Frisör Kleinekorte in Venedig und anderswo - C. U. Wiesner - E-Book

Frisör Kleinekorte in Venedig und anderswo E-Book

C. U. Wiesner

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Beschreibung

„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“ Mit diesen Worten begrüßt ein bekannter Berliner Frisör gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden. Die Stammautoren und Stammzeichner aber veröffentlichten ihre Arbeiten auch weiterhin in der Zeitschrift und im Buchverlag. Zwischen den Leitungen der beiden Unternehmen herrschte zeitweise eine leichte, wenn auch nie offen ausgesprochene Animosität. Ernst Röhl, Wirtschaftsredakteur der Zeitschrift, hatte ein ausgemachtes Faible für heiße Eisen, aber die mussten möglichst raffiniert verpackt werden, damit sich bestenfalls die Zielfiguren die Finger daran verbrannten, nicht aber Redakteur und Autor. Da war für uns Eiertänzer schon Turnierformat vonnöten. Konnte man einen Missstand nicht frontal angehen, so war die bessere Möglichkeit, den Frisör Kleinekorte über das Thema paraphrasieren zu lassen. Das klappte fast immer, was vielleicht auch daran lag, dass die eingewanderten Genossen der ZK–Abteilung Agitation und Propaganda des Berlinischen nicht mächtig waren. Zweimal aber blieben Kleinekortes Monologe schon beim Chefredakteur Gerd Nagel hängen. Beiträge, die im Heft erscheinen sollten, wurden mit einem sogenannten Laufzettel versehen und bei allen Redakteuren herumgeschickt, auf dass jeder kurz seine Meinung dazu mitteilte. Das letzte Wort hatte jedoch der Chef. Bei meinem Text Frisör Kleinekorte – ein Rufer in der Wüste notierte er: „Das ist eine Bankrotterklärung für unsere sozialistische Volkswirtschaft. Nein und nochmals nein!“ 1980 fragte mich Ernst Röhl: „C.U., hast du nicht ne Idee für unser Silvesterheft?“ Ich schlug vor, das Heft so zu gestalten, als wäre es genau 200 Jahre zuvor erschienen. Es wurde tatsächlich eine recht lustige und auch ein bisschen freche Nummer. Nur dass mein Beitrag im Heft nicht mehr auffindbar war: Barbir Caspar Wilhelm Kleinekorthe raisonnirt über seinen König. Parallelen zwischen dem grämlichen Alten Fritz (*1712) und dem Generalsekretär E. Honecker (*1912) – das war wohl für einen guten Genossen doch ein zu starker Tobak. Von da an mochte ich nicht mehr für die Zeitschrift arbeiten sondern nahm dankend das Angebot von Verlagsdirektor Wolfgang Sellin an, künftig die Kleinekorte-Monologe von vornherein nur für die Buchausgaben zu verfassen.. Allerdings wurde besagter Silvestertext erst 1994 im fünften Band, Salongespräche aus drei Jahrzehnten, veröffentlicht.

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Impressum

C. U. Wiesner

Frisör Kleinekorte in Venedig und anderswo

ISBN 978-3-86394-404-9 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1981 im Eulenspiegel Verlag Berlin.

Titelbild: Ernst Franta

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Frisör Kleinekorte und die halbnackten Tatsachen

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Dis schöne alte Lied werdense doch noch kennen: In der Nacht, in der Nacht, wenn die Liebe erwacht ... Ich sage Ihnen, dadrin liegt ne tiefe Lebensweisheit begraben, und dadran kann auch der Sozialismus nischt ändern. Bei die heiligsten Jefühle der Menschheit muss es duster sein, sonst fungsjoniert der janze Zauber nicht. Jedenfalls nicht bei mir. Wenn mir so alle Vierteljahr mal wieder nach Tamerlan zumute is wie einst im Mai, denn klapp ick mein Magazin zu und sage zu Muttern, sie soll jefälligst dis Licht vorher ausknipsen. Moment, Willem, meintse denn, ick muss bloß noch schnell dis Kochrezept inne Für Dich zu Ende lesen, oder willste mir bloß verklapsen wie neulich? Nehmse mal den Kopp ’n bißken runter!

Sehnse, darin besteht ebent die schöne neue Kehrseite von unsern Staat: deß man über sone Sachen wie Intimfähre und Sexualität völlig offen reden kann. Wie unse Jungs noch klein waren, hab ick se mal mächtig mussten den Arsch versohlen. Da hamse nämlich in mein Bücherschrank jestöbert und die schweinischen Fotos jefunden, wo ick sorgfältig auf Schillers Werke verteilt hatte. Da war ick villeicht sauer. Vor allem, weil Muttern die Bilder stantepeze inne Kochmaschine verbrannt hat.

Also, ehrlich jesagt, janz so frei wie früher is man in diese Beziehung bei uns ebent doch nicht. Na jut, inne Zeitungen schreibense allerhand dadrüber, aber dis erinnert mir mehr so an den Feldzug für jesunde Ernährung. Auch im Fülm und Fernsehn zeigense ab und zu ihre Nackedeis, aber da isses denn meistens höhere Kunst, und da verjeht einen gleich alles. Wissense, so der kleine Fiff wie inne zwanziger Jahre, der fehlt ebent, weil se bei uns immer unsicher sind: Isses nu jrade noch sozialistische Lebensfreude, oder stinkt es schon nach verfaulte bürgerliche Moral? Und im Zweifelsfalle denkt der Staat jenau wie Muttern: Wenn dis Fleisch von vorjestern auch nur ’n kleinen Stich hat, wanderts gleich in Mülleimer.

Jetz isse jrade nachm Konsum rüber, da kann ich Sie endlich von unser jroßes Abenteuer erzählen. Letztes Wochenende war doch in Krampenow der FDGB-Pokal ins Schaufrisieren, und da hattense mir ne Einladung jeschickt, als Ehrenmitglied mit Begleitperson. Weil sich Muttern nicht janz extra fühlte, hab ich meinen Jehülfen mitjenommen. Dafür spar ick seine Jahresendprämie ein. Aufe Hinfahrt ham wir schon ’n Kleinen jeschnasselt, aber dis war Notwehr, weil se verjessen hatten, den Zug zu heizen. Herr Kafforke kam mächtig in Fahrt und erzählte mir andauernd, deß wir abends den Deibel danzen lassen wollten und was er so schon alles von den berühmten Intersex jehört hätte.

Herr Kafforke, sage ich auf meine juvenale Art, erstens is dis eine Dienstreise, zweitens stellnse sich in Krampenow lieber auf Sächsisch anstatt auf Sexy ein. Mit Porno und sone Sauereien müssense sich noch ’n paarJährchen jedulden, bis Se Rentner sind. Meint doch dis olle Ferkel, so lange hält er dis nicht mehr aus, denn stellt er einfach ’n Antrag auf Dissident. Oi, oi, oi, Herr Kafforke, sag ick, dis denkense sich man nicht so einfach. Dazu brauch man heute ein mehrjähriges Studium, und hinterher heißt man nicht mehr Dissident wie früher, sondern Fachzahnarzt.

Mit dis Schaufrisieren kann ich Ihnen verschonen. Irgendwie bringt man als Dienstreisender seine Pflicht hinter sich, und denn erhebt sich die Frage: Wie schlagense den Abend dot und sich die Nacht umme Ohren? Über die Ohren werd ich mal ’n bißken wechnehmen, oder?

Kommt doch mein Jehülfe nachs Abendbrot janz aufjeregt von die Hotelrezeptur anjesaust: Scheff, meint er, heute Abend gibs ne Modenschau in Nacht- und Unterwäsche, ick hab zwei Karten erwischt! Zuerst war ich gar nicht bejeistert. Ick musste an den Handlungsreisenden denken, wo sich mir mal im Zug vorjestellt hatte: Jestatten, Hummel, reise in Damenunterwäsche. Darauf icke: Isja janz nett, aber an Ihre Stelle würd ick dis lieber für mich behalten.

Also jut, ick werd mir in Unkosten stürzen und mir mit Herrn Kafforke in dem Salong Arschrabatt bejeben, was mir schon ziemlich anrüchig klang. Der nebenan hieß Duschschaum B, war aber jrade für die Delektierten zum Frisörkongress reserviert. Später erfuhr ich, deß die Salongs alle nach mittelasiatische Hauptstädte benannt sind. Auch jut, sag ick, stell ick mir janz ulkig vor, wenn die Häschen hier alle aufs Kamel überm Laufsteg einreiten. Denn war ick erst mal sauer, weil uns der Ober kein Bier bringen wollte, sondern bloß Herrenjedeck, und von Sekt krieg ick gleich Sodbrennen. Aber denn wurde es jemischt.

Da machtense ne lilane Beleuchtung an, und ein Fatzke in son Flimmerschakett trat auf Podium. Erst erzählte er ein schweinischen Witz, aber den hab ick verjessen, und denn sprach er über die Planerfüllung von den VEB Nachtfalter. Und denn jings los.

Herrn Kafforke hab ick dauernd mussten inne Rippen knuffen. Den stand förmlich dis Maul offen, wie die kleinen Meechen mit knallroten Kopp ihre Flatterhemden aufn Laufsteg repräsentierten. Scheff, die ham jar nischt drunter, flüsterte er janz aufjeregt, ob die sich noch weiter ausstrippen? Dazu quasselte der Fatzke: Und nun dis Modell Jungaktivistin, beachten Sie die Rüschen am Höschen. Sie wurden entwickelt von ein Neuereraktiv der Brigade Frieda Hockauf. Ick wusste jar nicht mehr, wo ick hinkicken sollte. Aber denn kams noch döller. Die Kapelle spielte: Aber bitte mit Sahne. Und nu danzten die kleinen Engelchen bloß noch mit Büstenhalter und klitzekleine Schlüpper überm Laufsteg, und der Fatzke erzählte was von körperjerechter Wäsche unserer werktätigen Frauen.

Über die Bemerkungen von die anjesoffenen Kollegen Frisöre will ick lieber schweigen. Dis dickste Ding hab ich leider verpasst, weil ich nach dis viele Herrenjedeck mal wohin musste. Da zeigtense ne Spezialschau des Bandaschistenverbandes: Korsetts und Jummistrümpe und Leibbinden und Spreizfußeinlagen und Suspensoriums für sone sojenannten Herren, die beim Schneider nie jenau wissen, ob se Linksträger oder Rechtsträger oder womöglich beides sind. Aber da hatt ick mir schon in mein Bette verzappt und lieber an Muttern jedacht, wie se noch jung und knusprig war. Dazu hab ick die Selter jetrunken, wos im Interhotel sojar umsonst eine gibt, und ne Ansichtskarte nach Hause jeschrieben: Weißte noch, Muttern, wie wir uns als junge Leute in ein Kornfeld janz derb verjessen hatten?

Wie ich jrade noch davon träume, kommt Herr Kafforke ins Zimmer jepoltert, dis muss gejen fümwe jewesen sind. Jeht ans Waschbecken - also nicht, was Sie denken - und kühlt sein blaues Auge. Was denn, sag ick, sind Sie überfallen worden? Nee, kann er jrade noch lallen, wie ich mit dis Starmannequäng für schwarze Reißwäsche zur Sache kommen will, hat se mir ’n paar jescheuert und mir belehrt, desse Mutter von vier Kinder is und die janze Schau nur als Selbstverpflichtung und Rabbottnik zum Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik mitjemacht hat.

Jottseidank hatt ick noch ne Taschenflasche im Koffer. Auf die Art konnt ick Herrn Kafforkes verrutschtes Bewusstsein wieder jradebiegen. Kennse den Unterschied zwischen ein Kosmonauten und ein Dienstreisenden? werd ick ihn fragen. Sigismund Jähn, wenn der nach de Sterne jreift, steigt er auf, aber wenn Sie werktätige Frauen irjendwohinjreifen, fallense auf de Schnauze.

Macht zweifuffzig.

Frisör Kleinekorte wird befördert

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Stoßense sich man nicht an meine fleckigen Finger, dis is noch gutes Vorkriechsschmieröl, dis jeht weder mit Scheuersand noch mit WC-Reiniger runter.

Nee, ick hab kein neues Haarwuchsmittel erfunden, ick arbeite zurzeit an die Lösung von meine Nahverkehrsprobleme. Aus diesen Behufe hab ich mit Herrn Kafforke ein Bastelzirkus jegründet.

Wir wollen nämlich versuchen, meinen Rumpel-Rudi aus sein Dornröschenschlaf aufzustöbern, aber Muttern dürf davon nischt wissen, denn die würde mir glatt unter Kuratorium stellen lassen. Nehmse mal den Kopp ’n bißken runter!

Rumpel-Rudi is meine Beiwagenmaschine, ein echter Old-Eimer, ne Harley-Davidson von zwölfhundert Kubik. Die hab ick seinerzeit kurz nach die Weltwirtschaftskrise für ein Spottpreis von den bekannten Rennfahrer Piepe Ballermann seine Witwe erworben. Aber Muttern hat mir nie mitfahren lassen, denn ick war damals noch ein viel tollkühnerer Draufjänger als wie der selige Ballermann. Im Kriech hab ick Rumpel-Rudin in meine Laube verstochen, damit se ihm nicht für den Endsiech beschlagnahmen. Nach fümmenvierzig jabs kein Benzin, und denn war ick auch langsam ruhiger jeworden. Nu steht dis Aas seit viele Jahre nutzlos bei uns aufm Hoff in Holzschuppen, und trotzdem putz und öl ick ihr und mach und tu, weil ick so dis dunkelblaue Jefühl nicht loswerde, eines Tages steigt Rumpel-Rudi doch noch wie der Vogel Felix ausm Aschkasten empor, und denn donnere ick als Uralt-Rocker über Berlins Straßenbilder und pfeif auf den janzen Nahverkehr.

Wenn einer son neuen Moskewitsch fahrt wie Sie, denn hat er natürlich keine Sorgen. Denn kennt er seine Gegner in Jestalt von die andern Autofahrer Auge in Auge und Zahn um Zahn. Tschuldigense den kleinen Kratzer, ick jeh gleich mitten Blutstüller rüber. Aber bei die öffentlichen Verkehrsmittel hab ich immer den Eindruck, die sind nicht für uns Fahrjäste da, sondern umjekehrt. Dis fangt schon beim Fahrkartenverkaufen an. Seitdem ick mir mai leichtsinnigerweise auf den Jeldwechselautomaten verlassen habe, beul ick mir meine Jacketttaschen immer mit ne janze Handvoll Zwanzigpfennigstücke aus de Ladenkasse aus. Bei der U-Bahn und inne Elektrische jeht dis janz jut, außer wenn die komische Glückstrommel mit die Fahrscheine grade leer is.

Passierte mir neulich, wie ick hinten einjestiegen war. Nu drängle ick mir nach vorne durch, um mir mit alle Jewalt ehrlich zu machen, lass mir zwei Knöppe vom Mantel abreißen und wen trefff ick jenau inne Mitte? Den Kontrolleur, und der frägt mir prompt nach mein Fahrausweis. Wie ich ihm die Sachlage schildere, besteht er in ein janz patzigen Ton auf ne Tatortbesichtijung. Wir uns also zurückjedrängelt, und dabei jing der dritte Knopp ab. Nu ferzt der Mann mir ooch noch an und meint, denn müsste ich ebent an der vorderen Trommel bezahlen. Wat heißt bezahlen, sag ick, ick hab doch hier schon was reinjestochen, jetz will ick vorne den Fahrschein, aber jratis! Wenn ick krakeele, sagt er, kann ick als Schwarzfahrer zehn Mark bezahlen. Aber diesmal hatte ick Glück, weil auf den Perrang zwei Stammkunden von mir standen und meine Ehrlichkeit eigenhändig beobachtet hatten. Trotzdem hab ick auf de Rückfahrt aus Rache mit ein abjerissenen Mantelknopp bezahlt, bloß, weil mir der affige Ton von den Kontrolleur jeärgert hat.

Bei der S-Bahn kann man mächtig reinfallen, wenn bei die Selbstlocher grade Stunde Null is und der Kontrolleur kein Datum findet. Denn fährt der Mann womöglich von Jrünau mit Ihnen nach Oranienburg, um Ihnen zu überführen. Dajejen bin ick aber jefeit, weil ick immer ein Stempelkissen und ein Datumsstempel bei mir trage. Sie wissen nicht zufällig, wie man Stempelfarbe ausm Mantelstoff rauskriegt?

Weiter will ick mir nicht über der S-Bahn auslassen. Die haben meistens noch so ville Kundendienst, desse vorher Zurückbleiben! rufen und einen nicht grinsend vor die Nase wegfahren wie ne Elektrische oder ein Bus. Und über die Bahnhofsklos sag ick auch nichts, ick hab mir noch nie darum jerissen, mit Jewalt in eine jeschlossene Anstalt reinzukommen. Außerdem sorgen Sie womöglich dafür, desses der Eulenspiegel druckt, und denn ärgert sich bloß der Herr Reichsbahnpräsident, und dis mit Recht von sein Standpunkt. Steht doch immer wieder janz jroß inne Zeitung, man soll endlich aufhören mit die herzlose Kritik an Behörden und Dienststellen.

Nu bin ick zwar als kleiner Herrenfriseur nicht grade auf Rosen jebettet wie der Krösus auf sein zu kurzes Wolkenbette im siebenten Himmel von den jroßen italienischen Dichter Danton, aber ne Taxe kann ick mir trotzdem ab und zu leisten. Und dis is meistenteils ein Erlebnis, was ich mit ein gewisses Gefühl der Rührung jenieße. Da fühl ich mir direkt in meine Jugendzeit versetzt. Viele Taxifahrer ham noch heute denselben Ton drauf wie die juten alten Droschkenkutscher. Wenn die sauer waren, ham die ihre Jäule jenauso anjeblafft wie heute die Schofföre ihre Fahrjäste. Man muss sich ja wirklich jroße Mühe jeben, die Brüder bei jute Laune zu halten. Wenn son Mann anhalten tut, frägt man ihn am besten, wo er einen denn jerne hinfahren würde. Isses nicht zufällig die Gejenrichtung, steigense höflich ein und fahren nachher lieber ’n Stücke mit de Elektrische zurück. Nischt ärgert ne Taxe mehr, als wenn Sie ein zu kurzes Ende oder zu weit in eine entlegene Gegend wollen. Denn lasst der Sie jar nicht erst rein in sein Vieh-Ekel. Einen hab ick mal wiedererkannt, wie er in mein Salon zus Haareschneiden eintreilt. Da hab ick ihm höflich erklärt, dass ick heute nur Kunden bediente, wo sich ne kahle Geige schneiden oder die Haare grün färben lassen wollen. Andererseits dürf man die Taxifahrer auch nicht alle über ein Kamm scheren. Jeder von die is verschieden, dis merk ick am deutlichsten, wenn ick vom Allex nach Hause fahre. Da muss es mündestens fünf Preisstufen jeben, und die teuersten Taxen barmen so dolle über ihr schmales Einkommen, deß mir beinah die hellen Tränen kommen. Aber dagegen kämpf ick mannhaft an, denn in meine Ladenkasse is soville Kleinjeld, deß ick immer passend zahlen kann.

Nicht deß ick jeizig bin, aber ick muss jetz mein Knatter zusammenhalten. Wenn mir Muttern nicht ’n Strich durch die Rechnung macht, überhole ick mit Rumpel-Rudin bald sämtliche Taxen auf de Schönhauser, aber sone Zwölfhundertlitermaschine säuft natürlich mehr als wie Fleischer Meusel sonnabends im Blauen Affen. Und wenn man so die janze Erdölkrise bedenkt, wart ick villeicht doch lieber, bis unser städtischer Nahverkehr eines Tages so attraktiv wird, wie unsere högsten Stellen angekündigt haben.

Macht zweifuffzig.

Frisör Kleinekorte als Universalgenie

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Dis geht gleich los. Die Arbeitskräftesittuatzjohn wird immer komplessierter, jedenfalls in mein Salong. Nehmse sich mal so lange ne Zeitung, ick muss bloß noch den Laden ausfegen. Einkaufen war ick vorhin schon. Nee, ick bin momentan völlig auf mir alleine anjewiesen. Mein Personal, also Herr Kafforke und Muttern, die rennen nämlich von Lehrjang zu Lehrjang. So, nu leg ich bloß noch ’n paar Presskohlen nach. Ick muss mir ja beeilen, denn um halb sechse mach ick dichte und begebe mir meinerseits selber aufm Lehrjang. Oder dachten Sie, ich bin ein Frosch und schließ mir von die neue große Massenignazjatiefe aus? Wat denn? Sie ham noch nischt von dis Schulungsprogramm vonne KaWeVau jehört? Na, villeicht hat ausjerechnet unser Stadtbezirk damit anjefangen und jewissermaßen die Nullnullserie von diesen dicken Extraknüller jekreiert. Kann ja sind, deß ihnen sonst nicht jenug einjefallen is zu den berühmten Wettbewerb Mach mit! Schöner unsere Städte als unsere Jemeinden! Denn unter diese Losung drunter laufen nu die Kursusse für Selbsthelfer. Wattensema, ick muss rasch den Eimer auskippen. Dis Rohr unters Becken is schon seit Aujust undicht.

Zuerst hab ick noch wien Rohrspatz auf der Klempner-PeJeHa Spiralnebel drauf rumjehackt, aber nu hab ick mir inwendig richtigjehend entschuldigt. Ick konnt doch nicht wissen, deß sich die Klempner alle auf ihre Lehrtätigkeit als quallefessierte Fachlektoren bei der KaWeVau vorbereiten. Wie sollense denn da noch Zeit finden für sone porfane Arbeit wie Rohrbrüche und verstoppte Lokusse. Nein, in diese Zeit bringense nu die Bevölkerung bei, wie man selber mit die Lötlampe und die olle Scheißspirale hantieren tut. Nehmense mal den Kopp ’n bißken runter.

Diesen Kursus besuch ick nämlich eigenhändig. Herr Kafforke war sich zu fein dazu, und Muttern wollt ick diese Schweinerei nicht zumuten. Aber die machen dis da sehr ordentlich. Meine Professoren sind Bumsmeier und Stotterrudi vonne PeJeHa. Meier macht die Theorie und erzählt, was es bei die Klempner für Arbeitskräftesorgen gibt, und Rudi is mehr so für die praktischen Vorführungen zuständig. Dis is auch besser so als wie umjekehrt, denn Stotterrudi braucht sonst zu ville Zeit, trotzdem die beiden Herren Fachlektoren da ville nüchterner sind, als wenn se bei mir vor Ort jearbeitet ham. Leider hab ick mir in dis Fach »Zeitspüler und Spülkastenanlage« schon ne Vier einjehandelt, weil ick mit Fritze Ladenthin jeschwatzt habe. Wenn ick mit den Kursus fertig bin, fang ick noch an, Ofensetzerarbeiten zu erlernen, und dabei denk ick sogar perschpektiefisch. Sehnse, je mehr Wohnungen mit Fernheizung der Staat baut, um so mehr Töpper hängen ihre Lehmmolle an Nagel, und auf diese Weise hab ick noch ne Schangse, falls ick doch mal altershalber mein Salong anne PeJeHa Wellenreiter abtreten muss. Hinten ’n bißken kürzer, wa?

Die andern vier Kursusse teilen sich Muttern und Herr Kafforke. Muttern hat Tischlern und Schlossern belegt. Erstens, meintse, kannst du sowieso kein Nagel grade einkloppen, und zweitens, meintse, haste schon dreimal. die Schlüssel verbummelt, und wir standen vor Türen. Und was Herrn Kafforken betrefft, der tut sich bei die Kursusse Maler- sowie Maurer-, Putz-, Betonlegerarbeiten als Musterschüler hervor. Dis is immer bei diesen staubigen Kunden eine janz schnöde Berechnung. Bis jetz malert er nur Wohnungen, zum Teil sojar mitten inne Dienstzeit, und als Jeschäftsstelle missbraucht er meinen Salong. Quasselt die Stammkunden beis Haareschneiden an und sagt, er kann ihnen noch janz andre Sachen als bloß immer den Kopp verschönern. Ick hätte ihn ja längst rausjeschmissen, aber wo krieg ick denn ’n Jehülfen her bei die komplessierte Arbeitskräftesittuatzjohn?

Tschuldigense, dis is bloß ’n Kratzer, ick jeh gleich mitm Blutstüller rüber.

Nu denkt sich nämlich Herr Kafforke, in Kürze kann er mit seine neuen Fähigkeiten auch noch beim Datschenbau groß rauskommen, aber da hat er sich jeschnitten. Sehnse, dis lasst schon nach, brennt bloß ’n bißken. Er rechnet ja nicht damit, deß die Leute auch die janzen Kursusse besuchen und sich in Zukunft ihre Datschen janz alleine hochleiern können. Dis is nämlich der Haken von die Medallje und der endjültige Bankrott von bestimmte Handwerkerinnungen, wo sich besonders schlau vorkommen. Jenau wie ein Zauberkünstler, der seine janzen Tricke an dis Publikum verraten tut. Über den grinsen die Leute doch, und denn kann er höchstens noch als Pausenklohn auftreten. Aber sone Männer wie Bumsmeier oder Stotterrudi, die nimmt doch nicht mal ’n Wanderzirkus. Die landen janz eiskalt inne Industrie - obwohl - Fritze Ladenthin meint, jrade über die beiden würde sich sein Kombinat nicht besonders freuen, da muss nämlich ordentlich und sauber jearbeitet werden.

Wenn ick nu nachts wieder mal nicht schlafen kann, denn stimmulier ick so vor mir hin, ob die janze neue Schampanje nicht noch mächtig inne Kinderschuhe drinnesteckt.

Der erste Fortschritt war die Selbstbedienung - inne Kaufhalle, bei de Post und anne Tankstelle -, aber nu tritt man in eine neue, höhere Phrase rein, die Selbsthelferei. Damit überwindet man sozusagen hüstorisch die Stufe Eine Hand wäscht die andere - könnse mir jeistig noch folgen? -, und nu heißt es, jede Hand is so universal jebüldet, desse sich selber wäscht, natürlich unter die Anleitung von quallefessierte Fachlektoren wie Bumsmeier und Stotterrudi. Aber nu muss man ebent sone hoffnungsvollen Anfänge weiterentwickeln. Wenn erst alle Frauen ihre Männer selber die Haare schneiden können, dis grassiert ja immer mehr um sich, denn bewerb ick mir beim Magistrat als Scheffignazjator und knall ihm meine kühnen Ideen aufm Tisch. Beispielsweise könnte man in alle Jaststätten die Küche in lauter kleine Kochnischen aufteilen, wo sich die Jäste selber ihr Kotlett braten. Was meinense, wie da unsere Prominenten jubeln würden, wenn sie nicht bloß in die eigene Radio-Küche für die Wochenpost, sondern sich auch inne Stammkneipe selber ihrs schmurgeln dürfen.

Und die Ärzte sollten ihre Kenntnisse jefalligst auch an die Patienten weiterreichen. Dis müsste mit ein Tag der offenen Operationssaaltüren anfangen, denn viileicht ’n Volksmedizinkursus Wie entferne ich einen Blinddarm? Denn kämen endlich auch mal die Leute auf ihre Kosten, wo jetz schon besser wissen, was man für Tabletten nimmt, als wie der Doktor. Und vor die Theater würd ick schon jar nicht haltmachen. Glaubense man, wenn ick da erst mit ’n paar ausjebüldete Selbsthelfer anrücke, gibs da ville weniger Stunk als wie jetz. Als ersten würd ick ne Einmannschau mit Fleischer Meusel bringen lassen. Wenn der Mann nach fünf Doppelte im Blauen Affen den Erlkönig auf Sächsisch zittiert oder ne kotzende Bulldogge mimt, da liegense einfach lang. Jedenfalls würd ick mit meine Maßnahmen ne janze Menge Leute für die Industrie freistellen, aber mir lassense ja leider nie.

Wie ick jestern meine kühnen Pläne vor Robert Köppen ausbreite, Sie wissen doch, der vonne Bezirksleitung, wollte er mir gleich mit sein elektrischen Matrijalismus aufs Kreuz legen. Wenn sone jutjemeinten Kursusse übertrieben werden, meint er, denn hätten wir ja noch weniger Arbeitskräfte als wie vorher: Wenn nämlich die Leute alle Dienstleistungen selber machen müssen, hamse jar keene Zeit mehr, auf ihre richtige Arbeit zu jehn.

Wat denn, sag ick, ihr wollt doch immer den allerseits jebüldeten Menschen? Grinst er bloß und meint, aber jeder kann doch nicht alles können, oder willste dir ooch deinen Tabak wieder selber aufm Balkong anbauen wie fümmenvierzig? Und denn wollt er mir noch weismachen, sie sind eigentlich mehr für Arbeitsteilung und Spezialisierung. Aber in diese Beziehung bin ich ein Fuchs und warte erst mal den nächsten Parteitag ab. Und wenn Robert Köppen recht hat, denn sag ick den Töpperkursus ab und lass mir lieber aufe Volkshochschule griechische Jötterkunde einbimsen. Denn versteh ick wenigstens die modernen Theaterstücke. Macht zweifuffzig.

Frisör Kleinekorte und die Pflichtabgaben

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Beachtense bitte mal mein neues Transpirent, was mir Herr Kafforke hat mussten pinseln! Nee, im Spiegel isses verkehrtrum, aber ick les es Ihnen jerne vor, so was jehört bei mir zum Zerwitz: Verehrter Kunde! In meinem Salong bekommen Sie das Haar mit einem Kamm gekämmt.

Nu sagt natürlich jeder: Na und? Dis is doch selbstverständlich! Und bei Lichte besehn, stimmt dis sojar, aber ick sage mir immer, wenn Se bei uns nicht ordentlich Jedöns um was janz Selbstverständliches machen, denn fallense nicht auf, oder wie dis früher hieß: Klappern gehört zus Handwerk.