Herrensalon W. Kleinekorte - C. U. Wiesner - E-Book

Herrensalon W. Kleinekorte E-Book

C. U. Wiesner

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Beschreibung

„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“ Mit diesen Worten begrüßt ein bekannter Berliner Frisör gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden. Meister Kleinekorte war den Eulenspiegel-Lesern zu einem Begriff geworden, seit seine Monologe immer mal wieder in unserer einzigen Zeitschrift für Humor und Satire abgedruckt wurden. Nach fast zwanzig Jahren aber geriet meine Figur in eine tiefe Sinnkrise. Dummerweise war mir im allerersten Text (… trauert verlorenen Werten nach) eine Altersangabe unterlaufen. Da sagt Kleinekorte: „Wissense. ick bin jetzt an die Zweiundsiebzig …“ Unter den Lesern des Blattes aber gab es auch mathematisch begabte; und die fingen nun an zu rechnen und taten empört der Redaktion kund, dass es so steinalte Frisöre gar nicht geben könne, und man solle den alten Bartkratzer endlich eines natürlichen Todes sterben lassen. Leserbriefe mussten in der DDR ernst genommen und binnen 14 Tagen beantwortet werden, galten sie doch als Eingaben im Sinne des Staatsratserlasses über Eingaben. So tagte denn das Redaktionskollegium mit heißen Köpfen: Sollten die Leute gar recht haben? Zwar kamen die Briefe nicht aus dem berlin-brandenburgischen Sprachraum, sondern von einem kleinen zänkischen Bergvolk im Süden der Republik. Aber es war ein hoher Prozentsatz von ungehaltenen Konsumenten: Bei einer Auflage von gut dreihunderttausend Exemplaren immerhin zwei Briefe!!! Flugs machte ich mich in der Rolle eines Kunden auf den Weg, und siehe da: Mein Informant hatte nicht gelogen. Als das kleine alte Männlein gegen Ende der Sitzung mit zitternden Händen seinen Barbierdegen schärfte, um mir den Nacken auszurasieren, packte mich die nackte Angst. Ich dachte, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Nun sagt man ja, in solcher Lage zöge blitzschnell noch einmal das halbe Leben an einem vorbei. Von wegen! Ich hatte nichts als scheißernde Angst. Da besann ich mich auf das Wort: Solange noch geredet wird, wird nicht – geschnitten. Also begann ich pausenlos auf ihn einzuquasseln. Dabei fragte ich ihn auch: „ Sagense mal, Meister Fritz, in welchem Altersheim leben Sie denn?“ „Altersheim?!“, erwiderte er kopfschüttelnd, „Ick lebe als Untermieter - bei ältere Leute.“ Nachdem ich der Redaktion Bericht erstattet hatte, meinte der Stellvertretende Chefredakteur Karl Kultzscher grinsend: „ Na, dann lass man deinen Kleinekorte ruhig noch hundert werden.“ C.U.W.

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Impressum

C. U. Wiesner

Herrensalon W. Kleinekorte

ISBN 978-3-86394-411-7 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1976 im Eulenspiegel Verlag Berlin.

Titelbild: Ernst Franta

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Herrensalon W. Kleinekorte

Frisör Kleinekorte auf Wikingerkurs

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Nu hörnse bloß auf - ick war nicht krank, ick war auf Urlaub. Sie sind nu heute schon der dritte Kunde, wo ick dis mühselig erklären muss.. Aber deß die Seeluft jewaltig zehren tut, davon hamse wohl noch nischt jehört? Und wie se zehrt! An Leib und Seele und sojar anne Nerven. Aber erholt hab ick mir trotzdem jut. Bloß Muttern isses nicht so bekommen, die hat mein Sohn gleich nach Halle jeholt, um die olle Frau wieder ’n bißken hochzupäppeln. Und dabei hab icks doch bloß jut jemeint. Immer wenn Se mit die Kundschaft reden, alle jiepernse nachm Seeplatz inne Hochseesong, da kommt man sich richtig dusselig vor, wenn man in Mai oder September nischt wie inne Bergwelt von Sperlingerode fährt. Sitzense doch mal stille, damit ick nicht andauernd ’n schiefen Horizont vor de Schere habe.

Dies Jahr wollt icks also wissen. Auf anständige Art und Weise war natürlich nischt zu machen. Kinderreich is für unsereinen zu spät, sonst hätt ick mir ins Interneptun nach Warnemünde bejeben und mir über die dummen Jesichter von die Kellner ammesiert, wenn ick se statt mitn dickes Trinkjeld mit ’n jewerkschaftlichen Jruß beglückt hätte. Waren ja auch jenug Anzeigen inne Bezett: Aufenthalt in Ostseebummerloh bietet und so, aber ick werd mir hüten. Ick weiß doch, wie Zahnarzt Stippekohl dis macht. Der sucht sich aus die paar hundert Zuschriften jedes Jahr ’n neuen Handwerker raus. Den knöppt er denn fuffzig Mark pro Tag ab, und außerdem lasst er sich dis Dach decken, dis Bad kacheln, ’n Kamin mauern, Natursteinplatten legen, und wenn dis alles komplett is, nimmt er dis Jahr drauf hundert Eier pro Tag. Nu sagense selber, wo ist denn bei sone sozialistische Jemeinschaftsarbeit noch Platz fürn kleenen Herrenfriseur? Höchstens, wenn sich dis Anwesen eines Tages so ausjedehnt hat, dass der Stippekohl inserieren kann: Bummerloh mit eigenen Hausfriseur zu vermieten.

Nee, da bin ick bescheidener. ’n Kunde - wer, sag ick nicht, wat ick mit dem abzumachen habe, jeht keinen wat an - also, der hatte mir ne Privatadresse in Zippelshagen, dis bekannte Ostseebad, vermittelt. Spottbillig, sagt er, für unsere Verhältnisse, dreißig Mark für Muttern und mir, pro Nacht ohne Frühstück. Machte mir jar nischt, denn frühstücken tu ick nachts sowieso nicht. Da hab ick gleich noch bei Muttern dis Jeld für ne echte Schiffermütze und ne Tabakspfeife rausjeschunden, brennt zwar möchtig aufe Zunge, wenn mans nicht jewohnt is - nehmse mal den Kopp ’n bißken runter -, aber man will ja da oben nicht gleich als Binnenländer auffallen.

Schon aufe Hinfahrt inne Eisenbahn wurde mir zusehends nördlicher zumute. Wie ick mir dis dritte Mal zu de Mitropa durchjedrängelt hatte, kam ick schon mitn schrägen Seemannsjang zurück, bloß dem Schaffner fehlte jede Spur von Romantik. Der Mann wollte partuh dis schöne Lied von die Ostseewellen nicht mitsingen und meinte mit ein infamiges Grinsen, ick werd mir schon noch wundern; wenn ick erst in Zippelshagen bin. Aber ick ließ mir nicht irremachen und hab ihm erst mal aufjeklärt, deß ick nu endlich nach Dausenden von Jahren die Stätte von meine Vorfahren aufsuchen werde. Mir hat nämlich mal ein Kunde, wo bei Humboldts Jeschichte vorliest, der hat mir erklärt, ick müsste in jrader Linie von die Wikinger abstammen, weil die vons Rudern auch immer so lange Arme jekriegt ham. Aber wie wa denn ins Quartier kamen, hätt ick erst mal ein Wikingerschwert jebraucht, um meinen Quartierfritzen durchzubohren. Bloß der Kerl war die janze Zeit nicht da, weil er mit seine Familie in Mammamia ans Schwarze Meer Urlaub machte. Und an die olle Oma, wo dis Haus und den Jarten und die Hühner und die Sommerjäste versorgen musste, wollt ick mir natürlich nicht verjreifen. Im Gejenteil, dis Elend konnte unsereins jar nicht mit ansehn. Muttern hat ihr denn morgens immer die Treppe und den Flur sauberjemacht, und ick hab den Kohlrabi jegossen und Unkraut jezuppt. Dafür jenossen wir vor die andern sieben Familien ne Vorzugsstellung und durften uns jeden Morgen inne Küche unsern Kaffee brühen. Auch dis Zimmer war soweit janz nett, wogejen Müllers aus Eisenach mit ihre vier Jören sehr klagten, denn die wohnten in unsern Vermieter seine Trabantjarasche, und die hatte keine Fenster. Auch Hasemanns aus Dresden, der Mann is Atomforscher, waren ’n bißken sauer, weil se sich beim Aufstehn immer die Köppe an die volljeschissenen Sitzstangen von dis ausquartierte Hühnervolk stießen. Kotletten lassen wir wieder ’n bißken wachsen, wa?

Nee, wir hattens in diese Beziehung prima. Kleine saubere Kammer, denn Muttern is ja da sehr eigen. Ick wurde immer wieder an meine Wanderburschenzeit erinnert, da ham wa uns auch bloß unter de Pumpe jewaschen. Und über die sonstige Hügühne sieht man in son Ostseeurlaub jerne mal hinwech, und der Bahnhof war ja janz inne Nähe. Im übrigen fühlten wir uns fast wie zu Hause, weil vorne anne Straße dauernd die Baukipper vorbeipolterten, und hintenraus war ’n Zeltlager, da hatten wir die janze Nacht Radiomusik und brauchten kein Jeld für die teure Hafenbar ausjeben. Ham wir uns einfach mit unser Pülleken ans offene Fenster jesetzt und waren wenigstens abends mal so richtig alleine.

Mitten Strand wars ja man sone Sache. Ne halbe Stunde Fußmarsch, bis man sich durch dis Jedränge aufe Promenade durchjewurschtelt hatte, und ick wollt ja aus Prinzip unsern Strandkorb ordentlich abnutzen, wo ick doch den Vermieter mit zwanzig Mark und ’n Viertel Jacobs von mein Westsohn jeschmiert hatte. Die erste Woche hats noch jutjegangen. Sind wa mittags losjepeest in Joldnen Löwen, denn seine warme Mahlzeit brauch der Mensch ooch im Urlaub. Wie nu Muttern jrade zu weenen anfängt, weil da mehr Leute rumstanden und aufn Platz lauerten wie aufm Alex in Berufsverkehr, da denk ick plötzlich, mir beißt der Klabautermann. Wer rast da mit drei Suppenteller in jeder Hand durchs Lokal? Mein Jehülfe, Herr Kafforke. Ick denke, der Kerrel is auf ne Kur in Berggießhübel. Stattdessen verdient der Halunke sich hier als Aushülfskellner ne joldene Neese. Erst wollt ick vor Wut dis Büffeh umkippen, aber man is ja ooch bloß ’n schwacher Mensch. Und auf die Art hatten wir wenigstens eine Woche lang jeden Tag unser Mittagessen, und dis Trinkjeld von mir zieh ick ihm sowieso wieder vom Lohn ab. Trotzdem, Sie kennen ja Kafforken nicht, der streitet Stein und Bein und meint, gejen die Barfrau von Zippelshagen wär er man bloß ne kleine Flunder, denn die jeht kein Jahr mit weniger wie fümmendreißigtausend extra nach Berlin zurück. Ick soll aber nich verraten, wie se dis macht. Dis is wie bei jewisse Frisöre, da könnt der Kunde ooch nicht beschwören, ob se ihm reines Birkenwasser inne Haare jeschmiert oder bloß die Pulle auf sein Frühbeet ausjespült ham.

Aber herrlich wars schon anne See. Bloß die zweite Woche nicht mehr janz so. Da hatte nämlich Herr Kafforke an janzen Körper ne Allegorie, weil er immer mang die Quallen jebaden hat, und nu ließense ihm nicht mehr in Joldnen Löwen. Seitdem sind Muttern und ick ’n bißken abjemagert, denn von die Eisbecher inne Milchbar »Nordpol« können sich bloß die ernähren, wo dis Eis herstellen. Schmecken tuts wie Pappschnee mit Himbeersirup, aber dafür heißt et janz berühmt, »Störtebekers kalte Leichenfinger, eine erlesene Spezialität des Nordens« oder so. Jedenfalls kann man sich vorstellen, dass der ehrliche olle Seeräuber ne ziemlich teure Beerdigung jehabt hat.

Die letzten Tage war Muttern denn schon so schwach, desse man lieber im Quartier jeblieben is, und ick hab mir mit Mühe und Not, weil man ja was für seine Jesundheit tun muss, bis an Kamerunstrand jeschleppt, wobei ick kaum noch mein Feldstecher tragen konnte. Die richtige Freude wars auch nicht mehr, weil ick mir unterwegens nicht mal ’n Bier leisten konnte. Die letzten Jroschen ham wa denn zusammenjekratzt fürs Telegramm an unsern Sohn, damit er uns mits Auto abholen konnte. Scharf nachwaschen? Es war ebent mal ein richtigjehendes Erlebnis, und im Traume hör ich immer noch die Möwen schrein. Wenn mir so die Haut juckt, wo der Sonnenbrand abpellt, denn denk ick, man müsste noch mal sechzig sein, denn würde man die Hochseesong anne Ostsee ville mehr jenießen. Macht zweifuffzig.

Frisör Kleinekorte lernt leiten ohne zu klagen

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Sindse erst mal so freundlich und setzense Ihren Friedrichwillem auf dieses Papier. Nee! Autojramme würd ick högstens von Berühmtheiten sammeln, beispielsweise von Ekkehard Schall reschpektive Eberhard Cohrs. Was Ihnen betrefft, so sollnse mir bloß unterschreiben, dass Sie ausdrücklichst von mir bedient werden wollen und nicht von Herrn Kafforke. Nee, der kommt gleich wieder. Hoff ick jedenfalls. Angeblich isser bloß mal nach Zijaretten umme Ecke. Mitten inne Arbeitszeit. Son Jehülfe kann sich doch heutzutage alles erlauben, und ick muss noch froh sein, deß er mir nicht jänzlich sitzen lasst und sich die PeJeHa Wellenreiter in die weitjeöffneten Fangarme reinschmeißen tut. Hinten werd ick mal heute 'n bißken kürzer oder?

Sindse man bloß froh, dass Sie kein Leiter sind! Da stehnse nämlich zwischen Baum und Borke wie Urians Esel. Einesteils muss dis Jeschäftliche florieren, und auf die andere Seite sollnse Ihre Belegschaft in jeden Keese rinriechen lassen und ihr obendrein noch mit Samthandschuhe anfassen, und nu bringense dis mal unter ein und denselben Hut!

Mit Herrn Kafforke hat dis jahrelang jutjegangen. Der Mann krichte sein Jeld, Weihnachten und Jeburtstag ne kleine Aufwendigkeit extra, und davorhalben hatte er ebent seine Arbeit zu machen und nicht rumzumeckern. Aber nu jeht ja bei uns der Reschpekt vor die Obrigkeit immer mehr flöten. Ick hab ne Masse Kundschaft hier ausm Kombinat, und da hörte man in letzte Zeit janz schlimme Sachen hört man da. Die stellen sich aufe Versammlung hin, janz einfache Leute, wo sich nicht mal in ein einwandfreies Deutsch ausdrücken können, und denn sagen die ihren Direktor die Meinung, also, da kann einen angst und bange werden. Da haunse aufm Putz wegen die sojenannten Stillstehzeiten und von wegen dis Reservemattrijal und deß die Arbeiterbesorgung inne Kantine nicht klappt, und son Mann muss sich dis alles anhören, ohne mit die Wimper zu zucken. Müssense sich mal vorstellen. Son Direktor is vom Staatsrat einjesetzt, um den Betrieb so richtig flutschen zu lassen, aber die Arbeiter lassen ihm jar nicht dazu kommen, weil der Mann dauernd diskutieren soll.

Sehnse, ick hab ja von Natur aus auch ne demokratische Jemütsveranlagung und sage mir, den Menschen sein Wille is sein Hümmelreich, aber dis muss doch alles seine Jrenzen ham. Wie ick schon kurz vor die Konfirmatzjohn stand, hab ick mein Ollen mal darauf hinjewiesen, desses mir peinlich is, immer noch mit Klotzpantinen inne Schule zu rennen, und eh deß er sein Jeld versaufen tut, soll er mir lieber ’n paar anständige Schuhe kaufen. Aber son Schenneratzjohnsproblem wurde ebent damals janz einfach jelöst, indem mir der Olle ’n paar jescheuert hat und ... wattensema, jetz wollt ick doch irgendwat beweisen oder zumündestens ne historische Paralüse ziehn, aber ... is ja ooch ejal.

Jedenfalls kricht durch solche Kundschaft Herr Kafforke Dinger zu hören, mit die er inwendig jar nicht fertig wird. Und denn fangt er neuerdings auch noch an, inne Zeitungen rumzuschmökern, und da sucht er sich mit ein tödlichen Inschtinkt jenau dis raus, was er jeistig jar nicht verdauen kann. Nu werd ick ja wegen diesen Querkopp nicht die Presse abbestellen, denn ein Frisörsalong ohne Zeitungen, dis wär wie Jötz von Berlichingen ohne die eiserne Faust. Aber ick dachte, ick kann Herrn Kafforke wenigstens die Lektüre inne Dienststunden untersagen. Und nach Feierabend bin ick beruhigt, da isser ville zu faul für wat Pullitisches und kuckt bloß Robert Lemke oder Schweinchen Dick. Gejen die Schuppen schmier ick Ihnen nachher mal ’n neues Präparat ein, dis wird ja immer schlümmer.

Aber Herr Kafforke benimmt sich ebent nicht bloß kiebig, sondern richtigjehend unanständig. Seit vorigte Woche bringt er sich morgens immer die Tribüne vons Kiosk mit, und zwar auf eigene Kosten. Und dis hat verheerende Folgen. Frägt er mir doch allen Ernstes, wieso wir eigentlich kein Betriebskollektivvertrag ham? Ick fass mir bloß an Kopp und sage, was denn da drinstehn soll? Na, im ersten Moment wusst er dis ooch nicht. Und ausjerechnet an den Abend muss doch Muttern von alle juten Jeister verlassen jewesen sein. Sagtse zu Herrn Kafforke, ick hab schöne Fettheringe einjelegt, die essense doch am liebsten, und ’n Pülleken hab ick ooch besorgt, da essense man mit uns Abendbrot. Mir hat vor Wut die Schere jezittert. Ick musste erst mal nach hinten und Muttern Bescheid jeben. Aber da meinte se in ihre jefährliche Seelenruhe: Du oller Stiesel hast nicht mal dran jedacht, dass Herr Kafforke heut aufm Tag jenau fumzehn Jahre bei uns arbeitet, aber ick hab ihm heimlich ’n Pullover jestrickt und ’n paar Nelken jekauft, und du wirst heute mündestens ’n Hunderter auße Ladenkasse rüberlangen!

Na jut, ’n bißken peinlich wars mir, und weil mir Muttern inne letzte Zeit jetränkemäßig ziemlich kurz hält, hab ick jute Miene zum bösen Spiel jemacht. Anne Seiten lassen wir ’n bißken länger, wa? Zuerst hat sich Herr Kafforke sehr zurückhaltend benommen und war auch janz jerührt über die hundertfuffzig Mark. Im Gejensatz zu mir; also nicht, deß ick jeizig wäre, aber wenn ick eher draufjekommen wäre, hätt ick ihm statt dis porfane Jeld lieber ne schöne Ehrenurkunde machen lassen. Unter uns jesagt, wenn man bedenkt, was der Staat so an Prämien rauspulvert, da kann ja die Wirtschaft auf jar keinen jrünen Zweich kommen, und dabei wären manchmal ’n paar zu Herzen jehende Worte für den Arbeiter ville anjebrachter als wie son Umschlag mit den schnöden Mammong. Jut, den hätt ick auch noch verschmerzen können. Aber nach den dritten Glas so unjefähr, da wurde Herr Kafforke ausjesprochen pampig und meinte, sonst kommt er ja nie dazu, mal seine Meinung zu sagen. Und in diese Hinsicht halt ick zum Beispiel Betriebsfeste für regelrecht jefährlich. Son Leiter, etwa meine Wenigkeit, trinkt denn notjedrungen auch mal einen, und schon muss er sich alles anhören, was sich die Leute sonst nicht zu sagen jetrauen. Zum Beispiel, deß ick mir als Meister die trinkjeldschweren Kunden - Ihnen mein ick nicht - alleine untern Nagel reiße und für ihm bloß die Laufkundschaft übrig bleibt. Jut, da hab ick mir breitschlagen lassen und versprochen, deß ick bestimmte Kunden nur noch auf eigenen Wunsch bediene, aber bis jetz hat sich noch keiner jetraut und jeäußert, er will statt mir lieber von Herrn Kafforke beschnippelt werden.

Und denn kam der Kerrel noch mit sojenannte Neuerervorschläge. Ick sollte die janze Scheißvorkriechsreklame - wörtlich! - rausschmeißen und statt dessen lieber ’n paar schöne Jrünjewächse im Laden anflanzen. Und einmal im Monat mit ihm ne Versammlung machen, so mit Kritik und Selbstkritik und wie wir die Kundschaft noch schneller und besser bedienen können. Und sojar ein öffentliches Kundenfurorum hat er vorjeschlagen und eine Rekonschtruksjohn von unsern Salong. Zuerst hab ick inwendig jekocht und hätt schon beinah jesagt, achtense man erst mal auf die Trauerränder an Ihre Wurschtfinger, und denn reden wir weiter. Aber denn muss mir doch irgend son kleiner Polit-Engel zujeflüstert ham, wie man sone fehljeleitete Ignzjatiefe am besten abbremst. Sehnse, und nu mach icks jenauso wie der Herr Direktor, na, ick will keine Namen nennen. Der sagte mal:

Immer sich alles anhören, Notizen machen, janz ruhig und freundlich bleiben, nicht etwa sagen: ihr Quasselköppe, sondern lieber: Tja, Kollegen, das is alles nicht so einfach, und die Mittel für die Neuigkeiten wollen erst erarbeitet werden - na, da kann Herr Kafforke schnippeln, bis er krumme Finger kricht. Und im übrigen mach ick nämlich doch, wie icks will, denn schließlich is dis mein Herrensalong, und die Verantwortung nimmt mir keiner ab. Und weil ich in diese Beziehung ein Fuchs bin, lass icks Herrn Kafforke jar nicht merken. Aber glaubense man, so einfach is dis auch nicht, denn von Natur aus hab ick ne sehr preußische Jemütsveranlagung und ordne ville lieber an als deß ich diskutiere. Macht zweifuffzig.

Frisör Kleinekorte und die Sprichwörter

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht jehabt? Nee, dis is kein Sprüchwort. Dis is bloß ne Redensart. Auf dieses Gebiet kenn ick mir jetz aus wie Hektor mang die Buletten, trotzdem es mir jar keinen Spaß macht - also, ick meine nicht die Buletten, sondern die verdammten Sprüchwörter. Nehmse mal den Kopp ’n bißken runter!

Langsam hat es sich ja nu aufm janzen Kietz rumjesprochen, deß mit mein Jehülfen hier oben nicht ville los is. Und dabei hab ich ihm jahrelang jepredigt, deß der Mensch nicht bloß so in den Tag hineinschnippeln kann. Er brauch auch was Höheres, wenn Se mal von den Wechsel der ewigen Mutter Natur oder die jeweilige Haarmode absehn. Hinten lassen wirs ’n bißken lang, dis kann noch ’n harter Winter werden, und wer jetz keine Kohlen hat, der kauft sich keine mehr - wie der jroße Dichter Carl Maria von Rülke sprecht. Und nu sind meine diesbezüglichen Anregungen - ich sage immer, auch ein blindes Huhn trinkt mal einen Korn - bei Herrn Kafforke auf furchtbaren Boden jefallen. Der Kerrel wird doch jetz anfangen zu sammeln. Nicht etwa Käfer - dazu isser schon zu alt, auch keine Briefmarken - dazu hat er zu klebrige Finger. Er is auch nicht unter die Viele-Blumen-Latilisten jegangen, wie sich die Streichholzschachtelfritzen schümpen, denn dazu müsste er ja in irgendeine jesellige Organisation wie den Kulturbund reintreten. Nein, Herr Kafforke bratet sich natürlich ne Extrawurscht, und sammelt neuerdings Sprüchwörter. Und wenn ick nicht sone Seele von Kamel wäre, denn wär ick schon längst deswegen mit ihm zus Arbeitsjericht hinjesockt, denn Herr Kaiforke missbraucht seine tarifliche Arbeitszeit, um unscheniert seine Sammelleidenschaft nachzufrönen. Dis heißt - hier anne Seiten werdense immer dünner, ick legse mal ’n bißken schräg rüber -, er quasselt jeden Kunden an, was der so an Sprüchwörter drauf hat.

Dajegen hätt ick noch jarnischt, denn ein jeflegtes Kundenjespräch is nu mal dis Salz inne Frisörsuppe. Und vorher konnte ja der Kunde mit Herrn Kafforke über nischt als wie Urlaub, Koppschuppen, Fußball und Ferkligkeiten reden. Jut, aber wenn er nu ein neues Sprüchwort aufjeschnappt hat, legt er Kamm und Schere beiseite und schreibt sichs in ein speckiges Notizbuch. Dabei hat er sich schon drei Kittel mit Kugelschreiber beschmaddert, und denn schreibt er so langsam.

Schön, dis is auch noch zu ertragen, aber was dis allersehlimmsic is, mit den Menschen könnense neuerdings jar nicht mehr normal reden. Der ballert sofort mit son dusseliges Sprüchwort zurück und fummelt sich die Dinger obendrein fürn Dienstjebrauch zurecht.

Sage ich beispielsweise: Herr Kafforke, ich bin einfach nicht streng jenuch zu Ihnen, sagt er: Allzu straff gespannt, zerspringt das Rasiermesser. Nu lass ick mir nicht jerne dumm kommen, und von dem schon jar nicht. Also halt ick dagejen: Es is nicht alles Pomade, was glänzt! Und damit fangt der Ärger erst richtig an. Um nämlich mit ins Rennen zu bleiben, muss ich mir notjedrungen selber ein jewisses Pensum an Sprüchwörter aneignen, und dis is ville schwerer, als wenn ick auf meine ollen Tage noch den elektrischen Matrijalismus studieren würde. Tschuldigense, dis is bloß ’n Kratzer, ick jeh gleich mitten Blutstüller rüber. Die Westmesser von mein Sohn sind nämlich schärfer als wie unsere.

Bei meine Forschungen bin ick nu dadrauf jestoßen, deß dis deutsche Sprüchwort einen mächtigen Bogen um die edle Barbierzunft drumrumjeschlagen hat. Und nu müssense dis machen, was der Franzose in eins von seine Sprüchwörter Correggio de la Fortuna nennt, zu deutsch: Wenns wo nicht steht, mußtes dir hinbiegen. Und da brauchense den Dreh bloß erst raushaben, denn jehts wie jeschmiert. Wenn ick mir so den halben Kahlschlag auf manchen Kundenkopp betrachte, fallt mir gleich ein: Viele Glatzen sind des Meisters Tod. Nu kickense man nicht so bedrohlich, denn ick weiß jenau: Den Glücklichen schlägt kein Kunde.

Der große Dichter Schüller muss disselbe Hoppi jehabt ham wie ich und Herr Kafforke, wobei ich Herrn Kafforke nicht mit ein Schenie vergleichen will. Aber nehmse bloß mal den Willem Tell, wo wir inne Schule noch mit verteilte Rollen jelesen ham, ich beispielsweise Rudi, den Fischer: Mach hurtig, Jenni, zieh die Naue ein, der graue Talvogt kommt, dumpf brüllt der Firnis! Heute würde Schüller ville zeitjemäßere Sprüchwörter erfinden, sagen wir mal: Wo Herrn Kafforkes Finger walten, kann sich kein Messerformschnitt halten. Oder: Die Axt im Haus erspart den Herrenfriseur.

Nu is mein Jehülfe schon richtig neidisch, weil der ja im Gejenteil zu mir die Klassiker nie jelesen hat und ick ihm auch nicht verrate, wo was steht. Ich werd doch meine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse nicht so ein Laien preisgeben! Der denkt, er kann mir mit so was imponieren wie: Haarwasser hat keine Balken. Oder: Wer andern eine Grube gräbt, muss hinterher zur Koppwäsche. Schließlich bezieh ich meine Ware aus höhere Fähren. Anfeuchten oder trocken lassen - das ist hier die Frage! Und wenn Se dis nächste Mal kommen, würd ick Ihnen ne Koppmassage empfehlen, sonst dauerts nicht mehr lange, und ick muss Ihnen dis dustere Sprüchwort von den großen britischen Trajöden Scheckschpier zurufen: Der Rest is Glatze. Macht zweifuffzig.

Frisör Kleinekorte bleibt sauber