Große Denker in 60 Minuten - Band 2 - Walther Ziegler - E-Book

Große Denker in 60 Minuten - Band 2 E-Book

Walther Ziegler

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Beschreibung

"Große Denker in 60 Minuten - Band 2" ist der zweite Sammelband zur beliebten gleichnamigen Buchreihe. Er umfasst die fünf Einzelpublikationen "Marx in 60 Minuten", "Freud in 60 Minuten","Sartre in 60 Minuten", "Camus in 60 Minuten" und "Heidegger in 60 Minuten". Dabei wird der Kerngedanke des jeweiligen Denkers auf den Punkt gebracht und die Frage gestellt: "Was nützt uns dieser Gedanke heute?" Vor allem aber kommen die Philosophen selbst zu Wort. So werden ihre wichtigsten Aussagen als Zitate in Sprechblasen grafisch hervorgehoben und ihre Herkunft aus den jeweiligen Werken angezeigt. Jeder der fünf Philosophen ist mit 40 bis 80 solcher Zitate vertreten. Die spielerische, gleichwohl wissenschaftlich exakte Wiedergabe der einzelnen Denker ermöglicht dem Leser den Einstieg in die großen Fragen unseres Lebens. Denn jeder Philosoph, der zu Weltruhm gelangt ist, hat die Sinnfrage gestellt: Was ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält? Herausgekommen sind dabei sehr unterschiedliche Antworten. Bei Marx sind es die Produktionsverhältnisse, also die Umstände, wie wir arbeiten und unsere Güter herstellen, die am Ende unser Lebensgefühl, unseren Geist und unsere Kultur bestimmen. Bei Freud ist es die Libido und somit unsere Triebenergie, die wir entweder ausleben, verdrängen oder sublimieren können. Bei Sartre ist es der absolut freie Wille, der die Menschen zwingt, sich erst zu dem zu machen, was sie sind und sein wollen. Bei Heidegger sind es die Befreiung aus der Seinsvergessenheit und die Suche nach der Eigentlichkeit des Daseins, die unserem Leben Orientierung geben können. Camus ist der einzige Philosoph in dieser Reihe, der auf die Sinnfrage keine Antwort hat. Es gibt keinen, so Camus, das Leben ist absurd und abhängig von einer Aneinanderreihung von Zufällen. Die Frage nach dem Sinn der Welt und somit dem Sinn unseres Lebens wird von den Philosophen also durchaus unterschiedlich beantwortet, doch eines steht fest: Jeder der fünf Denker hat aus seiner Perspektive einen Funken aus dem Kristall der Wahrheit herausgeschlagen.

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Große Denker in 60 Minuten

Marx in 60 Minuten

Freud in 60 Minuten

Sartre in 60 Minuten

Camus in 60 Minuten

Heidegger in 60 Minuten

Dank an Rudolf Aichner für seine unermüdliche und kritische Redigierung,

Silke Ruthenberg für die feine Grafik, Angela Schumitz, Lydia Pointvogl, Eva Amberger,

Christiane Hüttner, Dr. Martin Engler für das Lektorat

und Dank an Prof. Guntram Knapp, der mich für die Philosophie begeistert hat.

Inhalt

Die große Entdeckung von Marx

Der Kerngedanke von Marx

Die materiellen Grundbedürfnisse

Die Arbeit

Basis und Überbau

Religion als Opium fürs Volk

Geschichte als Klassenkampf

Die Theorie vom Mehrwert

Akkumulation und Konzentration

Verelendung und Revolution

Absterben des Staates

Entfremdung

Die Aufhebung der Entfremdung

Das Reich der Freiheit

Was nützt uns die Entdeckung von Marx heute?

Die Warnung vor dem Hexenmeister – Wie die Kontrolle behalten?

Jede Zeit hat ihre Ideologie – auch die unsere. Ideologiekritik heute

Das Reich der Freiheit verwirklichen - Arbeit ist nur eine Zwischenstation

Egoismus mag erfolgreich sein – Vollendung findet der Mensch nur als Gattungswesen

Zitatverzeichnis

Die große Entdeckung von Marx

Die philosophische Anstrengung von Marx (18181883) ist enorm. Er versuchte als erster, das Bewegungsgesetz der gesamten Menschheitsgeschichte zu entschlüsseln. Er wollte aus dem Ablauf der bisherigen Geschichte präzise Erkenntnisse für die künftige Entwicklung gewinnen und sie in eine sinnvolle Richtung lenken.

Ein solches Unterfangen scheint auf den ersten Blick unmöglich, wenn nicht sogar größenwahnsinnig. Welcher Mensch – und sei es auch ein noch so weitblickender Philosoph – kann schon die Zukunft vorhersagen oder gar Einfluss auf die geschichtliche Entwicklung nehmen?

Karl Marx gelang es tatsächlich, aus der Vergangenheit und den Ereignissen seiner Epoche philosophische, ökonomische und gesellschaftspolitische Schlüsse zu ziehen, die sich in der Folgezeit in vielen Nationen bewahrheiten sollten. Etwa hundert Jahre nach seinem Tod lebte tatsächlich ein Drittel der Menschheit nach einem Gesellschaftsmodell, das seinen Namen trug. Der sogenannte Marxismus verbreitete sich auf der ganzen Welt. Nie zuvor und nie mehr danach hatte ein einzelner Philosoph eine solch ungeheure Wirkung.

Die sozialen Zustände in den Zeiten von Marx, insbesondere die Arbeitsbedingungen in den neu entstandenen Fabriken waren katastrophal. Nicht nur Männer, auch Frauen und Kinder mussten zwölf bis vierzehn Stunden am Tag arbeiten. Die Wohnsituation und die hygienischen Zustände in den Elendsquartieren der Industriearbeiter waren menschenunwürdig. Marx sah es als seine Pflicht, für die notleidende Bevölkerung Partei zu ergreifen und eine revolutionäre Veränderung herbeizuführen.

Doch nicht nur er selbst, alle Philosophen, so Marx, hätten die Aufgabe, an der Verbesserung der Gesellschaft mitzuwirken. Man dürfe sich nicht mehr damit begnügen, die Welt nur zu verstehen und auszulegen, wie dies in den letzten zweitausend Jahren der Fall gewesen war. Zusammen mit dem Philosophen Feuerbach fordert Marx deshalb:

So beobachtete der junge Marx als Journalist und Philosoph jahrelang die aktuelle Politik, die Geschichte und wirtschaftliche Entwicklung Europas, bis er die Ursache aller Veränderungen erkannt zu haben glaubte. Die gesamte Entwicklung der Menschheit von der Antike bis heute sei letztlich die notwendige Abfolge von großen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen:

In regelmäßigen Abständen, so Marx, kommt es zu großen Revolutionen, die das Herrschaftssystem und damit auch die wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft radikal verändern. Auch er lebte mit seiner Familie in einer Zeit des Umbruchs. In seinen Zeitungsartikeln unterstützte er die Revolution von 1848 in Deutschland und verfasste zusammen mit seinem Freund Engels das berühmte „kommunistische Manifest“.

Dieser Aufruf zur Revolution brachte ihm die erbitterte Feindschaft des preußischen Königs ein. Er wurde verfolgt und musste nach Frankreich fliehen. In seinem Heimatland Preußen wäre er sofort verhaftet worden. Man hatte ihm sogar die Staatsbürgerschaft entzogen. Als der preußische König ihn schließlich auch in Frankreich verfolgte und seine Auslieferung forderte, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit seiner Familie für immer nach England zu fliehen. Doch auch dort arbeitete er weiter an seinen revolutionären Schriften.

Das Geld, das er mit dem Verkauf seiner Bücher und Zeitungsartikel verdiente, reichte allerdings nicht, um seine sechsköpfige Familie zu ernähren. Seinem Freund Engels, der ihn aus Deutschland mit Geldzuwendungen unterstützte, schrieb er in einem Brief vom 8. September 1852:

Marx verspürte die Armut also am eigenen Leib. Er lebte während der Industrialisierung und sah, wie um ihn herum die Städte rasant anwuchsen, wie immer mehr Menschen vom Land in die Metropolen zogen, um dort in Tag– und Nachtschichten in den Fabriken zu arbeiten. Er sah, wie Kinder für einen Hungerlohn an den Maschinen der Textilfabriken gigantische Mengen Stoff produzierten. Und er sah, wie neue Eisenbahnstrecken aus dem Boden gestampft, Bergwerke gebaut wurden und Dampfschiffe voller Waren zwischen Amerika und Europa pendelten.

Staunend analysierte er die voranschreitende industrielle Entwicklung und kam zu dem Ergebnis, dass mit der modernen kapitalistischen Produktionsweise so viele Waren wie nie zuvor in der Geschichte hergestellt werden konnten, dass aber die Mehrheit der Menschen vom erwirtschafteten Reichtum und Wohlstand ausgeschlossen blieb. Auch war er fest davon überzeugt, dass das freie Spiel von Angebot und Nachfrage langfristig zusammenbrechen und zu globalen Krisen führen würde. Deshalb kritisierte er das kapitalistische System und empfahl die Abschaffung des Privateigentums. Stattdessen sollte eine neuartige gemeinschaftliche Produktionsweise eingeführt werden, der sogenannte Kommunismus.

Die Wirkungen dieser Gedanken war ungeheuer: In so unterschiedlichen Ländern wie Russland, China, Kuba, Nicaragua und Mosambik, aber auch in vielen weiteren Staaten kam es zu kommunistischen Revolutionen. Fast ein Jahrhundert lang beriefen sich kommunistische und sozialistische Regierungen auf die Geschichts- und Gesellschaftsphilosophie von Marx.

Doch die planwirtschaftliche Produktion dieser Staaten erwies sich als schwerfällig und in vielen Bereichen ineffizient. Etwa hundert Jahre nach dem Tod von Marx ging die von ihm ins Leben gerufene kommunistische Welt wieder unter. Seit der Selbstauf-lösung der Sowjetunion in den 90er Jahren gilt der Kommunismus weltweit als gescheitert. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs meinten viele, Marx habe sich geirrt und der Kapitalismus sei letztlich doch das einzig erfolgversprechende Wirtschaftssystem. Man hoffte, Demokratie, Marktwirtschaft und die gerechte Verteilung des Wohlstandes unter einen Hut zu bringen. Doch dieser Optimismus währte nicht lange.

Die globalen Wirtschafts- und Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte haben den Glauben an die Selbstregulierung des Kapitalismus tief erschüttert. Es zeigt sich immer deutlicher, dass auch der Kapitalismus strukturelle Schwächen aufweist. Einige Prognosen von Marx wie die zunehmende Monopolisierung und die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich sind bereits eingetroffen, weitere zeichnen sich am Horizont der Geschichte bereits ab. Seine scharfsinnige Kritik am Kapitalismus ist daher aktueller denn je. Keine Frage – Marx hat uns immer noch viel zu sagen.

Der Kerngedanke von Marx

Die materiellen Grundbedürfnisse

Der philosophische Ausgangspunkt von Marx ist von bestechender Einfachheit und im Grunde unbestreitbar. Jeder Mensch muss essen und trinken. Wer dies über längere Zeit nicht tut, stirbt. Denn, so Marx:

Deshalb muss jede Philosophie ihren Ausgangspunkt von diesen materiellen Grundbedürfnissen nehmen. Es macht keinen Sinn, so Marx, eine philosophische Theorie mit Gedanken über Gott, über Gerechtigkeit oder gar über die menschliche Vernunft zu beginnen, da all diese Dinge ohne Nahrungsaufnahme, also ohne den direkten Stoffwechsel mit der Natur, gar nicht möglich wären. Marx war Materialist. Für ihn ist die materielle Bedürfnisbefriedigung, also der Stoffwechsel, Ein- und Ausatmen, Essen und Trinken die Voraussetzung für alles andere. Deshalb steht bei Marx am Anfang der Philosophie und am Anfang der Menschheitsgeschichte die einfache Tatsache, dass der Mensch für die Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse arbeiten muss:

Und diese erste historische Tat der Produktion von Lebensmitteln wiederholen wir bis heute. Denn unabhängig davon, ob der Urmensch gerade mit einem Stein eine Nuss zertrümmert und den Kern verzehrt, ein Bauer mit dem Traktor die Ernte einfährt oder ein Molekularbiologe durch Genmanipulation künftige Erträge steigert, immer handelt es sich darum, der Natur etwas abzugewinnen oder wie Marx sagt, sich die Natur anzueignen:

Der Mensch ist also primär nichts Geistiges oder Göttliches. Er hat, so Marx, vor allem materielle Bedürfnisse. Genau wie ein Tier eignet er sich die benötigte Materie an. Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied, der die Menschen an einem bestimmten Punkt ihrer Evolution von den Tieren abhebt:

Das Tier produziert keine Lebensmittel. Es findet seine Nahrung direkt in der Natur und kann sie ohne Hilfsmittel direkt verzehren. Der Büffel frisst einfach das Gras auf der Wiese. Und selbst das Raubtier, das seine Beute erjagen muss, bleibt in seiner Lebenstätigkeit im Einklang mit der inneren und äußeren Natur:

Beim Menschen ist der Prozess der Naturaneignung erheblich komplizierter, verzweigter und umfassender. Der Bauer produziert die Lebensmittel, ein Zweiter die Düngemittel, ein Dritter die Maschinen, mit denen der Bauer erntet, und ein Vierter den Treibstoff, mit dem der Bauer den Traktor fährt und auch die anderen Maschinen betreibt. Ein Fünfter baut die Raffinerie, in der das Dieselöl hergestellt wird, ein Sechster betreibt die Tankerflotte, mit der das Öl transportiert wird, ein Siebter die Fördertürme, und das ist nur der Anfang. Letztlich sind eine Vielzahl von Arbeitsschritten notwendig, damit der Bauer am Ende den Weizen ernten kann und noch einmal so viele Arbeitsprozesse, bis das Brot gebacken und verpackt im Supermarkt liegt.

Im Unterschied zum Tier überlebt der Mensch also letztlich nur durch Arbeitsteilung und hochspezialisierte Arbeit. Und selbst im Supermarkt darf der Mensch die Lebensmittel nicht einfach aus dem Regal nehmen, sondern muss zuvor das dafür benötigte Geld erarbeiten:

Aber, so könnte man einwenden, müssen nicht auch Tiere für ihre Nahrung und ihre Unterkunft arbeiten? Baut nicht auch der Biber Staudämme, um Fische zu fangen? Auch Marx hat sich diese Frage gestellt:

Die universelle Produktion des Menschen ist in der Tat beeindruckend. Heutzutage gibt es über 14.000 verschiedene Berufszweige, in denen Menschen für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Auch bei Bienenund Ameisenvölkern gibt es „Arbeiterinnen“, „Wächter“ und „Königinnen“, aber eine derart aufgefächerte Teilung und Spezialisierung der Arbeitsbereiche wie beim Menschen findet man bei keiner Tiergattung.

Die Arbeit

Der Mensch muss also arbeiten, um seine Grundbedürfnisse nach Nahrung, Kleidung und Wohnung zu befriedigen. Wer sich diese einfache Tatsache vor Augen hält, hat den Kerngedanken von Marx bereits verstanden. Denn die Arbeit und somit die Sicherstellung der Grundbedürfnisse ist die Grundlage seiner gesamten materialistischen Philosophie:

Laut Marx bewährt und verwirklicht sich der Mensch also im Arbeitsprozess; und dies als Gattungswesen, also immer in Gemeinschaft mit anderen. Tatsächlich arbeitet der Mensch selten allein, sondern meist mit Kollegen, sei es in einem Büro, auf einer Baustelle oder in einer Fabrik. Selbst in Berufen, in denen man scheinbar auf sich allein gestellt ist, bleibt man als Gattungswesen auf andere angewiesen. Auch als einsamer Künstler produziert man im Atelier seine Werke für die anderen, verkauft diese und ersteht vom Erlös Lebensmittel und Kleider. So ist jeder von Kindesbeinen an in die Gesellschaft eingebunden. Marx glaubt sogar, dass das Individuum durch die Erziehung, die Eltern, die Schule und vor allem durch die Art und Weise, wie es arbeitet, tief geprägt wird. Er bezeichnet das einzelne Individuum deshalb auch als die Gesamtheit oder das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse:

Die Art und Weise, wie der Mensch in der Gesellschaft arbeitet, spielt für dessen Selbstbewusstsein eine ganz entscheidende Rolle. So fühlt sich beispielsweise ein tibetanischer Mönch, der in einem Kloster seinen Lebensunterhalt mit der Bewirtschaftung von Gemüsebeeten erwirbt, ganz anders, als ein Mitarbeiter eines Stahlwerks, eine Kindergärtnerin, ein Bankmanager, ein Fußballprofi, ein Musiker oder ein Schlachtermeister. Die jeweilige Arbeit prägt uns:

Hier sagt Marx im Grunde also etwas ganz Einfaches. Wir sind das, was wir tun und wie wir es tun. Die Art und Weise, wie wir unseren Lebensunterhalt erarbeiten, spielt deshalb eine so entscheidende Rolle, weil die Arbeit in direkter Weise das Fühlen und Denken der Menschen bestimmt:

Dabei meint Marx nicht nur die Arbeitsweise des einzelnen Individuums, sondern immer auch die der ganzen Gesellschaft. So hatten beispielsweise die kriegerischen Wikinger, die sich ihren Lebensunterhalt durch gewagte Raubzüge und brutale Überfälle erwarben, ein ganz anderes Selbstgefühl als beispielsweise Bauernvölker, die vom Fleiß und der sorgfältigen Feldarbeit lebten. Marx geht sogar noch einen Schritt weiter. Alles, wirklich alles, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht, die innersten Überzeugungen, die Moral und selbst die Religion sind nur Widerspiegelungen der jeweiligen materiellen Produktionsverhältnisse. Alle Ideen sind, wie Marx wörtlich sagt, nur geistiger Überbau zur materiellen Basis.

Basis und Überbau

Die Basis-Überbau Theorie ist in der materialistischen Philosophie von zentraler Bedeutung. Alles „Geistige“, also auch das scheinbar freie Denken der Individuen und das „Bewusstsein“ mit seinen vielen Plänen und Vorsätzen sind nach Marx nur Reflexe der materiellen Verhältnisse. An dieser Stelle widerspricht er diametral dem großen deutschen Philosophen Hegel, der stets die geistige Entwicklung der Menschheit betonte. Hegel, so Marx, hätte sich an diesem Punkt geirrt. Nicht das Bewusstsein und dessen Entscheidungen prägen unser Leben, sondern umgekehrt, das materielle Leben bestimmt das, was in unserem Kopf stattfindet. Diese materialistische Umkehrung ist der tiefere Sinn der bekannten und oft kolportierten Aussage: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Wörtlich sagt Marx an dieser Stelle:

So haben menschliche Gesellschaften in der Geschichte unterschiedliche Produktionsformen durchlaufen und infolgedessen unterschiedliche religiöse, künstlerische Strömungen als Überbau hervorgebracht. Die Basis ist aber immer die Produktionsweise:

Nehmen wir das Beispiel der Wikinger, dann kann man gut verstehen, warum auch die Religion für Marx nur eine Folgeerscheinung der gesellschaftlichen Produktion ist. Sogenannte Beutevölker, wie die Wikinger, produzieren den Großteil ihres Lebensunterhaltes mit Überfällen und Raubzügen. Sie verehren in der Regel einen mutigen und aggressiven Kriegsgott als oberste und wichtigste Gottheit, während agrarisch produzierende Völker eher dazu tendieren, Erntedankfeste zu feiern und einen Wettergott zu verehren. Das Anbeten eines Donnergottes oder eines Sonnengottes, den man darum bittet, die Ernte nicht verhageln, sondern gut gedeihen zu lassen, ist nach Marx nur der notwendige Überbau zur materiellen Basis eines agrarisch wirtschaftenden Bauernvolkes, dessen Überleben vom Ernteertrag abhängt. Küstenvölker dagegen, die vom Fischfang oder Seehandel leben, verehren wiederum einen Meeres- oder Windgott, Bergleute die heilige Barbara, die Schutzpatronin des Untertagebaus. Sesshafte Völker bauen Tempel auf Anhöhen über ihren Feldern, Nomadenvölker hingegen treiben ihre Herden umher und tragen ihre Gottheit in einer Bundeslade mit sich herum. Immer aber bestimmt die materielle Basis die Zeremonien und Inhalte der Religion.

Kleine Völker können sich Vielgötterei leisten, Großreiche, wie das Römische Reich, benötigen, um nicht durch hundert verschiedene Götterverehrungen zersplittert zu werden, einen einheitlichen Gott, der alle miteinander versöhnt und verbindet. Die Abschaffung der Vielgötterei und die Einführung des Monotheismus durch Kaiser Konstantin war für das riesige römische Reich der notwendige Überbau zur materiellen Basis. Der beste Freund von Marx, Friedrich Engels, bringt die Basis-Überbau-Theorie folgendermaßen auf den Punkt: „[...] so können wir daraus nur den Schluss ziehen, dass die Menschen, bewusst oder unbewusst, ihre sittlichen Anschauungen in letzter Instanz aus den praktischen Verhältnissen schöpfen, [...] in denen sie produzieren und austauschen [...].“18

Marx und Engels kritisierten deshalb die rein idealistische Philosophie in Deutschland als unwissenschaftlich und hoben ihre materialistische Philosophie deutlich davon ab:

Fichte, Schelling und Hegel wären einfach nur von ihrer persönlichen Vorstellung von Gott ausgegangen. Dagegen würde der Materialismus die umgekehrte Richtung einschlagen.

Mit ideologischen Reflexen und Echos meint Marx nicht nur die direkte Spiegelung der Arbeitsverhältnisse in der Religion. Er stellt auch die These auf, dass die jeweiligen Produktionsweisen der Gesellschaft eine entsprechende Ideologie, also ein spezielles Bewusstsein in den Köpfen der Untertanen erzeugen würden, um das Herrschaftssystem zu rechfertigen. So war es beispielsweise im Feudalismus sehr wichtig, dass alle Leibeigenen und besitzlosen Bauern glaubten, Adelige hätten blaues Blut und seien von Gott für die Herrschaft auserwählt worden, so wie Gott sie als Bauern und Knechte an ihren Platz gestellt hätte, um zu dienen. Durch diese Weltanschauung des Gottesgnadentums mussten die jeweiligen Könige und Adeligen nicht rechtfertigen, warum sie von den Abgaben der Bauern lebten ohne selbst zu arbeiten. Ideologie ist nach Marx schlicht und einfach falsches Bewusstsein, insofern der Inhalt des Denkens und Glaubens nicht der gesamten Bevölkerung dient, sondern nur einem kleinen Teil nützt. Im Überbau spiegelt sich nämlich immer nur das Bewusstsein der jeweils herrschenden Klasse wider und nicht das Bewusstsein der Beherrschten:

Religion als Opium fürs Volk

Von allen geistigen Ideen des Überbaus kritisiert Marx am meisten die Religion. Denn ihr kommt über die Jahrhunderte hinweg eine besondere Bedeutung zu.

Die Religion hat nach Marx insofern eine Trostfunktion für die Menschen, als sie die vielen Leiden, die man im Leben ertragen muss, erklärt und rechtfertigt. Als Entschädigung und Belohnung für alle Ungerechtigkeit und Pein, welche die Menschen im Leben erfahren, wird ihnen von der Religion ein späteres Weiterleben im Paradies versprochen. Marx vergleicht die beruhigende Wirkung der Religion mit der Wirkung von Drogen:

Die Vertröstung des Menschen auf das Paradies im Jenseits mag wirksam sein. Die Religion hat aber einen großen Nachteil, sie steht der Verbesserung des Diesseits im Wege. Deshalb fordert Marx ihre sofortige „Aufhebung“:

Deshalb müssen wir die Religion kritisieren, wo immer es geht. Denn wenn es uns gelingt sie abzuschaffen, so hofft Marx, werden Kräfte frei, die wirklichen Probleme der Erde anzugehen und zu lösen:

Solange Gott von den Menschen als höchstes Wesen angesehen wird, kann jedes Unrecht damit gerechtfertigt werden, dass es eine Prüfung Gottes ist:

Und damit hat Marx den Kerngedanken seiner Philosophie ausgesprochen. Es gilt alle materiellen Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist.

Geschichte als Klassenkampf

Die Geschichte ist für ihn nichts anderes als die Aneinanderreihung verschiedener Phasen der materiellen Produktion. Zu Beginn der Geschichte produzierten die Menschen die Nahrungsmittel noch gemeinsam. Sie lebten in Horden und Stämmen zusammen. Für die Stammesgesellschaft, oder wie Marx und Engels sie nennen, die Gentilgesellschaft, geht es vor allem um das Überleben des Stammes. „Die Produktion aller früheren Gesellschaftsstufen war wesentlich eine gemeinsame, wie auch die Konsumption unter direkter Verteilung der Produkte innerhalb größerer oder kleinerer kommunistischer Gemeinwesen vor sich ging.“ 28

So gingen beispielsweise die nordamerikanischen Indianer gemeinsam auf Büffeljagd und teilten hinterher das Fleisch unter allen Stammesmitgliedern auf. Die frühen Stammesgesellschaften waren noch klassenlose Urgesellschaften, in denen es kein Eigentum, keine Kapitalisten und keine Besitzlosen gab. Alles gehörte allen. Das Ansammeln von Eigentum hätte auch gar keinen Sinn gehabt. Wenn beispielsweise der Indianerstamm das Zeltlager abgebaut hatte, um der Büffelherde zu folgen, dann konnte man ohnehin nur das mitnehmen, was man zu tragen in der Lage war. Die Ansammlung von Luxus über ein paar Teller und Schalen hinaus war sinnlos. Auch gab es noch keine Arbeitsteilung und kein Geld. So war jeder Indianer in der Lage, alles, was er brauchte, vom Pfeil und Bogen bis zu den Zeltstangen, selbst herzustellen. Engels beschreibt die Reproduktion der frühen Gentilgesellschaft als uneigennützig und gesund: „[...] und solange die Produktion auf dieser Grundlage betrieben wird, kann sie den Produzenten nicht über den Kopf wachsen, keine gespenstischen fremden Mächte ihm gegenüber erzeugen, wie dies in der Zivilisation regelmäßig unvermeidbar der Fall ist.“ 29

Marx und Engels konkretisieren den klassenlosen Urzustand kaum, verweisen jedoch darauf, dass die Gentil- beziehungsweise Stammesgesellschaft zur materiellen Reproduktion kein Eigentum benötigte. Tatsächlich waren bei frühen Stammeskulturen Eigentumsverhältnisse noch nicht ausgeprägt. Wir wissen aus den Beschreibungen des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, dass bei den germanischen Stämmen im Jahreswechsel jeweils die eine Hälfte der Männer in den Krieg zog, während die andere Hälfte mit den Frauen gemeinsam die Felder bewirtschaftete.

Erst mit der voranschreitenden Landwirtschaft und dem Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit bildeten sich nach Marx die ersten Eigentums- und Sklavenhaltergesellschaften. Marx und Engels unterscheiden dabei asiatische und europäische Sklavenhaltergesellschaften, also die persische und die römische Despotie. Ab jetzt ist die gesamte weitere Entwicklung geprägt von Konflikten zwischen herrschenden und beherrschten Gruppen, den sogenannten „Klassen“.

Dabei ist der Konflikt zwischen den Klassen der Motor, der die Geschichte vorantreibt.

Der Sklavenhaltergesellschaft folgte die Feudalgesellschaft, die ebenfalls von einem Konflikt geprägt war. So lebten letztendlich alle Adeligen und auch der König von dem, was die lehensabhängigen Bauern, die Handwerker, Händler und Bürger produzierten. Für Adelige war es nicht standesgemäß, selbst zu arbeiten. Vornehme Adelige schützen sich sogar mit Sonnenschirmen, um sich von den braun gebrannten Feldarbeitern abzuheben. Auch kaufmännische Tätigkeiten lehnte der Adel als nicht standesgemäß ab. Aber gerade dadurch, dass der Adel das Gewerbe, den Handel und das Kreditwesen anderen überließ, erzeugte er eine neue selbstbewusste Klasse, das Bürgertum oder wie Marx sagt, die „Bourgoisie“. Während die Adeligen sich weiter darauf beschränkten, ihre Ländereien zu verwalten und von Bauern Abgaben und Dienste zu verlangen, gründeten die Bürger in den Städten Handwerksbetriebe, Manufakturen und erste Fabriken. Das Bürgertum erwirtschaftete auf einem Bruchteil des Grund und Bodens bald sehr viel höhere Renditen, als die Adeligen auf ihren riesigen Landgütern. Bald hatten die Adeligen in ganz Europa Schulden bei Kaufleuten, Fabrikanten und Handelskontoren. Um so ärmer der Adel wurde und sich beim Bürgertum verschuldete, um so reicher wurde das Bürgertum und forderte nun auch die politische Macht, bis es in ganz Europa zu bürgerlichen Revolutionen kam und der Feudalismus mitsamt seinem Überbau unterging.

Aber genau so, wie der Adel durch seine Weigerung, Gewerbe und Handel zu treiben, das Bürgertum erst stark gemacht hat, erzeugte auch die neue herrschende Klasse, das Bürgertum, wieder seine eigene Ablösung, oder wie Marx sagt, seine dialektische Negation. Dialektik bedeutet in diesem Zusammenhag nur, dass die herrschende Klasse eine unterdrückte Klasse hervorbringt, was zum Klassenkampf führt, aus dem wieder eine neue Gesellschaftsform hervorgeht.

Mit der Zerstörung der Feudalgesellschaft und der Machtübernahme durch das Bürgertum, beziehungsweise durch die Bourgoisie, kommt es zu einer enormen Steigerung der materiellen Produktion:

Der Globalisierungsprozess setzt ein und lässt sich nach Marx nicht mehr stoppen:

Anders als bei den Gentil-, Sklavenhalter- und Feudalgesellschaften, die noch rein landwirtschaftlich produziert hatten, wird jetzt industriell produziert. Und diese neue Produktionsweise verändert die Welt auf dramatische Weise:

Allerdings, so Marx, wird diese enorme Produktionsleistung und der daraus resultierende Wohlstand nicht auf alle Mitglieder der Gesellschaft verteilt. Im Gegenteil, die Bourgoisie, also das Großbürgertum, besitzt alle Produktionsmittel von den Maschinen bis zu den großen Warenhäusern, in denen die Produkte verkauft werden. Die Arbeiter und Lohnabhängigen besitzen dagegen nichts als ihre Arbeitskraft. So stehen sich nach Marx am Ende wieder zwei Klassen feindlich gegenüber, die „Bourgoisie“ und die „Proletarier“.

Da das Bürgertum der Gegenspieler, beziehungsweise wie Marx sagt, die Negation des Adels ist, ist das Proletariat gegenüber dem Bürgertum folgerichtig die „Negation der Negation“. Denn wieder erzeugt die herrschende Klasse mit den zunehmend unterbezahlten Arbeitern ihre eigenen Gegenspieler. Im berühmt gewordenen kommunistischen Manifest fordern Marx und Engels die Arbeiter auf, die Macht zu übernehmen:

Nach der Revolution kommt es dann, so Marx, zur finalen Auflösung aller Klassengegensätze, da die Proletarier, wenn sie erst einmal gemeinschaftlich über die Produktionsmittel verfügen, sich als Klasse selbst auflösen.

Dieses Geschichtsmodell von Marx ist im Grunde sehr einfach. Am Anfang gab es die klassenlose kommunistische Urgesellschaft, denn die frühen Stammesgesellschaften haben noch gemeinsam gejagt und die Felder bebaut. Es gab keinerlei Eigentum. Durch die Arbeitsteilung und Entwicklung der Technik entstanden dann mit der antiken Sklavenhaltergesellschaft über die Feudalgesellschaft bis zur bürgerlichen Gesellschaft eine Reihe von entfremdeten Eigentumsgesellschaften, an deren Ende mit der kommunistischen Revolution das Privateigentum wieder abgeschafft und der ursprüngliche klassenlose Zustand wiederhergestellt wird.

Die Einheit von Individuum und Gesellschaft, die Versöhnung der Klassen ist also das Endziel der Geschichte. Und diese Aufgabe fällt nach Marx und Engels der Arbeiterklasse zu, die auf dem Höhepunkt der kapitalistischen Expansion die Macht übernimmt und eine gerechte Gesellschaft errichtet, in der keiner mehr des anderen Sklave ist. Dies geschieht aber nicht, weil die Arbeiter plötzlich die Idee haben, eine Revolution zu machen. Das wäre wieder nur idealistische Geistphilosophie. Nein, laut Marx geraten die materiellen Produktionsverhältnisse selbst zueinander in Widerspruch und lassen den Kapitalismus wie ein Kartenhaus zusammenstürzen. Wie die Kräfte des Kapitalismus zueinander in Widerspruch kommen können, zeigt Marx in seinem legendären Hauptwerk „Das Kapital“. Dessen nach wie vor aktueller Kern sind die Mehrwert- Akkumulations-, Konzentrations- und Verelendungstheorien.

Die Theorie vom Mehrwert

Der Kapitalist zahlt dem Arbeiter nicht das, was dieser für ihn erwirtschaftet, sondern erheblich weniger. Den „Mehrwert“ der geleisteten Arbeit behält er ein. Marx bringt dafür Beispiele von Fabriken, in denen die Arbeiter mit Lebensmitteln entlohnt werden und gerade so viele Lebensmittel bekommen, dass sie sich und ihre Familien ernähren können. Alles darüber hinaus von den Arbeitern erwirtschaftete Geld, das beim Verkauf der Waren eingenommen wird, behält der Kapitalist:

Angenommen ein Arbeiter produziert am Tag 12 Stunden lang in einer Baumwollfabrik Stoffe für Hemden und Hosen mit einem Endverkaufswert von 1000 Euro. Der Unternehmer bezahlt ihm für die 12 geleisteten Arbeitsstunden aber nur 60 Euro. Die Abzahlung der gekauften Fabrikhalle, der Maschinen und die Bezahlung des Pförtners, des Buchhalters, der Putzkolonne und des Einkaufs der Rohbaumwolle kostet den Unternehmer noch mal pro Tag und Arbeiter anteilig 30 Euro. So bleibt dem Kapitalisten gegenüber dem ausbezahlten Arbeitslohn von 60 Euro ein Mehrwert von 910 €. Das Kapital des Unternehmers nimmt schnell zu. Deshalb stellt Marx die rhetorische Frage:

Indem der Arbeiter seine bloße Arbeitskraft verkauft, verliert er den Anspruch auf das Produkt, das er mit seiner Arbeit herstellt. Auch wenn dieses Produkt am Ende einen extrem hohen Gebrauchswert hat und einen entsprechend guten Marktwert erzielt, bekommt er für seine Arbeitskraft nur den vorher vereinbarten Zeitwert als Stundenlohn.

Im Gegenteil, der Stundenlohn ist meist viel geringer als der Wert, den der Arbeiter in dieser Stunde wirklich erzeugt. Den hohen Verkaufspreis der fertigen Ware, der eigentlich durch die Tätigkeit des Arbeiters bewirkt wird, schöpft allein der Unternehmer ab. Denn dieser macht für einen Tag oder länger „Gebrauch“ von der Arbeitskraft des Arbeiters und verleibt dessen Arbeitskraft dem leblosen Produkt ein. Den Mehrwert behält der Unternehmer für sich und wird dadurch immer wohlhabender.

Akkumulation und Konzentration

Der erwirtschaftete Mehrwert wird wieder investiert und führt zu noch größerer Produktion von Mehrwert. Kapital schafft deshalb automatisch noch größeres Kapital.

Ist dieser Prozess erst einmal im Gang, kann er nicht mehr gestoppt werden. Jedes Unternehmen muss weiter wachsen, seine Produktion steigern und neue Märkte erschließen. Würde ein Unternehmen in selbst auferlegter Bescheidenheit darauf verzichten, liefe es Gefahr, von größeren Unternehmen aus dem Markt verdrängt zu werden. Deshalb ist jedes Unternehmen gezwungen, seine Kapitalkraft zu vermehren, indem es den Gewinn wieder investiert und noch größere Gewinne generiert.

Sobald aber alle möglichen Verkaufsgebiete erschlossen und die Märkte gesättigt sind, kann sich ein Kapitalist nur noch vergrößern, indem er die Produktionsanlagen eines anderen übernimmt, aufkauft, schluckt oder vernichtet. Dies muss er tun, da er sonst Gefahr läuft, selbst geschluckt zu werden. Wer nicht expandiert, wird eliminiert. Deshalb, so Marx, muss jeder Kapitalist versuchen, seine Konkurrenten im Wettbewerb zu besiegen und vom Markt zu verdrängen. In diesem unerbittlichen Konkurrenzkampf setzt der Kapitalist ein bewährte Waffe ein:

Ein Kapitalist, der den Markt für Schraubenzieher monopolisieren will, muss seine Schraubenzieher nur eine Zeit lang erheblich billiger anbieten als die Konkurrenz. Wenn es ihm gelingt, über einen längeren Zeitraum einen anderen Hersteller preislich klar zu unterbieten, wird dieser seine vergleichsweise teuren Produkte am Markt nicht mehr verkaufen können. Er muss über kurz oder lang seine Produktion einstellen oder an den größeren Kapitalisten verkaufen. Entscheidend für das Überleben im kapitalistischen Wettbewerb ist daher der Preis oder, wie Marx sagt, die Wohlfeilheit oder Billigkeit der Ware:

Der Konzentrationsprozess und der Akkumulationsprozess sind eng miteinander verbunden. Der Kapitalstärkere, der über die größere Akkumulationsrate verfügt, kann auf lange Sicht erheblich mehr Kapital ansammeln und mit diesem Kapital durch Dumpingpreise den Konkurrenten in die Knie zwingen. Er hat sozusagen den längeren Atem und kann sich leisten, einige Zeit selbst Verluste machen, wenn es ihm dadurch gelingt, einen unliebsamen Konkurrenten in den Untergang zu treiben:

Sobald aber ein Unternehmer für ein Produkt eine marktbeherrschende Position erreicht hat und beispielsweise einer der wenigen oder gar der einzige Energielieferant ist, kann er für den Strom verlangen, was er will, da niemand mit ihm konkurriert. Millionen Verbraucher sind dann auf den einzig übrig gebliebenen Produzenten angewiesen. Im nächsten Schritt versucht der Monopolist mit seinem jetzt noch rascher akkumulierenden Kapital zusätzliche Geschäftszweige zu erschließen und weitere Märkte zu monopolisieren. Dabei erzeugt die kapitalistische Produktion ein neues Kraftfeld, von dem die ganze Gesellschaft auf Gedeih und Verderb abhängig wird, das Banken- und Kreditwesen:

Durch konkurrierende Übernahmen und Fusionen werden immer mehr kleine Kapitalisten durch große enteignet oder wie Marx auf Lateinisch sagt, expropriiert. Die übrig gebliebenen Konzerne kämpfen nun um den Weltmarkt und treiben die Monopolisierung gnadenlos voran:

Verelendung und Revolution

Die Verelendung ist die direkte Folge der Kapitalakkumulation und Konzentration. Indem nämlich wenige global operierende Unternehmen immer mehr Kapital auf sich vereinen, also im Grunde immer reicher werden, fehlt das Geld an anderer Stelle. Am Ende häufen Konzerne ungeheuer viel Kapital in einer Hand an, während die Arbeiter, Bürger und Konsumenten zunehmend mit leeren Händen dastehen.

Solange es noch viele kleine Unternehmer gibt, funktioniert der Markt gut, sobald aber durch den Konzentrationsprozesses nur noch wenige Konzerne die gesamte Güterproduktion an sich reißen, gerät alles aus dem Gleichgewicht und die Verelendung beginnt:

Dabei trifft den einzelnen Unternehmer keine moralische Schuld für die Verarmung der Arbeiter. Er folgt ja nur den marktwirtschaftlichen Regeln der Konkurrenz, er denkt zwangsweise betriebswirtschaftlich. Um nicht von einem anderen Unternehmen im Preiskampf unterboten und in den Konkurs getrieben zu werden, versucht er die Kosten zu senken und die Profitrate zu erhöhen. Er zahlt also den geringst möglichen Lohn, verlagert die Produktion ins Ausland, automatisiert seine Fabriken und spart an Verwaltungskräften. Durch diese Maßnahmen muss er erheblich weniger Gehälter zahlen und kann preiswerter produzieren. Die Folge ist aber eine nochmals