Hast du den Mut gesehen? Das Mutmacherbuch - Martina Meier - E-Book

Hast du den Mut gesehen? Das Mutmacherbuch E-Book

Martina Meier

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Beschreibung

Mutig sein, mutig werden – wie schafft man das? Was ist Mut überhaupt? Bin ich mutig? Unsere Autor*innen haben sich diese Fragen gestellt und Erzählungen, Märchen und Gedichte geschrieben, die Mut machen. Manche davon stimmen nachdenklich, andere machen Mut, zu sich selbst zu stehen. Denn: Mut brauchen wir alle – immer wieder und in vielen Lebenslagen ...

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Hast du den Mut gesehen?

Das Mutmacherbuch

Erzählungen, Märchen und Gedichte, die Zuversicht geben

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.papierfresserchen.de

© 2023 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchausgabe erschienen 2019.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Coverillustration: © alphaspirit - Adobe Stock lizenziert

Bearbeitung: CAT creativ - www.cat-creativ.at

ISBN: 978-3-86196-871-9 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-692-8 - E-Book

*

Inhalt

Der Nudelsuppenmann

Mut zum Leben

Die herzliche Mutter

Meine Schwester Mia

Leben

Meine Erzählung, Geschichte oder Erfahrung!

Seelischer Hunger

Hast du den Mut gesehen?

Der Akkordeonspieler

Achim -Kritisch-satirisch erzählt

Der Mann mit dem Dachschaden

Wünschen leicht gemacht -Für Hilde

Das kleine Schnitzelchen

Rosalia

Der Stinkstiefel

Der Duft von Orangenblüten

Sich auch mal was trauen

Am Ende

Die Zeit

Leon und Max

Mut zur Liebe

Regie im eigenen Leben führen

Eine Melodie aus zauberhaften Klängen

Mutbringerin in der Not

Die Zauberblume

Omas Foto

Tanze mit mir in den Morgen

Deshalb liebe ich ihn

Kurt wacht auf

Kleine Emmi

Niklas mit den Glupschaugen

Tanze, Herz!

Konfrontation

Liebe – Stark wie ein Baum

Im Feenland mitten im Stern

Unser Buchtipp

*

Unsere Auto*innen

Jerusha Präpst

Renate Irina Eidenhardt-Ach

Katja Lippert

Gudrun Güth

Ingeborg Henrichs

Dani Karl-Lorenz

Sieglinde Seiler

Carina Isabel Menzel

Dörte Müller

Kay Ganahl

Thomas Trauth

Dr. med. Barbara Bellmann

Susann Scherschel-Peters

Wolfgang Rödig

Heiko Ullrich

Bettina Schneider

Luna Day

Carola Marion Menzel

Jürgen Heider

Regina Berger

Susanne Horn

Ingrid Baumgart-Fütterer

Kristina Plenter

Christian Hinnah

Anja Zachrau

Margret Küllmar

Angie Pfeiffer

Alizé Siffleur

Robin Royhs

Barbara Acksteiner

Susanne Weinsanto

Ruth Weisel

Simone Hänel

Juliane Barth

Pawel Markiewicz

*

Der Nudelsuppenmann

Diese Welt … hat viele traurige Geschichten. Viele Tränen. Viele Lebewohls. Viele Liebende, die wieder zu Fremden werden.

Aber sie hat auch viele wunderschöne Geschichten. Viele Lächeln. Viele Hallos. Viele Fremde, die zu Freunden werden.

Manche Begegnungen verändern unser gesamtes Leben. Manche schönen Zeiten werden zu traurigen – und manche traurigen werden wiederum zu schönen. Manchmal scheint das Licht aus unserem Leben verschwunden zu sein. Aber das ist es nicht. Es ist nicht fort. Es ist nur verdeckt, wie die Sonne von düsteren Wolken.

Vielleicht wird jemand zu dem Wind werden, der diese Wolken wegbläst. Vielleicht wirst du zu dem Wind werden, der die Wolken an jemandes anderen Himmel wegbläst und ihn wieder die Sonne sehen lässt. Ich nehme an, nur die wenigsten von uns wissen es, wenn sie für jemanden zum Wind werden.

Der Nudelsuppenmann jedenfalls wusste es nicht, da bin ich mir sicher. Ich denke auch nicht, dass er vorhatte, meinen Himmel von Wolken zu befreien. Inzwischen hat er sie vermutlich vergessen, die Begegnung mit der seltsamen kleinen Frau im Regen. Aber für mich veränderte sie mein gesamtes Leben. Ich erinnere mich nicht an sein Gesicht, aber seine Stimme hat sich in meinem Kopf festgesetzt. Und wenn das Leben hart zu mir ist, erinnere ich mich an den wärmenden Klang seiner Worte und das fürsorgliche Lächeln, als er mich ansah, wie ich da mitten auf der Brücke auf dem Boden saß, vom Regen durchnässt, mit nur einem Schuh. Meine Augen brannten vom vielen Weinen und mein Hals schmerzte.

„Komm, Mädel“, sagte er. „Ich geb’ dir ’n Essen aus. Wenn das Leben hart ist, musste essen. Du musst stark sein, um gegen den Scheißkerl zu kämpfen.“

Ich weiß, ich weiß. Seine Worte waren nicht voller Weisheit und seine Taten waren nicht großartig. Er konnte die Liebe, die aus meiner Beziehung zu verschwinden schien, nicht zurückgeben, und er konnte mir meinen Sohn nicht wiedergeben, der viel zu früh gestorben war. Das Einzige, was er tun konnte, war, mich in dieses warme, behagliche Restaurant zu bringen und mir eine Nudelsuppe zu kaufen. Aber so klein seine Taten waren, so waren sie doch von Bedeutung für mich. Weil er sich sorgte, weil er nicht wegsah. Weil er mich nicht aufforderte, ihm alles zu erzählen, weil er mir keine Vorwürfe machte und mir keine Sprüche aufsagte darüber, dass alles bald wieder gut sein würde.

Manchmal wird das Leben nicht so einfach besser. Manchmal müssen wir kämpfen, manchmal müssen wir durchhalten und ertragen. Und in diesen Zeiten brauchen wir jemanden, der uns ermutigt. Jemanden, der uns hilft, wieder aufzustehen. Es kann eine offen gehaltene Tür sein, die uns sagt, dass wir nicht alleine sind. Der mit einem Fremden geteilte Regenschirm oder das fehlende Kleingeld, das uns ein anderer an der Kasse schenkt. Ein kurzer Moment, der uns zum Lächeln bringt. Der es uns wagen lässt, ein weiteres Mal zu lächeln. Und noch einmal.

Ich habe den Nudelsuppenmann nie wieder gesehen, aber dieser Tag ist tief in meiner Erinnerung verankert. Damals erschien es mir, als würde mein Leben enden. Aber seine Freundlichkeit half mir, an diesem einen Tag standzuhalten. Ich hielt stand und ertrug. Diesen Tag. Einen weiteren. Und noch einen. Und irgendwann … wurde eine traurige Geschichte zu einer schönen.

Jerusha Präpst wurde 1998 geboren und studiert in München Buchwissenschaft. Neben dem Schreiben gilt ihre Liebe vor allem dem Gesang. Sie schrieb bereits als Kind kurze Geschichten und später als Jugendliche Gedichte, bevor sie ihre Liebe zu Kurzgeschichten fand. Im Rahmen einer Schreibwerkstatt entstanden die ersten Texte. 2018/19 wurden die ersten Geschichten in Anthologien veröffentlicht.

*

Mut zum Leben

Mein kleiner Paul kuschelt sich fest an mich. Ich ziehe ihm die Decke über und drücke seinen Schnuffelhasen in seine kleinen Arme. Danach lege ich meine warme Hand auf den wuscheligen Kopf und streichle sanft mit den Fingern über seine Stirn.

„Ich hab dich lieb, Mama.“

„Und ich dich.“ Zärtlich hauche ich ihm einen Kuss auf die Nase.

„Bis zum Mond und zu den Sternen und zum lieben Gott.“

„So weit? Bis zum lieben Gott?“

„Ja, Mama, ich weiß das. Ich war ja schon mal da. Der liebe Gott ist wirklich nie böse.“

„Woher weißt du das?“

„Das weiß ich einfach, Mama. Ich hab ihn zwar noch nie gesehen, aber er hat mir gesagt, ich soll zu dir gehen.“

„Wie meinst du das?“

„Der liebe Gott hat dich ausgesucht, dass du meine Mama werden sollst. Ich hab dich schon vom Himmel aus gesehen.“

„Und dann?“

„Dann bin ich durch ein helles Licht gewandert.“

Ich drehe ungläubig den Kopf etwas zur Seite und sehe meinen kleinen Sohn verwundert an. Woher sollte er das denn alles wissen?

„Ich bin dann in deinen Bauch. Und ich habe deine Stimme gehört. Es war so schön in deinem Bauch. Ich möchte so gerne wieder da hinein.“

Verwirrt sehe ich Paul fragend an. „Warum siehst du so traurig aus?“

„Ach Mama, ich vermisse sie alle so?“

„Wen vermisst du?“

„Na alle aus dem Himmel“

Mir schnürt es die Kehle zu. Mit solchen Worten hatte ich nicht gerechnet. Plötzlich überkommt mich eine unglaubliche starke Liebe zu meinem Kind. Ich halte Paul noch fester denn je im Arm. Ich habe das Gefühl, als würde mir der kleine Kerl das Buch des Lebens aufgeschlagen. Vor mir liegt der schönste Engel, den ich je gesehen habe. Dieser kleine Mann erzählt mir gerade vom Himmel.

„Wir hatten Flügel und weiße Kleider, wir spielten den ganzen Tag. Es ist so toll im Himmel, Mama. Ich will wieder nach Hause.“

Mir fehlen die Worte. Mein kleiner Sohn will weg von mir? Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und schlucke die Tränen hinunter. „Paul, ich verspreche dir, irgendwann kommt die Zeit und du wirst alle deine Freunde aus dem Himmel wiedersehen. Und sie werden sich freuen, wenn du wieder da bist. Aber jetzt wollen wir erst einmal ein Stück zusammen durch die Welt gehen, das wollte ja auch der liebe Gott so.“

„Aber, Mama, dann bin ich sehr traurig, wenn ich im Himmel bin und du nicht. Dann bist du nicht mehr bei mir.“

Ich kämpfe mit meinen Tränen. „Paul, du weißt doch von unserem unsichtbaren Band? Ich habe dir schon viel davon erzählt. Unser Band ist immer zwischen uns und hält uns fest zusammen. Ob du im Kindergarten bist oder bei Oma und Opa, das Band ist immer da. Und wenn du im Himmel bist und ich auf der Erde oder ich im Himmel bin und du hier unten auf der Erde, unser Band wird niemals reißen. Es ist immer da. Das verspreche ich dir.“

Paul bekommt große Augen. „Genau, Mama, und wenn ich im Himmel bin und du hier unten, dann warte ich auf dich und halte dir einen Platz auf der Wolke frei.“ Ich vergrabe mein Gesicht in seinen Lockenschopf. Tränen laufen ihren Weg. Auf einmal hatte ich das Gefühl, da ist noch mehr. Es gibt noch viel mehr, was wir Menschen vielleicht noch gar nicht wissen. Wir müssen den Kindern lauschen, damit wir vom wahren Leben etwas lernen können. Auf einmal merke ich, wie mir der Mut zum Leben wächst. Jede Angst – wie weggeblasen. Ich brauche vor nichts Angst zu haben, denn die Kinder lehren uns, mutig zu sein. Ich lasse Paul langsam aus meinen Armen los, reibe meine verheulten Augen. Neben mir liegt der schönste Engel, der aus dem Himmel gefallen ist, und schläft tief und fest.

Renate Irina Eidenhardt-Achist Mutter von zwei Kindern.

*

Die herzliche Mutter

Es ist leer, still und kalt.

Tröstend sagt man dir: „Sie war alt!“

Im Herzen ein verdeckt bleibendes Loch

und du weißt, es quält dich doch!

Schwebend in Gedanken reist du in die Vergangenheit,

hoffst, dass es dich vom Grübeln schnell befreit.

Traurig schließt du deine Augen,

was du nun siehst, kannst du kaum glauben.

Glückliche Bilder vergangener Tage,

sie strahlen Freude aus, keine Frage.

Schon als Kind trägt sie dich auf dem Arm,

kuschelt dich im Winter warm.

Die ersten Schritte an der haltenden Hand

verbinden wie ein starkes Band.

Immer zur Stelle mit tatütata,

wenn wieder ein Pflaster nötig war.

Der erste Tag in der Schule ein großer Schritt,

du spürst, wie sie jeden Tiefpunkt mit dir durchlitt.

Der Schulabschluss ein großes Fest,

was ihr beide nie vergesst.

Danach spanntest du deine Flügel weit auf

und sie ließ dir immer freien Lauf.

Sofort zur Stelle, wo es brannte,

wie man es von einer herzlichen Mutter kannte.

Nun öffnest du wieder deine Augen,

jetzt ist sie weg – noch kannst du es kaum glauben.

Aber plötzlich wird dir klar,

es ist nicht mehr, es war.

Du blickst verträumt in den neuen Tag

und fragst dich, was er bringen mag.

Da greift eine Kinderhand nach dir,

bringt dich zurück ins Jetzt und Hier.

Strahlende Augen funkeln dich bittend an:

Ob mir Mama wohl helfen kann?

Sie fehlt dir für immer, das wird so sein.

Doch nun sind deine eigenen Kinder schutzlos und klein.

Sie tragen dir Liebe und Hoffnung ins Haus,

fordern dich manche Tage lächelnd heraus.

Sie leben das Leben, unbekümmert und rein.

Jetzt kannst du die herzliche Mutter sein.

Katja Lippert, 1982 in Schlema geboren. Nach der Realschule Ausbildung zur Pflegehelferin. Während der Elternzeit mit ihren vier Kindern hat sie nebenbei ein Diplom in der „Praktischen Altenbetreuung“ (SGD Fernstudium) und den Abschluss zur Hauswirtschafterin (Berufsfachschule) gemacht. Ihr erstes Kinderbuch ist zweisprachig deutsch-englisch beim Papierfresserchen erschienen: „Liese, Lotte und der Weg in die Welt“.

*

Meine Schwester Mia

Ich war wütend, als meine Mama mir von Mia erzählte. Nein, ich wollte keine Schwester. Ich fand es gut, Einzelkind zu sein. Warum sollte sich das so plötzlich ändern? „Du wirst immer fetter“, sagte ich zu Mama, die meine Hand auf ihren Bauch legte, damit ich Mias Bewegungen spürte. Ich spürte nichts, nur diese Wut in meinem Bauch. Ich würde mein Zimmer mit Mia teilen müssen. Mia würde mir mein Spielzeug wegnehmen. Ich würde auf sie aufpassen müssen, wenn ich was Besseres vorhatte. Und was, wenn meine Eltern Mia lieber hätten als mich? Wenn Mia immer brav wäre und viel, viel hübscher? Das Einzige, das mich tröstete, war, dass Mia meine abgelegte Kleidung tragen müsste. Die Latzhose war an den Knien schon ganz abgewetzt.

Ich rutschte, seitdem mir Mama von Mia erzählt hatte, auf dem Boden herum, damit die Knie noch abgewetzter wurden. Mit Papas Feuerzeug brannte ich ein Loch in mein Prinzessinnenkleid. Sollte Mia doch in einem Löcherkleid herumgehen.

„Freust du dich denn gar nicht?“, fragte mein Papa. Wir saßen beide auf dem Sofa und lasen das Buch über Geschwister. Papa las, ich hörte zu und sah mir die Bilder an.

„Nein“, dachte ich und sagte nichts. Ich blätterte um, obwohl Papa die Seite noch nicht zu Ende gelesen hatte. Dieses ganze Babygetue war einfach schrecklich.

In der KITA war Läusepest ausgebrochen. Die KITA war zu. Ich hatte gar keine Läuse, musste aber trotzdem zu Hause bleiben. Papa war arbeiten, Mama hatte einen wichtigen Arzttermin.

Wohin also mit mir?

Irgendwie störte ich. Oma und Opa waren auf Korsika und konnten nicht so schnell kommen. Also musste ich mit zum Arzt. Ich konnte mir Schöneres vorstellen.

Im Wartezimmer der Ärztin lagen Bauklötze und Bilderbücher herum. Kleinkinder krabbelten über den Teppichboden oder saßen auf Schössen und brüllten. Genauso würde es bei uns sein. Eine krabbelnde oder brüllende Mia.

„Willst du mit reinkommen?“, fragte Mama.

Wollte ich eigentlich nicht, aber bei den Krabbelkindern und dem Gebrüll zu bleiben, war auch nicht gut.

„Dann wollen wir mal“, sagte die Ärztin.

„Jetzt kannst du gleich deine kleine Schwester sehen.“

Wollte ich gar nicht, aber dann war ich doch ein bisschen neugierig. Ob sie so aussah wie ich?

Richtig erkennen konnte ich Mia nicht.

„Schau mal“, sagte die Ärztin. „Deine Schwester winkt dir zu.“ Dann plötzlich sagte die Ärztin eine Zeit lang nichts mehr. Sie schaute angestrengt auf den Bildschirm.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Mama.

Ich hörte die Angst in ihrer Stimme. Die Ärztin antwortete nicht. Sie sah sehr ernst aus.

„Möchtest du ein wenig im Wartezimmer spielen?“, fragte sie mich schließlich.

Wollte ich nicht, aber die Sprechstundenhilfe nahm mich an die Hand und ging mit mir aus dem Behandlungsraum. „Es dauert nicht lang“, sagte sie.

Dann dauerte es doch lang, bis Mama zurückkam. Sie sah ganz anders aus als vorher.

„Hast du geweint, Mama?“, fragte ich.

Mama sagte nichts. Plötzlich sprach niemand mehr mit mir.

Mama bekam einen Zettel in die Hand gedrückt und wir fuhren mit dem Aufzug nach unten.

Drei Tage später legte Mama die Spieluhr auf ihren Bauch. Mia mochte die Musik, das wusste ich.

„Wir müssen mit dir reden, Schatz.“

Na endlich. Es war in der letzten Zeit ziemlich still geworden.

Papa nahm mich in den Arm.

„Deine Babyschwester Mia ist krank. Sie hat keine Nieren. Wir wissen nicht, ob sie es schafft.“

Was sollte Mia denn schaffen? Sie hatte doch nichts zu tun. Einfach nur so in Mamas Bauch herumliegen und sich mit der Spieluhr berieseln lassen.

Als Mama und Papa mir erklärten, warum Mia wahrscheinlich nicht überleben würde, fing ich an, Mia zu lieben.

Ich würde ohne Probleme mein Zimmer und meine Spielsachen mit ihr teilen. Ich achtete auf meine Kleidung. Mia sollte nichts Abgewetztes tragen müssen. Die Latzhose würde in die Kleidersammlung kommen. Ich malte Bilder für Mia und hängte die Bilder an meine Kinderzimmertür. Auf einem Bild stand Mia. Ich konnte schon Namen schreiben. Rike, Mama und Papa. Und Mia.

Im November wurde Mia geboren. Sie war ein Kaiserschnitt. Am Tag ihrer Geburt starb meine Schwester. Ich habe Mama und Papa noch nie so weinen sehen. Ich weinte mit.

Mia hat ein schönes Grab. Es stehen weiße Engel darauf. Und Tulpen. Auch ein grüner Frosch. Gestern haben wir eine Schale mit Hyazinthen hingestellt, direkt neben das kleine Kreuz aus Holz. Auf dem Kreuz steht Mia. Ich liebe Mia noch immer. Meine kleine süße Schwester Mia. Ich bin froh, dass ich ihr im Krankenhaus einen dicken Kuss auf den Kopf gegeben und ihr das Lied von den Sternen vorgesungen habe. Mia hatte schon Haare. Rote Haare. Und so kleine Hände. Den Mund hatte sie von Papa, die Augen von Mama. Und von mir, glaube ich.

Mama hat ein neues Baby im Bauch. Ich bekomme einen Bruder. Er soll Connor heißen. Connor hat Nieren. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass er auch auf dem Friedhof liegen wird. Jetzt kann ich wieder auf dem Fußboden herumrutschen, meine Hosen dürfen an den Knien ruhig abgewetzt sein. Jungen tragen keine Mädchenkleidung. Ich lege jeden Tag meine Hand auf Mamas Bauch. Ich fühle, wie Connor sich bewegt. Manchmal tritt er auch. Ich liebe Connor, aber Mia vergesse ich nie. Meine kleine süße Schwester Mia.

Gudrun Güth war Lehrerin am Gymnasium Herten, an der deutschen Schule Brüssel und der Gesamtschule Waltrop und von 1998 bis 2013 Fachleiterin für Englisch in der Lehrerausbildung. Heute ist sie im Ruhestand.

*

Leben

Was haben Sie denn so im Frühling erlebt

oder

hat nur der Winter in Ihnen weitergebebt?

Mögen Sie eigentlich Ihr Sommergesicht

oder

übersehen Sie einfach die Schrecken in Spiegeln?

Bewahren Sie sich Ihr inneres Kind gut auf

oder

wollte das Leben Ihnen nur Vergehen geben?

Haben Sie sich mit Ihrer Herbstwahrheit versöhnt

oder

halten Sie nur durch, hinnehmend bemüht?

Mussten Sie mehr Gutes tun als Böses verzeihen

und

dabei sich erfreuen? Sehen Sie, so ist das Leben.

Ingeborg Henrichs lebt in Paderborn.

*

Meine Erzählung, Geschichte oder Erfahrung!

Es war ein wunderschöner Sommertag. Alles lief einfach wundervoll. August. Was für ein wundervoller Monat. Okay, es war ein August. In irgendeinem Jahr. An irgendeinem Tag im August, in irgendeinem Jahr. Aber es war! Oder war es nicht? Ist meine Geschichte vielleicht nur eine Geschichte, eine Erzählung? Oder könnte es, ja, könnte es eine Erfahrung sein, die jemand anderes auch erfahren hat, kennt oder – vielleicht kann es auch nur nachempfunden werden! Von Ihnen! Ich weiß es nicht!

Aber es war, an besagten August-Tag, in diesem, schon erwähnten – irgendeinem Jahr. Vögel flogen über den Bach. Das Wasser floss seinen Weg den Bach entlang. Die Bäume im Wald gaben den Vögeln Schatten, die den Bach entlangflogen.

Leichtes Rauschen, Ruhe sonst – und Freiheit. Ich gehe den Bach entlang, atme die frische Luft ein. Ich kann wieder längere Spaziergänge machen. Mein Blutdruck fühlt sich durch die Medikamente wieder viel besser in mir an. Normaler Blutdruck, die Atmung geht normal. Keine Schmerzen, die mich hindern, die Schritte durch den Wald zu gehen. Ich gehe nicht sehr schnell, aber ich bewege mich.

Es ist ein wundervoller August-Tag. Ich gehe meine Schritte und ich gehe durch den Wald, in meine wieder gefunden Freiheit, in der Natur sein zu können.

Die Vögel über mir zwitschern fröhlich ihr Lied. Die Bäume wispern in ihren Höhen von Freiheit. Mein Atem zieht mit der Luft im Wald. Leben! Natur! Freunde! Tiere! Werte, die sind! Von großen, großen Wert die Liebe. Die Liebe zu jemandem, vielen vertrauten nahen Menschen. Die Liebe zum Leben. Die Liebe zur Natur. Die Liebe zu Freunden. Die Liebe zu Tieren. Die Liebe zu dir selbst.

Und ich gehe, ich gehe weiter und ich beende nun die Erzählung oder eine Geschichte oder meine Erfahrung. Oder es war etwas, dass SIE nachempfinden konnten, beim Lesen meiner Geschichte, Erzählung oder Erfahrung.

Nach schweren Wegen führen gute, schöne befreiende Wege wieder auf andere Wege, vielleicht auf Wege einer neu gefundenen Freiheit.

Oder es führen die Wege einfach auch nur entlang eines Baches, dessen Wasser seine Wege findet – in irgendeinem Wald, frei, sich gehend, atmend erlebend, in völliger Natur und eins mit sich selbst!

Dani Karl-Lorenz: Die Künstlerin wurde in einer Kleinstadt im Herbst 1967 in der Oberpfalz (Bayern) geboren. Sie ist Autorin aus Leidenschaft. Malt mit Hingabe. Hat schon unter dem Namen Dani Lorenz veröffentlicht. Die Schreiberei wie auch die Malerei gehören zu den Dingen, zu ihren Hobbys, die sie nicht mehr missen möchte. Veröffentlichungen erfolgten in verschiedenen Sammelwerken und Anthologien verschiedener Verlage.

*

Seelischer Hunger

Einem Kleinkind, in Indien geboren,

– in sehr arme Verhältnisse hinein –,

fehlte mit seinen fünf Geschwistern

vom Beginn an der Sonnenschein.

Der Hunger bestimmte seinen Alltag

und machte schrecklich seine Nacht.

Letztendlich hat es auch der Hunger

zu einem der Waisenkinder gemacht.

Bei „Mutter Theresas Schwestern“,

zuerst im Waisenhaus untergebracht,

trafen eines Tages Adoptiveltern ein,

nahmen das Kind mit nach der Nacht.

Im fernen Deutschland angekommen,

war alles völlig neu und interessant.

Doch wie die Menschen dort lebten –

diesen Luxus hatte es nicht gekannt.

Das Kleinkind machte „große Augen“,

denn es hatte alles noch nie gesehen.

Es fürchtete sich in seiner Umgebung,

hatte Angst, abends ins Bett zu gehen.

Das Mädchen vermisste seine Heimat.

Seine kleine Seele fühlte sich verloren.

Es verstand diese Fremdsprache nicht

und hat „mitten im Sommer“ gefroren.

Still wurde das Kind und sehr traurig.

Große Geduld der Eltern war gefragt.

Das fehlende Vertrauen des Kindes

hat an der neuen Beziehung genagt.

Die Liebe seiner Adoptiveltern war es,

die das Vertrauen stetig wachsen ließ.

Nur mühsam schloss sich die Wunde,

die klaffte, seit das Kind Indien verließ.

Als Jugendliche hat sich dann endlich

der lang gehegte Reisewunsch erfüllt.

Gemeinsam flog man ins ferne Indien.

Würde ihre tiefe Sehnsucht dort gestillt?

Mit dem Flugzeug hatte es seine Heimat

Indien verlassen, wo es die Mutter gebar.

„Wieder daheim“, fühlte es sich so fremd,

in dem Land, das einst seine Heimat war!

Das Mädchen traf seine Geschwister.

Aber es war nicht mehr dasselbe Kind.

---ENDE DER LESEPROBE---