Handweberei im 20. Jahrhundert in Oldenburg - Kurt Dröge - E-Book

Handweberei im 20. Jahrhundert in Oldenburg E-Book

Kurt Dröge

0,0

Beschreibung

Die wirtschaftlich betriebene Handweberei ist im Wesentlichen bereits im 19. Jh. zu Ende gegangen. In der ersten Hälfte des 20. Jh. wurde sie in speziellen Bereichen des Kunstwebens sowie äußerst selten bei der Fertigung von Gebrauchstextilien, die einer traditionellen wohnkulturellen Alltagsästhetik verpflichtet waren, noch fortgeführt. In Oldenburg versuchte die letzte Handweberei bis in die 1960/70er Jahre hinein, ihre Ware der industriellen Produktion entgegen zu setzen. Auf der Grundlage seines Nachlasses wird die Geschichte dieses Betriebes nachgezeichnet. Dabei kommt ein Wechselspiel zwischen Kunstgewerbe, einem auch symbolisch gefüllten handwerklichen Geist und überkommenen Bildstereotypen der Weberei in den Blick.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 52

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das niedere Bild

Inhalt

Zur Kulturgeschichte der Handweberei

Die letzte Handweberei in Oldenburg

Else Diers (1908-1985) als Handarbeitslehrerin und Stickerin

Die Mappe zur Gesellenprüfung als Stickerin

Die Handweberei Hohenhagen in Hagen (Westf.) und Bremen

Die Handweberei Else Diers in Oldenburg

Einflussnahmen im Nationalsozialismus

Das Kanzel- und Altarantependium

Das Moorriemer Bauernmädchen

Die Fahne der Tischlerinnung Oldenburg

Die Meisterprüfung

Die Handweberei Heimberg

Fortbestand durch Lehrlings-Ausbildung

Ausstellungen

Kunsthandwerk

„Mein Mustertuch“

Der Mythos vom goldenen Boden

Ausklang

Literaturhinweise

Nachwort: zu diesem Buch in einer kleinen Reihe

Zur Kulturgeschichte der Handweberei

Als Faktor wirtschaftlich orientierter Erwerbsarbeit ist das Weben von Textilstoffen für den täglichen Gebrauch auf einem Handwebstuhl nach jahrtausendelanger Geschichte im 19. Jahrhundert außerordentlich stark zurück gegangen. Seit ca. 1880 waren die Webmaschinen technisch so weit entwickelt, dass sie sämtliche Arten von Webwaren produzieren konnten. Das Weber-Elend der 1840er Jahre, noch am Jahrhundertende von Gerhart Hauptmann als revolutionärer Literaturstoff thematisiert, wurde geradezu zum Schlagwort für alle Konsequenzen, die aus der Umwälzung von der Hand- zur Maschinenarbeit erwuchsen.

Dennoch gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ungefähr 70.000 gewerbliche Handweber im Deutschen Reich, da aufgrund der teuren Anschaffung von Maschinen sowie der benötigten Fabrikgebäude und Antriebstechnik der Wandel nicht allerorten gleichermaßen rasch vonstatten ging. Insgesamt schwand die Bedeutung der Handweberei als wirtschaftlicher Faktor in Deutschland durchgehend.

Nur noch in – relativ spezifisch definierten – Nischen wurde das Handweben zu Beginn des 20. Jahrhunderts für mehr oder minder kurze Zeit weiter praktiziert, zumeist in Form von Heimindustrie, oft im Verlagssystem. Daneben gab es, eher reliktartig, auch noch einzelne Gebiete mit ländlich-agrarischer Hausweberei in Gegenden ohne textile Heimindustrie oder mit Leinenweberei in althergebrachter Form im Wandergewerbe. Die allermeisten Bereiche der für den alltäglichen Gebrauch benötigten Stoffherstellung wurden längst durch mechanisierte Verfahren der industriellen Produktion abgedeckt, sowohl bei der Bekleidung als auch bei Tisch- und Bettwäsche sowie weiteren Haustextilien.

Wo Handweberei übrig blieb, bildete sie, zum Beispiel als spezialisierte Damastweberei oder Hausbandweberei, eine Nische, deren Hintergrund vielfältig sein konnte und deren Kontinuität häufig in Frage gestellt war. Eine Art inhaltliches Dreieck lässt sich als Rahmen konstruieren, in welchem diese Nische jeweils – je nach Ausrichtung und Schwerpunktsetzung etwas unterschiedlich – verortet werden konnte und letztlich bis heute verortet werden kann.

Dieses Dreieck wird aus der industriellen Gewebeproduktion in ihrer Gesamtheit, der Textilkunst als Sparte oder Ausdrucksform der modernen Schönen Künste sowie einer als traditionell empfundenen Handarbeit gebildet, welcher sich historische Begriffe wie Volkskunst, Haushandwerk oder Heimgewerbe hinzu gesellen. Verkürzt könnte man auch von einem Dreieck Industrie – Kunstästhetik – Handwerk sprechen und würde damit der häufigen und relativ unspezifischen Qualifizierung der Handweberei im 20. Jahrhundert als Kunstgewerbe oder Kunsthandwerk zumindest begrifflich auch gleich näher kommen.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war es in weiten Teilen der Weberei üblich geworden, nach Musterbüchern zu arbeiten, die gedruckt oder häufig auch, nicht nur auf dem Land, von Hand angefertigt und innerhalb der Werkstätten weiter gegeben wurden. Die Gestaltungsarbeit des Webers beschränkte sich in der Regel auf das Kopieren alter Muster oder das Nachweben von Entwürfen Dritter. Die Fertigkeit, eigenständig neue Webmuster zu entwerfen, wurde weder gelehrt noch voraus gesetzt noch praktiziert: Kunst und Handwerk hatten sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts von einander entfernt, und das Weben gehörte zum Handwerk mit seinen überlieferten ästhetischen und vor allem Qualitäts-Maßstäben, nicht zu den freien Künsten.

In dieser Weise verstanden es auch frühe Kunstgewerbebewegungen im 19. Jahrhundert, nicht nur bezüglich des Webens von Gebrauchstextilien, sondern auch in der Bildweberei. Das gehobene Weberhandwerk bildete lediglich ein Umsetzungsorgan, etwa von Entwürfen bekannter Künstler in – allerdings hochwertige und anspruchsvolle – Handwerksprodukte, beispielsweise bei der Übertragung eines Gemäldes auf einen Wandteppich.

Diese Auffassung fächerte sich seit den Jahren um 1900 auf. Zunehmend wurde gefordert, Kunst und Handwerk auf einander zu zu führen und zum Beispiel Gebrauchstextilien nicht nur mit einer guten Ästhetik zu versehen im Sinne des Kunstgewerbes, sondern mit eigenem kunsthandwerklichen, ja künstlerischen Anspruch zu fertigen.

Die vermeintlich alte Volkskunst wurde vom eigentlich unbeteiligten Bürgertum der sich formierenden Industriegesellschaft neu entdeckt innerhalb eines Prozesses, in welchem sie ihre wirtschaftliche Bedeutung häufig erst bekam. Volkskunst wurde zu einem neuen ästhetischen Wert, der mit der Wertigkeit des Handgemachten, ob als realer, gewerblich-technischer Hintergrund oder später als Attitüde, in untrennbarer Verbindung stand.

Das Weberschiffchen als Arbeitsgerät und zugleich Bildstereotyp der historischen Webereitechnik

Es entstand die neuzeitliche Sparte der Angewandten Kunst mit den eher schemenhaft definierten Bereichen Kunsthandwerk und Kunstgewerbe. Die Erziehung des Kunstsinnes und die sogenannte Geschmacksbildung avancierten zu Qualitäten innerhalb der erneuerten Handwerks-Ausbildung, für welche, neben den auf regionaler Ebene aus dem Boden schießenden Kunstgewerbeschulen, auch noch weitere Fortbildungsschulen eingerichtet wurden.

Aus der Not der historischen Weberei entstand damit auch ein neues Berufsbild, in welchem nicht mehr nur Materialkunde und technologisch-fachliche Entwurfsumsetzung, etwa nach Webmusterbüchern, entscheidend waren, sondern der eigenständige Entwurf als kunsthandwerkliche Fähigkeit hinzu kam. Als eine Art Leitbild schwebte darüber gleichsam die Aura des Singulären und der handgemachten Kunst als Unikat.

Aus der Erfahrung des Verlustes von historisch überlieferten Handarbeits- und Handwerkstechniken und damit auch Kulturelementen formierten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts breite Kampagnen, vielleicht auf diese Weise die „alten Traditionen der Handarbeit“ und einer als bodenständig empfundenen Volkskunst doch noch zu erhalten oder gar wieder zu erwecken. Solche Bestrebungen erfassten weite Kreise von Politik und Gesellschaft und erstreckten sich auf alle Gebiete, die irgendwie mit dem Begriff der Heimat und ihren Konnotationen Tradition, Kontinuität, Menschlichkeit oder Natürlichkeit verbunden waren: auf die vermeintlich alten Trachten, auf alle Handwerke oder auch auf das Bauen in alten Formen und mit überkommenen Materialien.

Die Handweberei erhielt vor diesem Hintergrund in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in gewisser Weise aufs neue einen besonderen Stellenwert. Durch die Tatsache, dass der gewebte Stoff konstitutiv ist für alle weiter verarbeitenden oder sekundär ausschmückenden Textiltechniken, bekam die Weberei eine Art zentralen Status, und nicht selten entstanden regelrechte Museumswerkstätten, in welchen an allen Arten von Webstühlen gearbeitet wurde, wobei es bereits weniger um künstlerische Ansprüche, sondern praktisch ausschließlich um das Erlernen von Webtechniken und das Weben begleitenden Arbeitsvorgängen ging.