Schopenhauer in 60 Minuten - Walther Ziegler - E-Book

Schopenhauer in 60 Minuten E-Book

Walther Ziegler

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Beschreibung

Schopenhauer gilt als der mit Abstand größte und brillanteste Pessimist unter den Philosophen. Er entdeckte als erster, dass unser individuelles Leben und der Lauf der Weltgeschichte nicht von Vernunft, Intellekt und sinnvoller Planung bestimmt sind, sondern von einem blinden und hungrigen Willen, der auch die Pflanzen und Tiere antreibt. Anstelle der Vernunft regiert, so Schopenhauer, als metaphysisches Grundprinzip einzig und allein der "blinde Wille, auftretend als Lebenstrieb, Lebenslust, Lebensmuth: es ist das Selbe, was die Pflanze wachsen macht." Denn jedes Wesen auf der Erde ist von diesem Lebenswillen erfüllt und muss sich, um zu leben, nach der Sonne strecken, andere Wesen abschatten, verdrängen, vertreiben, jagen, fressen und fürchten, selbst gefressen zu werden. Sogar der majestätisch wirkende Löwe steht auf einem Berg von Leichen, denen er sein Leben verdankt. Am schlimmsten aber sind laut Schopenhauer die Menschen, die sich untereinander sowie den Tieren und der ganzen Natur das größte Leid zufügen. Sie setzten ihr Bewusstsein für Täuschung und planvolle Ausbeutung ein, bauen Fabriken, sperren Tiere in Käfige und Ställe und führen Kriege um Länder und Rohstoffe. Ähnlich wie die Buddhisten kommt Schopenhauer daher zu dem Ergebnis, dass Leben automatisch Leiden bedeutet. Wörtlich sagt er: "so ist jede Lebensgeschichte eine Leidensgeschichte." Und ganz ähnlich wie die Buddhisten zieht er daraus eine radikale Konsequenz. Wir müssen "Nein" sagen zum Leben und uns durch Kunst, Askese und Meditation der Ruhelosigkeit und Getriebenheit verweigern. Was heißt das aber konkret? Wie kann ich zum Leben "Nein" sagen? Wenn unser Leben nichts anderes ist als die Verwirklichung des blinden Willens, ein einziges Fressen und Gefressen werden, wie kann ich mich diesem dann noch entziehen? Und: Was nutzt uns Schopenhauers Pessimismus heute? Wird uns nicht gerade umgekehrt Optimismus und positives Denken empfohlen? Schopenhauer gibt uns auch heute noch faszinierende und kompromisslose Antworten. Sein Kerngedanke wird anhand von über hundert seiner besten Zitate dargestellt. Das Buch ist in der beliebten Reihe "Große Denker in 60 Minuten" erschienen.

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Seitenzahl: 62

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Dank an Rudolf Aichner für seine unermüdliche und kritische Redigierung, Silke Ruthenberg für die feine Grafik, Angela Schumitz, Lydia Pointvogl, Eva Amberger, Christiane Hüttner, Dr. Martin Engler für das Lektorat und Dank an Prof. Guntram Knapp, der mich für die Philosophie begeistert hat.

Inhalt

Schopenhauers große Entdeckung

Schopenhauers Kerngedanke

Die Welt ist nur meine Vorstellung

Die wahre Welt als blinder Wille

Das sechsfache Leiden am blinden Willen

Der blinde Wille in der Geschichte

Der blinde Wille und Gott

Das Mitleid als Grundlage der Ethik

Die dreifache Überwindung des Willens in Kunst, Theater und Askese

Was nutzt uns Schopenhauers Entdeckung heute?

Können wir dem blinden Willen durch Askese entgehen?

„Positiv denken!“ als Ideologie

Schopenhauers Plädoyer für den Pessimismus

„Wer sein Alter nicht kennt, lernt dessen Leiden kennen“

Realistisch alt werden mit Schopenhauer

Die Befreiung vom Zwang glücklich zu sein

Schopenhauers Vermächtnis

Zitatverzeichnis

Schopenhauers große Entdeckung

Unter allen Philosophen gilt Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) als der mit Abstand größte und brillanteste Pessimist. Tatsächlich gelang es ihm wie keinem zweiten, die großen und kleinen Unzulänglichkeiten des menschlichen Daseins zu erkennen und ergreifend zu beschreiben.

Das Leben auf unserem Planeten wird, so Schopenhauer, seit Jahrhunderten stilisiert, schöngeredet und falsch interpretiert. Alle Philosophen und Wissenschaftler gehen fälschlicherweise davon aus, dass der Mensch ein Homo sapiens, ein Geistwesen, ein animal rationale ist. Doch das, so Schopenhauer, ist ein großer Irrtum, denn die Menschen lassen sich in Wirklichkeit nicht von ihrer Vernunft durchs Leben führen, sondern handeln einzig und allein aus der Tiefe ihrer animalischen Antriebe heraus:

Es ist nach Schopenhauer eine völlige Selbstüberschätzung, zu glauben, wir könnten die Welt rational erkennen, geschweige denn vernünftig lenken. Zum einen erkennen wir die Welt niemals wie sie wirklich ist, sondern nur, wie wir sie uns gerade vorstellen:

Zum anderen – und das ist die eigentlich große Entdeckung Schopenhauers – steht hinter allen Vorstellungen von der Welt ein tieferes, unreflektiertes Bewegungsprinzip, eine Art Urkraft, die allen Pflanzen, Tieren und Menschen innewohnt, der sogenannte „blinde Wille“, oder wie Schopenhauer auch sagt, der „Wille zum Leben“:

Deshalb nennt Schopenhauer sein berühmt gewordenes Hauptwerk kurz und knapp: „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Dabei stellt er den Willen ganz bewusst an die erste Stelle. Denn sein Kerngedanke lässt sich, wie er selbst sagt, in einem einzigen Satz zusammenfassen. Der Mensch macht sich zwar viele Vorstellungen von der Welt, in Wirklichkeit aber ist die ganze Welt nur Ausdruck eines unbändigen Willens, der sich seit jeher in der Materie, in den Pflanzen, Tieren und Menschen selbst verwirklicht:

Der Wille zum Leben ist, wie Schopenhauer hier betont, ein „universeller Lebensdrang“, das heißt, er ist im Grunde überall gleichzeitig am Werk. Er bringt die Pflanzen dazu, sich nach der Sonne zu richten, und treibt die Tiere und Menschen an, zu essen, zu trinken und sich zu vermehren. Er wirkt in Form des allgegenwärtigen Lebens- und Sexualtriebes und verwirklicht sich zu jeder Zeit millionenfach in allen Organismen auf unserem Planeten.

Wie sehr unser innerstes Wesen von diesem „Willen zum Leben“ durchdrungen ist, kann man bereits am verzweifelten Widerstand sehen, den jedes Wesen aufbringt, wenn man ihm nach dem Leben trachtet. Unabhängig davon, ob der universelle Wille zum Leben gerade in einer Wespe, einer Maus oder einem Menschen am Werke ist, er wird sich in jedem Fall mit der gleichen, uneingeschränkten Intensität gegen den Tod aufbäumen:

Das Phänomen, dass sämtliche Organismen unbedingt am Leben bleiben wollen und dafür ihre äußersten Kräfte aufbieten, ist für Schopenhauer ein erster Beleg für seinen Kerngedanken. Aber auch die Evolution als Ganzes mit ihrer enormen Vielfalt an Substanzen, Pflanzen und Tieren, ihrer ständigen

Anpassung an neue Umweltbedingungen, ihrem andauernden, leidenschaftlichen Kampf um das Fortbestehen von Arten gilt ihm als sicheres Indiz für das universelle Wirken des sogenannten „blinden Willens“ zum Leben:

Der Wille ist also der einzige „unwandelbare Grundton“ unseres Wesens. Die jahrtausendealte Vorstellung der Theologen und Philosophen, das eigentlich bestimmende Moment hinter allem Lebendigen sei die göttliche oder menschliche Vernunft, ist nach Schopenhauer unhaltbar:

Aber warum spricht Schopenhauer vom „blinden Willen“? Schließlich dient der Wille zum Leben doch immerhin, wie er selbst einräumt, der Erhaltung der Art?

Der Wille zum Leben ist bei genauer Betrachtung deshalb ein „blinder“ und „unmotivierter Trieb“, weil er letztlich keinerlei erkennbares oder gar sinnvolles Ziel verfolgt:

Der Lebenswille ist also ein „Thor“, ein wahnhafter Wunsch. Er dient keinem höheren Zweck. Das ganze Fressen und Gefressenwerden im Tierreich und der menschlichen Gesellschaft ist nur ein dumpfes und blindes Treiben. Es gipfelt in der Fortpflanzung durch den Sexualakt:

Dabei führt die „Heftigkeit des Triebes“ zu unkontrollierter Vermehrung, zu fürchterlichen Kriegen und künftig zur

Blind ist der Wille aber vor allem deshalb, weil er sich generell in keiner Weise selbst erkennen und reflektieren kann. Seine mangelnde Selbsterkenntnis tritt immer dann zu Tage, wenn er sich in die verschiedenen Individuen hineinbegibt und sich in ihnen gleichzeitig mit voller Wucht verwirklicht. Schopenhauer sagt wörtlich, der Wille „individuiert“ sich, verliert dadurch aber weder an Kraft, noch muss er sich aufteilen. Er wirkt in jedem Lebewesen mit derselben absoluten und unteilbaren Energie. Und genau darin zeigt sich seine unreflektierte Torheit. Denn ein und derselbe Lebenswille, der den hungrigen Wolf antreibt, das Reh zu jagen und zu töten, wirkt gleichzeitig im Reh und treibt es an, dem qualvollen Biss irgendwie zu entkommen. Und das bedeutet, dass der Wille

Der Wille zum Leben schlägt also die Zähne in sein eigenes Fleisch und weiß nicht, dass er in den verschiedenen Organismen sich letztlich immer nur selbst quält:

Der „blinde“ Wille merkt weder, dass er sich auf brutale Weise selbst kannibalisiert, noch nimmt er irgendeine Rücksicht. Er ist ohne Moral, ohne Selbstreflexion und ohne Selbstkontrolle:

Auch die vielbeschworene souveräne, majestätische Ruhe und Schönheit des Löwen darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch er sein Leben nur dem blinden Drang verdankt und auf einem Berg von Leichen steht, mit deren Blutzoll er seine Existenz erhält, bis er irgendwann selbst Opfer des kannibalischen Willens wird. Aber nicht nur im Löwen, auch im Unkraut, das, einmal ausgerissen, sofort wieder nachwächst, steckt derselbe hartnäckige Wille:

Der Wille ist also der nicht weiter erklärbare Kern der Realität. Er ist, wie Schopenhauer auch sagt, „metaphysisch“. Was heißt das? Metaphysisch bedeutet im Sinne der beiden griechischen Wörter „meta“ und „physisch“, dass der Wille „hinter“ alles Physische zurückgeht beziehungsweise diesem vorausgeht. Der Wille zum Leben ist demnach kein physisch sichtbarer Trieb, kein wissenschaftlich messbares Phänomen oder Naturgesetz, sondern diejenige Kraft, die allen Messungen und Feststellungen zu Grunde liegt und diese überhaupt erst möglich macht. Denn im Gegensatz zu den sich wandelnden Lebewesen vom Einzeller über den Dinosaurier bis zu den heutigen Existenzformen ist der Wille zum Leben eine ewige und absolut gleichbleibende Kraft, die hinter allem steht:

Schopenhauers philosophischer Kerngedanke ist bis dahin leicht nachzuvollziehen. Letztlich müsse, so Schopenhauer, jeder Mensch zugeben, dass sowohl er selbst als auch die anderen Organismen um ihn herum weiterleben wollen, dass es somit erstens den „Willen zum Leben“ gibt und dass zweitens genau dieser Wille sich kannibalisieren muss, um zu existieren. Somit verursacht er zwangsweise Schmerz und Leid:

Das gegenseitige Verursachen von Leid gilt dabei nicht nur für das Tierreich. Auch die Menschen, so Schopenhauer, haben sich seit jeher gegenseitig versklavt, ausgenützt, geschunden, gemartert und gemordet. Sie sind diesbezüglich sogar noch erheblich schlimmer als die Tiere, insofern sie zusätzlich ihren Verstand einsetzen und alle anderen Spezies unterdrücken und zur Fabrikware degradieren. Der Ego