Nietzsche in 60 Minuten - Walther Ziegler - E-Book

Nietzsche in 60 Minuten E-Book

Walther Ziegler

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Beschreibung

Friedrich Nietzsche gilt unter allen Philosophen als der Provokativste und Umstrittenste. Denn er hat eine ungeheure Forderung aufgestellt. Wir modernen Menschen müssen uns weiterentwickeln und zu "Übermenschen" werden. Das bedeutet vor allem, die Frage nach dem Sinn des Lebens völlig neu zu beantworten. In früheren Zeiten konnten wir unsere Identität und unseren Lebenssinn noch aus der Religion gewinnen. Das geht heute nicht mehr, denn so Nietzsche: "Gott ist tot!". Dieser kleine Satz ging um die ganze Welt. Der Mensch, so Nietzsche, hat sich nach vielen Jahrhunderten vom Jenseitsglauben befreit und kann nun sein Leben selbst in die Hand nehmen. Doch die meisten Menschen schaffen es nicht, die Leere zu ertragen, die der Tod Gottes hinterlassen hat. Sie suchen ihr Seelenheil in diesseitigen Heilsversprechen wie dem Nationalismus, dem Sozialismus, dem Antisemitismus oder dem Kapitalismus. Statt neuen Götzen, so Nietzsche, sollten wir endlich uns selbst vertrauen, unsere Freiheit nützen und unseren "Willen zur Macht" entfalten. Der "Wille zur Macht" ist als Potential und Triebkraft in allen Pflanzen, Tieren und Menschen gleichermaßen angelegt. So wie die Blumen sich nach der Sonne strecken und die Tiere nach Nahrung suchen, müssen auch wir Menschen unser Leben jeden Tag sichern und steigern. Im Alltag kommt man nicht umhin, dies auch auf Kosten anderer zu tun. Wer sich beispielsweise auf einen Abteilungsleiterjob bewirbt und diesen bekommt, verursacht zwangsläufig Enttäuschung bei den abgelehnten Mitbewerbern. "Man fördert sein Ich stets auf Kosten des Andern", so Nietzsche. Und dennoch äußert sich der "Wille zur Macht" sehr unterschiedlich. Der Künstler, der Familienvater, der Politiker, der Unternehmer, der Angestellte und überhaupt jeder Mensch muss seinen ganz eigenen Weg zur Selbstentfaltung finden. "Werde, der du bist!" und "Sei dein eigener Gesetzgeber!", empfiehlt uns Nietzsche. Was aber bedeutet das konkret? Kann ich tatsächlich mein eigener Gesetzgeber werden? Muss ich mich dann an keine Moral mehr halten? Und vor allem - wie können wir konkret zum "Übermenschen" werden? Nietzsche gibt brandaktuelle und spannende Antworten. Das Buch "Nietzsche in 60 Minuten" erklärt seine furiose Philosophie Schritt für Schritt anhand von 160 seiner bedeutendsten Zitate. Im Kapitel "Was nützt uns Nietzsches Entdeckung heute?" wird seine zeitlos gültige Botschaft präzisiert. Das Buch ist in der beliebten Reihe "Große Denker in 60 Minuten" erschienen.

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Dank an Rudolf Aichner für seine unermüdliche und kritische Redigierung, Silke Ruthenberg für die feine Grafik, Angela Schumitz, Christiane Hüttner, Dr. Martin Engler für das Lektorat und Prof. Guntram Knapp, der mich für die Philosophie begeistert hat. Besonderer Dank an Prof. Henning Ottmann, der mir Nietzsche nahe brachte.

Inhalt

Nietzsches große Entdeckung

Nietzsches Kerngedanke

Das dionysische und apollinische Prinzip

Die Entstehung der Sklavenmoral – wie Juden- und Christentum das Leben verraten haben

Der Ursprung des schlechten Gewissens

Wahrheit als Bretterwerk und Illusion der Sprache

Der Wille zur Macht als Grundzug des Lebens

Der Übermensch - Facetten einer neuen Lebenskunst

Die Wiederkehr des ewig Gleichen

Was nutzt uns Nietzsches Entdeckung heute?

Hat Nietzsche Recht - sind wir ohne das Böse halbe Menschen?

Dionysisch leben – dem Gefühl vertrauen!

Werde, der du bist! Die drei Schritte auf dem Weg zum Übermenschen

Ja sagen zum Leben – die Freuden und die Leiden umarmen, ganz!

Zitatverzeichnis

Nietzsches große Entdeckung

Friedrich Nietzsche (1844-1900) gilt unter allen Philosophen als der dunkelste, der radikalste und der umstrittenste. Der dunkelste, weil er einen tiefen Zweifel hegte an allem, was den Menschen bis dahin Trost, Geborgenheit und Hoffnung gab, der radikalste, weil er es wagte, alles mit der Wurzel auszureißen, was über Jahrhunderte Gültigkeit und Bestand hatte und der umstrittenste, weil seine provokante Philosophie bis zum heutigen Tag ebenso viele erbitterte Kritiker wie glühende Anhänger hat.

Nietzsches Werk ist mehr als nur ein Meilenstein der Philosophiegeschichte, es ist ein Wetterleuchten und eine Zeitenwende in der Selbstwahrnehmung der Menschheit. Sein Kerngedanke hat sich tief in das moderne Bewusstsein eingegraben. Mit einem einzigen kurzen Satz sprach er aus, was der gesamten westlichen Zivilisation bis zum heutigen Tag zum Problem werden sollte:

Auf der ganzen Welt ist dieser Ausspruch bekannt, selbst bei denjenigen, die noch nie etwas von Nietzsche gehört haben. Denn er hat damit ein Gefühl auf den Punkt gebracht, das die Menschen im Gefolge der aufblühenden Naturwissenschaften ergriffen und nie mehr verlassen hat. Ein Gefühl, das im modernen Massenatheismus gipfelt und uns zwingt, die Sinnfrage völlig neu zu stellen. Dabei ist der Tod Gottes, den Nietzsche 1885 in seinem Hauptwerk Zarathustra proklamiert, kein singuläres Ereignis, sondern ein Prozess, der seine Schatten vorauswirft:

Fast zweitausend Jahre lang konnte uns das Christentum die Welt erklären. Zweitausend Jahre lang fühlten sich die Menschen als Geschöpfe Gottes. Nietzsche spürte als einer der ersten, dass das alte Weltbild unwiederbringlich zerbrechen würde.

Sein Zeitgenosse Darwin entwickelte kurz zuvor die Evolutionstheorie, wonach der Mensch kein Geschöpf Gottes, sondern nur noch ein höheres Säugetier ist. Marx forderte die Menschheit auf, ihre Geschichte endlich selbst in die Hand zu nehmen, die Physik, die Medizin und die anderen Naturwissenschaften traten ihren weltweiten Siegeszug an. Alles, was nicht beweisbar war, wurde in Frage gestellt, die Schöpfungsgeschichte, die jungfräuliche Empfängnis und am Ende auch Gott selbst. Aber nicht nur die Wissenschaftler und Forscher, so Nietzsche, sondern wir alle haben Gott Schritt für Schritt seine welterklärende Kraft entzogen:

Nietzsche bezeichnet sich selbst als „Antichristen“ und „Immoralisten“, doch sein Kerngedanke erschöpft sich keineswegs in der bloßen Kritik am Christentum und der Moral. Nein – ihn interessiert vor allem Eines: Wie soll es weitergehen, wenn der Glaube an das Jenseits in den nächsten zwei Jahrhunderten seine Kraft verloren hat? Was passiert, wenn der Nihilismus um sich greift und die religiöse Geborgenheit ein für alle Mal verloren geht?

Damit stellt Nietzsche die große Frage nach der Identität im Zeitalter des heraufziehenden Nihilismus. Mit dem Tod Gottes verlieren auch die Zehn Gebote, die Frömmigkeit und die Demut ihre ordnende Kraft. Gibt es dann überhaupt noch Werte, für die es sich zu leben und zu sterben lohnt?

Da diese Frage gerade heute brandaktuell ist, gilt Nietzsche als der erste postmoderne Denker. Warum postmodern? Die Moderne war noch getragen vom Optimismus und der Fortschrittserwartung der Aufklärung. Denker wie Rousseau, Voltaire, Montesquieu, Kant, Locke und Hume wollten die Menschen zwar auch von Aberglaube und Demut befreien. Aber Nietzsche ist radikaler. Er geht noch einen großen Schritt weiter und stellt die Frage, was denn nach dieser Befreiung passieren soll. Was gibt dem Leben noch einen Sinn, wenn alle mythischen und religiösen Weltbilder zerstört sind? Seine Antwort ist konsequent:

Wir haben also die „ungeheure Aufgabe“, uns selbst die Ziele zu geben, die künftig auf der Erde gelten sollen. Das ist die große Freiheit, die uns nach dem Tod Gottes zukommt. Doch, so Nietzsche, anstelle sich dieser Freiheit bewusst zu werden und von ihr Gebrauch zu machen, erschaffen sich die Menschen sofort wieder neue Götter und Götzen, die ihnen Geborgenheit und Orientierung versprechen. Die „Kleingeister“, so prognostiziert Nietzsche, werden anstelle der alten Gottesverehrung zu hunderttausenden materiellen Heilsversprechen Glauben schenken. Sie laufen künftig blind dem Nationalismus, Sozialismus, Rassismus oder den „Segnungen“ des modernen Kapitalismus und der Demokratie hinterher. Nietzsche kritisiert erstaunlich weitsichtig diese neue Götzenverehrung. Als überzeugter Europäer ärgert er sich besonders über die Deutschtümelei seiner Zeitgenossen und jede Art von nationalistischer Ausrichtung:

Neben den nationalistischen „Hornviechern“ gibt es auch viele „Schafe“, die anstelle der alten Religion einen Führer brauchen, dem sie hinterherlaufen können:

Die Massen, die solchermaßen einem Führer aus ihrer Mitte hinterherlaufen, bezeichnet Nietzsche als „Nullen“:

Auch den Antisemitismus sieht Nietzsche als kleingeistigen Versuch einer Sinngebung und als Pseudoüberhöhung des eigenen Daseins:

Kein Zweifel. Nietzsche war vieles – aber kein Nazi. Das einzige, was Hitler tatsächlich von Nietzsche eins zu eins übernehmen konnte, war sein Original-Spazierstock, den ihm posthum seine Schwester Förster-Nietzsche als Geschenk überreichte. Gelesen hat er Nietzsche nie.

So wie Nietzsche den Nationalismus und Antisemitismus verurteilt, sieht er auch den Sozialismus als Gefahr an. Denn auch der Sozialismus gibt den Entwurzelten nach dem Tod Gottes wieder ein neues Heilsversprechen. Doch statt der versprochenen Erlösung im Arbeiterparadies steht am Ende die Unterdrückung jeder Individualität:

Ebenso deutlich kritisiert Nietzsche die neue Sucht nach Konsumgütern sowie die kapitalistische Produktionsweise. Alle Werte werden dem Spiel von Angebot und Nachfrage untergeordnet, am Ende auch der Mensch selbst:

Der „Fluch des Geldes“, der Güterkonsum und die Suche nach kurzlebigen Genüssen erschaffen zusammen einen neuen Götzen, den die gesamte westliche Welt anbetet:

Es ist aber, so Nietzsche, unterwürfig und ängstlich, nach dem Tod Gottes gleich wieder neue Götzen zu verehren und bei den Heilsversprechen des Nationalismus, Antisemitismus, Sozialismus oder Kapitalismus Trost zu suchen. Stattdessen empfiehlt er, die Frage nach dem Weiter erst einmal in aller Radikalität an uns selbst zu richten:

Nietzsche beantwortet die Frage mit einem klaren „Ja“. Wir müssen nach dem Tode Gottes den Mut aufbringen, unser Leben fortan eigenverantwortlich zu gestalten, ohne jede Fremdbestimmung durch ideologische Ersatzgötzen, einzig und allein aus uns selbst heraus. Der aufkommende Nihilismus kann nur überwunden werden, wenn wir an die Stelle Gottes treten und uns dafür zu einer neuen und höheren Seinsform aufschwingen, zum Übermenschen:

Der Übermensch ist voll und ganz selbstverantwortlich. Um aber diese große Aufgabe der eigenen Sinnstiftung übernehmen zu können, benötigt der Mensch zuallererst eine Weiterentwicklung seiner Fähigkeiten und Potentiale hin zu diesem neuen Persönlichkeitstypus. Dieser philosophische Entwurf des „Übermenschen“ war so vermessen und unbotmäßig, dass er nicht nur den Kirchenvertretern, sondern auch aufgeklärten Zeitgenossen als verrückt erschien. Nie zuvor hat jemand gewagt, die Weiterentwicklung der Menschheit in dieser zugespitzten Form zu fordern:

Nietzsche empfiehlt uns jetzt, einen gefährlichen Weg einzuschlagen. Einerseits dürfen wir unsere wertvollen Instinkte und unsere animalische Herkunft nicht verleugnen oder gar verlieren, andererseits müssen wir nach vorne schauen und uns zu einem höheren Typus Mensch weiterentwickeln:

Nietzsche selbst bezeichnete sich als „Philosoph mit dem Hammer“, der das Alte zertrümmert, um Platz für das Neue zu schaffen. Aber was ist das Neue, jenseits aller Ideologie und Götzenverehrung? Wie kommen wir über unser bisheriges Menschsein hinaus? Nietzsches Antwort ist von bestechender Kürze und Klarheit:

Dabei geht es ihm nicht darum, sich selbst zu finden, sondern in einem zweiten, noch viel wichtigeren Schritt sich auch uneingeschränkt zu seinen Potentialen zu bekennen. Und das heißt für Nietzsche vor allem, dass der Mensch seine dionysisch schöpferischen Anteile, seine Intuition und seine edelsten Ziele entschlossen und gegen alle Widerstände auslebt. Es heißt auch, dass der Mensch jenseits der allgemein traditionellen „Herdentiermoral“ wieder seiner Natur und seiner Bestimmung vertraut – dem sogenannten „Willen zur Macht“. Nietzsche sieht den Willen zur Macht als eine Art Urkraft an, die seit jeher das Werden und Vergehen der Welt durchzieht und selbst in Pflanzen und Tieren wirksam ist:

Die natürliche Entfaltung des Willens zur Macht wurde über Jahrtausende vom Christentum gehemmt und unterdrückt. Doch jetzt, so Nietzsche, ist es an der Zeit, dass der Mensch seine Natur wieder annimmt. Und zu seiner Natur gehören auch die aggressiven, erobernden, vermeintlich bösen Affekte. Wenn wir uns nicht auch zu diesen bösen Anteilen bekennen, sind wir nur halbe Menschen. Nietzsche empfiehlt uns die „Bejahung des Lebens, des ganzen, nicht verleugneten und halbirten Lebens.“ 21