Postkartenalben und weibliches Sammeln - Kurt Dröge - E-Book

Postkartenalben und weibliches Sammeln E-Book

Kurt Dröge

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Beschreibung

In einer relativ kurzen Zeitspanne, die kurz vor 1900 begann und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs reichte, bestand eine breite gesellschaftliche Begeisterung für die Mode, Bildpostkarten vielfältigster Art zu schreiben und zu versenden. Zu ihrer Aufbewahrung wurden geradezu massenhaft Postkartenalben angeschafft und in Gestalt von Sammlungen gefüllt. Männer und Frauen waren daran beteiligt. Ihnen wurden geschlechtsspezifische Sammelmethoden zugesprochen. Postkartensammelnde Frauen als attraktive Abbildungen auf Albendeckeln bilden einen direkten Fingerzeig. Erhalten gebliebene Alben, die von jungen Frauen angelegt worden sind, dienen als Grundlage der Darstellung, die sich dem weiblichen Sammeln bis vor 100 Jahren widmet.

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Inhalt

Einführung

Zur Kultur der Bildpostkarte

Anmerkungen zum Sammeln

„Weibliches“ Postkarten-Sammeln: Annäherungen

Alben für Frauen

Ein Katalog ausgewählter Beispiele

Alben von Frauen: ein Dutzend Lebensspuren

Elfriede Schulte zur Oven

Die Freundinnen-Post

Pauline Krösche

In Stellung als Dienstmädchen

Else Ebbecke

Lebensspuren einer Försterstochter

„Frau Hermann Fütterer“

Vom Mädchen- zum Familienalbum

Frieda Mäser

Anspruch und Wirklichkeit einer Stellmacherstochter

Elisabeth Bredehöft

Die fleißige Schülerin

Emma Schmiedl

Fabrikarbeit und Schwesternalbum

Emma Strobel

Der Krieg als Auslöser für sporadisches Kartenschreiben

Wilhelmine Tappe

Die Aneignung des Weltgeschehens durch eine Dienstmagd

Kamilla Wünsche

Eine Album-Übergabe

Anna Harm

Die mecklenburgische Büdner-Tochter

Elisabeth Bischoff

Das Taschenalbum als Foto-Schachtel

Zusammenführung: Frauenalben zwischen 1898 und 1918

Anmerkungen

Nachwort

Einführung

Über die Phase der weltweit zu beobachtenden Postkarten-Begeisterung um 1900 ist vielfach geschrieben worden, etwa dass das Schreiben von Postkarten für immer breitere Bevölkerungskreise zur nahezu täglichen Gewohnheit wurde und nicht nur Männer, sondern auch Frauen von dieser „sportlichen Leidenschaft“ erfasst waren. In der Tat künden davon bis heute Millionen von Karten und Tausende von Postkartenalben, die der Aufbewahrung, Sammlung und Präsentation der Stücke dienten.

Schaut man näher auf Quellenauswertungen, mit deren Hilfe sich die Annahme erhärten ließe, auch Frauen seien maßgeblich nicht nur am Schreiben, sondern auch am Sammeln beteiligt gewesen, so lassen sich bisher nur wenige substantielle Aussagen finden. Zumeist sind dies „immer dieselben“ pauschalen – sowie zum Teil auch anekdotenhaften oder widersprüchlichen – Darlegungen, die irgendwann einmal aus der seinerzeitigen Fach-Literatur für Postkarten-Sammler entnommen wurden. Eine solche Anekdote aus einer Ansichtskarten-Publikation des späteren 19. Jahrhunderts wird seit Jahrzehnten in manchmal leicht abgeänderter Form wiederholt und ist zu einer Art Lexikon-Plattitüde verkommen: „Eine leidenschaftliche Dame schrieb Namen und Adresse auf den Rand eines Hundertmarkscheines und bat um eine Ansichtskarte für ihre Sammlung.“1

Sozusagen umgekehrt soll es bereits um 1900 Berichte über Sendungen von Postkarten an Sammler gegeben haben, die der jeweiligen Ehefrau in die Hände fielen und bei dieser Ärger auslösten.

Damit klingt ein Stereotyp an, welches existiert, seit es, allgemein und nicht nur auf Postkarten bezogen, „den Sammler“ als Figur der Moderne gibt: die Frau des Sammlers als Ignorantin.2 Kolportiert wird hier, anekdotenhaft und dennoch bedenkenswert, die berüchtigte Eifersucht der Ehefrau „des Sammlers“ auf das Schöne und die Erfüllung, die ihr Mann beim Sammeln empfindet, vor allem auf die Zeit, die er damit verbringt.

Daraus ist bereits früh die psychologisierende und rollenbildhafte Hypothese entstanden, dass die fehlende Zuwendung des Sammlers gegenüber seiner Ehefrau zu einer „Gegen-Sammlung“ von Kleidungsstücken führt oder führen kann - nicht ohne Auswirkungen auf die Entwicklung der Mode in der Moderne.3 Damit kommen die Inhalte des Sammelns generell in den Blick: „Wie bedeutsam ist es, dass kaum Männer Fingerhüte oder Puppen oder Stickereien sammeln und nur sehr wenige Frauen Werkzeuge oder Dampfmaschinen?“4

Zweifellos gibt es geschlechtsspezifische Vorlieben, die mit der Stofflichkeit und Materialität des Sammelgutes zusammen hängen und direkt auf den Hintergrund der geschlechtsspezifischen Sozialisierung verweisen. Hier verbinden sich soziale und gendersozialisierende Aspekte mit einander, so dass in der „Kultur des Sammelns“ durchgängig „feine Unterschiede“ zum Tragen kommen, woraus dann „edleres“ und weniger edles Sammelgut resultieren kann.5

Fragt man jenseits dieser schwierigen, weil auch klischeebeladenen Ebene konkreter und intensiver nach, von wann bis wann auch Frauen Postkarten gesammelt haben, um welche Frauen es sich gehandelt hat, ob Veränderungen in diesem „weiblichen Sammelsport“ sichtbar werden, ob und warum er ein maßgeblicher Teil der Postkarten-Kultur gewesen sein könnte, oder auch, wie die Postkarten- und Alben-Industrie auf ihre weibliche Konsumentenschaft reagiert hat, so fehlen Antworten. Ihnen will sich das vorliegende Büchlein annähern.

Das geschieht auf drei Wegen. Der erste enthält einige Anmerkungen zur „Anthropologie des Sammelns“ sowie eine Literaturschau zum historischen Postkartenwesen unter dem hauptsächlichen (eigentlich: alleinigen) Gesichtspunkt des Geschlechts der sammelnden Personen. Befragt wurde nicht nur die „Sammler-Literatur“ des letzten Säkulums, sondern auch durchweg jüngere wissenschaftliche Fachliteratur verschiedener Disziplinen, wenngleich diese, auf das Thema bezogen, dünn an Zahl ist.

Der zweite und der dritte Weg bilden induktive Methoden und gehen von den Objekten des Sammelns aus, allerdings weniger von einzelnen Karten, die kaum weiterführende Erkenntnis versprechen, sondern mehr von Postkartenalben, die überkommen sind und als Quelle nutzbar gemacht werden können. Im Zentrum einer entsprechenden – bezüglich des historischen Themas: erneuten – Sammeltätigkeit stehen Alben, deren Aussehen sie unschwer als weiblich orientiert qualifizieren lässt: Auf ihnen sind Frauen abgebildet, noch dazu häufig solche, die sich erkennbar und identifikationsheischend dem Vergnügen des Schreibens, Sammelns und Hortens von Postkarten hingeben. Die Produzenten von Alben hatten – zumindest hier – sicher die Frauen als Zielgruppe vor Augen.

Nicht das Aussehen und die ästhetische Wirkung, sondern der Inhalt von Alben, die Gesamtheit der gesammelten Postkarten, steht im Mittelpunkt des dritten Zugriffsweges. Er ist deshalb am schwierigsten, weil die allermeisten Alben in den letzten etwa 50 Jahren ihres geschlossenen Zusammenhangs beraubt worden sind, indem üblicherweise alle Karten aus kommerziellen Gründen aus ihnen entfernt und vereinzelt wurden. Die leeren Alben wurden nahezu durchgängig als wertlos angesehen und vernichtet. Sofern dies nicht geschah, bleiben leere Alben in aller Regel anonym, denn nur in ganz wenigen Ausnahmefällen tragen sie eine Beschriftung, die Rückschlüsse auf ehemaligen Gebrauch und seinerzeitige Besitzverhältnisse zulässt. Bisweilen tritt aber ein kleines Indiz diesem mangelhaften Quellencharakter entgegen: Manche erhaltene Alben strömen noch heute einen leichten parfümierten Geruch aus und enthalten damit immerhin hinweishafte Duftmarken statt der fehlenden Schreibvermerke.

Ist der ursprüngliche Zusammenhang eines Albums noch gegeben, dann ist die Frau, die vor mehr als 100 Jahren das Album angelegt hat und als Adressatin der enthaltenen Karten identifizierbar ist, gleichsam noch präsent in ihrer Sammlung. So entsteht die Möglichkeit, sich ihr und ihren Motiven (und ein Stück weit auch ihrem Lebensweg) durch eine Analyse des Kartenkonvoluts zu nähern, um dann auch vergleichend dem gesamten Phänomen des Sammelns von Postkarten im Sinne eines weiblichen Handlungsmusters am Ende der deutschen Kaiserzeit nachzuspüren. Diese sowohl auf die Kartentexte als auch auf die abgebildeten Motive bezogene Dokumentation mag nachfolgend geschehen, indem ein Dutzend ausgewählter Alben (und mit ihnen verbundener biografischer Lebensspuren) vorgestellt wird.

Dass dabei und damit keine repräsentativen Aussagen beabsichtigt sind, versteht sich von selbst. Auch die Umstände einer Genese des Postkartenalbums als Typ (und als kommerzielle Konsequenz aus einem durchgreifenden kulturellen Modetrend der Zeit heraus) bleiben unberücksichtigt. Nicht nur das in den oberen Sozialschichten bereits zuvor etablierte Fotoalbum6 wäre hier heran zu ziehen, sondern auch noch ältere, weitere Vorläufer wie die seit der Reformation bekannten und im Biedermeier zur Blüte gelangten Stammbücher oder „Denkmale der Freundschaft“.7 Für eine „Typologie“ wären die (nicht nur weiblichen) seit der Aufklärung und dem Biedermeier sich ausbreitenden Poesie- und sonstigen Alben des 19. Jahrhunderts mit Gedichten, selbstgefertigten Amateur-Bildern, eingeklebten Drucken oder Bildern heran zu ziehen: „Frauen klebten häufig ihre Bilder, manchmal zusammen mit diversen Gegenständen und anderen selbstgemachten oder gefundenen Bildern, in Alben und versahen sie mit erklärenden Überschriften.“ Später traten auch hier Fotografien hinzu.8 Das album amicorum der Neuzeit dürfte, wie das Postkartenalbum als sein industriell geprägter Nachfolger, prinzipiell sicher nicht ausschließlich männlich oder weiblich konnotiert gewesen sein.

Werbung für Postkarten aus dem „Centralblatt für Ansichtkarten-Sammler“ 1899 mit einer zeichenhaft zusammengefügten Werbefigur aus Frau, Kind und Engel sowie der Anmutung eines Geistlichen

Als ein Hintergrund der nachfolgenden Beschäftigung mag eine These gelten. Vielleicht ist das Postkartensammeln durch (junge) Frauen um und nach 1900 ein Akt gewesen, der – am Rande oder symptomatisch oder aber umgekehrt als Kompensationshandlung – den langsamen Übergang des Frauenlebens zwischen seiner sozialen Bestimmung (bis zum 19./20. Jahrhundert) und dem individuellen Schicksal dokumentiert. Dann wäre das Sammeln als ein Zeichen des Übergangs zu deuten zu einer sich emanzipierenden Individualität, die im 20./21. Jahrhundert weibliche Lebensmuster in zunehmender Weise mit geprägt hat.

Zur Kultur der Bildpostkarte

„Da haben wir die Bescherung: Zu den sechs Plagen des 19. Jahrhunderts: Militarismus – Grippe – Sozialismus – Fahrradfahren – Trinkgeldgeben und Modezeitschriften ist glücklich die siebte gekommen, die Ansichtskarte.“ Als 1897 im massenhaft verbreiteten Jahreskompendium „Deutscher Hausschatz in Wort und Bild“ die Postkartenmanie der Zeit humorvoll als „Plage“ beschrieben wurde, ahnte gewiss niemand, dass sich deren Auswirkungen bis in das 21. Jahrhundert hinein erstrecken würden. Noch immer und ohne Aussicht auf ein Ende bilden historische Ansichtskarten und Bildpostkarten einen wesentlichen Faktor auf den Antik- und Trödelmärkten der bürgerlichen Wohlstandsgesellschaften weltweit.

Um 1870 war die Postkarte als neues Kommunikationsmittel erfunden worden und neben den Brief getreten. Auf sie konnte man direkt schreiben und die Briefmarke kleben, man brauchte keinen Umschlag und auch nicht mehr so viel zu schreiben. Das stellte einen Wandel der Kommunikationsgewohnheiten dar, der in einen langsamen kulturellen Wandel eingemündet ist. War die Postkarte zu Beginn als reines Mitteilungsinstrument gedacht, mit vorn und hinten freiem Raum, so wurde sie nach den anfänglichen Prozessen ihrer Zulassung und Akzeptierung rasch mit Bildern versehen, zuerst zur Ansichtskarte, dann allgemeiner zur Bildpostkarte, eine Zeitlang (bis 1905) praktisch ohne Raum für mitteilenden Text. Dies war die hohe Kernzeit der Sammelmode.

Die Bildpostkarte darf man als das populärste Medium der Gründerzeit ansehen, das sich in außerordentlich großem Umfang, seit dem Beginn der 1890er Jahre von England ausgehend, noch vor 1900 praktisch weltweit in allen Bevölkerungsschichten ausgebreitet hat. Ihre Hauptzeit lag, wenn man so will, zwischen Fin de Siècle und Erstem Weltkrieg, jedenfalls zwischen 1895 und 1914/18, als sie im Ersten Weltkrieg mit seiner ungewohnten Mobilität nochmals zusätzliche Bedeutung gewann.

So gut wie zeitgleich wurden die Karten zu verbreiteten Sammelobjekten. „Als Sammelobjekt konnte sich die Postkarte frühzeitig etablieren. Um die Karten wurde geradezu ein Kult getrieben.“9 Das Sammeln von Bildpostkarten wurde als Sport im neuen, bürgerlichen Sinne entdeckt. Der „Sammelsport“ führte innerhalb einer kurzen und intensiven Phase zur Gründung entsprechender Vereine und Sammlerzeitschriften: „Vereine des ‚Sammelsports‘ schossen aus dem Boden, und internationale Sendedienste traten in Aktion. Kein Dorf war ohne Postkarte, und jedes noch so geringfügige Ereignis wurde auf ihr verewigt.“10

Die Bedeutung von solchen Vereine und Zeitschriften dürfte in der enzyklopädisch-nacherzählenden Postkarten-Literatur oft überschätzt worden sein, denn sie existierten samt und sonders nur kurzzeitig oder über einen überschaubaren Zeitraum hinweg unmittelbar um dem Jahrhundertwechsel. Ihre Bedeutung bestand hauptsächlich darin, selbst und in eigener Sache Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und damit im – sowohl eigenen als auch allgemeinen – Publikationswesen dem Postkartensammeln Relevanz zu verschaffen. „Der private Kult um diesen – oberflächlich betrachtet – unbedeutenden Gegenstand zog weitere, öffentlichkeitswirksamere und sozialbindende Aktivitäten nach sich.“11 Die wesentlichsten Auswirkungen dieser öffentlichen Beachtung erstreckten sich darauf, den Postkartensport über seine Vereine und Zeitschriften kommerziell auszunutzen – mit außerordentlichem Erfolg über ein knappes Vierteljahrhundert hinweg und – langfristig betrachtet – mit Abstufungen weit darüber hinaus.

Nach allem, was aus den Jahren um 1900, medial und zumeist öffentlich publiziert, überliefert ist, besaß „man“ nun tatsächlich ein Postkarten-Album, das Prestigewert und eine kulturelle Bedeutung innehatte. Und parallel zur heftig einsetzenden „Schreibwut“ und diese noch ergänzend wanderte ein erheblicher Teil der produzierten Postkarten – unge(be)schrieben – sofort in die entsprechenden Sammelalben, ohne zuvor verschickt worden zu sein. Karten und Alben gehörten sozusagen zum guten Ton.

„Gesammelt wird die Ansichtskarte heutzutage von Tausenden! Es mag wenig mehr deutsche Bürgerhäuser geben, in denen man nach einem Ansichtskarten-Album vergebens zu suchen hat. Ja, es geht die Klage, dass an die Stelle des altehrwürdigen Photographie-Albums das Postkarten-Buch gerückt sei und uns überall, auf jedem Salontisch entgegentrete, in welcher Familie wir auch unsere Aufwartung machen!“12 Ob diese kulturkritische und ironische Aussage aus dem Jahr 1901 real bedeutete, dass um 1900 „Sammelalben mit erhaltenen Motiv- und Ansichtskarten zur Einsichtnahme für die Besucher in den bürgerlichen Wohnstuben ausgelegt“ worden sind“13, wird man vorsichtig beurteilen müssen, unabhängig von der unzweifelhaft gegebenen generellen Sozialsymbolik dieses Vorgangs.

Wie die Bildpostkarte außerordentlich rasch zu einer Invention, Novation und Innovation geworden ist und in das Postsystem, kommunikative System und letztlich in das kulturelle System eingeführt wurde und dort weiter diffundierte, darf wohl geradezu als Paradebeispiel gelten für materiell verortbaren kulturellen Wandel. Zumal dieser des Öfteren mit vaterländisch-nationalen Aspekten verbunden wurde, enthielt er parallel auch gesellschaftlich-harmonisierende Elemente und entfachte emotionale Begleiterscheinungen.

Über die „Postkartenbegeisterung“ während zweier Jahrzehnte ist viel geschrieben, wenn auch vieles einfach nur stetig wiederholt worden aus einigen wenigen Quellentexten.14 Wie wirkmächtig bis zwanghaft sich diese Begeisterung auswirken konnte, erweist ein weiteres polemisch formuliertes Zitat aus dem „Deutschen Hausschatz“ 1897: „Angenommen, du bist Familienvater oder ein guter Onkel, und hast vor, eine Reise zu machen – da wird dir von deinen Angehörigen, von liebenden Töchtern und Nichten auf die Seele gebunden, doch ja von jedem schönen Punkte, ja von jeder Station aus, Ansichtspostkarten zu senden.“15 Dass hier von Töchtern und Nichten und eben nicht von Söhnen und Neffen die Rede ist, mag als gutes Argument gelten, sich dem „weiblichen Sammeln“ von Postkarten zu nähern.

Von kulturgeschichtlicher Seite fehlt bisher eine Gesamtdarstellung der Postkarte, aber es gibt zahlreiche, auch historisch-kritische, von der Motivik und Thematik ausgehende Betrachtungen.16 Neben aktuellen Versuchen, sich den Beziehungen zwischen Postkarte und Ethnografie17 sowie ihren Möglichkeiten anzunähern, existieren wichtige Einzeluntersuchungen aus volkskundlicher Perspektive, etwa zu Glückwunschkarten und zur Beziehung zwischen Postkarte und Fotografie.18 Deren massenhafte Verknüpfung darf generell als neuer Medienverbund und wichtige medienkulturelle Erweiterung des späteren 19. Jahrhunderts gelten.19

Noch grundlegender und weniger auf die Bildseite, sondern schwerpunktmäßig auf den textlichen Inhalt bezogen ist die Bildpostkarte in systemischer Hinsicht zu einem strukturanalytischen Untersuchungsgegenstand einer breit definierten Kulturwissenschaft unter Beteiligung von mehreren Fachdisziplinen erhoben worden. Deren Palette wurde um einen sprachkundlichen und vor allem zentralen mediengeschichtlichen Aspekt erweitert.20

In der Rückschau unter dem Gesichtspunkt medialer Systeme wird deutlich, dass die Kultur und Struktur des Postkarten-Schreibens nach einer kurzen Vorlaufphase von wenigen Jahren um 1890 nahezu untrennbar mit derjenigen des Postkarten-Sammelns verbunden gewesen ist. Nicht das Verschicken und persönliche Bewahren, sondern nur das Sammeln ermöglichte den ganz wesentlichen Schritt aus dem privaten, ja intimen Raum der Aufbewahrung eigener Postkartengrüße und -texte hin zu einem Austausch in – privatkleinerer wie auch vereinsmäßig-größerer – Gemeinschaft. „Das Sammeln kann als spielerische Form bourgeoiser Handlungsethik aufgefasst werden: Die Aktivität des Akkumulierens und der Wertevermehrung wird hier symbolisch ausgeführt. Die Performanz subjektiver Ermächtigung spiegelt damit die Grundbewegung des Kapitalismus im 19. Jahrhundert. […] Nicht der reale pekuniäre Wert einer Sammlung oder einer erhaltenen Karte ist dabei entscheidend, sondern der sozialsymbolische Wert.“21

Damit können sogleich Differenzierungen in den Blick kommen, die jenseits der pauschalen „Postkarten-Begeisterung“ bis zum Ersten Weltkrieg bisher nur selten vorgenommen worden sind. Als ihr Ausgangspunkt darf gelten: „Einfluss auf die Kommunikationskultur hatte die Postkarte […] nicht nur in privaten Damenkränzchen oder in Sammlerklubs. Im informellen wie institutionalisierten Freizeitbereich war sie ebenso Gegenstand von Gesprächen, Erzählungen und Debatten wie von Artikeln in Magazinen. Man diskutierte und informierte sich über den Aufbau einer eigenen Sammlung, suchte den Austausch mit unbekannten Gleichgesinnten und formulierte Bitten um die Zusendung von Karten an Sammelfreunde. Es ist nicht verwunderlich, dass sich daneben ein Diskurs auf kommerzieller Ebene organisierte, der von der Postkartenindustrie, von Buchdruckereien und kleinen Händlern getragen wurde.“22 Die hier skizzierte oberste, vielleicht: lauteste und zeitlich gesehen frühe Schicht der Postkarten-Kultur dürfte, medial vermittelt, in mehrerlei Hinsicht Einfluss auf eine Vielzahl von Nachahmerinnen und Nachahmern ausgeübt haben.

Anmerkungen zum Sammeln

Wenn das Sammeln in Publikationen thematisiert wird, findet dies seinen Ausgangspunkt häufig in der vielzitierten Darstellung von Krzysztof Pomian über den „Ursprung des Museums“ und das Sammeln. Man kommt dann auch schwerlich daran vorbei, zu der plattitüdenhaften Welterklärung vom „Jagen und Sammeln“ zurück zu kehren, um hier seinen eigenen Anfang zu markieren. Dieses urzeitliche Vorstellungsbild lässt sich auch und gerade in der Literatur zur Kulturgeschichte des Sammelns bis in die Neuzeit immer wieder vorfinden. „Die Männer sind, so scheint es, in mancherlei Hinsicht Jäger und Sammler geblieben.“23 Zumindest einzelne Aspekte, die mit diesem Bild inhaltlich in Beziehung stehen, dürften jenseits ihrer Klischeehaftigkeit in der Tat einer Beachtung wert sein.

Dazu passt, dass bei Pomian die hier zu behandelnde Fragestellung als solche vollkommen unbekannt ist: Dort ist der Sammler männlich, ohne Wenn und Aber. Seine Qualitäten sind: ästhetisches Vergnügen, wissenschaftliche Erkenntnisse, Prestige, starke intellektuelle Neugier, Reichtum und Großzügigkeit. Eine Frau kommt in der Darstellung von Pomian nur einmal vor: als polnische Sammlerin von Banalitäten, nämlich Obst-Verpackungspapieren.24

Ein Stück weit ist eine solche Sehweise dem historischgenetischen Ansatz geschuldet, der sich älteren Zeitabschnitten bis zur Renaissance zuwendet. Unter dem Spannungsbogen „Sammler – Bibliophile – Exzentriker“ etwa lassen sich verschiedene historisch-thematische Zugänge vom Altertum bis zur Frühen Neuzeit zu einer Anthropologie des Sammelns zusammen tragen. Bei Aleida Assmann erstreckt sich dies bis hin zu einer Figur des „Pedanten“ und Antiquars, der Kunst und Bücher sammelt (in der Antike und erneut wieder in der Frühen Neuzeit) und mit dem Touch des Kritikers und Kauzes versehen ist, aus dessen Pedanterie und Triebhaftigkeit sich eine Manie des Sammelns entwickeln kann.25

Geht es, wie hier, um den Bücher- und Kunst-Sammler in der älteren Geschichte und vornehmlich in der Renaissance, so kommen verschiedene Ästhetik-Begriffe ins Blickfeld. Überlegungen Jacob Burckhardts in seiner Schrift „Die Sammler“ mit seiner Unterscheidung „der niedrigsten Stufe des Sammelns”, „in welcher der Sammler keine innere Beziehung zu den erworbenen Gegenständen” besitzt, und der „höchsten Form des Sammelns aus ästhetischen Beweggründen” lassen sich in modifizierter Form auf die Neuzeit übertragen.26

„Fehlende Ästhetik“ wird auch, in gewisser Parallelität zum Sammelgut der Urzeit, jenen trivialen Sammelgegenständen der modernen Gesellschaften testiert, die keinen ausgesprochen künstlerischen Wert besitzen und denen deshalb von einem kunstwissenschaftlichen Standpunkt so etwas wie tiefere Semiotik und Würde abgesprochen wird.