Helden des Alltags – Menschen zwischen Pflicht und Liebe - Bernhard Kellermann - E-Book
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Helden des Alltags – Menschen zwischen Pflicht und Liebe E-Book

Bernhard Kellermann

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Beschreibung

Mit feinem Blick und großer Menschlichkeit widmet sich der Autor den stillen Helden des Lebens: den Arbeitern, Angestellten, Handwerkern und Familien, die Tag für Tag ihr Bestes geben, ohne dafür Ruhm zu erwarten. Im Mittelpunkt stehen der Lokomotivführer Wilhelm Sinn – ein pflichtbewusster Mann, der seinen Lebensmut aus der Arbeit schöpft, und dessen Tochter Meta, deren Hochzeit zugleich Aufbruch und Abschied bedeutet. In präzisen, warmen Bildern entfaltet Kellermann das Panorama einer Berliner Mietshauswelt voller Sorgen, Hoffnungen und kleiner Triumphe. Ein tief berührender Roman über Verantwortung, Liebe und Würde im Alltag – ebenso zeitlos wie menschennah.

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EPUB
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Seitenzahl: 53

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bernhard Kellermann

Helden des Alltags – Menschen zwischen Pflicht und Liebe

ISBN 978-3-68912-587-5 (E-Book)

Aus: EINE NACHLESE 1906-1951, Verlag Volk und Welt, Berlin 1979. Herausgegeben von H. D. Tschörtner unter Mitarbeit von Georg Wenzel

© 2025 EDITION digital®

Pekrul & Sohn GbR

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Godern

Tel.: 03860-505 788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

Helden des Alltags

1

Punkt vier Uhr klingelte der Wecker des Lokomotivführers Wilhelm Sinn, das heißt, er schnarrte nur unter einem Kopfkissen, um die Bewohner des Hauses nicht zu stören, die alle von früh bis nachts schufteten und Ruhe brauchten. Im Hofe des Mietshauses Türkenstraße drei, ein abgelegenes und vernachlässigtes Gebäude in der Nähe des Spittelmarktes, flammte ein zaghaftes Licht ganz oben in der vierten Etage auf, ein rötliches und trübes Licht, das kaum den Versuch machte, die Dunkelheit des schmalen Lichtschachtes zu durchdringen.

Wilhelm Sinn hatte in der kleinen Küche Licht eingeschaltet, um sich sein Frühstück zu bereiten, was er niemandem, solang er lebte, zumutete in so früher Stunde, auch seiner Frau nicht, die vor fünf Jahren verstarb, den bereitstehenden Kaffee zu wärmen und sich zu rasieren, was er nie versäumte, wenn er zum Dienst ging. Auch als seine Frau noch lebte, hatte er nicht erlaubt, dass sie zu früh aufstand. Er stippte ein Stück schwarzes Brot in den heißen Kaffee, Brötchen gab es in dieser frühen Morgenstunde noch nicht, und schabte sich, während er kaute, die hageren Wangen ab, die flach und hart wie ein Brett waren. Sinn war ein untersetzter, stämmiger Mann mit einer grauen kurzen Bürste auf dem kleinen Kopf, die für gewöhnlich weich und gutmütig war, aber an eine Stahlbürste erinnerte, sobald er in Zorn geriet.

Als er die letzten, besonders widerspenstigen Stoppeln unter der Nase abgeschabt hatte, schielte er nach der Küchenuhr. Sie zeigte wenige Minuten vor halb fünf Uhr, wie seit dreißig Jahren, wenn er zum Ausgehen fertig war. Er schlüpfte in den dicken Mantel, band sich ein altes wollenes Halstuch um und griff nach seinem alten, abgeschabten Dienstkoffer, der schon viele Millionen von Kilometern mit ihm zurückgelegt hatte, seit er auf der Maschine fuhr.

Bevor er die Wohnung verließ, lauschte er noch gegen die Tür, hinter der seine beiden Töchter, Meta und Käthchen, schliefen, ob sie nicht aufgewacht seien. Nichts regte sich, er vernahm nur ein tiefes befriedigtes Atmen, das war Meta, die wie ein Murmeltier schlafen konnte.

Dann ging Wilhelm möglichst geräuschlos die Treppe hinab. Erstens gehörte es sich so, das ganze Haus lag noch in tiefem Schlaf, sodann wusste er, dass der Tischler Frey im dritten Stock auf den Tod krank lag. Er hatte in dieser Nacht wieder entsetzlich gehustet. An der Haustür traf er mit einem Mann zusammen, den er an seiner Größe und seinen großen Schultern erkannte. Es war Lebus, ein Schlafwagenschaffner, der die große Linie nach Basel befuhr, also eine Art Kollege von ihm.

„Guten Morgen, Herr Sinn! Zum Dienst?“, rief Lebus mit seiner robusten Stimme aus, die die Mächtigkeit seines Brustkorbes ahnen ließ. Er stieß die Haustür weit auf, so dass die eisige Luft um Wilhelms Beine floss.

„Morgen, Herr Lebus“, erwiderte Wilhelm, und die Tür fiel ins Schloss.

Punkt fünf Uhr schrillte wieder ein Wecker durch das Haus, und jedermann wusste, dass es der Wecker des Busfahrers Hans Glöckner war, der bei der Omnibusgesellschaft arbeitete. Er wohnte in Logis bei der Wäscherin Klatt im ersten Stock, einer üblen Klatschbase, die jedermann im Hause mied. Glöckner war noch ein junger Mann, dem es nur richtig schien, dass alle Welt wach wurde, wenn er aus den Federn musste. Eine halbe Stunde später polterte Glöckner rücksichtslos die Treppe hinab, so dass man glauben konnte, ein wilder Büffel stürme durch das Treppenhaus.

Von diesem Augenblick schrillten und klingelten Scharen von Weckern in allen Stockwerken des Hauses. Es waren die Alarmuhren der Handwerker und Verkäuferinnen, der Angestellten und Stenotypistinnen, die zur Arbeit mussten. Das ganze Haus war erwacht.

2

Als Wilhelm das Haus verließ, graute eben der Tag. Nur wenige Menschen waren unterwegs, einige Bäckerjungen und Zeitungshändler mit schweren Ballen auf dem Rücken, einige Schlächterwagen rasselten dahin. Ein Trupp von Arbeitern war mit dem Schweißen eines Trambahngleises beschäftigt, umsprüht von einem grünen Funkenregen. Ein kalter Regen stäubte herab, es begann schon frühzeitig kühl zu werden, obschon der Oktober kaum begonnen hatte.

Wilhelm mit seinem abgenutzten Dienstköfferchen musste einige Minuten warten, bis seine Tram aus dem Sprühregen auftauchte, die ihn zum Anhalter Bahnhof brachte. Er saß fröstelnd in seinem dicken Mantel, die Füße angezogen, denn die eiligen Fahrgäste vergaßen die Türen zu schließen. Erst in seiner Lokomotivenhalle fühlte er sich warm und heimisch, umgeben von bekanntem Lärm und vertrauten Gesichtern. Die Hitze zitterte in den Leibern der mächtigen Maschinen, die Ventile atmeten, das heiße Öl roch.

Menzel, der Heizer, ein rothaariger, stets etwas zerzaust aussehender alter Mann, hatte die Maschine, wie stets, schon fertiggemacht, und Wilhelm ließ sie langsam zum Bahnhof rollen. Nun war es schon um vieles lichter geworden. Der Zug D 38 stand schon bereit, und die Reisenden kletterten mit geröteten Gesichtern, frisch von der Morgenkühle, in die Waggons.

Mit dem Abfahrtssignal bewegte Wilhelm den Dampfhebel, und die schwere Maschine zog ohne jeden Laut die vierzig Achsen aus dem Bahnhof. Schwärzliche Rauchschwaden lagen über den Schienensträngen. Die Häuserblocks waren aus dem Dunst des Regens aufgetaucht und schienen plötzlich viel höher geworden zu sein. Es war nun lichter Tag. In vereinzelten Fenstern war noch Licht zu sehen, auf einem winzigen Balkon wurden Betten geklopft, sonst schien die Stadt noch in tiefem Schlaf zu liegen. Der Zug beschleunigte seine Fahrt, passierte eine Anzahl von Stadtbahnhöfen, wo Scharen von Reisenden auf den Zug warteten, und erreichte schnell das freie Feld.

Nun konnte Wilhelm sich mehr den eigenen Gedanken hingeben. Wind pfiff um das Gesicht. Der Zug flog mit einer gleichmäßigen Geschwindigkeit dahin, die schwere Maschine stieß und sprang bei den Schienenstößen und legte sich geschmeidig schräg in den Kurven. Der rothaarige Heizer warf mit seinen schwarzen Armen Kohle in das Feuerloch.

Auf den Stoppelfeldern tummelten sich Scharen von Vögeln, die nach Körnern suchten, das Vieh stand in den Koppeln und blickte kaum zur Seite, als der Zug vorbeifegte, ein Motorpflug war bei der Arbeit, um endlose Felder in glänzende lockere Schollen umzubrechen, deren Anblick den Gedanken von Fruchtbarkeit erregte. Wilhelm genoss die Weite des Horizontes, Freude und Beglückung im Herzen. Meta und Käthchen werden sich wohl nun in die Arbeit stürzen und das Oberste zuunterst kehren, dachte er, nun, Hanna wird ihnen ja behilflich sein, und auch Frau Bauer wird ja tüchtig zufassen. Ein Glück, dass ich nicht zu Hause bin. Dann ging ihm die hübsche Karola von der Tiroler Weinstube durch den Sinn, die ihm nicht gleichgültig war. Nun, übermorgen werde ich sie wohl wiedersehen, vielleicht sogar morgen schon.

„Ich glaube, es wird sich aufklären“, sagte der Heizer, indem er das Feuerloch zuschlug und sich aufrichtete.