Gilde der Jäger – Engelsherz - Nalini Singh - E-Book

Gilde der Jäger – Engelsherz E-Book

Nalini Singh

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Beschreibung

Die Welt der Engel und Vampire - geheimnisvoll und unwiderstehlich

Einer der gefährlichsten Erzengel der Welt ist verschwunden. Niemand weiß, ob Lijuan tot ist oder den Schlaf der Unsterblichen gewählt hat. Doch als ihr Territorium von einer wachsenden Menge blutrünstiger Vampire heimgesucht wird und zunehmend im Chaos versinkt, ruft der Engelsorden Luminata den Kader zusammen, um über das Schicksal des Gebiets zu beraten. Elena und Raphael reisen auf das Anwesen der Bruderschaft und kommen einem Geheimnis auf die Spur, das die Welt und Elenas Leben für immer verändern wird ...

Der neue Bestseller aus Nalini Singhs erfolgreicher Romantic-Fantasy-Serie "Gilde der Jäger"

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Seitenzahl: 711

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Inhalt

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NALINI SINGH

Engelsherz

Gilde der Jäger

Roman

Ins Deutsche übertragen von Dorothee Danzmann

Zu diesem Buch

Zwei Jahre ist es her, dass der Uralte Alexander aus dem Schlaf erwacht ist, zwei Jahre, seit Lijuan das letzte Mal gesehen wurde, zwei Jahre, seit Illium um ein Haar bei einer katastrophalen Kraftexplosion verglüht wäre. Zwei Jahre, dass die Kaskade zum Stillstand gekommen ist. Alle fürchten die nächste Katastrophe, keiner der Erzengel verlässt sein Territorium, um sich nicht angreifbar zu machen. Doch als das Gebiet von Lijuan zunehmend von blutrünstigen Vampiren heimgesucht wird und im Chaos zu versinken droht, ruft der unabhängige Engelsorden Luminata den Kader zusammen, um über das Schicksal ihres Territoriums zu beraten. Elena und Raphael reisen nach Marokko auf das Anwesen der Bruderschaft. Hier scheinen die Wände Augen und Ohren zu haben, und eine Atmosphäre des Misstrauens und der Verdorbenheit liegt über Lumia. Inmitten aller Verhandlungen und Diskussionen stoßen der Erzengel und seine Gefährtin auf ein Geheimnis, das die Welt und Elenas Leben für immer verändern wird …

Versteck dich

Sie war müde.

Nicht alt und deshalb müde, einfach erschöpft. Dabei empfand sie ihre Berufung so stark wie eh und je, aber die Realität bescherte ihr im Moment ein ganz anderes Leben als das, nach dem sie sich sehnte. Statt Zeit für Studien und zum Nachdenken zu haben, brachte der Alltag im Grunde nichts als harte Arbeit mit sich, tagaus, tagein.

Aber genau dieses Leben schien der Herr für sie bestimmt zu haben, also gedachte sie es in seinem Sinn zu führen.

Der schwere Stoff ihres abgetragenen schwarzen Habits fegte über den Holzboden, als sie durch den Mittelgang der Kirche schritt, um die Sitzreihen nach Gegenständen abzusuchen, die die Gläubigen dort vergessen hatten. Pater Pierre bot ihr zwar jedes Mal an, die Kirche abzuschließen, aber da er nicht mehr der Jüngste war, erledigte Constance das lieber selbst. Immerhin musste sie sich nicht auch noch mit Obdachlosen befassen wie Maria, ihre beste Freundin im Orden, die einer Kirche in einem heruntergekommenen Stadtteil zugeteilt war und diese Unglückseligen abends oft sanft aus dem Gebäude drängen musste.

Was die arme Maria fast täglich in Glaubensnöte brachte.

»Sollten wir ihnen nicht vielmehr eine Zuflucht sein, Schwester Constance?«, fragte sie dann beim Abendessen in dem bescheidenen Ordenshaus. »Und doch muss ich diese armen Leute in die Dunkelheit und Kälte hinausjagen, weil sie sonst die Kirche schänden könnten. Was sie ja auch tun: Ich habe neulich mit ansehen müssen, wie ein Vampir in aller Öffentlichkeit bei einem drogenabhängigen jungen Mann getrunken hat.«

Constance wusste auch keine Antworten auf Marias Fragen, hatte sich aber freiwillig dazu gemeldet, im nächsten Jahr deren Kirche zu übernehmen, damit die Last wenigstens ein bisschen gleichmäßiger verteilt war. Schließlich mussten sie alle ihre Pflicht tun.

Oh – da hatte wohl jemand seinen Mantel vergessen.

Sie trat in die Sitzreihe, um das Kleidungsstück an sich zu nehmen, dessen Besitzer bestimmt bald zurückkommen würde, um danach zu suchen.

Da bewegte sich der Mantel, und als Constance mit wild klopfendem Herzen stehen blieb, wurde ihr klar, dass der hellblaue Stoff, den sie gesehen hatte, zwar zu einem Mantel gehörte, aber bestimmt nicht vergessen worden war. Jemand trug diesen Mantel. Ein kleiner Jemand, ein Kind.

Inzwischen war sie nahe genug herangekommen, um die goldene Haut und das weiche Haar des friedlich schlummernden kleinen Wesens bestaunen zu können. Das Haar war so hell, dass man es fast schon weiß nennen konnte. Unter dem hellblauen Mantel trug die Kleine – denn es handelte sich um ein Mädchen – ein Kleidchen mit zarter, rosa Lochstickerei. Dazu an den kleinen Beinen weiße Strümpfe mit blauen Schmetterlingen darauf und an den Füßen glänzende, schwarze Schuhe.

Jemand liebte dieses Kind und hatte es mit großer Sorgfalt angezogen.

Neben der Kleinen stand eine Tasche auf der Bank, auf der das Konterfei einer Märchenprinzessin zu sehen war.

Constance flüsterte leise ein Gebet, während sie sich umsah. Hatte sie jemanden übersehen? Nein, die Kirche war leer. Außer ihr und dem reizenden Mädchen, das höchstens fünf Jahre alt sein konnte, befand sich niemand sonst im Raum. Constance wusste zwar nicht genau, was sie in einem solchen Fall tun sollte, aber eines wusste sie mit Sicherheit: Sie durfte das Kind nicht hier auf der harten Bank schlafen lassen. Sie bückte sich, um die Kleine in die Arme zu nehmen.

Sofort wurde das Kind wach. »Maman?«

Ein Stimmchen voller Hoffnung, aber die Unterlippe des Kindes zitterte.

Obwohl die Sprache, die die Kleine sprach, nicht ihre eigene war, antwortete ihr Constance auf Französisch. Sie lebte jetzt schon so lange in diesem Land, wo es an jeder Straßenecke eine Bäckerei gab, wo die Menschen elegant gekleidet waren und die großen Boulevards sich nachts in Dunkelheit hüllten – natürlich sprach sie Französisch. »Deine Mutter ist noch nicht hier.« Sie streckte dem Kind die Hand hin. »Lass uns einen Kakao trinken und ein paar Kekse essen, während wir auf sie warten. Einverstanden?«

»Ich habe Spielzeug dabei!«, verkündete die Kleine, indem sie die Prinzessinnentasche ergriff und mit dem süßen Vertrauen eines Kindes, das noch nie verletzt worden war, ihre winzige Hand in die von Constance schob. Dieses Kind kannte nur Liebe, ihm war noch nie etwas Schlimmes widerfahren. Während Constance das Mädchen in das Hinterzimmer führte, in dem Pater Pierre und sie oft nachmittags Papierkram erledigten, fiel ihr ein blütenweißer Briefumschlag auf, der aus der Tasche des hellblauen Mantels herausschaute.

Sie griff erst danach, als ihr kleiner Gast den Mantel ausgezogen hatte und vergnügt an einem Keks knabberte. Constance hatte Kakao gekocht und ihn der Kleinen in einem leicht abgestoßenen, aber hübschen roten Becher serviert, von dem sie dachte, er könne dem Kind gefallen.

Der Briefumschlag war ungefähr so groß wie eine Fotografie, und ein Foto befand sich dann auch darinnen, zusammen mit einem in einer bemerkenswert schönen Handschrift geschriebenen Brief:

An die Schwester und den Priester, die sich um diese Kirche kümmern. Sie kennen mich nicht, aber ich wende mich heute an Sie, weil Sie so freundlich zu mir waren, als ich in diesem fremden Land ankam, das mir inzwischen zu einer Zuflucht geworden ist.

Ich weiß, dass Ihre Seelen voller Licht sind.

Und so bitte ich Sie, über meine Marguerite zu wachen und dieses Foto, das uns beide zeigt, für sie aufzubewahren. Ich werde ungefähr eine Woche fort sein, doch dann komme ich zurück und hole das Kind ab. Marguerite ist mein Herz, mein ein und alles. Sollte ich nicht wiederkommen, bedeutet das, dass ich tot bin und mein Kind eine Waise ist. Nennen Sie sie ruhig so, sollte es dazu kommen, aber sie darf nie denken, ich hätte sie verlassen. Ich bitte Sie inständig: Lassen Sie nicht zu, dass sie etwas anderes denkt, als dass sie mein größter Schatz ist.

Wenn ich nicht zu ihr zurückkehre, dann nur aus einem einzigen Grund: weil ich nicht mehr am Leben bin. Bitte sorgen Sie dafür, dass Marguerite nie nach mir sucht, nie herausfinden will, was geschehen ist. Eine solche Suche würde nur zu Gewalt und Tod führen. Ich wünsche mir, dass mein Baby ohne einen Schatten von Furcht aufwächst.

Sagen Sie ihr, dass ich sie liebe.

Die Kleine hob den Kopf und man sah Spuren vom Kakao in ihren Mundwinkeln. Sie sah Constance mit großen, silbergrauen Augen an: »Kommt Maman bald?«

Constance musste schlucken. Mit zitternden Fingern strich sie über das weiche, glänzende Haar. »Deine Mutter hat dich sehr lieb.«

Und das Kind lächelte, als sei das das Selbstverständlichste auf der Welt.

1

Zwei Jahre waren jetzt vergangen.

Zwei Jahre, seit Alexander aufgewacht war.

Zwei Jahre, seit Lijuan zum letzten Mal mit Sicherheit gesehen worden war.

Zwei Jahre, seit Illium um ein Haar bei einer katastrophalen Kraftexplosion verglüht wäre.

Zwei Jahre, seit die Kaskade anscheinend auf ihren Pausenknopf gedrückt hatte.

Alle warteten ständig auf die nächste Hiobsbotschaft – Elena reichte es jetzt endgültig!

»Macht schon, verdammt noch mal!« Finster starrte sie den Himmel an. Hunderte von Metern unter dem Turmbalkon ohne Brüstung, auf dem sie stand, lag Manhattan, klein wie eine Spielzeugstadt.

»Sprichst du mit deinen Vorfahren, meine Elena?«, ließ sich von hinten eine ihr innig vertraute Stimme hören, in der eine so gewaltige, tiefe Kraft mitschwang, dass ihr bloßer Klang in den Herzen von Sterblichen und Unsterblichen schreckliche Furcht zu wecken imstande war.

Nicht in Elenas Herz – das tat nur weh, wenn sie diese Stimme hörte, denn die Liebe zu ihrem Erzengel kam ihr in diesen Zeiten der Unsicherheit wie ein zartes, kostbares Ding vor, das nur zu leicht beschädigt werden konnte. Und wenn sie Angst hatte, dann um Raphael, nicht vor ihm. Wenn sie ihn verlor … Nein, das durfte sie noch nicht einmal denken. Selbst wenn irgendwo da oben bestimmt schon höhnisch grinsend die nächste Hiobsbotschaft nur darauf wartete, sie in dem Moment zu überfallen, in dem sie am wenigsten damit rechnete.

»Ich rede mit dem oder der oder denen, die diese Kaskade regeln – wer immer das sein mag.« Sie ließ sich an Raphaels Brust zurücksinken. Bei dieser Haltung waren zwar ihre Flügel eingeklemmt, aber bei Raphael durfte sie sich verletzlich zeigen, durfte ganz ohne Waffen sein und sich doch vollkommen sicher fühlen. Natürlich war sie trotzdem auch jetzt bis an die Zähne bewaffnet, aber das war nur die Macht der Gewohnheit, und sie würde keine dieser Waffen je gegen Raphael erheben, es sei denn im Training. Oder wenn er ihre Geduld wieder einmal ein klein wenig zu sehr auf die Probe stellte.

Ihr Erzengel hatte eben immer noch nicht ganz begriffen, dass er nicht Herr und Meister seiner Gefährtin war und sie daher auch nicht einfach so herumkommandieren durfte. Er gab sich ja durchaus Mühe und wollte Elena auch verstehen, aber hat man erst einmal eintausendfünfhundert Jahre als allmächtiges Wesen gelebt, dann mischen sich die Angewohnheiten aus dieser Zeit schon mal störend ein, wenn man versucht, seine ehemals sterbliche Geliebte in der privaten Beziehung als gleichberechtigt anzusehen.

Deswegen ließ ihm Elena auch manchmal eine Kleinigkeit durchgehen. Wobei die Betonung auf »Kleinigkeit« lag.

Jetzt schlang ihr ihr Erzengel von hinten die Arme um die Schultern, während sie sich an ihn lehnte und sie zusammen von der hohen Warte des Wolken durchbohrenden Engelsturms aus über ihre Stadt schauten. Da unten lag New York – dreist, schmutzig, lärmend, voller Farben, voller Energie, voller Leben. Elena konnte dieses Leben hören, auch wenn die geschäftigen Straßen so tief unter ihr lagen. Sie spürte es bei jedem Herzschlag, schmeckte es in den unzähligen aufeinanderprallenden Düften und Gerüchen, die einander zu bekriegen schienen und doch immer wieder Frieden miteinander schlossen und so etwas wie eine Einheit bildeten.

Diese Stadt, dieses Leben summte in ihrem Blut.

»Ich habe Neuigkeiten«, flüsterte ihr Raphael ins Ohr. »Vielleicht bringen sie ja ein wenig Schwung in dein zurzeit so furchtbar langweiliges Leben.«

Elena schnaubte. »Ich brauche keinen Schwung, ich will bloß, dass diese Kaskade aufhört zu pausieren, damit wir sie hinter uns bringen können.« Ihre Hand zuckte unwillkürlich zu der kleinen Armbrust hin, die sie an den Oberschenkel geschnallt trug.

Aber leider gab es momentan nichts und niemanden, den sie erschießen durfte.

Raphaels leises Lachen war mehr zu spüren als zu hören. »Du klingst ein bisschen angespannt, Gefährtin.«

Wären ihr die Flügel nicht im Weg gewesen, dann hätte ihm Elena jetzt den Ellbogen in die Rippen gestoßen. »Und wieso bist du so gut gelaunt?« Raphael hatte die letzten beiden Jahre als ebenso belastend empfunden wie sie. Die Erzengel verließen ihre Territorien bis auf kleine, heimliche Ausflüge inzwischen gar nicht mehr. Sie wollten zu Hause und gut vorbereitet sein, wenn sich die Kaskade mit den Auswüchsen ihres Wahnsinns zeigte.

Dabei hatte das weltweit verbreitete, unberechenbare Phänomen der gefährlichen Kräfteverschiebung bei den Erzengeln und einigen anderen Engeln offenbar ein Ende gefunden, und auch die Tumulte in Form von starken Gewittern, Erdbeben und Überschwemmungen fanden nicht mehr statt, was jedoch niemanden täuschen konnte. Die Kaskade war noch nicht zu Ende, ganz im Gegenteil. Selbst Elena konnte das spüren. Sie spürte ein Knistern in der Luft wie bei einem Gewitter, das schon lange darauf wartet, sich zu entladen.

»Ich bin gut gelaunt, weil etwas passiert ist, das den Stillstand der letzten Jahre beenden wird.«

»Etwas, das mir nicht gefällt, habe ich recht?« Elenas Miene hatte sich verdüstert.

»Wie misstrauisch du doch bist!«

»Oh ja. So bleibe ich am Leben.« Sie sahen zu, wie ein Engel mit strahlend blauen, silbern gesäumten Flügeln weit in der Ferne von einem Wolkenkratzer aus in die Luft aufstieg. Illium war wieder so stark, wie es für sein Alter und seine Entwicklung angemessen war. Es hatte keine weiteren heimtückischen und möglicherweise gefährlichen Energiestöße mehr gegeben wie den einen, der seinen Leib von innen heraus fast zerrissen hätte.

Und was noch besser war: Illium konnte wieder lachen, war wieder der verspielte, ständig zu Unfug aufgelegte Engel, der damals in der Welt der Unsterblichen Elenas erster Kamerad gewesen war. »Glockenblümchen legt gleich einen Sturzflug hin«, schloss sie aus der Art, wie der Engel hoch in den kristallklaren, blauen Himmel schoss.

Und da stürzte er auch schon in die Tiefe, eine sich um sich selbst drehende glatte Kugel, deren Lachen Elena selbst über die große Entfernung hinweg zu hören vermeinte.

»Ich wette, er will sich mal wieder so tief fallen lassen, dass sämtliche Fußgänger ausflippen«, fuhr sie fort. Die New Yorker waren an Engel in ihrer Stadt gewöhnt und rümpften die Nase, wenn Touristen mit weit offenen Mündern den Himmel anstarrten, aber wenn sich ein Engel in Akrobatik übte, dann blieb schon noch dem einen oder anderen die Luft weg. Besonders wenn der entsprechende Engel so schnell war und so geschickt zu manövrieren verstand wie Illium.

»Ich halte nicht dagegen, das ist keine Wette wert«, fand Raphael. »Diese Tricks führt er vor, seit ich ihn kenne.«

Und Raphael kannte Illium, seit dieser ein Kind gewesen war.

Elena legte ihre Hände auf die Arme, die sie umschlungen hielten. Illium bedeutete ihrem Erzengel sehr viel – das war etwas, was die meisten Leute nicht verstanden. Sämtliche Gefährten aus dem Kreise seiner Sieben waren für ihren Erzengel weit mehr als nur Untergebene, die für ihn im Turm oder in seiner Festung im Refugium wichtige Aufgaben übernommen hatten.

Sie waren mehr als nur die Krieger, denen er vertraute wie niemandem sonst und auf die er sich absolut verlassen konnte. Die Sieben waren Raphaels Familie.

Der Erzengel erwiderte Elenas Liebkosung, indem er ihr mit dem Kinn über die Schläfe strich. »Wir werden New York verlassen.«

»Bitte?« Elena riss die Augen auf – hätte er verkündet, sich hier an Ort und Stelle nackt ausziehen und unbekannte Götter mit Gesängen ehren zu wollen, sie hätte nicht überraschter sein können. »Ich denke, es gilt: Alle Mann an Bord und Schotten dicht! Oder stehen unsere Feinde plötzlich nicht mehr vor den Toren?«

»Der Kader hat ein Treffen einberufen.«

Elena fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, ehe sie sich umdrehte und einen Schritt zurücktrat, um Raphael ansehen zu können. Das Gewicht der Flügel war ihr inzwischen vertraut. Der Wind zupfte leicht an ihren Federn, als wollte er sie zum Fliegen einladen. Wie schön ihr Erzengel war! Der Anblick seines kantigen, fast schon grausam gut aussehenden Gesichts traf sie wie ein Schlag in den Magen, wie es ihr immer noch manchmal passierte, wenn sie ihn anschaute. Dieses Gesicht mit seinen klaren Linien, mit der Haut, die wie von einer feinen Goldschicht überzogen schien, mit diesen so verwirrend blauen Augen, die auf der Welt nicht ihresgleichen hatten – wie hätte ihr das nicht den Atem verschlagen sollen? Raphaels Haare waren schwärzer als der Himmel nach Mitternacht, seine Lippen zeugten von Leidenschaft und Kraft, und über seinen Schultern ragten weißgoldene Flügel empor.

Raphael hatte immer schon umwerfend gut ausgesehen, aber seit an seiner rechten Schläfe das Mal der Legion glühte, diese aus lebhaftem, leuchtendem Blau grob umrissene Darstellung eines Drachen, in dem geheimes, weißes Feuer schlummerte und manchmal zum Leben erwachte – seit dieses Mal ihn zierte, hatte sich zu seiner Schönheit etwas Wildes hinzugesellt, das über bloßes gutes Aussehen und auch über bloße Pracht hinausging. Er war Raphael, Erzengel von New York und der Mann, den Elena so sehr liebte, dass es ihr manchmal den Atem verschlug.

Und der sie liebte.

Daran zweifelte sie nie, nicht eine Sekunde lang. Auch dann nicht, wenn dieser Mann in ihrer Beziehung Grenzen überschritt und sie am liebsten nach ihren Messern gegriffen hätte. Die Kaskade mochte alles durcheinandergewirbelt haben, nur dieses eine nicht. An ihrer und Raphaels Liebe würde nichts und niemand je etwas ändern können.

Er legte ihr die Hand an die Wange, streichelte mit dem Daumen über ihre Wangenknochen. »Deine Augen leuchten heute noch stärker als sonst.«

Elena knurrte unwillig. »Ich will keine leuchtenden Augen!«, beklagte sie sich. »Ich will ganz normale graue Augen, mit denen ich nicht weiter auffalle! Keine Silberaugen, denen jeder gleich ansieht, dass ich unsterblich bin.«

Raphael grinste. »Wirklich schade, was? Die Sache mit den Flügeln?«

»Ha, ha!« Sie stemmte die Hände in die Hüften und drehte rasch den Kopf, um einen Kuss auf die Hand an ihrer Wange zu drücken, ehe sie Raphael erneut ansah. »Welcher Erzengel hat denn das Treffen gefordert?« Wenn sie das wusste, würde sie auch wissen, welche anderen Erzengel wahrscheinlich teilnehmen würden und welchen wohl jetzt schon das Wasser im Munde zusammenlief, weil sie eben nicht hingehen, sondern in der Zeit versuchen wollten, die Gebiete zu überfallen, deren Erzengel kurzzeitig abwesend waren.

»Keiner.«

Kurz und scharf wie ein Schuss war die Antwort.

Kopfschüttelnd wischte sich Elena eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die der Wind ihr dorthin geweht hatte. Sie trug ihre fast weiße Haarpracht an diesem Tag offen, weil sie sich nicht auf der Jagd befand, sondern vorgehabt hatte, sich in der Nähe des Turms und im Wolkenkratzer der Legion aufzuhalten.

»Ich weiß ja nun, dass ich nach Engelszeit bemessen gerade mal einen halben Wimpernschlag lang unsterblich bin«, entgegnete sie trocken. »Aber selbst ich weiß inzwischen, dass es kein mächtigeres Wesen gibt als einen Erzengel. Außer diesen Vorfahren vielleicht, von denen Naasir mir erzählt hat.« Bisher hatte sie diese der Legende nach schlafenden Wesen für einen Mythos gehalten, aber vielleicht gab es sie ja doch.

»Niemand ist mächtiger als der Kader«, bestätigte Raphael. »Allerdings gibt es eine Situation – wirklich nur eine –, in der eine andere Gruppe den Kader zu einem Treffen zusammenrufen kann. Die Teilnahme ist in diesem Fall zwingend. Wer nicht kommt, dem kann mithilfe der geballten, hinter der Entscheidung stehenden Macht der Engelheit sein Territorium abgenommen werden. Das Gebiet wird dann zerschlagen, und die einzelnen Stücke werden aufgeteilt.«

Elena pfiff leise durch die Zähne. »Klingt wie eine Einladung zum Krieg.« Besonders jetzt, da die Engelheit nicht gerade als vereint bezeichnet werden konnte.

»Genau. Und deswegen verweigert sich auch niemand dieser Einladung. Es ist die Zuspitzung nicht wert, wenn alle, die dich möglicherweise bedrohen könnten, sowieso gemeinsam mit dir auf dem Treffen sind.« Raphael deutete mit dem Kinn auf etwas, das sich in Elenas Rücken abspielte. »Aodhan weicht Armbrustbeschuss aus.«

Elena wandte sich um und entdeckte einen einzelnen Engel, der vor einer ganzen Schwadron flüchtete, die ihn aus allen Richtungen beschoss. Er schien aus einzelnen Lichtstücken zusammengesetzt zu sein, tausend Sonnenstrahlen brachen sich in den Federn seiner Schwingen und seinen glitzernden Haarsträhnen, während er hierhin und dorthin schoss. Die angreifende Schwadron hatte sich mit Rundum-Sonnenbrillen ausstaffiert, um dem durchdringenden Glanz folgen zu können, mit dem er über den Himmel glitt.

Trotzdem gelang es Aodhan, ihren Pfeilen mit fast schon unheimlicher Geschwindigkeit auszuweichen.

»Und der Preis für den, der sich am meisten langweilt, geht an …« Elena sprach den Satz nicht zu Ende.

Raphael trat neben sie und legte einen seiner Flügel über ihren. »Er hält sich nur fit für die Schlacht, die unweigerlich kommen wird.«

Das war leider nur allzu wahr. Es würde ganz bestimmt zu einer nächsten Schlacht kommen, und sie würde sie alle betreffen. »Diese Gruppe, die die Macht hat, ein Treffen der Kader einzuberufen – wie heißt sie?«

»Die Mitglieder nennen sich selbst Luminata. Es handelt sich um eine spirituelle Sekte – nicht eigentlich religiös im menschlichen Sinne, will ich damit sagen.« Er schien kurz nachdenken zu müssen, mit welchen Worten sich die Gruppe am besten beschreiben ließ. »Wahrscheinlich kommt ein Begriff aus dem Buddhismus dem Streben der Luminata am nächsten: Erleuchtung. Die Luminata wollen lernen, sich als Individuen zu ergründen und die Engelheit als Ganzes. Das ist die Aufgabe, die sie sich selbst gestellt haben: zu erkennen, wer und was wir im gesamten Wirken des Universums sind und eine Antwort auf diese Frage, sollte sie je gefunden werden, zu akzeptieren. Sie nennen es die Suche nach Lumineszenz.«

Er breitete die Flügel aus, um sie gleich wieder zusammenzufalten, begleitet von einem ganz speziellen, flüsternden Rascheln der Federn, das Elena ausschließlich mit ihrem Erzengel verband. »Viele Sterbliche glauben an Götter. Aber wenn der Tod nur ein schwacher Streifen am Horizont ist und vielleicht nie kommt, verblasst ein solcher Glaube schnell, und zurück bleibt unter Umständen nur Verwirrung. Die Luminata versuchen, im Hier und Jetzt Erleuchtung zu finden und nicht darauf zu hoffen, dass sie irgendwo hinter dem Horizont auf uns wartet.«

»Ich habe einmal auf einer Jagd in Indien einen heiligen Mann getroffen«, sagte Elena nachdenklich. »Er lebte als Einsiedler und besaß nichts als die Kleider, die er am Leibe trug, aber seine Augen … solcher Friede, Raphael. Ich glaube, er war das friedlichste Wesen, das mir je begegnet ist. Solchen Frieden trägt nicht einmal Keir in sich.« Und der von allen verehrte Engelsheiler lebte nun schon seit Tausenden von Jahren.

»Genau danach suchen die Luminata, wenn ich es richtig verstanden habe.« Raphael sah weiterhin zu, wie Aodhan unter heftigem Beschuss über den Himmel zischte. »Sie streben nach einer Reinheit der Seele, um ohne Fragen und Anliegen einfach so auf der Erde zu leben.«

»Wie erfolgreich war die Suche denn bis jetzt?«

»Ich habe bisher nur Luminata kennengelernt, die gebeten worden waren, die Sekte wieder zu verlassen. Und ehemalige Novizen – Männer, die dieses Leben nach einem kurzen Versuch wieder aufgegeben hatten. Ich kann also die Lumineszenz derjenigen, die dem Weg konsequent folgen, nicht beurteilen.«

Elena zog skeptisch die rechte Braue hoch, hielt jedoch wohlweislich den Mund. Sie wollte erst noch mehr hören. Eine Sekte, die die Macht hatte, ein Treffen sämtlicher Erzengel einzuberufen, interessierte sie sehr.

»Irgendwann in unserer Vergangenheit«, erzählte Raphael, »an einem Punkt, der so weit zurückliegt, dass sich niemand mehr daran erinnert …«

»Hast du die Legion gefragt?«, unterbrach Elena nun doch. »Ihre Erinnerung an die Vergangenheit mag verblasst sein, ist aber nicht völlig verschwunden.«

»Ja, das habe ich.« Raphaels Blick blieb kurz an einem Hochhaus ganz in der Nähe hängen, das anders aussah als die übrigen Wolkenkratzer der Stadt. Das Haus war von oben bis unten mit frischem, lebendigem Grün bewachsen, ein Gebäude, das an sich schon ein lebendes Wesen darstellte und so auch entworfen war. Denn die Legion, die aus Erde entstanden war, fühlte sich in der Erde, in Wachsendem, am wohlsten. »Aber diese Erinnerungen sind verschwunden, wenn es sie überhaupt je gegeben hat. Die Legion kennt die Luminata nur aus jüngerer Zeit.«

Wobei »jünger« in diesem Fall ein durchaus relativer Begriff war, fand Elena. »Also«, sie legte den Kopf schief. »Es war einmal vor langer, langer Zeit, in einem weit entfernten Land …«

Raphaels Lachen liebkoste ihre Sinne wie Meereswellen, auf denen der Kuss der Sonne lag. Für sie barg seine Stärke keine Bedrohung, sie war ein Versprechen. »Was wohl die Sekte von dir halten mag!«, sinnierte der Erzengel. Die Liebe, die sie beide umgab, war so stark, Elena spürte sie bis in ihr tiefstes Innerstes hinein. »Wie du so schön sagst, wurde der Sekte der Luminata vor langer, langer Zeit eine spezielle Aufgabe übertragen. Man wählte sie dafür aus, weil man glaubte – und immer noch glaubt –, dass sie als einzige Gruppierung auf dem Planeten unparteiisch ist.«

Er streichelte mit der Hand den Bogen ihres Flügels, eine intime Geste zwischen zwei Liebenden, während nicht weit von ihnen entfernt Aodhan von einem Pfeil an der Hüfte getroffen wurde. Er riss sich das Geschoss aus dem Körper und warf es zurück, während er gleichzeitig weiterhin geschickt seinen anderen Angreifern auswich. Von wegen in Form bleiben!, dachte Elena. Natürlich will er das, aber er langweilt sich auch. Das Gleiche galt für Illium, wenn man nach den Schreien gehen wollte, die von der Straße her zu ihnen hochdrangen.

Illium betätigte sich nach wie vor als lebende Tauchbombe.

»Ich glaube, ich muss deinem Glockenblümchen einmal sagen, er soll aufhören, meine Bürger zu erschrecken«, meinte Raphael.

Ein paar Sekunden später kam Illium in Sicht, auf dem fast schon zu hübschen Gesicht ein Grinsen, das Elena selbst aus der Ferne wahrnehmen konnte. Er senkte kurz die Flügel, um Raphael zu verstehen zu geben, dass sein Befehl angekommen war, und schloss sich Aodhans Spiel mit der Scharfschützenschwadron an.

Wenig später spielte einer der Pfeile am Himmel total verrückt, indem er direkten Kurs auf Elena nahm.

Raphael streckte die Hand aus, fing ihn mühelos aus der Luft ab und reichte ihn an Elena weiter. »Da muss aber einer noch ordentlich trainieren.«

Elena sah sich die Markierung am Pfeilschaft an und lächelte. »Izzy.« Der junge Engel war in Engelszeit gerechnet praktisch noch ein Baby. »Für sein Alter brillant, das musst du zugeben!«

»Sonst hätte Galen ihn auch nicht für eine Lehrzeit im Turm vorgeschlagen«, sagte Raphael. »Aber nun zurück zu den Luminata: Aufgrund ihrer spirituellen Sinnsuche besitzen die Luminata keine irdischen Bindungen und schulden lediglich ihrem Streben nach Lumineszenz Loyalität. Sie gehen keine Liebesbeziehungen ein, beteiligen sich nicht an Kriegen, und wenn sie Luminata werden, durchtrennen sie sämtliche Blutsbande.«

»Eine vollständig neutrale Organisation also.«

»Ja. Für die Aufgabe, mit der sie betraut wurden, ist diese Neutralität auch unbedingt notwendig: Sie sollen ein Treffen des Kaders einberufen, sobald einer der Erzengel über einen bestimmten Zeitraum hinweg von niemandem mehr gesehen wurde.«

Elena nickte nachdenklich. »Eine Art Sicherheitsvorkehrung.« Sehr sinnvoll, wenn man bedachte, welch unglaublichen Einfluss die Erzengel in der Welt hatten. »Obwohl …« Sie runzelte die Stirn. »Zwei Jahre … für Unsterbliche ist das ja nicht gerade lange.«

»Wie viel Zeit genau vergehen muss, ehe ein Treffen einberufen wird, wurde nie festgelegt«, erklärte Raphael, der während seiner Unterhaltung mit Elena weiterhin Aodhan zusah. »Die Luminata selbst nehmen ab einem bestimmten Zeitpunkt aufgrund sämtlicher über die Situation zur Verfügung stehender Informationen eine Einschätzung vor und handeln entsprechend.« Er nahm Elena Izzys Pfeil aus der Hand, um ihn mit der vollen Kraft eines Erzengels in die Richtung des schillernden Engels zu werfen. Aodhan entging dem Geschoss nur knapp, ehe dies, den Gesetzen der Schwerkraft gehorchend, fiel und von den Mitgliedern einer weiteren Schwadron aufgefangen wurde, die die Aufgabe übernommen hatte, dafür zu sorgen, dass kein Pfeil die Menschen unten traf und womöglich jemanden verletzte. Diese Schwadron war clever genug gewesen, zwischen sich Netze aufzuspannen, um die abgeschossenen Pfeile zu sammeln.

»Zweck des Treffens«, fuhr Raphael fort, während oben am Himmel Illium und Aodhan inzwischen als Tandem den Pfeilen auswichen, »ist, festzustellen, ob der betreffende Engel tot ist oder sich für den Schlaf entschieden hat. Denn wenn das so ist, muss sein oder ihr Territorium aufgeteilt werden, und man muss die entsprechenden Grenzen neu definieren.«

Jetzt verstand Elena auch, warum Raphael bisher nie einen praktizierenden Luminata kennengelernt hatte: Nach Urams Tod hatte sich der Kader nach nur wenigen Monaten anscheinend von allein zusammengesetzt, um das verwaiste Territorium neu aufzuteilen. Selbst als Alexander sich für den Schlaf entschieden hatte und sein Sohn danach versuchte, das Gebiet des Vaters klammheimlich zu übernehmen, indem er dessen Rückzug von der Welt geheim hielt, war die Situation innerhalb kurzer Zeit bereinigt worden. So hatte man es Elena jedenfalls erzählt.

Und doch waren jetzt bereits zwei Jahre vergangen, seit Zhou Lijuan, Erzengel von China und Göttin des Todes, von jemandem gesehen worden war.

2

»Wir wissen doch alle, dass Ihre blutrünstige Ladyschaft nicht tot ist.« Bei dem Gedanken an den Erzengel, der versucht hatte, New York in eine Todeszone zu verwandeln und Wiedergeborene erschuf, die gespenstische Verhöhnungen des echten Lebens waren, verzogen sich Elenas Lippen unwillkürlich angewidert. »Das wäre zu einfach.«

»So oder so, es muss etwas geschehen.« Raphaels Gesicht schien nur noch aus brutal harten Kanten zu bestehen, sein Ausdruck dem eines Wesens zu entsprechen, das zu den Mächtigsten der Welt gehörte. »Xi hat Lijuans Gebiet relativ gut im Griff, und noch scheinen sich die Vampire zu benehmen – doch so stark er auch sein mag, ein Erzengel ist er nicht. Und langsam beginnt die Ordnung in China zu bröckeln.«

Elena brauchte nicht zu fragen, woher ihr Erzengel das wusste: Jason, der beste Meisterspion, den der Kader kannte, hatte Raphael die Treue geschworen. »Fürchtest du, es könnte zu einem Blutrausch kommen?« Mächtige, starke Vampire wie Raphaels Stellvertreter Dmitri hatten sich und ihre Gelüste im Griff, aber was war mit den jüngeren, unerfahreneren? Oft hing deren Selbstkontrolle an einem seidenen Faden, der nur so lange hielt, wie die Angst vor einem Erzengel als Damoklesschwert über ihnen schwebte.

Elenas Mutter und ihre beiden älteren Schwestern waren ums Leben gekommen, weil bei einem Vampir dieser Faden gerissen und er zu einem reißenden Monster geworden war.

Weil es Slater Patalis gegeben hatte, würde Belle nie wieder einen Baseball werfen, Arie nie wieder mit ihrer kleinen Schwester schimpfen können, weil diese so gern rannte und dabei oft hinfiel und sich das Knie aufschlug. Wie oft hatte Arie Elena gescholten, um sie danach zu trösten und zu küssen – bis Slater Patalis kam.

Marguerite Deveraux würde nie wieder mit ihrem Mann lachen können.

Als Marguerite sich das Leben nahm, war dieser Mann, war Elenas Vater gestorben. Den heutigen Jeffrey Deveraux erkannte Elena kaum wieder. Er atmete, er ging umher, er hatte sogar eine zweite, schöne und intelligente Frau gefunden, aber das war nicht mehr der Ehemann, den Marguerite geliebt, der Vater, den Elena verehrt hatte, bis alles so schrecklich schiefgelaufen war. Elenas zwei Halbschwestern, viel jünger als sie, lebten mit einem strengen, distanzierten Vater zusammen, der nie lächelte. Elena erinnerte sich an einen Jeffrey, der schon mal eine halbe Stunde lang für sein Töchterchen Seifenblasen in die Luft steigen lassen konnte – einfach nur, weil es die Kleine glücklich machte.

Ich sehe Erinnerungen in deinen Augen, Elena.

Raphaels Stimme war das Tosen des Meeres, der frische, beißende Wind in ihrem Bewusstsein.

Sie sind ein Teil von mir. Das hatte Elena inzwischen akzeptiert, sie wehrte sich nicht mehr gegen die Erinnerungen, wenn sie an die Oberfläche wollten. Im Gegenzug hatten die Albträume nachgelassen. In manchen Nächten hörte sie zwar immer noch das Blut auf den Boden tropfen, spürte, wie die Angst mit eisernen Klauen nach ihr griff, bis sie schweißgebadet, mit wild hämmerndem Herzen aufwachte. Aber manchmal sah sie sich im Traum auch durch ihr altes Haus laufen, um sich hinter ihrer Mutter zu verstecken, weil Belle sie in ihrem Zimmer erwischt hatte.

»Ich glaube, ich war manchmal eine ganz schön nervige kleine Schwester«, gestand sie dem Mann, der ihre Ewigkeit war. »Ich wollte unbedingt wie meine großen Schwestern sein, und wenn sie nicht da waren, habe ich mich in ihre Zimmer geschlichen und ihre Schuhe und Kleider anprobiert, obwohl die mir natürlich viel zu groß waren.«

Raphael strich ihr mit dem Handrücken über die Wange. »Das machen doch alle kleinen Geschwister, oder?«

»Ja, das wird wohl so sein.« Elena lächelte, auch wenn der Kummer immer noch mit einem Eisenhammer auf ihre Seele einschlug. »Belle war so hitzköpfig, sie hat mir immer mit allem Möglichen gedroht! Und dann hat sie mich mit in ihr Zimmer genommen und mir die Nägel angemalt oder meine Haare gekämmt.« Denn bei all ihrer Unbeherrschtheit war ihre älteste Schwester doch vor allem eins gewesen: unglaublich großherzig.

»Ariel war nicht so schnell genervt«, erzählte Elena weiter. »Sie war viel ruhiger, man konnte sie nicht so leicht auf die Palme bringen. Aber sie hatte einen heimtückischen Sinn für Humor, den man allerdings nur begriff, wenn man sie gut kannte.« Wieder überfluteten sie die Erinnerungen: wie sie Arie bei ihren Streichen geholfen hatte, wie sie sich eng an die Schwester geschmiegt und ihre Wärme genossen hatte, wenn Arie ihr vorlas, wie Arie sie mit ihren umwerfenden, türkisblauen Augen angesehen hatte.

Der Wind fuhr ihr durchs Haar. Elena atmete tief ein und ganz langsam wieder aus. Ihr Lächeln wurde weicher. »Manchmal wünsche ich mir, ich könnte mich mit Jeffrey unterhalten«, gestand sie leise. »Wir haben so viele gemeinsame Erinnerungen, er weiß Dinge, die Beth nicht mehr weiß, weil sie damals noch zu klein war.« Ihre jüngste Schwester war fünf Jahre alt gewesen, als Patalis Belle und Arie ermordet und Marguerites Seele so tief verletzt hatte, dass sie sich nicht mehr davon erholen konnte.

Patalis hatte Marguerite zwar gefoltert, aber nicht daran war Elenas Mutter zerbrochen. Sie hatte hilflos mit ansehen müssen, wie er ihre Töchter brutal ermordete – von diesem Anblick hatte sie sich nicht erholt. »Es wäre schön, wenn mein Vater und ich einfach zusammensitzen und über unsere Familie reden könnten.« Aber das ging nicht. Was Elena und ihren Vater verband, waren letztlich nur Trümmer, Schuldgefühle und Verlust.

In dem Blau von Raphaels Augen blitzte es gefährlich. »Er hat es nicht verdient, sich Vater zu nennen.«

»Aber wir suchen uns unsere Eltern ja nicht aus.« Wenn jemand die komplexen Gefühle verstand, die Elena an ihren Vater banden, dann Raphael. Seine eigene Mutter hatte den Verstand verloren und Tausende ermordet, um dann den Schlaf zu wählen und nach einem Jahrtausend wieder aufzuwachen, allem Anschein nach bei klarem Verstand und voller Liebe zu dem Kind, das sie einst schwer verletzt und blutüberströmt auf einem meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernten Feld hatte liegen lassen.

»Stimmt.« Raphael schnaubte. »Und da ich versprochen habe, Jeffrey nicht umzubringen, lass uns ganz schnell das Thema wechseln. Sonst vergesse ich meinen Schwur noch.«

»In Ordnung.« Elena verstand ihren Erzengel sehr gut: Auch in ihrer Seele tauchten bei dem bloßen Gedanken an ihren Vater oft Mordgelüste auf. »Um zu Lijuan zurückzukommen: Die Frage, ob sie nun tot ist oder nicht, spielt also gar nicht die entscheidende Rolle? Bei dem Treffen geht es vorrangig darum, dass sie niemand mehr zu Gesicht bekommen hat?«

Raphael nickte. »Es ist bereits hier und da zu einem Blutrausch gekommen, wenn auch bisher nur in einzelnen, abgelegenen Gegenden. Aber nach dem Bericht, den Jason mir vor einer Stunde schickte, hat vor vier Tagen eine kleine Gruppe Vampire ein ganzes Dorf ausgelöscht.«

Elena schüttelte sich. »Und diese Gruppe hat Xi jetzt wieder fest im Griff?« Xi war Lijuans vertrautester General und ein Mann, der auch aus sich heraus Macht verkörperte. Nur war er im Moment lange nicht mehr so potent wie zu der Zeit, als sein Erzengel Lijuan ihn an ihrer Kraft teilhaben ließ und ihn mit Energie fütterte. »Sieht es etwa immer noch so aus, als hätte auch Xi keinen Kontakt zu Lijuan?«

»Das ist nicht klar. Jason konnte das weder bestätigen noch ausschließen. Diese eine Gruppe hat Xi schnell eliminiert.« Raphaels Ton war merklich kälter geworden. »Natürlich kann er das nicht endlos lange durchhalten, das kann niemand, der nicht zum Kader gehört. Und diese Zwischenfälle stellen ja erst den Anfang dar. Wenn man die Zügel schleifen lässt, überziehen die Vampire China im Handumdrehen mit einer blutroten Spur des Schreckens.« Raphaels Stimme klang so kalt, dass ihm Elena unwillkürlich mit der Hand über den Flügel strich, um ihn und sich daran zu erinnern, dass er nicht nur ein distanzierter, notfalls todbringender Erzengel war, sondern auch ihr Liebster. Der Mann, dem ihr Herz gehörte und der ihr seines geschenkt hatte.

Raphaels Miene blieb finster, seine Stimme eiskalt, nur seine Flügel breitete er ein bisschen weiter aus, damit Elena sie besser streicheln konnte. »Wenn Lijuan wiederaufersteht, müssen neue Entscheidungen getroffen werden, aber im Moment müssen wir von der Annahme ausgehen, dass sie ihre neu gewonnenen Fähigkeiten zu schnell und zu ausgiebig genutzt und sich selbst so erheblichen Schaden zugefügt hat.« Er nickte einer vorbeifliegenden Schwadron einen kurzen Gruß zu. »Ich glaube, sie ist nicht tot, da geht es mir wie dir, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie den Schlaf gewählt hat.«

Und wenn ein Engel sich entschied zu schlafen, dann konnte es Jahrhunderte, manchmal sogar Jahrtausende dauern, bis dieser Engel wieder wach wurde. Caliane hatte mehr als tausend Jahre geschlafen, wobei selbst diese lange Zeit für Engel kaum mehr als ein Wassertropfen im Ozean war. »Dann packe ich wohl gleich mal ein paar Sachen für die Zuflucht.« Raphael würde sie in diesem Fall bestimmt nicht bitten, in New York zu bleiben, auch wenn er dies bei mehr als einer anderen Gelegenheit durchaus schon getan hatte.

Anfangs hatte sie sich jedes Mal heftig dagegen gewehrt, dass er sie bisweilen lieber sicher in den Grenzen seines Territoriums wusste, als an seiner Seite – und damit in Gefahr –, was sie wütend gemacht hatte. Jetzt wusste sie, dass es manchmal einfach besser war, dass sie blieb, wenn er nicht da war. Für die Bewohner des Landes war es beruhigend, die Gefährtin ihres Erzengels im Herzen seines Territoriums zu wissen, denn das konnte doch nur bedeuten, dass es hier sicher war und sich am Horizont keine Gewitterwolken türmten. Sonst hätte er sie doch niemals zurückgelassen.

»Es wird schön sein, Jessamy und Galen wiederzusehen«, fuhr sie fort. »Und natürlich auch Naasir und Andi.« Venom hielt sich ebenfalls immer noch in der Zuflucht auf, aber Elena kannte den Vampir mit den Schlangenaugen nicht so gut wie die anderen.

Raphael schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, mit einem Besuch bei unseren Leuten in der Zuflucht werden wir noch warten müssen. Das Treffen findet auf neutralem Boden statt, wo niemand Zugang zu einer Festung oder Armee hat. Jeder Erzengel darf seinen Gefährten oder seine Gefährtin mitbringen, wenn er denn einen oder eine hat, außerdem noch eine weitere Person.«

»Bitte?« Mit dieser Antwort hatte Elena nun wirklich nicht gerechnet. So langsam beschlich sie das Gefühl, sich beeilen zu müssen, wenn sie mit der Entwicklung Schritt halten wollte. »Ich wusste gar nicht, dass es so etwas wie neutralen Boden überhaupt gibt.« Die Welt war streng in Gebiete aufgeteilt, die jeweils einem Erzengel unterstanden. Einzige Ausnahme: die Zuflucht.

»Es gibt einige wenige Orte«, erklärte Raphael. »Jeweils nicht mehr als ein paar Morgen groß. In diesem speziellen Fall handelt es sich um Land, das den Luminata vor langer, langer Zeit überlassen wurde. Weil das jetzt so ewig her ist, kennt man noch nicht einmal mehr den Namen der Kadermitglieder, die diese Regel erließen.«

»Und wo fahren wir nun hin?«

»Lumia, die Festung der Luminata, befindet sich in der Heimat deiner Großmutter.«

»Marokko?« Elena war entzückt. »Ich liebe Marokko!« Sie hatte zwar keine Bindungen mehr zu dem Land, war jedoch in ihrer Zeit als Jägerin oft dorthin gekommen und hatte gespürt, wie ihr Herzschlag mit dem der Gegend übereinstimmte. Als erkenne ihr Blut das heiße Wüstengebiet in all seiner kargen, goldenen Schönheit wieder.

»Als ich noch jung war, bin ich einmal heimlich über die Festung geflogen«, erzählte Raphael lächelnd. »Daher weiß ich, dass Lumia auf einer Anhöhe liegt, es ist eine sehr elegante Anlage, die schon seit Ewigkeiten an jenem Ort steht. Durch die Wildnis zu ihr hin führen keine Straßen. Wer Lumia besuchen will, muss Flügel besitzen oder einen langen, gefährlichen Fußmarsch auf sich nehmen, der einem durch die hohen Mauern an den Grenzen des kleinen Gebietes, das zur Festung gehört, nicht einfacher gemacht wird.«

Elena wollte ihn gerade bitten, ihr noch mehr zu verraten, als endlich ihr Verstand ansprang. »Moment mal!« Mit ärgerlichem Stirnrunzeln stemmte sie die Fäuste in die Hüften. »Man darf keine Armee mitbringen, was? Aber die von Charisemnon ist näher dran als alle anderen!« Charisemnon, dieser feige Lump, der Seuchen verbreiten konnte und für den grauenhaften Sturz verantwortlich war, durch den so viele New Yorker Engel in einer Agonie des Schreckens, Leidens und Sterbens aus dem Himmel auf die Erde hinabgestürzt waren – dieser Erzengel regierte das nördliche Afrika.

»Leider ja.« Raphael war mindestens ebenso wütend wie Elena, wenn er an Charisemnon dachte: Sein Atem lag wie Frost in der Luft. »Allerdings wird Titus bestimmt seine Armee an Charisemnons Grenze aufmarschieren lassen, ehe er zu dem Treffen fliegt. Charisemnon muss nachziehen, sonst stünde sein Gebiet für Titus’ Leute offen.«

»Ich habe Titus immer schon gern gehabt.« Elena versuchte ein Lächeln. »Wann reisen wir ab?«

»Im Morgengrauen. Es sei denn, jemand aus dem Kader weigert sich, an dem Treffen teilzunehmen.«

Mehr brauchte er nicht zu sagen, Elena verstand ihn auch so: Eine solche Weigerung würde unweigerlich eine Kettenreaktion von Gewaltaktionen durch Unsterbliche auslösen, bis in der Welt kein Stein mehr auf dem anderen stand. Denn wenn Erzengel sich stritten, dann starben die Menschen, und die Städte zerfielen in Schutt und Asche.

Zwei Stunden später, Elena und Raphael saßen inzwischen in der Bibliothek ihres Heims in der Enklave, brauchte man eine solche Gefahr nicht mehr zu befürchten. Laut Jessamy, die in ihrer Rolle als Historikerin aller Engel auch mit den Luminata in Kontakt stand, hatten sämtliche Erzengel umgehend ihre Teilnahme an dem Treffen zugesagt. »Bis auf Lijuan natürlich«, stellte Jessamy klar, deren zartes Gesicht mit den feinen Zügen gerade den Bildschirm auf einer Bibliothekswand füllte.

Sofort schlug Elenas Herz ein wenig schneller. »Dann wäre ja alles klar, und wir besteigen gleich morgen früh das Flugzeug.«

Raphael hatte ihrem Piloten schon Bescheid gegeben, sich bereitzuhalten.

Allein hätte er die Strecke wahrscheinlich mit eigenen Flügeln bewältigt, aber Elena war noch nicht stark und auch nicht schnell genug für einen solch langen Flug. Sie machte zwar ständig Fortschritte und beherrschte inzwischen sogar den Senkrechtstart so gut, dass er ihr neun von zehn Malen gelang, aber diese Anstrengungen verlangten ihr regelmäßig sehr viel Kraft ab. Ihr Körper war nach unsterblichen Maßstäben gemessen noch nicht »alt« genug, er hatte die erforderliche Muskelkraft einfach noch nicht entwickelt. Jeder Senkrechtstart hatte seinen Preis: Sie wusste, anschließend konnte sie sich nicht mehr allzu lange in der Luft halten und riskierte außerdem jedes Mal einen Sehnenriss. Und ein Sehnenriss bedeutete Flugverbot, bis die Sehne geheilt war.

So war es für sie immer noch sinnvoller, sich zum Starten einen erhöhten Punkt zu suchen. Andererseits musste sie nicht mehr befürchten, am Boden in der Falle zu sitzen, wenn sich ein solcher Punkt nicht finden ließ. War sie erst einmal in der Luft, verfügte sie mittlerweile schon über erheblich mehr Ausdauer als in der ersten Zeit nach ihrem Erwachen als Wesen mit Flügeln – selbst wenn das nicht allzu viel hieß, denn gleich nach dem Erwachen war sie ungefähr so geschickt und ausdauernd gewesen wie ein frisch geschlüpftes Küken.

»Gab es denn irgendeine Reaktion von Lijuans Hof?«, fragte Raphael.

Die Historikerin, eine gute Freundin von Elena, nickte. Ihre Gesichtszüge schimmerten golden in dem schwachen Licht, das eine altmodische, mundgeblasene Glaslampe auf ihrem Schreibtisch verbreitete, denn die Zuflucht lag noch im finsteren Dunkel der Stunden kurz vor dem Morgengrauen. »Xi hat den Eingang der Aufforderung aus Lumia bestätigt.«

Bei jedem anderen Mann, bei jeder anderen Frau hätte Elenas Einschätzung nach der Kader bei einer solchen »Amtsanmaßung« sofort reagiert. Der General hingegen war seiner »Göttin« so treu ergeben, dass niemand fürchtete, er könnte vergessen haben, was und wer er war. Xi machte sich bestimmt nichts vor, er wusste, welche Macht er besaß und welche ihm fehlte. Er wollte nichts weiter, als das Territorium für Lijuan bewahren.

Lijuan selbst hielt sich inzwischen für weiterentwickelt als alle anderen Engel und Erzengel, weiter sogar als die Uralten. Das brachte Elena auf einen Gedanken. Sie sah Raphael an: »Haben die Luminata auch Alexander und Caliane eingeladen?«

Alexander war nach seinem Erwachen rasch wieder zu einem aktiven Mitglied des Kaders geworden, während sich Caliane am liebsten nur in ihrem winzigen Territorium aufhielt, doch beide waren Uralte, die eigentlich gar nicht wach, geschweige denn in dieser Zeit Mitglieder des Kaders sein durften.

Was die Kaskade allerdings anders zu sehen schien.

»Ja«, Raphael nickte. »Die beiden sind eingeladen.«

»Und sie werden auch kommen«, ergänzte Jessamy. »Zu den Luminata sagt man nicht Nein.« In den Augen aus gebranntem Siena auf dem Bildschirm glomm feiner Humor auf. »Ich kann mir vorstellen, dass Caliane dem Luminata das eine oder andere zu sagen haben wird!«

»Dem Luminata?« Die Betonung war Elena nicht entgangen. »Dem Chef der Truppe?«

Jessamy nickte. »Die Mitglieder der Sekte haben durchaus auch Namen, nur ihren Anführer nennt man allgemein den Luminata, als Geste des Respekts. Erzengel benutzen allerdings immer den Eigennamen des Luminata, wenn sie mit ihm oder über ihn sprechen, was du als Gefährtin eines Erzengels auch so handhaben solltest.«

»Weil ein Erzengel sich eben nun mal nur bis zu einem gewissen Grad zu Gesten des Respekts hergibt«, kommentierte Elena trocken.

Wie eine gewisse Gildejägerin, mit der ich persönlich bekannt bin.

Elena musste lächeln: Raphael hatte seine mentale Bemerkung im besten »Ich bin der Erzengel von New York«-Ton vorgebracht. Sie lehnte sich an ihn. »Klingt nicht gerade nach einem fröhlichen Kadertreffen. Himmel!« Sie pfiff leise durch die Zähne. »Wenn alle kommen, dann kommt Michaela sicher auch, oder?«

Jessamy nickte, in ihren Augen glitzerte es.

»Das kann ja interessant werden!« Anders als Lijuan hatte sich der schönste Erzengel der Welt nicht auf Nimmerwiedersehen verabschiedet, war aber ein ganzes Jahr lang kaum in der Öffentlichkeit erschienen. Jetzt stand Michaela zwar wieder im Rampenlicht, jedoch lange nicht in dem Maße, wie sie es vor ihrem in aller Zurückgezogenheit verbrachten Jahr getan hatte.

Was seltsam war, denn Michaela liebte die Medien, und die Medien liebten sie.

Michaela als schön zu bezeichnen, wäre die Untertreibung des Jahres gewesen. Mit ihrer Haut, die feinster Milchschokolade glich, den Flügeln aus zartester Bronze, dem braungoldenen, sich bis zur Taille ergießenden Wasserfall ihrer Haare und den hypnotisierend grünen Augen war sie der Inbegriff des Wortes »atemberaubend«. Dazu kam ein Körper, der Sterblichen und Unsterblichen gleichermaßen den Verstand raubte. Seit Jahrhunderten war diese Frau Künstlern und Herrschern Muse – eine Tatsache, die Elena nicht weiter überraschend fand.

Die Künstler, die sie inspiriert hatte, lebten zum großen Teil noch, denn Michaela liebte alle, die ihrer Schönheit Tribut zollten. Nein – das war unfair! Michaela stand durchaus in dem Ruf, die schönen Künste auch um ihrer selbst willen großzügig zu fördern. Von den Herrschern und mächtigen Männern dagegen, die ihre Liebhaber gewesen waren, lebte kaum noch einer. Die meisten waren mehr oder weniger mausetot. Den vorletzten hatte Raphael auf dem Gewissen: Uram war in einem gewaltigen Schlagabtausch mit Engelsfeuer am Himmel über New York ums Leben gekommen. Bei diesem Gefecht war Elena so schwer verletzt worden, dass es sie fast das Leben gekostet hätte.

Elena nahm es Michaela in gewisser Weise immer noch krumm, dass sie wenigstens teilweise für die erste Begegnung zwischen Raphael und ihr verantwortlich war. Ohne Michaelas giftige Sticheleien hätte ihr Geliebter sich nie in einen Serienmörder verwandelt, wie man ihn sonst nur aus Albträumen kennt. Am Ende hatte Uram sogar Michaela selbst das Herz herausgerissen und durch einen glühend roten Feuerball ersetzt, der ihr möglicherweise gefährliches Gift ins Blut gemischt hatte. Denkbar war das auf jeden Fall.

»Nun zu unserer Schwangerschaftstheorie«, fuhr Elena fort. Sie fragte sich immer wieder, was dieses Gift bei einem Kind in diesem Leib angerichtet haben könnte.

Jessamy schüttelte den Kopf. »Ich weiß rein gar nichts!« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich sollte ja nun wirklich nicht klatschen und tratschen, aber ich wüsste es zu gern! Raphael?« Sie sah den Erzengel an. »Hat Jason irgendetwas verlauten lassen?«

»Es gibt nicht den Hauch eines Gerüchts über ein Engelsbaby in Michaelas Territorium. Nicht das leiseste Flüstern, gar nichts. Was nicht unbedingt etwas heißen muss – Michaela verfügt in verschiedenen schwer zugänglichen Teilen ihres Gebietes über Privatbesitz.«

»Falls es ein Kind gibt, dann hoffe ich, dass es wohlbehalten und gesund ist.« Mit diesen sanften Worten machte Jessamy Anstalten, sich abzumelden. »Ich höre Galen landen. Er war gerade stundenlang mit einer Gruppe neu Auszubildender unterwegs, ich möchte sicher sein, dass er etwas Warmes in den Magen bekommt.«

Elena verabschiedete sich von dem gütigsten Engel, den sie kannte, wartete, bis der Bildschirm schwarz geworden war, verließ die Bibliothek und ging, von Raphael begleitet, in ihr Gewächshaus. Das wurde gerade vom satten Sonnenlicht des Spätnachmittags geküsst und hieß sie mit seinem warmen Glanz willkommen.

»Dahariel müsste doch wissen, ob Michaela niedergekommen ist oder nicht«, meinte sie. Dahariel war zwar jetzt nicht mehr Michaelas Geliebter, war es aber zu der fraglichen Zeit gewesen.

»Nicht unbedingt«, erklärte Raphael. Elena sah ihn fragend an. »Wenn der andere Elternteil nicht offiziell Gefährte oder Gefährtin ist«, fuhr ihr Erzengel fort, »trifft der betreffende Erzengel alle Entscheidungen selbst.«

»Nicht gerade fair«, fand Elena.

»Nein, aber Erzengel haben Feinde.« Raphaels Stimme klang tief und dunkel, wie der Himmel um Mitternacht. Auf seine Augen hatte sich ein Schatten gelegt. »Wenn ich mir den momentanen Zustand der Welt so betrachte, kann ich Michaela keinen Vorwurf machen, wenn sie niemandem vertraut. Selbst dem Vater ihres Kindes nicht – falls es eins geben sollte.«

»Dahariel ist ein grausamer Bastard«, musste Elena widerwillig eingestehen. Dahariel hatte eine eindeutige Vorliebe für alle möglichen Spielarten der Folter. »Ich würde ihm mein Baby auch nicht anvertrauen. Sollte ich eins haben. Was ja noch viele, viele, viele Monate lang nicht der Fall sein wird.«

Raphaels weißgoldene Flügel glänzten im Sonnenlicht, als er Elena die Tür zum Gewächshaus aufhielt. »Dein Körper ist noch nicht stark genug, um ein unsterbliches Kind auszutragen. In unseren Begriffen gedacht bist du selbst noch ein Baby. Ich habe dich sozusagen aus der Wiege entführt.«

Elena trat in die Wärme eines ihrer Lieblingsorte auf Erden. »Entführe mich, sooft du magst, Erzengel.« Sie war auf schmerzhafte Weise froh, jetzt noch kein Kind austragen zu können. Wahrscheinlich würden bis dahin Jahrzehnte vergehen, laut Keir vielleicht sogar hundert Jahre. Wenn sie sich Gedanken darüber machte, für die Sicherheit eines Babys sorgen zu müssen, packte sie zudem die schiere Angst. Wie schaffte man es, ein so verletzliches Wesen vor Gefahren zu bewahren – wie sollte sie das schaffen?

Wenn sie jemals gezwungen sein sollte, zusehen zu müssen, wie ihr Kind verletzt wurde, wenn sie je ein kleines, unschuldiges Wesen zu Grabe tragen müsste, das auf ihre Liebe, ihren Schutz angewiesen war …

Elena musste schlucken.

In einer Zeit wie dieser verstand sie, warum ihr Vater so war, wie er war. Jeffrey hatte seine Mutter, eine Jägerin, auf blutige, gewalttätige Art verloren und zwei geliebte Töchter sowie eine mindestens ebenso geliebte Frau beerdigen müssen. Er war im Kern zerbrochen, etwas ganz Zentrales in ihm hatte nicht überlebt, und das, was ihm geblieben war, hatte nicht ausgereicht, um die Tochter zu lieben, die sich jedes Mal, wenn sie zur Arbeit ging, in tödliche Gefahr begab. Bei Beth, Elenas jüngerer Schwester, hatte er diese Probleme nicht gehabt. Er war ihr vielleicht nicht der Vater von einst gewesen, hatte sich ihr gegenüber aber auch nicht sonderlich schlimm verhalten.

Nur Elena gegenüber war er so … so hart geworden. Der Tochter gegenüber, die sich jeden Tag in Gefahr begab, statt in Sicherheit und wohlbehütet ihr Leben zu verbringen.

Ja, manchmal verstand Elena ihren Vater.

»Heute verfolgen dich deine Erinnerungen«, meinte Raphael leise.

Elena beschäftigte sich mit einer Schale fröhlich leuchtender Tausendschönchen, die Illium ihr geschenkt hatte. Sie knipste die verdorrten Blüten ab. »Vielleicht weil ich an Marokko gedacht habe.« Raphael streckte die Hand aus, und sie legte die Blüten hinein. Dann zeigte sie ihm, wohin er sie bringen sollte, damit sie wieder zu Erde werden konnten.

Aber sobald die vertrockneten, braunen Blüten Raphaels Hand berührten, gewannen sie Farbe und Leben zurück, bis sich in der Hand des Erzengels ein kleiner Berg leuchtend gelber Blumen häufte.

3

Raphael zog die Brauen hoch. »Nun!«, sagte er. »Das ist interessant.«

Elenas Lippen zuckten. Wie hell ihr Leben heute doch war! Die schmerzhaften Erinnerungen zogen sich zurück. »Gib sie mir«, befahl sie, »und berühre die vertrockneten Blüten, die ich noch nicht abgeschnitten habe.«

Raphael tat wie gewünscht, aber nichts geschah.

Und als sie ihm erneut verdorrte, abgeschnittene Blüten in die Hand legte, blieben sie braun und trocken. Das überraschte Elena nur wenig, denn nach allem, was sie bisher über die von der Kaskade geweckten Fähigkeiten hatten zusammentragen können, schienen sich diese Fähigkeiten ohne Vorwarnung an- und abzuschalten. Wie ein Signal, das nicht dauerhaft, sondern stoßweise weitergeleitet wird. Selbst Elias war nicht immer in der Lage, Tiere zu sich zu rufen, wobei allerdings die, zu denen eine engere Bindung bestand, ohnehin eher in seiner Nähe blieben, ob er nun mit ihnen »sprechen« konnte oder nicht.

»Na ja«, sagte sie seufzend. »Irgendwann bist auch du mal wieder zu etwas nütze.«

Raphael, der die vertrockneten Blüten in den Garten hatte fallen lassen, den Elena in einer Ecke des Gewächshauses angelegt hatte, ballte seine Hand zur Faust, um sie gleich wieder zu öffnen. Eine kleine blaue Flamme tanzte auf seiner Handfläche. »Ich freue mich immer, meiner Gefährtin behilflich sein zu können.«

Elena lächelte. »Vielleicht kann ich ein paar Nachforschungen zu meinen Wurzeln anstellen, solange du dich mit dem Kader triffst«, sagte sie. »Worauf ich aufbauen kann, ist zwar ein bisschen mager, aber es dürfte wohl kaum allzu viele Familien mit meiner Farbkombination von Haut und Haaren geben.«

Ihre Mutter, die ähnlich ausgesehen hatte, hatte ihr erzählt, diese Kombination aus fast weißem Haar und dunkelgoldener Haut verdanke Elena ihrer Großmutter. Elena erinnerte sich noch genau an dieses Gespräch:

»Ich besaß ein Foto von Maman.« Marguerite schnitt den Stoff für einen schwarzen Glitzerrock zu, den Belle sich gewünscht hatte. »Die Nonne, die mir in den ersten Tagen nach dem Tod meiner Mutter half, nahm es an sich und gab es mir erst an meinem achtzehnten Geburtstag zurück, als ich volljährig wurde und damit kein Pflegekind mehr war.«

Elena streckte die Hand nach ihrer Mutter aus: Marguerite wirkte auf einmal traurig. Dabei war ihre Mutter doch ein Schmetterling! So bunt und hell und glücklich. Sie roch nach dem Duft von Blumen. Trauer passte nicht zu ihr, sie weinte nie.

Und sofort lächelte Marguerite auch schon wieder. Sie beugte sich vor, um Elena auf die Wange zu küssen, umgeben von dem vertrauten Duft nach Gardenien, der ganz fest zu ihr gehörte. »Ach, Chérie, du und deine Schwestern, ihr macht mein Leben zu reiner Freude.«

Sofort verschwand das enge Band, das Elenas Brust zusammengeschnürt hatte. »Warum hat die Nonne das Foto denn behalten, wenn es doch dir gehörte?«

»Ein solcher Schatz kann verloren gehen, wenn ein Kind von einem zum anderen weitergereicht wird. Und das wusste sie.« Marguerite schwieg kurz. »Schwester Constance hatte gütige Augen. Ich glaube, sie hätte mich wie ihre eigene Tochter erzogen, wenn ihr das möglich gewesen wäre. Aber sie hat aus der Ferne über mich gewacht und mich sofort gefunden, als ich gerade in meine eigene kleine Wohnung eingezogen war. Da hat sie mir das Foto gegeben. Und ein anderes, das sie selbst am letzten Tag, an dem ich meine Mutter sah, aufgenommen hatte.«

»Ich trug ein so hübsches Kleid!«, fuhr sie lächelnd fort. »Und einen so hübschen Mantel. Und saubere, glänzende Schuhe. Schwester Constance erzählte mir, ich hätte auch eine Tasche mit Spielzeug und Süßigkeiten dabeigehabt. Vielleicht war ich ja ein bisschen verwöhnt. Aber süße kleine Mädchen muss man doch auch verwöhnen, nicht wahr?«

»Und an dem Tag ist deine Mama gestorben?« Elena dachte nicht gern daran, mochte sich gar nicht vorstellen, dass auch ihre Mutter eines Tages sterben könnte.

»Oui.« Marguerites ganze Aufmerksamkeit galt dem Schnittmuster für Belles Rock. »Sie bat Schwester Constance, auf mich aufzupassen, weil sie die Stadt zu einem Vorstellungsgespräch verlassen musste. Aber sie kam nie an, ihr Bus verunglückte. Er stürzte einen steilen Abhang hinab. Schwester Constance wusste nichts über uns. Nur, dass wir in Paris lebten, keine andere Familie mehr hatten und oft in ihre Kirche gekommen waren, um zu beten.«

Als Elena nichts sagte, sah ihre Mutter sie fragend an, um ihr dann mit leisem Kopfschütteln die Hand auf den Kopf zu legen. »Mein starkes Baby! Du mit deinem großen Herzen, du musst nicht traurig sein. Das ist jetzt schon so lange her – gehört zu einem anderen Leben.« Sie gab Elena ein Stück Glitzerstoff. »Meine Mutter hatte dieselben Augen wie Ariel, und ihre Haut war dunkler als deine, als hätte sie alle Sonne in sich aufgesogen. Aber ansonsten bist du eine hübsche kleine Kopie von ihr.«

»Deswegen heiße ich auch Elena.« Das war nicht ihr wirklicher Name, aber der, den sie am liebsten mochte. Außer Ellie vielleicht. Elieanora – das war zu lang und kompliziert.

»Ja, genau wie Maman. Sie wurde auch Elena gerufen.« Zwischen Marguerites Augen bildeten sich zwei steile Falten. »Ich weiß, das war nicht ihr richtiger Name, aber ich kann mich nicht daran erinnern, ob irgendwer sie je anders genannt hat als Elena.« Lächelnd zuckte sie mit den Schultern. »Kein Bébé kennt den wahren Namen seiner Mama.«

»Beth nicht, die ist zu klein, aber ich kenne deinen Namen: Du bist Marguerite Deveraux«, verkündete Elena stolz. Sie saß auf der kleinen Bank, die an der altmodischen Nähmaschine befestigt war, an der ihre Mutter immer noch lieber arbeitete als an jeder neuen, die Elenas Vater gern für seine Frau gekauft hätte. Elena baumelte mit den Beinen und sah ihrer Mutter zu, während die kleine Beth auf der Decke, die Marguerite für sie auf dem Boden ausgebreitet hatte, voll und ganz mit ihrem Spielzeug beschäftigt war.

Belle und Ariel waren in der Schule, aber Elena hatte zu Hause bleiben dürfen, weil sie ein bisschen hustete. Nur ein bisschen, eigentlich hätte man sie genauso gut zur Schule schicken können, aber Marguerite hatte ihre Tochter am Morgen lächelnd an sich gedrückt und gesagt: »Also möchte mein Chérie heute mal bei ihrer Maman bleiben? Sind wir einfach ein bisschen frech, schwänzen wir die Schule, non?«

Elena liebte den Akzent ihrer Mutter, liebte die lyrische Schönheit ihrer Sprache, liebte den sanften Klang von Marguerites Stimme. Manchmal versuchte sie auch so zu reden, aber ihr Akzent klang immer nur schlicht und einfach nach Amerika, und ihre Stimme blieb die eines Kindes, ohne die leichte Heiserkeit, die Marguerite auszeichnete. Jetzt lachte ihre Mutter: »Du bist so klug, mein Baby!«

Elena wurde ganz warm ums Herz. »Darf ich das Foto sehen?«, fragte sie. Wie aufregend – gleich würde sie vielleicht noch mehr über ihre Großmutter erfahren.

Marguerite lächelte ihr zu, sanft, aber auch ein wenig traurig. »Das Haus, in dem ich damals wohnte, brannte ab, und das Foto ging verloren. Das war kurz bevor ich deinen Papa kennenlernte.« Geschickt glitt die Schere durch den Stoff, bis er zu beiden Seiten sauber hinunterfiel.

Den Rock wollte Belle zu der weißen Bluse tragen, die sie zu Weihnachten bekommen hatte. Elena hatte geholfen, die Bluse auszusuchen, und ihr Papa hatte sie gekauft. Es machte die Kleine glücklich, zu sehen, wie gern ihre große Schwester das Kleidungsstück hatte.

»Oh!« Elena tat es so leid, dass ihre Mutter kein Foto ihrer Mutter besaß. »Erinnerst du dich denn noch an das Foto?«

»Oui, natürlich!« Marguerite warf ihrer kleinen Tochter einen so fröhlichen Blick zu, dass Elena dachte, sie müsse vor Glück gleich zerspringen.

Ihre Mutter war voller Leben, sie strahlte, sie funkelte so sehr! Wenn Elena in ihrer Nähe war, hätte sie am liebsten immer nur getanzt und gelacht. Sie klatschte in die Hände und streckte die Arme aus. Lachend legte Marguerite ihre Arbeit beiseite, um sie hochzuheben und ihr einen Kuss auf den Mund zu hauchen. »Du bist mein petite Äffchen, Elena«,verkündete sie voller Freude, als ihr Töchterchen sich mit Armen und Beinen an sie klammerte und einfach nicht loslassen wollte.

Dann stellte sich Beth auf die dicken kleinen Beinchen und streckte ebenfalls die Ärmchen aus.

»Ich glaube, dies kleine Bébé möchte auch einen Kuss.« Marguerite ließ Elena los, hob Beth von der Decke und setzte sich mit der Kleinen auf dem Schoß wieder hin.

Elena hockte sich im Schneidersitz vor die beiden und schnitt für Beth Grimassen.

Ihre kleine Schwester gluckste begeistert, drückte sich die kleinen Händchen an den Mund.