ham sich wie üblich die vonne Partei, also mein alter Nachbar Fritze Ladenthin und Robert Köppen, der dis von Berufs wegen macht. Die ham meinen Scheffarzt aufjesucht und ham sich einjesetzt, deß ick noch ne Nachkur nötig hätte. Jut, der Scheffarzt brauchte sich jar nicht bei mir einkratzen. Den hatt ick sowieso schon als Sondergaasche ’n kostenlosen Haarschnitt auf Lebenszeit bewilligt - Sie, der war schon dreimal hier. Aber was die vonne Partei betrefft, die sind ja ’n Fuchs und denken sich bei alles was. Einerseits wissense, deß unser Stand von die bedeutendsten einer is - denkense bloß mal an Fijaro, wo schon inne Französische Rewolutzjon mitjemischt ham soll -, und fernerhin is sie natürlich nicht verborgen, wie knapp - und denn noch die Nachwuchssorgen - unser edles Handwerk auch heutzutage is. Nischt gejen die Leute persönlich, aber weil se nu mal für den Staat mächtig verantwortlich sind, hamse sich jesagt, was soll denn mal aus die janzen schlauem Köppe inne Zukunft werden, wenn da oben drauf lauter Unkraut wachst, und niemand tut es jäten? Und darum hamse mir mit vom Tode errettet, und nu mach ick ebent noch ne Weile mit - als der Älteste oder, wie der Lateiner spricht, der Ernesto unter Berlins Haarkünstler.

Frisör Kleinekorte als Bauexperte

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Ach so, immer noch mits Auswerten vonne Baukonferenz beschäftigt. Darum sehnse auch so übernächtigt aus. So ville Wissenschaft auf einmal kann ja ’n einzelner jar nicht vertragen. Dis wird ja von Jahr zu Jahr schlümmer. Wenn Se nächstens Vater werden wollen, jeht dis nicht mehr im Dustern wie bei uns früher, nein, da brauchense doch Licht, damit Se sich zwischendurch Ihre wissenschaftliche Jebrauchsanweisung vom Nachttisch langen können. Sehnse, und jenauso isses heute aufm Bau. Und da brauchense sich nicht wundern, wenn die jungen Menschen nicht mehr Maurer lernen wollen. Wie jerne macht son Dreikäsehoch Eierpampe, und was bleibt nachher inne Lehre von die kindlichen Illuzionen übrig? Da dürfense den Kalk nur noch wissenschaftlich einrühren.

Früher, dis muss so - wattense mal - um neunzehnhundert rum jewesen sind, wie mein Bruder Maurer lernte, da war dis Mauern noch ein reelles Handwerk. Brauchense sich bloß mal die Häuser aus die Zeit ankucken: Da war noch so was wie deutsche Seele drin. Wenn Se vor sone Fassade stehn, denn denkense sofort an den jotischen Menschen, an Richard Wagnern und brausenden Orjelklang. Und wenn Se in Zukunft nicht eher bei mir zum Verschönern kommen, wird man Ihnen noch als Jammler wechfangen, aber dis nur nebenbei. Sehnse, in unsere Gejend lasst die Partei nächstens die janzen schönen Fassaden runterkloppen und alles neumodisch verputzen, bloß weil es ihnen an Kaiser Willem erinnert und schon ’n bißken bröcklig war. Und dabei hat mein Bruder hier in diese Straße als Stift anjefangen, aber vor so was ham ja diese Leute nicht ne Spur von Pinetät. Was mein Bruder war, der wurde bei sein Maurermeister wie sein eigen Fleisch und Blut jehalten und brauchte dis erste Jahr nicht ein einzigen Ziegel anfassen, bloß den Ofen heizen, Karnickel ausmisten und Teppiche kloppen. Dis waren ebent noch menschliche Züge. Tschuldigense! Nur ’n kleiner Kratzer, weil unsere Messer nischt taugen in die Apperate. Ick jeh gleich mal mit mein West-Blutstiller rüber. Hab ick mir von meinen Sohn aus Frankfurt mitjebracht. Was die dadrüben bauen, is ja einfach bombastisch. Denkense bloß an den jroßen westdeutschen Arschitekten Courvoisier!

Wo war ick denn stehnjeblieben? Ach ja, inne Kaiserzeit. Können Sie sich vorstellen, deß sone prächtigen Bauwerke wie der berühmte Berliner Dom zustande jekommen wären, wenn man damals auch schon so scheußlich unromantisch jedacht hätte? Aber dis Schöne is ja, desses heute auch noch einzelne Baumeister jibt, die mit schöne Ordnamente gejen den funktionären Baustil anstinken. Und sone Künstler muss man unter den Armen greifen, sag ick mir. Sehnse sich mal mein Kachelofen an. Den muss ick jetz abreißen lassen, weil er nicht mehr zieht. Aber die schöne Majolikagruppe mit die müstologischen Darstellungen und die nackichten Weiber mang die Kacheln werd ick irgendeinem Arschitekten vermachen. Denn brauch er sich wenigstens keine eigenen Verzierungen abbrechen, wenn er ne Poliklinik oder ne neue Molkerei baut.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken runter! Nu bin ick ja in diese Fragen kein feuriger Hase, sondern seit dies Jahr selber son Stücke Bauunternehmer. Klapproth müssense doch kennen? Der arbeitet als Maurer bei die Bau-Union, und der hat mir eine neue massive Laube hochjezogen und schlüsselfertig ausjebaut. Wenn ick heute inne Zeitung von Matrijalschwierigkeiten lese - alles Quatsch. Müssense sich bloß richtig drum kümmern. Bei mir hat Klapproth alles von sein Betrieb mitjeliefert. Hat mir natürlich ne Kleinigkeit jekostet - ville mehr sojar, wie Klapproth bei seine erste Projektion ausballangsiert hatte. Aber er meint ja, bei die volkseigene Bauerei isses ähnlich. Nu brachte er abends immer ’n Sack Zement oder Kalk auf sein Motorrad mit, und ’n paarmal ham wa zusammen 'n Handwagen voll anjestoßene Ziegeln jeholt. Mit lange Finger hat dis nischt zu tun. Klapproth sagt nämlich, der Krempel verjammelt doch bloß auf die Baustellen. Und nu steh ick selber da mitn Berg nassen Zement und ’n Haufen Kalk mang meine Rosenbeete. Klapproth meint ja, man brauch beim Bauen immer mehr Matrijal, wie man zum Bauen wirklich brauchen tut. Mit dem Bier, was der Kerrel auf meine Kosten jetrunken hat, wars jenauso: Dies war immer 'n bißken zu ville, und wenn ick nicht aufjepaßt hätte, denn hätte er beinah die Wasserwaage mit einjemauert. Und mit die Termine hat er mir auch anjeschissen. Im Juni wollte er fertig werden, und im Aujust war erst Richtefest. Aber der Mann hatte ebent keine Disseplin. Manchmal kam er ne janze Woche jar nicht bei mir, weil se ihm sonst auf seine Baustelle rausjeschmissen hätten.

Na schön, meine neue Willa Sangzussi steht nu endlich. Bloß die Türen klemmen, und wenns mal doll regnet, kriegense ne feuchte Glatze. Soll ick Ihnen etwas Birkenhaarwasser raufmachen?

Janz so, wie icks wollte, isses ja nicht jeworden. Mir schwebte mehr son kleiner Bummerloh vor, mit ’n Schambre separee und ’n Schwimming-Paul hintern Hühnerstall. Und nu sieht der Kasten auch nicht ville anders aus wie Fleischer Meuseln seine Garage, die ihm Klapproth jebaut hat. Wenn ick als Bauherr meine indiwellen Wünsche äußerte, sagte er immer, er kann bloß die eine Type und damit basta. Und seit jestern is er nu bei mein Jartennachbarn und kleckst den haarjenau dieselbe Laube hin, und ick weiß jetz schon, an welche Stellen es da durchregnet. Stellnse sich mal vor, wie dis in zwanzig Jahre auf unsere Kollenie aussehn täte, wenn der immer so weiterbaut! Zum Glück isser bloß einer und hat nicht so ville freie Kaprizität. Nu hab ick mir neulich Farbe besorgt und zu Muttern jesagt: Bevor der Frost kommt und die Erdbeeren zujedeckt werden müssen, streich ick unsere neue Laube eigenhändig an, und zwar rot und blau kariert, damit se sich wenigstens ’n bißken von mein Nachbarn seine unterscheidet. Wollnse noch Pomade reinhaben?

Frisör Kleinekorte predigt seine Moral

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau! Wieder Nachtschicht gehabt? Ja, ja, früher sangen wir einen Jassenhauer - Die Nacht is nicht allein zum Schlafen da -, und heute treibens die jungen Leute sojar am hellerlichten Tage. Aber dis is kein Wunder, die kriegens ja schon inne Schule einjepaukt, wie mans machen muss. Und was kann son Kind davon für züchische Schäden erleiden! Ick hab mal jelesen, deß der Mediziner in solche Fälle von eine frühzeitige Achselration sprecht. Wasses is, weiß ick zwar auch nicht, aber ick stelle mirs jrauenhaft vor.

Ihre Haare scheinen übrigens im Sommer besonders schnell zu wachsen, da könntense mir ruhig ne Woche eher die Mark fuffzig zukommen lassen. Also, wie jesagt, die Kinder werden aus die Schule entlassen, und wasse denn noch nicht wissen, erfahrense aus die Illustrierten. Ich sage immer, in unser technisches Zeitalter sterben die Casanovas aus, und an ihre Stelle treten die Jieneckologen. Sind wir doch mal ehrlich: Was bleibt denn noch von die Liebe, wenn Se alles bei Lichte sehn können und sich die holde Fantasie so jar nischt mehr von selber ausmalen tut? Wollnse da etwa noch von Herotik reden, wenn Jott Amor sozusagen im Wartburch vorfährt und sagt: Steig man ein, Kleene, ick habe Liegesitze! Heutzutage is alles ville zu unprosaisch, und darum jehn die meisten Ehen schon nach kurzer Zeit krachen.

Ick hab mir jestern dermaßen mit Muttern darüber inne Wolle jehabt. Die kennse jar nicht wieder. Meinse etwa, die hätte früher sone intimen Themas aufs Trapez jebracht? Dazu is man schon zu lange verheiratet, und als junge Menschen hatten wir noch nicht sone Schweinigkeiten wie Sexuellität im Kopp wie heute. Aber nu hat Muttern dis neue Familienjesetz inne Finger jekriegt, und nur studiertse alles, was se auf dis Jebiet finden kann. Da steckt natürlich bloß wieder die Natzjonale Front dahinter. Erst schimpense aufs Westfernsehn, denn klärnse die

Kinder auf, desses keine Störche jibt, und nu steckense auch noch die Nase ins Eheleben und machen aus meine Frau ne richtigjehende Kommunistin.

In seine eigenen vier Wände - wir hatten jrade Pellkartoffeln mit Quark - muss man sich sagen lassen, deß man ein oller Meckerkopp is, und sie findet dis Jesetz prima. Da hab ick ihr aber Feuerwerk jegeben und jesagt, ick schmeiß ihr raus. Jut, sagtse, aber denn musste mir vom Jeschäft mein Jenannt auszahlen, schließlich hab ick auf meine Art auch mit beijesteuert, den Haushalt und die Kinder jroßjezogen, und so steht es im Jesetz. Na, sag ick, die paar Piepen haste bald verjubelt. Darauf ick: Wenn du sone Zanktippe bist, wirste ja schuldig jeschieden! Jibts ja nicht mehr, sagt sie, blechen musste doch, weil ick nicht mehr arbeiten kann und nicht jeklebt habe.

Na, schön, ick hab mir wieder beruhigt, schließlich is man ja kein Unmensch. Und gejen Scheidungen hab ick überhaupt was, denn irgendein Herze zerbrecht dabei immer. Nehmse zum Beispiel meinen früheren Jehülfen Bandermann: jung jeheiratet - weil ihnen die Ollen zusammenjekuppelt hatten und ’n tüchigen Verwalter für ihre Häuser brauchten. Also von Liebe keine Spur, ne reine Vernunftsehe, wie man so sagt. Die haben sich jedroschen, deß die Fetzen flogen. Bei mir hat er sich denn ausjeweint und erzählt, er kann überhaupt nicht mit ihr. Unter uns jesagt, ick hab mir vor dis Mannweib direkt jefürchtet, wenn se freitags kam und Bandermanns Lohn kassierte. Aber ne Scheidung war ebent bei die Leute nicht drin. Dazu warense ville zu anständig. Nicht etwa, deß er kirchlich jewesen is - im Gejenteil, er sagte immer, er zahlt keine Kirchensteuer; wenn die Kirche Jeld brauch, soll der Küster Eintritt nehmen. Und trotzdem stand Bandermann auf den Standpunkt: Was Jott zusammenjebacken hat, soll der Mensch nicht auseinanderpolken. An son Charakter könnten sich die jungen Leute wirklich ne Scheibe abschneiden. ’ne ordentliche Koppwäsche täte bei Ihnen mal wieder nischt schaden.

Wissense, ick dürfte ja nicht der Staat sind. Denn würde ick in dis Jesetz aufnehmen, deß die Männer erst mit dreißig heiraten dürfen. Denn hamse ihre Erfahrungen jesammelt und sich die Hörner abjestoßen. Muttern hat mir in diesen Punkte widersprochen und jemeint, denn müssten die Frauen disselbe Recht kriegen. Hat der Mensch Worte, sag ick, bei ner Frau is dis janz anders. Welcher anständige Man heiratet denn sone Person, wo schon vorher ’ paar Jalane jehabt hat und villeicht morgens ihr uneheliches Balch in Kinderjarten bringt? Dis wäre jar keine Schande mehr, sagt meine sojenannte bessere Hälfte, und wenn sie noch mal zwanzig wäre, würde sie sich lieber son kleinen Hosenscheißer anschaffen als son ollen ekligen Kerrel wie mir, und 'denn würde sie auf Arbeit jehn, und zwar als Platzanweiserin ins Kino. Dis war schon immer ihre Idee, aber ick hab ihr natürlich nicht tjelassen. Was würden denn die Leute sagen, wenn ne Frau vom Frisörmeister arbeiten jeht! Nee, Frieda, konnt ick nur noch seufzen, früher haste anders jeredet. Du ooch, sagt sie, aber seit mit dir nicht mehr ville los is, machste auf Moral. Jrade wollt ick wenigstens mitte Faust aufn Tisch hauen. Da sagtse, sei man friedlich, Willem, bisher hat es doch noch janz jut mit uns jegangen. Und denn kochtse Kaffe und holt noch eine von die juten Westzijarren raus, wo se heimlich ins Vertiko verstochen hat. Na, sfchön, ick muss mir ebent langsam auf sone moderne Frau wie ihr umstellen. Wenn ick nur wüsste, ob dis wirklich bloß Spaß war: Sie sagte nämlich, lass man, Vater, wenns mit deine Jichtfinger schlimmer wird, setzte dir zur Ruhe, und ick bau den Laden zu ner öffentlichen Eheberatung um. Möglich is ja alles, und daran sehnse, was son scheußliches Jesetz ausm Menschen machen kann.

Wissense, es sind ja nicht die unehelichen Kinder, was mir so ärgert - ick hätt ja beinah mal selber mussten zahlen -, nee, aber deß sich der Staat so brutal in familiäre Dinge einmischt ... unterm Kaiser und inne Süstemzeit wäre dis jar nicht möglich jewesen. Da jing der Mann auf Arbeit, und die Frau machte den Haushalt, und alles war in Butter, und die Kinder wuchsen meistenteils in schöne Seelenharmonie auf. Und wenn dem Ollen mal so nach Tamerlan war, und er jing in ein Lokal mit Damenbedienung, denn war dis sein jutes Recht und kostete ja schließlich sein Jeld. Heute findense sich doch jar nicht mehr mang durch. Wenns bei uns noch sone Häuser jeben täte, müsste der Mann zu seine Frau jehn und sagen: Von mein Wochenlohn hab ick Kinderjarten und deine Fachbücher bezahlt, nu jib mir mal fuffzig Mark fürs Pressecafé! Und der Punkt is leider jar nicht in dis neue Jesetz aufjenommen, woran Sie ermessen können, wie unsozial der Staat im Jrunde denkt.

Soll ich Sie noch ’n Koppwasser rein machen? Wenn Sie in vierzehn Tagen wiederkommen, brauchense sich nicht wundern. Muttern hat nämlich jesagt, sie kann mir sojar zwingen, ihren Meechennamen anzunehmen, wenn ick mir nicht anständig gejen ihr benehme. Und denn steht eines Tages an meine Ladentür nicht mehr Willem Kleinekorte, sondern Willem Paddenpuhl. Man kann ja nicht wissen, wie weit die Weiber dis Familienjesetz noch auf die Spitze treiben.

Frisör Kleinekorte in der Fahrschule