Heiligenlegende, Religionsunterricht und Heimatkunde - Kurt Dröge - E-Book

Heiligenlegende, Religionsunterricht und Heimatkunde E-Book

Kurt Dröge

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Beschreibung

Zwischen 1953 und 1958 erschien in Saarbrücken eine Reihe von 110 illustrierten Heften unter dem Titel 'Die Kirche in ihren Heiligen'. Gedacht waren die einzelnen, in Text und Bild vorgestellten Heiligenlegenden als kirchengeschichtliches Lehrmaterial im katholischen Religionsunterricht der höheren Altersstufen der Volksschule. Beabsichtigt war auch eine Annäherung an den Heimatkundeunterricht. Die Darstellung stellt die Heftreihe als Sammlung vor und geht ihrem Konzept, ihren Entstehungsumständen sowie ihren Vorläufern und Vorgängern nach, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der graphischen Gestaltung der Reihe. Den unterschiedlichen beteiligten Personen in Schule, Kirche, Kloster und Illustrationswesen gilt ein weiterer Schwerpunkt der Beschäftigung.

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Seitenzahl: 247

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Inhalt

Einführung: eine Heftreihe zur Verbindung von Heiligenkult und schulischer Erziehung

Vom erkenntnisfördernden Moment des Sammelns

Zur Heiligenverehrung und -legende in Kirche, Kult und Brauch

Die Heftreihe

Die Kirche in ihren Heiligen

der 1950er Jahre im Überblick

Ein Artikel von Jakob Murböck (1908) als Ideengeber

Der Vorläufer

Bilder aus dem Leben der Heiligen für die Schule

von Nikolaus Faßbinder (1914)

Der unbebilderte Vorgänger: die erste Folge der Heftreihe (1927-29)

Zur schulpolitischen Situation in den 1920er Jahren

Der Herausgeber Heinrich Faßbinder als religiöser Schriftsteller

Kirchengeschichte und Heiligenkunde im Religionsunterricht

Die Erweiterung und Neubearbeitung als illustrierte Heftreihe (1953-1958)

Der neue Herausgeber Jakob Szliska und seine publizistische NS-Karriere

Der Verleger Heinrich Krueckemeyer

Autorinnen und Autoren: „Kindertümlich erzählte Heiligenlegenden“

Gestalterinnen und Gestalter: die Erscheinungsform

Religionsunterricht als konfessionelle Heimatkunde

Anhang: Textabschnitte von Jakob Murböck und Johannes Westermayr

Einführung: eine Heftreihe zur Verbindung von Heiligenkult und schulischer Erziehung

In einem sehr kurzen Zeitraum von fünf Jahren, von 1953 bis zum Frühjahr 1958, erschien eine rasche Folge von insgesamt 110 Heften mit legendenartigen Lebensgeschichten vieler verschiedener Heiligenfiguren der katholischen Kirche unter dem Reihentitel Die Kirche in ihren Heiligen. Jedes Heft widmete sich in Text und den Erzähltext illustrierendem Bild einer Heiligengestalt – nur ausnahmsweise auch mehreren – der brauchmäßig verankerten Glaubenswelt und der katholischen Kirche, deren Geschichte damit vermittelt und veranschaulicht werden sollte.

Siebzig Jahre später muten die Hefte mit ihren Titelbildern, die auf viele Menschen sicherlich heiligtümlerisch-naiv, trivial und vielleicht auch banal wirken, aber auch hinsichtlich ihrer textlichen Gestaltung seltsam bis fremdartig an. Sie scheinen zu einer Art vergangener, tiefreligiöser Popular-kultur zu gehören, deren lebensweltlich-ästhetischer „Geschmack“ einer lange vergangenen Epoche angehört. Sie zum religiösen Kitsch zu zählen, würde unabhängig von dessen generell schwieriger Definition leichtfallen, wenn da nicht offenkundig eine große Ernsthaftigkeit spürbar wäre, die sich vom Kitsch mit seiner Verbindung von religiösem Gefühl, durchaus sinnlich bestimmtem Begehren und gleichzeitigem kommerziellen Interesse unterscheidet. Vielleicht macht gerade eine solche naive Ernsthaftigkeit die besondere Faszination der Hefte aus.

In der Mitte der 1950er Jahre wies die Heftreihe hinsichtlich der Auswahl und Reihenfolge der behandelten Gestalten keinerlei Ordnung auf. Sie besaß eine der unmittelbaren Nachkriegszeit gemäße schlichte, einheitliche Ausstattung, so dass ihr ausgeprägter Zusammengehörigkeitscharakter rasch deutlich wird: Die Hefte hatten dasselbe Format (14,5 x 21 cm) und denselben Umfang und verfügten zu Beginn, mit großem Wiedererkennungseffekt, über ein strenges und geradezu züchtiges Reihenlayout, das sich im Verlauf des Erscheinens allerdings langsam gestalterisch öffnete.

So unscheinbar, unwichtig, „speziell“, vielleicht dilettantisch und aus der Zeit gefallen die Hefte heute auch erscheinen mögen, so können sie doch inhaltlich-konzeptionell und optisch-gestalterisch ihr Eingebundensein in die Gesellschafts- und Kulturgeschichte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts mit ihren Umbrüchen auf eine interessante und aspektreiche Weise offenbaren – in einem Widerstreit zwischen Kontinuität und Wandel am kleinen, marginalen Beispiel.

Obgleich sie kein offizielles Lehrmaterial darstellte, war die Reihe gedacht als schulische Lektüre oder zumindest als optionales schulisches Lehrmittel im fortgeschrittenen katholischen Religionsunterricht sowie als Hilfe bei der religiösen Erziehung von Kindern und Jugendlichen, wobei sie im Grundsatz offenließ, ob sie mehr für die Hand des Lehrers (als Erzähler) oder des Schülers (als selbst Lesender) gedacht war.

Spürbar war bei dem Editionsunternehmen, das man gegenüber dem allgemeinen (Lehr-)Buchmarkt als nischenartig auffassen darf, von Anfang an ein selbstgestellter Bildungsauftrag nach dem Motto: „Heiligenverehrung als Instrument der Kirchengeschichtsschreibung“. Der Auftrag sollte die breite Kenntnis von möglichst vielen kanonisierten und/oder volkstümlich verehrten Heiligengestalten in einer geradezu enzyklopädischen Manier, aber mit einem mehr erzählerisch (oder: glaubensbezogen) denn wissensbezogen angelegten Impetus, umfassen. Entsprechend waren die Hefte, die jeweils in feste Pappdeckel eingebunden waren und deshalb strenggenommen als Bücher gelten müssen, wohl ganz hauptsächlich für Schulbibliotheken, zum systematischen Sammeln und Ergänzen vorgesehen. Zumindest zuweilen dürften sie, neben der Aufnahme in diverse Klosterbibliotheken, auch dort gelandet sein.

In jeder Hinsicht ist die Reihe Die Kirche in ihren Heiligen ein durch und durch konfessionelles Unternehmen gewesen als ein als möglich erachtetes Mittel, Näherungsversuche herzustellen zwischen dem katholischen Religionsunterricht für heranwachsende Kinder und Jugendliche sowie dem curricular in den Jahrgangsstufen an Bedeutung gewinnenden Geschichtsunterricht, aber auch dem Heimatkundeunterricht, der nach dem Ersten Weltkrieg in aller Munde war. Auf evangelischer Seite haben solche Näherungen durchweg deutlich anders ausgesehen.

Die Erzähltexte der Reihe orientierten sich durchgehend an der Lebens„geschichte“ einer Heiligenfigur, waren aber konzeptionell – wie auch stilistisch – innerhalb einer großen Bandbreite recht unterschiedlich angelegt. Sie reichten von der schlicht-moralisierenden Jugenderzählung mit oft nur mühsam historisierendem Hintergrund über die literarische Bedienung des Abenteuermilieus bis hin zu regelrechten kirchenpolitischen Kampfschriften, vor allem gegen die „Irrlehre“ der Reformation. In einzelnen Heften wie dem über die hl. Hedwig mit ihrer – historisch sekundär folgenden – Vertreibungsproblematik des 20. Jahrhunderts fand sich auch ein heftig formulierter Antikommunismus. Gelegentlich nutzte ein Autor auch das von ihm verfasste Heft, um persönliche Erlebnisse und Taten auszubreiten oder kunsthistorische Kenntnisse über eine Heiligenfigur zum Ausdruck zu bringen und damit das erzählte „Leben“ auf eine andere Ebene der Rezeption zu heben. Dabei war die allgemeine Verehrungsgeschichte freilich ständig präsent.

Aufgrund verschiedener Umstände, die in der Vorgeschichte der Reihe mit den beteiligten Persönlichkeiten liegen, wurde sie in Saarbrücken verlegt und gedruckt sowie in enger Zusammenarbeit mit dem – kirchlich zuständigen – bischöflichen Stuhl in Trier herausgegeben. Dessen generelle wie auf das jeweilige Manuskript bezogene Zustimmung drückte sich aus in den durchgängig dokumentierten amtskirchlichen Imprimatur-Vermerken, die in jedem Heft an prominenter Stelle abgedruckt wurden. Eine direkte textliche Unterstützung der als offiziös zu bezeichnenden Reihe durch das Bistum Trier, etwa in Gestalt von Vor- oder Geleitworten, geschah aber nur ausnahmsweise, und über eine finanzielle Unterstützung ist nichts bekannt.

Der Heftreihe lag ein Vorgänger zugrunde, sodass sie auch als „neue Folge“ bezeichnet werden könnte. Unter demselben Haupttitel Die Kirche in ihren Heiligen waren zwischen 1927 und 1929 insgesamt 21 Hefte veröffentlicht worden mitsamt dem ersten Untertitel Kirchengeschichtliche Lebensbilder für die Schule. Diese Hefte waren außen und innen unbebildert und wiesen einen erzählerischen Erlebnis- und auch Wissenscharakter, aber keinerlei Anschaulichkeit auf. Die ganze erste oder Vorgänger-Folge befand sich, ähnlich wie später die große Reihe, gegen Ende der 1920er Jahre in einem generellen Kontext großer Unsicherheit angesichts starker Veränderungen gesellschaftlicher Art und insbesondere im Hinblick auf die Struktur des staatlichen Schulunterrichts unter nach wie vor konfessioneller Prägung. Nicht ganz unähnlich stellte sich die Situation in den 1950er Jahren dar. Daraus entspringt ein Interesse, die beiden Situationen vergleichend zu betrachten und dabei die dazwischenliegenden zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland mit in den Blick zu nehmen.

Beispiele für die Entwicklung des Erscheinungsbildes der Heftreihe in den ersten Phasen ihrer Herausgabe

Als gleichermaßen interessant erweist sich aber auch die Vorgeschichte beider Reihen, die in das 19. Jahrhundert zurückreicht unter dem Leitaspekt des schulischen katholischen Religionsunterrichtes und dessen inhaltlicher und curricularer Ausrichtung über die im Mittelpunkt stehende biblische Katechese hinaus. Den Hintergrund bildeten reformpädagogische Bestrebungen der Jahre um 1900. Sie betrafen diesen Unterricht nicht zentral, streiften ihn aber doch spätestens dann, als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kritische Diskussionen auch in gesetzgeberische Initiativen der Weimarer Republik und ihrer Bürokratie einmündeten. Die drei großen pädagogischen Bewegungen nach der Jahrhundertwende, die Herbartsche Pädagogik, die Kunsterziehungs- und die Arbeitsschulbewegung wirkten sich mittelbar auch in der Praxis der katholischen Unterweisung aus in Auseinandersetzung mit den zentralen Bestrebungen der preußischen Schulrichtlinien.

Ein weiterer Schwerpunkt der folgenden Darstellung liegt im buchgestalterischen Bereich. Den Hintergrund bilden hier ästhetische Tendenzen, die sich angesichts der Wiederaufnahme demokratischer Strukturen nach den unfreien Jahren von 1933 bis 1945 in Verunsicherung befanden und veränderten. Nicht nur Tradition und Wandel des Buchdesigns (auch) im schulischen Kontext bilden hier eine Teilthematik, sondern auch retardierende oder innovative Aspekte einer im Prinzip massenhaft publizierten Gebrauchsgraphik einschließlich der Persönlichkeiten ihrer Verfertigung. Dabei kommt die ganz konkrete Frage mit in den Blick, ob die Hefte der Reihe einen zaghaften Versuch dargestellt haben, nach 1945 auch das Erscheinungsbild von Schul- und Lehrbüchern zu öffnen – zu Beginn in Richtung rückwärtsgewandter Abbildungsästhetik, die freilich rasch in Frage gestellt wurde.

Bei den Texten der Heiligenerzählungen handelte es sich um Legenden in des Wortes engster Bedeutung: um zumeist fiktive und literarisch unterschiedlich bearbeitete Lebensbeschreibungen heiliggesprochener Personen. Eine „Psychologie der Legende“ als Gattung hat seit langem ein hintergründig-schwieriges Thema theologischer Dispute dargestellt. Ursprünglich sind die Legenden keine Gattung der mündlichen Volkserzählung gewesen, sondern stellten etwas „zu Lesendes“ dar: „Die Legende existierte primär im lauten Vorgelesenwerden und sie konnte deshalb auch leicht in die Form der Volkserzählung überwechseln.“1

Es erscheint interessant, dass die Legende in der Heftreihe Die Kirche in ihren Heiligen offenbar nach oft jahrhundertelanger Überlieferung auch und vor allem mündlich-erzählerischer Natur in der Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer freilich neuen, systematisch angelegten, Text und Bild vereinigenden Verschriftlichung zurückgekehrt ist, denn das Vorgelesenwerden bildete sicherlich auch hier einen wesentlichen Faktor. Allerdings dürfte diese Legendendarstellung für eine kulturwissenschaftliche Frömmigkeitsforschung, die nach der Identität von religiösem und weltlichem Leben – oder: nach der Einheit von Religion und „Sittlichkeit“ – fragt, angesichts ihres Nischencharakters kaum noch einen Untersuchungsgegenstand darstellen. Vielleicht gilt dies mit Ausnahme der nach wie vor zu stellenden „sozialen Frage“ in einer relikthaft verbreiteten Heiligenverehrung, der Frage nach dem Zusammenspiel von Frömmigkeit und Bildung in einer zuerst nach Selbstvergewisserung strebenden und später multikulturellen Gesellschaft.2 Die konkrete Rezeption der hier behandelten Heftreihe dürfte sich freilich auch vor diesem Hintergrund kaum noch empirisch untersuchen lassen.

Neben den Erzähltexten, die durchweg aus bekannten Heiligenlegenden schöpften, aber auch selbst in unterschiedlicher Weise literarisch-schöpferisch angelegt sein konnten, sowie ihren Autorinnen und Autoren werden vor allem die Titelbilder der Hefte, deren Binnenillustrationen und die künstlerisch tätigen Personen in den Blick genommen, die in der kurzen Zeitspanne weniger Jahre, sogar auch parallel nebeneinander, das Gesicht der Reihe bestimmt und zu verändern versucht haben. Dabei erweisen sich, bei genauerem Hinschauen, sechs Personen als wichtig für die Heftreihe, bevor diese – wohl nach insgesamt geringem Erfolg – eingestellt wurde und damit als ein übergangsartiges Publikationsunternehmen der 1950er Jahre anzusehen ist, denn Nachauflagen oder Neuausgaben hat es späterhin nicht mehr gegeben.

Herausgegeben und begründet wurde die erste Folge der Reihe von Heinrich Faßbinder, einem Geistlichen des Bistums Trier, Schriftsteller und zu Beginn auch Religionslehrer. Die neue, stark erweiterte Folge mit ihrem vollkommen veränderten visuellen Erscheinungsbild gab knapp 30 Jahre später Jakob Szliska heraus, bei dem es sich ebenfalls um einen Schulmann gehandelt hat. Er übernahm als Herausgeber die Reihe von Faßbinder, der das weitere Erscheinen zustimmend begleitet hat, ohne noch erkennbaren Einfluss zu nehmen.

Szliskas weltanschauliche und politische Grundeinstellung, seine nationalistischen schriftstellerischen Aktivitäten bereits im Saarkampf und in der nationalsozialistischen Folgezeit sowie sein gesamtes berufliches Verhalten während der NS-Zeit führten dazu, dass er nach 1945 frühpensioniert wurde, freilich – wie hier – als freischaffender Schriftsteller und Journalist tätig blieb. Bei der dritten an der Reihenherausgabe direkt beteiligten Person handelte es sich um Heinrich Maria Krueckemeyer, einen mit den beiden vorgenannten Männern sicherlich befreundeten, ebenfalls promovierten Verleger in Saarbrücken, der in seinem Druck- und Verlagsbetrieb für die Produktion der Hefte sorgte. Auch Krueckemeyer war schriftstellerisch aktiv.

Die Reihe ist mit diesen drei Persönlichkeiten unmittelbar verbunden, deren kirchennahe Zusammenarbeit über mehrere Jahrzehnte hinweg sehr eng war, wie zahlreiche Publikationen erweisen. Doch stellt sich das Leben der drei Publizisten in den etwa 15 Jahren zwischen der ersten und zweiten Herausgabe der Reihe als sehr unterschiedlich dar, wie die nachfolgenden Blicke auf die Biographien und Schriften von Heinrich Faßbinder, Jakob Szliska und Heinrich Krueckemeyer zu zeigen vermögen.3

Bei den drei weiteren, für die Reihe wichtigen Personen handelt es sich um Gestalterinnen und Gestalter. Die beiden Ordensfrauen Martina Senger, die auf eine künstlerische Ausbildung zurückblicken konnte und das anfängliche Grundlayout der Reihe entwarf, und Anselma Wehner prägten eine Zeitlang und grundlegend den Stil der Heftillustrationen. Mit Ludwig Barth, der wenig später als ausgewiesener Maler und Graphiker mit seinen Entwürfen und seinem Stil ähnlich bildprägend wurde, öffnete sich die Gestaltung, und kurz danach traten weitere Illustratorinnen und Illustratoren, in geringerem Umfang, hinzu.

Allen sechs Personen soll nachfolgend, im Anschluss an das Nachzeichnen der Vorgeschichte der Reihe, ein gewisses Interesse gelten, das allerdings keine verästelte personenbezogene Archivrecherche beinhaltet, sondern bei den vier männlichen Protagonisten im Wesentlichen auf gedruckten Quellen basiert, bei Heinrich Faßbinder unterstützt durch freundliche Auskünfte des Bistumsarchiv Trier sowie im Falle der beiden Ordensfrauen ergänzt um zuvorkommend bereitgestellte biographische Informationen der beiden Klöster, denen sie zugehörten. Ziel ist es, eine einigermaßen facettenreiche zeitgeschichtliche Einordnung der Heftreihe zu ermöglichen, die sich offenkundig zum Ziel genommen hatte, mit den Heiligenlegenden kirchlich sanktionierte Gegenstände der Volksfrömmigkeit in einer neuen publizistischen Form als Wissens- und Glaubensstoff anzubieten vor dem Hintergrund eines „neu handelnden Katholizismus“.

Als einer von zahlreichen Versuchen, pädagogisch, publizistisch und literarisch in der letzten unmittelbaren Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland anzuknüpfen an vor-nationalsozialistische Muster, Normen, Traditionen und Wahrnehmungsweisen, wird die Heftreihe nachfolgend betrachtet. Denn in geistesgeschichtlicher, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht stellte sie nicht zuletzt auch einen Faktor dar im Prozess des Wiederaufgreifens des Katholizismus nach den Kirchenkämpfen der 1930er Jahre. Den Legendenerzählungen der Heftreihe soll ein gewisses Interesse gelten, mehr noch aber ihren Formen und Entstehungsumständen im Umfeld von Kirche, Schule und Kunst.

Vom erkenntnisfördernden Moment des Sammelns

Die kollektionierende Zusammenstellung von 110 Heften der gemeinhin sicherlich gern als Religionskitsch bezeichneten Reihe Die Kirche in ihren Heiligen entsprang, zumindest ursprünglich, nicht einer erkenntnisbezogenen Neugier am Themenkomplex Heiligenkult und Schule, sondern einer ziemlich unspezifischen Lust am Sammeln und Freude am Buch. Hier wie auch sonst setzte das Sammeln, analytisch formuliert: im Sinne eines performatives Kulturmusters, sowohl das Grundelement des Gleichartigen der Erscheinungsform als auch das Einzelelement der Variation voraus. Eine nähere Neugier an der Thematik entstand erst, nachdem die vielbeschriebene Lust am Sammeln, hier der vielzahlig-umfangreichen und insgesamt doch überschaubaren Heftreihe, befriedigt war: Sie schien vollständig und das allgemeine Ziel vieler Sammlerinnen, Sammler und Sammlungen schien damit erreicht zu sein. Zugleich wuchs freilich die Zahl und Qualität der Fragen.

Rasch fiel ins Auge, dass es sich beim äußeren Erscheinungsbild der Reihe um zwei generelle Varianten der Umschlaggestaltung gehandelt hat bei einer erhalten bleibenden Einheitlichkeit im Sinne von Zugehörigkeit und Wiedererkennung. Der erste Schritt bestand dann darin, die beiden gestalterischen Formvarianten zu chronologisieren und die formal strenge und einheitliche Darstellungsform der Heiligenfiguren als Ausgangsform zu erkennen, welcher in einem zweiten Schritt individuelle Einzelgestaltungen gefolgt sind. Hieraus ergaben sich Fragen nach den Gründen für diesen Wechsel sowie Interessen bezüglich der jeweils beauftragten Künstlerinnen, Graphiker oder Illustratoren, aber auch grundsätzlicher danach, wie und wo in einer Geschichte des „niederen Bildes“, des popularen bis populären und durchweg reproduzierten Bildes aus industriellmaschineller Massenproduktion, die Heftreihe angesiedelt werden kann. Denn es sah so aus, dass die Reihe aufgrund sowohl ihres Inhaltes als auch ihres Erscheinungsbildes geradezu als ein Paradebeispiel einer Beschäftigung mit dem hier so genannten niederen Bild gelten könnte. In diesem Fall galt es, sich der Popularisierung von Kunst nicht durch schlichte Reproduktion, sondern durch Nachahmung und Umzeichnung bei großer Vorsicht bezüglich jeder Neuschöpfung zu nähern – dem nicht nur traditionell und erzählerisch-episch überlieferten, sondern auch dem kirchlich-dogmatisch festgelegten Inhalt entsprechend.

Zugleich wuchs der Wunsch, den Inhalten und dem Konzept der Reihe im Rahmen ihrer zeit-, geistes-, kultur- und nicht zuletzt pädagogikgeschichtlichen Einordnung näher auf die Spur zu kommen. Schon beim Sammeln der Hefte selbst hatte sich herausgestellt, dass es eine vorgängerartige Ausgabe der Reihe gegeben haben musste. Deren Erscheinungsbild war ungleich schlichter und deren Zusammenstellung (als zweite, weniger umfangreiche Sammlung) gestaltete sich schwieriger, was unter anderem auf kleine Auflagen und geringe Absatzzahlen schließen ließ. Zugleich wuchs die Neugier, was sich in den etwa 30 Jahren zwischen den beiden Herausgabezeitpunkten, den 1920er und 1950er Jahren, in inhaltlicher Hinsicht der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung mit ihren zahlreichen Facetten ereignet hatte.

Inzwischen hatten sich die zentralen inhaltlichen Begrifflichkeiten der Reihe herausgeschält, deren Verbindung die eigentlich Struktur der Heftreihe ausgemacht hat. Der Heiligenverehrung in Kult und Legenden in und außerhalb der Kirche gesellten sich die konfessionelle Erziehung, der Schulunterricht mit den Fächern Religion, Anschauungsunterricht und Heimatkunde sowie die schul- und kirchenpolitische Komponente als inhaltlich-thematischer Rahmen hinzu. Rückschreitend öffneten sich weitere relevante Felder, nicht zuletzt auch in Richtung Kunstverständnis.

Denn der Vorgängerreihe von 1927 bis 1929 vorausgegangen war wiederum ein Vorläufer, der in Text und Bild einen anderen Weg eingeschlagen zu haben schien. Das Buch Bilder aus dem Leben der Heiligen für die Schule von Nikolaus Faßbinder aus dem Jahr 1914 vermochte den Blick noch weiter zurück zu öffnen auf den Themenkomplex Religion, Kunst und Schule, der bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine immer größere Relevanz erhalten hat.

Einen Übergang markierte dann schließlich ein relativ kleiner „innerkirchlicher“ Artikel aus dem Jahr 1908, betitelt Die Heiligenlegende in der Schule von Jakob Murböck. Der Aufsatz verwies einerseits auf die noch ältere Vorgeschichte des Themas vor 1900 und entpuppte sich zugleich letztlich als Ideengeber für die hier behandelten, konkreten Publikationen bis hinein in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Sammlung selbst der Heftreihe veränderte in diesem Prozess ein Stück weit ihren Status vom Objekt der Begierde (auch mit der Ausweitung auf ästhetische Po[pu]larisierung) hin zu einem aussagekräftigen Indikator für die Verschränktheit verschiedenartiger kultureller Aspekte vor gewandelten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Zur Heiligenverehrung und -legende in Kirche, Kult und Brauch

Bis heute ist die Verehrung von Heiligen mit tradierten, oft regional oder lokal verankerten Kulturelementen manchenorts ein fester Bestandteil vielleicht des katholischen Glaubens-, jedenfalls aber Fest- und Brauchlebens. Ihre Intensität hat im Verlauf des 20. Jahrhunderts allerdings stark abgenommen. Die populare, sogenannte volkstümliche Heiligenverehrung mit Wallfahrten und Prozessionen als zentralen Merkmalen brauchbezogener kollektiver Handlungen einer Glaubensgemeinschaft bildete über viele Jahrzehnte hinweg ein wichtiges Thema kulturwissenschaftlicher – damals noch: volkskundlicher – Untersuchungen, bis hin zur empirischen Analyse der Heiligenverehrung in der Gegenwart gegen Ende der 1960er Jahre, in einer Zeit des Übergangs.4 Untersuchungen und Darstellungen zum aktuellen Wandel der Volksfrömmigkeit, etwa auch zu Wallfahrten von Heimatvertriebenen, lösten ältere Forschungsschwerpunkte wie die Hagiographie und Patrozinienkunde ab, die darin bestanden hatten, historisch-zeitliche Schichten der Heiligenverehrung anhand der Namen von Kirchenpatronaten und Ortskulten zu verfolgen – als Indiz für die seinerzeitige Missionsgeschichte und zugleich als Zeugnis der Siedlungsgeschichte zumeist des Mittelalters.

Als allgemeingültig-offizielle Meinung der katholischen Kirche des 20. Jahrhunderts darf folgendes Zitat genommen werden: „Die Kirche lehrt: Es ist gut und nützlich, die Heiligen zu verehren.“ Ähnlich lautet eine Zielformulierung aus einem Lehrstück des Katechismus: „Einordnung der Heiligenverehrung in das übrige Glaubensleben und Verständnis der richtigen Heiligenverehrung, welche am Diözesanpatron gezeigt wird.“ Mit solchen klaren Formulierungen „sollte“, so die Fortsetzung, „dem Vorwurf eines Übermaßes an Heiligenverehrung oder gar Heiligenanbetung entgegengetreten werden.“

Die Heiligenverehrung, der dennoch oft geradezu „riesige Ausmaße“ auch an Anbetung zugesprochen worden sind, hat sicher allgemein einen unabdingbaren Bestandteil des mittelalterlichen religiösen Lebens gebildet. Als Kern (im Eucharistischen Hochgebet nach dem Canon Missae) werden seitdem 40 Kanonheilige angesehen, die gemeinsam mit Maria und Joseph im Mittelpunkt der kirchlichen Lehre stehen. Ihre Auflistung überschneidet sich nur zum Teil mit der Zusammenstellung von Volksheiligen, denen im historischen Ablauf aufgrund einer sich oft interessant entwickelnden Beliebtheit besonders starke Verehrung entgegengebracht wurde und wird.

Den als typisch angesehenen starken regionalen Schwerpunkten, den Räumen und Schichten mittelalterlicher Heiligenverehrung5, gesellten sich erst etwas später auch die inhaltlichen „Sonderaufgaben“ bestimmter Heiliger hinzu, indem sie nach dem Glauben breiter Bevölkerungsschichten klar festgelegte Krankheiten heilen oder in ganz bestimmten Lebenssituationen Schutz bieten konnten, was zur kultischen Verehrung in und außerhalb von Kirchen beitrug. Diese „Instrumentalisierung der Welt der Heiligen“ durch die Kirche und im Alltagsleben passte sich im Lauf der Zeit immer wieder den jeweiligen politisch-gesellschaftlichen wie auch kulturell-medialen Verhältnissen an.6

Die Nachfolge Christi blieb in diesem Prozess, der zunehmend den Status eines Eigenlebens erhielt, nicht selten auf der Strecke zugunsten von Vorlieben und Neigungen der Legendenleserschaft und -hörerschaft. Der Wunderglaube in Verbindung mit regionaler oder gar lokaler Nähe bis hin zu körperlichen Formen kultischer Berührung entwickelte höchste Wirkung vor allem dann, wenn schädigende äußere Einflüsse zu bewältigen, drohende Gewalten aus Natur oder Gesellschaft abzuwenden waren. Die jeweilige Heiligenfigur blieb nicht unnahbar, sondern wurde vereinnahmt und trug zur identitären Festigung der Verbindung zwischen den spirituellen Glaubensinhalten, der Institution Kirche und großer Bevölkerungsteile mit geringer Bildung bei. Abergläubische und magische bis hin zu verschwörungstheoretischen Aspekten (nach heutiger Begrifflichkeit) konnten hier mit hineinspielen beim Umgang mit Bedrohungsszenarien und unbeherrschbaren Über-Lebensrisiken.

Wo die praktizierten und rituell festgelegten Brauchhandlungen der teilnehmenden Glaubensgemeinde oder des Kirchenvolkes zu verorten waren zwischen kirchlich-liturgischer Vorgabe, gemeinschafts-kultischem Ritus, individueller Anrufung einer Heiligengestalt in Notfällen und bürgerlichem Feiergebaren bis hin zu einer profanen Feststruktur im Jahreslauf, bildete eine volkskundliche Fragestellung, die sich der, historisch gesehen, verbreiteten Frömmigkeit mitsamt ihrer zweifellos großen Kontinuität in einer sich verändernden Welt widmete. Dabei hatten diese Veränderungen mit der Industrialisierung, Verstädterung und sozialen Umschichtung immer größerer Bevölkerungsgruppen bereits im 19. Jahrhundert ihren Anfang genommen. Ob und wie religiöse Neuorientierungen darin eine Rolle spielen konnten bis hin zu reformerischen oder modernisierenden Formen bei gleichbleibenden Grundmustern, blieb allerdings eine zumeist nur theoretisierend gestellte Frage unter dem Rubrum Wiederkehr der Volksfrömmigkeit?. Um das Schlagwort vom Verlust alten religiösen Brauchtums wurde dabei von allen Seiten ein möglichst großer Bogen gemacht ob der Gefahr, von vornherein einseitig zu bewerten.

Ein etwas näherer, exemplarischer Blick auf die Verhältnisse im Rheinland offenbart das durchaus historischen Veränderungen unterliegende Wechselspiel zwischen kirchlichobrigkeitlicher Einflussnahme und dem Eigenleben tradierter Brauchelemente sowie der ihnen zugrundeliegenden religiösen Haltung des Volksglaubens. Dabei hat das unterschiedliche Agieren der Bistümer Köln und Trier im Hinblick auf die Propagierung von Heiligen und die jeweilige Praxis ihrer Kulte zu differenten Strukturen geführt, die sich etwa auch in Verbreitungskarten und ihrer historischen Herleitung erweisen ließen.

„Das Verbreitungsbild vom Kult der Trierer Heiligen sieht in jedem Falle ganz anders aus als bei Köln oder dem Maasland.“7 Im Ausgangsgebiet der hier behandelten Heftreihe, denn als solches darf der Kirchenraum Trier-Saarbrücken bezeichnet werden, zählte in historischer Zeit etwa der hl. Maximin zu den wichtigsten Kultheiligen, der seit dem 18. Jahrhundert vollständig verschwunden ist. „Weder Sagen noch Legenden künden von der Tätigkeit und dem Kult des Heiligen im Trierer Lande; er lebt nicht mehr beim Volke.“8 Andersartige Entwicklungen des kirchenamtlichen Umgangs und des Kultgeschehens betrafen den hl. Maternus, der sich phasenweise geradezu zu einem Trierer Heiligen entwickelte, zumal „Trier während des Mittelalters im Rufe stand, dass sein Boden mit unzähligen Leibern von Heiligen gesegnet sei, und zwar lange, bevor Köln in diesen Ruf kam.“9

Historische Heiligenkulte erweisen sich nicht nur in den vielerorts (und in beiden großen Konfessionen) erhalten gebliebenen Heiligentiteln zahlreicher Kirchen, sondern vor allem im Wallfahrts- oder Votivwesen rund um verschiedene Gnadenstätten und Kultobjekte. Einzurechnen sind das Selbstverständnis bei den Ausübenden mit deren Glaubensmustern an die überlieferten Wunder und Tugenden (aufgrund welcher Einflüsse auch immer) sowie stets auch die oft weit zurückreichenden Grundlagen in Gestalt von kirchlich-offiziösen, schriftlichen und gedruckten Vorgaben, Anleitungen und Hilfen. Zwischen Brauch und Vorgaben bestand wohl immer schon ein Wechselspiel – bis hin zur sogenannten „Propaganda am kirchlichen Schriftenstand“ von Wallfahrten mit der oft als berüchtigt kritisierten Vielzahl von Heiligentraktaten. Deren beide Hauptkategorien waren, in verkürzter Sehweise, die Andachtsbüchlein und die Heiligenlegenden. In gewisser Weise stellte dieses Wechselspiel mit der Nutzung von Massenlesestoffen, aber auch Massenbildangeboten wie den Heiligenbildchen, eine Art mediales Gerüst dar innerhalb der Grundstruktur katholischer Glaubenspropagierung über die gottesdienstliche Verkündigung hinaus.

Stand die Kenntnis der Bibel im Mittelpunkt jeder verkündigenden, bildungsbezogenen und erzieherischen Beschäftigung im Rahmen religiöser Lebensbetreuung und Volkskatechese, so gab es mit den Heiligengestalten inhaltliche Elemente, die sich eigentlich an der Peripherie kirchlicher Unterweisung befanden, wenn die populären Ausformungen ihrer kultischen oder gar abergläubischen Verehrung bis Anbetung nicht sogar weit über den amtskirchlichen Willen hinausgingen. Die kanonisierten und generell als historische Vorbilder für die persönliche Lebensführung dargestellten Heiligen in ihrer Gesamtheit sind denn auch zuweilen als ein Epi-Phänomen der Kirche angesprochen worden.

Einer ersten Welle von Legendenbildungen um das 4. bis 6. Jahrhundert hatte sich im Mittelalter und insbesondere nach dem Konzil von Trient (1545-63) als Reaktion auf die Reformation eine große Anzahl von Initiativen der Heiligenverehrung hinzugesellt. Mit dem Wirken von Ignatius von Loyola (1491-1556), dem Begründer des Jesuitenordens, im Mittelpunkt ist die nachtridentinische Zeit, als Antwort auf das Jahrhundert der Reformation, in der katholischen Kirche manchmal geradezu als Jahrhundert der Heiligen9a bezeichnet worden mit einer weiteren Standardisierung des Elementes der Heiligsprechung.

Dass die Verehrung und kultisch-rituell-brauchbezogene Vereinnahmung einzelner Heiligenfiguren vielerorts eine solch intensive Tradition aufbauen konnte, bildete von alters her eine Art erfolgreiche Verbindung zwischen gottesdienstlichem und alltäglichem Leben. Diese Verbindung wurde seitens der Kirche gern für den Aufbau und den Erhalt von Bindungen und die Schaffung von Gruppenidentitäten unter dem Schirm gemeinsamer Religionsausübung und auch kirchlicher Meinungsführerschaft in Anspruch genommen. Patronate halfen dabei ähnlich nachhaltig wie Legendenbildungen.

Dabei war – spätestens im 20. Jahrhundert – oft schwer zu unterscheiden zwischen der transzendenten Bedeutung von Heiligen, etwa im Sinne von Fürbittenden oder Schutzhelfern, und ihren – häufig zugewiesenen – Funktionen als religiösen Imitationsfiguren oder Bewährungshelfern im Rahmen eher alltagsweltlich gedachter Bezüge und unter nicht selten sozialen oder caritativ-diakonischen Aspekten. Das verbreitete Votivwesen sei als an dieser Stelle zugehörig nur noch einmal genannt.

Bei der stetig zurückgehenden Bedeutung der Heiligen als ehemals durchaus schöpferischen Vorbildern für eine von Gott, Gottessohn und Gottesmutter übertragene Heiligkeit in der – sowohl kirchlichen als auch individuellen – Religionsausübung blieb an dieser Stelle, im Verlauf des 20. Jahrhunderts, eine Zweipoligkeit mit wechselnden Schwerpunkten erhalten. Mit den Polen umrissen wurde die Heiligenverehrung als Erziehungskult mit bildungsbezogenen, didaktischen und dogmatisch-pädagogischen Gesichtspunkten sowie als Beziehungskult mit Verbindungen zu Frömmigkeitsformen, die – sowohl kollektiv als auch individuell gemeint und praktiziert – nicht direkt mit den kirchlichen Vorgaben und Lehrmeinungen zusammenpassen mussten.

Für die Kirche bestanden hier, gerade während eines langfristigen Veränderungsprozesses, zugleich Chancen und Gefahren, letztere bestehend aus allzu eigenständigen kulturellen Transformationen im und aus dem Kreis der Gläubigen, die – ein altes religiöses wie kirchliches Thema – in Aberglauben und Vorstellungen von Magie und sinnlich gelebter Heilserwartung sowie deren nachfolgenden Handlungsmustern einmünden konnten. Die Frage von seinerzeit geübten magischen Praktiken mit einzelnen Heiligen, vielfach belegt zumindest bis zur Aufklärung, soll hier nicht weiterverfolgt werden. Eine solche „direkte und interpretative Aneignung von kirchlichen Doktrinen und Wissensbeständen“10 konnte un- oder fehlgesteuert zu jeder Zeit zu missverständlichen Konsequenzen führen, etwa auch zum Phänomen der heimlichen Wallfahrt oder auch nur zur Abkehr vom amtskirchlichen Gebot der Befolgung der reinen Lehre.

Innerhalb der gesamten katholischen Glaubensgemeinschaft vermochten Heiligengestalten, verehrt etwa als schützende Gebiets-, Diözesan-, Orts- oder Kirchpatrone, neben den großen Heiligenfiguren der Kirchengeschichte, den Kanonheiligen, so etwas wie eine Binnengliederung zu schaffen oder zu dieser beizutragen, ganz im Sinne einer religiösen Heimat neben weiteren Aspekten regionaler und sozialräumlicher Identität – wenn man den Aspekt des sportlichen Miteinander-Wetteiferns an dieser Stelle auch nicht ganz ernsthaft anfügen könnte. Die seinerzeitige religiöse Volkskunde prägte dazu den – inhaltlich verkürzenden – Begriff der Sakrallandschaft. Wenn man hier den Begriff Kirchenvolkskultur anfügt, dann schließt dieser die Strukturen und Prozesse der sozialen Binnendifferenzierung sowohl zu Zeiten des Mittelalters als auch im 18. und 19. Jahrhundert ein – ohne dass diese hier im Mittelpunkt stehen. Das von Glaubensvorstellungen, -normen und -werten geprägte oder mitbedingte soziale Handeln (bis hin zur standardisierten Ausbildung dazu) hat aus kollektiven lebensweltlichen Erfahrungen heraus in einem festgefügten Zusammenhang als Kontinuum funktioniert.

Diese allgemeine Sachlage oder die so bezeichnete „übergreifende symbolische Ordnung des katholisch tradierten Lebensweltsystems“ konnte als selbstverständlich erachtet werden, solange sie nicht infrage gestellt wurde durch zeitgenössische publizistische oder spätere fachwissenschaftliche Kritik oder durch die zunehmende Abstinenz von Gläubigen – als zum Beispiel viele Fuß-Wallfahrten von Bus-Wallfahrten abgelöst wurden und das Schlagwort vom Pilger-Tourismus geboren war.

Trotz aller Kritik bestehen geblieben ist bis heute der riesige Kosmos der kanonisierten Welt der Heiligen, deren mehr oder weniger kultische Verehrung durch Approbation anerkannt ist und trotz vielfältigster Veränderungen bestätigt bleibt. Nach dem kirchenoffiziellen Martyrologium Romanum gibt es derzeit mehr als 6650 Heilige und Selige sowie 7400 Märtyrer – solche geradezu inflationären Zahlen allein erweisen bereits die Problematik, den christlich-monotheistischen Gottesglauben mit den Bedürfnissen persönlicher und kollektiver Frömmigkeit und Spiritualität oder auch lokaler Gruppenidentität zu vereinbaren.

Mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des beginnenden 20. Jahrhunderts hatte nicht nur die vollgesellschaftlich akzeptierte Orientierung an der Bibel, sondern auch das Kaleidoskop einer kanonisierten Heiligenwelt einer Infragestellung entgegen zu gehen begonnen – und auch, wenn auch nicht unbedingt sogleich und auf einer anderen Ebene, der sogenannte „seltsam besetzte“, aber doch angeeignete „Heiligenhimmel des gläubigen Volkes“11. Was in den 15 Jahren der Weimarer Republik an vielen Stellen als – umstrittene und kontrovers diskutierte – Liberalisierungstendenz wahrnehmbar wurde, mündete ab 1933 meistenteils in komplette Verbote seitens der nationalsozialistischen Machthaber. Betroffen davon war das gesamte religiöse, vor allem aber das kirchenoffizielle Leben, denn neben den tiefgreifenden Sanktionen auf den höheren Ebenen der Publizistik, der Kirchenpolitik und der gottesdienstlichen Praxis ließen sich die popularen und zumeist auch populären Formen der brauchgemäßen Glaubensausübung weit weniger deutlich beeinflussen, obgleich auch diese unter dem ideologischen Druck stark litten.

Als es nach 1945 darum ging, das kirchlich-religiöse Leben zu reaktivieren, standen die Heiligengestalten der Kirchengeschichte nicht im Mittelpunkt – es ging um gesellschaftliche Teilhabe, politische Verankerung, Gottesdienst, biblischen Religionsunterricht und weitere Themen. Erst im Rahmen eines zweiten Zugriffs bezog sich der Blick, zumindest eine Zeit lang, auch auf die Heiligen und angesichts ihrer erhalten gebliebenen Präsenz vor Ort auf ihr großes Potential an Frömmigkeitsbezug, spirituellem Erlebnis, Emotionalität und Heimatbewusstsein. Ein der Welt der Kirchenheiligen stets immanenter psychologischer Faktor fand sich gleichsam reanimiert, indem ihre – von einschlägigen katholischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern wie Ida Friederike Görres12 konstatierte – „genialische, romantische oder künstlerische Ergiebigkeit“13 aus einer defensiven Grundhaltung heraus noch einmal eingefordert wurde.

Die hier etwas breiter eingeführte, wiederaufgreifende Beschäftigung mit überkommenen Heiligenlegenden sollte auch der religiösen Bildung dienen – allerdings (nach wie vor) weniger in Richtung historischen Wissens, sondern mehr gedacht als gefühlsmächtig angelegte Bindung an die Kirche. Hier lag ein wesentlicher Unterschied etwa auch zur Auffassung des Protestantismus, dem die Heiligen bis heute als geschichtliche Zeugen für Gottes Kraft und Gnade in einer Glaubensgemeinschaft gelten, ohne aber Eigenwert mit Anrufungskraft im christlichen Glaubensleben zu besitzen.