Große Denker in 60 Minuten - Band 3 - Walther Ziegler - E-Book

Große Denker in 60 Minuten - Band 3 E-Book

Walther Ziegler

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Beschreibung

"Große Denker in 60 Minuten - Band 3" ist der dritte Sammelband der beliebten gleichnamigen Buchreihe. Er umfasst die fünf Einzelpublikationen "Konfuzius in 60 Minuten", "Buddha in 60 Minuten", "Epikur in 60 Minuten", "Descartes in 60 Minuten" und "Hobbes in 60 Minuten". Dabei wird der Kerngedanke des jeweiligen Denkers auf den Punkt gebracht und die Frage gestellt: "Was nutzt uns dieser Gedanke heute?" Vor allem aber kommen die Philosophen selbst zu Wort. So werden ihre wichtigsten Aussagen als Zitate in Sprechblasen grafisch hervorgehoben und ihre Herkunft aus den jeweiligen Werken angezeigt. Jeder der fünf Philosophen ist mit bis zu 100 solcher Zitate vertreten. Die spielerische, gleichwohl wissenschaftlich exakte Wiedergabe der einzelnen Denker ermöglicht dem Leser den Einstieg in die großen Fragen unseres Lebens. Denn jeder Philosoph, der zu Weltruhm gelangt ist, hat die Sinnfrage gestellt: Was ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält? Herausgekommen sind dabei sehr unterschiedliche Antworten. Bei Konfuzius ist es die Suche nach dem Dao, nach dem richtigen Weg, der uns Menschen zueinander führt. Bei Buddha ist es die radikale Befreiung von den Bedürfnissen und die meditative Annäherung an das Nirvana. Dagegen sieht Epikur den Sinn des Lebens gerade im Zulassen unserer Lust und der Eingebundenheit des Daseins in seine Körperlichkeit. Descartes wiederum hat das Denken als das entscheidende Wesensmerkmal des Menschen erkannt, die Welt zu erforschen und zu beherrschen. Hobbes schließlich sieht das zentrale Moment im friedlichen Zusammenleben der Menschen durch die Staatengründung, also einem politischen Akt. Die Frage nach dem Sinn der Welt und somit dem Sinn unseres Lebens wird von den Philosophen also durchaus unterschiedlich beantwortet, doch eines steht fest: Jeder der fünf Denker hat aus seiner Perspektive einen Funken aus dem Kristall der Wahrheit herausgeschlagen.

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Dank an Rudolf Aichner für seine unermüdliche und kritische Redigierung, Silke Ruthenberg für die feine Grafik, Angela Schumitz, Lydia Pointvogl, Eva Amberger, Christiane Hüttner, Dr. Martin Engler für das Lektorat und Dank an Prof. Guntram Knapp, der mich für die Philosophie begeistert hat.

Große Denker in 60 Minuten

Konfuzius in 60 Minuten

Buddha in 60 Minuten

Epikur in 60 Minuten

Descartes in 60 Minuten

Hobbes in 60 Minuten

Walther Ziegler

Konfuzius

in 60 Minuten

Inhalt

Die große Entdeckung von Konfuzius

Der Kerngedanke von Konfuzius

Das Geheimnis der Harmonie: „Xiao“ und „Li“ – Respekt, Riten und Rituale

Vorbildlich denken und handeln: Die fünf Tugenden des „Junzi“, des edlen Menschen

„Bildung soll allen zugänglich sein.“ Sie ist Voraussetzung von Allem und doch nicht Alles

Die Verwirklichung des „Ren“, der Menschlichkeit

Finde dein „Dao“, den rechten Weg! Die konfuzianische Philosophie der Selbstkultivierung

Was nutzt uns die Entdeckung von Konfuzius heute?

Rückwärtsgewandte Lehre oder zeitlose Wahrheit? Der lange Weg des Konfuzius

Das Wunder der Achsenzeit: Die Neuordnung der Welt durch Konfuzius, Buddha und Sokrates

Leichtigkeit gewinnen mit dem Meister: Selbstkritik, Witz und Ironie

Widerspruch ist Wertschätzung

Das Vermächtnis des Konfuzius – die lebenslange Suche nach dem „Dao“

Zitatverzeichnis

:

Die große Entdeckung von Konfuzius

Konfuzius (551 - 479 v. Chr.) ist der bedeutendste chinesische Philosoph. Eigentlich heißt er Kong Fuzi2, was wörtlich übersetzt „Meister Kong“ bedeutet. Doch die Jesuiten, die 1687 als Missionare erstmals seine Schriften aus dem Chinesischen in das Lateinische übersetzten, gaben ihm den lateinisch klingenden Namen ‚Konfuzius‘, unter dem er bis heute in der westlichen Welt bekannt ist.

Seine Gedanken und seine Lehre verbreiteten sich nach seinem Tod zunächst in vielen Ländern Asiens und später weltweit. Wo auch immer jemand einen Satz mit den Worten beginnt „Konfuzius sagt“, hören die Menschen aufmerksam zu – in Erwartung einer zeitlos gültigen Lebensweisheit, an der sie sich orientieren können.

Tatsächlich sind die Gedanken von Konfuzius bis heute von erstaunlicher Aktualität und psychologischer Schärfe. Konfuzius ist nicht nur ein Philosoph, sondern auch ein brillanter Menschenkenner und Psychologe mit einem unbestechlichen Blick für unsere menschlichen Schwächen, Stärken und Möglichkeiten. Das erklärt vielleicht auch, warum seine Lehre über zweitausendfünfhundert Jahre hinweg alle Stürme, Irrungen und Wirrungen der Geschichte überstehen konnte. Bis heute prägt Konfuzius die Erziehung und Orientierung von Milliarden Menschen in China, Japan, Vietnam, Thailand, Korea, Taiwan und weiten Teilen der Philippinen. Seit dem 17. Jahrhundert erfährt er im Gefolge der ersten Übersetzung durch die Jesuiten auch in der westlichen Welt zunehmende Aufmerksamkeit. Der französische Philosoph Voltaire feiert ihn als ersten großen Rationalisten und Aufklärer. Inzwischen gibt es mehr als hundert Übersetzungen seines Hauptwerkes, der berühmten Lunyu. Dabei hat Konfuzius selbst, ähnlich wie Sokrates, nichts Schriftliches hinterlassen. Lunyu heißt aus dem Chinesischen übersetzt „Gespräche“. Tatsächlich handelt es sich hierbei nur um kurze Gespräche, Aussprüche und Taten des Meisters, die seine Schüler über die Jahre hinweg aufgezeichnet und gesammelt haben. Es ist also kein systematisches Werk, wie man es von anderen Philosophen her kennt, sondern eine Sammlung der Äußerungen von Konfuzius zu unterschiedlichen Themen und Fragestellungen.3

Dennoch enthalten die verschiedenen Gespräche mit seinen Schülern, wie Konfuzius selbst betont, einen klar erkennbaren Kerngedanken, um den sich alles dreht:

Und dieser Kerngedanke hat etwas radikal Neues. Alle Menschen sind bei Konfuzius nämlich von Natur aus gleich. Anders als es Jahrtausende vor Konfuzius in China üblich war, spielen Standesunterschiede und Herkunft bei ihm keine Rolle mehr. Jeder einzelne Mensch, ob Adeliger oder Bauer, reich oder arm, kann sein „Dao“, seinen rechten Weg finden. Jeder von uns ist, so Konfuzius, prinzipiell in der Lage, durch Charakterschulung, Bildung und Selbstkultivierung ein „Junzi“, ein edler Mensch zu werden.

Konfuzius gilt damit als einer der ganz großen Denker der Achsenzeit, einer Epoche, in der sich die Menschheit gleichzeitig auf verschiedenen Kontinenten völlig neu orientierte, so als würde sich das Denken nach jahrtausendelangem Stillstand auf einmal um seine eigene Achse aus der Dunkelheit heraus ins Licht drehen.

Konfuzius lebte zur selben Zeit wie Buddha auf dem indischen Subkontinent und der griechische Philosoph Sokrates im tausende Kilometer entfernten Europa. Und genau wie diese beiden gibt er den Menschen in einer Epoche des moralischen Verfalls und der Kriege eine ganz neue politisch ethische Orientierung, die weit über sein eigenes Leben hinauswirkt. Wie Buddha und Sokrates sucht Konfuzius nach einer zeitlosen Wahrheit, die auch für künftige Generationen gilt. Es genügt ihm nicht, nur seine eigene Zeit zu verstehen:

Seine besondere Strahlkraft verdankt er zweifellos seinem ebenso einfachen wie brillanten Kerngedanken – der Suche nach dem „Dao“, und damit der Suche nach der dreifachen Harmonie: der Harmonie zwischen dem einzelnen Menschen und seiner Familie, der Harmonie zwischen sich und der Gesellschaft und der inneren Harmonie zwischen sich selbst und seinen Vorsätzen, also zwischen unserem realen Leben und unserem Idealbild.

Dabei geht es Konfuzius nicht, wie man zunächst meinen könnte, um die Erreichung der totalen Identität, also der völligen Übereinstimmung des Einzelnen mit seiner Familie, den Freunden oder dem Staat. Es geht ihm auch nicht um die finale Erreichung einer Gleichheit zwischen allen Individuen oder der Deckungsgleichheit zwischen unserem Leben und unserer Idealvorstellung. Im Gegenteil – das Streben nach Harmonie bedeutet für Konfuzius etwas grundsätzlich anderes als das Streben nach Gleichheit:

Harmonie ist bei Konfuzius ein schillernder Begriff. Erst wenn wir seine Bedeutung richtig verstehen, eröffnet sich uns der Kerngedanke seiner Philosophie. Mit „Harmonie“ meint er nämlich nicht, wie im umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes, einen Zustand völliger Entspanntheit, sondern ein unermüdliches lebenslanges Bemühen. Harmonie ist nichts anderes als das andauernde Streben nach gelingender Mitmenschlichkeit. Als einer seiner Schüler Konfuzius fragt, ob er mit einem Wort sagen könne, wonach man sein Handeln ein Leben lang ausrichten solle, antwortet er schlicht:

Und zur Bekräftigung fügt er noch jenen berühmten Satz hinzu, der einige hundert Jahre später als sogenannte ‘goldene Regel‘ oder „golden rule“8 um die ganze Welt geht:

Doch genau diese gegenseitige Rücksichtnahme, die anderen so zu behandeln, wie man selbst von diesen behandelt werden will, ist nicht selbstverständlich. Im Gegenteil: Das Sichhineinversetzen in das Empfinden der anderen ist das Allerschwierigste. Keiner von uns, so Konfuzius, schafft es durchgehend, auf die anderen in derselben Weise Rücksicht zu nehmen, wie auf sich selbst. Zumeist stellen wir unsere Interessen weit über das Wohlbefinden der anderen. Es kommt im Alltag immer wieder zu Verletzungen.

Nur der „Junzi“, der wirklich „Edle“, lebt sein Leben ohne andere zu beeinträchtigen. Ja, er fördert sogar bewusst die Entfaltung der Menschen um sich herum. Im Prinzip kann jeder Mensch durch Charakterschulung und Selbstkultivierung zu einem solch edlen Menschen aufsteigen. Doch Konfuzius räumt gleichzeitig ein, dass es sehr schwierig ist, in jeder Situation als „Junzi“, als „edler Mensch“ zu fühlen, zu denken und zu handeln. Sogar er selbst bewältige diese Aufgabe oft nicht, da sie drei Tugenden gleicherfordere:

Es ehrt Konfuzius, dass er ehrlich zugibt, dass nicht einmal er selbst, der große Philosoph und Lehrmeister, in der Lage ist, alle drei Aufgaben zu bewältigen und somit stets rücksichtsvoll, weise und mutig zu sein. Dennoch bleibt sein moralischer Appell bestehen, es immer wieder zu versuchen. Die große Aufgabe, so Konfuzius, besteht darin, die auseinanderdriftenden Kräfte von Egoismus und Rücksichtnahme in Einklang zu bringen. Denn nur, wenn uns dies gelingt, haben wir die Chance auf ein erfülltes Leben. Das wirkliche Glück, so Konfuzius, verlangt die Entfaltung der Menschlichkeit, des „Ren“:

Dieser philosophische Kerngedanke, also die entschlossene Suche nach Harmonie, durch Rücksichtnahme und Menschlichkeit, mag uns auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen. Bei genauerer Betrachtung aber hat Konfuzius damit ein sehr heißes Eisen angefasst. Harmonie ist nämlich keineswegs selbstverständlich. Sie ist sogar die Ausnahme. Jeder von uns weiß, wie konfliktreich gerade Familienbeziehungen sind, jeder von uns hat sich schon über den Staat, die eigene Ohnmacht und die Behördenwillkür geärgert und jeder von uns kennt das Gefühl, schmerzlich hinter seinen eigenen Wünschen und Möglichkeiten zurückzubleiben. Wie sollen wir mit unserer Unzufriedenheit umgehen? Können wir die dreifache Harmonie jemals erreichen?

Konfuzius spricht den zeitlosen Grundkonflikt des menschlichen Daseins aus, den wir nur allzu gut aus unserem eigenen Leben kennen: Wir alle werden mit Bedürfnissen, Wünschen und Trieben geboren. Aber wir sind nicht allein auf der Welt. Unsere Bedürfnisse und Wünsche prallen auf die der anderen Menschen und lassen sich nicht immer vereinbaren.

Es gibt Konkurrenz und Streit um knappe Güter, Aufmerksamkeit, Ruhm, Anerkennung, Zuwendung und Liebe. Die Gefühle von Neid, Eitelkeit oder tief empfundener Kränkung sind so alt wie die Menschheit selbst. Konfuzius hat es als Erster gewagt, ein Licht auf dieses Spannungsfeld zu werfen und die alles entscheidende Frage gestellt: Wie kann ich mich entfalten und meine Wünsche und Vorstellungen verwirklichen, ohne dabei die anderen einzuschränken und zu schädigen? Wie befolge ich die Gesetze und Sitten der Gemeinschaft und des Staates, ohne dabei mich selbst zu verleugnen? In welchen Situationen muss ich auf die Entfaltung meiner Werte bestehen und in welchen mich zurücknehmen? Wann muss ich die Freunde, die Familie und die Regierung treu unterstützen und wann aufrecht widersprechen und Widerstand leisten?

Gerade weil Konfuzius Fragen stellt, die uns im täglichen Leben beschäftigen, ist seine Lehre so praxisnah und hilfreich. Die Anwendbarkeit und psychologische Scharfsinnigkeit seiner Gedanken haben vielleicht auch mit seinem eigenen Schicksal zu tun. Er kennt das Leben ebenso aus der Perspektive des Armen und Mittellosen, wie des Reichen und Mächtigen. Mit drei Jahren verliert er bereits den Vater und seine Familie verarmt. Als Halbwaise wächst er in einfachsten Verhältnissen auf:

Er arbeitet zunächst als Rinderhirte und auch sein späteres Leben ist phasenweise von großer Entbehrung und Armut geprägt. Zwar gründet er mit zweiundzwanzig Jahren eine eigene Schule mit bald mehr als 3000 Schülern und steigt zwischenzeitlich, der Überlieferung nach13, zu einem hohen Verwaltungsbeamten im Range eines Ministers auf, doch wird er infolge politischer Unruhen wieder entmachtet. Schließlich zieht er vierzehn Jahre lang mit seinen Schülern als Wanderlehrer umher, bevor er in seine Heimatstadt zurückkehrt und dort bis an sein Lebensende unterrichtet.

Was kann uns das uralte Wissen des großen Chinesen heute noch nutzen? Hat Konfuzius Recht und die Suche nach dem „Dao“, dem rechten Weg durch Verwirklichung äußerer und innerer Harmonie ist tatsächlich das Wichtigste in unserem Leben? Und wenn ja, wie finden wir diese Harmonie? Bedeutet das Sicheinfügen in die Familie und die Rücksichtnahme auf andere das höchste Glück oder gerät das Individuum dadurch in die Anpassungsfalle? Was meint Konfuzius konkret mit seiner Forderung, „Ren“, also die „Mitmenschlichkeit“, entschlossen und kompromisslos zu verwirklichen? Konfuzius gibt sehr konkrete Antworten – und das seit 2500 Jahren.

Der Kerngedanke von Konfuzius

Das Geheimnis der Harmonie: „Xiao“ und „Li“ – Respekt, Riten und Rituale

Harmonie ist für Konfuzius nicht nur ein anzustrebendes Ideal, sondern vor allem eine Lebenspraxis, die wir umsetzen und verwirklichen können. Es gibt, so Konfuzius, zwei Wurzeln, beziehungsweise zwei uralte Verhaltensmuster, die im Alltag zur Harmonie beitragen: „Xiao“ und „Li“. Oft werden diese beiden Elemente von uns mit solcher Selbstverständlichkeit angewandt, dass uns ihre unterschwellige Wirkung auf geheimnisvolle Weise verborgen bleibt.

„Xiao“ bedeutet Respekt voreinander oder auch Pietät, Frömmigkeit, Pflichtgefühl. „Li“ ist das chinesische Wort für Riten, Rituale, Bräuche, Gesetze, Regeln, Übereinkünfte und Traditionen. „Xiao“ und „Li“ sind zwei Schlüsselbegriffe von Konfuzius. Mit „Xiao“ ist im Grunde etwas ganz Einfaches gemeint.

Der Respekt gegenüber den Eltern, und im weiteren Sinne gegenüber dem Vorgesetzten, der Regierung und dem Staat. Den ursprünglichen Sinn des Wortes erkennt man schon aus dem Schriftzeichen:

Es besteht zum einen aus dem Zeichen für „Alter“ beziehungsweise „Eltern“ oder „alt“:

und zum anderen aus dem Zeichen für „Kind“:

In der Zusammensetzung steht dann aber „alt“ oberhalb von „Kind“. Das Piktogramm für „Xiao“, für „Respekt“ bebildert also bereits, dass alte Menschen beziehungsweise Eltern über jungen Menschen und Kindern stehen und von diesen geachtet und fürsorglich behandelt werden sollen. Respekt und Fürsorge gegenüber den Eltern dürfen aber, so Konfuzius, auf keinen Fall missverstanden werden als bloß materielle Sicherstellung ihres Unterhalts, wenn die Arbeitskraft der Eltern nachlässt:

„Xiao“ bedeutet mehr. Es beinhaltet die Liebe der Kinder zu ihren Eltern, die Pflege im Alter, die Anwesenheit am Sterbebett, aber auch die Verehrung der Ahnen, die Folgsamkeit gegenüber Eltern, älteren Brüdern und Vorgesetzten. Jeder muss seine Rolle mit Respekt gegenüber anderen übernehmen:

Konfuzius warnt uns, vorschnell den Konflikt zu suchen und in Revolutionen, Revolten und Aufständen die gewachsene Hierarchie in Frage zu stellen. Er empfiehlt uns, maßvoll zu bleiben:

In der Familie soll der Respekt des Sohnes primär dem Vater, dann den älteren Brüdern entgegengebracht werden. Die Stellung der Frau wird von Konfuzius an dieser Stelle nicht thematisiert, unterscheidet sich aber wohl von unseren heutigen Vorstellungen. Konfuzius sieht im Respekt gegenüber Eltern und Großeltern eine Grundlage für die Harmonie in der Familie und indirekt der gesamten Gesellschaft:

Mit „Li“ beschreibt Konfuzius die seit Jahrhunderten gewachsenen Sitten, Regeln, Riten und Rituale, die es zu befolgen gilt. Diese verändern sich zwar im Laufe der Zeit, bieten aber dennoch Orientierung, gerade weil sie sich über lange Zeit herausgebildet und immer weiter verfeinert haben. Als ein Schüler Konfuzius fragt, ob nicht unsere derzeitigen Riten und Sitten spätestens nach zehn Generationen vergessen sein werden, antwortet Konfuzius:

Man kann also voraussehen, dass jede Generation die Sitten weiter verfeinern wird, dabei aber auf der jeweils vorausgegangenen aufbaut. Zur Zeit von Konfuzius gab es noch keine schriftlich verfassten Gesetze oder Gesetzesbücher, weshalb die Einhaltung der überlieferten Rechtsgrundsätze und Sitten eminent wichtig war. Die „Li“, also die Sitten sind für die Menschen zudem ein wichtiges Orientierungssystem im Alltag. Denn zu den „Li“ gehören auch große und kleine Rituale, die unser Zusammenleben harmonisieren. Konfuzius erklärt dies am Beispiel des Bogenschießens. Die Schüler des Konfuzius lernten nämlich neben Schreiben, Rechnen, Literatur, traditionellen Bräuchen und Musik auch Bogenschießen und Wagenlenken. Das Zielen und Treffen mit dem Pfeil, so Konfuzius, fördert zum einen die Konzentration und dient der Selbstdisziplinierung. Darüber hinaus aber fördert es vor allem die gegenseitige Anerkennung und Respekterweisung. So wie sich heute noch Boxer vor Beginn des Kampfes gegenseitig ihre Fäuste abklopfen und sich Karate-Kämpfer verbeugen, verneigten sich bereits die Schüler des Konfuzius voreinander und reichten, wenn sie siegreich waren, dem Unterlegenen einen Trunk:

Konfuzius legte auf solche Rituale großen Wert, denn er erkannte deren Bedeutung für die Harmonie unter den Menschen. Bei aller Konkurrenz und aller Rivalität im Sport, im Alltag, in der Familie oder der Gesellschaft, schaffen Gesten gegenseitiger Anerkennung zumindest einen Augenblick des sich Besinnens auf das gemeinsame Menschsein. Dies gilt für Beerdigungen als ritualisierte Anteilnahme an der Trauer der Hinterbliebenen, für den feierlichen Amtsantritt von Regierenden, für ritualisierte Feste und Feiertage, aber auch für ganz einfache alltägliche Grußrituale. Bis heute werden bei internationalen Sportereignissen und Wettkämpfen wie Fußballweltmeisterschaften Hände geschüttelt, Hymnen und Lieder gesungen sowie Wimpel ausgetauscht. Konfuzius weiß, warum dies so wichtig ist:

Ohne dass es uns noch auffällt, begrüßen sich Menschen auf der ganzen Welt, ob sie sich nun schon lange kennen oder zum ersten Mal sehen, mit rituellen Handlungen – in Asien meist mit einer Verbeugung, in Europa oder Amerika mit einem Handschlag. Franzosen mit Wangenküsschen, Inder mit dem bekannten Grußwort „Namaste“, was übersetzt heißt: „Ich verbeuge mich vor Dir“. Dabei werden auch real die Handflächen aneinandergelegt, in Brusthöhe gehoben und der Kopf leicht gesenkt.

Mit diesen einfachen Gesten signalisieren wir dem Adressaten des Grußes, dass er sich sicher fühlen kann und dass wir ihm höflich, respekt- und vertrauensvoll im Rahmen wertschätzender Umgangsformen begegnen werden. Konfuzius legt also großen Wert auf „Xiao“ und „Li“, auf die respektvolle Suche nach Harmonie in Familie und Gesellschaft sowie auf die Einhaltung der Sitten und Rituale. Es ging ihm um eine funktionierende Gemeinschaft, in der die äußere Form den inneren Zusammenhalt unterstützt. Andererseits sind Rituale und tradierte Regeln für Konfuzius aber auch kein Selbstzweck. Sie müssen authentisch sein:

Als ein Schüler Konfuzius fragt, ob es nicht besser sei, über das vorgegebene Maß an Sittlichkeit noch hinauszugehen, dieses also zu übertreffen, um auf keinen Fall dahinter zurückzubleiben, antwortet Konfuzius mit einem einfachen Ratschlag:

Die Befolgung von „Xiao“ und „Li“, von Respekt und Sitten findet aber bei Konfuzius noch eine zweite Obergrenze – nämlich die spezifisch menschliche Schwäche, die Pflichten zwar zu erkennen, aber nicht die Kraft zu besitzen, ihnen nachzukommen. Konfuzius bezichtigt sich sogar selbst dieser Schwäche:

An dieser Stelle ist zweierlei interessant: Erstens, dass Konfuzius das Bemühen, sich „nicht vom Wein überwältigen zu lassen“ in eine Reihe stellt mit den Bemühungen, sich in die Familie einzufügen und alle Pflichten gegenüber den Lebenden und Verstobenen zu erfüllen. Zweitens, dass er bedauernd feststellt, dass ihm selbst nicht viel davon gelingt. Solche humorvolle und mit einem Augenzwinkern vorgetragene Zweifel an seiner eigenen moralischen Reife wiederholen sich des Öfteren in den Gesprächen. Der Grund für diese offene Selbstkritik liegt darin, dass Konfuzius uns zu verstehen geben will, dass letztlich niemand in der Lage ist, sich durchgängig vorbildlich zu verhalten:

Um die dreifache Harmonie zu finden, also die Harmonie mit Familie und Freunden, die Harmonie mit der Gesellschaft und die Harmonie mit dem eigenen Leben bedarf es zunächst einer Höherbildung und Öffnung des Charakters. Wir müssen uns von unserem kleinlichen Egoismus und unserer Selbstbezogenheit befreien und ein „Junzi“ werden, ein edler Mensch. „Junzi“ ist ein zentraler Begriff in der Ethik von Konfuzius.

Vorbildlich denken und handeln: Die fünf Tugenden des „Junzi“, des edlen Menschen

Ein „Junzi“ ist eine Art Ritter, ein Edelmann mit gut ausgebildeten Tugenden, oder modern gesagt, ein fairer und verantwortungsvoller Mensch. Im Grunde hatte Konfuzius die große Vision, eine ideale Gesellschaft aus edlen Menschen, aus lauter „Junzis“ zu schaffen, die einander gegenseitig anerkennen und für die Entfaltung der jeweils anderen Sorge tragen.

Noch zur Zeit von Konfuzius war „Junzi“ ein Wort für Adelige und hochgeborene Fürsten. Das chinesische Schriftzeichen für „Junzi“ besteht aus dem Zeichen für „Herr“ und dem Zeichen für „Sohn“. Das Piktogramm bedeutet also „Sohn des Herrn“, „Sohn des Herrschenden“ oder auch „Fürstensohn“ und gibt einem hohen Geburts- und Machtstatus Ausdruck. Konfuzius definierte den Begriff aber zu seinen eigenen Zwecken völlig neu. „Junzi“ ist bei Konfuzius erstmals nicht mehr eine Person von edler Geburt, sondern ein Mensch von edlem Charakter. Darin steckt etwas revolutionär Modernes. Wenn nämlich anstelle von Herkunft und Geblüt nur der edle Charakter entscheidend ist, kann prinzipiell jeder von uns ein Edler werden, egal ob er in einem Slum oder einem Villenviertel geboren wird, ob seine Eltern reich und kultiviert oder arm und ungehobelt sind. Jeder kann seinen Charakter formen und höherbilden. Der Ausgangspunkt ist dabei für uns alle gleich. Denn, so Konfuzius, von Natur aus haben wir sehr ähnliche Anlagen:

Die Menschen sind also im Wesentlichen von Natur aus gleich und unterscheiden sich erst durch ihre Erziehung. Das bedeutet, dass auch ein Armer zu einem Edelmann aufsteigen kann, so wie umgekehrt ein Fürst oder Nachkömmling eines Fürsten moralisch versagen kann. Er darf in diesem Falle, so Konfuzius, nicht länger als Junzi gelten:

Ein Edler wird also prinzipiell nicht an der Herkunft, sondern ausschließlich an seinen Gedanken und Taten gemessen:

Was aber zeichnet den „Junzi“ aus? Was unterscheidet ihn von den anderen? Konfuzius nennt uns zunächst eine Reihe von konkreten Verhaltensweisen:

Die Tugenden der Edlen, so die revolutionäre These von Konfuzius, sind also erlernbar. Obgleich Konfuzius noch in einer durch und durch feudalen Standesgesellschaft lebte, machte er keine Klassenunterschiede und unterrichtete Schüler aus allen gesellschaftlichen Schichten. Im Wesentlichen hielt er sie dazu an, die fünf Kardinaltugenden zu erlernen und sich darin zu üben:

Die erste Tugend, die der Höflichkeit, besteht darin, dem anderen mit Respekt zu begegnen. Hierbei spielen auch wieder „Xiao“ und „Li“, also Rituale und Umgangsformen eine große Rolle. Von der ehrerbietigen Begrüßung bis zur freundlichen Verabschiedung zeigt man dem anderen, dass man sich mit ihm vertrauensvoll innerhalb gewachsener und bewährter Umgangsformen verständigen will, also innerhalb eines Kodex, der beiden Seiten Anerkennung ihrer Würde zusichert.

Großmut ist die zweite Tugend, die wir erlernen müssen, um ein Edler zu werden. Es geht darum, seine eigene Eitelkeit in den Griff zu bekommen, andere in ihrer Entfaltung zu fördern. Wichtig ist, sie auch dann nicht zu verurteilen, wenn man sich von ihnen missverstanden oder unbeantwortet fühlt:

In Situationen der Nicht-Anerkennung keine Verbitterung zu spüren, ist in der Tat eine edle Eigenschaft. Die meisten Menschen würden gereizt oder beleidigt reagieren. Zur Tugend der Großmütigkeit gehört also die Überwindung der Eitelkeit und zwar nicht nur bei Kränkungen durch andere, sondern auch bei eigenen Fehlern. Wenn wir beispielsweise etwas falsch machen, neigen wir dazu, dies nicht zuzugeben, zu vertuschen oder sogar unseren Standpunkt stur zu verteidigen. Wer gibt schon gerne zu, sich geirrt zu haben und zieht seine Konsequenzen daraus? Doch genau dazu muss der Edle in der Lage sein:

Die dritte Tugend ist die Aufrichtigkeit. Damit ist vor allem gemeint, dass der Edle seine Worte mit seinen Taten in Einklang bringt. Er lügt nicht und verspricht nichts, was er nicht halten kann:

Der sorgfältige Umgang mit Worten und Begriffen ist Konfuzius sehr wichtig. Als ihn ein Schüler fragt, was er als erstes tun würde, wenn ihm vom Herrscher das Regierungsamt vom chinesischen Teilstaat Wei übertragen würde, antwortet Konfuzius:

Konfuzius kritisierte nämlich die damals schlampige und unzutreffende Verwendung von Begriffen. So würden zum Beispiel inzwischen runde Gefäße immer noch mit demselben Namen der früher eckigen Gefäße bezeichnet. Es ging Konfuzius aber vor allem um die Richtigstellung politisch instrumentalisierter Worte. Der Schüler entgegnet Konfuzius, dass es doch wohl Wichtigeres gäbe als diese formalen Dinge. Konfuzius aber bleibt dabei:

Die vierte Tugend ist der Eifer. Dies mag zunächst verwundern, doch Konfuzius sieht im eifrigen und unablässigen Bemühen, sich weiterzuentwickeln eine wichtige Voraussetzung der Charakterbildung. Von seiner Naturausstattung her kann zwar jeder Mensch zu einem Edlen aufsteigen, aber er muss es auch wirklich wollen:

Die fünfte und wichtigste Tugend, die der Edle entwickeln muss, ist die „Güte“. Damit ist nicht nur im üblichen Sinn des Wortes gemeint, anderen Menschen gegenüber „gütig“ zu sein, also ihnen etwas zu geben oder zu schenken, sondern darüber hinaus die Dimension der Mitmenschlichkeit, das sogenannte „Ren“ zu entfalten:

Für das Gute einzutreten heißt auch, die Verwirklichung seiner eigenen Wünsche, Ziele und Entfaltungsmöglichkeiten nicht über die der anderen zu stellen. Der „Junzi“ hat immer das Wohl der anderen im Blick und muss sich diesbezüglich vorbildlich verhalten, um auch die anderen für ein solches Verhalten zu begeistern:

Der „Junzi“ muss generell in seinem Denken und Handeln vorbildlich sein und an sich selbst strengere Maßstäbe anlegen als an seine Umgebung:

Als Konfuzius während der Wanderjahre im Jahr 489 v. Chr. in eine vom Krieg völlig verwüstete Gegend kommt, leiden er und seine Schüler großen Hunger. Als sie vor Schwäche kaum weiterlaufen können, fragen sie ihn, was sie nun tun sollen. Der Meister antwortet:

Fazit: Solche Beschreibungen von Kardinaltugenden, die den Charakter des Edlen ausmachen, gab und gibt es natürlich seit jeher auch in anderen Ländern und Kulturen. So sind etwa der „Samurai“ in Japan oder der „edle Ritter“ in Europa entsprechende Idealbilder. Die Taten der Samurai und edlen Ritter werden seit jeher in Heldensagen gerühmt und beschrieben. Das provokative Element der konfuzianischen Ethik besteht aber darin, dass die Tugenden des edlen Menschen erlernbar und nicht mehr mit der Abstammung verbunden sind.

Ein ganz entscheidender Baustein in der Philosophie von Konfuzius ist deshalb die Selbstvervollkommnung und Selbstkultivierung des Menschen durch Bildung.

„Bildung soll allen zugänglich sein.“ Sie ist Voraussetzung von Allem und doch nicht Alles

Welch herausragende Rolle die Bildung bei Konfuzius spielt, zeigt sich schon im allerersten Satz, mit dem die Gespräche eröffnet werden:

Vielleicht noch wichtiger aber ist seine unmissverständliche und kompromisslose Forderung nach einem freien Zugang zur Bildung:

An der Umsetzung dieser Forderung arbeiten wir noch heute, 2500 Jahre später. Denn nach wie vor gibt es in vielen Gesellschaften der Welt Studiengebühren. Auch kommen die Studierenden noch immer überproportional aus gehobenen Bildungs- und Einkommensschichten. Die konfuzianische Forderung nach freiem Bildungszugang ist umso beeindruckender, als im damaligen China um 500 v. Chr. nur die Reichen und Mächtigen überhaupt gut lesen und schreiben konnten. Konfuzius legte aber großen Wert darauf, dass in seiner Schule auch Schüler aus dem einfachen Volk studieren, selbst wenn sie finanziell wenig oder nichts beisteuern konnten:

Er erzog seine Schüler zu edlen Menschen und bildete sie für Aufgaben im Staatsdienst aus. Einige übernahmen später tatsächlich Verantwortung in höchsten Ämtern. Natürlich war deren Zahl begrenzt, da die meisten Minister- und Verwaltungsposten immer noch nach Standesherkunft und nicht nach Lern- und Bildungserfolg vergeben wurden. Konfuzius bedauert eine solche Praxis und empfiehlt einen anderen Weg:

Die Schule des Konfuzius darf man sich natürlich nicht wie eine heutige Universität vorstellen. Es ging zunächst darum, den Schülern überlieferte Texte zu Recht und Ordnung im „Buch der Urkunden“, Texte zu Poesie und Kultur im „Buch der Lieder“ oder Texte zur Geschichte und Tradition im „Buch der Riten“ nahezubringen. Darüber hinaus wurden mit Bogenschießen und Wagenlenken auch praktische Fähigkeiten erlernt. Übergreifend allerdings verfolgte der Unterricht das Ziel einer Charakterschulung, einer Art Anleitung zur Selbstkultivierung. Die Bildung und insbesondere die Höherbildung des Charakters ist nie abgeschlossen und eine lebenslange Aufgabe von der Geburt bis zum Tod. Im Grunde, so Konfuzius, kommt niemand bereits wissend und edel zur Welt. Wenn dies allerdings bei irgendeinem Menschen jemals der Fall sein sollte, was so gut wie ausgeschlossen ist, wäre dies natürlich die höchstmögliche Stufe des Wissens:

Von sich selbst sagt Konfuzius:

Um sein Wissen zu vermehren ist, so Konfuzius, nicht nur das Studium der Bücher, sondern vor allem auch der lebendige Gedankenaustausch mit anderen Menschen notwendig. Deshalb lohnt es sich zuzuhören und nicht stur auf der eigenen Meinung zu beharren:

Wenn Konfuzius betont, dass auch er von anderen Menschen lernt, so ist dies keine falsche Bescheidenheit oder Koketterie. Konfuzius hat bereits die These vom „lebenslangen Lernen“ formuliert. Wir müssen ein Leben lang offen bleiben für Neues, das Gelernte kritisch bedenken und gegebenenfalls ergänzen und ersetzen:

Es ist wichtig, das Gelernte zu überdenken und umgekehrt seine Gedanken an seinem Wissen und seinen Erfahrungen zu überprüfen:

Wer beispielsweise nur seinen Überlegungen und Gedanken folgt, aber noch nicht ausreichend gelernt oder Erfahrungen gesammelt hat, neigt dazu, die Wirklichkeit zu radikal den eigenen Vorstellungen zu unterwerfen:

Umgekehrt ist es nutzlos, viel zu lernen und Wissen anzuhäufen, ohne das Gelernte auch zu durchdenken. Warum genügt es nicht, einfach nur viel zu lernen? Konfuzius gibt uns ein Beispiel:

Zur wirklichen Bildung gehört eben auch, das Erlernte gut und richtig anzuwenden, also letztlich eine moralisch ethische Orientierung:

Wie aber können wir das Gute erkennen? An dieser Stelle kommt ein entscheidender Schritt im philosophischen Denken von Konfuzius. Obwohl er zunächst dem lebenslangen Lernen und der Bildung einen hohen Stellenwert eingeräumt hat, sagt er nun, dass Bildung zwar sehr wichtig ist, aber eben nicht alles. Wenn man nämlich das Erlernte anwenden will, benötigt man einen zusätzlichen Maßstab, mit dessen Hilfe man erst seine Handlungen und seine Lebensführung beurteilen und gestalten kann. Dieser Maßstab ist das sogenannte „Ren“, die Menschlichkeit.

Die Verwirklichung des „Ren“, der Menschlichkeit

Das chinesische Wort „Ren“ bedeutet „Menschlichkeit“ und ist der wichtigste und meistverwendete Begriff von Konfuzius. Allein in den Lunyu, den Gesprächen kommt er über hundert Mal vor. Man kann sagen, wer „Ren“ verstanden hat, versteht auch den Kerngedanken von Konfuzius. „Ren“ überragt an Bedeutung alles andere. Der Respekt „Xiao“ und das Einhalten der Riten, also der „Li“ sind wichtig, die Ausbildung der Tugenden des „Junzi“ noch mehr. Das Entscheidende aber, die Krönung ist das „Ren“. Nur wer das „Ren“ praktiziert, handelt letztlich gut und gerecht. Erst das „Ren“ gibt dem „Junzi“ den Maßstab, seine Tugenden und seine Bildung auch für das richtige Ziel einzusetzen.

Aber was bedeutet „Ren“? Was versteht Konfuzius konkret unter Menschlichkeit? Ein erster Hinweis findet sich bereits im entsprechenden Schriftzeichen. „Ren“ besteht zur Hälfte aus dem Piktogramm für Mensch, also einer gehenden beziehungsweise stehenden Person:

und zur anderen Hälfte aus der Zahl zwei, die im Chinesischen, anders als im Lateinischen, nicht mit zwei senkrechten, sondern mit zwei waagrechten Strichen dargestellt wird:

Das ergibt zusammengesetzt das Zeichen für „Ren“:

Die Zusammensetzung von „Mensch“ und der Zahl „zwei“ zeigt unmissverständlich, dass Menschlichkeit erst in Beziehung zu einem zweiten Menschen gelebt werden kann. Und darauf kommt es Konfuzius an. Menschlichkeit ist immer Mitmenschlichkeit.54 Das bedeutet, dass wir bei aller Entfaltung unserer Bedürfnisse, Wünsche und Ziele auch die Entfaltung und das Wohl der Anderen im Auge haben müssen. „Ren“ enthält die Verpflichtung, Verantwortung gegenüber anderen zu übernehmen:

Aber was bedeutet das konkret? Was heißt es, sich und andere am „Ren“ aufzurichten? Was ist „Ren“? Als ihm ein Schüler diese Frage stellt, antwortet Konfuzius:

„Ren“ ist also zunächst einmal ein Gefühl der Liebe und Zuneigung, also die Fähigkeit zur Empathie und Anteilnahme am Leben und Schicksal anderer. Diesen ersten Aspekt des „Ren“ kennen wir alle, etwa als die anteilnehmende und fürsorgliche Liebe einer Mutter zu ihrem Kind. Aber auch mächtige Herrscher müssen, so Konfuzius, in der Lage sein, ihr Volk zu lieben:

„Ren“ hat zweitens einen kognitiven Aspekt. Menschlichkeit ist für Konfuzius nämlich nicht nur Menschenliebe als bloßes Gefühl der Anteilnahme, sondern darüber hinaus auch eine bewusste und vernünftige Entscheidung für das Gute. Wir können uns ganz rational für „Ren“ entscheiden und „Ren“ gezielt zur Entfaltung bringen. Menschlichkeit in diesem Sinne ist eine Handlungsmaxime, die es zu verwirklichen gilt. Als der Schüler Zigong fragt, ob es im Leben eine rationale Richtschnur für gutes Handeln gäbe, antwortet Konfuzius:

Konfuzius stellt hier erstmals die Forderung auf, dass ethisch gutes Verhalten generalisierbar sein muss. Das eigene Verhalten kann nur dann als gut bewertet werden, wenn man wollen kann, dass auch die anderen so handeln, wie man selbst. Konfuzius formuliert es zwar in Form einer Negation, also eines Nichtwünschens, falsch behandelt zu werden, aber mit derselben Kernaussage:

Drittens ist das „Ren“ bei Konfuzius eine Art innere Entscheidungsinstanz. Jeder Mensch trägt in sich die Möglichkeit und die Fähigkeit, das Rechte zu tun. Er bedarf dazu im Zweifelsfall weder nur der „Li“, also der Gesetze, Sitten und Riten, noch des Respekts, der „Xiao“ beziehungsweise der Anweisungen der Eltern und des Staates, sondern vor allem seiner inneren Selbstprüfung:

Als ihm ein Schüler die Frage stellt, was „Ren“, also Menschlichkeit letztendlich bedeutet, antwortet ihm Konfuzius:

Entscheidend ist an dieser Stelle, dass Konfuzius jedem Menschen die Fähigkeit zugesteht, sich selbst zu überwinden und aus sich selbst heraus „Ren“, also die Mitmenschlichkeit verwirklichen zu können.

Hier nimmt Konfuzius schon vieles vorweg, was der europäische Philosoph Immanuel Kant 2300 Jahre später in seinem kategorischen Imperativ formuliert. Es hängt einzig und allein von uns selbst ab, so zu handeln, dass unser Handeln so vorbildlich ist, dass es zur Grundlage für das Handeln aller werden kann. Den Maßstab, das „Rechte zu tun“, also den Maßstab für gutes Handeln, trägt jeder Mensch in sich. Er braucht keine Hilfe von außen.

Fazit: Das „Ren“, die Menschlichkeit, hat bei Konfuzius letztlich drei entscheidende Bedeutungen. Zum einen ist sie das Gefühl der Empathie und Liebe, also die Fähigkeit am Leben anderer Anteil zu nehmen. Zweitens ist „Ren“ die bewusste Befolgung der Handlungsmaxime beziehungsweise der Vernunftregel, wonach man sich gegenüber anderen so verhalten soll, wie man sich wünscht, von diesen behandelt zu werden.

Und drittens ist „Ren“ eine innere Entscheidungsinstanz, gutes von schlechtem Handeln zu unterscheiden und somit die Pflicht, Ersteres zu verwirklichen:

Das gilt ebenso für den einfachen Menschen aus dem Volk wie für den Regierenden:

Jeder Mensch soll als „Junzi“, als Edler, vorbildlich denken und handeln, so dass sein Verhalten zur Orientierung für das Verhalten aller anderen werden kann. Deshalb dürfen auch die Mittel dem Ziel der Menschlichkeit niemals widersprechen:

Auch die Todesstrafe, die damals noch üblich war, lehnt Konfuzius ab, da sie die Möglichkeit des Tötens zu einer Handlungsmaxime erhebt, was aber der Verwirklichung der Menschlichkeit als oberstem Prinzip widerspricht. Als ein Fürst Konfuzius fragt: „Sollte man nicht um einer guten Sache willen alle jene töten, die nicht den rechten Weg gehen?“,65 verweist ihn Konfuzius auf die goldene Regel und seine Pflicht als Fürst, sich selbst vorbildlich zu verhalten:

Und er erinnert den Fürsten an seine Pflicht, das „Ren“ zu praktizieren, vorbildlich zu handeln, indem er selbst stets das Rechte tut:

Die ideale Gesellschaft beziehungsweise die bestmögliche Regierung benötigt keine Todesstrafe, keine Prügelstrafe, keine Gefängnisse. Sie verlässt sich vor allem auf das „Ren“, auf die Mitmenschlichkeit:

Das „Ren“ besitzt also große Strahlkraft. Wird es von der Regierung und den Regierenden entschlossen verwirklicht, zieht es auch andere magisch an:

Diese hohe Bewertung der Menschlichkeit als oberster Handlungsmaxime bedeutet aber auch, dass sie noch über den Gesetzen steht. Wenn nämlich ein Gesetz oder Ritual der Menschlichkeit widerspricht, muss man sich im Zweifelsfall sogar dagegen entscheiden und sich widersetzen. Konfuzius war kein Legalist, der die strikte Einhaltung der Gesetze als oberstes Ziel definierte. Das „Ren“ steht noch darüber. Was aber passiert, wenn die Herrschenden nicht gemäß der goldenen Regel und dem „Ren“ regieren? Was ist zu tun, wenn sie unmoralischen und eigennützigen Motiven folgen? Die Antwort von Konfuzius lässt keinen Zweifel offen:

Das bedeutet im Klartext, dass es zur Pflicht werden kann, Widerstand zu leisten, wenn das „Ren“ verletzt oder missachtet wird. Die sogenannten „Li“, also die überlieferten Riten, die Traditionen und das „Xiao“, die Pietät, die Gehorsamspflicht gegenüber den Eltern, der Regierung und den Gesetzen gelten demnach nur so lange, wie sie mit dem „Ren“ vereinbar sind. Als der Schüler Zi-Lu fragt, wie ein Mensch vollkommen handeln könne, antwortet ihm Konfuzius:

In dieser Antwort spricht Konfuzius noch einmal deutlich aus, dass wir bereit sein müssen, für unsere Überzeugung einzustehen. Das „Ren“ steht noch über dem „Li“ und dem „Xiao“. Im Zweifelsfall muss sich der Einzelne auch gegenüber dem Vater, der Familie oder dem Herrscher und deren Autorität für die Einhaltung der Menschlichkeit entscheiden. Denn ein Leben in ständiger Verwirklichung des „Ren“ ist das oberste Ziel des „Junzi“, des edlen Menschen. Aber Konfuzius wäre nicht Konfuzius, wenn er nicht wüsste, dass dies ein sehr, sehr hoher Anspruch ist, ein Anspruch, den kaum ein Mensch durchgängig in seinem Leben verwirklichen kann:

An anderer Stelle räumt er ein, dass auch er selbst nicht perfekt ist:

Auch wenn wahre und vollkommene Sittlichkeit und Menschlichkeit schwer zu erreichen sind, müssen wir doch stets aufs Neue versuchen, das „Ren“ zu verwirklichen. „Ren“ ist zwar ein hohes Ziel, aber im alltäglichen Leben gar nicht so weit weg:

Dabei muss jeder seinen eigenen Weg finden, etwa als Familienvater, Bauer, Lehrer, Handwerker, Fürst, Beamter, Musiker oder Künstler. Und, so Konfuzius, jeder von uns kann es schaffen, zumindest für eine bestimmte Zeit, zum Beispiel mal einen ganzen Tag lang, durchgehend das „Ren“ zu verwirklichen:

Der Kerngedanke von Konfuzius nimmt jetzt immer klarere Konturen an. Jeder soll für sich auf seine Weise die „Li“, also die Regeln in der Familie und Gesellschaft achten, die Tugenden des „Junzi“ verwirklichen und das „Ren“ zur Entfaltung bringen. Der große Imperativ von Konfuzius lautet: Suche unter Verwirklichung des „Ren“ nach deinem „Dao“, dem rechten Weg, um in Harmonie mit den Mitmenschen und dir selbst zu leben.

Finde dein „Dao“, den rechten Weg! Die konfuzianische Philosophie der Selbstkultivierung

„Dao“ ist ein schillernder Begriff, nicht nur bei Konfuzius, sondern im gesamten asiatischen Denken. Wörtlich übersetzt heißt „Dao“ nur der „Weg“. Doch in der philosophischen Verwendung des Begriffs durch Konfuzius und die Daoisten bedeutet „Dao“ darüber hinaus der „rechte Weg“ oder der „richtige Weg“. Es geht im übertragenen Sinn um die richtige Lebensführung:

Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen der Verwendung des Wortes „Dao“ bei Konfuzius und bei den sogenannten Daoisten, einer zur Zeit von Konfuzius weit verbreiteten mystisch religiösen Strömung. Die Daoisten sehen gemäß Laotse, ihrem legendären Vordenker, im „Dao“ den vorgegebenen göttlich kosmischen Weg, den es einzuhalten gilt und durch dessen Einhaltung man sich spirituell erhöhen kann. Wenn es gelingt, sich dem natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht, Winter und Sommer, Werden und Vergehen vollkommen hinzugeben, kann man sogar einen bestimmten Grad körperlicher und geistiger Unsterblichkeit erreichen. Bei Konfuzius ist es genau umgekehrt. Nicht der göttliche Kosmos gibt den Menschen den richtigen Weg zur Vervollkommnung vor, sondern der Mensch selbst muss umgekehrt durch sein Denken und seine Taten den Kosmos vervollkommnen:

oder in anderer Übersetzung:

Für Konfuzius hat das „Dao“ also keine göttliche, sondern eine ethische, praktische Dimension. Man könnte die ganze Philosophie des Konfuzius sogar als die Suche nach dem verlorengegangenen „Dao“ beschreiben. Er lebte in einer Zeit der politischen Zerrissenheit und des sittlichen Niedergangs. China war in eine Reihe von feindlich gesinnten Teilstaaten zerfallen. Einflussreiche Adelsfamilien und Klans hatten die Macht und bestimmten eigenwillig die Regeln und Gesetze der einzelnen Landesteile. Das Volk war verunsichert und lebte ohne Vertrauen in den Staat. Es verhielt sich ebenso selbstbezogen und auf den eigenen Vorteil bedacht. Konfuzius ging es um die Rückkehr zu einer moralischen Gesellschaft wie unter der Regierung der legendären Kaiser Yao, Shun und Yu:

Doch diese vorbildlichen Regenten, das war Konfuzius klar, würden nicht mehr leibhaftig zurückkehren. Ebenso wusste er, dass es Machthaber gab und immer wieder geben wird, die sich unmoralisch verhalten. Beispielsweise regierte der Herrscher des Staates Qi ungerecht und richtete seine ganze Energie nur darauf, möglichst viel Kampfwagen zu erwerben, die damals wichtigste Kriegswaffe:

Um nicht mehr auf den Zufall angewiesen zu sein, dass ein wohlwollender Herrscher an die Macht komme, suchte Konfuzius nach einem zeitlosen, ethischen Ordnungsprinzip. Er forderte alle Bürger und alle Regierenden auf, sich im täglichen Leben edel zu verhalten und wieder nach dem „Dao“ zu suchen.

„Dao“ ist für Konfuzius die richtige Art und Weise, wie der einzelne Mensch mit den anderen in Harmonie in einer Gesellschaft zusammenleben kann, es ist die Suche nach „Ren“, nach Menschlichkeit, aber damit eben kein vorbestimmter Weg, sondern ein Handlungsprinzip, das wir Tag für Tag verwirklichen müssen. Und erst indem wir es verwirklichen, geben wir unserem Dasein Richtung und Weg. Das drückt auch das chinesische Schriftzeichen aus. Das Symbol für „Dao“ besteht nämlich nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, aus einem gemalten Weg oder einer sich schlängelnden Wegeführung, sondern setzt sich aus zwei Zeichen82