Geliebt von einem Feind - J.D. Robb - E-Book
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Geliebt von einem Feind E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

Zwischen Liebe und Hass ist nur ein schmaler Grat ...

Lieutenant Eve Dallas vom New York Police Department ist ein alter Hase auf ihrem Gebiet und hat schon jede Menge Fälle aufgeklärt. Das ist natürlich auch den Medien nicht entgangen, die ihr immer mehr Aufmerksamkeit schenken. Dass sie – und ihr geliebter Ehemann Roarke – Objekte diverser Spekulationen sind, lässt sie meistens kalt. Doch nun ist Eve nicht mehr nur im Fokus der Medien, plötzlich interessiert sich auch jemand anders für sie und ihr Leben, auf eine fast besessene Art. Es gibt in New York jemanden, der sie für außergewöhnlich hält und jeden Tag an sie denkt. Jemand, der glaubt, dass er und Eve eine besondere Beziehung zueinander haben. Jemand, der für sie töten würde – immer und immer wieder ...

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Buch

Lieutenant Eve Dallas vom New York Police Department ist ein alter Hase auf ihrem Gebiet und hat schon jede Menge Fälle aufgeklärt. Das ist natürlich auch den Medien nicht entgangen, die ihr immer mehr Aufmerksamkeit und Erwähnung in der Presse schenken. Doch sie ist es längst gewöhnt, dass über sie und ihre Arbeit berichtet wird. Dass sie – und ihr geliebter Ehemann Roarke – Objekte des Klatsches und diverser Spekulationen sind, lässt sie meistens kalt.

Doch nun ist Eve nicht nur mehr im Fokus der Medien, plötzlich interessiert auch eine andere Person sich sehr für sie und ihr Leben, auf eine fast besessene Art. Es gibt in New York jemanden, der sie für außergewöhnlich hält und jeden Tag und jede Stunde an sie denkt. Jemand, der glaubt, dass er und Eve eine besondere Beziehung zueinander haben. Jemand, der für sie töten würde – immer und immer wieder …

Autorin

J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts, einer der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren erfolgreich Kriminalromane.

Liste lieferbarer Titel

Rendezvous mit einem Mörder · Tödliche Küsse · Eine mörderische Hochzeit · Bis in den Tod · Der Kuss des Killers · Mord ist ihre Leidenschaft · Liebesnacht mit einem Mörder · Der Tod ist mein · Ein feuriger Verehrer · Spiel mit dem Mörder · Sündige Rache · Symphonie des Todes · Das Lächeln des Killers · Einladung zum Mord · Tödliche Unschuld · Der Hauch des Bösen · Das Herz des Mörders · Im Tod vereint · Tanz mit dem Tod · In den Armen der Nacht · Stich ins Herz · Stirb, Schätzchen, stirb · In Liebe und Tod · Sanft kommt der Tod · Mörderische Sehnsucht · Ein sündiges Alibi · Im Namen des Todes · Tödliche Verehrung · Süßer Ruf des Todes · Sündiges Spiel · Mörderische Hingabe · Verrat aus Leidenschaft · In Rache entflammt · Tödlicher Ruhm · Verführerische Täuschung · Aus süßer Berechnung · Zum Tod verführt · Das Böse im Herzen · So tödlich wie die Liebe · Mörderspiele. Drei Fälle für Eve Dallas · Mörderstunde. Drei Fälle für Eve Dallas · Mörderlied. Vier Fälle für Eve Dallas

Nora Roberts ist J. D. Robb

Ein gefährliches Geschenk

J. D. Robb

Geliebt von einem Feind

Roman

Deutsch von Uta Hege

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Obsession in Death« bei G. P. Putnam’s Sons, a member of Penguin Group (USA) Inc., New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © der Originalausgabe 2015 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe by Blanvalet

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Regine Kirtschig

Covergestaltung: www.buerosued.de

Coverabbildung: Flora Press/Visions

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

LH ∙ Herstellung: sam

ISBN 978-3-641-24620-4V004

www.blanvalet.de

Ein großes Unglück ist’s, dass einem Mann

ein Feind nie einen Freund ersetzen kann.

Jonathan Swift

Doch Böse sagt zu Gut: Mein Bruder …

Algernon Charles Swinburne

Prolog

Töten ist viel leichter und vor allem befriedigender als gedacht. Ich habe endlich das Gefühl, dass ich etwas Bedeutsames geleistet habe, etwas, das es wert ist registriert zu werden, und das einen langfristigen Eindruck bei den Menschen hinterlassen wird. Ich habe mich mein Leben lang bemüht, doch niemand wusste meine Anstrengung zu schätzen oder hat erkannt, was in mir steckt.

Ich habe meine Sache während dieses neuen, wichtigen Projekts vom Anfang bis zum Ende wirklich gut gemacht.

Auch wenn ich im Verlauf der wochenlangen Planung, Auswahl und der Ausarbeitung selbst der winzigsten Details gelegentlich ein bisschen ungeduldig und mitunter wütend auf mich selbst war.

Manchmal habe ich gezweifelt, hätte fast den Mut verloren und am liebsten einen Rückzieher gemacht. Es ist nicht gerade motivierend, wenn niemand zu schätzen weiß, wie talentiert und engagiert man ist.

Inzwischen aber ist mir klar, dass sich die wochenlange, vielleicht sogar jahrelange Anstrengung auf jeden Fall gelohnt hat.

Und sie wird sich wieder lohnen, da die Vorbereitung und die Planung der diversen Taten, die noch folgen werden, bereits abgeschlossen sind.

Ich hatte meine erste Zielperson so lange im Visier, bis ich ihre Routine kannte, habe mir das Haus, in dem sie lebte, bereits vor Wochen angesehen, viel Geld in die erforderliche Ausrüstung gesteckt, bin immer wieder alle Schritte durchgegangen, und das hat sich bezahlt gemacht.

Dies war mein erster Beitrag, um die Waagschalen ins Gleichgewicht zu bringen. Zum ersten Mal habe ich meiner Partnerin und Freundin nicht nur in Gedanken, sondern tatkräftig Tribut gezollt.

Dieses eiskalte, blonde Biest hat den Tod verdient.

Hat nicht schon Shakespeare irgendwo gesagt, man sollte alle Rechtsverdreher töten? Vielleicht schlage ich die Stelle einmal nach. Auf alle Fälle habe ich die erste Rechtsverdreherin aus dem Verkehr gezogen. Sie wird nicht mehr daran verdienen, dass sie irgendwelchen Abschaum vor Gericht vertritt oder die Person, die ich bewundere wie keinen Menschen sonst, herabwürdigt oder beleidigt, weil die sich für die gute Sache engagiert. Warum zum Teufel hat sie ihr nicht den RESPEKT gezollt, der ihr gebührt?

Es ist mir eine Ehre, dass ich aktiv Anteil daran habe, dieses Unrecht wiedergutzumachen, damit eine Frau die Gerechtigkeit erfährt, die sie sich selber nicht verschaffen kann, weil ihr Job sie zu hundert Prozent beansprucht.

Deshalb trete ich jetzt für sie ein und räche all das Unrecht, das ihr im Verlauf der Jahre widerfahren ist.

Bald schon wird sie wissen, dass da jemand ist, der für sie einsteht und der tut, was nötig ist. Wenn sie meine Botschaft liest, wird sie erkennen, dass es einen Menschen gibt, der ihr den Rücken stärkt, der sie versteht, bewundert und ihr größeren Respekt entgegenbringt als irgendjemand sonst. So einen Menschen habe ich niemals gehabt. Unsere Verbindung ist so stark und intensiv, dass ich oft ihre Gedanken lesen kann. Ich frage mich, ob ihr das in Bezug auf mich wohl ebenfalls gelingt.

Ab und zu spät abends spüre ich, dass sie hier bei mir ist. Wie sonst hätte ich wissen sollen, wo ich beginnen, was genau ich machen muss?

Wir haben eine geistige Verbindung, die mir kostbar ist. Sie ist tief, stark und älter als die Zeit. Im Grunde bin ich sie, und sie ist ich. Es ist, als ob wir zwei Seiten einer Medaille wären, und wir sind durch den Tod vereint.

Ich habe mich durch diese Tat bewiesen. Ja, natürlich habe ich auch weiter alle Hände voll zu tun, weil außer diesem einen Weib noch viele andere auf der Liste stehen. Heute Abend nehme ich mir Zeit, um meine Emotionen zu Papier zu bringen und ein kleines Fest zu feiern, aber morgen fahre ich mit meiner Arbeit fort.

Eines Tages werden wir uns treffen, und sie wird erkennen, dass ihr niemand auch nur annähernd so treu ergeben ist wie ich.

Das wird der schönste Tag in meinem Leben sein.

1

An einem bitterkalten Morgen, kurz bevor das Jahr 2060 sich verabschieden würde, stand Lieutenant Eve Dallas in einem luxuriösen Schlafgemach, das in kühnem Violett, kühlem Metallicgrau und frischem Grün gehalten war. Vor dem Fenster warben Werbeflieger manisch für den irren nachweihnachtlichen Ausverkauf der Waren, die vor dem Fest nicht weggegangen waren, und Straßenhändler boten den Touristen, die zwischen den Feiertagen im Big Apple eingefallen waren, gefälschte Designeruhren und -taschen an.

Draußen ging das Leben weiter, während es im Inneren des eleganten, farbenfrohen Raums stehen geblieben war.

Der Duft der weißen Lilien und der violetten Rosen in der hohen, kristallenen Vase, die auf einem Ständer vor dem breiten Fenster stand, verstärkte noch den süßlichen Geruch des Todes, der im Zimmer hing.

Auf einem Bett, das groß genug für sechs Personen war, lag eine Frau, die einmal wunderschön gewesen war und deren makelloser Stil ihrem perfekten Outfit aus lavendelfarbenem Seidentop und silbergrauen Slacks sowie den tadellos gepflegten, violett lackierten Finger- und auch Zehennägeln noch immer deutlich anzusehen war.

Unter dichten Wimpern hervor starrten ihre Augen leicht verwirrt die Zimmerdecke an.

Das Blut aus einer dünnen, tiefen Schnittwunde um ihren Hals verklebte die weizenblonden Haare auf dem grauen Kopfkissen, und ihre Zunge wurde auf groteske Art in einem Kristallglas auf dem violett schimmernden Nachttisch links neben dem Bett zur Schau gestellt.

Der größte Hammer aber war für Eve die Botschaft, die in schwarzen Druckbuchstaben an der grauen Wand am Kopfende des Bettes hinterlassen worden war.

FÜR LIEUTENANT EVE DALLAS;

ALS ZEICHEN DES VERSTÄNDNISSES UND DER BEWUNDERUNG. IHR TOD IST UNSERE WAHRHEIT, WEIL IHR LEBEN EINE LÜGE WAR.

SIE HAT IHNEN KEINERLEI RESPEKT ERWIESEN, SCHLECHT VON IHNEN GESPROCHEN UND VOR ALLEM DAVON PROFITIEREN WOLLEN, DASS SIE IHRE ARBEIT UNTERGRÄBT. ES WAR MIR EINE FREUDE UND VOR ALLEM EINE EHRE, DIE WAAGSCHALEN INS GLEICHGEWICHT ZU BRINGEN. ICH HABE DER GERECHTIGKEIT GEDIENT, WEIL ICH LOYAL UND IHNEN TREU ERGEBEN BIN.

Eves Partnerin, Detective Delia Peabody, atmete zischend aus. »Was für ein Scheiß.«

Ohne etwas zu erwidern, wandte Eve sich dem Beamten in der Tür des Zimmers zu. »Wer hat sie gefunden?«

»Ein gewisser Cecil Haversham. Ihr Assistent. Das Opfer hat gestern Abend ein Geschäftsessen verpasst und kam heute Morgen auch nicht ins Büro, obwohl sie dort um neun einen Mandanten treffen sollte. Als auch telefonisch niemand sie erreichen konnte, hat ihr Assistent sich auf den Weg hierher gemacht. Sie kam nicht an die Tür, also hat er sich selber aufgemacht. Er hatte den Zugangscode und die Schlüsselkarte, weil er immer ihre Blumen gießt und in der Wohnung nach dem Rechten sieht, wenn sie auf Reisen ist. Er kam gegen Viertel nach neun herein, hörte den Fernseher im Schlafzimmer, der immer noch nicht ausgeschaltet ist, und kam herein. Der Notruf ging um 9.19 Uhr ein, das heißt, das Timing passt.«

»Wo ist er jetzt?«

»Das Esszimmer lässt sich vom Rest der Wohnung abtrennen. Wir haben ihm gesagt, dass er dort warten soll.«

»Dann lassen Sie ihn erst mal dort, besorgen mir die Aufnahmen der Überwachungskameras des Hauses und fangen mit der Befragung der Bewohner an.«

»Zu Befehl, Ma’am.« Er wies mit seinem ausgestreckten Kinn auf die Botschaft an der Wand. »Kennen Sie das Opfer?«

»Ich hatte ab und zu mit ihr zu tun.« Um weitere Fragen abzuwehren, wandte Eve sich ab.

Sie hatte ihre Hände und die Schuhe bereits vor der Wohnungstür versiegelt und den Rekorder eingeschaltet, bevor sie in das Schlafzimmer gekommen war. Jetzt blieb die hochgewachsene, schlanke Frau mit dem kurzen, wild zerzausten braunen Haar kurz stehen und sah sich ausdruckslos mit ihren bernsteinbraunen Augen um.

Oh ja, sie hatte hin und wieder mit der Frau zu tun gehabt und sie verabscheut, dachte sie. Als Strafverteidigerin hatte sie die Ethik einer Klapperschlange an den Tag gelegt, trotzdem träten Eve und Peabody während der letzten Tage dieses Jahres für sie ein.

»Am besten gehen wir die Sache vorschriftsmäßig an und identifizieren sie erst mal offiziell«, wandte sie sich an ihre Partnerin.

Nickend schälte die Kollegin sich aus ihrem pinkfarbenen Ledermantel, den sie zu Weihnachten von Eve bekommen hatte, legte ihn zur Seite und zog einen Untersuchungsbeutel auf. Das Identifizierungspad in einer Hand und ihre bunt gestreifte Pudelmütze auf den dunklen Haaren, trat sie an das Bett und nahm die Arbeit auf. »Bei unserem Opfer handelt es sich um Leanore Bastwick, wohnhaft hier in diesem Haus.«

»Die Todesursache scheint eindeutig zu sein. Die Untersuchung durch den Pathologen steht noch aus, aber wie’s aussieht, wurde sie mit einer Drahtgarotte stranguliert. Ermitteln Sie den Todeszeitpunkt.«

Wieder wühlte Peabody in ihrem Untersuchungsbeutel und hielt dann das Messgerät in einem Winkel an den Körper ihres Opfers, sodass die Anzeige in der von Eve gemachten Aufnahme gut sichtbar war.

»Todeszeitpunkt ist 18.33 Uhr.«

»Es gibt keine Spuren eines Kampfs, keinen Hinweis darauf, dass jemand gewaltsam in die Wohnung eingedrungen ist, das Opfer weist auch keine sichtbaren Abwehrverletzungen auf. Es ist vollständig bekleidet, in dem Apartment liegen eine Reihe leicht zu transportierender Wertsachen herum. Es sieht nicht nach einem Sexualverbrechen und auch nicht nach einem Einbruch aus. Anscheinend war der Mord an dieser Frau das Einzige, worum es unserem Täter ging.«

Peabody blickte auf die Nachricht an der Wand. »So hat er’s auch formuliert.«

»Genau. Vielleicht erzählen die Aufnahmen der Überwachungskameras ja eine andere Geschichte, aber bisher sieht es aus, als ob das Opfer seinen Mörder selbst hereingelassen hätte, was bedeutet, dass sie ihn entweder kannte oder angenommen hat, dass sie ihn kennt. Dann hat er sie entweder sofort mit einem Stunner, einer Spritze oder einem Schlag außer Gefecht gesetzt oder sie gezwungen, mit ihm ins Schlafzimmer zu gehen. Wohnungen wie diese sind normalerweise schallgeschützt, sie hätte also schreien oder laut um Hilfe rufen können, ohne dass es jemand hört. An den Fenstern ist der Sichtschutz aktiviert, von außen konnte also niemand sehen, was hier drin passiert.«

»Weder ihre Hand- noch ihre Fußgelenke weisen Fesselspuren auf.«

Jetzt trat auch Eve neben das Bett, hob vorsichtig den Kopf der Toten an und stellte fest: »Sieht nicht so aus, als wäre irgendwer mit einem stumpfen Gegenstand von hinten auf sie losgegangen.«

Sie zog eine Mikrobrille aus ihrem eigenen Untersuchungsbeutel und sah sich den Hinterkopf des Opfers noch einmal genauer an. »Hier gibt es eine leichte Abschürfung und einen kleinen blauen Fleck. Wahrscheinlich hat sie sich den Kopf gestoßen, als sie umgefallen ist. Er hat sie also entweder gleich an der Tür oder, falls es ein Bekannter war, nachdem sie ihn hereingelassen hatte, außer Gefecht gesetzt. Wenn er sie nicht gezwungen hat, ins Schlafzimmer zu gehen, hat er sie hergeschleppt. Das Bett ist nicht zerwühlt, die Kissen liegen so, wie sie sie wahrscheinlich selber nach dem Aufstehen morgens angeordnet hat.«

Sie hob eine Hand der Toten hoch und sah sich die Finger und die Nägel an. »Sauber, keine Spuren, nichts, was darauf hinweist, dass die DNA des Täters unter ihren Nägeln steckt. Das heißt, sie konnte sich nicht wehren. Sonst hätte sie sich spätestens in dem Moment, in dem die Drahtschlinge um ihren Hals gezogen worden ist, zur Wehr gesetzt.«

Die Mikrobrille auf der Nase beugte Eve sich über das Kristallglas, in dem Bastwicks abgetrennte Zunge lag. »Der Rand wirkt ziemlich glatt – die Zunge wurde ihr nicht herausgerissen und nicht abgesägt. Der Schnitt deutet auf eine dünne, scharfe Klinge hin. Vielleicht von einem Skalpell. Ohne Zunge kann man keinen Müll mehr reden«, sagte sie halb zu sich selbst. »Und auch keine Kriminellen vor Gericht verteidigen. Dies ist ein kleines Extra, ein Symbol, ein … Hinweis.«

»Der wahrscheinlich Ihnen gilt.«

Eve betrachtete die Nachricht an der Wand und atmete tief durch. »So wirkt’s auf jeden Fall. Wir haben uns vor zwei Jahren wegen des Jess-Barrow-Falls und kurz davor nach der Ermordung ihres Partners miteinander angelegt. Sie war ein harter Knochen, doch vor allem hat sie ihren Job gemacht. Auf die Art, die sie für richtig hielt.«

Jetzt wandte Eve sich von der Leiche ab und betrat den großen, begehbaren Kleiderschrank. »Sie hatte sich ein Outfit für den Restaurantbesuch zurechtgelegt. Schicke Schuhe, schwarzes Kleid, Dessous und Schmuck, der echt aussieht. Anscheinend hat der Killer hier nichts angerührt.«

Sie ging weiter in das elegante, ganz in Weiß und Silber gehaltene Bad, in dem in einer viereckigen Glasvase auf einem langen weißen Tresen wie bereits im Schlafzimmer ein Strauß mit violetten Blumen stand.

»Handtücher über dem Handtuchwärmer, Morgenmantel an dem Haken bei der Dusche, ein Glas Wein und irgendwelche Pampe fürs Gesicht neben dem Wasch­becken.«

»Eine Maske.«

»Was?«

»Die Pampe fürs Gesicht«, erklärte Peabody und tätschelte sich kurz die Wangen. »Und zwar echt teures Zeug. Da die Ablage sonst leer ist, schätze ich, dass sie sich eine Maske machen, sich die Einwirkzeit mit einem Gläschen Wein vertreiben und dann duschen wollte, als jemand an der Tür geklingelt hat.«

»In Ordnung, gut. Sie will sich also ausgehfertig machen, aber plötzlich klingelt jemand an der Tür.«

Eve sprach weiter, während sie das Bad wieder verließ. »Das findet sie anscheinend nicht beunruhigend. Bestimmt hat sie auf dem Monitor im Schlafzimmer gesehen, wer es war, und fand es schön, etwas Gesellschaft oder Unterhaltung zu bekommen, während sie sich für das Essen fertig macht. Als es klingelt, ist sie entweder im Badezimmer oder sucht gerade im Schrank die Sachen raus.«

»Die Haustür ist gesichert«, warf Peabody ein. »Hat sie also den Killer reingelassen?«

»Das müsste auf den Aufnahmen der Überwachungskamera zu sehen sein. Aber wie auch immer er ins Haus gekommen ist, sie hat die Tür der Wohnung selber aufgemacht.«

Sie stellte sich das Opfer vor, wie es in schicken Freizeitsachen an die Tür gegangen war. Hatte Bastwick vorher noch durch den Spion oder auf den Monitor der Kamera gesehen?

Was sollte man mit solchen Dingen, wenn man sie nicht nutzte? Also hatte Bastwick sie benutzt, um nachzuschauen, sich nicht bedroht gefühlt und dem Besucher aufgemacht.

»Dann hat er sie außer Gefecht gesetzt und sie ins Schlafzimmer getragen oder vielleicht auch geschleift.«

»Vielleicht hat sie ihn aber auch freiwillig mit ins Schlafzimmer genommen«, überlegte ihre Partnerin. »Vielleicht war es ja ein Lover oder so.«

»Sie hatte einen Termin im Restaurant. Da bleibt keine Zeit für Sex. Sie trägt auch kein verführerisches Outfit und ist völlig ungeschminkt. Er könnte sie gezwungen haben, ins Schlafzimmer zu gehen, aber so fühlt es sich nicht an. Dort herrscht nicht die geringste Unordnung, alles ist an seinem Platz.«

Eve kehrte selbst ins Schlafzimmer zurück und sah sich Bastwicks Füße an, die in silberfarbenen Pantoffeln steckten. »Die Fersen sind nicht abgeschabt. Sie wurde also nicht geschleift.«

»Dann hat er sie getragen.« Mit nachdenklich gespitzten Lippen schätzte Peabody die Strecke von der Wohnungstür zum Bett. »Wenn er sie an der Tür betäubt hat, musste er sie endlos lang tragen. Warum hätte er das machen sollen?«

»Ja, warum? Bisher gibt’s keinen Hinweis darauf, dass er sich an ihr vergangen hat. Vielleicht hat er sie hinterher ja wieder angezogen, aber … Morris wird uns sagen können, ob sie vergewaltigt worden ist. Der Killer legt sie auf das Bett. Anscheinend war sie nicht geknebelt, auch wenn uns das mit Sicherheit erst der Pathologe sagen kann. Er tötet sie, solange sie betäubt oder bewusstlos ist, schneidet ihr die Zunge raus, weil er ein Zeichen setzen will, schreibt die Nachricht an die Wand, damit ich weiß, dass er mir einen Gefallen erwiesen hat, und macht sich aus dem Staub.«

»Am besten reden wir jetzt erst mal mit dem Assistenten, sehen uns die Bilder aus den Überwachungskameras hier an und schauen uns, ehe wir die SpuSi rufen, noch mal selber gründlich in der Wohnung um.«

Der Name Cecil Haversham entsprach genau seinem Erscheinungsbild. Förmlich elegant, mit derart scharfen Bügelfalten in der Hose eines grauen Dreiteilers, dass man sich daran schneiden könnte, mit kurz geschnittenem weißem Haar und sorgfältig getrimmtem, kleinem Ziegenbart.

Er saß mit auf der leuchtend roten Tischplatte zusammengelegten Händen auf einem der rundlehnigen Stühle, und die Trauer und das Elend, weil er seiner Vorgesetzten nicht mehr helfen konnte, übertrugen sich auf den gesamten Raum.

Eve gab der Beamtin, die ihm dort Gesellschaft leistete, mit einem Nicken zu verstehen, dass sie gehen konnte, setzte sich ans Kopfende des Tischs, und ihre Partnerin nahm direkt gegenüber dem Zeugen Platz.

»Mr. Haversham, ich bin Lieutenant Dallas, und das ist Detective Peabody. Ich weiß, es ist im Augenblick nicht leicht für Sie.«

»Es ist zutiefst verstörend«, antwortete er mit einem Hauch britischer Oberklasse in der Stimme, obwohl Eve dank einer kurzen Überprüfung wusste, dass er in Ohio auf die Welt gekommen war.

»Wie lange haben Sie Miss Bastwick zugearbeitet?«

»Ich bin seit fast zwei Jahren ihr Assistent. Vorher habe ich als Sekretär von Mr. Collier von Swan, Colbreck, Collier und Ives fungiert.«

»Wie sind Sie an die Stelle gekommen?«

»Sie hat mir den Posten angeboten, und nicht nur die bessere Bezahlung und die Zusatzleistungen in ihrem Unternehmen haben mir zugesagt, sondern obendrein hatte ich das Gefühl, es wäre … durchaus reizvoll, wenn es nach der jahrelangen Beschäftigung mit Steuer- und mit Unternehmensrecht einmal um Strafrecht geht.«

»Als ihr Assistent waren Sie mit ihren Fällen, ihren Mandanten und ihren Terminen sicher hinlänglich vertraut.«

»Selbstverständlich. Meine Vorgesetzte ist … war sowohl privat als auch beruflich sehr beschäftigt. Es war Teil von meinen Pflichten, ihren Terminkalender so zu führen, dass sie ihre Zeit bestmöglich nutzen kann.«

»Wissen Sie, ob Ihrer Chefin irgendjemand hätte schaden wollen?«

»Als Strafverteidigerin hat sie sich mitunter unbeliebt gemacht. Bei Mandanten, die mit ihrer Leistung unzufrieden waren, auch wenn das selbstverständlich völlig unbegründet war, oder bei der Staatsanwaltschaft und selbst bei der Polizei.«

Er bedachte Eve mit einem ruhigen, wenn auch etwas unglücklichen Blick. »Wissen Sie, das gehört zu dem Job einfach dazu.«

»Fallen Ihnen irgendwelche Namen ein?«

»Während ich hier gesessen und versucht habe, das alles zu verdauen, habe ich mich das schon selbst gefragt. Natürlich gab es Drohungen. Wir haben eine Akte dazu angelegt, die ich Ihnen gern kopieren lasse, falls die Firma damit einverstanden ist. Aber etwas, was mich an diese grauenhafte Tat erinnern würde, ist nicht dabei, soweit ich mich entsinne. Miss Bastwick hat immer gesagt, wenn niemand sie bedrohen oder mit … wenig attraktiven Spitznamen belegen würde, würde sie in ihrem Job was falsch machen. Ich schätze, dass es Ihnen als Lieutenant und Detective oft genauso geht. Auch Sie machen sich Feinde durch die Arbeit, die Sie leisten, und je besser Sie die Arbeit machen, umso größer wird die Zahl der Leute, die Ihnen nicht wohlgesonnen sind.«

»Da haben Sie recht.« Eve lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Jetzt erzählen Sie mir bitte, wie es abgelaufen ist. Wann fingen Sie an, sich Sorgen um Miss Bastwick zu machen, und was haben Sie da getan?«

»Ernsthaft in Sorge war ich heute früh. Ich komme jeden Tag um 8.15 Uhr ins Büro. Dadurch bleibt mir genügend Zeit, die eingegangenen Nachrichten und den Terminkalender durchzugehen und die Unterlagen rauszusuchen, die Miss Bastwick für ihre Termine an dem jeweiligen Morgen braucht. Wenn sie keinen aushäusigen Termin hat und nicht ans Gericht muss, taucht sie spätestens um 8.40 Uhr in der Firma auf. Als ich heute Morgen ins Büro kam, fand ich eine Nachricht von den Herren Chance Warren und Zane Quirk auf dem Anrufbeantworter vor. Miss Bastwick hätte sie am Vorabend um 20 Uhr im Monique’s am Park zum Abendessen treffen sollen. Um 21.03 Uhr haben die Mandanten leicht verärgert angerufen, weil Miss Bastwick nicht erschienen ist.«

»Sie haben um diese späte Uhrzeit noch die Firma kontaktiert?«

»Richtig. Mr. Warren sagte, sie hätten versucht, Miss Bastwick auf dem Handy zu erreichen – unter der Geschäftsnummer, die sie allen Mandaten überlässt. Da sie sie nicht erreichen konnten, haben sie ihr Glück in der Kanzlei versucht.«

Er legte eine Pause ein und räusperte sich kurz. »Es passte ganz und gar nicht zu Miss Bastwick, einfach zwei Mandanten zu versetzen, deshalb habe ich versucht, sie auf dem Handy zu erreichen, aber unter beiden Nummern sprang sofort die Mailbox an. Dann rief ich Mr. Warren an und musste hören, dass Miss Bastwick überhaupt nicht mehr im Restaurant erschienen war, weshalb er dort mit Mr. Quirk allein gegessen hat.«

Als er sich wieder räusperte, sah Peabody ihn fragend an. »Kann ich Ihnen ein Glas Wasser holen, Mr. Haversham?«

»Oh, ich möchte Ihnen keine Mühe machen.«

»Kein Problem. Wir wissen Ihre Kooperation zu schätzen«, antwortete sie und wandte sich zum Gehen.

»Das ist sehr freundlich.« Er befingerte den Knoten der Krawatte, die er trug. »Miss Bastwick hätte heute früh um 8.20 Uhr im Büro erscheinen sollen, denn ich hatte auf ihre Bitte einen frühen Termin für sie gemacht. Als sie nicht kam, habe ich dem Mandanten abgesagt und abermals versucht, sie telefonisch zu erreichen. Ich gestehe, Lieutenant – oh, ich danke Ihnen, Detective«, unterbrach er sich. Als Peabody mit einem großen Wasserglas erschien, genehmigte er sich einen vorsichtigen Schluck und atmete vernehmlich aus.

»Wie gesagt, ich gebe zu, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits sehr beunruhigt war. Aus Angst, Miss Bastwick wäre vielleicht krank geworden oder hätte einen Unfall auf dem Weg ins Restaurant gehabt, beschloss ich, herzukommen und nach ihr zu sehen. Wie ich der Beamtin, die bis eben bei mir war, bereits erklärt habe, besitze ich den Zugangscode zu ihrer Wohnung, weil ich die Blumen gieße und hier nach dem Rechten sehe, während sie auf Reisen ist. Als sie auf mein Klingeln nicht geöffnet hat, habe ich mir selber aufgemacht. Mir ist bewusst, dass das wahrscheinlich ziemlich ungehörig wirkt, als hätte ich ihre Privatsphäre nicht respektiert, aber ich war ernsthaft in Sorge.«

»Was ich gut verstehen kann.«

»Danke.« Wieder nahm er einen vorsichtigen Schluck aus seinem Glas. »Ich habe laut nach ihr gerufen. Als ich Stimmen aus dem Schlafzimmer vernahm, weil dort der Fernseher noch eingeschaltet war, rief ich noch mal. Als keine Antwort kam, nahm meine Angst noch zu. Also habe ich ein drittes Mal nach ihr gerufen und beschlossen, ins Schlafzimmer zu gehen und mich zu vergewissern, dass mit ihr alles in Ordnung ist.«

»War die Tür des Zimmers offen oder zu?«

»Oh, offen, denn ich habe sie sofort dort liegen sehen. Ich sah … Ich wollte zu ihr, weil ich dachte, dass ich ihr vielleicht noch helfen könnte, aber kurz vorm Fußende des Bettes bin ich stehen geblieben, als mir klar wurde, dass ihr nicht mehr zu helfen ist. Ich war total erschüttert. Ich … Es könnte sein, dass ich geschrien habe, aber sicher bin ich nicht. Als ich mein Handy aus der Tasche ziehen wollte, habe ich derart gezittert, dass es mir fast aus der Hand gefallen ist. Dann habe ich die Polizei gerufen, die Frau in der Zentrale war sehr nett. Sie hat versucht, mich zu beruhigen, und gesagt, ich sollte nichts berühren und warten, bis die Polizei erscheint. Die Tür der Wohnung habe ich schon beim Hereinkommen und dann noch mal, als ich die Polizei hereingelassen habe, angefasst. Vielleicht habe ich auch noch den Rahmen der Tür des Schlafzimmers berührt. Ich kann mich nicht erinnern.«

»Kein Problem.«

»Ich habe mitbekommen, was an der Wand geschrieben steht. Ich konnte es unmöglich übersehen. Aber verstanden habe ich es nicht.«

»Ging es bei irgendeiner Drohung gegen Ihre Chefin um Jess Barrow oder mich?«

»Nicht dass ich mich erinnern könnte, nein. Der Fall Barrow war schon abgeschlossen, als ich meine Stelle angetreten habe, aber trotzdem bin ich hinlänglich damit vertraut.«

»Können Sie uns der Ordnung halber sagen, wo Sie gestern Abend zwischen fünf und acht gewesen sind?«

»Oh je.« Jetzt nahm er einen großen Schluck aus seinem Glas. »Aber natürlich. Ich habe um 17.15 Uhr das Büro verlassen. Meine Frau wollte mit ihrer Schwester essen gehen, weil mein Schachclub sich gestern bei uns getroffen hat. Marion macht sich nichts aus Schach, und als ich kurz vor halb sechs nach Hause kam, bin ich gleich in die Küche gegangen und habe ein leichtes Abendessen vorbereitet, um es meinen Schachbrüdern und -schwestern zu servieren. Gegen Viertel vor sechs ging Marion aus dem Haus, das erste Mitglied meines Schachclubs klingelte um sechs. Als alle da waren, haben wir gegessen und danach bis ungefähr halb zehn gespielt. Das letzte Mitglied meines Clubs dürfte um kurz vor zehn gegangen sein, kurz nachdem Marion heimgekommen war. Wir sind in unserm Club zu acht. Ich kann Ihnen die Namen der anderen Spieler geben, wenn Sie wollen.«

»Das wäre nett. Dann hätten wir Ihr Alibi routinemäßig überprüft.«

»Verstehe.« Nickend fuhr er fort. »Miss Bastwick war eine sehr anspruchsvolle Chefin, doch das hat mich nicht gestört, weil ich immer mein Bestes gebe, wenn ich Aufgaben und Ziele habe, und es als Herausforderung sehe, wenn man bei der Arbeit seinen Kopf anstrengen muss. Ich glaube, deshalb haben wir durchaus gut zueinander gepasst. Natürlich ist mir klar, dass einige sie schwierig fanden. Doch ich selber fand das nicht.«

Zum ersten Mal seit Anfang des Gesprächs wandte er sich mit feuchten Augen ab, und Eve sah schweigend zu, wie er um Fassung rang.

»Es tut mir leid. Ich bin zutiefst bekümmert.«

»Lassen Sie sich Zeit.«

»Ja, danke. Wie gesagt, ich selber fand Miss Bastwick alles andere als schwierig. Doch auch ohne dass wir derart ausgezeichnet miteinander klargekommen wären, würde ich alles tun, um Ihnen zu helfen rauszufinden, wer sie so brutal ermordet hat. Sie brauchen nur zu sagen, was ich tun soll, und es wird geschehen.«

»Sie waren uns bereits eine große Hilfe«, sagte Peabody und sah ihn fragend an. »Vielleicht könnten Sie uns jetzt noch ein Gefühl dafür vermitteln, wie Miss Bastwick mit den Partnern, den Kollegen und den anderen Leuten in der Firma ausgekommen ist.«

»Tja, nun, natürlich gab es hin und wieder Reibungen, was allerdings nicht anders zu erwarten ist. Und jede Menge Konkurrenz. Aber sie wurde respektiert und wertgeschätzt. Ich … Mein eigener Assistent hat bereits wiederholt versucht, mich zu erreichen, aber da die Polizistin meinte, dass ich erst mal nicht ans Handy gehen sollte, habe ich es abgestellt. Aber jetzt sollte ich langsam wieder ins Büro, falls das gestattet ist. Es gibt so vieles zu erledigen.«

»Nur eins noch«, meinte Eve. »War sie gerade an irgendeiner großen Sache dran?«

»Ich nehme an, dass man die Herren Warren und Quirk als durchaus groß bezeichnen kann. Sie werden der Untreue und des Betrugs an ihrem eigenen Finanzberatungsunternehmen beschuldigt, die Angelegenheit geht nächste Woche vor Gericht. Miss Bastwick war sehr zuversichtlich, dass die Anklage in allen Punkten fallen gelassen würde. Wie Sie wahrscheinlich selber wissen, konnte sie mitunter vor Gericht sehr streitbar und leidenschaftlich sein.«

»Das stimmt. Können wir jemanden für Sie kontaktieren, Mr. Haversham?«

»Für mich?« Er wirkte kurzfristig verwirrt. »Oh nein, aber ich danke Ihnen für das nette Angebot. Ich gehe zurück ins Büro und tue, was getan werden muss.«

»Wir würden es zu schätzen wissen, wenn wir die Kopien der Drohbriefe bekämen.«

»Ja. Ich spreche gleich mit Mr. Stern.«

»Ich kann einen unserer Beamten bitten, Sie in die Kanzlei zu fahren«, bot Eves Partnerin ihm an.

»Das ist sehr freundlich, aber es ist keine weite Strecke, und ein kurzer Fußmarsch tut mir sicher gut. Vielleicht hilft er mir, meine Gedanken zu sortieren.«

Er erhob sich gleichzeitig mit Eve. »Ihre Familie. Die fällt mir jetzt erst ein. Sie hat Eltern und auch eine Schwester. Ihre Eltern leben in Palm Beach, und ihre Schwester …« Er brach ab und rieb sich nachdenklich die Schläfe. »Ja, genau. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in East Washington. Soll ich sie kontaktieren?«

»Das übernehmen wir«, erklärte Eve. »Falls Ihnen sonst noch etwas einfällt, geben Sie Bescheid.«

»Das werde ich auf jeden Fall. Bevor ich gehe, würde ich Sie gerne etwas fragen, was mir auf der Seele liegt. Es ging hoffentlich schnell?«

»Ich glaube schon.«

»Ich hoffe, dass sie nicht gelitten hat.«

Peabody geleitete ihn aus dem Raum, und Eve kehrte ins Schlafzimmer und dort zum Kleiderschrank zurück.

»Bei aller Steifheit war er wirklich süß«, bemerkte Peabody, als sie ins Zimmer kam. »Dazu kommt es mir vor, als hätte er sie wirklich gerngehabt.«

»Da wäre er bestimmt der Einzige«, erklärte Eve. »Sie war kaltblütig, knallhart und schnodderig. Ich glaube nicht, dass sie viele echte Freundinnen und Freunde hatte, aber ihr Bekannten- und Kollegenkreis und auch die Zahl ihrer Mandanten waren wahrscheinlich riesengroß. Hier drinnen ist ein Safe. Das hatte ich mir schon gedacht. Sieht nicht so aus, als wäre jemand dran gewesen, trotzdem sollen die elektronischen Ermittler ihn mal aufmachen und nachsehen, was sie dort aufgehoben hat. Dann sprechen wir mit ihrer Versicherung und gucken, ob womöglich irgendwelche Wertsachen, die dort versichert waren, verschwunden sind. Wir sollten allen Spuren nachgehen, Peabody, denn schließlich ist nicht auszuschließen, dass die Nachricht an der Wand einfach ein Ablenkungsmanöver ist.«

Sie presste sich die Finger vor die Augen, doch der letzte Satz der Nachricht ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf.

WEIL ICH LOYAL UND IHNEN TREU ERGEBEN BIN.

Sie musste diesen Satz verdrängen, um weiter ihrer Arbeit nachgehen zu können.

»Okay, wahrscheinlich löst die Nachricht einen Riesen­shitstorm aus. Wir müssen ihre Eltern sofort informieren, bevor etwas davon nach außen dringt. Dann müssen wir die Staatsanwaltschaft dazu bringen, uns Kopien von allem zu besorgen, was vielleicht für unsere Arbeit wichtig ist. Den Ordner mit den Drohbriefen, die Namen ihrer Mandanten und die Akten ihrer Fälle, ganz egal, ob sie noch offen oder bereits abgeschlossen sind. Ihre Partner werden den gewohnten Lärm deswegen machen, und die Journalisten werden anfangen zu sabbern, wenn sie was von dieser blöden Nachricht hören, was sich allerdings wohl kaum verhindern lassen wird.«

»Wer würde für Sie töten?«, fragte Peabody und wartete, bis Eve die Hände sinken ließ, bevor sie weitersprach. »Ich meine, wer würde jemanden töten, weil er unhöflich oder, wie Sie es formuliert haben, schnodderig zu Ihnen war?«

»Da fällt mir niemand ein. Normalerweise gehe ich Beziehungen zu Mördern möglichst aus dem Weg.«

»Es geht mir nicht um einen Namen, Dallas. Es geht mir um einen Typ. Zum Beispiel jemanden, dem Sie einmal geholfen haben, oder jemanden, der jemand anderem nahesteht, für den Sie einmal da gewesen sind. Das wäre eine Möglichkeit. Eine andere wäre jemand, der Ihre Karriere aus der Ferne mitverfolgt. Ein Möchtegernermittler oder so. Sie stehen oft im Rampenlicht, ob Sie es wollen oder nicht. Wobei mir klar ist, dass Sie das bestimmt nicht wollen. Sie haben jede Menge großer Fälle abgeschlossen, deshalb taucht Ihr Name regelmäßig in den Medien auf.«

»Sie haben doch dieselben Fälle abgeschlossen.«

»Ja, aber im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht auch noch mit einem superattraktiven Kerl verheiratet, der reicher ist als Gott und über den noch öfter in den Medien berichtet wird. Dazu kommt noch das ganze Aufheben wegen des Icove-Falls, des Buchs, das Nadine Furst darüber geschrieben hat, und des Films, der über Monate hinweg in allen Kinos lief.«

»Verdammt. Ich hätte mir denken sollen, dass mich diese Sache bis ins Grab verfolgen wird.« Geplagt von leichtem Kopfweh, doch vor allem grenzenlos frustriert fuhr Eve sich mit den Fingern durch das Haar. »Aber Ihre Überlegung ist nicht schlecht. Am besten gehen wir den Fall erst mal in dieser Richtung an. Es könnte irgendwer gewesen sein, der das Gefühl hat, dass er mir was schuldet, wenn auch auf verdrehte Art. Oder ein Möchtegernermittler, der sich einbildet, er würde für mich einstehen, indem er tut, was ich nicht kann. Indem er meine Feinde oder Leute, die er dafür hält, für alle Zeit unschädlich macht. Aber, verdammt noch mal, an Bastwick habe ich zum letzten Mal vor über einem Jahr gedacht, als Barrow seine Revision verloren hat.«

Sie ging zurück ins Schlafzimmer und las sich abermals die Nachricht durch. »Sie hat mir keinen Respekt erwiesen«, murmelte sie vor sich hin. »Lassen Sie uns hoffen, dass der mangelnde Respekt nicht das Motiv für diesen Mord ist, weil die Liste all der Leute, die es an Respekt mir gegenüber haben fehlen lassen, länger als der Weg vom Mond zur Erde ist. Ich bin ein gottverdammter Cop. Ihr Tod ist unsere Wahrheit, weil ihr Leben eine Lüge war. Unsere Wahrheit? Hat er einen Partner, oder redet er von mir – von sich und mir?«

»Die Nachricht hat ein durchgehendes Thema, finden Sie nicht auch? Er hat für Sie und im Namen der Gerechtigkeit getötet. Bastwick, die Verteidigerin Krimineller, und Sie selbst, der Cop. Dazu kennt unser Täter sich anscheinend bestens mit Grammatik aus. Ist Ihnen das Semikolon aufgefallen? Wie viele Killer kennen wir, die ein Semikolon setzen würden oder auch nur wüssten, dass es so was gibt?«

»Huh. Da haben Sie recht. Okay, wir sehen uns auch die Sache mit dem Cop, der Gerechtigkeit, dem fehlenden Respekt und das große Ganze an, aber erst mal sollten wir uns vielleicht auf das Opfer konzentrieren und uns fragen, warum gerade sie ermordet worden ist. Sie war reich und attraktiv, ziemlich bekannt und hatte jede Menge Feinde.«

»Das klingt, als würden Sie sich selbst beschreiben«, stellte Peabody mit rauer Stimme fest, den dunklen Augen war die Sorge um die Partnerin und Freundin deutlich anzusehen. »Was vielleicht eine weitere Verbindung ist.«

»Roarke ist reich, nicht ich. Außerdem brezele ich mich nicht täglich auf wie diese Frau.«

»Sie sehen trotzdem gut aus.«

»Vielen Dank.«

»Sie sind groß und schlank, haben phänomenale Wangenknochen und dann noch das süße Grübchen in der Mitte ihres Kinns. Sie sehen gut aus und sind vor allem wirklich fotogen. Attraktiv und taff und, ja, okay, Sie sehen selbst dann noch wie ein Cop aus, wenn Sie aufgebrezelt sind. Vielleicht ist unser Täter ja ein Kerl, der auf Sie steht und Sie auf diese Art umwirbt.«

»Verdammt und zugenäht.« Bei dem Gedanken wogte ein Gefühl der Übelkeit in ihrem Innern auf. »Statt weiter wild zu spekulieren, sehen wir uns besser erst einmal die Aufnahmen der Überwachungskameras neben der Haustür und hier oben an, lassen Sie sie ins Leichenschauhaus bringen und bestellen Sie die Spurensicherung.« Eve lenkte ihren Blick noch einmal auf die tote Frau. »Wir sind jetzt für sie zuständig.«

»Genau das begreift unser Killer nicht«, erklärte Peabody und nickte zu der Nachricht an der Wand, bevor sie ihren Mantel schnappte und den Raum verließ.

2

Eve schob die Diskette mit den Bildern aus der Kamera am Hauseingang in ihren Handcomputer und sah sich die Aufnahmen der letzten Stunde vor dem Mord an Bastwick an.

»Der Killer könnte ebenfalls dort wohnen oder schon vorher reingekommen sein, aber am wahrscheinlichsten ist meiner Meinung nach, dass er von außen kam und das Gebäude erst kurz vor der Tat betreten hat.«

Leute kamen aus dem Haus und gingen hinein. Die meisten schleppten Einkaufstüten, fiel ihr auf. Hörten diese Leute niemals auf zu shoppen? Was zum Teufel machten sie mit all dem Zeug?

»Jetzt kommen wir der Sache näher«, meinte Peabody. »Wenn meine Messung richtig war, dauert es nur noch eine Viertelstunde, bis sie stirbt. Vielleicht ist es ja doch jemand, der ebenfalls dort wohnt oder der …«

»Hier. Hier ist er.«

Jemand in der Uniform von einem Lieferservice tauchte vor der Haustür auf.

Eve drückte auf die Pausetaste und sah sich die Aufnahme genauer an. »Er hat die Kiste extra so auf einer Schulter abgestellt, dass sein Gesicht nicht aufgenommen werden kann. Weite braune Jacke, braune Hose, Springerstiefel, braune Handschuhe, tief in die Stirn gezogene, dunkle Skimütze und dazu noch ein Schal, den er sich um den Hals und um die untere Gesichtshälfte geschlungen hat. Vielleicht ist es ein Mann, vielleicht aber auch eine Frau, nicht einmal die Hautfarbe ist eindeutig zu erkennen.«

»So wie er steht, kann man nicht sehen, auf welchen Klingelknopf er drückt. Vielleicht können die elektronischen Ermittler ja die Aufnahme bearbeiten, damit man etwas mehr erkennen kann, aber ich bin mir jetzt schon sicher, dass sein Finger auf dem Klingelknopf des Opfers liegt. Er wirkt ziemlich kräftig, was aber …«

»… vielleicht auch an der Jacke liegt. Die ungefähre Größe kriegen wir anhand des Bildes raus, aber man kann nicht sehen, ob er dick oder dünn ist. Er geht direkt ins Haus. Am besten sehen wir uns die Fotos aus der Eingangshalle an«, erklärte Eve und rief die Bilder aus dem Inneren des Hauses auf. »Er geht direkt zum Lift. Er kennt die Position der Kameras. Das Arschloch war also entweder vorher schon mal dort oder hat einen Plan des Hauses in die Hand gekriegt. Er hält die Kiste weiter so, dass sein Gesicht nicht aufgenommen werden kann. Jetzt steigt er in den Fahrstuhl, und das Einzige, was wir von ihm zu sehen bekommen, sind seine Hände. Die nicht gerade riesig sind. Es könnte also immer noch genauso eine Frau sein wie ein Mann. Wir haben seine Hände, seine Füße und die ungefähre Größe. Vielleicht reicht das für eine erste Analyse aus. Verdammt, jetzt steigt er aus, rückt die Kiste so, dass sein Gesicht wieder nicht zu sehen ist, und läuft zur Wohnungstür des Opfers.«

»Wie Sie schon vermutet haben, macht ihm Bastwick einfach auf. Und … er steckt die Hand in seine Tasche. Dallas …«

»Ja, ich sehe es. Er ist echt schnell. Jetzt macht sie ihm auf. ›Miss Bastwick, Leanore Bastwick? Ich habe hier eine Lieferung für Sie. Sie ist echt schwer, Miss, also trage ich sie besser für Sie rein.‹ Sie zieht die Tür ein bisschen weiter auf, macht einen Schritt zurück und … ist nicht mehr zu sehen. Er betritt die Wohnung, zieht etwas aus seiner Tasche und … verdammt … ist ebenfalls nicht mehr zu sehen. Dann schiebt er die Tür hinter sich zu. Mit einem schnellen Tritt. Verflucht noch mal.«

»Es ist genau, wie Sie gesagt haben.«

»Was uns nicht wirklich weiterhilft.« Eve spulte vor bis zu der Stelle, als er wieder aus der Wohnung kam. »Rein und raus in weniger als einer halben Stunde. Das zeugt von Beherrschung und von Zielgerichtetheit. Er trägt immer noch die Kiste, was bedeutet, dass man sein Gesicht auch weiter nicht erkennen kann.«

»Aber … sehen Sie das?«

»Ich weiß nicht. Was sollte ich sehen?«

»Diesen beschwingten Gang. Da ist jemand glücklich, da fühlt jemand sich so gut, dass man es schon an seinem Gang erkennt. Trotzdem ist er weiter vorsichtig genug, um sein Gesicht hinter der Kiste zu verstecken, bis er draußen und nicht mehr zu sehen ist. Schicken Sie das Bild an die Verkehrsbehörden, vielleicht bringt das ja etwas. Lassen Sie uns sehen, ob der Killer mit der U-Bahn weggefahren ist. Und fragen Sie auch bei den Taxiunternehmen nach. Ein so vorsichtiger Kerl wie er ist bestimmt nicht direkt in der Nähe des Gebäudes in ein Taxi eingestiegen, aber den Versuch ist’s vielleicht trotzdem wert.«

Sie sahen sich noch mal genau am Tatort und in Bastwicks Arbeitszimmer um, schickten die dort stehenden Geräte an die elektronischen Ermittler und durchforsteten das Telefon nach Anrufen, die irgendwie verdächtig waren.

Dann unterhielt sich Eve noch kurz mit Dawson, dem Leiter der Spurensicherung.

»Die elektronischen Ermittler holen die Computer ab. Der Killer hat den Fahrstuhl B benutzt, also suchen Sie auch den nach Spuren ab. Ich habe ihn sperren lassen, bis Sie damit fertig sind.«

»In Ordnung.« Dawson unterzog sie einer kurzen Musterung. »Wir werden alles geben, Dallas. Niemand freut sich, wenn er einen Mord geschenkt bekommt.«

Er betrachtete zusammen mit Eve die Nachricht an der Wand. »Eine höllische Art, das Jahresende zu begehen.«

Eve verließ das Schlafzimmer, suchte nach ihrer Partnerin, und sie brachen gemeinsam auf.

»Die erste Befragung hier im Haus hat nichts ergeben«, meinte Peabody. »Niemand hat den Lieferanten – oder vielleicht auch die Lieferantin – kommen oder gehen sehen. Die Verkehrsbehörde geht die Aufnahmen der Kameras in allen U-Bahnhöfen der Umgebung durch, aber bisher haben sie niemanden gefunden, der dem Kerl auf unserem Foto ähnlich sieht. Natürlich könnte er die Kiste auch entsorgt haben.«

»Ich glaube nicht, denn vielleicht braucht er sie noch mal.«

»Noch mal?«, erkundigte sich Peabody, bevor sie in Eves Wagen stieg. »Sie glauben, dass er es wieder versuchen wird?«

»Die Möglichkeit besteht. Denken Sie an den beschwingten Gang«, erinnerte Eve die Partnerin und fädelte sich in den fließenden Verkehr. »Es hat ihm zu viel Spaß gemacht, um es nicht noch mal zu versuchen. Trotzdem sollten wir uns jetzt auf das Opfer und die Leute, die es kannten, konzentrieren. Freundinnen und Freunde, Exliebhaberinnen oder -liebhaber, Kollegen und Mandanten.«

»Jess Barrow. Er sitzt hinter Gittern, aber falls sich irgendwer an Bastwick und an Ihnen hätte rächen wollen, fällt er mir als Erster ein. Sie haben ihn festgenommen, und ihr ist es nicht gelungen, ihn vor dem Gefängnis zu bewahren.«

»Sie hat dafür gesorgt, dass er viel kürzer eingefahren ist, als er verdient hätte«, erklärte Eve. »Aber ja, wir sehen ihn uns trotzdem näher an. Dann ist da auch noch die Kanzlei. Erst Fitzhugh und jetzt Bastwick – das bedeutet, dass in gerade mal zwei Jahren schon die zweite Partnerin dieser Kanzlei ermordet worden ist. Am besten sehen wir uns die Drohbriefe, die sie bekommen hat, mit einer Lupe an.«

»Hm. Und was ist mit den Schreiben, die Sie selbst bekommen haben?«

Eve trommelte mit ihren Fingern auf dem Lenkrad, während sie in Richtung Wache fuhr. »Ich wurde von dem Killer nicht bedroht. Am besten sehen wir uns also eher meine Fanpost an. Obwohl ich nichts von diesem Müll behalte, falls er’s bis auf meinen Schreibtisch schafft.«

»Ich schon. Ich habe nach dem Icove-Film ein paar echt nette Nachrichten gekriegt.« Bei dem Gedanken wurde Peabody vor Freude rot. »Mein Lieblingsschreiben kam von einem zwölfjährigen Mädchen, das jetzt nicht mehr Filmstar, sondern Polizistin werden will. Echt süß. Sie haben sicher eine Tonne solcher Post bekommen.«

»Keine Ahnung.« Unbehaglich rutschte Eve auf ihrem Sitz herum. »Falls irgendwelche Schreiben auf der Hauptwache gelandet sind, hab ich sie an Kyung weitergeschickt. Er ist schließlich unser Pressesprecher, oder nicht? Und wenn das Filmteam Post für mich bekommen hat, habe ich gesagt, dass sie sich darum kümmern sollen. Verdammt, ich bin schließlich ein Cop.«

Nach zwei Sekunden meinte Peabody: »Tja nun, ich kann mir vorstellen, dass all diese Schreiben trotzdem irgendwo gespeichert worden sind.«

Eve nahm eine Hand vom Steuer und fuhr sich damit durchs Haar. »Ja, wahrscheinlich, und Sie haben recht, wir müssen alle diese Schreiben lesen und analysieren. Geben Sie mir einen Augenblick.«

Sie atmete tief durch. Hatte sie nicht eben selbst gesagt, dass sie kein Filmstar, sondern Polizistin war? Am besten finge sie allmählich wieder an, auch so zu denken, statt sich in Gefühlen und in kranken Ängsten zu ergehen.

Sie müsste diese Ängste und auch die verdammten Kopfschmerzen verdrängen und einfach ihre Arbeit tun.

»Wir werden Mira bitten, einen Seelenklempner auf die Schreiben anzusetzen, der sich dann mit Hollywood und Kyung abspricht. Da Kyung kein Arschloch ist, wird er auf alle Fälle mitspielen, wenn dieser Seelenklempner meine Post analysieren soll. Wenn die Nachricht an der Wand kein Ablenkungsmanöver ist – ich halte die Wahrscheinlichkeit für eher gering, doch ausgeschlossen ist es nicht –, hat unser Killer sicher auch schon vorher auf die eine oder andere Art mit mir kommuniziert oder wollte es zumindest. Weil er eine seltsame Verbindung zu mir spürt. Also decken wir diesen Bereich mit Leuten ab, die wissen, wonach sie in diesen Schreiben suchen müssen.«

»Okay. Dann kontaktiere ich gleich Kyung und delegiere diese Arbeit an ihn. Er ist der Pressesprecher, oder nicht?«, griff Peabody Eves Worte auf. »Das heißt, dass er auf dem Gebiet der Kommunikation ein Fachmann ist. Falls er etwas findet, greifen wir den Faden auf und gehen der Sache weiter nach.«

»Genau. Rufen Sie ihn an«, bat Eve und lenkte ihren Wagen in die Tiefgarage des Reviers. »Am besten sehen wir zu, dass von der Nachricht erst mal nichts nach außen dringt, sorgen aber vor, falls es doch passiert. Ich gehe mit der Angelegenheit direkt zu Whitney«, fügte sie hinzu und stellte ihren Wagen in der dafür vorgesehenen Lücke ab. »Ich muss dem Commander vollständig Bericht erstatten, und zwar möglichst gleich. Bringen Sie schon mal den Ball bei Kyung ins Rollen, schreiben Sie Ihren Bericht und schicken dem Commander und auch Mira eine Kopie.«

»Sie sollten auch mit ihr reden. Als Psychologin weiß sie sicher, was von dieser Angelegenheit zu halten ist.«

»Ich weiß. Das werde ich auch tun. Aber vorher gehe ich zu Whitney. Er wird sich gründlich überlegen, ob er uns – oder eher mich – weiter in diesem Fall ermitteln lassen kann, ich muss dafür sorgen, dass er sieht, dass das problemlos möglich ist.«

»Daran habe ich bisher noch nicht gedacht. Aber ich hätte daran denken sollen. Verdammt.«

Die beiden Frauen stiegen in den Lift.

»Sie kümmern sich um Kyung, und ich sorge dafür, dass man uns weiter in dem Fall ermitteln lässt«, wies Eve Peabody an, »weil ich danach in die Kanzlei und auch noch ins Leichenschauhaus will.«

Die Partnerin stieg aus, während Eve selbst bis in die oberste Etage fuhr. Kollegen und Zivilpersonen quetschten sich dazu, bahnten sich mit den Ellenbogen einen Weg hinaus und füllten den Fahrstuhl sofort wieder auf. Normalerweise hätte auch sie selbst den Lift, so schnell es ging, verlassen, um aufs Gleitband umzusteigen, doch so eng und ungemütlich die reviereigenen Fahrstühle auch waren, brachten sie einen deutlich schneller ans Ziel.

Endlich kämpfte auch sie selbst sich aus dem Lift und sagte sich, dass es am besten wäre, wenn sie während des Gesprächs mit dem Commander klar und deutlich und vor allem völlig emotionslos vortrug, weshalb ihrer Meinung nach der Fall bei ihr am besten aufgehoben war.

Sie betrat das Vorzimmer des Chefs und wandte sich der Sekretärin zu.

»Ich muss ihn sehen.«

Die Frau hob überrascht die Brauen an. »Lieutenant Dallas. Sie stehen nicht in seinem Terminkalender. Ich …«

»Wenn es nicht wirklich wichtig wäre, stünde ich nicht hier.«

Die andere nickte, tippte kurz ihr Headset an und sagte: »Lieutenant Dallas möchte kurz mit Ihnen sprechen, Sir. Ja, Sir, jetzt. Natürlich.« Wieder tippte sie ihr Headset an und wandte sich erneut an Eve. »Gehen Sie einfach durch, Lieutenant.«

»Danke.« Eve trat vor die breite Flügeltür, blieb dann aber noch einmal stehen. »Kennen Sie Dr. Miras Sekretärin?«

»Allerdings.« Die Frau fing an zu lächeln. »Und zwar ziemlich gut.«

»Sie könnte sich von Ihnen eine Scheibe abschneiden«, murmelte Eve und öffnete die Tür.

Commander Whitney thronte hinter seinem großen Schreibtisch und sprach noch mit irgendwem am Telefon. Der große, breitschultrige Mann gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie näher kommen und kurz warten sollte, bis er fertig war.

Sie schloss die Tür und setzte eine möglichst ausdruckslose Miene auf.

Nach Ende des Gesprächs sah er sie durchdringend aus seinen dunklen Augen an. Auch wenn er hinter einem Schreibtisch residierte, war sein Blick so wach wie der des Cops, der er einmal gewesen war.

»Leanore Bastwick.«

»Ja, Sir.«

Whitney wies auf einen Stuhl, doch sie blieb lieber stehen. »Ich wollte Sie persönlich über diese Sache informieren.«

»Das habe ich mir schon gedacht.«

Er hatte ein breitflächiges Gesicht, einen kaffeebraunen Teint und kurzes, zwischenzeitlich überwiegend graues Haar, aber er sah erholt und sogar irgendwie entspannt aus, hatte also offenbar ein schönes Weihnachtsfest erlebt.

Jetzt würde sie dafür sorgen, dass der graue Arbeitsalltag wieder bei ihm Einzug hielt.

»Ihnen wurde bereits mitgeteilt, dass sie ermordet worden ist?«, setzte sie an.

»Sie war eine bekannte Strafverteidigerin, hat sich regelmäßig mit uns angelegt und gleichzeitig die Medien hofiert. Deshalb wurde ich sofort über den Notruf und darüber, dass Sie die Ermittlungen in dem Fall leiten, informiert. Was muss ich sonst noch wissen?«

»Cecil Haversham, ihr Assistent, hat die Leiche heute Morgen gegen neun entdeckt. Er war in Sorge, als sie trotz eines Termins am Vormittag nicht im Büro erschien, und ist in ihre Wohnung gegangen, um nach ihr zu sehen. Er hat den Zugangscode, weil er die Blumen gießen sollte, während sie auf Reisen war, er hat sich selber reingelassen, als Bastwick ihm nicht geöffnet hat. Natürlich werden wir sein Alibi noch überprüfen, aber bisher steht er nicht unter Verdacht. Die Frau wurde erwürgt, wahrscheinlich mit einer Garotte, es gibt keine Zeichen eines Kampfes oder dafür, dass sie vergewaltigt worden ist. Todeszeitpunkt war 18.33 Uhr gestern Abend. Die Aufnahmen der Überwachungskameras zeigen ein Individuum, das das Haus als Lieferant verkleidet und mit einer Kiste auf der Schulter, hinter der es sein Gesicht vor den Kameras versteckt hat, eine Viertelstunde vor der Tat betreten hat.«

»Was darauf hindeutet, dass dieses Individuum das Gebäude kannte und vor allem wusste, was zu tun war, damit es nicht aufgenommen wird.«

»Ja, Sir. Bastwick hat besagtem Individuum geöffnet. Die Kameras haben aufgenommen, wie die Person, während Bastwick einen Schritt nach hinten machte, um sie einzulassen, eine Hand in ihre rechte Tasche schob. Eine knappe halbe Stunde nach Betreten der Wohnung kommt sie wieder raus, wobei die Kiste abermals auf ihrer Schulter steht.«

»Da war der Täter aber wirklich schnell.«

»Ja, Sir«, stimmte Eve ihm zu. »Nicht mal eine halbe Stunde, nachdem er das Haus betreten hatte, war er wieder weg.«

Der Commander beugte sich über den Tisch. »Denken Sie, dass es das Werk von einem Profi ist?«

»Er hat die Sache sauber wie ein Profi durchgezogen, aber trotzdem gehen wir erst mal nicht von einem Profikiller aus. Die SpuSi sieht sich noch am Tatort um, und Bastwicks Leiche wurde zwischenzeitlich abgeholt. Ich habe darum gebeten, dass Chefpathologe Morris unser Opfer untersucht.«

»Natürlich.« Whitney breitete die großen Hände aus und sah sie reglos an. »Auch wenn die Medien die Geschichte sicher allein deshalb bringen werden, weil das Opfer sich im Namen seiner Mandanten oft an sie gewandt hat, bin ich etwas überrascht, Sie hier zu sehen. Normalerweise kommen Sie nur her, wenn ich Sie einbestelle. Wenn Sie plötzlich freiwillig erscheinen, gibt’s doch sicher etwas, was ich wissen muss.«

»Darf ich Ihren Wandbildschirm benutzen, Sir?«

Er nickte knapp.

Sie brauchte einen Augenblick – verdammt, sie hatte elektronische Geräte immer schon gehasst –, bis sie den Schlitz für die Diskette fand, dann aber schob sie sie hinein und rief die Nachricht, die der Mörder für sie hinterlassen hatte, auf den Bildschirm.

Ohne den Blick vom Wandbildschirm zu lösen, erhob der Commander sich von seinem Platz, umrundete den Tisch und baute sich direkt neben dem Lieutenant auf.

»Wann hatten Sie und Bastwick letztmalig Kontakt?«

»Vor circa einem Jahr, als Jess Barrows Revision zurückgewiesen worden ist. Danach hatte ich nicht noch mal mit ihr zu tun. Damals hatten wir uns ziemlich in den Haaren, wenn auch nicht so schlimm wie während der Ermittlungen im Fall Barrow und zum Mord an Fitzhugh, einem Partner der Kanzlei, in der sie tätig war. Im Grunde aber war es eine normale Feindschaft, wie sie zwischen Strafverteidigern und Polizisten üblich ist. Ich mochte sie weder persönlich noch als Anwältin, aber es gibt schließlich sehr viele Menschen, die mir nicht sympathisch sind.«

»Haben Sie ihr je den Tod gewünscht?«

»Commander!«

»Meinetwegen auch nur beiläufig.« Sein ruhiger Blick befahl ihr vollkommene Ehrlichkeit. »In der Hitze des Gefechts, nach einer Auseinandersetzung vor Gericht oder im Verlauf eines Verhörs?«

»Nein, Sir, nie. Vielleicht – das heißt wahrscheinlich – habe ich die Frau mit einer Reihe wenig schmeichelhafter Spitznamen belegt. Aber im Grunde hatten wir kaum was miteinander zu tun. Tatsächlich hatte ich mit Bastwick längst nicht so viel Ärger wie mit ihrem Partner, bevor der ermordet wurde, weil er eine ganze Reihe Täter, die ich festgenommen hatte, vor Gericht vertreten hat. Privat hatten wir keinerlei Kontakt und haben nie ein Wort gewechselt, außer vor Gericht oder wenn sie einen Verdächtigen zu einem Verhör hinzugezogen hat. So einfach, wie der Killer in die Wohnung kam, würde ich sagen, dass er wesentlich vertrauter mit ihr war als ich. Was sich jetzt ändern wird.«

»Die Nachricht wird auf alle Fälle durchsickern«, erklärte Whitney und nickte in Richtung Wandbildschirm.

»Ja, Sir, das wird sie«, stimmte Eve ihm unumwunden zu. »Selbst wenn wir es schaffen würden, nichts davon nach außen durchdringen zu lassen, würde unser Täter dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit was davon erfährt. Weshalb hätte er sich all die Mühe machen sollen, wenn er dafür keine Aufmerksamkeit und Dankbarkeit erfährt?«

Whitney kehrte zurück hinter seinen Schreibtisch und nahm wieder Platz. »Uns beiden ist bewusst, dass es erheblich … sauberer wäre, wenn ich die Ermittlungen in diesem Fall jemand anderem übertragen würde.«

»Ja, vielleicht, Commander, aber trotzdem bitte ich Sie, davon abzusehen. Falls der Killer wirklich meint, was er geschrieben hat, hat er den Mord verübt, um mir einen Gefallen zu erweisen, und die Frau dafür bestraft, dass sie mir nicht den nötigen Respekt erwiesen hat. Wenn Sie mich jetzt von dem Fall abziehen, würde er das vielleicht ebenfalls als Zeichen fehlenden Respekts ansehen. Diese Person bildet sich ein, dass sie mich kennt, doch das ist nicht der Fall. Was heißt, dass ich im Vorteil bin.«

Bleib emotionslos, wies sich Eve noch einmal an und fuhr mit ruhiger Stimme fort. »Peabody fordert alle Schreiben an, die über die Zentrale oder nach dem Icove-Fall, dem Buch und Film über die Filmleute an mich geschrieben worden sind. Wir werden Dr. Mira bitten, diese Post von einem Verhaltenstherapeuten durchgehen zu lassen, falls sie sie nicht selbst lesen kann. Es ist wahrscheinlich, dass der Killer vorher schon versucht hat, mich zu kontaktieren, vielleicht sogar des Öfteren.«

Sie atmete tief durch und zählte eilig auf, weshalb sie selbst auch weiterhin die beste Wahl für die Ermittlungen in diesem ganz besonderen Mordfall war.

»In der Kanzlei von Bastwick kenne ich mich bereits aus. Ich hatte schließlich schon bei den Ermittlungen zum Mordfall Fitzhugh dort zu tun. Zwei Morde innerhalb einer Kanzlei sind wirklich ungewöhnlich, und die Tatsache, dass Bastwicks Mörder genau wusste, wo in ihrem Wohnhaus Kameras installiert sind, wo genau die Wohnung liegt und dass die Frau in dem Moment allein zu Hause war, deutet für mich auf einen Insider oder auf jemanden, der gründlich recherchiert hat, hin.«

»In seiner Nachricht hat der Täter sich an Sie gewandt und Sie mit Ihrem Rang und Namen angesprochen, Dallas.«

»Richtig, Sir, das stimmt. Es geht ihm offenbar direkt um mich, Commander. Wenn dem nicht so wäre, hätte er die Nachricht allgemein gehalten oder gar nicht erst verfasst. Er will, dass ich in diesem Fall ermittle, und wenn ich das tue, versucht er vielleicht noch mal auf irgendeine Weise, mich zu kontaktieren.«

Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Ich kann unmöglich sagen, dass ich nicht auf einer Ebene selbst in diesen Fall verwickelt bin, denn wie Sie selber bereits sagten, hat der Täter sich direkt an mich gewandt. Trotzdem hoffe ich, dass Sie mir glauben können, wenn ich sage, dass mich das nicht daran hindern wird, auf die gewohnt professionelle Art und Weise meiner Arbeit nachzugehen.«

Whitney sah sie über seine Finger, die ein Dreieck formten, hinweg an. »Wenn ich die Ermittlungen jemand anderem übertragen würde, wen aus Ihrem Team könnten Sie mir empfehlen?«

Obwohl sie das Gefühl hatte, als hätte er ihr in den Bauch geboxt, war sie es ihrem Vorgesetzten und auch ihren Leuten schuldig, dass sie völlig ehrlich war.

»Es gibt dort niemanden, den ich Ihnen nicht voll und ganz empfehlen kann. Jeder Einzelne von meinen Leuten würde in dem Fall so lange gründlich und mit allem Engagement ermitteln, bis er ihn gelöst hätte«, versicherte sie ihm.

»Genau das wollte ich von Ihnen hören. Und werde es ebenso im Kopf behalten wie Sie selbst. Ich werde mit Chief Tibble sprechen, und Sie selbst sprechen mit Kyung, damit er Ihnen sagt, wie am besten mit dem Shitstorm, wenn er in den Medien losbricht, umzugehen ist. Ich erwarte, dass Sie Ihr Versprechen halten, Lieutenant. Sollte der persönliche Aspekt des Falls Sie daran hindern, auf professionelle Art und Weise Ihrer Arbeit nachzugehen, treten Sie von den Ermittlungen zurück.«

»Ja, Sir.«

»Jetzt machen Sie sich wieder an die Arbeit.«

»Danke, Sir.«

Sie wandte sich zum Gehen und unterdrückte die Erleichterung, die in ihr aufgestiegen war.

Lass die Gefühle aus dem Spiel, ermahnte sie sich abermals. Dies ist ein ganz normaler Fall.

Doch das war Schwachsinn. So was wie ganz normale Fälle gab es nicht in ihrem Job.

Sie unterdrückte auch das leichte Pochen hinter ihrer Stirn, marschierte direkt in ihr Dezernat, und als sie durch die Tür der Abteilung trat, blieb sie kurz stehen und sah sich unter ihren Leuten um.

Sie hatte Whitney gegenüber nicht gelogen.

Jeder Einzelne von diesen Leuten würde die Ermittlungen in dem Fall so engagiert und gründlich führen wie sie selbst. Von Jenkinson, der gerade schlechten Kaffee schlürfte und auf seinen Bildschirm starrte, über Baxter, dessen blank polierte, teure Schuhe auf der Platte seines Schreibtischs lagen, während er am Telefon mit einem Zeugen sprach, bis zu Santiago und Carmichael, die zusammen an ihrem Schreibtisch saßen und sich leise genug über etwas stritten, dass es für die anderen nicht zu verstehen war.

Die Weihnachtsdeko hatten sie noch stehen lassen, Eves Blick wanderte von den mit seltsamen Symbolen verzierten Kwanzaa-Maiskolben über eine rostige Menora bis zu dem mit einem lustigen, doch gleichzeitig auch unheimlichen Zombieweihnachtsmann geschmückten, lächerlichen, dürren Baum und dem Plakat über der Tür des Pausenraums, das – ginge es nach ihr – für alle Zeit dort hängen bleiben würde, weil das Motto, das dort stand, nicht nur während der Feiertage galt.

UNGEACHTET DEINER HAUTFARBE, DEINER SEXUELLEN ORIENTIERUNG, POLITISCHENÜBERZEUGUNG ODER DEINES GLAUBENS SIND WIR FÜR DICH DA, WENNDU ERMORDET WIRST.

Genauso war es, dachte sie, als Reineke mit einer weiteren Tasse widerlichen Kaffees aus dem Nebenzimmer kam.

Ein Lächeln auf den Lippen ging sie weiter in ihr eigenes Büro, in dem es wirklich guten Kaffee gab, und dachte kurz darüber nach, ob sie diesen fantastischen, weil echten Kaffee, den ihr Roarke besorgte, vielleicht auch im Pausenraum für die Kollegen zur Verfügung stellen sollte. Ehe sie die Überlegung als vorübergehende sentimentale Anwandlung verwarf.

Nur weil man froh war, dass man gute Leute hatte, brach man nicht so einfach mit der Tradition schlechten Kaffees im Pausenraum.