Frisör Kleinekorte – Salongespräche aus drei Jahrzehnten - C. U. Wiesner - E-Book

Frisör Kleinekorte – Salongespräche aus drei Jahrzehnten E-Book

C. U. Wiesner

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Beschreibung

„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“ Mit diesen Worten begrüßt ein bekannter Berliner Frisör gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden. Dreißig Jahre lang hatte er in der Zeitschrift Eulenspiegel und im gleichnamigen Buchverlag über das Leben in jenem seltsamen Land philosophiert, das sich über Geborgenheit, aber auch über Sicherheit definierte. Was seinen Bewohnern noch jahrzehntelang als Makel angehängt werden sollte. Im Jahre 1990 wurde der Eulenspiegel Verlag durch jenes Institut liquidiert, das man irreführend Treuhand nannte. Bald darauf gab es einen neuen Verlag gleichen Namens. Der brachte im Jahre 1994 so etwas wie Best Of Kleinekorte heraus, das war eine Auswahl aus den vorangegangenen vier Büchern, dazu einige Texte, die nach dem Mauerfall im Eulenspiegel erschienen waren. Dies war der Endpunkt einer Erfolgsgeschichte: Eine Gesamtauflage von einer halben Million Bücher. Eine Theaterfassung: Kleinekortes Große Zeiten, die 1969 unter der Mitregie des Autors am Volkstheater Rostock uraufgeführt wurde, dort viele Jahre an mehreren Spielstätten erfolgreich lief und an etlichen Theatern – außer in Berlin – nachgespielt wurde. Eine Fernsehfassung am Studio Rostock 1970. Natürlich ließ ich es mir nicht nehmen, selber in die Rolle des Willem Kleinekorte zu schlüpfen. In manchen Jahren waren es mehr als siebzig Auftritte im Rundfunk, auf Kabarettbühnen und auf gut besuchten öffentlichen Lesungen. Beinahe wäre es auch noch zu einem DEFA-Film gekommen. Der Erzkomödiant Rolf Ludwig lag schon auf der Lauer. Leider war ich an den falschen Dramaturgen und den falschen Regisseur geraten. Trotzdem bin ich, inzwischen selber ein Methusalem, noch immer ein bisschen stolz auf mein literarisches Geschöpf, den Frisör Kleinekorte, den das Brandenburg-Berlinische Wörterbuch in eine Reihe mit den Figuren von Glassbrenner und Tucholsky gestellt hat. C. U. W.

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Impressum

C. U. Wiesner

Frisör Kleinekorte – Salongespräche aus drei Jahrzehnten

ISBN 978-3-86394-420-9 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1994 in Eulenspiegel – Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH, Berlin.

Titelbild: Ernst Franta

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Frisör Kleinekorte soll ein Vorwort schreiben

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Tschuldigense, Sie sind ja schon längst in Rente und warten seit zwei Jahren auf derselben, aber was mir betrefft, ick hab die letzten Nächte so jut wie jar kein Auge zujedrückt. Stellnse sich mal vor, dieser Eulenspiegel Verlag, wo nu wieder auferstanden is wie der Vogel Felix ausm Aschkasten, is an mir heranjetreten: Ick soll ein Pornolog, zu deutsch ein Vorwort zu meine eigenen Kundenjespräche aufschreiben. Da wollen die eine neue Edith John davon herausjeben.

Wenn ick dis Wort herausjeben höre, fallen mir nur die allerjeizigsten von meine Kunden ein. Und allet, wat mit Logen zu tun hat, ob die nu Metreologen, Idealogen oder Pullitologen heißen, sind für mir zeitlebens als Schwindler sozusagen jerichtsmotorisch. Der eene setzt sich als Holzhacker nach Holland ab, der andre als Niersteiner Spätlese nach Chile, und der dritte jeht nach dem Verlust der Bundestagswahlen in sein heimatliches Orgasmusheim Saumagen fressen. Und da soll ick Vorwörter schreiben!

Inne fuffziger Jahre kam son junger Spund aus de Bötzowstraße hier bei mir umme Ecke Haareschneiden. Ein jewisser Wiesner. Mieses Haarmatrijal mit Neigung zu Frühverglatzung, aber immer lange Ohren. Eines Tages, ick lese nichts ahnend den Eulenspiegel, stoßt mir doch tatsächlich mein eigenes Kundenjespräch auf, natürlich völlig verbalinjurienverhornt, und denn nennt er mir ooch noch Kleinekorte, wo doch jeder hier im Kiez weiß, wie ick richtig heiße.

Nu hab ick mir damals schon jesagt, mei Homo is mei Kassler, und an Wagen fahren lass ick mir nicht. Aber weil ich nu mal ein Fuchs bin, stell ich mir einfach dusselig und werd mal sehn, wie weit der dis noch treiben tut.

Also erst mal hat er mir diesen Karl Schrader heimlich als Porträtisten aufm Hals jeschickt, aber der hat mir zu sehr konterkariert. Wie ich wirklich ausjesehn habe, sehnse an die Schnellzeichnung von den bekannten Berliner Maler Gerhard Vontra aus die Schkatstadt Altenburg.

Und denn hat dieser Wiesner uff Deibelkommraus immer wieder alles erfunden, was ick - na ja, zum Teil - würklich so vor mir hinjequasselt habe. In Rostock, Brandenburch und andere Theaterhochburgen hat er meine Wenigkeit sogar auf der Bühne jezaubert, aber total lächerlich, wovon ich mir bei ein Besuch 1969 inkacknito überzeugen musste.

Und was dis schlümmste war, er is durch diese janze riesige DeDe-Dingsda rumjetingelt und hat mir immitatiert, sojar in diesen sojenannten Palast der Republik, jedes Jahr vor fuffzehntausend Personen, und Muttern, Herr Kafforke und ich durften froh sein, deß wir Freikarten und ne Bockwurscht kriegten. Aber diesen Wiesner und seine Spießjesellen traf die Strafe auf ihrem linken Fuße: Jeden Winter müssense nu mündestens eine Woche lang husten, weil se so ville Aspest jeschluckt ham.

Nu werd ick ja von die Kundschaft immer wieder auf mein Alter anjesprochen, aber da kann ick nur sagen: Lassense sich nischt von Wiesnern erzählen, der bringt alles durchenander. Kann sein, ick schnippele noch immer mit Herrn Kafforke in mein Salong inne Dimitroffstraße, kann aber ooch sind, ick klucke mit Muttern in ein Senatorenheim und bitte meine Söhne Justav und Otto zur Kasse, weil dis bißken Rente weder zum Leben noch zu Jrieneisen reicht. Kann aber ooch sind, ick sitze schon längst mit meinen Kollegen Fritze Bollmann aus meine Heimatstadt Brandenburch auf Wolke siebzehn, und wenn wir unser zehntes Hümmelspils jezischt ham, knöppen wir unsern Hosenstall uff und residieren meinen alten Stammbuchvers: Schiffe ruhig weiter, wenn der Mast auch bricht, die Pulletick war heiter, jeändert hat sich nischt.

Dis sehnse schon an dis Dokument, wo ich drum jebeten habe, im Apppenzickendings, also im Anhang beijefügt zu werden, ein Kundenjespräch von mein Ururjroßvater Caspar Wilhelm ausm Jahre 1781 (hatte übrigens der Eulenspiegel jenau zweihundert Jahre später Schiss, es abzudrucken).

Wenns nach mir jegangen wär, hätt ick inne letzten fuffzig Jahre vieles anders jemacht. Von Natur aus bin ick ne faustische Natur, aber mir hamse ebent nie jelassen.

Und statt ein Vorwort fällt mir bestenfalls ein Stetsment ein: Die Pulliticker kommen, fallen auf dem Arsch oder schnüren ihr Äkschenbündel, aber die Haare wachsen immer.

Frisör Kleinekorte trauert verlorenen Werten nach

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, mit Ihre Lockenpracht is aber auch kein Staat mehr zu machen. Ick glaube, wenn Se dis nächste Mal kommen, hamse ne kalte Platte. Und wissense, woran dis bei Ihnen liegt: Sie ham zu ville männliche Harmone. Aber die Haarwuchsmittel sind ja man auch der reinste Tinnef, da machense bloß die schemischen Fabriken mit reich. Ick sage immer, es gibt nur ein reelles Mittel: dreimal am Tag kräftig bürschten - am besten mit ne janz harte Bürschte.

Ja, wenn ick ein Haarwuchsmittel erfinden täte, was würklich hilft, denn wär ick ’n jemachter Mann. Was ick mit dis viele Jeld anfangen würde?

Jott, wissense, ick bin jetzt an die Zweiundsiebzig, stellnse da noch jroße Ansprüche ans Leben? Tja, ick könnt mir beispielsweise alle vierzehn Tage ’n neuen Anzug bauen lassen, aber dis trägt ja unsereiner nicht mehr ab. Und dis Trinken bekam mir früher auch besser. Neulich hab ick mit ’n alten Kriegskameraden ’n Kleinen jepichelt, na, dis mögen so Stücker zwölf Spezi und zehn Pils jewesen sind, andern Tag dootsterbenskrank! Dis is ebent alles nicht mehr dis richtige! Moment mal, ick will bloß dis Messer scharf machen. Wissense, man müsste einfach für dis janze Jeld nackte Meechens bestellen und die denn danzen lassen. Und die janzen Pressefritzen, die könnten bei mir aufkreuzen und fotojrafieren, da wär ick jar nicht kleinlich.

Ach, man sagt dis alles so, aber dis is heutzutage überhaupt nicht mehr drin. Die Menschheit is ja so prüde jeworden. Dis muss so - wartense mal - inne Systemzeit jewesen sind, da kamen doch immer - dis werden Sie jar nicht mehr kennjelernt ham - die Hausierer mit ihre Bauchläden. Oben in den Kasten hattense Schnürsenkel, Sockenhalter und hüginische Artikel, und dadrunter war ’n doppelter Boden. Und dadrin lagen denn lauter Fotografien - ick muss ja sagen, sehr freie Darstellungen. Und die hamse bei uns Frisöre fürn Fumziger abjesetzt. Wir hamse denn weiterverscheuert an die feine Kundschaft: dis Stück ne Mark, und ne Mark, dis war damals noch ’n Stücke Jeld.

Nehmse mal den Kopp ’n bißken höher. Ach, es jab ja noch ville schönere Sachen, dis kennt die Jugend heute jar nicht mehr. Was mein Neffe Oswald is, der jetz in Charlottenburg ans Jericht arbeiten tut, der hat, als er noch bei uns nebenan inne Blumenstraße wohnte, ’n richtigen Kinoapparat jehabt, so einen mit bewegliche Bilder, und da jab es, ick glaube an Dönhoffplatz, son Laden, wo Se echte französische Sittenfülme ausleihen konnten, für eine Mark fumzig die janze Woche. Wenn denn der Sonnabend ran war, wurde die Bude verdunkelt und ’n Bettlaken anne Wand jepinnt. Die Damen saßen nebenan und tranken ihren Kaffee, und wir Herren begaben uns in unserem Kintopp und machten Spannemann bis nachts um zwölfe.

Von diese Erinnerungen lebt man nu heute.

Scharf nachwaschen, Herr Jeheimrat? Was aus den Apperat und die Fülme jeworden is? Na, dis Haus, wo mein Neffe wohnte, wurde noch vierenvierzig runterjebombt, und da liegt dis nu alles mitten unter die Trümmern.

Tja, wenn man bedenkt, was der Krieg so für Werte vernichtet hat!

Frisör Kleinekorte wird es warm ums Herze

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat, was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Ich werde Sie mal die Haare nicht so kurz schneiden, wennse bei den Frost immer ins Freie sein müssen. Heute früh, wie ick die Schallesie hochziehe, war alles voll Raureif. Dis sah ordentlich feierlich sah dis aus, wie mit Puderzucker.

Und Schlächter Meusel hat villeicht geflucht, weil sein oller Wartburg nicht anspringen wollte. Is ja auch kein Wunder: Bei die Temperaturen friert der Ostbenzin glattwech ein.

Ick verheize jetz jeden Tag zwei Eimer Kohlen in den Eiserofen, und kalte Beine kriegt man doch beim Stehn. Aber ick tröste mir immer und sage mir, der Winter is eine Naturerscheinung, und der Mensch is nu mal kein Zugvogel, deß er in dem sonnigen Süden abzittern kann. Und son Winter hat ebent auch sein Gutes. Nehmse zum Beispiel das Weihnachtsfest. Da wird einen doch so richtig warm ums Herze rum. Wenn denn draußen so der Schnee glitzert und so.

Übrigens, is Ihnen dis schon aufgefallen? Früher ham wir an Heiligen Abend immer Schnee gehabt. Ick weiß auch nicht, aber seit fümmenvierzig hat sich die Witterung dermaßen umgestellt, als ob uns die Regierung kein richtiges Weihnachtsfest mehr gönnen täte. Sehnse, und dis gehört nu mal zum Deutschen, und dis lasst er sich auch nicht nehmen. So was Stimmungsvollet findense bei kein anderes Volk. Der Franzose oder der Russe is da ville zu nüchtern zu. Der Franzose is so oberflächlich, deß er nicht mal ’n Weihnachtsbaum kennt, und der Russe, jaja, der hat auch seine schwermütigen Lieder, aber die singt er ebent nicht zu Weihnachten.

Machen Sie dies Jahr ’n Baum? Ick hab jestern erst meinen jeholt, vonne Schönhauser, aber die waren schon so ausjesucht, deß ick nur noch son ruppigen Besen erwischt hab. Um die paar juten soll es Mord und Dotschlag jejeben ham.

Ick hab ja nu keine kleinen Kinder mehr, aber son Baum jehört einfach zum Fest, schon vonwejen die Erinnerungen. Ick weiß doch, wie ick im ersten Krieg bei die Fümmendreißiger in Frankreich jestanden habe, dis muss so - wartense mal -, in Winter fuffzehn muss dis jewesen sind. Da ham wir in unsern Graben jelegen und hatten auch ein kleinen Baum mit richtige Lichter. Und unser Feldwebel, dis war ein Schinder, vor den hamse alle jekuscht, und son junges Bürschchen, den hatte er mal so fertigjemacht, dass sich der Junge ’n Heimatschuss beijebracht hat - aber nu hättense unsern Feldwebel sollen sehn: Wie wir da in Graben »Stülle Nacht« jesungen ham, da sind den Mann die hellen Tränen man immer so runterjelaufen.

Aber so war ebent der deutsche Soldat: außen rau wie’n Bär und innen ’n weichet Jemüt. Und wenn alle so dächten, denn hätten wir bald Frieden auf der Welt, wenigstens den einen Tag im Jahr. Dis fangt nämlich schon inne Verwandtschaft an. Dis ganze Jahr ham wir mit mein Schwager nicht verkehrt, aber gestern sag ick zu meine Frau: Aufn Heiligabend ladste Bertan und Erichen ein und machstse auch ihren bunten Teller. Was meinense, wie feierlich dis immer bei uns wird. Nachmittags jeht meine Frau inne Kirche, da lasstse sich nicht von abbringen, nicht mal von mir, denn ick bin ja der Leidtragende, weil ick mir so lange um den Braten kümmern muss. Vorigtes Jahr hab ich ihn anbrennen lassen, wegen Fernsehen, da hing aber ’n janzen Abend dis Christkind schief.

Na, diesmal wirdse wohl nicht wechkönnen. Ick glaube, die steht die janzen Feiertage nur an Herd. Dis is ja immer die wichtigste Frage, wasse Weihnachten inne Pfanne haben. Dies Jahr wusstense nu nicht: Gibs jenug oder nich? Also ich meins gut und werde vonne Markthalle jestern ne jroße Pute mitbringen. Komme nach Hause, schlagt meine Frau die Hände übern Kopp zusammen und zeigt mir son Untier von Jans, was ihr Schlächter Meuseln seine Frau zurückjehängt hatte. Na jut, sage ick, die kriegen wir auch klein. Auf einmal klopps, und draußen steht Frau Ladentin mit ’n fetten Karnickel und sagt, Sie haben doch im Herbst einen bestellt. Is auch ejal, sagt meine Frau, denn hol ich ebent noch ’n schönes Stück Kassler, und denn ham wir gleich was für Heiligabend; am ersten gibs die Gans, und die Pute muss ebent bis zum dritten Feiertag reichen. Na, macht nischt, dafür brauchste denn keine Kartoffeln kochen, und mit Boonekamp bin ick einjedeckt. Ich ziehe aus alles meine Lehren. Vorigtes Jahr musste meine Frau nämlich den Doktor holen. Nicht etwa, desse denken, Weihnachten besteht bei uns bloß aus lauter Fressalien. Dis beste is nu mal die feierliche Stimmung. Dis fangt ja schon so immer um Niklaustag rum an. Sagt doch meine Frau: Stell mal ruhig ’n Schuh raus, Vater - macht aber bloß ihren Spaß. Ich werde dis für ernst nehmen, und andern Morgen hat die Katze reinjemacht, und dis war noch ’n guter Picoschuh von Jesundbrunnen. Na ja, son Vieh kann dis ja nicht wissen. Hunde sind da janz anders. Unser Purzel weiß jenau, wenn Weihnacht is. Denn kriegt er nämlich ne große runde Leberwurscht janz für sich alleine. Dis Tier kiekt einen denn richtig dankbar an, am liebsten würde er »O du fröhliche« mitsingen. Dis sind ebent alte Familienbräuche.

Sehnse die kleine Krippe da drüben mang die Pomadenbüchsen, die stell ich nu schon dreißig Jahre lang immer an ersten Advent ins Schaufenster. Die hab ick mal spottbillig bei Wertheim jekauft. Dis waren ja damals noch andere Preise. Wenn ick heute meine janze pucklige Verwandtschaft beschere, jehn mindestens dreihundert Mark drauf. Aber man soll ja zu son Fest nicht aufs Jeld sehn. Ick für mein Teil bin da meistens sehr spendabel und ärgere mir bloß über den Tinneff, den die anderen mir immer andrehn. Wenn man dis so zusammenrechnet - von die abjetragenen Sachen aus Frankfurt mal abjesehn - bin ick die Sippe höchstens ’n Fuffzigmarkschein wert. Na ja, der Ärger verjeht auch, schließlich is ja nur einmal Weihnachten.

Früher waren die Menschen nicht halb so matrijell wie heutzutage, wo sojar die Kinder schon Ansprüche stellen. Und denn wundern sich die Leute, desse nicht mehr so die alte deutsche Weihnachtsstimmung haben. Nehmse mir zum Beispiel. Ick bin in janz kleine Kreise groß jeworden. Vater war in Brandenburg Kutscher bei die Adler-Brauerei, und Muttern musste fürs Millitär waschen. Aber die Herzlichkeit bei uns damals, die könnse heute suchen. Über ne Pudelmütze oder ’n Paar neue Holzpantinen haben wir uns am Heiligabend mehr jefreut als sone Jören heute über ne elektrische Eisenbahn.

Dis eine Jahr werd ich nie vergessen: Vater kommt und kommt nicht, dis Festessen schnurrt inne Röhre ein, Muttern hat jeweint und jesagt, nu müssen wir ebent den Baum alleine anstecken. Und jrade wie die Lichter brennen, jeht die Türe auf. Aber statt dis Christkind kommt der Olle rein, stinkhagelblau, haut den Weihnachtsbaum vom Tisch und schreit, er hat den janzen Schwindel satt. Aber dis war halb so wild. Andern Morgen hat er uns Kinder jenommen und is eigenhändig mit uns inne Kirche marschiert, denn über sein Familienleben hat ihm ebent nischt rüberjegangen. Sehnse, und dis isses, was uns heute so fehlt. Wollnse zur Feier des Tages ’n bißken Pomade rein haben? Jut, denn feucht icks nur an. So, und denn wünsch ick Sie ein recht frohes Weihnachtsfest.

Frisör Kleinekorte berichtet über ein Kunsterlebnis

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Ick sage immer, der Mensch muss arbeiten, aber er brauch auch seine Freude. Was hamse denn am Ende von Ihr bißken Leben jehabt? Nee, der Mensch lebt nicht von Brot alleine, er muss auch mal an was Höheres denken. Nehmse mir zum Beispiel. Gestern war ich ins Konzert statt zum Frühschoppen, in ein richtiggehendes Sinfoniekonzert mit Mattine, und dazu bin ick jekommen wie die Jungfrau zum Kind.

Dis war nämlich so: Ladenthins Ältester von nebenan, wo meine Frau Patentante von is, der is jetz fertig mit sein Musikerstudium und jab sein Debüt als Sinfoniker. Jott, ick seh den kleinen Bengel immer noch vor mir, wie ihn der Olle ans Klavier ranjeprügelt hat; na, und nu wussten Landenthins jar nicht, wohin mit die Freikarten, also ham sich meine Frau und ich erbarmt und sind mit Ladenthins losjezittert.

Wissense, man kommt sich ja als kleiner Handwerker ’n bißken poplich vor, wenn man die janzen dicken Autos da bekiekt vor die Komische Oper, aber wir ham ja früher auch mal bessere Zeiten gesehn und gewaltige Kunsterlebnisse jehabt: die großen Sterne am Warritee, Fritzi Massary und so - wird Ihnen ja kein Begriff mehr sein - oder Max Hansen, der zweihundertmal den schönen Sijismund im «Weißen Rössel» gesungen hat, oder die Tillerjörls mit die Rewüen im Wintergarten; damals war ebent noch was los in Berlin! Heutzutage kann man ja nur mit ’n Kopp schütteln, was die fürn neumodischen Geschmack inne Musik ham.

Zuerst spieltense ne Uwatüre, aber da gibs nu auch sone und solche. Ich weiß nicht, obse die von Dichter und Bauer kennen, wo drin vorkommt: Du hast mein Weib verführt. Da konnte man sich doch wenigstens was bei denken. Aber versuchense dis heute mal. Hier die Uwatüre war von ... wartense mal - von Beethoven war die. Die soll er geschrieben ham für ein Theaterstück, und sehnse, wenn man nu dis Theaterstück nicht dazu sieht, denn is dis jenauso, als wenn beim Fernseher dis Bild wechbleibt, und die quasseln weiter; da gehnse ebent nicht richtig mit. Vielleicht liegt dis auch daran, deß der Beethoven total blind war und die ganze Musik sozusagen ausm Gedächtnis gemacht haben soll; nu machense dis erst mal nach! Und nachher hamse ja noch ganz schön losjeschmettert, wissense, dis klang wie deutsche Eichen und so.

Inne Pause ham wir uns mächtig jeärgert, weil se nicht mal Bockwurscht ans Büffeh hatten, und die belegten Brötchen waren man auch schon von vorgestern. Nach die Pause, wie wir wieder rein sind, wurde es nu janz und jar verrückt. Da machtense ein Konzert für ein Geijenviertelosen. Also der kommt auf die Bühne, und der Kapellmeister hat ihn gleich begrüßt, der muss ja den Mann irgendwie gekannt haben. Aber denn jings los, ich sage Ihnen, ’n Tollhaus is jar nischt dagejen, der Viertelose hat bloß immer rauf und runter jefiedelt, und die Kapelle hat jespielt, was se wollte, der Kapellmeister kam jar nicht mehr mit. Ich konnte mir bloß noch an Kopp fassen. Ich will mal sagen, Musik soll einen an die Seele gehn, aber die jing mir an die Nerven; denkense, ich hab mir eine Müllodie merken können? Die müssen heute ebent alles verhunzen, sogar die Musik, und alles für unsere Steuergroschen! Meine Frau meinte, man jut, deß wir die Karten nicht selber bezahlen brauchten.

Die nächste Nummer war ja wieder ganz nett. Da kamen noch ’n paar Musiker auf die Bühne, und Ladenthins Ältester war diesmal auch mit von die Partie. Jetz spieltense was aus der neuen Welt, aber ick müsste lügen, wenn ick noch wüsste, was. Jedenfalls wars von ein Polen, ein jewissen Worschak. Nu ham wir ja bloß noch auf Ladenthins Ältesten jespitzt, aber der hat klein und bescheiden neben den Kesselpauker jesessen und nicht Mucks jesagt mit seine beiden Schlagbecken inne Hand. Dis is da genau wie beim Frisörlehrling, den lassense ins erste Jahr auch nicht gleich anne Dauerwelle ran, da könnte ja dis größte Mallör passieren. Aber ick kann mir vorstellen, wenn der Junge sich jut entwickelt, denn kann er nächstes Jahr vielleicht schon son Schello bedienen.

Na, wir dachten schon, es kommt jar nischt mehr, der Kesselpauker hat man auch sehr müde rumjegrummelt - auf einmal, was soll ich Ihnen sagen, duckt sich Ladenthins Ältester ... Ich kenn doch sein Jesichte, wenn der als Bengel was im Schilde jeführt hat. Ich stoße sofort Muttern an, und Muttern stößt Frau Ladenthin an, da springt der Junge auch schon von seinen Stuhl, und - pschsch! - knallt er mit aller Jewalt die Becken zusammen und zeigtse auch noch hoch, damit jeder sehen sollte, deß ers gewesen is. Nu setzense sich mal in son Menschen rein: Er weiß, seine Eltern sind da und Onkel Kleinekorte, dis hätten Sie jenau nicht anders jemacht. Frau Ladenthin sind die hellen Tränen jekommen. Unser Junge! konntese bloß noch sagen.

Ich hab mir ja trotzdem mein Teil jedacht: Dafür hamse ihm nu studieren lassen, wo er doch viel lieber Schiffskoch werden wollte.

Frisör Kleinekorte äußert Herbstgedanken

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? So ne Nachtschicht dauert ehmt jetz länger als wie im Sommer, weil nämlich die Tage wieder kürzer werden. Aber dis is nu mal der ewige Kreislauf von die Mutter Natur. Der Dichter drückt sich da mehr porfaner aus und spricht von einen jüldenen Herbst. Wie sagt doch ein gewisser Rülke: Bald siehste, wenn der Nebel fällt, ettzettera-pepe, und warte man, balde, denn schweijen alle Vögelein. Ja, die kleinen Piepmätze, die sind nu auch schon wechgemacht, wohingejen unsereiner hier im rauen Norden bleibt, und wer jetz kein Holz hackt, hackt sich keines mehr. Obses glauben oder nicht: in Herbst werd ich immer zu ein richtiggehenden Dichter. Denn kommen einen so die Ahnungen, und man frägt sich, wofür man so lange geklebt hat, wenn man eines Tages in die Grube fährt, und den Rest von die Rente schluckt der Staat.

Wissense, ich war ja ziemlich lange krank, dis seh ich schon an Ihren vermanschten Fassongschnitt. Sie sind bestimmt bei die PeJeHa Wellenreiter fremdjegangen und ham jar nicht mehr jedacht, desse noch mal unter Kleinekortes Messer werden landen. Also alles, was recht is, ick war dichte am Abkratzen, oder besser jesagt: Ich stand vor dem Tor des Todes, und da macht man sich so seine Jedanken.

Früher, wie ick jung war, hatt ick noch ’n Jemüt wie’n Fleescherhund. Aber wennse denn reifer werden und die Jahre verjehn und sehn immer wieder die jelben Blätter von die Bäume fallen, denn denkense zwangsläufig über manches anders. Dis Leben braust dahin wie ein Jebürgsstrom: mal rauf, mal runter. In die Jugendjahre schäumt es wie ein Nikaraguafall, und im Alter könnse bloß noch sagen: Still ruht der See. Waren ja alle riesig nett zu mir ins Krankenhaus, sojar der Herr Scheffschirurch mit sein scharfes Schrapnell. Son Mann muss ja ebenso ne ruhige Hand ham wie’n guter Frisör, bloß deß er ebent mehr Jeld kriegt. Und trotzdem war ick heilfroh, wie ick wieder nach Hause jekonnt habe. Jott, wissense, was meine Frau betrifft, die is ja versorgt, aber der Laden, Mann! Vierzig Jahre sitz ick hier drinne, jedes Stück steht noch jenau wie am Anfang, abjesehen von die Decke - die hab ich so um achtunddreißig rum mal weißen lassen. Und denn kommt womöglich eines Tages die PeJeHa und macht alles auf neumodisch. Und dabei hat der Kunde dis gar nicht gerne, er will sich ja auch bei sein Bartkratzer ’n bisschen wie zu Hause fühlen.

Meine Kinder ham ja leider kein Interesse für dis alte, ehrbare Handwerk, trotzdem se natürlich auch anständige Menschen jeworden sind. Der eine is Schemiker und hat ’n Solovertrag, um mir mal jewählt auszudrücken. Un der andre is im Westen und bekleidet ’n verantwortungsvollen Posten bei ein Fabrikanten: als Heizungsaufseher und Jartenbauinschpektor in den seine Villa. Der schenkt ihm sojar seine jetragenen Anzüge und redet wie ’n Mensch mit ihm. Aber so wat dürfense ja hier keinen erzählen, und schon jar nicht meine Nichte. Die is nämlich inne Partei, und was ihr Mann is, der is noch schlimmer: der spielt sojar im Kulturbund ne Rolle.

Also nicht, desse schlecht zu mir sind, nein, dis nicht, im Gejenteil: herzensjut sindse. Aber wenn ick sie mal ein Brief von ihren Kuseng Justav zeige - also verstehnse mir richtig: von mein Sohn, der bei den Fabrikanten in Frankfurt arbeiten tut -, denn sagen die beiden bloß, es is ne Schande, und unser Justav hätte noch seine Klempnerwerkstatt in Potsdam konnten haben, wenn er nicht abjehauen wäre. Aber ick hab da mein eijenen Standpunkt zu. Sehnse, der Justav war schon als Kind ’n bißken schwierig, und wenn er nu mal die Freiheit zum Atmen braucht wie ein Fisch dis Wasser, denn soll er in Jottes Namen bei sein Fabrikanten heizen. Steht sich doch nischt aus, und hier wäre er bestimmt schon inne PeJeHa und würde Rote Dachrinne heißen oder so. Und dafür is der Justav ville zu sensibel. Der war ebent immer jerne sein eijener Herr, und der Fabrikant soll ja ne Seele von Mensch sind. Neulich hat er mein Jungen vier Zijarren jeschenkt, aber die juten, die er selber raucht. Und ins letzte Päckchen lagen zweie davon für mir bei. So is mein Junge! Jewiß, der Otto, also der Schemiker, is auch gut gejen mir. Der hat mir sojar ne janze Kiste von die jarantiert echten Hawannas mitjebracht, aber was macht den Otto schon ne Kiste Zijarren aus bei sein Einkommen! Nehmse mal Ihrn Kopp ne Idee höher! Jott, man kommt ebent immer wieder auf die verdammte Pulletik. Und wer is schuld an die Pulletik? Nur die Pulletiker. Aber sagense dis beispielsweise meine Nichte. Denn jeht die hoch, und dabei hatse nicht mal Vorteile von ihre Partei. Bloß dauernd Versammlungen. Passense auf: Die beiden ham doch im Juli jeheiratet, also jenauer jesagt, sie ham sich zusammenschreiben lassen, weilse nicht mal inne Kirche sind - jut, lass ick auch noch jelten. Aber denkense, dass die Partei sie schon ne Wohnung verschafft hat? I wo! In eine Kochstube hausense. Und ne Wohnung kriegense nächsten Sommer erst. Ick hab ihnen ja fürn Überjang meine Laube anjeboten, weil ich ja kaum noch rauskomme. Da hättense immerhin zwei Räume, im Winter ’n Kanonenofen, und im Sommer wärnse ins Grüne. Aber Pustekuchen! Damit isses nu auch Essig. Hörnse mir auf mit unsern Staat! Von mir aus hätt ick ruhig ins Krankenhaus konnten dotjehn, denn wär mir dieser Ärger erspart jeblieben. Wat denn? Dis wissense noch jar nicht? Also vorigte Woche hat mir einer aus unsere Kolonie erzählt, deß wir nächstens mit unsere Laube runter sollen. Und warum? Bloß weilse ausjerechnet da ’n paar Neubaublöcke hinsetzen wollen. Sehnse, und nu weiß ick auch, warum mir schon die janze Zeit so herbstlich ums Jemüte is.

Frisör Kleinekorte feiert Jubiläum

Nehmse Platz Herr Jeheimrat ... dingsa! Was gibsn Neues ... hick im ... Verzeihung ... aufm Bau? Wieder Nachtschicht ... Jott, Sie wissen schon. Und nu könnse erst mal ein alten Herrenfriseur zu sein seltenes Berufsjubiläum ... die Firma dankt. Der Deutsche is ebent zu pflichteifrig. Bis mittags is mein Laden auch an diesem Ehrentage auf. Aber Muttern hat jesagt, wehe vergreifste dir heute an ein Rasiermesser! Und darum privatisiere ick nämlich bis mittags bloß, und dafür schneid ick Sie ... hick ... morgen gratis die Haare. Tschuldigense!

Trinkense ’n Schnäpperken auf dis fuffzichjährige Meisterjubiläum! Meister Kleinekorte - prost, Herr Jeheimrat - ein lebendiger Zeuge unserer vaterländischen Geschichte. Deutsches Miserekordia. Jlanz und Elend, Preußens Klingklangkloria, Donner, Blitz und Doria und diverse schlümme Zeiten ...

Vierzehn hats losjejangen. Icke als blutjunger Meister, morjens noch son Ölkopp vons Feiern, und denn bläktense auf einmal ihre Extrablätter durch die stillen Jassen. Erst musste nur der Thronfolger Ferdenand dran glauben, und denn ... hick ... gleich ... ick ... mit die erste Mobilmachungswelle. Eines Morjens im August habe ick noch nicht jewußt, deß ick den Franzosen siegreich schlagen musste durch die Brust. Aber dis jing ins Auge. Jott strafe England. Und dis lag nur daran, deß die Jeneräle sozusagen die Jeneralität in Rücken jefallen sind.

Ham Se mal was von ein jewissen Schlieffen jehört? Der hatte - gießense sich mal selber ein, ick bin heute ’n bißken zittrig auf die Hände, weil einem dis noch nachträglich so aufwühlt. Also Schlieffen wollte kurz jesagt Frankreich ... hick ... aufhauen wie eine Groschengeige, wo der Franzmann sowieso kein deutschen Mumm in die Knochen ... aber die Weiber, sag ick Ihnen! Wenn die mir bloß ankiekten ... also Schlieffen, ick meine, der von Jeneralstab. Stellnse sich mal vor, hier, die Spezipulle, is der Eiffelturm, und hier, die Schere, is unser rechter Flügel unter von Kluck ... hick ... Der kommt aus dis Waschbecken, also von Belgien. Von Bülow is der Aschenbecher, der schwenkt jetz rum. Nu schmeißt von Kluck ... hick ... die janze erste Armee ... tschuldigense, sone Flasche fällt ebent leichter als ne Weltstadt, und meine Kriegsverletzung merk ick nur bei schlechtes Wetter. Lassense doch, kann meine Frau nachher wegwischen. Ick hab hier noch, nur für Stammkunden, einen echten polnischen Wodka, Wiedehopfka - oder wie der heißt! Die ham sich ja janz jut wieder rausjemacht, und ick hab ja auch nischt gegen die Leute ... hick ... wir sind doch alle Nachbarn. Denkense nur an den großen Dichter Schopeng. Hitler hat ja die Arbeitslosen bekämpft, könnse nicht anders sagen, aber deß er musste Krieg anfangen ... Na, Schwamm drüber, is nu auch schon fümmenzwanzig Jahre her.